Wollen und kaum können.

Wollen und kaum können. Grundüberlegungen zu Maßnahmenplänen, um Barrierefreiheit in Kärntens Gemeinden zu erreichen. Text: Hans Steiner1 Im dritten Teil2 der fachlichen Auseinandersetzung geht es um die Suche nach einem Ausweg für Gemeinden zur Umsetzung der Barrierefreiheit. Auf Defizite in den rechtlichen Grundlagen und auf die enttäuschende Erarbeitung eines „Kärntner Landesetappenplanes“ zur Umsetzung der UN‐
Behindertenrechtskonvention soll hier nicht weiter eingegangen werden. Zu einfach wäre es, sich auf diese unzureichenden oder nicht vorhandenen, aber notwendigen Grundlagen auszureden. Es gibt Kommunen, die Barrierefreiheit einfach wollen und an den finanziellen Möglichkeiten scheitern. Wie kommt das zu Stande? Generalsanierungsbeschluss? Sachverständige für Barrierefreiheit werden beauftragt, um den Liegenschaftsbestand in Gemeinden zu untersuchen. Bezieht man sich auf Objekte, bleibt übrig so zu tun, als ob ein gültiger Generalsanierungsbeschluss schon vorläge, um die geltenden Bauvorschriften in Verbindung mit zumindest den verbindlichen Normen anzuwenden. Schon ist man auf einer technischen Schiene, die mit den Mitteln der Bauprojektentwicklung (vor allem der Kostenplanung) rasch zu einem Ergebnis führen kann, das zwar als sachlich richtig, aber als finanziell unrealistisch bewertet wird. Kein Gremium wird ohne rechtliche Absicherung/Vorgabe mittels Generalsanierungsbeschluss die frei verfügbaren Mittel der nächsten Jahrzehnte an die bauliche Barrierefreiheit binden. Die dafür notwendige Milliarde für Städte und Gemeinden ist in Kärnten anders gewidmet. Dennoch ist man sich des Diskriminierungsverbotes von Menschen mit Behinderungen bewusst. Eine verantwortungs‐
volle Vorgangsweise bedeutet vielschichtige Überlegungen. Zuerst wird klar, dass es sich um kein Randthema handelt, sondern die Gemeinden als Ganzes betrifft in einer Perspektive der baulichen Generalsanierungszyklen von 30 bis 40 Jahren. Dort, wo eine Generalsanierung ansteht, ist die Barrierefreiheit baulich einfach und „sowieso“ zu lösen. Aber was macht man zum Beispiel bei den vielen bezüglich ihrer Auslastung wackeligen Schulstandorten? Wird Barrierefreiheit zum Auslöser für eine politische Standortdiskussion? Werden die Rechte von 1
Prof. DI Dr. Hans Steiner ist Baumeister und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für barrierefreies Bauen. Seit über 20 Jahren berät er Landes‐ und Bundesstellen sowie Organisationen zu diesem Thema. 2
Teil 1: Erheben, priorisieren diskriminieren (Dez.2015); Teil 2: Utopie, Wunschdenken und Wirklichkeit (März 2016); veröffentlicht auf www.stp.at Menschen mit Behinderung als Grund für Schließungen verwendet und dadurch zum Feindbild? Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Weil nicht näher bestimmt, müssen Schulen in einer Gemeinde grundsätzlich barrierefrei funktionieren – und zwar alle, so wie die Kindergärten, die Veranstaltungsräumlichkeiten und Amtsgebäude. Blick auf das Ganze Am Blick auf den gesamten Liegenschaftsbestand der Gemeinde unter Berücksichtigung der Kostenkennwerte des Facility Management führt kein Weg vorbei. Welcher tatsächliche Bedarf und welche Nutzungsarten werden in der Zukunft gesehen? Welche Objekte sind eigentlich obsolet? Welche organisatorischen Optimierungen wären sinnvoll? Das sind langfristige (strategisch‐
wirtschaftliche) Überlegungen, die getroffen werden müssen und Fragen nach der Rechtssicherheit aufwerfen. Die einzelne Gemeinde kann das für sich nicht alleine lösen. Dieses Gemeinde‐Entwicklungskonzept braucht Leitplanken des Landes, die festlegen, was man unter der allgemein üblichen Nutzbarkeit für kommunale Dienstleistungen versteht, wie weit Erschwernisse hinzunehmen sind und geleistete Hilfe im Rahmen der organisatorischen Barrierefreiheit zulässig sein soll. Diese Forderung nach qualifi‐
