SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Aula Kommunikationswissenschaft Der Studienkompass (7/11) Von Frank Brettschneider Sendung: Sonntag, 29. Mai 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Ralf Caspary Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Aula können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/aula.xml Die Manuskripte von SWR2 Aula gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. 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Wir wollen bei der Beantwortung dieser Frage helfen. Elf AULA-Autorinnen und -Autoren geben jeweils Auskunft über ihr Fach, zeigen, was man mitbringen muss, um es zu studieren, was man mit dem Bachelor oder Master anfangen kann, wie das Studium genau aufgebaut ist. Es geht um Grundlagenfächer, um Chemie, Mathematik, Germanistik oder Physik. Alle Vorträge sind seit Ende April auch online erhältlich. Infos dazu finden Sie der Internetseite www.swr2.de/studienkompass. Heute also geht es um die Kommunikationswissenschaft, Autor ist Professor Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Frank Brettschneider: Irgendwas mit Medien! Dieser Wunsch steht bei vielen am Anfang ihres kommunikationswissenschaftlichen Studiums. Bei mir war es genauso. Ich fand in der Schlussphase des Abiturs Journalismus interessant, habe bei einer Schülerzeitung mitgeschrieben und dachte: Das muss man doch auch studieren können! Und dann Skandale aufdecken, Hintergrundberichte schreiben, spannende Interviews führen, in der Welt herumkommen. Alle diese Vorstellungen, die man halt so hat. Ich habe dann angefangen, mich intensiver mit den Studienangeboten der Universitäten zu beschäftigen. Und da gab und gibt es eine große Vielfalt. Gelandet bin ich an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Damals noch im MagisterStudium. Das war in den 80er Jahren. Hauptfach: Politikwissenschaft. Nebenfächer: Publizistik und Öffentliches Recht. Aber Publizistik war mein heimliches Hauptfach. Dort habe ich wesentlich mehr Veranstaltungen besucht, als nötig. Und alle waren faszinierend – naja, fast alle. Das lag an den Inhalten und an den hervorragenden Lehrenden – an den Profs und den Mitarbeitern: Elisabeth Noelle-Neumann, Hans Mathias Kepplinger, Wolfgang Donsbach, Hans-Bernd Brosius – die sogenannte „Mainzer Schule“. Von da an hat mich die Verbindung zwischen Politik und Kommunikation nicht mehr losgelassen, aber auch die Begeisterung für Kommunikation als Treibstoff unserer Gesellschaft. Wolfgang Donsbach ermöglichte mir gegen Ende meines Studiums, 1988, ein Praktikum bei einem amerikanischen Kongress-Abgeordneten – da war gerade Präsidentschaftswahlkampf. Zwei Monate war ich in Washington, ein paar Wochen im Wahlkreis des Abgeordneten in Arizona – in Tuscon und in Phoenix. Eine hochspannende und prägende Zeit. Wahlkämpfe sauge ich seitdem auf wie ein Schwamm. 2 Im Studium selbst wurde mir schnell klar: Publizistik und Kommunikationswissenschaft – das ist kein Studienfach, in dem man lernt, wie man Journalist wird. Dafür gibt es Journalistenschulen. Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich zwar auch mit Journalismus. Es geht aber nicht in erster Linie darum, wie man recherchiert oder Artikel schreibt. Sondern die Kommunikationswissenschaft fragt nach den Arbeitsbedingungen des Journalismus, nach den Funktionsweisen, nach der Nutzung journalistischer Angebote und nach ihrer Wirkung. Es ist ein Blick von außen auf den Journalismus – keine Lehre, wie man Journalist wird. Das ist übrigens ein Missverständnis, das auch heute noch viele haben, wenn sie sich für das Studium interessieren. Was also ist Kommunikationswissenschaft genau? Mit welchen Themen beschäftigt sich dieses Fach? Und warum ist es für die Gesellschaft wichtig? Diesen Fragen möchte ich zunächst nachgehen. Anschließend geht es um den Aufbau des Studiums. Welche Schwerpunkte können Studierende wählen? Was gehört zum Studium alles