Grosse politische Wirren in Brasilien

Leitartikel: Der Aktienrückkauf wird von einigen Unternehmen überstrapaziert Seite 17
Neuö Zürcör Zäitung
NZZ – INTERNATIONALE AUSGABE
Mittwoch, 11. Mai 2016 V Nr. 108 V 237. Jg.
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Grosse politische
Wirren in Brasilien
Absetzungsverfahren gegen Rousseff läuft doch weiter
Das politische Chaos in Brasilien
nimmt kein Ende: Für einen Tag
war das Absetzungsverfahren
gegen Präsidentin Rousseff
annulliert. Nun wird der Senat
das Prozedere weiterführen.
TJERK BRÜHWILLER, SÃO PAULO
DOMINIC STEINMANN / NZZ
Zürichs
dunkle Seite
Das Zürcher Langstrassenquartier gilt als das härteste Pflaster für die Einsatzkräfte
der Polizei. Vor allem an den Wochenenden, wenn zugedröhnte Partygänger auf
Dealer, Junkies und zerstörungswütige Chaoten treffen. Dann kann die Situation
manchmal schnell eskalieren. Die NZZ hat die Patrouillen der Stadtpolizei Zürich
während einer Nacht an die Brennpunkte begleitet. Zürich und Region, Seite, 30, 31
56-Jähriger bei Messerattacke getötet
Tat bei München entgegen ersten Befürchtungen wohl ohne islamistischen Hintergrund
Am frühen Morgen steigt ein
Mann in Grafing bei München in
die S-Bahn und sticht auf einen
Fahrgast ein. Danach attackiert
er drei weitere Männer.
cla./(dpa) V Ein offenbar psychisch kran-
ker Amokläufer hat am Bahnhof in
Grafing nahe München am Dienstag
einen Fahrgast erstochen und drei Männer verletzt. Der Innenminister des
Bundeslandes Bayern, Joachim Herrmann sagte, dass der festgenommene
mutmassliche Täter offenbar psychische Probleme habe und auch drogenabhängig sei. Der 27-Jährige deutsche
Staatsangehörige hat die Tat laut Herrmann bei seiner Vernehmung gestanden.
Der deutsche Innenminister Thomas
de Maizière sprach von einer «abscheulichen, feigen Messerattacke». «Das
Motiv dieser Tat ist noch nicht abschliessend geklärt», fügte er hinzu. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes
und Mordversuchs gegen den mutmasslichen Täter.
Der Angreifer war laut Landeskriminalamt gegen 4.50 Uhr barfuss in die
erste an dem Tag nach München fahrende S4 gestiegen und hatte dort auf
einen 56 Jahre alten Fahrgast eingestochen. Der Mann erlag kurze Zeit später
in einem Krankenhaus seinen schweren
Verletzungen.
Auf dem Bahnsteig attackierte der
27-Jährige einen weiteren Mann mit
einem Küchenmesser. Anschliessend
stach er auf dem Bahnhofsvorplatz auf
zwei Radfahrer ein. Die drei Männer
waren im Alter von 58, 43 und 55 Jahren.
Einer der Verletzten schwebte am
Dienstagmittag noch in Lebensgefahr.
Hinweise auf einen islamistischen
Hintergrund fanden die Ermittler nach
Angaben Herrmanns zunächst nicht.
Der Staatsschutz habe bisher keine Erkenntnisse über den 27-Jährigen. Es
werde aber geprüft, ob ein politischer
Hintergrund vorliege.
Weiter berichtete der Minister, dass
der Mann vor zwei oder drei Tagen der
Polizei in einem anderen Bundesland
aufgefallen sei, weil er sich «ungewöhnlich» aufgeführt habe. Weitere Details
nannte Herrmann nicht.
Zu einem möglichen Motiv konnte
Herrmann noch nichts sagen. Es gebe
eine Zeugenaussage, wonach der Mann
bei seiner Tat «Allahu Akbar» (Allah ist
gross) gerufen haben soll. Derzeit würden noch weitere Zeugen befragt.
Herrmann bestätigte, dass es sich bei
dem Amokläufer um einen Deutschen
aus dem Bundesland Hessen handele.
Nach Informationen aus Sicherheitskreisen stammt der Mann aus Giessen.
Laut Sicherheitskreisen war der Mann
bis zuletzt in psychiatrischer Behandlung in einer Klinik in Giessen.
Die Brasilianer lieben Telenovelas. Doch
was derzeit in Brasilia vonstatten geht,
übertrifft selbst das beste Drehbuch an
Dramatik, unerwarteten Wendungen
und zusehends auch an Tragikomik.
