Schattenblick Druckausgabe

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MA-Verlag
MUSIK / REPORT
Hip-Hop Straßenklassenfest in der Sprache der Leute ...
Derbst im Gespräch
... und im Sound der Straße
Klassenfest gegen Staat und Kapital
am 30. April 2016 in Hamburg
Elektronische Zeitung Schattenblick
Donnerstag, 19. Mai 2016
Ende Gelände - wo gehobelt wird ...
Ende Gelände 2016 ­ Kohle stoppen, Klima schützen!
Eine Nachlese zu den von Ende Gelände zwischen dem 13. und 16. Mai 2016
angekündigten Aktionen zivilen Ungehorsams im Braunkohlerevier Lausitz
und ihren Folgen für andere ...
(SB) ­ Auf dem Hamburger Klassen-
fest war der Rapper Derbst in seinem
Element, steht doch die streitbare
Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen und ihre
Überwindung zur Aufhebung aller
Klassengegensätze im Mittelpunkt
seines persönlichen wie künstlerischen Anliegens. Ob solo oder zusammen mit S. Castro - die politische
Position ist klar und entschieden,
und das a capella für die im nordsyrischen Rojava im Kampf gegen den
IS gefallene Internationalistin Ivana
Hoffmann zeigt, daß Hip-Hop ohne
große Mittel Menschen bewegen
kann, wenn nur die Botschaft
stimmt. Nach seinem Auftritt beantwortete Derbst dem Schattenblick
einige Fragen ... (Seite 7)
KOOPERATION
S. 4 POLITIK - AUSLAND:
Honduras - Mutmaßliche Verwicklungen von Militärs und Politikern in den
Mordfall Berta Cáceres
(poonal)
S. 6 EUROPOOL - BÜRGER:
Besetzung des Athener City Plaza
Hotel - Wird die Solidarität siegen?
(Pressenza)
klärten Ziele von Ende Gelände,
wurde somit auf ganzer Linie erreicht. Die Presse im In- und Ausland
berichtete über die Anti-Kohle-Aktionen im Zeichen des globalen Kli(SB) ­ Das Bündnis Ende Gelände maschutzes.
hat es in die Hauptnachrichten der
ARD-Tagesschau gebracht. Am Das Tagesschaupublikum erfuhr alSonntagabend um 20.00 Uhr erfuh- lerdings nicht, daß seit Ende März
ren Millionen Zuschauerinnen und dieses Jahres ein Waldstück im RoZuschauer von spektakulären Aktio- dungsgebiet des zur Zeit noch von
nen wie der Blockade des Kohlen- Vattenfall Europe Mining betriebeachschubs für das Lausitzer Kraft- nen Oberlausitzer Tagebaus Nochten
werk Schwarze Pumpe sowie dessen im Bundesland Sachsen besetzt worErstürmung durch mehrere hundert den war. Ähnlich wie seit einigen
Personen und daß es dabei zu Hand- Jahren im Hambacher Forst des rheigreiflichkeiten mit den Sicherheits- nischen Braunkohlereviers Waldbekräften gekommen war. Medienauf- setzerinnen und -besetzer mit Leib
merksamkeit gewinnen, eines der er- und Leben zu verhindern versuchen,
Landgrabbing ­ gilt es zu verhindern
Foto: Frank Vincentz,
freigegeben als gemeinfrei via Wiki­
media Commons
Elektronische Zeitung Schattenblick
daß der uralte Waldbestand dort
mehr und mehr für den Tagebau
Hambach gerodet wird, haben einige Menschen beschlossen, in der
Lausitz den Aufschluß des Tagebaus
Nochten II durch ihre Besetzung zu
stoppen. Vom 18. bis zum 25. Mai
hatte die Initiative namens LAUtonomia zu einer "Waldwoche" eingeladen. Die angekündigten Workshop- und Diskussionsthemen sollten sich rund um Braunkohle, Tierausbeutung und Militarismus drehen. Wie der Website von LAUtonomia zu entnehmen ist, wurde die
Waldbesetzung am heutigen Mittwoch von der Polizei geräumt. Für
den Abend (nach Redaktionsschluß)
sind Solidaritätskundgebungen unter
anderem in Berlin und Göttingen angekündigt. [1]
Mit der im Tagebau Nochten geförderten Braunkohle wird das Kraftwerk Boxberg befeuert und die Brikettfabrik Schwarze Pumpe beliefert.
Da Vattenfall seine deutsche Braunkohlesparte nach Tschechien verkauft und nur noch die schwedische
Regierung dem Geschäft ihre Zustimmung geben muß - womit allerdings zu rechnen ist -, wurde die
Umsiedlung aus dem "Nochten II"
genannten Tagebaugebiet vorläufig
ausgesetzt. Welche Pläne die tschechischen Investoren EPH und PPF
haben, ist nicht bekannt. Mit einem
Weiterbetrieb der Tagebaue in der
Lausitz durch den neuen Investor
und also auch mit der Devastierung
von Dorf und Landschaft muß gerechnet werden.
Ende Gelände, das 6. Lausitzer Klima- und Energiecamp und alle übrigen der rund 3500 bis 5000 an den
verschiedenen Aktionen am Pfingstwochenende in der Lausitz Beteiligten wollen den Verkauf verhindern
und erreichen, daß Vattenfall die
Braunkohleförderung stoppt, die Betriebe sozialverträglich abwickelt
und die riesigen Löcher in der Landschaft und Absetzflächen der abgebaggerten Sande saniert. Würde EPH
die Braunkohlesparte übernehmen,
Seite 2
so wäre nicht nur ein Personalabbau
zu erwarten, sondern auch, daß der
Investor versucht, beispielsweise bei
den hohen Rekultivierungskosten zu
sparen. Warum sonst sollte im Rahmen einer kapitalistischen, profitorientierten Wirtschaftsordnung ein
Unternehmen wie EPH die verlustträchtige Braunkohlesparte von Vattenfall übernehmen, wenn es sich
nicht Vorteile davon verspräche, die
der Verkäufer anscheinend nicht in
der Lage ist, selber zu realisieren?
Auf dem Weg zum Einsatz ...