dazu? Ferner geht es um die Voraussetzungen, die Studierende für ein erfolgreiches Studium mitbringen sollten. Und schließlich will ich beschreiben, was man mit dem Uni-Abschluss in Kommunikationswissenschaft alles machen kann – und das ist ganz schön viel ... Fangen wir mit den Themenbereichen der Kommunikationswissenschaft an. Was ist Kommunikationswissenschaft? Hier haben wir zunächst zwei Bestandteile – die „Kommunikation“, und die „Wissenschaft“. Der Begriff „Wissenschaft“ verweist bereits darauf, dass es nicht darum geht, kommunizieren zu lernen, um dann Web-Designer oder Tagesschau-Sprecher zu werden. Wissenschaft heißt, dass wir Kommunikation systematisch analysieren. Nicht aus dem Bauch heraus oder mit einer Glaskugel, sondern nach strengen Regeln und klaren Methoden. Auf die Methoden komme ich später noch zurück... Und der Gegenstand, den wir untersuchen, ist die öffentliche menschliche Kommunikation. Am besten lässt sich unser Fach entlang der sogenannten „Lasswell-Formel“ einteilen. Diese Formel lautet wie folgt: Wer – sagt was – in welchem Kanal – zu wem – mit welchem Effekt? Noch einmal: Wer – sagt was – in welchem Kanal – zu wem – mit welchem Effekt? Gehen wir die einzelnen Elemente mal etwas genauer durch. Das Element WER bezieht sich auf den Kommunikator, also auf denjenigen, der eine Botschaft mitteilt. Das können Journalisten sein. Aber auch Sprecher von Unternehmen gehören dazu. Oder Politiker. Oder Sportler, wenn sie Interviews geben. Oder einzelne Menschen. Wir fragen aber nicht nur, wer etwas in öffentlichen Diskussionen sagt, sondern wir fragen auch nach dessen Motiven. Diese Kommunikatorforschung interessiert sich unter anderem für die Berufsmotive der Menschen, die professionell kommunizieren: Warum entscheiden sich Menschen für den Beruf des Journalisten? Warum gehen sie in die PR-Branche? Außerdem interessiert sich die Kommunikatorforschung für 3 das Berufsverständnis dieser Menschen, etwa für das journalistische Ethos. Im Mittelpunkt steht aber vor allem die Arbeitsweise. Das lässt sich am Beispiel der Journalisten zeigen. Sie recherchieren Themen, sie wählen aus der Vielzahl von Ereignissen jene aus, über die sie berichten, und sie schreiben Artikel oder bauen Beiträge. Spannend ist nun vor allem die Nachrichtenauswahl. Der Redakteur der Deutschen Presseagentur dpa, Manfred Steffens, hat einmal festgestellt: Zitat „Von über 99 Prozent allen Geschehens auf diesem Erdball erfährt der Zeitungsleser nichts, weil es einfach nicht zur Kenntnis der Presse gelangt. Aber damit nicht genug: Über 99 Prozent aller Nachrichten, die schließlich doch der Presse bekannt werden, gelangen nie vor die Augen des Lesers, weil sie ... [zuvor von Journalisten] aussortiert und dem Papierkorb anvertraut werden.“ Das heißt: Eine der wesentlichen Aufgaben der Journalisten ist es, aus den vielen Ereignissen, die tagtäglich geschehen, die relevanten Ereignisse auszuwählen. Denn eine Zeitung hat begrenzten Raum – und eine Nachrichtensendung im Fernsehen dauert nun mal nur 15 oder 30 Minuten. Also muss ausgewählt werden. Und diese Auswahl erfolgt nicht zufällig, sondern nach Regeln. Und genau diese Regeln untersucht die Kommunikationswissenschaft. Dafür gibt es die sogenannten Theorien journalistischer Nachrichtenauswahl. Demnach müssen Nachrichten einige der folgenden Nachrichtenfaktoren erfüllen: • • • • • • Erstens: Dramatische Ereignisse haben es leichter als undramatische Ereignisse. Ein großer Schaden, etwa bei einer Naturkatastrophe, garantiert fast Berichterstattung. Zweitens: Einfache Ereignisse haben es leichter als komplexe Ereignisse. Denn Letztere lassen sich nur schwer in kurzer Zeit erklären. Drittens: Ereignisse mit einem Bezug zum Erscheinungsort der Zeitung oder zum Verbreitungsgebiet des Senders haben es leichter als weit entfernte Ereignisse. Viertens: Überraschende Ereignisse haben einen größeren Nachrichtenwert als Ereignisse, die genau so