POLITiS-Lupe 28 Der Bürgerhaushalt – Die Gemeindefinanzen direkt mitgestalten Der Haushaltsvoranschlag gilt als ein kompliziertes, schwer verständliches Zahlenwerk, das man gerne den Experten überlässt. Die Verwaltung der öffentlichen Mittel geht uns alle an, nicht nur die Fachleute. Sehr vielen, wichtigen finanzwirksamen Entscheidungen politischer Gremien (Gemeinden, Bezirksgemeinschaften, Landtag) ist eine dichte, nicht öffentliche Lobbyarbeit vorgeschaltet. Einfache Bürgerinnen ohne effiziente Organisation erhalten keine Informationen, werden nicht gefragt und können keinen Einfluss geltend machen. Haushaltsvoranschläge sind genauso wie Steuern und Gebühren in Italien der direkten Mitbestimmung der Bürger im Wege einer Volksabstimmung entzogen. Es fehlt an Transparenz und Mitbestimmung bei der Verwaltung öffentlicher Mittel, was gerade in Zeiten der Rationalisierung der öffentlichen Ausgaben noch wichtiger wäre. Umso interessanter das Verfahren des Bürgerhaushalts, das heute in über 300 Kommunen Europas jeder Größenordnung mit Erfolg angewandt wird. Dabei geht es nicht um eine einmalige Abstimmung oder Meinungsumfrage, sondern um ein genau geregeltes, auf Dauer angelegtes Verfahren, das von der Gemeinde organisiert wird und allen Gemeindebürgern offen steht. In mehreren Schritten können alle ihre Vorstellungen und Vorschläge einbringen, sich über den Haushalt informieren und über die vorgelegten Projekte selbst abstimmen. Die Vorschläge der Bürger beziehen sich vor allem auf Investitionen, aber auch auf Einsparungs- und Rationalisierungsmöglichkeiten. Bürgerhaushalte sind eine moderne Form der Beteiligung der Bürger an der Erstellung kommunaler Haushalte, bei der die Einwohner direkt, dauerhaft und eigenständig bei dessen Diskussion und Entscheidung mitwirken. Die Idee partizipativer Haushalte hat sich seit ihrer erstmaligen Verwendung im brasilianischen Porto Alegre 1989 weltweit verbreitet. In Deutschland und Italien wenden zahlreiche kleine und größere Gemeinden den Bürgerhaushalt mit Erfolg an. Ein Bürgerhaushalt schafft mehr Transparenz zum Gemeindehaushalt, erklärt die Einnahmen und Ausgaben und ermöglicht den Bürgerinnen als solchen die Mitwirkung, auch abseits von Interessenverbänden und Parteien. Nicht nur Vorschläge fürs Investitionsprogramm im kommenden Jahr sind gefragt, sondern auch für mögliche Einsparungen. Die Vorschläge der Bürgerinnen werden demokratisch bewertet und dem Gemeinderat und Bürgermeister offiziell unterbreitet. Die Letztentscheidung über den Haushaltsvoranschlag verbleibt beim Gemeinderat. Im darauf folgenden Jahr gibt die Gemeinde Rechenschaft, inwiefern die Bürgervorschläge umgesetzt worden sind. Der Bürgerhaushalt stellt jedenfalls eine neue Qualität der Beteiligung her, die insbesondere durch die bessere Information und Rechenschaftslegung der Verwalter und über die aktive Einbeziehung der Vorschläge der Bürgerschaft erreicht wird. Bürgerhaushalte können von Gemeinden freiwillig eingeführt und in der Satzung verankert werden. Man könnte auch an eine Änderung der Gemeindeordnung denken, um dieses Instrument nach Erprobung und Pilotprojekten flächendeckend einzuführen. In Südtirol wird 2016 erstmals in der Gemeinde Mals ein Bürgerhaushalt durchgeführt, begleitet von Fachleuten von POLITiS und der Fakultät für Design der Universität Bozen. POLITiS hat 2013 eine einführende Broschüre zum Bürgerhaushalt veröffentlicht (Der Bürgerhaushalt – Die Gemeindefinanzen direkt mitgestalten), die Sie hier herunterladen können.
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