Foto: © 350.org / Paul Lovis Wag­
ner, freigegeben als CC BY 2.0
[https://creativecommons.org/licen­
ses/by/2.0/] via Flickr
Mit Ende Gelände und LAUtonomia haben sich zwei höchst verschiedene Initiativen dem gleichen
Ziel verschrieben. Erstere war generalstabsmäßig organisiert. Über
Funk miteinander verbundene
Führungspersonen lenkten die als
"Finger" bezeichneten Protestmärsche mit ihren uniform in weiße
Überziehoveralls gekleideten Protestierenden, die strammen Schritts
mal in geordnet wirkender Formation - mitunter unterstützt von der
rhythmischen Schlagfolge einer
Gruppe Trommlerinnen und
Trommler -, mal als ungeordnete
Gruppe zu ihren jeweiligen Einsatzorten eilten, ständig im Visier
www.schattenblick.de
von Foto- und Filmkameras der
Presse sowie der freien und hauseigenen Fotografen, die allesamt
beeindruckendes Bildmaterial produzierten. Selbst die Fotos des
Handgemenges auf dem Gelände
des Kraftwerks Schwarze Pumpe
mit den martialischen, ganz in
schwarz gekleideten Polizisten
und den weißen, Reinheit symbolisierenden Protestierenden hätten
kaum kontrastreicher inszeniert
werden können.
Gegen diese Form der Professionalisierung des Protestes spricht im
Prinzip nichts, denn gegenüber dem,
was die andere Seite an Wirkmächtigkeit aufbietet, sind die Aktionen
von Ende Gelände nicht mehr (aber
eben auch nicht weniger) als symbolisch. Längst wird im Tagebau Welzow Süd wieder Braunkohle gefördert, geht der Betrieb in der Schwarzen Pumpe weiter, werden große
Mengen klimawirksame Kohlenstoffdioxide, Schwermetalle und Dioxine in die Erdatmosphäre emittiert.
Selbst Persönlichkeiten, die mit beiden Beinen fest in etablierten gesellschaftlichen Strukturen stehen, wie
beispielsweise Ernst Ulrich von
Weizsäcker (Ex-Bundestagsabgeordneter und Co-Präsident des Club
of Rome) und Hans Joachim
Schellnhuber (Direktor des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung)
sprachen sich im Gespräch mit dem
Do, 19. Mai 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Schattenblick gegen die Braunkohle und für das Engagement junger Menschen gegen diesen Energieträger aus. [2]
Zwei Beispiele, die deutlich machen, daß es in der Bundesrepublik
Deutschland inzwischen keine Außenseiteransicht mehr ist, die Verstromung von Braunkohle abzulehnen und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams, sofern sie sich
nicht gegen Menschen und Dinge
richten, für angemessen anzusehen
in Anbetracht der Schadensentwicklung eines davongaloppierenden
Klimawandels mit all seinen Begleitfolgen wie Versauerung der
Meere, Gletscherschwund, Zunahme an Extremwetterereignissen, Artensterben, Bodenverlust, Meeresspiegelanstieg, etc.
Ende Gelände naht
Foto: © 350.org / Ruben Neuge­
bauer, freigegeben als CC BY 2.0
[https://creativecommons.org/li­
censes/by/2.0/] via Flickr
Nachdem Ende Gelände bereits im
Sommer 2015 nicht weniger medienwirksam als in diesem Jahr in
der Lausitz den Tagebau Garzweiler im rheinischen Braunkohlerevier besetzt hat, sind die weißen
Überziehanzüge und die blaue
Schrift fast zu einer Marke geworden, und Gruppen aus dem AusDo, 19. Mai 2016
land schauen sich inzwischen die
Aktionen ab. Soviel Erfolg birgt
die Gefahr, seine Wurzeln zu verlieren. Es könnte, müßte aber nicht
dazu kommen, daß Ende Gelände
eines Tages Markenbewußtsein
entwickelt und "seine" Marke zu
schützen versucht, indem es sich
gegenüber anderen Initiativen ähnlicher oder gleicher Zielsetzung
abgrenzt. Selbst die Waldbesetzerinnen und -besetzer im Hambacher Forst werden als Teil des
Bündnisses verstanden, und Hannah Eichberger, Pressesprecherin
von Ende Gelände, sagte auf die
Frage des Schattenblick, wie das
Bündnis zu der kürzlich begangenen Sabotage am Tagebau Hambach stehe, daß sich alle am
Pfingstwochenende Beteiligten auf
einen Aktionskonsens geeinigt hät-
aussetzen, den Aktionskonsens gar
nicht ernstzunehmen. Warum aber
Ende Gelände, das sich als ein
breites Bündnis versteht, auf seiner
Website keinen Hinweis auf die
Waldbesetzung in der Lausitz bietet, wirft Fragen auf. Man findet
auf der rechten Seite durchaus ein
Banner mit einem Link zur globalen Initiative "Break Free 2016",
dem sich Ende Gelände zugehörig
fühlt, nicht aber zur lokalen Initiative LAUtonomia.
Vielleicht ist es ja Zufall oder ein
bloßes Versäumnis, daß Ende Gelände keinen Kontakt zu LAUtonomia unterhält. Das wäre allerdings verwunderlich, denn die Aktionen über Pfingsten waren hervorragend organisiert. Vom Dixieklo bis zur Suppenküche - es wurde für alles gesorgt. Von einer Organisationslücke an dieser Stelle
ist eigentlich nicht auszugehen.
"Ordentliche Nachbesprechungen
der Aktion (...) sind ein wichtiger
Teil des Prozesses", heißt es auf
der Website von Ende Gelände,
und "wir müssen unsere Solidarität auch außerhalb der Grube zeigen". [3]
ten und keine Gewalt gegen Menschen und Sachen verübt werden,
aber daß man anerkenne, daß es
andere Formen des Widerstands
gibt, die Ende Gelände für seine
politischen Ziele nicht nutze.
Nun denn: 21 Aktivistinnen und
Aktivisten der Lausitzer Waldbesetzung wurden auf die Polizeiwache Weisswasser gebracht, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Ihnen werden Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und
Umweltstraftaten vorgeworfen.
Als Haftprüfungsgrund sei "gefährlicher Eingriff in den Strassenverkehr" angegeben worden, welcher im Rahmen der Aktionen von
Ende Gelände begangen worden
sei.