erwartet wurden. Fünftens: Sind an dem Ereignis bedeutende Nationen beteiligt – etwa USA, Russland, China – ist die Berichterstattung wahrscheinlicher als bei Ereignissen in Tuvalu, in Kiribati oder in Guam. Die beiden wichtigsten Nachrichtenfaktoren aber sind Personalisierung und Negativismus. Eine prominente Person macht ein Ereignis berichtenswert. Und über Streit und Konflikt wird eher berichtet als über Harmonie und Einigkeit. Wie kann man das alles untersuchen? Nun, als wissenschaftliche Methoden dominieren in der Kommunikatorforschung unter anderem Befragungen, aber auch teilnehmende Beobachtungen – etwa wenn Arbeitsabläufe in einer Redaktion oder in der Kommunikations-Abteilung eines Unternehmens beobachtet werden. Und natürlich Inhaltsanalysen, also das systematische, nach Regeln ablaufende Auswerten der Berichterstattung. Kommen wir zum nächsten Element der Lasswell-Formel. Das Element SAGT WAS bezieht sich auf die kommunizierten Inhalte. Welche Botschaften werden versendet? Wie sind sie beschaffen? Auch das untersuchen wir mit der wissenschaftlichen Methode der Inhaltsanalyse. Dabei halten geschulte Codierer – oft sind das 4 Studierende – für Artikel, Radio- oder Fernsehbeiträge fest, wer dort etwas sagt, was er sagt, wie er was bewertet – und über wen er etwas sagt. Auf der Basis ganz vieler so codierter Aussagen ist es dann möglich, die politische Tendenz einer Zeitung zu erkennen. Oder es kann untersucht werden, ob sich Medien in einem politischen Konflikt auf eine bestimmte Seite schlagen – was sie übrigens meistens nicht machen, ganz entgegen der zu hörenden „Lügenpresse“-Rufe. Mit Hilfe von Inhaltsanalysen schauen wir aber auch, wie etwa in Sozialen Netzwerken wie Facebook miteinander und übereinander kommuniziert wird. Da stellen wir beispielsweise fest, dass der Ton immer rauer wird. Oft lassen die Aussagen dort einiges an Respekt vor anderen Meinungen vermissen... Oder wir schauen uns an, wie die Rede eines Politikers aufgebaut ist; wie er versucht, seine Zuhörer zu überzeugen. Die Rhetorik etwa des amerikanischen Präsidenten Barack Obama ist beispielsweise äußerst faszinierend. Darüber hinaus untersuchen wir die Verständlichkeit von Reden, von Geschäftsberichten, Produktbeschreibungen oder der Medienberichterstattung. Dafür haben wir sogar eigens eine VerständlichkeitsSoftware entwickelt, die uns sagt, wie verständlich eine Rede oder ein Text ist. Sie misst dafür die Wortlänge, die Satzlänge, den Anteil von Passiv-Formulierungen sowie zahlreiche weitere Merkmale. Zu dem SAGT WAS gehören aber nicht nur schriftliche und verbale Aussagen, sondern auch Bilder. Bilder wurden in der Kommunikationswissenschaft lange Zeit vernachlässigt. Inzwischen erleben sie aber eine Renaissance. In Fernsehnachrichten untersuchen wir beispielsweise, wie das Thema „Flüchtlinge“ bildlich dargestellt wird. Denken sie an das tote Kind, dass an den Mittelmeerstrand gespült wurde. Oder an Bilder von Menschenmengen in Indomeni – an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien. Das sprachliche Gegenstück sind „Sprach-Bilder“ und bildhafte Begriffe. Wenn ein Kommunikator von „Flüchtlingsflut“ oder „Flüchtlingswelle“ spricht, die „über Deutschland herein schwappt“, verfolgt er damit eine bestimmte Absicht. „Flut“ und „Welle“ sind Begriffe aus dem Bereich der Naturkatastrophen, denen man oft schutzlos ausgeliefert ist. Man denkt an den fürchterlichen Tsunami. Der Schutz ist dann das Errichten eines „Walls“ gegen die Flut. Mit dem Begriff „Flüchtlingsflut“ wird also nicht nur ein Problem suggeriert, sondern es wird implizit auch schon eine vermeintliche Problemlösung nahegelegt. Sprache kann da sehr manipulativ sein. Oft sind es Nuancen, die den Unterschied ausmachen. Früher hatten wir das beim Kampf um den richtigen Begriff für Atom- beziehungsweise Kernenergie. Die Kernenergie-Gegner haben immer von „Atomenergie“ gesprochen. Damit wird der Gegenstand begrifflich