zierten Grundlagen ist natürlich naiv – wenn man bisherige Anstrengungen und Ergebnisse der letzten Jahre betrachtet. Warum gibt der Landesetappenplan hier keine Auskunft? Weil es ihn noch immer nicht gibt? Weil seit einem Jahr nicht einmal mehr Quartalsberichte veröffentlicht werden? Gemeinden müssen diese Festlegungen aber als Grundlage zur Herstellung der Rechtssicherheit fordern! Pragmatischer Plan? Und bis dahin? Wieder 10 Jahre so tun als ob – wie beim Bundesbehindertengleichstellungsgesetz? Viele Gemeinden wollen das nicht! Daher ein Versuch, einen pragmatischen Weg unter Anwendung folgender modellhafter Festlegungen vorzuschlagen: Barriere bedeutet, dass eine Benutzung auch unter Zuhilfenahme organisatorischer/technischer Maßnahmen unmöglich ist. Erschwernis bedeutet, dass in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit organisatorische/technische Vorkehrungen getroffen wurden, die in Hilfestellung für die grundsätzliche Benutzbarkeit münden. Grundsätzlich selbständig benutzbar bedeutet, dass unter Anwendung eventueller Rechtsvorschriften/des Standes der Technik eine übliche Ausführung vorhanden ist. Barrierefreiheit bezieht sich hier auf die Auslegung der Begriffsdefinition im § 6 (5) BGStG. Maßnahmenplan für Gemeinden 1. Schritt: Der oben beschriebene Blick auf das Ganze bringt, zumindest als Arbeitshypothese für die Gemeinde. auf Grundlage eines gewünschten/notwendigen Nutzungskonzeptes die Gesamtstrategie zu Tage. 2. Schritt: Gefahrenstellen beseitigen: Erstaunlich, wie schnell sich die Situation maßgeblich verbessert, wenn man die Fluchtwegsituationen bedenkt, das Rutschen und Stolpern verhindert, Vorkehrungen gegen Absturz und Aufprall auch aus der Perspektive sinnesbehinderter Menschen trifft. Wir bewegen uns erst im Bereich des Schadenersatzes und der Haftpflicht – also im Bereich der immer strenger werdenden Sicherungspflichten der Liegenschaftseigentümer. 3.Schritt: Barrierefreie PKW Stellplätze verordnen und ein Ankommen ermöglichen. Das ist einfach und kostet nicht viel. 4. Schritt: Barrierefreie Zu‐ und Eingänge noch längerfristig genutzter, öffentlich zugänglicher Gebäude herstellen. 5. Schritt: Zumindest sofort die Grundfunktionen sicherstellen. Besprechungen, Sitzungen, Veranstaltungen müssen möglich und die angebotenen Dienstleistungen konsumierbar gemacht werden – organisatorisch, technisch oder baulich. 6. Schritt: Die weitergehenden Barrieren durch organisatorische, technische bzw. bauliche Maßnahmen beseitigen unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. 7. Schritt: Weitergehende identifizierte Erschwernisse abbauen bzw. reduzieren 8. Schritt: Kontinuierliche Verbesserungen durchführen: Die Barrierefreiheit jährlich einer Selbstevaluation unterziehen und daraus sich ergebende Verbesserungsmaßnahmen entwickeln und durchführen (Erfahrungen im Umgang mit Personen, Gefahrenpotentiale). Dadurch lässt sich sicherstellen, laufend den tatsächlichen Anforderungen der barrierefreien Funktion gerecht zu werden. Die Punkte 1 – 5 können als Mindestanforderung gesehen werden. Sie entsprechen sowohl den Ideen des Art. 15a B‐VG über die Harmonisierung bautechnischer Vorschriften und lassen zumindest basal eine Anwendung des BGStG zu, wobei die zulässigen Abstufungen der Nutzung in der allgemein üblichen Weise, der Grad der hinzunehmenden Erschwernis und das Ausmaß der fremden Hilfe dadurch noch nicht befriedigend abgebildet sind. Dadurch wird erst grundsätzlich eine Möglichkeit eröffnet, die Leistungen einer Gemeinde überhaupt in Anspruch zu nehmen – in der Regel durch überschießende organisatorische Maßnahmen. Die Beseitigung der Barrieren und Erschwernisse im Sinne der Punkte 6 und 7 und die laufenden maßgeblichen Verbesserungen nach Punkt 8 bringen erst eine Annäherung zu den Forderungen des § 6 (5) des BGStG (Bundesbehindertengleich‐
stellungsgesetz), nach dem gilt: Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Die dargelegten Variablen „allgemein übliche Weise“, „besondere Erschwernis“, „ohne fremde Hilfe“ müssen im Ausgleich zwischen Wünschen und Möglichkeiten so eingestellt werden, dass unter Einhaltung des Diskriminierungsverbotes zweckmäßige, wirtschaftliche und sparsame Lösungen entstehen können, die grundsätzlich selbständig benutzbar sind – wahrlich ein gesamtgesellschaftliches Projekt3, auch aus kybernetischer Sicht. 2016‐04‐21 3
Vgl. auch: Steiner/Jernej, Strategie für den Blick auf das Ganze, Steiner & Partner Schriften 1 (Klagenfurt am Wörthersee 2014).