Schmerzen bei älteren Patienten

Schmerztherapie
Schmerzen beim älteren Patienten
Ältere Patienten haben sehr häufig Schmerzen, die jedoch fälschlicherweise vielfach als altersassoziiert
wahrgenommen und nicht behandelt werden.
Es gilt jedoch "Age is not analgesic" wie Dr. med. Klaus Weil, Chefarzt der Klinik für Geriatrie und Früh­
rehabilitation des Malteser Krankenhauses St. Franziskus Hospital Flensburg, betont.
Einleitung und Epidemiologie
Die Prävalenz von Schmerzen steigt mit zunehmendem Alter.
Insbesondere aufgrund der altersbedingten Zunahme schmerz­as­so­
ziierter Erkrankungen des Skelettsystems (z.B. Arthrosen oder auch
Osteoporose) sowie des Kreislaufsystems (z.B. Claudicatio oder Ar­
teriitis) steigt parallel die Häufigkeit von Schmerzzuständen mit
zunehmendem Lebensalter. Die Schmerzprävalenz bei über 65jährigen Personen schwankt je nach Untersuchung zwischen 50
und 86%. Ein hoher Anteil der Pflegeheimbewohner leidet fast täg­
­lich an Schmerzen, die Angaben variieren hier zwischen 45 und
88%. Bis zu 75% der noch im häuslichen Kontext lebenden älte­
ren Patienten werden nicht oder völlig unzureichend schmerz­the­
rapeutisch versorgt. Auch der Anteil in Altenheimen lebender un­
terversorgter Schmerzpatienten liegt bei bis zu 30%.
Bezüglich des Schmerzerlebens älterer Menschen gibt es wi­
dersprüchliche Aussagen. Die Schmerzschwelle wird in einigen Ar­
beiten als im Vergleich zu jüngeren Patienten erniedrigt, in an­de­
ren Arbeiten erhöht dargestellt, die Mehrzahl der Studien geht je­
doch von einer gleichen Schwelle aus. Ähnlich verhält es sich mit
der Diskriminationsfähigkeit sowie der Schmerztoleranz, so dass
es zwischen älteren und jüngeren Menschen mehr Gemeinsam­
keiten als Unterschiede gibt und als Resumee „Age is not anal­ge­
sic“ zu ziehen ist.
Dominieren im mittleren Lebensalter Migräne, Kopfschmerzen
vom Spannungstyp sowie unspezifische Rückenschmerzen wird
das höhere Lebensalter eher von Gelenkschmerzen, Fibromyalgien
und schweren Dauerschmerzen geprägt.
XX Geriatrie-Report 02-2016
Schmerzen werden häufig sowohl von Seiten des Betroffenen
als auch seiner Bezugspersonen als normales, al­ters­assoziiertes
Phä­nomen gesehen und insofern dem behandelnden Arzt ge­­gen­­
über nicht erwähnt. Viele ältere Patienten haben zu­dem Be­fürch­
tungen und Ängste, dass Schmerzen gegebenenfalls Signal einer
bis dato nicht bekannten Tumorerkrankung sein könn­ten. Er­schwe­
Ein hoher Anteil der Pflegeheimbewohner leidet fast täg­­lich an
Schmerzen, die Angaben variieren hier zwischen 45 und 88%.
rend weisen viele ältere Menschen kognitive und kom­­­mu­nikative
Einschränkungen auf, so dass von einem strukturellen Underre­
por­ting vorhandener Schmerzzustände im Alter aus­­­ge­gangen wer­
den muss. Ein hoher Anteil von älteren Menschen z.B. mit Demenz
und Nichttumorschmerzen erhält unterschiedlichen Analysen zu­
folge keine Analgetika. Ältere Patienten mit De­menz und Perso­
nen mit Behinderung sind die beiden Gruppen mit dem höchsten
Risiko für eine nicht adäquate Analgetikatherapie.