in die Nähe von Atom-Bombe oder Atom-Unfall gerückt – und negativ besetzt. Die Betreiber von Atomkraftwerken hingegen haben immer von „Kernenergie“ gesprochen – das klingt viel harmloser. „Entsorgungspark“ klingt auch viel harmloser als „Atommüllendlager“. Und der Begriff „Pflanzenschutzmittel“ klingt viel sympathischer als der Begriff „Unkrautvernichtungsmittel“. Begriffe bestimmen das Denken. Und Sie glauben gar nicht, wie stark Kommunikatoren um die für sie günstigen Begriffe kämpfen... Wer – sagt was – in welchem Kanal – zu wem – und mit welchem Effekt? Die ersten beiden Elemente haben wir jetzt also. Kommt als Nächstes der Kanal. Das ist der Weg, auf dem Botschaften transportiert werden. In erster Linie sind das die 5 klassischen Massenmedien – Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen. Hier werden Inhalte von professionellen Redaktionen gesucht, gesichtet, aufbereitet und versendet. Es gibt aber auch direkte Kommunikationswege. Flugblätter, Flyer, Plakate. Hier können Kommunikatoren die Redaktionen umgehen und sich direkt an ihre Zielgruppen richten. Das ist im Marketing weit verbreitet – sowohl im Bereich der Wirtschaft, als auch in der Politik. Und schließlich haben wir noch die sozialen Netzwerke. Dort kann grundsätzlich jeder zum Sender werden – finanzielle oder technische Hürden gibt es praktisch nicht mehr. Und jeder kann gleichzeitig zum Nutzer werden. Wir sprechen dann von den „Produsern“ – also Personen, die sowohl Botschaften produzieren, als auch Botschaften nutzen. Die gab es in der alten Welt der klassischen Massenmedien nicht. Der Zugang zur Botschaften-Produktion war sehr schwer. Druckmaschinen und Sendeeinrichtungen kosten viel Geld; und dieses Geld muss erst einmal von Verlagen oder Rundfunkanstalten eingenommen werden. Hier interessiert sich die Medienökonomie unter anderem für die wirtschaftliche Basis von Verlagen und von Rundfunkanstalten. Bei Printmedien sind das vor allem die Erlöse aus dem Verkauf von Zeitungen sowie die Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft. Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, etwa dem SWR oder dem ZDF, sind dies vor allem die Rundfunkgebühren. Und bei den privat-kommerziellen Sendern, etwa RTL oder SAT.1, sind dies vor allem die Werbeeinnahmen. Wie sich das alles entwickelt, wie vielfältig die Medienlandschaft ist und welche Herausforderungen das Internet bedeutet – das alles wird von der Medienökonomie als Teildisziplin der Kommunikationswissenschaft untersucht. Und das Medienrecht fragt nach den rechtlichen Grundlagen für das Verhalten von Medienakteuren. Das fängt bei europäischen Richtlinien an, geht über das Grundgesetz und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weiter und umfasst auch die Rundfunkstaatsverträge zwischen Bundesländern. Lassen Sie uns nun nach den Sendern, der Botschaft und dem Kanal zu den Empfängern kommen – also zu den Menschen, an die sich die Botschaften und die Medienangebote richten. Hier interessiert sich die Kommunikationswissenschaft für folgende Frage: Wer nutzt welche Medienangebote – und warum? Das „Lustige Festival der Volksmusik“ wird von anderen Altersgruppen angeschaut als eine Sendung wie „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ oder Spielfilme wie „Kettensägenmassaker 1, 2 und 3“. Zunächst beschreiben wir also, wer was anschaut – dabei helfen Methoden der Marktforschung. Aber dann wollen wir auch die Gründe kennen lernen, warum sich Menschen dieses oder jenes anschauen, warum sie die Frankfurter Allgemeine Zeitung lesen oder die taz oder die BILDZeitung – oder gar nichts. Dabei helfen uns vor allem Ansätze aus der Medienpsychologie. Das heißt, hier geht es um die Überlegungen einzelner Menschen, um ihre Einschätzungen, von welcher Mediennutzung sie welchen Nutzen haben. Das Anschauen von Naturfilmen kann entspannen. Nachrichten stillen das Bedürfnis nach Information. Und ein HorrorKlassiker kann