Ausgabe 18 13. Mai 2016 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Mittelstand Großaufträge im Maschinenbau retten Bilanz der Industrie Im März konnte die Industrie ein Auftragsplus in Höhe von fast zwei Prozent verbuchen D unter 1.500 Unternehmen aus ie deutsche Industrie hat im dem Maschinen- und Anlagenbau März dank der starken Nachzeigt einen Anstieg der Auftragsfrage aus dem Ausland überraschend viele Aufträge an Land geeingänge im März um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau. zogen. Sie stiegen um 1,9 Prozent Während die Bestellungen aus dem im Vergleich zum Vormonat, wie Inland zurückgingen, wuchsen die das BundeswirtschaftsministeriAufträge aus dem Ausland um 29 um mitteilte. Das ist der kräftigsProzent. Vor allem aus den Nichtte Zuwachs seit einem dreiviertel Euro-Ländern (+37 Prozent) kamen Jahr. Volkswirte hatten lediglich Auftragseingang März 2016 Maschinenbau. Grafik: VDMA die Aufträge. „Dieses Plus ging zum mit einem Plus von 0,7 Prozent überwiegenden Teil auf Großanlagerechnet, nachdem es im Februar noch einen Rückgang um 0,8 Prozent Bundesamt ebenfalls nicht. gengeschäfte zurück. Ohne diese hätte es gegeben hatte. „Trotz des eingetrübten au- In jedem Fall waren die Großaufträge je- für den Ordereingang aus den Nicht-Euroßenwirtschaftlichen Umfelds konnte die doch größtenteils im Maschinenbau zu Ländern gerade für einen kleinen Zuwachs deutsche Industrie einen spürbaren Anstieg finden, sagte Peter Mehlhorn vom Statisti- gereicht“, so der Verband. der Aufträge aus dem Ausland verbuchen“, schen Bundesamt den Deutschen Mittel- Woher die Großaufträge genau kamen, erklärte das Ministerium. stands Nachrichten. Und hier handelte es konnte der Verband den Deutschen MittelDiese nahmen um insgesamt 4,3 Prozent sich besonders um die Wirtschaftszweige stands Nachrichten nicht sagen. Das ließen zu. Während die Bestellungen aus der Euro- der Gruppe 28: also um Produkte wie Ver- die Vereinbarungen mit den Unternehmen Zone dabei um 1,1 Prozent wuchsen, stiegen brennungsmotoren oder Turbinen. Im nicht zu. In jedem Falle könnte es sich gedie aus dem Rest der Welt um 6,2 Prozent. Vorjahresvergleich zeigt sich ebenfalls ein nerell um Anlagen, Ausrüstungen für FlugDie Inlandsaufträge schrumpften dagegen großes Plus beim Wirtschaftszweig 28.11. hafen oder auch Turbinen handeln, so ein um 1,2 Prozent. Der Anteil der Großaufträge Demnach nahmen die Auftragseingänge ge- Sprecher des VDMA. Die Großaufträge dürfwar diesmal leicht überdurchschnittlich. genüber dem März 2015 arbeitstäglich- und ten jedoch nicht überbewertet werden, da Aus welchem Land die Großaufträge kamen saisonbereinigt insgesamt um 59,6 Prozent diesen meist eine lange Vorlaufzeit für Verund welche Unternehmen diese abgewi- zu, wie aus den Daten, die den Deutschen handlungen vorausgehe. Insofern könnte es ckelt haben, ist nicht ersichtlich. Dem Sta- Mittelstands Nachrichten vorliegen, her- in den kommenden Monaten hier wieder tistischen Bundesamt zufolge wurde bei der vorgeht. Während die Aufträge aus dem deutliche Rückgänge geben. „Die konjunkBefragung der Unternehmen nur die Unter- Inland hier um 12,3 Prozent zurückgingen, turelle Grundtendenz beim Bestelleingang scheidung Inland, Ausland und Eurozone stiegen die Aufträge aus dem Ausland um ist nach wie vor so schwach, dass wir weitersowie restliche Welt getroffen. Angaben zu 83,9 Prozent. hin mit einer Stagnation für die reale Proden einzelnen Unternehmen, die Großauf- Ein Blick auf die aktuellen Zahlen des VDMA duktion im Maschinenbau in diesem Jahr träge an Land ziehen konnten, machte das bestätigt diese Einordnung. Eine Befragung rechnen“, sagte Olaf Wortmann vom VDMA. Wirtschaft Deutsche Exporte in die USA brechen ein Im März sind die Ausfuhren in die USA und nach China deutlich gesunken I m März verkauften die deutschen Unternehmen Waren im Wert von insgesamt 107,0 Milliarden Euro ins Ausland. Das sind 0,5 Prozent weniger als im März 2015. Besorgniserregend ist die Entwicklung der Lieferungen in die Länder außerhalb der Europäischen Union und damit etwa in die weltgrößten Volkswirtschaften USA und China. Hier schrumpften die Ausfuhren um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die USA waren im vergangenen Jahr der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Insgesamt wurden zwischen den beiden Ländern Waren im Wert von 173,4 Milliarden Euro gehandelt. Allein die in die USA exportierten Produkte erreichten einen Umfang von 114 Milliarden Euro. Besonders Autos und Autoteile, sowie Maschinen und pharmazeutische Erzeugnisse bestimmten den Handel. China rutsch1 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 Im Vergleich zum Vormonat stiegen die Exporte noch. Die Produktion wurde jedoch bereits zurückgefahren. Grafik: Destatis te im vergangenen Jahr auf Platz fünf der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. In das Land wurden Waren im Wert von 71 Milliarden Euro exportiert. Im März konnten die Exporte in die Euroländer (+1,0 Prozent) und in die nicht zur Eurozone gehörenden EU-Staaten (+2,9 Prozent) im Vergleich zum Vorjahresmonat die sinkende Nachfrage aus den USA und China noch abfedern. Im Vergleich zum Vormonat konnten die deutschen Ausfuhren noch ein Plus von 1,9 Prozent verbuchen. Das ist der kräftigste Zuwachs seit einem halben Jahr. Allerdings waren die Exporte im Feb- ruar gegenüber dem Vormonat nur um 1,3 Prozent gestiegen. Im Januar und Dezember waren sie sogar gefallen. Die Importe fielen im Monats- und Vorjahresvergleich um 2,3 und 4,3 Prozent. Entsprechend drosselten die Unternehmen ihre Produktion. Industrie, Baubranche und Versorger stellten im März zusammen 1,3 Prozent weniger her als im Vormonat. Das ist der stärkste Rückgang seit August 2014. Ökonomen hatten lediglich ein Minus von 0,2 Prozent erwartet. Im gesamten ersten Quartal wurde die Produktion dagegen wegen des sehr guten Jahresauftakts um 1,8 Prozent gegen- 13. Mai 2016 über dem Vorquartal ausgeweitet. „Das Quartal lief eigentlich schlechter, als es die Daten nahelegen“, sagt Andreas Scheuerle von der Dekabank. „Vermutlich werden wir ein schwaches Frühjahr bekommen.“ Auch Ralph Solveen von der Commerzbank rechnet mit einem schwächeren zweiten Quartal. Es ist damit zu rechnen, dass die Exporte im April und Mai in die USA und China weiter abnehmen könnten. Im ersten Quartal erreichten die Exporte der USA das tiefste Niveau seit Juni 2011. Die Importe fielen auf 217,1 Milliarden Dollar, den niedrigsten Wert seit Februar 2011. Und in China ist mit einer Zunahme der Pleiten um bis zu 20 Prozent zu rechnen. Die Gefahr von Zahlungsausfällen in Brasilien, China und Russland hat zugenommen. „Trotz der enttäuschenden Industrieproduktion dürfte die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal ordentlich gewachsen sein“, sagt Carsten Brzeski von der ING. Doch unter der Oberfläche der starken Wachstumszahl entstehe ein beunruhigendes Bild. „Die Wirtschaft wird nicht mehr durch die alte Erfolgsformel angetrieben, sondern durch neue Faktoren: Konsum, Bau und Dienstleistungen“, so Brzeski. Diese Formel seit definitiv keine Garantie für nachhaltigen Erfolg. Innovation Elektro-Autos überfordern die Energie-Politik in Deutschland Die immer deutlicher werdende Umstellung des Straßenverkehrs auf Elektroautos wird Deutschland vor gravierende Probleme stellen Z um Schutz der Umwelt sollen