Insofern bedarf es bezüglich einer frühzeitigen Diagnostik und
Therapie von Schmerzen beim älteren Patienten einer besonderen
Erfahrung und Expertise. Dem geriatrischen Team und den so­zia­
len Bezugspersonen des älteren Patienten kommt bezüglich Er­
fassung, Beurteilung und Therapie von Schmerzzuständen eine
entscheidende Rolle zu.
Schmerzformen
Bezüglich der Schmerzdiagnostik müssen akute Schmerzzu­
stände von chronischen Schmerzen abgegrenzt werden. Dem aku­
ten Schmerz kommt eine biologisch sinnvolle Warnfunktion zu,
er ist in der Regel eher leicht einer erkennbaren Ursache zuzu­
ordnen und meist kausal therapiebar. Beispiele akuter Schmerzen
sind postoperative Schmerzen, Schmerzen infolge Traumata oder
auch Myocardinfarktschmerzen.
Chronifizierte Schmerzen hingegen haben keine biologische
Warnfunktion, meist eine multifaktorielle, nicht kausal behan­del­
bare Ursache und dauern in der Regel länger als 3 Monate. Sie
führen häufig zu Veränderungen von Persönlichkeit, Lebensstil und
Funktionalität. Beispiele für chronische Schmerzen sind neuro­
pathische Schmerzen, Migräne sowie Spannungskopfschmerzen
aber auch Stumpf-/Phantom- und Rückenschmerzen.
Schmerzdiagnostik im Alter
Durch eine gezielte Schmerzanamnese und eine differen­zier­te
klinische Untersuchung lassen sich bereits bis zu 80% der diag­
nostischen Aussage sichern. Schmerzen können durch ein halb­
strukturiertes Interview in der Regel gut erfasst werden. Exakte
Lo­kalisation, Beginn, Qualität (stechend, dumpf, reissend, elek­tri­
sierend, etc.) , tageszeitlicher Verlauf sowie möglicher Auslöser
(Hitze, Kälte, Wetterumschwung, etc.) der Schmerzen als auch die
funktionellen Folgen müssen differenziert hinterfragt werden. Bei
langanhaltenden Schmerzen empfiehlt sich das Führen eines
Schmerz­tagebuches.
Es gilt, eine standardisierte Schmerzerfassung bei allen älte­
ren Patienten quasi als fünften Vitalparameter im Alltag zu etab­­
lie­ren. Durch eine standardisierte Schmerzerfassung ist eine deut­
liche Schmerzreduzierung im Alltag realisierbar. Insofern ist die Im­
plementierung einer regelmässigen und systematischen Schmerz­­
er­fassung sowohl im häuslichen als auch institutionellen Kontext ei­
ne erste wesentliche Voraussetzung zur Verbesserung der schmerz­
­therapeutischen Versorgung älterer Menschen.
Häufige Schmerzursachen im Alter
Die klassischen geriatrischen Syndrome stehen häufig in ei­
ner Beziehung zu Schmerzzuständen. Schmerzen im Alter führen
zu relevanten Beeinträchtigungen der ADL- und IADL-Funktionen.
Es dominieren Schmerzen des muskuloskelettalen Systems. So­
weit die Schmerzursache eindeutig identifizierbar ist, klagen 28%
der Patienten über Rücken- bzw. Wirbelsäulenschmerzen, 20%
über arthrotisch bedingte Schmerzen, in 16 % der Fälle liegt die
Ur­sache im sonstigen Skelettsystem. Die restlichen 36% sind im
wesentlich durch ischämische Herzkrankheit, Verletzungen, Krank­
heiten des Nervensystems sowie Tumorerkrankungen bedingt.
Schmerztherapie
Zur Messung der Schmerzintensität stehen zahlreiche vali­
dier­te Instrumente und Scores zur Verfügung. Als besonders für
die Schmerzerfassung im Alter geeignet gelten Verbal Rating Sca­
le (VRS), Numerische Rating Scale (NRS) sowie Visuelle Analog­
skala (VAS). Zudem stehen speziell für verbal und kognitiv ein­ge­
schränkte Patienten entwickelte Scores zur Verfügung (PAINAD,
BESD, DOLOPLUS-2-SKALA, DOLOSHORT-SKALA), die auch bei de­men­
tieller Erkrankung durch gezielte Beobachtung eine Messung und
Verlaufseinschätzung zulassen.
