Prekär geeint Jung geblieben Demokratisch gebaut Gewerkschafter rücken zusammen und dem Land Berlin auf den Leib. Seite 10 Zum 85. von Gisela Steineckert: Ein neues Buch und neue Lieder. Seite 15 Die Schweiz als besseres Pflaster für Großprojekte? Seite 9 Foto: Camay Sungu Foto: AFP/Fabrice Coffrine Freitag, 13. Mai 2016 71. Jahrgang/Nr. 111 STANDPUNKT Keine Brötchen backen Tom Strohschneider über Frankreich und die Krise der Linken UNTEN LINKS Heute ist es mal wieder soweit. Freitag der 13. ist vielen Zeitgenossen immer noch ein Horror. Das heißt nicht, dass alle, die an diesem Tag besonders vorsichtig durchs Leben schippern, an der Paraskavedekatriaphobie leiden – jener unaussprechlichen wie undefinierbaren Ein-TagesKrankheit, die Menschen dazu bringt, frühmorgens lieber im Bett zu bleiben. Dennoch können Ärzte, Soziologen und Analysten noch so sehr die Statistik bemühen, um dem Aberglauben den Garaus zu machen – gar mancher von uns schiebt bei den alltäglichen kleinen Misslichkeiten doch ganz gern die Schuld auf den Kalender. Bus verpasst, Auto kaputt, Lebenspartner übellaunig, Chef unerbittlich – alles klar, es ist Freitag der 13. An jedem anderen Tag findet sich eine so kurzschlüssige Erklärung nicht so leicht. Aber für dieses Jahr ist heute Abend der Spuk sowieso vorbei. Und die an jener vielbuchstabigen Phobie heftig Leidenden müssen auf den Januar 2017 warten. oer ISSN 0323-3375 www.neues-deutschland.de Protest und Zorn gegen Reform Vor dem Ertrinken Was in Frankreich derzeit geschieht, ist durchaus typisch für Teile Europas. Erstens ist da eine Regierung, die in einer zentralen Frage (hier: die Arbeitsmarktreform) gegen den Willen der großen Mehrheit handelt und dabei auf autoritäre Instrumente zurückgreift. Zweitens spielen beim Druckmachen für neoliberale Politik (hier: Deregulierung) Unternehmerlobby und EU über Bande, weil sich Brüssel die Interessen des Kapitals zu eigen macht. Dies ist keine »natürliche Eigenschaft« der EU, wie es mitunter auch in linken Köpfen herumspukt, sondern eine Frage von Kräfteverhältnissen. Was, drittens, ein Licht auf die eklatante Schwäche der Linken wirft. In Frankreich sind fast 80 Prozent gegen die Arbeitsmarktreform. Noch größer ist der Anteil derer, die ihre Interessen von der Politik nicht mehr repräsentiert sehen. Das Vertrauen in die »etablierten« Parteien tendiert in Frankreich bereits gegen null – und es profitiert allein die radikale Rechte. So begrüßenswert es da sein mag, dass sich nun auch in Frankreich auf den Plätzen eine neue, linke Bewegung von unten sammelt, so sehr zielt diese aber »nur« auf eine Wiederaneignung des Politischen jenseits der Parlamente – dort aber werden die Regeln gemacht. »Um dem Regen auszuweichen, springt man ins Wasser«, schreibt die »Libération« zur Krise der parteiförmigen Linken in Frankreich. Am Ende wird die Demokratie darin ertrinken. Wie überall in Europa, wo die Linke über ihre oft selbst verschuldete Schwäche nicht hinwegkommt. Bundesausgabe 1,70 € Fricopan in Immekath macht dicht. 508 Jobs gehen verloren Hollandes Arbeitsrechtsgesetz wird von vielen Franzosen abgelehnt Paris. Schicksalstag für die umstrittene Arbeitsrechtsreform von Frankreichs Staatschef François Hollande? Begleitet von Straßenprotesten sollte sich die Regierung am Donnerstagabend einer Misstrauensabstimmung stellen, um das Vorhaben auch gegen erbitterten Widerstand aus den eigenen Reihen der Sozialisten durch die Nationalversammlung zu bekommen. Ein Scheitern des Misstrauensantrags der konservativen Opposition galt als wahrscheinlich – damit wäre die Arbeitsrechtsreform automatisch in erster Lesung angenommen. Gegen die Pläne zur Lockerung des Arbeitsrechts machen Gewerkschaften, Studenten- und Schülerorganisationen seit Wochen mobil. Auf