SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen: Radio Akademie Die teilende Gesellschaft (6) Ressourcen teilen Von Uwe Springfeld Sendung: Samstag, 11. Juni 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Detlef Clas Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. 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Und der geht pünktlicher als die Bahn. Weg zum Fahrstuhl O-Ton Ulf Hölzel: Es gibt eine Seilfahrtsordnung und wir haben zu den Schichtwechselzeiten – früh/Mittag, Mittag/Nacht, Nacht/früh festgelegte Zeiten, wann welcher Korb fährt und welche Mitarbeiter welchen Korb nutzen müssen. Also das ist genau festgeschrieben. Sprecher: Der Zug hat mich durch die norddeutsche Tiefebene gefahren, flach wie ein Nudelbrett, graugrün links und rechts in der aufkommenden Morgendämmerung. Dann Magdeburg und im Halbschlaf umsteigen in eine S-Bahn nach Zielitz. Hier soll es Bergbau geben? Von der Bahn aus habe ich eine Industrieanlage gesehen. Backsteinhallen mit staubigen Fenstern, durch die fahles Neonlicht drang. Am Bahnhof selbst dann keine Wegweiser, keine Hinweisschilder auf den größten Arbeitgeber der Region. Ich bin dann doch angekommen, rechtzeitig, irgendwie, in Empfang genommen und in eine Kaue geführt worden, wie die Umkleideräume im Bergmannsdeutsch heißen. Dort liegen Arbeitsklamotten bereit. Selbst frische Unterwäsche. Fahrstuhl Sprecher: Nachdem ich mich umgezogen habe, erzählt der Produktionsleiter der Mine, Ulf Hölzel, weiter vom Fahrstuhl und dessen Fahrplan: O-Ton Ulf Hölzel: Und dazwischen gibt‘s die Möglichkeit, die sogenannten Zwischenseilfahrten zu nutzen, die sind festgeschrieben, diese Zwischenseilfahrtszeiten – wenn außergewöhnliche Vorkommnisse sind, wenn Mitarbeiter verletzt sind oder so. Die können dann natürlich auch zwischendurch ausgebracht werden, ne? Sprecher: Nach einer kurzen Sicherheitseinweisung bekomme ich einen metallenen Umhängekanister ausgehändigt, die mobile Sauerstoffversorgung für den Notfall, gegen die beim Laufen eine ebenfalls metallene Identifikationsplakette schlägt. Dann 2 warte ich mit Bergleuten, die aufgereiht wie an einer Londoner Bushaltestelle stehen, auf den Fahrstuhl, Fahrkorb im Bergmannsdeutsch. Pünktlich um 9 Uhr bringt der einen 700 Meter unter die Erde ins Salz. Während der Fahrkorb in die Tiefe gleitet, hänge ich meinen Gedanken nach. Seit wann spricht man von Ressourcen? Sprecherin: In den Siebzigern des 20. Jahrhunderts war das Wort noch ein Fachbegriff aus den Wirtschaftswissenschaften. Mitte der Achtziger, als neoliberale Ökonomen begannen, Lebensbereiche wie Gesundheit, Bildung, Sicherheit und Schutz den Kriterien der Wirtschaftlichkeit zu unterwerfen, drang der Begriff „Ressource“ langsam in den Alltag vor. Erst noch in der Bedeutung von Rohstoff. Später, um die Jahrtausendwende, allgemeiner im Sinn von Hilfsmittel. Und schließlich, auch im privaten Bereich, als Mischung aus Hilfsmittel und Möglichkeit. Heute ist fast alles zur Ressource geworden: Rohstoff, Ackerland, Sonnenschein und Wind. Menschen, insbesondere berufliche und private Kontakte – vormals Arbeitskollegen, Freunde und Verwandte – Geld, Ideen, Wissen, persönliche Kompetenzen und allgemeinere Soft Skills, vormals Charaktereigenschaften. Ressourcen werden ausgewertet. Heute fragt jeder: Was