Compliance wird zudem durch Angaben auf dem Beipackzettel be­
einträchtigt, da viele hier aufgezählte unerwünschte Wirkungen
von älteren Patienten überbewertet werden. Die Einnahme von
vielen Präparaten (Therapiepläne mit mehr als 4 Medikamenten)
führt statistisch gehäuft zu Einnahmefehlern. Trotz der häufig prak­
tizierten Polypharmazie findet sich bezüglich einiger klarer me­
dizinischer Indikationen dennoch punktuell eine strukturelle Un­
ter­versorgung (z.B. Morphinverordnung ohne Verordnung eines
Laxans [61%], Osteoporose ohne Verordnung eines Bisphospho­
nats [29%]). Die Compliance lässt sich durch ein gutes Arzt-Pa­
tienten-Ver­hält­nis verbessern, neben einer vollständigen Me­di­ka­
men­tenanam­ne­se muss hier insbesondere auf eine Erfragung der
Selbstmedi­ka­tion (OTC-Präparate) sowie eine Einbeziehung der
An­gehörigen ge­achtet werden.
Ziele der Schmerztherapie im Alter
Die Schmerztherapie älterer geriatrischer Patienten sollte mög­
lichst interdisziplinär erfolgen, da die Therapieerfolge umso grö­
ßer sind, je breiter der therapeutische Ansatz gewählt wurde. Der
Zusammenarbeit im geriatrischen Team und mit den Bezugsper­
sonen kommt eine ausserordentlich grosse Bedeutung zu.
Compliance fördernde Maßnahmen
Die Compliance kann zudem entscheidend durch eine „geria­
triegerechte“ Verpackung (Schriftgrösse, Lesbarkeit, Art der Ver­
packung, Angaben auf dem Beipackzettel) verbessert werden. Die
Physiologische Grenzen der Schmerztherapie im Alter
Aufgrund der bei vielen älteren Patienten vorliegenden Mul­ti­
morbidität besteht ein starker Trend zur Polypharmazie. Erhalten
unter 25-jährige Patienten im Schnitt 96 DDD (defined daily doses)
werden über 85-jährige Patienten im Schnitt mit 1400 DDD ver­
sorgt. Durch Multimorbidität, Polypharmazie und Polypragmasie
steigt das therapeutische Risiko im Alter beträchtlich, es besteht
ein klar definierter Zusammenhang zwischen der Anzahl der ver­
ab­reichten Medikamente und der möglichen Anzahl von Wech­sel­
wirkungen (I= [n2-n]:2), wobei I der Anzahl der möglichen Wech­
sel­wirkungen und n der Anzahl der kombinierten Medikamente
entspricht. Ab einer Zahl von 5 Medikamenten steigt die Anzahl
un­erwünschter Wirkungen stark an (≤ 5 Medikamente 3,4%; > 5
Medikamente 25%), so dass dies als kritische Grenze zu sehen ist.
In einem von 1000 Fällen ist eine unerwünschte Arzneimittelwir­
kung Todesursache, in einer grossen Obduktionsstudie wiesen 2,57%
der obduzierten Personen morphologische Manifestationen von
Arzneimittelschäden auf. In der Berliner Altersstudie bestand bei
23% aller Krankenhausaufenthalte über 65-jähriger Patienten ein
Zusammenhang mit der Medikation. Viele ältere Patienten be­fin­
den sich in einem pharmakologischen circulus vitiosus, so führt
z.B. die Gabe eines NSAR häufig zu einer Flüssigkeitsretention und
konsekutivem RR-Anstieg, der wiederum mit einem Antihyper­ten­
sivum behandelt wird.