die Benzin- und Dieselautos von den Straßen verschwinden. Von Norwegen bis Indien erschallt der Ruf: Ab 2020 werden keine Benzin- oder Dieselfahrzeuge mehr zugelassen. Deutschland will zumindest Millionen E-Fahrzeuge auf die Straßen bringen. Allgemein scheint sich die Illusion „der Strom kommt aus der Steckdose“ in eine energiepolitische Maxime zu verwandeln. So fein es wäre, lautlose, emissionsfreie Autos zu genießen, man sollte doch einige Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Der ADAC weist aus, dass allein in Deutschland mit PKW´s etwa 700 Milliarden Kilometer im Jahr gefahren werden. Genau waren es 2014 735 Milliarden. Die Daten in Österreich liegen in der Regel, der Bevölkerung entsprechend, bei einem Zehntel. Und auch im übrigen Westeuropa kann Deutschland als Orientierungsgröße genommen werden. Zu fragen ist also ganz banal, was geschieht, wenn die 700 Milliarden nicht mehr mit Benzin oder Diesel zurückgelegt werden, sondern mit Strom. Der Stromverbrauch würde um 25 bis 30 Prozent wachsen Die Auto-Tester berichten, dass der Verbrauch der E-Autos je 100 Kilometer in etwa zwischen 20 und 30 Kilowattstunden liegt. Um also die 700 Milliarden Kilometer mit E-Autos zu bewältigen, benötigt man zwischen 140 und 220 Milliar- den Kilowattstunden. Aktuell werden in Deutschland jährlich 600 Milliarden Kilowattstunden verbraucht. Bei einem totalen Umstieg auf E-Autos käme also eine Steigerung um 25 bis 30 Prozent zustande. Um 140 Milliarden Kilowattstunden im Jahr zu erzeugen, würde man 70 große Flusskraftwerke oder 13 Atomkraftwerke benötigen, für 210 Milliarden Kilowattstunden entsprechend mehr. Zur Orientierung: Alle Windräder Deutschlands, von der Nordsee bis zu den Alpen, lieferten 2015 85,4 Milliarden kWh, die Photovoltaik steuerte 38,5 Milliarden kWh bei. Das Konzept, wonach viele Autofahrer durch Photovoltaik-Anlagen auf dem eigenen Haus zu Selbstversorgern werden 2 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 sollen, ist nur beschränkt anwendbar: Die Sonne scheint nicht nach Belieben – dann braucht man doch den Strom von der Versorgungsindustrie. Die Anlagen sind nicht billig und lösen auch Wartungsund Reparaturkosten aus. Im Brandfall machen der Strom und die Chemikalien die Löscharbeiten fast unmöglich. Zudem ist die Umsetzung stark auf den ländlichen Raum beschränkt, in den Städten, in denen die meisten Menschen wohnen, ist die Realisierung besonders schwer. rung wird je zur Hälfte vom Staat und von der Auto-Industrie finanziert. Im Endeffekt wird ein Druck auf die Auto-Firmen ausgeübt, zusätzliche Rabatte zu gewähren. Die Förderung endet, wenn das Budget von 1,2 Milliarden Euro aufgebraucht ist, es handelt sich also um eine Art kurzzeitig wirkende Belebungsspritze für die E-Mobilität. Woher sollen zusätzliche 140 Milliarden kWh kommen? Die Vorkämpfer der Elektro-Mobilität lehnen die Einbeziehung der Hybrid-Autos in die Förderung ab, weil diese Technik den Verbrauch an Benzin oder Diesel nur verringert, aber nicht gänzlich beseitigt. Diese Alles-oder-Nichts-Haltung führt zurück in das Dilemma, das bereits mit dem Ausstieg aus der Atom-Energie ausgelöst wurde. Im Jahr 2011 waren in Deutschland 17 Kernkraftwerke in Betrieb, neun sind mittlerweile abgeschaltet, die verbleibenden acht müssen bis 2022 folgen. Die Energiewirtschaft soll bis 2022 23,34 Milliarden Euro in einen Fonds zur Finanzierung der Endlagerung der Brennstäbe einzahlen. Die Unternehmen wiederum haben den Staat auf Schadenersatz für den Ausstieg um rund 15 Milliarden Euro geklagt. Außerdem verschlingt der Abbau der Kraftwerke enorme Summen. Beträge, die die Stromkonsumenten aufgebracht haben oder noch aufbringen Das Zeitalter der E-Autos ist also auf jeden Fall eine Herausforderung für die Energie-Versorgungsunternehmen. Die Herausforderung wird zur Überforderung: Durch den Ausstieg aus der Atomenergie wechselte Deutschland trotz des Ausbaus der Stromproduktion aus Braunkohle von einem Exporteur zu einem Importeur, der unter anderem Atomstrom aus Frankreich bezieht. Woher sollen zusätzlich 140 bis 200 Milliarden kWh kommen? Vor dem Hintergrund dieser Daten ist die vor kurzem beschlossene Prämie von 4.000 Euro für den Kauf eines E-Autos in Deutschland äußerst problematisch – wie auch die Mehrwertsteuerbegünstigung für E-Autos in Österreich oder die Absicht Norwegens ab 2020 nur mehr E-Autos zum Verkehr zuzulassen. Der zweite Teil der neuen Förderung in Deutschland, die Zahlung einer Prämie von 3.000 Euro für Hybrid-Fahrzeuge erscheint da schon logischer, wobei man sich die Frage stellen muss, warum man diese Entwicklung nicht dem Markt überlässt. Bei Hybrid-Fahrzeugen wird die Aufladung der Batterien durch die Fahrt besorgt und ein Teil der Strecken mit dem so gewonnenen Strom bewältigt. Die Belastung der Stromproduktion ist daher geringer, wenn auch davon auszugehen ist, dass bei vielen Hybrid-Autos die Akkus nicht nur durch den Fahrbetrieb aufgeladen werden können und daher die industrielle Stromproduktion auch in Anspruch genommen werden muss. Am Rande angemerkt sei, dass die Frage nach dem Markt auch aus einem anderen Grund zu stellen ist: Die Förde- Alles oder Nichts bedeutet eher vom Regen in die Traufe 13. Mai 2016 müssen oder die letztlich doch alle zahlen müssen. Der Ausfall der Stromproduktion aus den AKW´s sollte durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden, wobei Wind und Sonne besonders betont wurden. Um den Ausbau der Alternativen zu ermöglichen, wurden und werden die Konsumenten mit Zuschlägen auf den Stromrechnungen belastet, die Millionen ergeben, um die Förderung der alternativen Energien zu finanzieren. Vor allem Wind und Sonne haben aber den Nachteil, dass die Produktion nicht stetig erfolgt: Bei Windstille ruhen die Windräder, bei bedecktem Himmel erlahmt die Photovoltaik. Um die Stromversorgung sicher zu stellen, bedarf es aber einer kontinuierlichen Erzeugung, da sonst die Netze zusammenbrechen. Aus diesem Grund wurde die Stromerzeugung aus Braunkohle stark erweitert und auch in Zukunft werden Braun- und Steinkohleanlagen forciert. Die jährliche Stromproduktion aus Braunkohle liegt derzeit bei etwa 150 Milliarden kWh in Deutschland, wobei zu beachten ist, dass gegenwärtig immer noch acht AKW´s in Betrieb sind. Durch die Abschaltung auch dieser Anlagen wird der Einsatz von Kohle weiter steigen müssen, selbst wenn die erneuerbaren Quellen weiter ausgebaut werden. Entwickelt sich ein Boom an E-Autos, dann ist ein weiterer Anstieg der Energiegewinnung aus Kohle unvermeidlich, da auch in Zukunft Deutschland könnte derzeit kaum genug grünen Strom für mehr Elektro-Autos produzieren. Foto: Flick/ GriinBlog/CC by nc 2.0 3 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 trotz der zu erwartenden Steigerung der Produktion aus erneuerbaren Energien die kontinuierliche Stromproduktion sichergestellt werden muss. Mit dem Ausstieg aus der Atomproduktion wollte man das Risiko des Austritts von Radio-Aktivität bei einem Reaktor-Unfall vermeiden. Emissionsfrei würden Wind und Sonne jedes Risiko ausschalten. Allerdings kam man gleichsam vom Regen in die Traufe. Während AKW´s im Normalbetrieb kein CO2 emittieren, haben Braunkohle-Kraftwerke ständig einen beträchtlichen CO2-Ausstoß. Die in Deutschland emittierte Menge beträgt derzeit 150 Millionen Tonnen im Jahr. Durch die anhaltend große und noch steigende Produktion