steckt drin? Welche Möglichkeiten, Geld zu machen? Zum Beispiel: Aus Wind und Sonnenschein mach Elektrizität und aus Elektrizität mach Geld. Oder: Aus Kupferblechen mach Rohre und Drähte, mach Wasserleitungen und Elektrokabel. Oder: Nimm eine Idee und ein paar Soft Skills, also Charaktereigenschaften, und gründe ein Unternehmen. Akzent Sprecherin: Ausgewertete Ressourcen enden als Geld. Das wiederum ist eine Ressource, um weiteres Geld zu machen. Für dieses Geld zu Geld bietet die Sprache keine griffigen Worte mehr. Früher einmal sprach man von der Akkumulation des Kapitals. Fahrstuhl – „Wir fahren jetzt in die Führungsschiene ein“ Sprecher: Dieses Unternehmen hier hat also Ressourcen, Kalibergwerke zu betreiben. Das bedeutet, Kali aus der Erde zu holen. Es dann beispielsweise zu Kunstdünger aufzubereiten und es schließlich zu Geld zu machen, sinniere ich gerade, als ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen werde. Der Fahrkorb rüttelt hin und her, wie von einem Riesen geschüttelt. Aber nicht einmal die Gespräche unterbrechen, alles scheint Bergmanns-Routine zu sein. Dann öffnen sich die Türen und über eine Metalltreppe führt der Weg von einer Empore herab in einen Stollen, groß wie ein Straßentunnel, weiß wie Salz, warm wie am Mittelmeer und windig wie an der Nordseeküste. Das Kalibergwerk. Ventilator [Sprecher: Ist wohl die Belüftung? Wieder geht einem ein Gedanke durch den Kopf. Ressourcen verteilen. Vielleicht sogar: fair verteilen. Rohstoffe, möglich. Aber auch Wind? Sonnenschein? 3 Sprecherin: Wind. Auf dem Fahrrad, von vorn, ein Ärgernis. In Windkraftwerken eine Ressource, elektrische Energie zu produzieren. Doch ein Kraftwerk kann dem anderen den Wind aus dem Rotor nehmen. Wenn die Windräder zu dicht gepackt sind. Nach der Verwirbelung durch den ersten Rotor braucht es etwa 300 Meter, bis der Wind seine alte Richtung wiedergefunden hat und das nächste Nachbarkraftwerk antreiben kann. Windparks können einander noch stärker ausbremsen. Auf See findet der Wind manchmal erst nach zehn bis 100 Kilometern zu seiner ursprünglichen Stärke und Richtung zurück. Das sagen jedenfalls Modelle, die Meteorologen, Strömungstechniker und weitere Wissenschaftler an deutschen Forschungszentren entwickelten. Ob und wie die 500 allein im Jahr 2015 errichteten OffshoreWindanlagen anderen tatsächlich den Wind streitig machen, soll ab 2016 in einem eignen Forschungsvorhaben untersucht werden. Genehmigungen und Bebauungspläne sollen den Wind in Deutschland gerecht verteilen. Das jedenfalls sind die Instrumente der Kommunen und des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, Windparks zu erlauben – oder die Erlaubnis zu versagen. Das Beispiel „Wind“ zeigt auch: Für sich allein genommen ist eine einzelne Ressource nichts wert. Ohne Zutun weiterer Ressourcen kann sie niemand auswerten, zu Geld machen. Zum einen braucht man die klassischen drei: Kapital, Manpower, Know-how. Ohne die geht gar nichts. Zum anderen braucht man natürlich ein Windkraftwerk. Um die Ressource Windkraftwerk herzustellen, braucht man wiederum Ressourcen. Andere. Diesmal im Sinn von Rohstoff, sagt der Abteilungsleiter für mineralische und Energierohstoffe der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, Volker Steinbach: O-Ton Volker Steinbach: Ich hatte