Neben einer Einschränkung der Leberfunktion mit Reduktion
der Perfusion um 30-50% und konsekutiver Abnahme der hepa­ti­
schen Clearance wird die Pharmakokinetik im Alter entscheidend
durch Einschränkungen der Nierenfunktion verändert. Ab dem 40.
Lebensjahr nimmt die Nierenfunktion jährlich um 2% ab. Weltweit
Geriatrie-Report 02-2016
Im Kontext der Schmerztherapie bei älteren Patienten kommt
der Compliance bzw. Compliance fördernden Maßnahmen eine er­
hebliche Bedeutung zu. Älteren Patienten wird häufig eine ein­ge­
schränkte Einnahmezuverlässigkeit unterstellt. Hier gibt es un­
terschiedliche Aussagen, teilweise wird jedoch auch von einem
Rückgang der Non-Compliance mit zunehmendem Alter berichtet.
Leider sind viele „kindersichere“ Applikationen auch „altensicher“.
Aufgrund vielfältiger feinmotorischer, visueller, aber auch kog­ni­ti­
ver Einschränkungen sind ältere Patienten funktionell limitiert.
In einer Studie konnte belegt werden, daß 44% der älteren Pa­tien­
ten keinen Druck-Dreh-Verschluss öffnen können, 23% keinen Me­
dikamentendosendeckel öffnen und 10% nicht in der Lage sind,
Tabletten aus dem Blister herauszudrücken. Die Anwendung von
Dosierungshilfen kann hier die Compliance deutlich verbessern.
Förderlich sind in diesem Kontext Hilfsmittel zum Öffnen von Tu­
ben und Flaschen, Tablettenteiler und Skalenlupen auf PENs, hilf­
reich ist zudem der Austausch von kindersicheren Verschlüssen
gegen normale. Auf eine Teilung von Tabletten sollte möglichst ver­
zichtet werden.
Die Compliance lässt sich durch ein gutes Arzt-Patienten-Ver­hält­nis
verbessern.

Die Therapie von Schmerzen im Alter zielt auf eine Erhaltung
einer hohen Funktionalität sowie Selbstständigkeit im Selbst­hil­fe­
bereich, die Prämisse einer Partizipation am sozialen Leben sowie
einer sozialen Unabhängigkeit sind. Eine komplette Schmerz­­frei­
heit ist aufgrund der häufig vorliegenden Multimorbidität älte­
rer Patienten nicht intendiert, so dass eine Restitutio ad op­ti­mum
und nicht ad integrum angestrebt wird.
XX
Schmerztherapie
ist jede dritte unerwünschte Arzneimittelwirkung auf eine Nicht­
beachtung der eingeschränkten Nierenfunktion zurückzuführen
und wäre insofern vermeidbar. Darum muss bei der medikamen­
tösen Schmerztherapie älterer Patienten obligat auf eine nie­ren­
funktionsadaptierte Dosierung sowie eine Vermeidung nephro­
toxischer Substanzen geachtet werden.
Bezüglich der Risiko-Nutzen-Analyse ist die Evidenzlage sehr
schwach, in einer grossen Metaanalyse erfüllten lediglich 84 von
50.000 publizierten RCTs das Kriterium eines Durchschnittsalters
von 80 Jahren. Ältere Patienten sind ähnlich wie Kinder ein für „offlable-use“ ungeeignetes Kollektiv. Bezüglich der Poly­phar­mazie ist
eine Hierarchisierung und Priorisierung nach bester Evi­denz ver­
bunden mit Minimierung zu fordern.
Nicht-Opioide
NSAR-Analgetika zeichnen sich durch eine hohe Wirksamkeit
bei Schmerzen, insbesondere Knochenmetastasen aus. Aufgrund
der Hemmung der Zyklooxigenase-1 ist ihr Einsatz bei älteren Pa­
tienten mit gastrointestinalen Beschwerden bzw. eingeschränk­
ter Nierenfunktion ungünstig. Eine Dauertherapie sollte nur in Kom­
bination mit einem PPI erfolgen. Es besteht ein erhöhtes Risiko
für Osteoporose, atypische Pneumonien sowie Interaktionen mit
Gerinnungshemmern.
