Partizipieren, moderieren, demontieren.

Partizipieren, moderieren, demontieren. Über den ehrlichen Umgang mit den Rechten behinderter Menschen im Zuge des Kärntner Landesetappenplans. 1
Text: Hans Steiner Ich erinnere mich noch gut an den 2. Dezember 2013, als in der Großveranstaltung der Landesenquete zur Präsentation der Erstellung des LEP Landesetappenplans zur Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention von der Behindertenanwältin eine ehrliche IST Analyse2 in allen Bereichen gefordert wurde. Weiter wurde versprochen: „Ab dem Jahr 2015 soll dann ein Masterplan mit Prioritätenreihung und konkreten verbindlichen Zeitplänen für die Umsetzungs‐
phasen der einzelnen erforderlichen Maßnahmen erstellt werden. …"3. Auch der Gedanke der Partizipation kam nicht zu kurz: „Der Aktionsplan wird auf einer breiten Basis aufgestellt sein und von Anfang an unter dem Motto stehen: NOTHING ABOUT US WITHOUT US“4 Heute, zweieinhalb Jahre später, sind nicht nur die letzten Übergangsfristen aus dem Bundes‐
Behindertengleichstellungsgesetz längst abgelaufen, auf der Homepage der Landesregierung findet sich zum Bearbeitungsstand des LEP5 seit einem Jahr kein Eintrag mehr. Auch kein brauchbares Ergebnis ist in Sicht. Aus einem Dokument mit Stand 17.1.2016 des LEP‐Arbeitsgruppenleiters ist das Ausmaß des Scheiterns zu erahnen. 5 Arbeitsgruppensitzungen „Barrierefreiheit“ und eine Sitzung zur „barrierefreien Information“ im – übrigens nicht umfassend barrierefreien – Gemeindeservicezentrum brachten im Bereich der baulichen Barrierefreiheit im öffentlichen Altbestand nur folgende dürftige Maßnahmenvorschläge zu Tage: Den baulichen Istbestand in Einzelfallanalysen auf Landes‐, Städte‐ und Gemeindeebene 1
Prof. DI Dr. Hans Steiner ist Baumeister und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für barrierefreies Bauen. Seit über 20 Jahren berät er Landes‐ und Bundesstellen sowie Organisationen zu diesem Thema. 2
http://www.behindertenanwaltschaft.ktn.gv.at/images/pdfs/Landesenquete_dez_2013/Praesentation_LHStv.i
n_Prettner.pdf (Abfrage 16.5.2016) 3
http://www.behindertenanwaltschaft.ktn.gv.at/index.php?option=com_content&view=article&id=69:landesen
quete‐vom‐2‐dezember‐2013&catid=26:veranstaltungen&Itemid=15 (Abfrage 16.5.2016) 4
http://www.behindertenanwaltschaft.ktn.gv.at/images/pdfs/Landesenquete_dez_2013/Praesentation_Der_Ka
erntner_Aktionsplan.pdf 5
https://www.ktn.gv.at/42109_DE‐ktn.gv.at‐THEMEN.?detail=514 (Abfrage 16.5.2016) erheben, dazu einen „Zeitplan“6 für bauliche bzw. organisatorische Maßnahmen erstellen und diese durchführen. Bemerkt wird weiter, dass die Höhe der notwendigen Investitionen zur Schaffung der baulichen Barrierefreiheit erst nach Abschluss der Einzelfallanalysen ermittelt werden können7. Die vorgeschlagenen Maßnahmen der LEP Arbeitsgruppe sind nicht nur fehleranfällig und trivial, sondern fachlich so auch nicht notwendig. Man hätte den Investitionsbedarf auf Basis weniger Gebäudedaten und ‐arten schon lange abschätzen können, ohne auf teure und zeitintensive Einzelerhebungen zu warten8. Die im LEP vorgeschlagene Vorgangsweise ist darüber hinaus weder zweckmäßig, sparsam noch wirtschaftlich, nicht konkret und nicht verbindlich. Den angepeilten Stand der Technik der umfassenden Barrierefreiheit auf gemeindeeigene Hochbauten anzuwenden, würde Baumaßnahmen in der Dimension von ca. € 350,000.000,‐‐9 netto auslösen. Ob dies zweckmäßig, sparsam und wirtschaftlich wäre, kann weder mit Hilfe der Bautechnik noch durch die Einbindung von Interessensverbänden von Menschen mit Behinderungen rechtsicher gelöst werden. Dazu bedarf es einer ehrlichen Maßnahme, die landesweit klarstellt, was das Funktionieren in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe im öffentlichen Altbestand bedeutet und dies terminlich festlegt. Der Entwurf einer solchen Verordnung müsste im Landesetappenplan enthalten sein, damit dieser den Gemeinden hilft. Das wäre konkret und verbindlich – und in einem Bearbeitungszeitraum von 2,5 Jahren zu erwarten gewesen. Hat der zögerliche Umgang mit Rechten von Menschen mit Behinderung System? Immer neue Fristen, die man rauschieben kann? 2016 (Bund 2019) alles barrierefrei? LEP Erstreckung bis 2020 (oder am Ende 2099)? Die Umsetzung abhängig von den budgetären Möglichkeiten Kärntens…? War das das Ergebnis der ressourcenintensiven Sitzungen? In endlosen Gesprächen an immer runderen Tischen das Unbehagen der Beteiligten wegzumoderieren und zu entsorgen10? Partizipation als Beschäftigungstherapie, das „Dabei‐sein‐lassen“ als Legitimation für das unausweichliche „Wir werden uns das nicht leisten können“? Konkret zur umfassenden baulichen Barrierefreiheit im öffentlichen Kärnten: „Wo das nicht umsetzbar ist, sind alternative organisatorische Maßnahmen vorzusehen“ steht jetzt schon als simple „Demontageanleitung“ – also vielleicht gar nicht bauen müssen – in der Leitlinie des Landes. Ist das ehrlich? Ist das so gewollt? 2016‐05‐17 6
Eigentlich Terminplan, weil Zeit kann man nicht planen Dadurch können im Umgang mit Systemen schwere Fehler auftreten: falsche Zielbeschreibung, unvernetzte Situationsanalyse, irreversible Schwerpunktbildung und unbeachtete Nebenwirkungen. D. Dörner in F. Vester zit. n. Hans Steiner/ Renate Jernej, Strategie für den Blick auf das Ganze, 2014, 23 Anm. 5 8
S. Artikel: Teil 1: Erheben, priorisieren diskriminieren (Dez. 2015); Teil 2: Utopie, Wunschdenken und Wirklichkeit (März 2016); Teil 3: Wollen und kaum können, (April 2016), veröffentlicht auf www.stp.at ‐
Medienservice 9
Entwickelt aus einem konkreten Rechenmodell, mit dem bisher 650 Standorte barrierefrei gemacht werden konnten. Berücksichtigt man die Städte, dazu die Landesliegenschaften und den Tiefbau, deutet das Modell auf € 1 Mrd. netto. 10
Vgl. Hans‐Christian Dany , ISBN 978‐3‐89401‐784‐2, 2014 7