schon das Beispiel gebracht, dass wir in Windkraftanlagen 35 Prozent Glasfaser, also einen Quarzrohstoff in den Rotorblättern einsetzen – in den Turbinen selbst brauchen wir Seltene Erden, Neodym und Dysprosium – für Krebsmedikamente braucht man Platin und auch in Sonnencremes stecken Rohstoffe wie Talg und Zink drin. Sprecher: Darauf läuft es also hinaus] Kann man Ressourcen im Allgemeinen, kann man insbesondere die unterste Ebene der Ressourcen, die Rohstoffe, verteilen? Fair verteilen? Beispielsweise zwischen den Staaten der Vereinten Nationen? Dann bekommen Arm und Reich gleich viel. Das wäre doch gerecht. Sprecherin: Rohstoffe. Man denkt beispielsweise an Erz, Kupfer, Zinn. An Bergbau und an Seltene Erden. Die, nebenbei gesagt, auch nichts mit Humus, Torf, Lehm und Matsch zu tun haben, sondern eine chemische Bezeichnung sind für exotische Metalle wie Neodym und Dysprosium zum Beispiel. Aber Rohstoffe sind mehr. Viel mehr. Sand und Quarzsand, Stein und Kies, Lehm. In Deutschland die mengenmäßig häufigsten Rohstoffe. Über eine halbe Million Tonnen werden hier Jahr für Jahr abgebaut. Diese Materialien sind so häufig und derart billig, dass sich ein Transport kaum rechnet, sagt der Leiter für Stoffströme und Ressourcen am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, Henning Wilts: 4 O-Ton Henning Wilts: Die Transportwege für Rohstoffe sind sehr unterschiedlich und hängen sehr davon ab, wie ist das Verhältnis von Gewicht zu Preis des Rohstoffs. Zum Beispiel Sand, Kies, da ist das Verhältnis so niedrig; das können Sie rentabel nur über kurze Strecken transportieren, und dann im Wesentlichen über Binnenschifffahrt. Sprecherin: Genauso die Braunkohle. Im Wert von zweieinhalb Milliarden Euro holen sie Energieunternehmen Jahr für Jahr aus der Erde. Zugegeben, mit abnehmender Tendenz. Die geförderte Braunkohle kommt aber nur ganz selten auf Lastwagen, Schiffe oder die Bahn. In der Regel laden sie riesige Schaufelradbagger auf kilometerlange Förderbänder, die direkt in die Öfen der Kraftwerke führen. Auch hier lohnt der Transport, sprich: das Teilen nicht. Teilen lohnt bei Rohstoffen – oder allgemein Ressourcen – von Wert. Das genannte Neodym. Oder andere Metalle mit exotisch klingenden Namen. Wolfram, Tantal, Lithium. Indium und Germanium und was sonst noch im Smartphone steckt. Wobei sich jetzt die Frage stellt: Was sollen Staaten ohne hochentwickelte Industrie wie Mosambik, Sri Lanka und Afghanistan mit solchen Hightech-Metallen anfangen? Jeep, einsteigen, starten, schalten Sprecher: Während ich solchen Gedanken nachhänge, laufe ich unter Tage auf einer gepflasterten Straße, die nach ein paar Hundert Metern zu einem Weg wird, und schließlich zu einer Parkbucht mit drei Jeeps führt. Von der Fläche her könnte man im Bergwerk die Stadt Magdeburg versenken. Wahlweise auch Freiburg. Mit den 24 Kilometern in Längsrichtung ist das Abbaugebiet zu weitläufig, als dass ich es zu Fuß bewältigen könnte. Also hat das Unternehmen alle notwendigen Ressourcen im Fahrkorb heruntergebracht. Werkstätten und Büros, Schaufelbagger und andere Spezialfahrzeuge. Bohrer, Sprengstoffe und natürlich die Jeeps. Vielleicht kann man etwas weniger Exotisches von Wert teilen als die eben genannten Rohstoffe. Gold, Silber, Diamanten, denke ich. Der Markt ist so