Menschen in einen Erregungszustand versetzen. Das gemeinsame Anschauen von Sendungen schafft ein Gemeinschaftserlebnis – etwa das Public 6 Viewing bei Fußball-Weltmeisterschaften oder das Anschauen des Europäischen Song-Contests im Kreis von Freunden. Um dieses Rezipieren von Botschaften zu untersuchen, gibt es spannende Methoden. Um etwa den Erregungszustand zu erfassen, wird der Hautwiederstand von Menschen während des Fernsehens gemessen. Oder der Puls. Oder die Weitung der Pupillen. Und wenn wir wissen wollen, wohin Menschen schauen, wenn sie Plakate oder Webseiten betrachten, dann setzen wir das sogenannte Eyetracking ein. Das sind Blickverlaufsanalysen. Dafür haben wir beispielsweise an der Universität Hohenheim ziemlich teure Geräte. Die sehen aus wie ein Flachbildschirm, stecken aber voller unsichtbarer Technik. Testpersonen wird auf diesem Bildschirm beispielsweise eine Webseite gezeigt. Im Bildschirm verborgen befinden sich Infrarot-Sender. Das Infrarot-Licht wird von den Pupillen der Testpersonen reflektiert. Kleine Kameras, die ebenfalls im Bildschirm verborgen sind, nehmen das reflektierte Infrarot-Licht auf. Und so können wir Millisekunden-genau feststellen, wer wie lange wo hin geschaut hat. Das liefert spannende Einblicke in Blick-Gewohnheiten. Kommen wir nun noch zu dem letzten Glied in der Lasswell-Formel – zu den Wirkungen. Hier fragen wir nicht platt danach, ob Medien wirken. Das tun sie nämlich. Sondern wir fragen: Welche Botschaften und welche Medien wirken unter welchen Bedingungen auf welche Menschen? Wir untersuchen beispielsweise immer wieder, wie sich Kommunikation in Wahlkämpfen auf die Meinungsbildung der Wählerinnen und Wähler auswirkt – und wie sie sich dann in der Stimmabgabe niederschlägt. Dabei geht es um die Wirkung von Wahlplakaten, von TV-Duellen, von Wahlkampf in Sozialen Netzwerken. Es geht um die Bedeutung von Themen und Kandidaten sowie um die Kommunikationsstrategien der Parteien. Medienwirkungen kann man am übrigens am besten untersuchen, indem man verschiedene Methoden miteinander kombiniert – etwa Inhaltsanalysen mit Befragungen. Sie merken, die Inhalte der Kommunikationswissenschaft sind sehr vielfältig. Das Studium der Kommunikationswissenschaft ist es dementsprechend auch. An vielen Universitäten kann man Kommunikationswissenschaft im Bachelor als eigenes Fach studieren. Meist wird dabei Wissen über alle bislang angesprochenen Themenbereiche vermittelt – Sender, Botschaft, Medium, Empfänger und Wirkung. Das Bachelor-Studium dauert in der Regel sechs Semester. Wer dann will, kann sein Wissen in einem Master-Studium vertiefen. Die meisten Master-Studiengänge spezialisieren sich auf einen Ausschnitt aus der Kommunikationswissenschaft. An der Universität Hohenheim haben wir beispielsweise zwei Master-Studiengänge – einen für „Kommunikationsmanagement“ und einen für „Kommunikationswissenschaft und Medienforschung“. Ein Master-Studium dauert in der Regel vier Semester. Wer dann noch will, kann eine Promotion anschließen. Lassen Sie mich mit dem Bachelor-Studium anfangen, das wir an der Universität Hohenheim anbieten. Grundsätzlich müssen die Studierenden in jedem Semester fünf Lehrveranstaltungen besuchen. In den ersten beiden Semestern dominieren die Einführungsvorlesungen: 7 Einführung in die Kommunikationswissenschaft in die Medienwirkungsforschung in die Journalistik in die Kommunikationspolitik und das Mediensystem in die Online-Kommunikation in die Forschungsmethoden und das wissenschaftliche Arbeiten ins Medienrecht und in die Grundlagen der Werbung. Hier wird die Basis für das weitere Studium gelegt. Hinzu kommen eine Einführung in die Politikwissenschaft und eine Einführung in die Wirtschaftswissenschaften. Diese Interdisziplinarität – also der Blick in angrenzende Fächer – ist uns sehr wichtig. Und dann haben wir noch eine Besonderheit an unserer Uni: Wir führen mit den Studierenden bereits ab dem zweiten Semester