harten Widerstand stößt die Reform auch bei etlichen Abgeordneten der regierenden Sozialisten. Diese kritisieren das Vorhaben als zu unternehmerfreundlich und sehen eine Beschneidung von Arbeitnehmerrechten. Hollande warb am Donnerstag erneut für die Reform und sprach von einem »Text des Fortschritts«. AFP/nd Seite 7 Senat suspendiert Dilma Rousseff Amtsenthebung der brasilianischen Präsidentin geht ihren Gang Foto: photocase/fotografix82 Klötze. Die Beschäftigten wollen größere Brötchen backen, das Unternehmen nimmt ihnen die ganze Bäckerei. Wie Anfang der Woche offiziell bestätigt wurde, schließt der Tiefkühlbackwarenhersteller Fricopan in der Altmark Ende August die Pforten. Gewerkschafter sprechen von einer Riesenschweinerei, der Kämmerer der Stadt Klötze, in deren Ortsteil Immekath die Großbäckerei seit 20 Jahren ansässig ist, rechnet wegen der wegfallenden Gewerbesteuereinnahmen mit einem erheblichen Haushaltsdefizit in den nächsten zwei Jahren. Betroffen von der Schließung sind 508 Festangestellte; teilweise ganze Familien. Der Mutterkonzern Aryzta hatte sowohl für das Werk in Immekath als auch für seine Großbäckerei Klemme in Eisleben, wohin seit einigen Jahren Produktionskapazitäten verlagert wurden, vom Land Sachsen-Anhalt Fördermittel erhalten. Der neue Wirtschaftsminister, Jörg Felgner (SPD), kündigte an, die Förderpolitik des Landes zu überprüfen. Felgner hatte die Rettung des Fricopan-Standortes zur Chefsache erklärt und will mit Unterstützung der Landesmarketinggesellschaft IMG einen Investor suchen. Während durch die Schließung des größten Arbeitgebers im Altmarkkreis gravierende Folgen befürchtet werden, gibt es auch ein wenig Hoffnung. Er sei zuversichtlich, dass ein Großteil der Mitarbeiter mittelfristig wieder Arbeit in einem anderen Betrieb finde, sagte der Chef der Agentur für Arbeit in Stendal, Markus Nitsch, am Mittwoch. Drei Unternehmen hätten sich bereits an die Arbeitsagentur gewendet, weil sie Beschäftigte übernehmen wollten. Auch der Betriebsrat und die zuständige Gewerkschaft NGG berichteten von Unternehmensangeboten. Doch in Immekath herrschen noch Fassungslosigkeit und Wut über die kurzfristige Schließung. Ein Ortsbesuch. jme/dpa Seite 3 Nur eine von zehn Barrieren fällt Bundestag beschließt Novelle zum Behindertengleichstellungsgesetz – Kritik von Betroffenenverbänden Alle Bundesbehörden müssen künftig für behinderte Menschen ohne Hilfe zugänglich sein – das Kino um die Ecke ist dazu nicht verpflichtet. Von Alexander Isele Für Menschen mit Behinderung soll es in Ämtern und Behörden des Bundes mehr Barrierefreiheit geben. Mit den Stimmen von SPD und Union hat der Bundestag am Donnerstag eine Novelle zum Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verabschiedet. Diese verpflichtet die Behörden, alle baulichen Hindernisse zu beseitigen. Außerdem ist vorgesehen, mehr Angebote in Blindenschrift und mit Untertiteln zu machen. Behördentexte sollen für Behinderte in spezieller »leichter Sprache« zur Verfügung stehen. Auch ist die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der Bundesbehindertenbeauftragten geplant, an die sich Behinderte wenden kön- nen, wenn sie sich diskriminiert fühlen. Nach dem seit 2002 geltenden BGG musste der Bund bisher nur bei Neubauten auf Barrierefreiheit achten. Nun sollen auch Hindernisse an bestehenden Gebäuden abgebaut werden. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), betonte in der Bundestagsdebatte, dass das BGG nur ein erster Schritt gewesen sei: Die Novelle »wird nicht das einzige Gesetz bleiben, das die Inklusion in diesem Land vorantreibt«. Nahles wehrte sich gegen Kritik an dem Vorhaben. Inklusion sei ein Prozess, »bei dem es vorangehe«. Für Katrin Werner (LINKE) geht das Gesetz dagegen »voll vorbei an der Lebensrealität der Menschen«. Die Verbesserungen in den Behörden beträfen nur »zehn Prozent der Lebensrealität der Menschen«. Die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer bedauerte, dass die Bundesregierung die »Möglichkeit zu einem Meilenstein« habe liegen lassen: »Menschen mit Behinderung haben in diesem Land noch nie etwas geschenkt bekommen. Alles, was sie erreicht haben, haben sie sich hart erkämpft.« Um Nachbesserungen bei der Gesetzesvorlage zu erreichen, hatten sich Behindertenaktivisten in der Nacht zu Donnerstag in der Nähe des Parlaments angekettet. Sie harrten dort bis zur Verabschiedung der Novelle aus. Die Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland und Mitinitiatorin der Aktion, Sigrid Arnade, erklärte: »Wir fordern, dass auch private Anbieter zur Barrierefreiheit verpflichtet werden.« Auch nach Verabschiedung des Gesetzes müssten Gaststätten, Restaurants oder Kinos keinen Zugang für Menschen im Rollstuhl ermöglichen, erklärte Arnade. Die Regierungskoalition lehnte einen Änderungsantrag der Grünen im Bundestag ab, der gewerbliche Ein- richtungen zur Barrierefreiheit verpflichten wollte. Kritik kam auch vom Sozialverband VdK Deutschland. Das Ziel, Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen des Landes herzustellen, werde nicht erreicht, obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention ihre Herstellung sowohl durch öffentliche als auch durch private Akteure fordere, so Präsidentin Ulrike Mascher. } Lesen Sie morgen im wochen-nd An der Sonne: Strandbad Müggelsee Wohnung denkt mit: Im Smart-Home-Labor Frau ohne Risiko: Fußballschiedsrichterin Riem Husein Nach mehr als fünf Jahren im Amt muss die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff die Regierungsgeschäfte abgeben. Der Senat in Brasilia stimmte am Donnerstag mit großer Mehrheit dafür, dass die Staatschefin ihr Amt zunächst für maximal 180 Tage ruhen lassen muss. In dieser Zeit müssen die Senatoren unter Leitung des Obersten Gerichts die Vorwürfe gegen Rousseff erneut prüfen und könnten sie danach endgültig absetzen. Vizepräsident Michel Temer übernimmt unterdessen die Regierungsgeschäfte. Er eröffnet im August auch an Rousseffs Stelle die Olympischen Spiele in Rio. Mit 55 zu 22 Stimmen votierten die Senatoren nach mehr als 20-stündiger Debatte für die Suspendierung Rousseffs. Enthaltungen gab es keine. Das Amtsenthebungsverfahren wird mit Regelverstößen und Buchhaltungstricks beim Umgang mit Staatsgeldern begründet. Aufgrund einer schweren Wirtschaftskrise und spektakulärer Korruptionsermittlungen war der Druck auf Rousseff immer größer geworden. epd/nd Seite 2 Bahnmanager soll Österreich regieren SPÖ nominiert Kanzlerkandidaten Wien. Der Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), Christian Kern, soll an diesem Freitag als neuer Regierungs- sowie Parteichef der Sozialdemokraten vorgestellt werden. Acht der neun SPÖ-Landesverbände hatten sich bis Donnerstag für den 50-jährigen Manager ausgesprochen. Der mit ihm konkurrierende Ex-ORF-Intendant Gerhard Zeiler hat nach eigenen Angaben seine Ambitionen aufgegeben. Die Entscheidung zugunsten von Kern fiel nach Medienberichten in einer Unterredung mit SPÖ-Interimschef Michael Häupl. Der Bundesparteivorstand muss die Personalie am kommenden Dienstag offiziell absegnen. Am 18. Mai soll Kern von Bundespräsident Heinz Fischer als 13. Bundeskanzler nach 1945 vereidigt werden. Der bisherige Regierungschef Werner Faymann war am Montag überraschend zurückgetreten. Der 56-Jährige zog damit die Konsequenz aus innerparteilicher Kritik. In seiner fast achtjährigen Amtszeit hatten die Sozialdemokraten bei 19 von 21 Wahlen Stimmen verloren. dpa/nd Personalie Seite 4
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