groß, dass sogar Privatleute sie verkaufen und kaufen können. In Südafrika beispielweise boomt der heimliche Abbau von Gold, wie 2014 die Berliner Zeitung berichtete. Tausende von illegalen Minenarbeitern schleichen sich meist nach Einbruch der Dunkelheit in längst verlassene Schächte, um sich mit Hammer und Meißel an die verbliebenen Reste der kostbaren Bodenschätze zu machen. Doch diese Art des Teilens nennen Juristen Diebstahl. Das illegal geförderte Gold verkaufen die Bergleute an einzelne Händler. Über Händler läuft auch der Verkaufsweg von Kalisalz. Und über Handelskonsortien. Bis 2013 gab es noch zwei Exportbündnisse. Die russisch-weißrussische Belarusian Potash Company und die nordamerikanische Canpotex. Zusammen wickelten sie fast drei Viertel des gesamten Kalihandels ab. Volker Steinbach: O-Ton Volker Steinbach: Beim Eisenerz gibt es weltweit drei große Unternehmen (Namen) und da finden vierteljährlich Preisverhandlungen zwischen Einkäufern der Stahlunternehmen und der Eisenerzgruben statt. Ne ganze Reihe von Rohstoffen werden über die Börse gehandelt beispielsweise auf der London Metal Exchange, der LME in London. 5 Sprecherin: Wenn sich Erzeuger und Händler nicht direkt an einen Tisch setzen, schaltet sich eine Börse dazwischen. Die London Metal Exchange ist der weltgrößte Handelsplatz für Industriemetalle. An der New Yorker Mercantile Exchange handelt man auch mit Metallen, daneben noch mit anderen Ressourcen wie Energieprodukten und Agrarrohstoffen. Mit Schweinebäuchen, Kupfer, Wolle, Zucker, Rindern, Aktienindizes, Zinn, Aluminium und Holz handelt man an der Chicago Mercantile Exchange. Rohstoffe in Deutschland handelt man beispielsweise über die Frankfurter Börse. Elektrische Energie kauft und verkauft man an der Strombörse in Leipzig. Human Ressources, also Arbeitnehmer, finden auf diversen, dezentralen Jobbörsen ihre Abnehmer. Oder es schalten wieder Händler dazwischen, Headhunter genannt. Wissen gibt es in diversen Wissensbörsen im Internet, oft kostenlos, aber leider oft von minderer Qualität. Für Grundwissen, Softskills und Social Networking sorgen die richtigen Kindergärten und Schulen, später Universitäten und Golfclubs. Bis auf die Job- und Wissensbörsen kann man an den anderen Handelsplätzen ganz ähnlich schachern. Mit Versprechen und Kaufrechten, Futures und Optionen, oder Cash gegen Ware. Und so, muss man sagen, verteilen sich die meisten Ressourcen auf der Welt. Man kauft und verkauft sie. Oder man spekuliert mit ihnen. Kauft sich Rechte auf Ressourcen oder geht Verpflichtungen ein, sie zu liefern oder abzunehmen. Die meisten der börsengehandelten Ressourcen unterliegen dabei dem Gesetz des freien Marktes. Den Regeln von Angebot und Nachfrage. Derjenige, der am wenigsten verlangt, verkauft sie. Derjenige, der am meisten bietet, kriegt sie, wird ihr Eigentümer und kann dann nach Gutdünken über sie verfügen. Sprecher: Das funktioniert. Jedenfalls solange es die Ressourcen gibt, denke ich, als ich zum Erkundungshauer René Henke komme. Tobias Klemm Aufsicht René Henke Erkundungshauer Erkundungsbohrung mit Selbstretter (René Henke) Von unter Tage aus bohren wir ja ins sogenannte Unverritzte. Also bis zu zwei Kilometer ins Vorfeld – gelangen dabei aber auch in Schichten, die möglicherweise gasführend sein können. Sprecher: Solange wie er bei seinen waagerechten Erkundungsbohrungen beispielsweise auf Kali stößt, kann es der Konzern abbauen und verhökern. Aber ist der Markt auch darauf vorberietet, dass Rohstoffvorkommen zur Neige gehen können? Nimmt man die heute bekannten Kali-Reserven und den heutigen Verbrauch, reichen die Weltvorräte noch etwa 150 Jahre. Aber wie sieht es bei den anderen Rohstoffen aus? Sprecherin: Wie geht der freie Markt, in den Augen neoliberaler Ökonomen der Idealtypus einer gerechten Verteilmaschine, mit der Endlichkeit der Rohstoffe um? Ganz einfach. Er ignoriert sie. Aus verschiedenen Gründen. Volker Steinbach beispielsweise meint: Die Tatsache, dass Rohstoffe zu Ende gehen, sei ein Rechenfehler. 6 O-Ton Volker Steinbach: Da kommt man oftmals bei Kupfer, Blei, Zink auf Reichweiten von 30 Jahren. Das sind nämlich die Vorräte, die heute geologisch erkundet sind. Und sie werden heute ja nur Erkundungen durchführen, die Bergbauunternehmen, die Explorationsunternehmen, mit Blick auf Investitionen für die nächsten 20, 30 Jahre. Deshalb kommt man immer im Schnitt auf diese 30 Jahre Reichweite. Sprecherin: Also muss man neue, tiefere Bergwerke graben. Weil man aus geophysikalischen Gründen ausreichend Metalle nur in großen Tiefen findet. Doch je tiefer die Unternehmen graben, desto energieintensiver und kostspieliger wird der Bergbau. Die 2016 tiefste Mine der Welt, Mponeng – zu Deutsch: „Schau mich an“ – liegt einige Zig Kilometer vor Johannisburg, Südafrika. Eine Goldmine. Bis zu 4.000 Meter graben hier die Bergleute dem Edelmetall hinterher und fördern etwa neun Gramm pro Tonne Gestein. Die Luft dort unten wäre 55 Grad Celsius warm, 60 Grad das Gestein, bei 95 Prozent Luftfeuchtigkeit. Aufwändige Kühl- und Bewetterungsmaßnahmen drücken das Klima auf erträglichere 30 Grad herunter, aber den Stromverbrauch hoch. Die Mine hat eine Stromrechnung von ganz Karlsruhe und Reutlingen zusammen. Die Betreibergesellschaft plant, in den nächsten Jahren noch weitere 1.000 Meter tiefer zu graben. Die tiefste Zink-Kupfermine der Welt liegt in Ontario, Kanada. 1966 als Tagebau gestartet, reicht sie heute knapp 3.000 Meter tief. Mit jeder Tonne Gestein fördern die Bergleute hier etwa 20 Kilogramm Kupfer und 60 Kilogramm Zink. Allein für die Belüftung der Stollen erhält die Betreiberfirma Stromrechnungen von über 12 Millionen kanadischer Dollar. Wie sieht es also mit der Endlichkeit der Rohstoffe für Energie aus? Zum Beispiel Erdöl, das in Kraftwerken verbrannt und zu elektrischem Strom verwandelt wird? Wird auch das der freie Markt richten? Ja, sagt Henning Wilts und verweist auf neue Fördertechnologien: O-Ton Henning Wilts: Erdöl – vor fünf Jahren diese riesenhohen Erdölpreise und jetzt durch das Fracking eine neue Möglichkeit, diesen Rohstoff abzubauen, der das Ganze sehr billig macht. Und wir sehen es ja an der Tankstelle: Von den immer steigenden Benzinpreisen, von denen wir vor fünf Jahren gesprochen haben, ist zur Zeit nur sehr wenig übrig. Sprecherin: Die Statistik scheint ihm recht zu geben. Bis 2005 entdeckte man immer neue Ölvorkommen. Seit 2007 nimmt die Menge leicht zu erreichenden Öls ab. Kompliziertere Fördermethoden rechnen sich bei entsprechend hohen Ölpreisen. Zum einen die Förderung aus kanadischen Ölsanden. Zum anderen das