kann dieser Wert auch künftig nicht verringert werden. Insgesamt belastet Deutschland die Umwelt mit etwa 800 Millionen Tonnen CO2, sodass auf die Braunkohle allein knapp 19 Prozent entfallen. Technisch möglich ist die Abscheidung und Lagerung von CO2, die aber den Ausstoß nur um 10 Prozent senkt und ein weiteres Umweltproblem durch die Lagerung schafft. Wo bleibt eine Energiepolitik, die nachhaltig die Versorgung sichert? Schon der Ausstieg aus der Atomkraft hätte nicht ohne ein brauchbares Konzept für die künftige Stromversorgung stattfinden dürfen. Auch der Wechsel von Diesel- und Benzin-Fahrzeugen zu E-Autos ist ohne solide Alternativen nicht möglich. Angemerkt sei, dass in diesem Bericht nur festgestellt wird, dass der Strom nicht aus der Steckdose, sondern von einem Kraftwerk kommt und schon dieser Umstand überfordert die Energie- und Umweltpolitik. Zahlreiche andere Faktoren würden beim Abschied vom Öl den Strombedarf in die Höhe treiben und unter den derzeit gegebenen Bedingungen zum Zusammenbruch der Versorgung führen. Wir werden also bald im Dunkeln sitzen. So war hier nur die Rede vom schönen Traum, dass alle nur mehr in E-Autos fahren. Nicht erwähnt wurde, dass in Deutschland 2,5 Millionen Nutzfahrzeuge unterwegs sind, von denen viele etwa 30 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbrau- 13. Mai 2016 chen. Kein Wort auch von den Autobussen. Zudem kein Hinweis auf die Ölheizungen, die sogar durch den niedrigen Ölpreis derzeit an Attraktivität gewinnen. Keine Bemerkung, dass auch Erdgas ein fossiler Energieträger ist. Es wurde auch argumentiert, als ob die E-Autos bereits voll ausgereifte Fahrzeuge wären. Nicht erwähnt wurde, dass die Batterien nur eine beschränkte Reichweite ermöglichen, dass beim Ausfall der Akkus das Auto steht, dass das Aufladen der Akkus längere Zeit dauert. Wozu auch diese Themen vertiefen, wenn schon die Frage nach der Deckung des Zusatzbedarfs von mindestens 140 Milliarden kWh „nur“ beim Wechsel zum elektrischen PKW nicht beantwortet wird. Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. Innovation München bekommt Carsharing-Flotte mit Wasserstoff-Antrieb Der Technologie-Konzern Linde startet ein eigenes Carsharing-Projekt in München D er Technologiekonzern Linde schickt 50 Autos mit Brennstoffzellen ab kommendem Sommer durch München. Es ist das weltweit erste Carsharing-Angebot, das ausschließlich Brennstoffzellenfahrzeuge einsetzt. Unter dem Namen „Bee Zero“ sollen die SUV vom Typ Hyundai ix35 Fuel Cell in der Innenstadt zur Buchung online oder per Handy-App bereitstehen. Die Autos mit 136 PS starkem E-Motor werden mit Wasserstoff betankt und betrieben. Das Auffüllen übernimmt dabei der Carsharing-Anbieter. Der Konzern Linde zählt die Aufbereitung und Verarbeitung von Gasen zu seinem Kerngeschäft und unterhält in München eine von rund 34 Wasserstofftankstellen bundesweit – im Umland gibt es sieben Anlagen. Mit dem Konzept für „BeeZero“ will die Linde Group zwei aktuelle Mobilitätstrends miteinander verbinden: Car- sharing und emissionsfreies Fahren. Carsharing drängt seit geraumer Zeit aus der Nische und erlebt aktuell einen regelrechten Boom mit neuen Nutzerrekorden. Das Modell, Autos zu teilen statt zu besitzen, könnte nach Voraussagen führender Experten in Zukunft das Konzept vom privaten Auto ganz ablösen. Entsprechend haben viele große Autobauer und auch Technologiekonzerne ihre eigenen Carsharing-Projekte entwickelt. Linde reiht sich hier ein mit BMW, Daimler, Opel oder auch dem Zulieferer Bosch, der ebenfalls mit eigenen digitalen Diensten von dem Trend zum Auto als Dienstleistung statt als Statussymbol profitieren will. Beim emissionsfreien Fahren geht es aktuell meist um Elektro-Antriebe mit Batterien: Brennstoffzellen galten im Vergleich bisher als kompliziert und der Treibstoff Wasserstoff als gefährlich im Vergleich zur Steckdose. Da die Erzeugung Mit BeeZero will Linde von den beiden Trends Carsharing und emissionsfreiem Fahren profitieren. Foto: LindeGroup von Wasserstoff in der Regel viel Energie benötigt, wird die Brennstoffzelle zudem oft als nur mittelmäßig klimafreundlich angesehen. Für die BeeZero-Flotte verwendet Linde nach eigenen Angaben daher nur Wasserstoff, der vollständig mit grünen Methoden erzeugt wird, womit das Konzept gänzlich CO2-neutral sei. Auch Konkurrent Audi und andere arbei4 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 ten an grünen Kraftstoffen, die ohne CO2Ausstoß auskommen. Doch in dem Wettbewerb gibt es auch neue Entwicklungen. Ein ionischer Kompressor und eine sogenannte Kryopumpe sollen den Betankungsprozess effizienter und sparsamer machen. Möglich wird dies durch eine Verdichtung des zu betankenden Wasserstoffs auf bis zu 900 bar und tiefkaltem Wasserstoff, der bei minus 253°C verflüssigt wurde. Somit könne auf minimaler Fläche und mit niedrigem Stromverbrauch ein hoher Durchsatz erfolgen, so Linde. Zu den Stärken der Brennstoffzellenfahrzeuge zählt im Vergleich mit dem Batteriebetrieb ihre Reichweite: Mit einer Tankfüllung Wasserstoff können die Autos laut Linde derzeit mehr als 400 Kilometer zurücklegen. Wasserstoff-Autos eignen sich daher auch für Fahrten mittlerer Länge, wohingegen E-Autos derzeit immer noch hauptsächlich auf den Stadtverkehr beschränkt sind. Ein Ausflug aus der Münchner Innenstadt zu den umliegenden Seen oder in die Berge ist ohne Probleme mit einer Wasserstoff-Tankfüllung möglich. Batteriebetriebene Elektrofahrzeuge müssten hingegen unterwegs aufgeladen werden. Was die aktuelle staatliche Förderung für emissionsfreie Antriebe anbelangt, 13. Mai 2016 so sind auch hier derzeit hauptsächlich E-Autos mit Batterien gemeint. Dennoch werden Brennstoffzellen-Fahrzeuge in Deutschland künftig staatlich genauso gefördert wie Autos mit Hybrid-Antrieb. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht also eine Kaufprämie von 3.000 Euro vor. Ansonsten bleiben die WasserstoffAntriebe jedoch in einem wichtigen Punkt der Förderung außen vor: Zum E-Auto-Paket des Autogipfels gehört die Förderung des Baus von Lade-Stationen mit weiteren 300 Millionen Euro bis 2020, davon 200 Millionen für Schnellladestationen. Von Wasserstoff-Tankstellen ist jedoch keine Rede. Handel TTIP: USA wollen EU-Gerichte umgehen US-Banken fürchten, von europäischen Gerichten wegen der Schulden-Krise belangt zu werden V iele Beobachter fragen sich in Europa, warum die US-Verhandler beim TTIP solchen Zeitdruck entwickeln. Denn wenn es sich um ein gutes und faires Abkommen handelt, das noch dazu Maßstäbe für den Welthandel setzen will, sollte es auf einige Monate mehr oder weniger nicht ankommen. Doch offenbar wissen die Amerikaner, dass es zu ernsten Problemen mit den EU-Staaten schon in nächster Zeit kommen könnte. Der Grund ist die Schuldenkrise. In den vergangenen Jahren haben amerikanische Banken europäischen Kommunen und Unternehmen im großen Stil Finanzprodukte verkauft und Kredite gewährt – mit dem Hinweis, dass man das Kleingedruckte nicht genau zu lesen brauche. Die klammen, europäischen Kommunen und die naiven Unternehmen haben das Geld gerne genommen, um ihren Wählern Geschenke zu machen oder ihre Marktanteile zu sichern. Doch nun kommt an vielen Stellen das böse Erwachen. Daher ist es im Zuge des Katers nach dem Crash zu einer regelrechten Klagewelle gekommen. Ein Beispiel: Erst vor wenigen Jahren hatte die Stadt Pforzheim JP Morgan verklagt. Die Bank hatte den Kämmerern ein undurchsichtiges Produkt angedreht. 