Eine völlige Distanzierung würde
anders aussehen, und mehr kann
und darf eine Pressesprecherin in
der Öffentlichkeit im Vorfeld angekündigter, nicht legaler, aber als
legitim verstandener Aktionen des
zivilen Ungehorsams nicht sagen,
will sie sich nicht dem Vorwurf
Sollten sich die Angaben zur Räumung, die ausschließlich von
LAUtonomia selbst stammen, bestätigen, dann, so hat es den Anschein, müssen die Waldbesetzerinnen und -besetzer den Kopf für
etwas hinhalten, an dem viele andere ebenso beteiligt waren.
www.schattenblick.de
Seite 3
Elektronische Zeitung Schattenblick
Anmerkungen:
[1] http://lautonomia.blogsport.eu/
[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0122.html
und http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html
[3] https://www.ende-gelaende.org/de/aktion/nach-der-grube/
Bisher zu den Aktionen von Ende
Gelände und dem 6. Lausitzer
Klima­ und Energiecamp im
Schattenblick unter INFOPOOL →
REPORT erschienen:
Weiß trifft auf Schwarz beim Kraftwerk Schwarze Pumpe
INTERVIEW/219: Ende Gelände Foto: © 350.org / Paul Lovis Wagner, freigegeben als CC BY 2.0
konzertiert marschiert ... Hannah
[https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr
Eichberger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/um- INTERVIEW/222: Ende Gelände - Profit ... Annika Hagberg im Gewelt/report/umri0219.html
funktionsambivalent ... Georg Kös- spräch (SB)
sler im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umINTERVIEW/220: Ende Gelände - http://schattenblick.de/infopool/um- welt/report/umri0223.html
Wendehände ... Marvin Kracheel im welt/report/umri0222.html
Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/
http://schattenblick.de/infopool/um- INTERVIEW/223: Ende Gelände infopool/umwelt/report/
welt/report/umri0220.html
Staats- und Wirtschaftspräferenz
umrb0117.html
POLITIK / AUSLAND / LATEINAMERIKA
poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Honduras
Mutmaßliche Verwicklungen von Militärs und Politiker*innen in den Mordfall Berta Cáceres
von Jutta Blume
(Berlin, 16. Mai 2016, npl) ­ Fast ge-
nau zwei Monate nach dem Mord an
der bekannten Menschenrechtsaktivistin Berta Cáceres wurden am 2.
Mai vier Tatverdächtige verhaftet,
kurz darauf ein weiterer. Drei der
Männer sind oder waren Militärangehörige, einer ist Angestellter des
Unternehmens Desarrollos Energéticos S.A. (DESA). Mitglieder des Zivilen Rats der Basis- und indigenen
Seite 4
Organisationen von Honduras (COPINH), deren Koordinatorin Cáceres
war, glauben, dass es sich bei den
Festgenommenen allenfalls um die
materiellen Täter, nicht aber um die
Auftraggeber*innen des Mordes
handelt.
carque, der für die indigenen Lenca
heilig ist. Im Zuge des Protestes
wurden Aktivist*innen des COPINH
vielfach bedroht, eingeschüchtert
und körperlich angegriffen. Berta
Cáceres selbst hatte 33 Angriffe auf
ihre Person angezeigt. Auf die nun
erfolgten Verhaftungen wegen des
Berta Cáceres kämpfte gemeinsam Mordes an Berta Cáceres reagierten
mit COPINH gegen das Wasserkraft- ihre Familie sowie der COPINH mit
projekt Agua Zarca am Fluss Gual- Misstrauen gegenüber den Ermittwww.schattenblick.de
Do, 19. Mai 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
lungsbehörden: "Da wir von Anfang
an aus dem Ermittlungsprozess ausgeschlossen wurden, können wir
nicht beurteilen, ob die erfolgten
Verhaftungen das Ergebnis gründlicher Sorgfalt sind. Genauso wenig
wissen wir, ob sie die intellektuellen
Täter auf allen Ebenen einschließen", heißt es in einer ersten Stellungnahme.
Die mutmaßliche Beteiligung Militärangehöriger verweise darauf, dass
staatliche Akteure in den Mord verwickelt seien. Das Wasserkraftprojekt Agua Zarca müsse daher unverzüglich gestoppt werden. Das Misstrauen von Cáceres' Familie erklärt
sich aus der Geheimhaltung durch
die Staatsanwaltschaft selbst gegenüber den Angehörigen. Zudem gingen die Ermittlungen zunächst in die
völlig falsche Richtung, wie der Anwalt der Familie, Victor Fernández
schildert. Sie hätten sich zunächst
auf Personen beschränkt, die Berta
Cáceres oder dem COPINH nahe
stehen: "Diese Strategie konnte allerdings nicht funktionieren, denn
Gustavo Castro überlebte den Angriff und machte diesen Strang zunichte. Sie beabsichtigten den Fall
innerhalb der ersten 48 Stunden zu
lösen, um nicht in Richtung der bisherigen Drohungen, die Berta erhalten hatte, ermitteln zu müssen."
Lange Liste der Bedrohungen
Vor circa sieben Monaten begann das
Unternehmen DESA ein zweites Mal
mit den Bauarbeiten am Wasserkraftprojekt Agua Zarca auf dem
Territorium der indigenen Lenca.
Seitdem haben die Drohungen gegen
die Gegner*innen des Projekts wieder massiv zugenommen. Unter anderem war bei Cáceres eingebrochen
worden und es wurde auf ihr Auto
geschossen. Kurz vor der Ermordung
wurden sie und weitere Mitglieder
des COPINH vom Sicherheitspersonal des Unternehmens und vom lokalen Bürgermeister aufgehalten, bedroht und schikaniert. Ihre Autos und
Do, 19. Mai 2016
Busse wurden beschädigt, während FMO und der finnische Finnfund
Polizei und Militär zuschauten.
wollen aus dem Projekt aussteigen,
wenn sich bestätigt, dass AngestellTomás Gómez, derzeitiger Koordi- te der DESA in den Mord verwickelt
nator des COPINH vermutet, dass sind. Am vergangenen 4. Mai gab
oberste Regierungskreise in den Fall auch die Firma Voith Hydro bekannt,
verwickelt sind. Er weist in Richtung bis auf Weiteres keine Turbinen an
von Gladys Aurora Lopez, der Vize- DESA liefern zu wollen, hielt sich
präsidentin des Nationalkongresses aber je nach Ausgang des Prozesses
und Präsidentin der Nationalen Par- einen späteren Wiedereinstieg in den
tei sowie des stellvertretenden Gene- Liefervertrag offen.