Fracking, das Aufsprengen des Bodens durch Hochdruck. Doch Fracking ist eine umstrittene Technologie. Es kann andere, lebenswichtige Ressourcen zerstören. Die Grundwasserreserven. Und die Atmosphäre. Wie alle anderen fossilen Energieträger befeuert auch das verbrannte Erdöl den Treibhauseffekt. Und Drittens kommt eine gesellschaftspolitische Komponente hinzu. Staaten, die wesentlich vom Export eines einzigen Rohstoffs leben – Erdöl aus Libyen und Venezuela, Erdgas aus Russland – tragen ein ganz besonderes Risiko: Bricht dieser Export zusammen, kommt es auch zu sozialen Unruhen, konstatierte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung in einem Gutachten. Die in diesem 7 Gremium versammelten Forscher forderten in einem Gutachten von 2011 eine große Transformation der deutschen Wirtschaft, sagt Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie: O-Ton Henning Wilts: Das Interessante an diesem Gutachten war, dass dieser sehr hoch aufgehängte Begriff der großen Transformation ganz primär an diesen Rohstoffen ansetzte. Weil man nämlich gesagt hat, wir müssen das gesamte Wirtschaftssystem, also die Geschäftsgrundlage unserer Gesellschaft so verändern, dass sie in Zukunft nicht mehr von fossilen Rohstoffen abhängig ist. Funk / Zug innen, Bremsenquietschen Sprecher: Die große Transformation. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung hat sich nur unklar ausgedrückt. Doch während ich dem Erkundungshauer René Henke den Rücken gekehrt habe und wieder mit dem Jeep durch die Stollen fahre, geht mir ein Beispiel durch den Kopf. Ich erinnere mich, wie ich jemanden traf, der den Markt ausgetrickst und gesagt hat, dass er so wie bisher nicht mehr mitmachen will. Ein Bastler. Ein Schwabe, der fast sein ganzes Leben im Ländle verbracht hatte. Kurt Ulmer hatte mich in Göppingen vom Zug abgeholt. Er hatte mich zu sich nach Hause in Zell unter Aichelberg gebracht. In ein typisches Einfamilienhäuschen. Zwei Stockwerke, Giebeldach, Garage nebenan, Gärtchen drum rum. O-Ton Kurt Ulmer: Ich wollt nicht aufs Dach, ich hatt hier eine Elektroinstallation gehabt und da hatt ich gesagt, das muss ausreiche. Sprecher: Als ich darauf zuging, dachte ich an all die Ressourcen, die da drin stecken. Zeit und Geld und Nerven und schätzungsweise 270 Tonnen Stein, Sand, Beton. Plus Holz für Fenster und Türen, Stahl für verschiedene Träger, Kupfer für die Wasserleitungen, einigen Kleinkram und acht kleine Paneele für Solarstrom. Obwohl das Dach für 16 weitere Platz hätte. O-Ton Kurt Ulmer: Ja, meine Grundidee war, zuerst einsparen und dann eine Photovoltaik-Anlage aufbauen, aber nur auf die Garage, ich wollte nur mit acht Paneels auskommen. – Das war dann das Problem: Kein Solateur wollte mir so eine Anlage aufbauen. Ich hatte das bundesweit ausgeschrieben – und durch das, dass mein Sohn eine größere Anlage gebaut hat, hat die gleiche Firma mir die kleine Anlage gebaut. Sprecher: Bis es aber so weit war, musste Kurt Ulmer einiges basteln. Erst maß nach, wie viel Elektrizität jedes einzelne Gerät in seinem Haus verbraucht. Selbst die ausgeschalteten Geräte wie Waschmaschine, Wäschetrockner, Deckenstrahler. 