Artikel als PDF lesen - ff - Das Südtiroler Wochenmagazin

leitartikel
Das Volk als Faktor
Egal, ob man Ja oder Nein zum Flughafen gesagt hat, eines ist unübersehbar.
Landeshauptmann Arno Kompatscher ist kein Verlierer dieses Abstimmungssonntags.
Er verdient eher einen Blumenstrauß.
von Kurt W.
Zimmermann
Neben Regierung,
Parteien und
Parlament gibt
es nun einen
ernsthaften
vierten Faktor in
der Landespolitik.
E
s ging um eine Sachfrage, zu der die Mehr­
heit im Lande kaum einen persönlichen
Bezug hatte. Nur wenige Prozent der Süd­
tiroler sind schon mal auf dem Flughafen Bozen
in eine Verkehrsmaschine gestiegen.
Dennoch machten sich 46,7 Prozent der
Südtiroler an diesem Sonntag auf ins Stimmlo­
kal. Das ist viel für eine Sachfrage ohne großen
persönlichen Bezug. In der Schweiz zum Beispiel
lag eine Woche zuvor die Stimmbeteiligung bei
46,0 Prozent, obwohl es hier um hautnahe Fra­
gen wie Asyl, Post, Telefon und ein bedingungs­
loses Grundeinkommen ging.
Dass fast jeder zweite Südtiroler den Zettel
einwarf, war beachtlich. Ebenso beachtlich war
das Resultat. Das Verhältnis von 70:30 für ein
Nein zum Flughafen ließ keinen Raum für Inter­
pretationen und Ausflüchte offen. Der Abstim­
mungssonntag war rundum eine saubere Sache.
Es ist das erste Mal, dass in Südtirol eine lan­
desweite Volksabstimmung nach allen Regeln der
Kunst abgelaufen ist. Noch 2009, es ging damals
um Zersiedelung, Wohnbau und Flugverkehr,
scheiterte ein vergleichbarer Urnengang, weil das
Quorum von 40 Prozent Stimmbeteiligung nicht
erreicht wurde.
Südtirol ist seit dieser Woche damit in der
oberen Liga der Direktdemokratie angekommen.
Man darf das nicht unterschätzen. Das Volk, die
Stimmbürger des Landes, sind nun ein ernsthaf­
tes politisches Kraftfeld geworden, ein Gegenge­
wicht und ein Korrektiv zu Regierung, Parteien
und Parlament. In Südtirol ist eine neue poli­
tische Kultur entstanden. In der Politik gibt es
nun den Faktor Volk.
Die Meriten dafür muss man dem Landes­
hauptmann zuschreiben. Ohne Arno Kompat­
scher hätte es diese Volksbefragung nicht gegeben.
Er ging damit, als Befürworter des Flughafens,
ein hohes Risiko ein. Er wusste von Anfang an,
dass ein Nein ungleich wahrscheinlicher war als
ein Ja. Er hat es trotzdem gewagt.
® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Das ist eine neue, moderne Interpretation
der Südtiroler Politik. Es ging nicht darum, wie
bisher die eigenen Interessen und Projekte mög­
lichst rigoros und störungsfrei durchzusetzen. Es
ging vielmehr darum, die eigenen Interessen und
Projekte öffentlich zur Debatte zu stellen. Das ist
ungewohnt, aber zeitgemäß.
Im Südtirol der Vergangenheit war Politik zu­
meist identisch mit Machtpolitik. Machtpolitik
scheut die öffentliche Auseinandersetzung, weil
man in ihr scheitern kann. Die SVP hat mit die­
sem Prinzip jahrzehntelang eine äußerst erfolg­
reiche Politik gemacht. Es gab zwar immer in­
nerparteiliche Diskussionen, aber wenn es darauf
ankam, dann demonstrierte man Geschlossen­
heit, um die Machtpolitik nicht zu gefährden.
Kompatschers neuer Stil liegt voll im Trend.
Auch in Ländern wie Deutschland, Großbritan­
nien und in Osteruropa wächst die Einsicht, dass
die direkte Demokratie das Unbehagen gegen­
über der offiziellen Politik reparieren kann. Viele
Bürger misstrauen den Politikern heute abgrund­
tief. Sie halten sie für raffgierig und inkompetent.
Heutige Politiker sind darum gut beraten, zur
Vertrauensbildung die kritischen Bürger in die
Entscheidungsfindung einzubinden.
In der direkten Demokratie, so sagt man, ist
das Volk der Chef. Es gab darum nur ein paar
parteipolitische Irrlichter, die nach der Abstim­
mung den Rücktritt von Arno Kompatscher ver­
langt haben. Das ist Unsinn. Wer das Volk ent­
scheiden lässt, delegiert die Verantwortung.
Allerdings delegiert er sie nicht aus Drückeber­
gerei, sondern aus der Einsicht, dass in wichtigen
Fragen nicht nur Regierung, Parteien und Parla­
ment das Sagen haben sollten. Direkte Demokra­
tie ist das Gegenteil von Kabinettspolitik.
Neben Regierung, Parteien und Parlament gibt
es nun in Südtirol einen ernsthaften vierten Faktor
in der Landespolitik. Das ist erfreulich. Den Blu­
menstrauß für diese Entwicklung können wir ge­
n
trost an Arno Kompatscher schicken. No. 24 / 2016