ralstaatsanwalts Rigoberto Cuellar
Cruz und der lokalen Bürgermeister: Das Ökumenische Büro für Frieden
"Aus diesem Grund wollen wir eine und Gerechtigkeit befindet, dass die
unabhängige Kommission, damit internationalen Projektbeteiligten
nicht nur die Auftragsmörder verhaf- auch für bereits entstandene Schäden
tet werden", fordert Gómez.
aufkommen müssten: "Die Folgen
des Projektes, die Ermordeten, die
vernichteten Anbauflächen und vor
Persönliche Interessen der
allem die Gewalt, die in die Region
Politiker*innen
hinein getragen wurde, hat nachhaltig den sozialen Frieden in den GeGladys Aurora López ist mit dem meinden, vermutlich für die nächsten
Unternehmen Inversiones La Aurora Jahrzehnte, zerstört."
selbst am Bau mehrerer Wasserkraftwerke auf Lenca-Territorium betei- DESA hat die Arbeiten am Wasserligt. José Asención Martinez, Mit- kraftprojekt auch nach Berta Cáceglied der Koordination des COPINH, res' Ermordung fortgesetzt. Rosalina
lebt in der Gemeinde El Potrero im Dominguez, Bewohner*in der GeMunizip Santa Elena. Dort wurden meinde Rio Blanco, berichtet: "Wir
bereits zwei Aktivisten ermordet, die haben verlangt, dass sie sich zurücksich gegen Wasserkraftprojekte en- ziehen, weil wir keine weiteren Togagiert hatten: "Politiker in unserem ten in unseren Gemeinden wollen.
Land sind an den Wasserkraftprojek- Wenn wir den Fluss entlang laufen,
ten beteiligt. Deswegen erwarten wir bedrohen uns die Leute der Nachbarkeine Gerechtigkeit von den Politi- gemeinde mit Gewehren." Das Unkern und den honduranischen Auto- ternehmen DESA hat durch Verspreritäten", meint Martínez.
chen und Geldzahlungen eine tiefe
Spaltung unter den Bewohner*innen
Er beschuldigt auch den ehemaligen der Region hervorgerufen. Zudem
Chef der honduranischen Umweltbe- bezahlt es bewaffnete Männer, die
hörde SERNA, Rigoberto Cuellar entlang des Flusses patrouillieren.
Cruz, unberechtigt Lizenzen für
Wasserkraftprojekte vergeben zu haben: "Er hat die Lizenzen auf illegi- Übergriffe auf internationale
time und illegale Weise an diejenigen Menschenrechtsbeobachter*innen
verteilt, die sie haben wollten. Aber
statt bestraft zu werden, ist er jetzt als Teilnehmer*innen eines internatiostellvertretender oberster Staatsan- nalen Solidaritätstreffens wurden aus
walt geschützt."
dem Hinterhalt angegriffen, als sie
Mitte April den Fluss besuchten. "Es
kam zu gewalttätigen Übergriffen
Rückzug der Finanziers
durch von der DESA angeheuerte
Auftragsmörder. Sie haben uns verInternationale Geldgeber wie die bal bedroht, sie hätten bereits Berta
holländische Entwicklungsbank umgebracht und sie hätten den Bewww.schattenblick.de
Seite 5
Elektronische Zeitung Schattenblick
fehl, weitere Personen aus der Koordination des COPINH und aus der
Gemeinde Rio Blanco zu töten. Sie
respektieren das Leben von niemandem, auch dann nicht, wenn sich viele Menschenrechtsbeobachter*innen
vor Ort befinden", erzählt José Asención Martínez.
Wahrheit und Gerechtigkeit im
Mordfall Berta Cáceres zu erreichen,
ist nicht nur für die Angehörigen und
den COPINH wichtig, sondern auch
für all jene Gemeinden, die gegen
ähnliche Projekte wie Agua Zarca
auf ihren Territorien kämpfen, wie
Tomás Gómez betont: "Sie haben sie
auch mit der Absicht umgebracht, alle anderen Wasserkraftprojekte und
Bergbauprojekte auf indigenem
Lenca-Territorium und in Honduras
durchzusetzen. Berta Cáceres ist ein
Symbol, eine Kämpferin, die sich nie
verkauft oder gebeugt hat."
Mitglieder des COPINH sind weiterhin akut bedroht. So berichteten Aktivist*innen, am 9. Mai aufdem Weg
nach Tegucigalpa von einem Militärfahrzeug verfolgt worden zu sein,
das versucht habe, sie von der Straße zu drängen.
EUROPOOL / BÜRGER / MELDUNG
Internationale Presseagentur Pressenza ­ Büro Berlin
Die Besetzung des Athener City Plaza Hotel:
wird die Solidarität siegen?
Nachricht aus der Redaktion Athen, 17. Mai 2016
Athen, Griechenland - 17.05.2016.
Es war ein Hotel, das von den griechischen Behörden geschlossen
worden war und der Betreiber meldete Bankrott an. Die Abwicklung
des Geschäftes dauert immer noch
an, um beides, die Löhne an die Belegschaft sowie die Miete an den
Eigentümer, auszuzahlen. Eine
Gruppe von Leuten überlegte sich
etwas scheinbar einfaches: So lange viele Räume leer stehen, die bereit sind als Unterkunft zu dienen,
so wie dieses geschlossene Hotel,
warum müssen dann Flüchtlinge
auf den Strassen, Plätzen und in
provisorischen Lagern oder militärischen Einrichtungen, in denen
ernsthafte Mängel bestehen und
armselige Lebensbedingungen
herrschen, leiden?