Anilinderivate wie Paracetamol haben ein deutlich niedrigeres
Gastropathierisiko, hier besteht allerdings ein erhöhtes Risiko für
eine Leberschädigung sowie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Pyrazolonderivate wie Metamizol besitzen gute analgetische
und antipyretische Eigenschaften sowie eine hohe spasmolytische
Potenz, eine Hauptindikation ist der viszerale, nozizeptive Schmerz.
Bei Leber- und Niereninsuffizienz sollte die Indikation streng ge­
stellt werden. Aufgrund einer erhöhten Inzidenz von Agranulo­zy­
tosen sind zudem regelmäßige Blutbildkontrollen erforderlich.
Opioide
XX Geriatrie-Report 02-2016
Klinisch kommen schwach wirksame Opioide der WHO-Stufe 2
sowie stark wirksame Opioide der WHO-Stufe 3 zur Anwendung. Vie­
le schwach wirksame Opioide der WHO-Stufe 2 müssen zunächst
in ihre wirksamen Metabolite metabolisiert werden, 10% der Be­
völkerung sind poor metabolizer, so dass hier teilweise keine
aus­reichenden Wirkstoffspiegel entstehen. Bei Niereninsuffizienz
besteht Kumulationsgefahr. Schwach wirksame Opioide unter­lie­
gen nicht der BtMVV und werden entsprechend relativ häufig ver­
schrieben.
Bezüglich des frühen Einsatzes stark wirksamer Opioide zei­
gen mehrere Studien, dass sich hier bei älteren Patienten eine
gute Analgesie bei vorsichtigem Management der unerwünschten
Wirkungen erzielen lässt. Es empfiehlt sich, die Initialdosis auf
die Hälfte oder gar ein Drittel der üblichen Erwachsenendosis zu
reduzieren und dann langsam aufzutitrieren („Start low, go slow“).
Die Dosisintervalle sollten aufgrund der erhöhten Wirkdauer ent­
sprechend verlängert werden. Das Dosis-Wirkungs-Verhalten von
Opioiden ist bei älteren Patienten schlechter berechenbar, so dass
Opioide mit kürzerer Halbwertszeit favorisiert werden sollten. Ad­
juvante Koanalgetica (Antidepressiva, Antikonvulsiva, Kor­ti­ko­ste­
roide, Bisphosphonate) sollten frühzeitig, je nach Schmerz­dif­fe­
ren­tial­indikation, zum Einsatz kommen. Eine effiziente Schmerz­the­
rapie beinhaltet zudem immer eine Begleittherapie uner­wünsch­
ter Analgetikasymptome wie z.B. die prophylaktische und zeit­glei­
che Gabe von Laxantien zur Beseitigung der ausgeprägten opioid­
bedingten Obstipation.
Nicht-Medikamentöse Therapie
Die nicht-medikamentöse Schmerztherapie umfasst ein brei­
tes Spektrum unterschiedlicher Interventionen. Ältere Patienten
weisen in der Regel vielfältige Veränderungen des Stütz- und Be­
wegungsapparates, Zustände nach Frakturen und operativen Ein­
griffen, Kompressionssyndrome, Neuropathien und Veränderungen
des Gefässsystems auf, so dass aufgrund der komplexen Schmerz­
ursache eine monokausale, singuläre Schmerztherapie wenig er­
folgversprechend ist und eher ein multimodaler Ansatz gewählt
werden sollte.