praxisorientierte Forschungsprojekte durch. Darin werden Methoden gelernt, vertieft und angewendet. Und dazu gehören Verfahren der Datenauswertung ebenso wie die Statistik. Nichts ist für Studierende spannender, als konkrete Forschungsfragen selbst zu untersuchen. Im letzten Semester wollten Studierende beispielsweise wissen, ob die wahrgenommene Kompetenz von Politikern davon abhängt, ob sie Hochdeutsch oder Schwäbisch sprechen. In einem anderen Projekt haben Studierende untersucht, wie sich Transfergerüchte zur Fußball-Bundesliga in Sozialen Netzwerken verbreiten. Solche Projekte gibt es bei uns viele. Ab dem vierten Semester können die Studierenden dann aus sechs Themenbereichen drei Vertiefungen auswählen, die sie besonders interessieren und in denen sie weiter forschen wollen. Folgende Vertiefungen bieten wir an: Public Relations Markt- und Mediaforschung Politische Kommunikation Soziologie und Sozialpsychologie der Kommunikation Medienpsychologie sowie Online-Kommunikation. Hinzu kommen Vertiefungen entweder in Politik- oder in Wirtschaftswissenschaften. Und im sechsten Semester folgen Schlüsselkompetenzen – etwa Konfliktkommunikation –, ein freies Wahlmodul und natürlich die Bachelorarbeit. Diese Abschlussarbeit umfasst etwa 30 Seiten. Hier können sich die Studierenden mit einem sie besonders interessierenden Thema intensiv auseinandersetzen. Natürlich ist es wichtig und von Vorteil, bereits früh praktische Erfahrungen in den angestrebten Berufsfeldern zu sammeln. Deshalb ist während des Studiums auch ein mindestens achtwöchiges Praktikum Pflicht – gerne auch im Ausland. So oder so ähnlich ist das auch an anderen Universitäten aufgebaut. Wobei wir uns in Hohenheim drei Besonderheiten zu Gute halten: Erstens: Unsere Studierenden haben besonders viele Wahlmöglichkeiten. Zweitens: Wir arbeiten fächerübergreifend. Und drittens: Wir verbinden Theorie, Methoden und Praxis besonders intensiv miteinander. 8 Wenn das Bachelor-Studium dann beendet ist, können sich die Studierenden entscheiden: Sie können gleich in einen Beruf wechseln. Oder sie können ein Master-Studium in Hohenheim oder an einer anderen Uni anschließen. Oder sie können erst einmal ein Praktikum machen und sich später für ein Master-Studium entscheiden. Die Master-Studiengänge sind dann meist vertiefend mit speziellen Schwerpunkten. Unser Master-Studiengang Kommunikationsmanagement hat unter anderem Schwerpunkte in der Unternehmenskommunikation, im Kommunikations-Controlling und in der Unternehmens-Sprache. Auch die Beschäftigung mit der Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekten bildet einen Schwerpunkt. Im letzten Semester haben wir hier in Kleingruppen zahlreiche Bauprojekte untersucht: den Regionalflughafen in Memmingen eine Biogutvergäranlage in Bietigheim eine Skischaukel im Allgäu einen Flutpolder an der Donau ein Bergwerk im Schwarzwald und den Bau der Justizvollzugsanstalt in Rottweil. Die Studierenden untersuchen jeweils die Konflikte vor Ort. Und sie schauen, welche Rolle Kommunikation bei der Konfliktlösung spielen kann. Dazu untersuchen sie die Medienberichterstattung. Sie führen leitfadengestützte Interviews mit Akteuren vor Ort, sie analysieren Homepages und Facebook-Einträge. Und am Ende werden die Ergebnisse ausführlich präsentiert – demnächst sogar auf einer Tagung. Das Master-Studium endet mit einer Master-Arbeit. Die ist dann zirka 90 Seiten lang. Dafür haben die Studierenden ein halbes Jahr Zeit. Und am Ende des Studiums gibt es dann hoffentlich glückliche Gesichter und eine Master-Urkunde mit einer hervorragenden Note. Danach gibt es dann ganz viele Wege. Einer davon führt in die Wissenschaft. Das geht nur mit einer Promotion. Das Schreiben einer Doktorarbeit dauert – je nach Umständen – drei bis fünf Jahre. Die meisten Studierenden wählen aber einen anderen Weg und gehen in einen Beruf. Dabei ist eines wichtig: Das Studium der Kommunikationswissenschaft mündet