Das City Plaza Hotel, so wie alle
besetzten Häuser, erfreut sich keihttps://www.npla.de/poonal/mutmassliche-verwicklungen-von-mili- nerlei legalen Status. Es gab eine
große und kontroverse Diskussion,
taers-und-politikerinnen-in-denob die Besetzung rechtmäßig sei
mordfall-berta-caceres/
und viele waren unentschlossen. Da
gibt es diejenigen, die die offen*
sichtliche Schwäche des Staates
Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerika- und Europas wahrnehmen, Menschen aufzunehmen, die in unsere
nischer Nachrichtenagenturen
Länder kommen, um vor KonflikHerausgeber:
Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. ten zu fliehen, diejenigen, die sehen, dass Tausende von Menschen
Köpenicker Straße 187/188,
in Zelten leben, in den Häfen oder
10997 Berlin
in den Strassen (Asylsuchende und
Telefon: 030/789 913 61
auch Griechen, die durch die Krise
E-Mail: [email protected]
abgestürzt sind) und gleichzeitig
Internet: http://www.npla.de
Dutzende leerer, geschlossener und
verlassener Gebäude existieren, und
http://www.schattenblick.de/
diejenigen, denen die Absurdität
infopool/politik/ausland/
dieser Situation und der scheinbapala1572.html
ren Unfähigkeit der griechischen
URL des Artikels:
Seite 6
www.schattenblick.de
Regierung, die neuen Zeichen der
Zeit wahrzunehmen, klar wird.
Jetzt bewirtet das besetzte Hotel
Asylsuchende in jeglichem Sinne.
Es kümmert sich um Essensversorgung, Hygiene, Unterkunft, Betreuung der Kinder, es gibt einen Frisör
und einen gewissen Schutz gegen
das Wetter und andere für die Gesundheit gefährlichen Bedingungen. Damit die Menschen wieder
einmal durchatmen können und die
nächsten Schritte in ihrem Leben
organisieren können. Alles wird zur
Verfügung gestellt durch Freiwillige, Frauen und Männer, kein bezahltes Personal. Alles, was den
Gästen gegeben wird, kommt aus
Spenden von Menschen, die auf
Bitten des Hauses über Webseiten
und soziale Medien reagieren.
Gleichzeitig möchte das Haus ein
lebendiger Ort des Planens, Organisierens und der solidarischen
Aktion in Bezug auf die Flüchtlinge und andere Themen, die große
Teile der Bevölkerung betreffen,
sein. Die Unterstützer des City
Plaza Hotels gingen letzten Sonntag wegen der neuen Sparauflagen
der Regierung auf die Strasse. Sie
fertigten ein Plakat an und organisieren offene Treffen und dies ist
erst der Anfang. Niemand weiß,
was die Zukunft des Hauses bereithält. Es gibt Beispiele aus anderen Ländern, in denen bestimmte besetzte Häuser unter besonderen Umständen und zu bestimmten
Zwecken von den lokalen Gemeinschaften und Behörden angenommen wurden. Wird das auch
Do, 19. Mai 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
für das Athener City Plaza Hotel
der Fall sein?
MUSIK / REPORT / INTERVIEW
Eines ist sicher: In extremen Situationen, wenn viele Leben in
Gefahr sind, entwickelt die Gesellschaft Reaktionen, die über
das hinausgehen, was wir gewöhnt sind, und manchmal sind
diese Reaktionen positiv. City
Plaza wird in der Geschichte unseres Landes verbleiben als eine
Aktion, die gleichzeitig illegal
wie auch überragend ist, mit allem
was dieses Wort beinhaltet. Und
wenn der Staat nicht fähig ist,
einen Kompromiss zwischen dem
Schutz des besetzten Hauses und
dem Schutz der Rechte der Gebäudebesitzer zu finden, wird dies
unweigerlich zur einen oder zur
anderen Richtung kippen. Es ist
deutlich, dass im Herzen vieler
Menschen, so wie all die Handlungen des "Gebens" zeigen, die
Solidarität andauernd nach neuen
Wegen sucht, sich auszudrücken.
In gewissem Sinne hat die Solidarität immer gewonnen.
Hip-Hop Straßenklassenfest - in der Sprache der Leute ...
Derbst im Gespräch
... und im Sound der Straße
Klassenfest gegen Staat und Kapital
am 30. April 2016 in Hamburg
Der Text steht unter der Lizenz
Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
*
Derbst
Foto: © 2016 by Schattenblick
(SB) ­ Auf dem Hamburger Klassen-
fest war der Rapper Derbst in seinem
Quelle:
Element, steht doch die streitbare
Internationale Presseagentur
Auseinandersetzung mit den herrPressenza - Büro Berlin
schenden Verhältnissen und ihre
Johanna Heuveling
Überwindung zur Aufhebung aller
E-Mail:
[email protected] Klassengegensätze im Mittelpunkt
seines persönlichen wie künstleriInternet: www.pressenza.com/de
schen Anliegens. Ob solo oder zusammen mit S. Castro - die politische
Position ist klar und entschieden, und
das a capella für die im nordsyrischen
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Rojava im Kampf gegen den IS geinfopool/europool/buerger/
fallene Internationalistin Ivana Hoffebme0056.html
mann zeigt, daß Hip-Hop ohne große
Mittel Menschen bewegen kann,
wenn nur die Botschaft stimmt. Nach
seinem Auftritt beantwortete Derbst
dem Schattenblick einige Fragen.
Do, 19. Mai 2016
www.schattenblick.de
Schattenblick (SB): Derbst, wie lange machst du schon politischen Rap?
Derbst: Ich habe damit 2009, kurz
vor meinem 16. Geburtstag angefangen. Zwei Jahre später machte ich
Tracks, bei denen ich noch Ernst
Busch gesampelt habe und sehr plakativ war. Als ich dann bei Ruhrpott
Illegal, einem Label aus Gladbeck,
unter Vertrag war, gab es eine Phase,
in der ich so ein bißchen aus den Augen verloren habe, warum ich das
mache, weil ich mit Leuten unterwegs war, die es mir nicht anders
vorgegeben haben. In diesen Kreisen
hat man sehr viel Wert auf Geld gelegt. Leider habe ich das erst mitbekommen, nachdem ich den Vertrag
schon unterschrieben hatte. Dann
gab es verschiedene Komplikationen
und komplette Besetzungswechsel in
Seite 7
Elektronische Zeitung Schattenblick
dem Label, wo ich es nur noch mit
Leuten zu tun hatte, die zu politischen Themen anders standen als
ich. Da mußte ich erst einmal rauskommen. Jetzt bin ich mit neuem
Namen und neuen Projekten so weit,
daß ich wieder zum Ursprung zurückkomme und eigentlich das mache, was ich immer schon machen
wollte, nämlich politischen Rap sowohl für die Straße als auch für jedermann. Es soll etwas sein, mit dem
sich die Leute einfach als Hip-HopKultur identifizieren können und
kein reines conscious-political Antifa-Ding drin sehen. Ich will, daß sich
auch Leute meine Lieder anhören
können, die sich selber noch nicht so
tief mit solchen Themen auseinandergesetzt haben.
