E S SAY VON DER ZUKUNFT DER ARBEITSMEDIZIN N R. 4 • 2 0 1 0 10 E S S AY DER BETRIEBSARZT ALS GESUNDHEITSMANAGER UND PRÄVENTIONSEXPERTE Sind die Mitarbeiter fit, geht es auch den Institutionen gut: Mit dem Wandel in der Arbeitswelt werden Betriebsärzte zu Gesundheitsmanagern. 1 Dr. med. Alfons Sommer ist Arbeitsmediziner und Internist sowie stellvertretender Landesvorsitzender Bayern Süd des Verbands Deutscher Betriebsund Werksärzte Die Arbeitswelt in Deutschland und Europa hat sich grundlegend gewandelt – und damit auch die Anforderungen an die Arbeitsmedizin: Durch die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft nimmt hoch qualifizierte Kopfarbeit immer weiter zu, körperlich schwere Arbeit verzeichnet dagegen einen Rückgang. Somit verändern sich auch die Aufgaben und das Selbstverständnis der Betriebsärzte. Die traditionelle Aufgabe des Gesundheitsschutzes und der Unfallverhütung tritt weiter in den Hintergrund und die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der oftmals hoch qualifizierten Mitarbeiterschaft wie in einer Universität wird zur vorrangigen Aufgabe der Betriebsärzte. Arbeitsmediziner von heute sind mit ganz anderen Symptomen als früher konfrontiert. Die Entwicklung individueller Vorsorgemaßnahmen, abgestimmt auf spezielle Arbeitssituationen und -anforderungen an den Mitarbeiter, gehört zunehmend zum klassischen Aufgabengebiet des Betriebsarztes. Von der Konzeption der Arbeitsplatzbedingungen bis zur Durchführung und ständigen Betreuung – immer ist der Betriebsarzt als Präventionsexperte gefragt. So wird er zur zentralen Anlaufstelle für ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das die planvolle Stärkung von Wohlbefinden, Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zum Ziel hat. GESUNDHEIT IN EINER GLOBALISIERTEN ARBEITSWELT Gesundheit wird heute mehr denn je als Grundlage hoher Wettbewerbsfähigkeit verstanden. Dabei sind ein intaktes soziales Klima sowie physisch und psychisch gesunde Arbeitnehmer die Voraussetzung für Kreativität und Produktivität und damit auch für den unternehmerischen Erfolg. Die Globalisierung führt zu einer verschärften Konkurrenzsitua- tion – und oftmals auch innerhalb der gleichen Organisation zu einem Wettbewerb der Standorte, Fakultäten, Abteilungen oder Institute. Dies setzt die Mitarbeiter unter zunehmenden Zeit- und Leistungsdruck und kann sich auf die allgemeine Arbeitsgesundheit niederschlagen. „Arbeiten, bis der Arzt kommt“ – Folge einer immer schneller getakteten, immer schwerer berechenbaren globalisierten Arbeitswelt. Vielerorts wird das soziale Klima beeinträchtigt und gesundheitsschädigendes Arbeits- und Sozialverhalten wie Workaholismus und Mobbing sowie arbeitsbedingte Erkrankungen wie Burnout-Syndrome werden gefördert. Neben körperlichen Belastungen sind daher vermehrt berufsbedingte psychomentale und psychosomatische Beschwerden die Folge. Mit einer Spritze oder einem Atemschutz ist es da nicht mehr getan. Der Arbeitsmediziner ist heute auch als Arzt für die Seele gefordert, der psychische Fehlbelastungen ermittelt und dazu kompetent berät. Hier sind besondere Kenntnisse und Einfühlungsvermögen gefragt. Ein Zusammenspiel zwischen den Betriebsärzten auf der einen Seite und den Psychotherapeuten auf der anderen ist daher unabdingbar. Nur so können psychische Erkrankungen umfassend und früh erkannt sowie erfolgreich behandelt werden. ARBEITSMEDIZIN VOR DEM HINTERGRUND DER DEMOGRAFISCHEN ENTWICKLUNG Mit der dramatischen Alterung der Gesellschaft zeichnet sich ein weiteres zentrales Thema für die Arbeitsmedizin der Zukunft ab: Wie können ältere Mitarbeiter möglichst gesund im Arbeitsprozess gehalten werden? Durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nimmt die Zahl der älteren Arbeitnehmer rasant zu; im Jahre 2020 wird jede dritte Arbeitskraft 50 Jahre und älter sein. Wie müssen Arbeitsplätze aussehen, E S SAY die auch für ältere Menschen geeignet sind? Ein effektives, professionelles Gesundheitsmanagement hilft, Mitarbeiter bis 67 Jahre in ihrem Aufgabenbereich fit zu halten. Betriebsärzte bieten hier wertvolle Unterstützung und analysieren mit betriebsärztlichem Know-how die richtigen Bedingungen und