Die Briten brauchen die EU mehr als umgekehrt

Kurier, am 20.09.2016
Die Briten brauchen die EU mehr als umgekehrt
Foto: REUTERS/DARRIN ZAMMIT LUPI Knausrige
Briten wären schlecht für den Tourismus.
Brexit-Folgen treffen Malta, Irland und Niederlande am stärksten - Österreich vergleichsweise wenig.
20.09.2016, 17:46
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Das britische Referendum über den EU-Austritt hat vor allem eins gebracht: Verunsicherung.
"Die Unternehmen sitzen auf den Händen", sagte Christian Kesberg, Wirtschaftsdelegierter in
London, am Montagabend bei einer Diskussion im Außenministerium. Investiert wird aktuell
kaum. Ziegelhersteller Wienerberger habe begonnen, die Produktion zurückzufahren. Kesberg
erwartet eine Phase mit schwachem Wachstum und starken Schwankungen des Pfundkurses.
Sollte die Regierung wie angekündigt ein Infrastruktur-Paket schnüren, dürften sich jedoch
Firmen wie Andritz und voestalpine wohl auf Aufträge freuen.
Insgesamt sind die Briten stärker auf die EU angewiesen als umgekehrt, vor allem im Güterhandel und bei Investitionen, ergab eine Studie des WIIW-Ökonomen Robert Stehrer. Bei
Dienstleistungen verzeichnen sie einen Überschuss, was in den Verhandlungen über die neue
Zusammenarbeit mit der EU eine Rolle spielen werde.
Gemessen an der Wertschöpfung liegt Großbritannien auf Platz sieben der wichtigsten Exportländer Österreichs. Der Anteil an der Wirtschaftsleistung (BIP) ist mit 1,2 Prozent aber eher
gering. Deshalb würde sich ein britischer Wachstumseinbruch um 2 Prozentpunkte (über drei
Jahre) nur mit –0,3 Prozent auf Österreichs BIP niederschlagen. Länder wie Malta, Irland oder
Niederlande wären stärker betroffen. Relativ am stärksten bekommt die Auswirkungen der
Abschwächung die produzierende Industrie in Österreich zu spüren, insbesondere Hochtechnologiesparten wie Fahrzeuge und Komponenten, Papier-, Chemie-, Kunststoff- und Elektroindustrie sowie Maschinenbau.
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Trend "Staycation"
Allerdings bangt auch der Tourismus um 900.000 Urlauber pro Jahr. Österreich gilt bei den
Briten als beliebtes Ziel auch für mittlere Verdiener. Für die wird Reisen teurer, weil der PfundKurs stark gefallen ist. Viele Briten entscheiden sich deshalb für "Staycation" (Urlaub in Balkonien), sagte Österreichs Botschafter Martin Eichtinger.
Die Hoffnung mancher EU-Länder, London die Rolle als größter Finanzplatz abspenstig machen zu können, hält Claus Raidl, Sprecher der Standortinitiative 21st Austria, für "maßlose
Selbstüberschätzung. Dort ist unglaublich viel Know-how vorhanden." Der Brexit werde dem
Finanzplatz eine "Delle, einen Blechschaden" verursachen. Dass andere Länder profitieren,
glaube er nicht, sagte auch Kesberg. Die Schlagzeilen über Abwanderungspläne von Banken
seien Drohgebärden.
(kurier) Erstellt am 20.09.2016, 17:46