SB: Allerdings hast du beim Auftritt ist. Ich kann mich jedenfalls nicht
mit S. Castro auch klare klassen- erinnern, im Spiegel gelesen zu hakämpferische Parolen benutzt.
ben, daß der Hitler-Stalin-Pakt auch
aus einer anderen Perspektive beDerbst: Ja, das sind die Songs, bei trachtet werden kann. Dann ist es
denen ich weiß, daß sie von Genos- auch nicht überraschend, daß viele
sen gehört werden, die schon länger Jugendliche zwar sagen, ich habe
dabei sind und sich darin einfach Bock auf Befreiung, aber mit den
wiederfinden.
roten Fahnen will ich nichts zu tun
haben, weil ich schon in der Schule
SB: Meinst du, daß es heute unter Ju- gelernt habe, daß das nicht gut ist.
gendlichen tatsächlich so etwas wie Das zeigt, daß sich die Leute nicht
eine Abneigung gegen linke Rhetorik mit dem Thema auseinandergesetzt
gibt, obwohl damit auch Inhalte ver- haben.
SB: In deinen Stücken reflektierst du
auch subjektive Eindrücke und Erlebnisse. Orientierst du dich dabei in deiner Sprache an lyrischen bzw. literarischen Vorbildern, zumal du früher
Ernst-Busch-Lieder gecovert hast?
Derbst: Mittlerweile nehme ich mir
eher ein Beispiel an Leuten, die einfach Rap machen in Deutschland,
wie zum Beispiel Celo & Abdi und
Haftbefehl aus dem Azzlack oder
von politischen Rappern. Bei der
Sprache ist es mir wichtig, nicht zu
Traditionen zurückzukehren, in denen jedes zweite Wort Proletariat
oder Hammer und Sichel lautet.
Vielmehr versuche ich vom Vokabular her möglichst direkt und so zu
sprechen, wie es die Leute tun, die
die heutigen Verhältnisse unmittelbar zu spüren bekommen. Wenn ich
mich mit jemandem unterhalte, der
im Hafen arbeitet, wird er mir mit Sicherheit nichts von politischer Ökonomie erzählen, sondern davon, wie
es ist, jeden Tag gefickt zu werden.
So etwas würden Leute, die sich politisch korrekt ausdrücken, niemals
sagen, obwohl es inzwischen eine
ganz normale Formulierung ist. Das
ist nur ein Beispiel dafür, daß ich
versuche, die heutige Sprache miteinzubeziehen und nicht in alten Traditionen steckenzubleiben.
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knüpft sind? Die Frage der Klasse
beispielsweise geht ja auf eine gesellschaftliche Widerspruchslage zurück.
Derbst: Das Traurige dabei ist, daß
einerseits gepredigt wird, daß imperialistische Kriege gut für die
Menschheit sind, während andererseits jede Form von kämpferischer
Rhetorik im Politischen abgelehnt
wird. Ich kann mich noch erinnern,
daß mein Geschichtslehrer einmal
erzählt hat, daß man die KPD insofern mit der NSDAP vergleichen
könne, als beide Fackelzüge hatten.
Diese Sicht hängt sicherlich mit unserer Bildung in diesem System zusammen. Man macht an absolut leeren und oberflächlichen Merkmalen
fest, daß alles, was mit Hammer und
Sichel in Verbindung steht, schlecht
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A Capella für eine in Rojava
gefallene Genossin
Foto: © 2016 by Schattenblick
SB: Versuchst du, in deinen Texten
auch ein Bewußtsein zu schaffen für
Widersprüche oder Leute für den Internationalismus zu interessieren?
Derbst: Ja, ich versuche auf jeden
Fall, hier und da Inhalte klarzumachen, aber die Frage ist doch, auf
welche Weise sich Zusammenhänge
so konkret wie möglich beleuchten
lassen. Wenn ich etwa zu einem Arbeiter sage, dein Kollege, der mit dir
zusammen am Fließband steht, ob es
jetzt ein Türke, Deutscher oder Pole
ist, hat mit dir weit mehr zu tun als
dein deutscher Chef, dann ist das für
ihn sofort verständlich. Daher versuDo, 19. Mai 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
che ich, Klassenverhältnisse an nachvollziehbaren Beispielen zu erklären.
Daß ihnen ihr Chef den Mehrwert ihrer Arbeit wegnimmt, muß in die
Sprache der Leute übersetzt werden,
indem man ihnen zum Beispiel sagt,
die Materialien, aus denen du das und
das zusammenbaust, kosten nur wenig, ist es nicht seltsam, daß das fertige Produkt dann so teuer ist und du so
wenig daran verdienst. Diese Vermittlungsarbeit muß man leisten.
ist, gut war. Ich persönlich habe weder eine Pro- noch eine Contra-Einstellung zur DDR. Dennoch glaube
ich definitiv, daß daraus etwas Gutes
hätte werden können. Meine Mutterlinie hingegen hat schon vor der Wende Westfernsehen geguckt und sich
danach über den Zusammenbruch der
DDR gefreut. Kurioserweise hatte ich
noch Jahre nach der Wende eine Jugendweihe.
SB: Du lebst jetzt in Hamburg. Hast
SB: Auf welche Weise bist du politi- du davor in Ostdeutschland gewohnt?
siert worden?