Zum Wochenstart schien alles bereit für
die Weiterführung des Absetzungsverfahrens gegen Dilma Rousseff im Senat.
Die Abstimmung über die vorläufige
Suspendierung der Präsidentin war auf
Mittwoch angesetzt. Doch dann kam der
grosse Auftritt von Waldir Maranhão.
Zurück ins Unterhaus?
Maranhão, der den wegen einer Korruptionsklage suspendierten Eduardo Cunha als Präsident des Unterhauses ersetzt, hatte am Montagmorgen beschlossen, die Abstimmung über die Eröffnung des Impeachments zu annullieren.
Das Unterhaus hatte am 17. April mit
367 zu 137 Stimmen klar darüber befunden und das Impeachment eröffnet.
Doch Maranhão wollte das Verfahren
von neuem beginnen. Der Abgeordnete
war mit seinem Entscheid auf einen
Rekurs der Regierung eingetreten, die
Verfahrensfehler geltend macht. Unter
anderem soll Rousseff nicht genügend
Raum zur Verteidigung eingeräumt worden sein. Die Fraktionen hätten zudem
gegen die Regeln verstossen, indem sie
vor der Abstimmung Weisungen an ihre
Mitglieder ausgegeben hätten. Überdies
sei auch die Weitergabe des Verfahrens
an den Senat nicht nach den technischen
Vorgaben erfolgt. Maranhão hatte sich
vor seinem Entscheid zweimal mit dem
Bundesanwalt und obersten Verteidiger
der Regierung getroffen.
Alles war von Maranhãos Entscheid
überrascht – selbst die Regierung, so
schien es. Die Opposition sprach derweil
von einem politischen Spielchen, da
Maranhão als sehr loyal gegenüber dem
Gouverneur seines Gliedstaates gilt, der
wiederum ein enger Verbündeter Rousseffs ist. In Brasilia war den ganzen Tag
der Teufel los. Politiker drohten mit
Rekursen gegen die Annullierung und
gegen die Weiterführung. Journalisten
wussten nicht mehr, wo ihnen der Kopf
stand. Und Juristen gaben ihre Analysen
ab über die Fragen, ob Maranhão die
Kompetenz für einen solchen Entscheid
besitze, ob ein solcher zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch möglich sei oder
ob vielleicht doch das Oberste Gericht
darüber zu urteilen habe.
Das Beste kommt jedoch am Schluss
jeder Telenovela-Folge. Und so war es
auch am Montag. Kurz vor Mitternacht
erreichte Senatspräsident Renan Calheiros eine offizielle Mitteilung von Maranhão, in dem dieser bekanntgab, seinen
Entscheid vom Vormittag wieder zurückzuziehen. Was ihn dazu bewegt hatte,
wissen vermutlich nur wenige. Da zu diesem Zeitpunkt noch nichts amtlich publiziert worden war, hatte es sich um nicht
mehr als eine grosse Posse gehandelt. Die
Versuche von Vertretern der Regierung,
Maranhão noch von seinem Rückzug abzubringen, waren gescheitert.
Abstimmung im Senat
Ob die Annullierung der Abstimmung
des Unterhauses durch den Interimspräsidenten der Kammer gültig gewesen
wäre, war ohnehin fraglich. Zudem hatte
das Oberste Gericht zu einem früheren
Zeitpunkt bereits einen Antrag auf eine
einstweilige Verfügung gegen die Impeachment-Abstimmung im Unterhaus
abgewiesen, der sich auf dieselbe Argumentation gestützt hatte.
Senatspräsident Renan Calheiros
war am Montag zu keiner Sekunde auf
den Entscheid Maranhãos eingegangen.
Stattdessen kündigte er an, das Prozedere des Absetzungsverfahrens gegen
Rousseff im Senat plangemäss und zügig
weiterzuführen. Die Kleine Kammer
soll demnach bereits am Mittwoch über
die Fortsetzung des Impeachments entscheiden. Ein einfaches Mehr genügt,
um Rousseff für bis zu 180 Tage von
ihrem Amt zu suspendieren. Bis dann
muss der Senat einen definitiven Entscheid über Rousseffs Amtsenthebung
fällen, was einer Zweidrittelmehrheit
bedarf. Die Regierungsgeschäfte fallen
in der Zwischenzeit dem abtrünnigen
Vizepräsidenten Michel Temer zu. Dieser hat bereits eine neue Regierung zusammengestellt, die einen politischen
Kurswechsel verspricht. Temer würde
die Amtszeit im Falle einer Absetzung
Rousseffs bis 2018 zu Ende führen.
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vermehrt in beiden Richtungen
unterwegs sein. Hingegen ist
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