8 O-Ton Kurt Ulmer: Ich hab natürlich schon über Wochen und Monate gemessen und hab dann immer wieder überlegt. Wo könnte noch ein Verbraucher stecken, wo ich noch nicht erfasst hab? Und Sie glaube gar nicht, was mir dann passiert ist: Ich hab so’n Massagesessel und wie ich da drin lieg und überleg, da denke ich Heimatland! Jetzt musst du doch messen, ob der auch Strom zieht, wenn er ausgeschaltet ist. Das war einer der letzten Verbraucher, die ich erfasst hab. Tatsächlich. Sprecher: Hinzu kommen die vielen kleinen Verbraucher, die man zwar sieht, über die man aber nicht nachdenkt. Die kleine Lampe über dem Namensschild an der Klingel. Oder die Glühbirnen. Seine herkömmliche 100-Watt-Glühbirne, in der Europäischen Union seit 2009 verboten, hatte er durch LED-Leuchten ersetzt. Ohne seinen Lebensstandard einschränken zu müssen, hat Kurt Ulmer heute das Gleichgewicht gefunden. Er produziert elektrische Energie. Allerdings nicht so viel, um sie nennenswert ins Versorgungsnetz einspeisen könnte. Er verbraucht sie auch, allerdings nur so viel, dass sich Energiegewinn und Energieverbrauch die Waage halten. Kurt Ulmer ist auch Konsument. Damit unterliegt er nicht mehr nur den Marktgesetzen für Erzeuger oder denen für Verbraucher. Er unterliegt allen Regeln gleichzeitig und kann aus jeder seiner Rollen, Produzent und Konsument, den für ihn größtmöglichen Vorteil ziehen. Auch was das Einsparen der Ressourcen angeht, was im krassen Widerspruch zur Idee des freien Marktes und des ungebremsten Wachstums steht. Diese Erscheinung der modernen Wirtschaft, der Konsument, der gleichzeitig auch produziert, nennt man Prosument. Ob Kurt Ulmer als Prosument auch ein Beispiel für Großverbraucher sein kann? Sprecherin: Im schwedischen Lund baut die Europäische Union ein großes Forschungsgerät auf, die European Spallation Source. Im Prinzip ein enormes Vergrößerungsglas mit dem Stromverbrauch einer Kleinstadt. Die Energie kommt aus einem Windpark. O-Ton Carlile: The electricity so generated will be fed into the electrical grid and we have agreements with companies that we can put it out when we need it. Like a bank account. Put money in and take it out when you need it. Sprecherin: Die Elektrizität aus erneuerbaren Quellen wird ins Stromnetz der Stadt Lund eingespeist. „Wir haben ein Abkommen mit dem hiesigen Stromerzeuger“, sagt der Direktor der Anlage, Colin Carlile, „dass wir diese Menge zu jeder Zeit wieder aus dem Netz nehmen können. Das ist wie ein Bankkonto. Man zahlt Geld ein und hebt es ab, wenn man es braucht.“ Lüftung und Schleuse Hier ist unsere zentrale Kompressor-Station – sind vier Kompressoren, die den gesamte schachtnahen Bereich mit Druckluft versorgen. 9 Sprecher: Prosument, denke ich tief unten im Salzbergwerk. Eine Alternative für Ressourcen wie Energie und Wissen, weil hier Privatleute das Know-how und die technischen Möglichkeiten haben zu gestalten. Im Bereich Rohstoffe, oder allgemeiner, Wertstoffe und Chemikalien hingegen sieht es anders aus. Hier bräuchte es hoch entwickelte Technologien, das eigene Handy, den eigenen Kühlschrank zu recyceln und neu zu bauen. Trotzdem auch hier die Frage: Wie kann die große Transformation der Gesellschaft aussehen? Welche Ressourcen brauchen wir, welche sind nachhaltig, mit welchen müssen wir vorsichtig umgehen? O-Ton Henning Wilts: Man wollte das ganze Wirtschaftssystem hinswitchen zu einem nachhaltigen Modell wo die Frage ist: Wie viele Rohstoffe können wir uns überhaupt leisten? – Bei den Rohstoffen wissen wir das überhaupt nicht. Es ist sehr, sehr schwer zu sagen, was wäre denn ein nachhaltiges Niveau an Rohstoffversorgung? Das ist die für uns gerade sehr spannende Frage, die uns umtreibt. Sprecherin: Stichwort: Effektivität. 