2011 urteilte der BGH, dass die Beratungsanforderung bei kom- plexen Produkten besonders hoch sei. Ein Mittelständler hatte gegen eine Bank geklagt, die ihm eine hochspekulative Zinswette verkauft hatte. Der BGH gab dem Unternehmen Recht und kam zu dem Urteil: „Bei einem so hochkomplex strukturierten und riskanten Produkt wie dem CMS-Spread-Ladder-Swap-Vertrag sind hinsichtlich der Risikodarstellung des Anlageprodukts hohe Anforderungen an die beratende Bank zu stellen.“ Die Stadt Pforzheim berief sich auf das Urteil – und forderte von JP Morgan 57 Millionen Euro. Der Oberbürgermeister sagte der Stuttgarter Zeitung damals: „Dieser Ansatz – Verletzung der Beratungspflichten oder nicht – ist vollumfänglich auf uns anwendbar. Hinzu kommt, dass wir eine Kommune sind und für Kommunen gilt ein Spekulationsverbot. In dem Verfahren jetzt ging es ja um ein Unternehmen, das, wenn Sie sich das Bei TTIP geht es nicht nur um die zukünftige Möglichkeit für US-Unternehmen vor Schiedsgerichten zu klagen, sondern es gilt, jetzt Gerichtsverhandlungen vor EU-Gerichten zu verhindern. Foto: Flickr/ Dennis Skley/CC by nd 2.0 5 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 BGH-Urteil ansehen, ganz anders zu behandeln ist. Deshalb sind wir nun sehr guten Mutes, dass wir obsiegen werden.“ Und weiter: „Da halte ich es mit Margret Thatcher, der früheren britischen Premierministerin, die den Satz prägte: ,I want my money back.‘ Die 57 Millionen Euro fordern wir von JP Morgan.“ Im Jahr 2005 empfahl die Deutsche Bank der Stadt Pforzheim ein Finanzgeschäft mit sogenannten „Spread-LadderSwaps“ (CMS). Hierbei einigen sich Käufer und Bank anfangs auf einen Nominalwert des Geschäfts und schließen auf dieser Basis eine Wette über den Zinsabstand zwischen zweijährigen und zehnjährigen Staatsanleihen in den nächsten Jahren ab. Vergrößert sich der Spread, entsteht daraus ein Gewinn für den Käufer. Zunächst hatten sich die Swaps zugunsten der Stadt Pforzheim entwickelt, doch plötzlich hatten sie „innerhalb weniger Monate einen unglaublich negativen Verlauf“, erklärt Michael Strohmayer den Deutschen Mittelstands Nachrichten. Bis ein Verlust von 20 Millionen eintrat. „Es gab hier auch keinen Boden, die Wetten hätten noch weiter laufen können bis beispielsweise 200 Millionen Euro Minus“. Deshalb entschied sich die damalige Regierung, sich von dem Finanzprodukt zu lösen. JP Morgan bat der Stadt einen Ausweg an. Die bestehenden Swaps von der Deutschen Bank wurden gespiegelt. „Das heißt, egal wie die Swaps verlaufen, haben die gespiegelten Swaps jeweils den gegenteiligen Effekt“. Aus Minus 20 Millionen sind dann Plus 20 Millionen, die den Verlust quasi ausgleichen sollten. Der Preis für dieses Angebot, so Strohmeyer, waren allerdings drei neue Swaps von JP Morgan, die am Schluss mit einem Minus von 57 Millionen Euro zu Buche standen. Die Stadt hat, als sie erfuhr, dass die Swaps ein Minus von bis zu 77 Millionen Euro erreichen können, im Herbst 2010 zur „Notlösung“ gegriffen. Sie kündigte das Geschäft und zahlte den Marktwert von 57 Millionen Euro. So wie der OB von Pforzheim denken viele europäische Politiker. Dies bereitet den amerikanischen Banken großes Unbehagen. Denn sie fürchten tausende Prozesse vor europäischen Gerichten. Nimmt man den BGH als Maßstab, dürften die europäischen Gerichte geneigt sein, hohe Maßstäbe an die Beratungspflichten anzulegen und damit den USBanken erheblichen Ärger bescheren. Mit dem TTIP wäre es möglich, den ordentlichen nationalstaatlichen Rechtsweg zu umgehen. Im Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass ein Urteil nur akzeptiert wird, wenn es gemäß „due process of law“ erfolgt ist. Dies bedeutet, dass es eine verfassungsmäßige Garantie geben müsse, dass ein Gesetz nicht „unvernünftig, beliebig oder willkürlich“ sein dürfe. So versteht sich das angelsächsische „common law“. Der Interpretation sind hier keine Grenzen gesetzt – weshalb es im internationalen Recht auch die Schiedsgerichte gibt: Sie sollen den Streitparteien die Grundsatz-Debatten ersparen und gleich zum Wesentlichen führen – zu einer Einigung auf eine Summe, die zu bezahlen ist. Die Amerikaner fühlen sich im Zuge der Prozesse wegen der Finanzprodukte allerdings vor europäischen Gerichten so unsicher wie auf Hoher See. Sie fürchten, dass nun zahllose europäische Institutionen auf die Idee kommen könnten, wie der OB von Pforzheim zu sagen: „I want my money back.“ Der US-Botschafter in Italien hat dieses Unbehagen – wohl etwas unbedacht – artikuliert und damit die Katze aus dem Sack gelassen. Seine grundsätzlichen Bemerkungen erklären, warum die Amerikaner es mit dem TTIP so eilig haben. Der Fall hat eine einfache Vorgeschichte: Ein italienischer Staatsanwalt hatte die US-Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch angeklagt, weil sie die Kreditwürdigkeit Italiens in Misskredit gebracht hätten. Das Verfahren gegen Moody’s war nie eröffnet worden. Der Prozess gegen Fitch wurde nach Mailand abgegeben und dort eingestellt, wie die Ratingagentur mitteilte. Nun ermittelt derselbe Staatsanwalt in Trani, Apulien, gegen die Deutsche Bank und fünf ehemalige Vorstände wegen angeblicher Marktmanipulation. Unter ihnen sind auch die früheren Vorstandschefs Josef Ackermann und Anshu Jain. Die Deutsche Bank hatte im ersten Halbjahr 2011 sieben Milliarden Euro an italienischen Staatsanleihen verkauft, fast 90 Prozent ihres Gesamtbestandes. Staatsanwalt Michele Ruggiero hält das für an- 13. Mai 2016 rüchig, nachdem die Analysten der Bank Anfang 2011 ihre Kunden noch beruhigt hätten, dass die Staatschulden Italiens keinen Grund zur Besorgnis gäben, wie es in Ermittlerkreisen heißt. In Trani wird außerdem immer noch gegen den früheren Italien-Analysten von Fitch, David Riley, und gegen fünf S&P-Manager verhandelt. Die Schuldenkrise hatte letztlich zum Sturz der Regierung von Silvio Berlusconi beigetragen. Die Aussage von John Phillips, dem US-Botschafter in Italien, macht klar, dass die Amerikaner mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen. Phillips wählte genau die Argumentation, die die Grundlage für Freihandelsabkommen vom Stile des TTIP sind. Phillips kritisierte das Vorgehen der Justiz gegen die Ratingagenturen scharf und sagte laut Reuters im April vor Studenten in Mailand: Das Justizsystem des Landes schrecke Investoren ab. In den USA wäre es schwer vorstellbar, dass ein solcher Prozess außerhalb der Finanzzentren geführt würde, wo die Staatsanwälte Erfahrung mit dem Wertpapierrecht hätten. Er kritisierte, dass Manager in Italien auf Grundlage eines Haftbefehls aus einer Kleinstadt ohne Bezug zu S&P festgehalten würden. Ruggiero war auf die Beschwerde von Verbraucherschützern hin tätig geworden, die bei den Behörden in Rom und Mailand vorher abgewiesen worden waren. Mit dem TTIP wäre ein Gericht in Trani überhaupt nie zum Zug gekommen. Der Streit wäre vermutlich nicht einmal zwischen Italien und den betreffenden US-Banken oder Ratingagenturen ausgetragen worden, sondern vor einem Schiedsgericht gelandet, auf das die geschädigten Konsumenten keine Einfluss haben und vor dem es ihnen kaum möglich wäre, ihr Recht zu erstreiten. Denn die US-Banken und Finanzinstitutionen sind, wie die Aussage von Phillips erkennen lässt, der Meinung, dass kleine Gerichte