Faktoren, die die Gesundheit sowohl schützen als auch fördern, und erarbeiten in der jeweiligen Organisation eine sachgerechte Lösung. DER ARBEITSMEDIZINER ALS PRÄVENTIONSSPEZIALIST Für vorbeugenden Gesundheitsschutz braucht es einen langen Atem: Prävention darf nicht erst dann einsetzen, wenn bereits eine Erkrankung droht. Spätestens wenn die Gefahr einer Leistungsbeeinträchtigung besteht, muss gehandelt werden. Vorgesetzte und Arbeitsmediziner sind deshalb klug beraten, wenn sie alle Formen der Prävention intelligent miteinander verknüpfen: Die Primärprävention zielt auf ein gesundheitsbewusstes Verhalten und das Verhindern von Krankheiten ab. Dazu zählt vor allem auch die Gesundheitsförderung bzw. Ursachenprävention, also die Gestaltung von Arbeit und Umgebung, von technischen Maßnahmen wie Schutzmitteln sowie organisatorischen und personellen Maßnahmen. Unter Sekundärprävention versteht man die Früherkennung gesundheitlicher Risiken durch Vorsorgeuntersuchungen. Die Tertiärprävention schließlich hat die Wiedereingliederung nach einer Krankheit oder einem Unfall zum Gegenstand. Mögliche Aktionen sind ein regelmäßiger medizinischer „Checkup“ aller Betriebsmitarbeiter, eine jährliche Schutzimpfung – beispielsweise gegen Grippe, Bewegungs- und Ernährungsberatung, Aktionen zur Krebsvorsorge oder auch Seh- und Hörtests. Wenn Betriebsärzte ein Gesundheitsmanagement in den Organisationen, z.B der Universität einführen, ist es wichtig, dieses auch in den Köpfen der Führungskräfte zu verankern, die ihre Mitarbeiter zu gesundheitsschonendem Verhalten motivieren sollten. PERSPEKTIVE ZUKUNFT: NACHWUCHSFÖRDERUNG Viele junge Ärzte sehen sich nach ihrem Studium und den ersten Jahren Berufserfahrung vor der Wahl, entweder als Mediziner im Krankenhaus oder als Kassenarzt tätig zu sein. Dabei haben nur wenige die Arbeitsmedizin im Blick – und verkennen so eine N R. 4 • 2 0 1 0 11 hochinteressante ärztliche Alternative mit echten Zukunftschancen: die des (selbstständigen) qualifizierten Betriebsarztes im vielfältigen Umfeld der Arbeitswelt. Was viele, gerade junge Ärzte, nicht wissen: Dahinter verbirgt sich ein faszinierender Teil der Medizin und ein spannender Beruf, der immer neue Herausforderungen birgt. Denn während im Bereich der Medizin die Rationierungsschraube angezogen wird, steigt künftig der Bedarf an Betriebsärzten. Der Arbeitsmedizin mangelt es seit Langem an Nachwuchskräften. Immer häufiger können arbeitsmedizinische Stellen nicht besetzt werden. Deshalb ist das Gewinnen des arbeitsmedizinischen Nachwuchses ein wichtiges Anliegen. Viele Personalverantwortliche haben inzwischen erkannt, dass Maßnahmen in Prävention und Gesundheitsförderung Erfolgsfaktoren für „gesunde Mitarbeiter“ und damit für „gesunde Unternehmen“ sind. Mit dem Wandel der Arbeitswelt gehen auch ein Paradigmenwechsel im Gesundheitsschutz sowie Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, um eine betriebsärztliche Tätigkeit auszuüben, einher: An die Stelle starrer Regelungen tritt ein Mehr an unternehmerischer Freiheit bei der Nutzung betriebsärztlicher Angebote. Der Arbeitsmediziner der Zukunft ist also nicht nur Arzt, sondern auch Gesundheitsmanager, der Einzelkämpfer wie Freelancer und Mitarbeiter in den Organisationen in allen Fragen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes berät. Um Zukunftsfähigkeit zu erreichen, verlassen sich Betriebsärzte nicht mehr nur auf gesetzliche Regelungen, sondern haben vielmehr ein neues Selbstverständnis verinnerlicht und gestalten die weiteren Entwicklungen aktiv mit. Dazu ist es erforderlich, den Berufsstand gegenüber der Direktion, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit zu profilieren – also die Wahrnehmung dahingehend zu schärfen, dass der Betriebsarzt der Gesundheitsberater im Universitätsbetrieb ist, der die Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter erhält. Denn jeder gesunde und motivierte Mitarbeiter ist ein Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Institution. Betriebsärzte leisten somit einen wesentlichen Beitrag zum modernen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.
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