2016 ruft die Bundesregierung ein Forschungsprojekt ins Leben, wirtschaftliches Wachstum vom Ressourceneinsatz zu entkoppeln, sodass nicht jede Produktionssteigerung mit mehr verbrauchten Rohstoffen einhergeht. Das Problem: In vielen kleinen und mittelständischen und Familienunternehmen wären die Einsparungen so gering, dass sie sich kaum rechnen. Sofern man dort mögliches Einsparungspotenzial überhaupt erkennt. Die einhergehenden, notwendigen Änderungen in bewährten Produktionsabläufen bergen auch nicht abzusehende Unternehmensrisiken. Darauf aufbauend etablieren sich international neue Geschäftsmodelle. Zum Beispiel das von der United Nations Industrial Development Organization, so etwas wie ein Entwicklungsministerium der UNO, geförderten Programmen zum Chemical Leasing. Der Kunde, beispielweise aus der metallverarbeitenden Industrie, kauft kein Putzmittel, die Metalle zu entfetten, sondern die Entfettung seiner Werkstücke. O-Ton Henning Wilts: Das heißt sozusagen das Eigentum am Rohstoff bleibt immer beim Hersteller und der Hersteller hat einen ganz natürlichen Anreiz, damit so sorgfältig und so effizient umzugehen wir möglich. Das heißt, er macht den Gewinn nicht mehr damit, dass er so viel Rohstoffe wie möglich verkauft und verschwendet oder sozusagen zum Abfall werden lässt, sondern er macht Gewinn dadurch, wenn er den Rohstoff besonders effizient einsetzt. Sprecherin: Das Geschäftsmodell „Leasing“ findet man bei ganz verschiedenen Ressourcen wieder. Beispiel: Werkzeugmaschinen. Ein Unternehmen muss keine halbe Million und mehr Euro in eine neue Werkzeugmaschine investieren, sondern kauft Laufzeiten oder eine Stückzahl produzierter Werkstücke. Selbst Geschäfte mit Human Ressources, vormals „Arbeitnehmer“, lassen sich so interpretieren. Stichwort: Werksvertrag. Damit kauft ein Unternehmen nicht die Arbeitskraft, sondern bestimmte Arbeitsergebnisse ein. Stückzahlen von Hand montierter Teile. Laut IG Metall bauen in einem Leipziger Automobilwerk keine nach Stunden entlohnten 10 Arbeiter die Vorderachsen, Motoren, Anlasser, Tachometer und Türen ein. Die Tätigkeiten sind werkvertraglich an Dienstleister – neudeutsch – outgesourct. Fahrstuhl Sprecher: Die große Transformation. Ein neuer, ein verantwortungsbewusster und effizienter Umgang mit Ressourcen. Erreicht man ihn tatsächlich dadurch, dass Computer- und Handyhersteller die Altgeräte recyceln müssen, statt dass sie über die kommunale Müllabfuhr in den Ofen wandern? Wie müssten die Hersteller ihre Geräte umbauen, damit sie die 60 verschiedenen chemischen Elemente zurückgewinnen, die sie vorher hineingearbeitet haben? Und vor allem: Was würde es daran ändern, dass es der freie, ungezügelte Markt ist, der die Rohstoffe verteilt? Während dieser Gedanken saß ich wieder im Jeep und wartete vor einer Luftschleuse. Langsam öffnete sich die schwere Metalltür. Dann musste ich mich beeilen. Der Fahrstuhl war pünktlich und die Bahn kam auch irgendwann. Zug ***** 11
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