überhaupt keine Ahnung vom internationalen Wertpapierrecht haben – und daher das Prinzip des „due process of law“ nicht gewährleistet sei. Eigentlich gilt dieser Ansatz in erster Linie für Staaten mit unterentwickelten oder korrupten Rechtssystemen. Doch die Komplexität der Finanzprodukte ist so groß, dass 6 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 man ein ordentliches Gericht in Europa durchaus als überfordert bezeichnen kann. Phillips‘ Drohung, dass Investoren vom unzulänglichen Rechtssystem in Italien abgeschreckt würden, führt ins Herz des TTIP: Die Amerikaner wollen sicherstellen, dass nach ihren Regeln gespielt wird: Auch vor Gericht – und überall auf der Welt, und vor allem für Machenschaften, die in der Vergangenheit liegen. Dass das Römische Recht, auf dem viele europäische Rechtssysteme basieren, aus Italien kommt, tut nichts zur Sache. Denn anders als vermutet, machen die Amerikaner beim TTIP nicht Druck wegen zukünftiger Tricksereien, sondern wegen solcher, die im Zuge der Finanzkrise bereits tausendfach verübt wurden. Sie wollen also nicht in erster Linie gegen die EU-Staaten klagen können. Sie wollen verhindern, dass die US-Banken von 13. Mai 2016 EU-Bürgern, Kommunen oder Unternehmen vor ordentlichen Gerichten wegen fragwürdiger Kredit- und Wett-Geschäfte verklagt werden. In der immer noch unvermindert schwelenden Schulden-Krise sind Trani und Pforzheim für die Amerikaner eine echte Bedrohung – auch wenn die TTIP-Verhandler zunächst vermutlich lange auf der Landkarte suchen müssen, wo sich diese verdammten Orte überhaupt befinden. Finanzen Lebensversicherung: Das Ende der Überschüsse Die Policen-Inhaber von Lebensversicherungen werden durch die Zinsbaisse hart getroffen D as Tiefzinsumfeld bringt Lebensversicherungen in arge Schwierigkeiten. Sie haben in der Vergangenheit, vor allem in den Jahren 1995 bis und mit 2003, aufgrund einer rückwärts gewandten Formel hohe Garantiezinsen gewährt. Doch ihr Geschäftsmodell lässt sich bei der Zinsbaisse seit 2010 in Europa nicht mehr einhalten. Die buchhalterische Praxis und das ausgeklügelte System mit Reserven und Puffern gewähren etwas Aufschub, aber keinen vollständigen Schutz mehr. Die 2011 in Deutschland eingeführte Zinszusatzreserve beschleunigt in der Zukunft die Krise der Lebensversicherung. Die Garantien für die Altverträge mit hohen Garantiesätzen werden durch reduzierte Überschüsse bei den neueren Verträgen mit niedrigen Garantiesätzen finanziert. Lebensversicherungen sind im Deutschland der Nachkriegszeit ein relativ junges Produkt. Sie sind ein wichtiges Sparprodukt, das vor allem seit den 1980er Jahren als Ergänzung zur umlagefinanzierten Rente regulatorisch und steuerlich gefördert wurde. Lebensversicherungen haben vor allem in den 1980er, 1990er Jahren und frühen 2000er Jahren massiv zugelegt. Dies war auch eine Folge der Deregulierung des Versicherungsmarktes in der Mitte der 1990er Jahre. Die Lebensversicherer schrieben Policen mit hohen Garantien von 3.5 Prozent (1987-94), 4 Prozent (1995-Juni 2000) und 3.25 Prozent von Juli 2000 bis Ende 2003. Über diese hohen Garantien hinaus waren sie auch bis Anfang der 2000er Prämieneinnahmen und Bilanzsumme der Lebensversicherungen in Deutschland. Jahre fähig, hohe Überschüsse zu erwirtschaften, hauptsächlich weil sie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verstärkt in Aktien investierten. Die Nettorendite der Anlagen der Versicherer (blaue Linie) bezeichnet die nominale Rendite auf den Buchwertanlagen. Sie schließt neben den laufenden Renditen auch die Bewertungsgewinne oder -verluste auf Realisaten ein. Diese Nettorendite betrug bis zum Jahr 2000 immer 7 Prozent und mehr. Sie ist in den 2000er Jahren zunächst auf 5 Prozent, später auf 4 Prozent gefallen. In den letzten Jahren ist sie durch massive Realisate überzeichnet. Die laufende Rendite (rote Linie) gibt ein realistischeres Bild ab. Sie bezeichnet die Summe von Garantiesätzen und Überschusszuweisungen auf dem Altbestand. Sie ist von ebenfalls 7 Prozent bis und mit 2000 auf 4 Prozent Quelle: GDV in den 2000er Jahren und jetzt erstmals unter 3 Prozent im Jahr 2016 gefallen. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen (gelbe Linie) zeigt, wohin die Reise in der Zukunft gehen könnte. Von ihrem Geschäftsmodell her investieren die Lebensversicherer hauptsächlich und – auf den ersten Blick erstaunlicherweise – zunehmend in festverzinsliche Anlagen. Heute beträgt der Anteil festverzinslicher Anlagen – Obligationen, Kredite, Fonds, die in festverzinsliche Instrumente investieren – über 90 Prozent der gesamten Anlagen. Einzelne Versicherer mit höheren Gewichten für Aktienanlagen machten in den Jahren 2002 und wieder 2008 sehr unangenehme Erfahrungen. Die Erträge der sehr guten Jahre 1995-1999 oder 2004-2007 mussten jeweils zu hohen Prozentsätzen an die Policenhalter ausgeschüttet wer7 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 Performance-Indikatoren der Lebensversicherung. den – zu 50 Prozent als laufender Überschuss. Als aber wegen der Aktienbaisse hohe Verluste wie 2002 oder 2008 auftraten, wurden sie zu einem erheblichen Teil den Aktionären angelastet. Dieser Asymmetrie des Geschäftsmodells, die teilweise auch buchhalterisch begründet liegt, ist die Risikoscheu der Lebensversicherer bei ihren Anlagen zuzuschreiben. Das aus heutiger Sicht suboptimale Geschäftsmodell ist der Tatsache geschuldet, dass eine asymmetrische Anreizstruktur bei kurzen Zeithorizonten für die Anlagen auftritt – typischerweise einem Jahr. Betrachtet man die Struktur der Aktiven aller deutschen Lebensversicherungen etwas genauer, so lässt es sich als ein Portfolio von festverzinslichen Instrumenten mit überdurchschnittlich hoher Duration und guter Kreditqualität charakterisieren. Die modifizierte Duration lag Ende 2014 bei über 10. Eine solch hohe Duration bedeutet lange, im Durchschnitt 17 bis 20-jährige Laufzeiten bei relativ niedrigen Zinsen und dadurch hohe Zinsempfindlichkeit der Obligationen. Der Wert der Obligationen fällt (steigt) sehr stark bei einer Verschiebung der Zinsen über die ganze Kurve hinweg. Der Zukunftsertrag eines solchen Portfolios ist heute aufgrund des Nullzinsumfeldes und der Anleihenkäufe der EZB praktisch inexistent. Es gibt keinen Zins auf Jahre hinaus und selbst die Werterhaltung ist nicht garantiert. Die Quelle: GDV, Assekurata ganze Zinskurve, auch bis ins lange Ende, rentiert nicht mehr viel. Wäre das Portfolio deutscher Lebensversicherer ein zu Marktwerten bilanzierter Fonds mit Anteilscheinen, würde man als einzelner Investor die Anteile sofort verkaufen. Die Zinsen, gerade die langen Zinsen, sind in den letzten Jahren gewaltig gesunken. Dadurch haben die Obligationen mit langer und sehr langer Laufzeit sehr hohe Kursgewinne erzielt. Gewinne mitnehmen und eine andere Anlagemöglichkeit suchen, wäre die Devise. Was für den einzelnen Anleger in einen Fonds korrekt wäre, trifft für die Versicherten bei einer Lebensversicherung nicht zu. Vor allem bestimmte Gruppen von Versicherten haben allen Grund, an Bord zu bleiben. Drei Gründe sind hauptsächlich dafür verantwortlich: 13. Mai 2016 1) Die viel höheren Buchwert-Renditen der Vergangenheit, welche die Obligationen im Portfolio enthalten, sind immer noch für die Bemessung der Zinsgutschriften wichtig. Eine Lebensversicherung bewertet das Obligationenportfolio für ihre Ausschüttungen nicht zu Marktwerten, sondern zu Buchwerten, genauer zu fortgeführten Anschaffungskosten (engl. amortized cost). Die jährliche Rendite einer Obligation oder eines Darlehens setzt sich dabei aus zwei Komponenten zusammen: dem Zinssatz auf Verfall bei der Anschaffung plus der linearen Wertkorrektur der Obligation bis zur Rückzahlung. Wurde eine Obligation statt gleichmäßig zu 98 oder zu 105 Prozent Kurswert gekauft, wird sie bei Verfall zu 100 Prozent zurückbezahlt. Diese Differenz zwischen Kaufwert und Verkaufswert wird über die Zeit linear abgeschrieben. Sie kommt zum nominellen Zinsertrag hinzu. 