nicht automatisch in einen ganz bestimmten Beruf. Sondern mit dem Studium stehen den Absolventinnen und Absolventen sehr viele Möglichkeiten offen. Schon das Bachelor-Studium der Kommunikationswissenschaft bereitet auf berufliche Tätigkeiten in den Medien vor – sowie auf berufliche Tätigkeiten, die die Zusammenarbeit mit den Medien erfordern. Mögliche Berufsfelder sind unter anderem: die Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaftsunternehmen, Parteien, Verbänden und Behörden der Journalismus die Werbung die Markt-, Medien- und Meinungsforschung sowie 9 das Kommunikationsmanagement. Was muss man nun alles mitbringen, wenn man Kommunikationswissenschaft studieren will? Was sollte man unbedingt schon können, welche Talente müssen da sein? Mit diesen Fragen möchte ich mich zum Schluss der heutigen Sendung beschäftigen. Die wichtigsten Voraussetzungen sind: Interesse und Neugier. Wenn man meint, schon alles zu wissen, sollte man nicht studieren. Wir brauchen keine Super-Nerds, sondern junge Menschen, die etwas wissen wollen, die forschen wollen, die immer wieder nach neuen Fragen suchen. Denn genau darum geht es in jedem Studium. Es gibt eine schöne Erzählung eines Studenten von der Elite-Universität Harvard. Er sagte: „Als ich nach Harvard kam, hatte ich viele Fragen. Als ich Harvard als Absolvent verlassen habe, hatte ich noch mehr Fragen – aber auf einem viel höheren Niveau.“ Das beschreibt es sehr schön. Wir produzieren an der Universität kein endgültiges Wissen. Sondern wir lernen, lebenslang zu lernen. Denn je mehr man weiß, desto mehr neue Fragen tun sich auf. Darauf muss man Lust haben, sonst frustriert das Studium. Das ist aber noch nicht alles. So trivial es klingt: Erstens: Man sollte gerne lesen. Zweitens: Man sollte sich für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft interessieren. Drittens: Man sollte Interesse an Menschen haben. Dazu gehört auch, in Gruppen an Lösungen zu arbeiten. Zwar gibt es auch Phasen, in denen man in seinem stillen Kämmerlein vor sich hin grübelt, liest und Gedanken wachsen lässt. Aber Forschung ist zu einem ganz wesentlichen Teil Team-Arbeit. Sich mit anderen abstimmen, Aufgaben aufteilen, verlässlich sein – das alles gehört dazu. Was gehört noch dazu? Eine gute Abi-Note. Wir lassen in Hohenheim zu jedem Wintersemester einhundert neue Bachelor-Studierende zu. Auf diese einhundert Plätze haben sich in den letzten Jahren stets etwa 1.900 Menschen beworben. Die Zulassung zum Studium erfolgt nach einem klaren Verfahren: Den Großteil macht die Abitur-Note aus. Eine Eins sollte da schon vor dem Komma stehen. Und dann kommen noch praktische Erfahrungen dazu – etwa ein Praktikum bei einer Zeitung oder im Kommunikationsbereich eines Unternehmens. Das alles wird verrechnet. Hat man viele Praktika, so kann man damit auch eine nicht ganz so brillante Abitur-Note ausgleichen. Wenn dann aber ein Studienplatz ergattert wurde, ist Eines sicher: eine phantastische Zeit mit dem großen Privileg, sich permanent mit relevanten und aktuellen Themen beschäftigen zu dürfen. Der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat einmal festgestellt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Recht hat er. Alles hängt mit Kommunikation zusammen. Sie zu verstehen, erklären zu können und die Erkenntnisse anzuwenden – das ist die große Faszination unseres Faches. Für mich persönlich gibt es kein spannenderes 10 Fach. Und ich habe meine Entscheidung, meine Leidenschaft für Kommunikation zum Beruf zu machen, keinen einzigen Tag bereut. Ich danke Ihnen für das Zuhören. ***** Prof. Dr. Frank Brettschneider ist seit April 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekte, die Verständlichkeitsforschung, die Politische Kommunikation (insbesondere Wahlforschung) und das Kommunikationsmanagement. Besonderen Wert legt er auf die Verbindung von Theorie und Praxis. 11
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