Insbesondere chronische, aber auch akute Schmerzen im Be­
reich des Bewegungsapparates älterer Patienten sind eine Do­mä­
ne der physikalischen Therapieverfahren. Es kommen lokale Kryo­
therapie, Lagerung, Massagen, Manuelle Lymphdrainage, Elek­tro­
therapie, Wärmetherapie, Ultraschall, Hydrotherapie, hydroelek­
trische Maßnahmen sowie Klimatherapie je nach Differentialin­di­
kation zum Einsatz, unterstützt durch ionisierende Strahlen und
antiphlogistische Bestrahlung. Durch gezielte Reizexposition wer­
den unterschiedliche, körpereigene Mechanismen der Schmerz­
bekämpfung aktiviert, die bei entsprechender Eignung und Mo­ti­
vation oftmals zu guten Ergebnissen führen.
Mittels Krankengymnastik und Ergotherapie werden Schmerz­
zustände aufgrund fehlerhafter Bewegungsabläufe, einge­schränk­
ter Gelenkbeweglichkeit, Fehlhaltungen und verkürzter oder ge­
schwächter Muskulatur durch eine Optimierung der funktionellen
Abläufe sowie eine Beseitigung schmerzgenerierender Mecha­nis­
men erfolgreich behandelt.
Chronische Schmerzen führen häufig zu einer Veränderung der
Körperwahrnehmung und der affektiven Situation. Psychologischpsychotherapeutische Verfahren zielen darauf ab, sich wechselseitig bedingende Schmerzustände zu lösen, überzogenes Schon­
verhalten zu beseitigen und die Wahrnehmung des Schmerzes
zu beeinflussen. Die einzelnen Methoden haben bei altersadap­
tierter Umsetzung eine ähnliche hohe Erfolgsrate wie bei jünge­
ren Patienten.
Auch Infiltrationen, Neuraltherapie, Akupunktur und Homöo­pa­
thie haben einen festen Platz im schmerztherapeutischen An­gebot.
Resumee
Obwohl bis zu 86% aller Patienten über 65 Jahre zumindest
zeitweise unter Schmerzen leiden, werden bis zu 75% dieser Pa­
tienten nicht oder nur unzureichend schmerztherapeutisch ver­
sorgt. Bedingt durch unterschiedliche Faktoren liegt ein struktu­
relles Underreporting von Schmerzen im Alter vor. Die Schmerz­
wahrnehmung bleibt jedoch auch im Alter erhalten, „Age is not
analgesic“. Durch eine gezielte Schmerzanamnese und diffe­ren­
zierte klinische Untersuchung lassen sich 80% der diagnosti­
schen Aussage sichern. Es gilt, eine standardisierte Schmerzer­
fassung im Alltag als quasi fünften Vitalparameter in die Routi­
ne zu etablie­ren. Zur Quantifizierung stehen verschiedene Skalen
und Scores zur Verfügung. Im Alter dominieren Schmerzen des
Bewegungsapparates. Die Therapie von Schmerzen im Alter zielt
auf eine Er­haltung einer hohen Funktionalität sowie Selbststän­
digkeit im Selbsthilfebereich um eine Partizipation am sozialen
Leben sowie soziale Unabhängigkeit zu ermöglichen. Die Schmerz­
Literatur beim Verfasser
Autor:
Dr. med. Klaus Weil
Geriatrie und Frührehabilitation
Malteser Krankenhaus
St. Franziskus-Hospital
Waldstraße 17 | 24939 Flensburg
E-Mail: [email protected]
Schmerztherapie
therapie älterer geriatrischer Patienten sollte möglichst inter­dis­
ziplinär erfolgen, da die Therapieerfolge umso grösser sind, je brei­
ter der therapeutische Ansatz gewählt wurde. Der Zusammenar­
beit im geriatrischen Team und mit den Bezugspersonen kommt
eine gro­ße Bedeutung zu. Die medikamentöse Schmerztherapie im
Alter muss die physiologischen Grenzen, insbesondere Ein­schrän­
kungen von Leber- und Nierenfunktion strikt beachten. Neben der
me­dikamentösen Schmerztherapie stellen Interventionen der phy­
­si­kalischen Therapie, psychologisch-psychotherapeutische Ver­
fah­ren sowie komplementäre Verfahren wichtige Bausteine eines
mul­timodalen schmerztherapeutischen Konzeptes im Alter dar.
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