2) Die Versicherten genießen, was auch immer sich im Obligationen-Portfolio abspielt, einen garantierten Mindestzins und ebenso bereits zugeschriebene und damit garantierte Überschüsse aus der Vergangenheit. Der Versicherte hat nicht nur Garantien und Anwartschaften, sondern auch Optionalitäten, die es attraktiv machen können, in der Lebensversicherung zu verbleiben. 3) Lebensversicherungen haben ein ausgeklügeltes System von Puffern, Reservefonds und Schutzmechanismen, welches robust ist. Allerdings ist es keineswegs für ein anhaltendes Tiefzinsumfeld konzipiert. Struktur der Anlagen der deutschen Lebensversicherer und Kreditqualität der Festverzinslichen. Quelle: Assekurata, Marktausblick zur Lebensversicherung 2015 / 2016 8 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 Komponenten der Renditen auf dem Sparteil von Lebensversicherungen. Quelle: Assekurata, verschiedene Studien seit 2004 Ein zentraler Teil der Wertschöpfung der Lebensversicherung ist oder besser war es, aus einem an sich sehr volatilen Portfolio (Obligationenportfolio mit hoher Duration und sehr guter Kreditqualität) eine über die Zeit hinweg ziemlich stabile Verzinsung einerseits und einen garantierten Zins andrerseits zu bieten – dies bei großer Fairness zwischen den verschiedenen Gruppen von Versicherten. Denn ein Obligationenportfolio hoher Kreditqualität (und damit relativ gesehen niedriger Zinsen) und langer Duration unterliegt bei substantiellen Zinsverschiebungen hohen Schwankungen der Marktwerte. Doch die buchhalterische Sonderbehandlung währt nicht ewig. Läuft eine gut rentierende Obligation aus, die vor 10 Jahren mit einer Rendite von 5 Prozent gekauft wurde, so muss sie im jetzigen Umfeld allenfalls durch eine Obligation mit Nullzins oder leicht darüber ersetzt werden. Und diese wird dann in die Erträge der nächsten 10 bis 15 Jahre eingehen. Gemäß einer Bundesbank-Untersuchung von 2014 entspricht die Nettoverzinsung der Kapitalanlagen von Lebensversicherern in Deutschland über längere Zeiträume ungefähr der Rendite sechsjähriger Bundesanleihen plus einem Zuschlag für das Kreditrisiko.1 Die verschiedenen Erhebungen der Duration des Portfolios deutscher Lebensversicherer für die letzten drei Jahre2 zeigen, dass die durchschnittlichen Laufzeiten deutlich erhöht worden sind – dies in einem Tiefzinsumfeld. Die Lebensversicherer kauften vor allem Staatsanleihen mit langen Laufzeiten, hauptsächlich höchster und sehr hoher Kreditqualität (AAA und AA). Sie konzentrierten sich auf Bundesanleihen und Anleihen supranationaler Organisationen, teilweise aber auch Staatsanleihen anderer Euro-Länder, die mehr als die Bundesanleihen rentierten. Umgekehrt wurde aus aufsichtsrechtlichen Gründen die Eigenmitteldecke aufgestockt, indem die Lebensversicherer Realisate bei bisher gehaltenen Obligationen tätigten. Sie verkauften Obligationen mit hohen Renditen und Bewertungsreserven vor der Rückzahlung und konnten so hohe einmalige Bewertungsgewinne erzielen – deshalb die ungewöhnlich hohen Nettorenditen der Anlagen in den letzten Jahren. Es ist daher nicht einfach, genau abzuschätzen, was die Effekte auf die Portfoliorendite einerseits und die Duration wirklich sind. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Netto-Rendite des Portfolios exklusive der Realisate erheblich gesunken ist und dass sich die Phase niedriger Zinserträge lange, über 10 Jahre und darüber hinaus, hinziehen wird. Eine Indikation liefert die Gesamtverzinsung des Altbestandes. Deren Rendite ist von über 5 Prozent im Jahre 2010 auf rund 3.5 Prozent für 2016 gefallen und dürfte in den Folgejahren einen weiteren steilen Absturz erleiden. Auch die Gesamtverzinsung enthält noch Realisate, vor allem in den Investment-Fonds. Mit anderen Worten werden die 13. Mai 2016 Versicherten verzögert und über einen langen Zeitraum von bis zu 10 Jahren massiv rückläufige Erträge auf ihren Sparguthaben bei Lebensversicherern erhalten. Doch das trifft nicht alle Versicherten gleichmäßig, ganz im Gegenteil. Es gibt im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld Versicherte, die enorm profitieren. Und andere sind dafür umso mehr benachteiligt. Um dies verstehen zu können, ist ein kleiner Exkurs über Lebensversicherungen nötig. Eine Lebensversicherung ist vom Grundprinzip ein strukturiertes oder aus einem Risiko- und einem Sparteil zusammengesetztes Produkt. Der Risikoteil kann eine Todesfall- und/oder eine Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitsversicherung betreffen – der Sparteil eine Garantieversicherung oder eine fondsgebundene (engl. unit linked) Police. Die Prämie, die der Versicherte beispielsweise monatlich einzahlt, hat entsprechend eine Kosten-, eine Risiko- und eine Sparkomponente. Die Kosten für Vertrieb und Abschluss werden in den ersten Jahren der VertragsLaufzeit dem Versicherten belastet. Die Prämie für die laufenden Kosten spielt auch später eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem bei niedrigen Zinsen. Am Anfang reduziert sich somit die Ersparniskomponente erheblich. Die Garantieverzinsung wie allfällige Überschüsse bei einem Garantieprodukt beziehen sich immer nur auf den Sparteil der Prämie, nicht auf die gesamte Prämie. Kosten und Risiko stellen je nach Produkt, Versicherung und Vertragsbeginn ungefähr 10-20 Prozent der Prämienzahlung dar. Damit der Zinseffekt der Ersparnis erheblich werden kann, ist eine längere Ansparperiode von mehreren Jahren wichtig. Dann spielt die Verzinsung der angehäuften Sparprämien eine immer größere Rolle gegenüber den laufenden Einzahlungen wie auch gegenüber den laufenden Kosten. Das Sparprodukt wird entweder als einmalige Kapitalauszahlung, meist bei erreichtem Rentenalter, oder als laufende Rente bis zum Todesfall ausbezahlt. In Deutschland dominiert heute die laufende Rente gegenüber Kapitalauszahlungen, welche bis in die 1990er Jahre die überwältigende Mehr9 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 heit darstellten. Die Erträge von Lebensversicherungen bestehen für die Versicherten im Wesentlichen aus drei verschiedenen Komponenten: 1) dem Garantiezins, der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Lebensversicherung galt und der dem Kunden für die ganze Laufzeit der Police auf seinem Sparbeitrag garantiert ist. Versicherte, welche 1995 bis Juni 2000 einen Vertrag abschlossen, erhalten 4 Prozent, unabhängig bei welcher Versicherung sie den Vertrag abschlossen. Versicherte, welche seit 2014 einen Vertrag abgeschlossen haben, dagegen nur 1.25 Prozent, unabhängig von der Versicherung. 