Derbst: Ich lebe schon lange im WeDerbst: An einem bestimmten Punkt sten. Wir wohnten in der Nähe von Jein meinem Leben bin ich bei meinen na, sind aber, als ich acht Jahre alt war,
Eltern Hals über Kopfausgezogen und ins Ruhrgebiet gezogen.
habe alles hinter mir gelassen. Ich
mußte auf einmal alleine klarkommen. SB: Dann hast du die Aufmärsche der
Das hat mir weit mehr gebracht als all Nazis nach der Wende nicht mehr didie Jahre, in denen ich bei meinen El- rekt miterlebt.
tern behütet lebte und irgendwie Theorie gelesen habe. Ich wußte von den Derbst: Davon habe ich nur aus GeBegriffen her, wer der Feind und was sprächen mit meinen Großeltern erschlecht ist an den Arbeitsverhältnis- fahren, die teilweise noch heute polisen, aber ohne Vollzeit gearbeitet zu tisch unterwegs sind. Einige Familihaben, hätte ich das nicht aus einem enangehörige versuchen selbst jetzt
praktischen Anspruch heraus für mich noch im hohen Alter, über eine Miterkennen können. Deswegen versuche gliedschaft in der Linken etwas zu
ich in meinen Texten auch rüberzu- verändern. Sie haben mir auf jeden
bringen, welche Dinge ich erfahren Fall berichtet, was in Freital und Heidenau bzw. Plauen, das nicht so weit
und nicht nur gelesen habe.
weg ist von Jena, alles abgegangen ist.
SB: Du wurdest in Ostdeutschland ge- Ein Erlebnis hatte ich jedoch. Als ich
boren. Hast du noch eine Art von nach Jahren wieder das erste Mal zu
Besuch bei meiner Familie war, hörte
DDR-Sozialisation erfahren?
ich - wir saßen gerade am KüchenDerbst: Das ist bei mir ein zwei- tisch - vom Fenster her Jugendliche
schneidiges Schwert. Väterlicherseits aufder Straße gröhlen. Ich fragte, was
waren alle Parteimitglieder, die abso- das ist. Nazis, sagten sie. Mein Onkel
lut hinter der DDR standen und noch wäre mit mir rausgegangen, wenn es
heute der Ansicht sind, daß der sozia- irgend etwas gebracht hätte. Aber es
listische Staat unter Umständen nicht waren zu viele, da konnte man nichts
kaputt gegangen wäre, wenn es machen.
Honecker nicht gegeben hätte. Wie
auch immer, aufjeden Fall spielt der SB: Wie würdest du die aktuelle
Anti-Stalinismus mit hinein in die Ge- deutschsprachige Hip-Hop-Szene beneration vor dem Mauerfall, was sich werten, etwa auch mit Blick auf die
auch daran zeigt, daß am Ende die Ba- Antilopengang, um die es zeitweilig
sis weggebrochen ist. Egal, wie teil- etwas Streit gegeben hat?
weise argumentiert wird, die grundsätzlichen Widersprüche lassen sich Derbst: Mit der Antilopengang habe
nicht verleugnen, auch wenn man dar- ich mich nicht im besonderen auseinauf beharrt, daß alles, wie es gewesen andergesetzt. Ich kenne einige Songs
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von ihnen, die mir aber musikalisch
nicht zusagen. Aber insgesamt denke
ich, daß in letzter Zeit durchaus Bewußtsein ins Deutschrap-Lager gekommen ist. Während nach 2000 vor
allem Savas vorherrschte, der in seinen Texten rein auf den Battle-Rap
setzte, hat in den letzten sechs oder
sieben Jahren vermehrt der AzzlackRap Einzug gehalten in der Szene.
Dieser echte Straßen-Rap kommt von
Leuten, die in Ansätzen zeigen, daß
sie bestimmte Logiken in diesem System verstanden haben. Zum AzzlackRap zählen heute in erster Linie Haftbefehl, Celo & Abdi und Olexesh.
Beim Letzteren finden sich Zeilen wie
Intégration, non monsieur, attention,
révolution!
Darin steckt natürlich keine inhaltliche Fülle, und doch sind es Ansätze,
an denen man merkt, daß die Leute
sich Gedanken machen. Ihre Eltern
sind vor zwei oder drei Generationen
hierher gekommen mit Perspektiven
und Wünschen, vielleicht wollten sie
einfach nur ein gutes Leben haben,
und dann wurden sie in irgendwelche
heruntergekommenen Ghettos gesteckt. Jetzt will man ihnen ihre Wohnungen wieder wegnehmen, weil andere Leute aufeinmal finden, daß es
schick ist, so zu leben. Die Migranten
haben keine Hoffnung mehr.
Natürlich gibt es auch solche, die sich
völlig eindeutschen und alles von ihrer eigenen Kultur vergessen. Und
dann behaupten sie, gute Beispiele für
Integration zu sein, nur weil sie überhaupt nichts mehr mit dem zu tun haben, was sie einmal kulturell ausgemacht hat. Natürlich kommen solche
Leute dann in führende Positionen bei
den Grünen und stehen für eine gelungene Immigration in Deutschland.
Dann gibt es wieder Negativ-Beispiele von Leuten, die ihr Leben lang geackert und alles getan haben, um in
geregelte Bahnen zu kommen wie ihre deutschen Kollegen. Dafür, daß es
nur für die Hautschule gereicht hat,
können sie nichts. Im Moment gibt
es immer mehr von ihnen im Deutschrap. Wir sitzen hier gerade einmal
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50 Meter von Reeperbahn Kareem entfernt, der auf der Bühne rappt. Er verkörpert das Leben aufHamburgs Straßen und singt davon. Das ist meiner
Meinung nach weit mehr wert, als wenn
irgendwelche deutschen Studentenlinken - ich will keine Namen nennen, weil
ich gegen niemanden respektlos sein
will - im Fachjargon über die Verhältnisse hier rappen und dann meinen, daß
wir das bitte einmal kapieren sollen.
SB: Dein Auftritt ist sehr dynamisch,
du wirkst, als ob du unter Strom
stehst. Welcher Zorn treibt dich?
D: Wenn ich Texte schreibe, nehme ich
mir sehr viel Zeit, um in eine bestimmte Stimmung hineinzukommen und
mich wirklich von Gefühlen treiben zu
lassen. Bei einer Live-Performance Einander ergänzen um der Sache willen
rappe ich die Texte dann einen nach Foto: © 2016 by Schattenblick
den anderen durch, weil ich weiß, was
ich erzählen will. Das Feeling ist daher
bei jedem einzelnen Song dasselbe. http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0055.html
Heute zum Beispiel habe ich einige
Songs weggelassen, die ich eigentlich
hätte spielen können und die den Leuten auch bekannt sind, aber ich fühle
sie nicht mehr so, wenn ich sie spiele.