2) den laufenden Überschüssen über den Garantiezins hinaus, die den Kunden während der Laufzeit des Vertrages pro Jahr gutgeschrieben werden. Diese laufenden Überschüsse sind im Voraus nicht garantiert, sondern abhängig vom Investitionserfolg des VersicherungsPortfolios im vergangenen Jahr. Sie werden jedes Jahr von der Versicherung gegen Jahresende neu festgelegt und dann dem Kunden gutgeschrieben. Sind die Gutschriften einmal gutgeschrieben, so sind sie genauso garantiert wie die Garantiebestände. Im Unterschied zu den Garantiezinsen differieren die laufenden Überschüsse je nach Versicherung und teils systematisch über die Zeit hinweg. 3) den Schlussüberschüssen, die bei Ablauf der Vertragsdauer zur Verfügung stehen. Die Versicherung wird, auch aus regulatorischen Gründen, nicht alle Überschüsse sofort ausschütten, sondern eine Reserve aufbauen. Diese steht dann als Schlussüberschuss für einmalige Kapitalleistungen oder für laufende Renten zur Verfügung. Dieser Schlussüberschussfonds stellt einen Puffer und eine Reserve für unvorhersehbare Entwicklungen dar. Auch diesbezüglich gibt es Unterschiede zwischen den Versicherungen. Die folgende Grafik zeigt nun, wie sich diese Komponenten über die Zeit hinweg entwickelt haben. Sie vermitteln auch einen Eindruck, was die zukünftige Dynamik sein wird. (Siehe Seite 10). Was sich abzeichnet, sind verschiedene Trends: Die Garantiezinsen auf dem Altbestand und die laufenden Über- schüsse fallen seit rund 2010 deutlich zurück. Die jährlich verbuchten Garantiezinsen sind von durchschnittlich 3.30 Prozent im Jahr 2010 auf 2.59 Prozent im Jahr 2015 gefallen – die durchschnittlich gutgeschriebenen laufenden Überschüsse von 0.9 Prozent auf 0.6 Prozent. Die Schlussüberschüsse beziehungsweise die Schlussüberschussfonds dagegen sind bisher praktisch unverändert geblieben. Doch hinter diesem Bild verstecken sich eine Komplexität und ein erhebliches Risikopotential. Die Reduktion der Garantiesätze ist nicht nur das Ergebnis der natürlichen Umwälzung des Kundenportfolios und der stark gesunkenen Garantiesätze im Neugeschäft. Die reduzierten Garantiesätze entspringen vor allem auch prudentiellen Eingriffen durch den Regulator. Auf dem Altbestand sinken die durchschnittlichen Garantiesätze normalerweise jedes Jahr nur einige wenige Basispunkte. Sie liegen aktuell bei rund 2.97 Prozent. Als die Zinsbaisse sich abzuzeichnen begann, hat die BaFin 2011 vorsorglich eine zusätzliche Sicherung eingebaut, die sogenannte Zinszusatzreserve. Diese repräsentiert eine zusätzliche Deckungssicherheit auf der Passivseite der Versicherungsbilanz. Sie zu vermehren, bedeutet in der Gewinn- und Verlustrechnung einen Aufwand, der durch einen zusätzlichen Ertrag erwirtschaftet werden muss. Dieser Ertrag resultiert in den meisten Fällen aus Verkäufen von Obligationen oder anderen festverzinslichen Instrumenten mit Bewertungs- 13. Mai 2016 reserven. Mit anderen Worten tritt ein außerordentlicher Ertrag ein, welcher der Realisierung von stillen Reserven entstammt. Bilanzmäßig bedeutet dies eine Verlängerung der statutarischen Bilanz. Die Aktiven werden durch die Realisate erhöht und auf der Passivseite werden dadurch zusätzliche Reserven geschaffen. Ziel dieser Übung ist es explizit, den ausgewiesenen Garantiesatz auf dem Altbestand zu senken. Diese Differenz zwischen dem Garantiesatz vor und nach der Zinszusatzreserve ist 2015 auf 38 Basispunkte angestiegen, was schon viel ist. Sie wird sich in den kommenden Jahren enorm ausweiten – auf schätzungsweise 70 bis 100 Basispunkte. Grund dafür ist die Entwicklung des Referenzsatz für die Zinssatzreserve. Ähnlich der Formel für den Garantiesatz im Neugeschäft hat das BaFin 2011 einen gleitenden Durchschnitt der vergangenen 10 Jahre als Referenzsatz festgelegt (blaue Balken) – dies aber für die Zero-Coupon Swap-Rate mit 10-jähriger Laufzeit (jährliche Werte, grüne Balken). In den nächsten Jahren wird in diesem gleitenden 10-Jahresmittel jedes Jahr ein Zinssatz von rund 4 Prozent herausfallen und durch einen Satz von ca. 0-1 Prozent ersetzt werden. Das bringt einen jährlichen Rückgang des gleitenden Mittels von rund 30 Basispunkten, vielleicht noch mehr. Die Versicherungen müssen ihr Deckungskapital im Ausmaß der Differenz zwischen diesem so berechneten Refe- Wirkung der Zinszusatzreserve auf den durchschnittlichen Garantiesatz Quelle: Assekurata, Überschussbericht 2015/16 10 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 renzsatz und dem Garantiesatz jeder Tarifgeneration als Zinszusatzreserve zurückstellen. Beispiel: Der Referenzsatz für die Zinszusatzreserve betrug 2011 erstmals weniger als 4 Prozent, nämlich 3.91 Prozent. Damit mussten für alle Verträge mit einem Garantiesatz von 4 Prozent Neun Vierhundertstel des Deckungskapitals (0.09 von 4 Prozentpunkten) als Zusatzreserve zurückgestellt werden. Im Folgejahr 2012 sank der Referenzsatz auf 3.63 Prozent. Damit mussten von den Verpflichtungen mit 4 Prozent Garantiesatz weitere 28 Vierhundertstel des gesamten Deckungskapitals dieser Tarifgruppe zurückgestellt werden. 2013 sank der Referenzsatz auf 3.41 Prozent. Damit mussten nicht nur weitere 22 Vierhundertstel des 4 Prozent-Deckungskapitals, sondern erstmals auch Neun 35stel des 3.5 Prozent Garantie-Deckungskapitals zurückgestellt werden. Der zu erwartende scharfe Rückgang des Referenzsatzes bewirkt also, dass jedes Jahr immer mehr Verträge – bisher mit Garantiesätzen von 4 Prozent, 3.5 Prozent, 3.25 Prozent, 2016 dann die Verträge mit 3 Prozent, 2017 wohl diejenigen mit 2.75 Prozent, 2018 diejenigen mit 2.25 Prozent – nachreserviert werden müssen. Die Summe der Zinszusatzreserve wird dadurch explosionsartig und exponentiell in die Höhe springen. Bisher und inklusive 2015 betrifft diese Nachreservierung rund 32 Milliarden Euro. Bis 2019/20 kann diese Summe auf rund 150 Milliarden Euro ansteigen, wenn die Zinssätze auf dem gegenwärtigen Niveau verbleiben – oder erst recht, wenn sie noch weiter sinken. Die Zinszusatzreserve ist bisher ohne Nebengeräusche über die Bühne gegangen. Das hängt damit zusammen, dass Referenzsatz für die Zinszusatzreserve ihre Größenordnung bisher limitiert ist und sie vom Regulator wie von den Versicherungsgesellschaften als Sicherstellung verkauft werden konnte. Sie hat tatsächlich diese eine vorteilhafte, aber daneben auch zwei unliebsame Wirkungen. Die vorteilhafte Wirkung ist klar: Es gibt eine zusätzliche Deckungssicherheit, und der Garantiesatz im Altbestand sinkt durch diese Rückstellung beschleunigt. Das Bild bisher vermittelt den Eindruck, die Versicherung und die Versicherten zu stärken. Doch das Ganze hat ganz erhebliche, unliebsame Nebenwirkungen. Die Zinszusatzreserve wird primär durch Realisate geschaffen, vor allem auf Obligationen mit Bewertungsreserven. Die so geschaffenen Cash-Bestände müssen dann zu aktuellen Marktsätzen wieder in neue festverzinsliche Instrumente reinvestiert werden. In der Realität werden somit gut rentierende Obligationen aus der Vergangenheit durch solche mit praktisch Nullzinsen abgelöst. Mit anderen Worten sinkt nicht nur der Garantiesatz auf dem Altbestand, sondern ebenso die Portfoliorendite für Deckungskapital der Lebensversicherer nach Garantiesätzen. Quelle: Assekurata, Überschussbericht 2015/16 13. Mai 2016 Quelle: heistermannconsulting.de die Zukunft. Die Rendite dieser Zukäufe liegt wieder viel tiefer als selbst die reduzierte Garantierendite auf dem Altbestand. Das vom BaFin vorgeschriebene Vorgehen zur Sicherstellung von hohen Garantien aus der Vergangenheit löscht also das Zukunftspotential dieses Portfolios beschleunigt aus. Wenn eine dauerhafte Niedrigzinsphase eintritt, dann hat dieses Vorgehen einen Beschleunigereffekt auf die Krise der Lebensversicherung. Das Vorgehen ist nur geeignet, vorübergehende Schwierigkeiten aufzufangen, aber keinesfalls eine lange Niedrigzinsphase zu bewältigen. Im Gegenteil: Die für die nächsten Jahre zu erwartende Zuweisungen in die Zinszusatzreserve gefährden Versicherung und Versicherte über den normalen, aus dem Verfall von Obligationen mit hohen Buchwertrenditen resultierenden Zinssenkungseffekt zusätzlich und vorzeitig. Die Zinszusatzreserve stabilisiert die Garantieverpflichtungen der in den 1980er und 1990er Jahren verkauften Versicherungen mit hohen bis sehr hohen Garantiesätzen von 3.5 Prozent und 4 Prozent. Das sind hauptsächlich Kapitalversicherungen, die in den nächsten Jahren bis ungefähr 2030 ausbezahlt werden. Eine Kapitalversicherung beinhaltet eine einmalige Auszahlung des angesparten Kapitals bei Renteneintritt. Umgekehrt belastet sie vor allem diejenigen Rentenversicherungen mit tiefen Garantiesätzen. Das sind mehrheitlich Rentenversicherungen, die von 2007 an (2.25 Prozent Garantiezins) und vor allem in den 2010er Jahren (2.25 Prozent, 1.75 Prozent und 1.25 Prozent Garantiezins) gezeichnet worden sind. Diese Rentenversicherungen haben niedrige Garan11 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |18/16 tiezinsen und werden bald sehr niedrige oder sogar keine laufenden Überschüsse mehr erhalten. Dies unter der Voraussetzung, dass die Zinsen in den nächsten Jahren nahe bei Null bleiben. Damit zeichnet sich für die Versicherten folgende Gesamtdynamik bei den Lebensversicherungen ab. Sehr gut ist die Konstellation für diejenigen Versicherten, welche in den 1980er und 1990er Jahren eine Kapitalversicherung abgeschlossen haben. Sie haben damals in der Ansparphase bis zu Beginn der 2000er Jahre von laufenden Verzinsungen von rund 7 Prozent profitiert, dies Jahr für Jahr. Damit haben sie sehr rasch eine Ersparnis aufgebaut und haben auch in den 2000er Jahren noch anständige laufende Verzinsungen von 4 Prozent und darüber erhalten. Da sie hohe Garantiesätze von 3, 3.5 und 4 Prozent haben, auch für die Zukunft, wird ihr bereits sehr stattlich gefülltes Kapital real, d.h. nach Abzug der Inflation und der laufenden Kosten, immer noch sehr gut verzinst werden. Diese Generation von Versicherten mit hohen Garantiesätzen machen rund 45 Prozent des gesamten Deckungskapitals aus. Weil sie aber schon lange und zu hohen Renditen angespart haben, handelt es sich zahlenmäßig, von der Anzahl der Verträge her, um eine erstaunlich kleine Gruppe. Praktisch gleich gut gestellt sind die Versicherten mit Garantiesätzen aus dieser Zeit mit laufenden Renten. Am anderen Ende der Skala stehen diejenigen Versicherten, welche in den 2010er Jahren eine laufende Rentenversicherung abgeschlossen haben. Sie sind mit niedrigen Garantiesätzen und laufenden Überschüssen gestartet und kommen dadurch einfach nicht auf die Gänge in der Ansparphase. Sie werden in den nächsten Jahren mehr oder weniger den Garantiesatz plus einige Krümel erhalten. Bei diesen niedrigen Zinsen fallen die laufenden Kosten eben auch ins Gewicht. Real, nach Abzug von Inflation und Kosten, können sie nur wenig bis nichts ansparen. Etwas besser oder weniger schlecht stehen die Rentenverträge mit einmaligen Einzahlungen da. Sie leiden zwar auch unter den niedrigen Garantiesätzen, haben aber bereits angespart. Ebenfalls zu den Verlierern zählen dürften die rund 10 Millionen Versicherten mit Riester-Verträgen. An sich ist das Riester Modell mit der steuerlichen Subventionierung nicht grundlegend fehlkonstruiert. Aber tiefe Zinsen sowie hohe direkte und indirekte Kosten durch die Garantien implizieren, dass die meisten Versicherten 85, 90 Jahre oder noch älter werden sollten, damit sie überhaupt so viel zurück erhalten, wie sie einbezahlt haben werden. Von einer realen Verzinsung ganz zu schweigen. Für diese Gruppe ist von Seiten der Politik dringender Handlungsbedarf gegeben. Der Rest der Versicherten bewegt sich im Mittelfeld, mit großen Abweichungen in beiden Richtungen. Dabei spielt eine bedeutende Rolle, ob sie 3.25 Prozent Garantiesatz (2000-2003) oder ob sie 2.75 Prozent (2003-2006) oder 2.25 Prozent (2007-2010) aufweisen. Denn bei diesen Garantiesätzen kombinieren sich Zinseffekt und Länge der Ansparphase bei noch auskömmlichen laufenden Verzinsungen. Ganz wichtig ist aber auch die Situation je nach Versicherung. Es gibt bei gleicher Konstellation bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Versicherungen. Es gibt Versicherungen mit sehr guten Leistungen selbst für Jahrgänge 2011 ff. und es gibt solche mit bescheidenen Erträgen auch für die 2000er Jahre. Dabei spielt nur schon die Definition der Rendite eine Rolle, um überhaupt vergleichbare Angaben zu bekommen. Um ein Bild zu erhalten, lohnt sich ein Blick in die Überschussberichte der Assekurata. Die Zinszusatzreserve hat negative Seiten: Neben dem systemrelevanten Defekt, dass die Portfoliorendite beschleunigt abgesenkt wird, kommt eine Verletzung der Fairness zwischen den Tarifgenerationen zum Vorschein. Denn was passiert mit den Kunden? Bisher galt, dass die Versicherten gleich welcher 13. Mai 2016 Garantie-Generation praktisch dieselben Gesamterträge erhalten haben. Dies unabhängig davon, ob der Garantiesatz 3.5, 4, 2.75 oder 2.25 Prozent betrug. Die Versicherungen haben immer so argumentiert und die Lebensversicherungen mit Garantien so verkauft, dass die Leistungen bzw. Erträge unabhängig vom Garantiesatz seien. Dies galt so effektiv in der Vergangenheit. Ceteris paribus gälte rein versicherungstechnisch sogar, dass die Gesamterträge höher ausfallen, wenn die Garantiesätze möglichst gering sind. Doch mit dem Fall der Zinsen und mit dem Entscheid zur Bildung von Zinszusatzreserven nach dieser Formel mit dem Referenzsatz wird diese Fairness oder Gleichbehandlung der Kunden abgeschafft. Es findet eine zusätzliche Umverteilung von den Kunden mit ohnehin niedrigen Renditeerwartungen zu denjenigen mit sehr hohen Garantiesätzen statt. Tendenziell gilt für die Zukunft, dass jeder Kunde genau seinen Garantiesatz auf den Sparteil bekommt und sonst keine laufenden Überschüsse mehr. Bei den sehr niedrigen Garantiesätzen von 1.25 Prozent und 1.75 Prozent wird es noch wenige Jahre für kleine, laufende Überschüsse reichen. Die Schlussüberschüsse werden ebenfalls gekappt. Der Schlussüberschussfonds hingegen wird beibehalten, weil er Teil der Deckungsreserve ist. Tendenziell gilt, dass die Kunden mit niedrigen Garantiesätzen wie 1.25, 1.75 oder 2.25 durch den Verzicht auf erklecklich laufende Überschüsse die Garantien der Kunden mit hohen Garantiesätzen aus den 1980er und 1990er Jahren finanzieren – eine große Ungerechtigkeit. 1 Kablau, Anke und Weiß, Mathias: Wie wirkt sich das Niedrigzinsumfeld auf die Solvabilität der deutschen Lebensversicherer aus? Diskussionspapier Nr. 27/ 2014, Deutsche Bundesbank 2 Assekurata: Marktausblick zur Lebensversicherung 2015/16 Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Redaktion: Anika Schwalbe, Gloria Veeser, Nicolas Dvorak. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Nora Lorz. Copyright: Blogform Social Media GmbH, Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. 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