SCHACH UND SPIELE / SCHACH / SCHACH-SPHINX
Ich lasse es dann, weil ich schon will,
daß möglichst eine echte Wut rüberkommt. Ich mache auf der Bühne auch
Irritationen des Teufels
keine einstudierte Performance, weil
es mir zu dumm wäre, wenn ich nicht
selber hundertprozentig dahinterstehen Büßt man einen Bauern ohne posi- fertiggebracht, eine Partie mit einem
kann; und dann spürt man bei mir na- tionellen Ersatz ein, so hat man die Minusturm noch zu remisieren. Nun
Partie zur Hälfte bereits verloren. gut, wird man sagen, das Glück hilft
türlich die volle Energie.
Mit einer Figur weniger noch weiter dem Tüchtigen, und wenn man
SB: Derbst, vielen Dank für das Ge- zu spielen, ist schon fast unehren- Milch lange genug schlägt, wird
haft, zumindest auf hoher Schache- Sahne daraus, aber daß ein Spieler
spräch.
bene. Daß man aber mit einem gan- von hohem Format mit einem Mehrzen Turm in der Kreide steht und turm zuletzt noch verliert, ist sichernicht ans Aufgeben denken will, ist lich etwas Einmaliges und spottet alKlassenfest im Schattenblick:
www.schattenblick.de → INFO- einfach eine Frechheit und verletzt ler Vergleiche. In der vorletzten
die guten Schachsitten. Nun, so ganz Runde des Moskauer InterzonenturPOOL → MUSIK → REPORT:
zwangsläufig ist es nun wieder nicht, niers hatte Alexander Beljawski geBERICHT/031: Hip-Hop Straßen- daß man mit derartig hohem Mate- gen den Holländer Van der Wiel
klassenfest - Weigerung und Offen- rialnachteil verlieren muß. Nichts ist beim 22. Zug einen Turm gewonnen.
so schwer, heißt es in der Schachfi- Die Stellung bot dem Nachziehensive ... (SB)
INTERVIEW/053: Hip-Hop Stra- bel, wie eine gewonnene Partie zu den zwar noch einige Möglichkeiten,
ßenklassenfest - Rap und Revolution gewinnen. Und kein Geringerer als von Kompensation konnte allerdings
David Bronstein, dessen Haupt der nicht im mindesten die Rede sein.
... S. Castro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/054: Hip-Hop Stra- Lorbeer vieler Turniersiege Aber nur 19 Züge später, welch ein
schmückte, hatte es beim WM- Wandel, zwang der verloren geßenklassenfest - Rap sozial ...
Kampf gegen Michail Botwinnik glaubte Holländer seinen KontraCemo62 im Gespräch (SB)
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henten in die Knie und zum Aufgeben. Hinterher machte sich ein Heer
von Analytikern daran, Gewinnwege
für Weiß aufzuzeigen, aber am Brett
ist der Teufel immer der dritte Spieler, und mit Irritationen geizt dieser
nie. jedenfalls entstand nach wildem
Hin und Her schließlich die Diagrammstellung im heutigen Rätsel
der Sphinx, wo Beljawski - mittlerweile besaß er nur noch einen Mehrspringer - mit nunmehr 1.Sa8-b6?
den letzten Fehler beging, Wanderer.
Hinweis: UMWELT / REPORT / INTERVIEW
Ende Gelände - Staats- und Wirtschaftspräferenz Profit ...
Annika Hagberg im Gespräch
Ende Gelände 2016 ­ Kohle stoppen, Klima schützen!
Pressekonferenz des Bündnisses Ende Gelände am 11. Mai 2016
in Berlin im Vorfeld der angekündigten Aktionen zivilen Ungehorsams
am Tagebau Welzow
Annika Hagberg über den schwedischen Klimastandpunkt,
seine Widersprüche und den braunkohleschwarzen Fleck
auf der sauberen Klima-Weste ...
http://www.schattenblick.de/
infopool/umwelt/report/
umri0223.html
Beljawski - Van der Wiel
Moskau 1982
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
Es rächte sich bitter, daß der schwarze König nicht längst rochiert hatte,
denn nach Gheorghius neidlos
schlechtem Zug 1...a7-a6? konnte
Kasparow in alter Kombinationswut
mit 2.Lc1-f4! Dc7xf4 3.Lb5xd7+
Ke8xd7 4.Td1xd5+ Kd7-c7 5.Ta1-e1
Le7-d6 - 5...Le7-f6 6.Te1-e4 mit Damenfang - 6.Td5-f5 Df4-c4 7.Te1-e4
Dc4-b5 8.Tf5xf7+ Kc7-b8 9.Te4-e6
Th8-d8 10.c3-c4 Db5-c6 11.Sf3-e5
Dc6-c8 12.Dc2-b1! generalstabsmäßig zur siegreichen Offensive übergehen.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05840.html
Do, 19. Mai 2016
Hinweis: POLITIK / REDAKTION / NAHOST
Militärintervention der NATO in Libyen rollt an
"Unterstützung" für Libyen
dürfte ganz Nordafrika in Brand setzen
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/redakt/
nhst1459.html
Hinweis: SPORT / BOXEN / MELDUNG
Die Zeit des Abschieds ist gekommen
Matthew Macklin beendet seine Karriere
http://www.schattenblick.de/
infopool/sport/boxen/
sbxm1961.html
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______I n h a l t__________________________________Ausgabe 1829 / Donnerstag, den 19. Mai 2016____
UMWELT - REPORT
POLITIK - AUSLAND
EUROPOOL - BÜRGER
MUSIK - REPORT
SCHACH-SPHINX
DIENSTE - WETTER
Ende Gelände - wo gehobelt wird ...
Mutmaßliche Verwicklungen von Militärs und Politikern in den Mordfall ... (poonal)
Besetzung des Athener City Plaza Hotel - Wird die Solidarität siegen? (Pressenza)
Hip-Hop Straßenklassenfest - in der Sprache der Leute ... Derbst im Gespräch
Irritationen des Teufels
Und morgen, den 19. Mai 2016
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DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 19. Mai 2016
+++ Vorhersage für den 19.05.2016 bis zum 20.05.2016 +++
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IMPRESSUM
Es riecht schon nach Gewitter,
die Sonne spielt Verstecken,
Sir Jean-Luc Frosch, den Ritter,
den kann das nicht erschrecken.
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Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K.
Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Elektronische Postadresse: [email protected]
Telefonnummer: 04837/90 26 98
Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME
Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
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