57 Die innovative Schweiz – was ist mit der öffent

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Praxis – Schweiz
Die innovative Schweiz – was ist mit der öffent­
lichen Verwaltung?
Die Schweiz hat sich seit vielen Jahren in den verschiedensten Gebieten in globalen Rankings einen Spitzenplatz gesichert und wird als Erfolgsmodell bezeichnet. Im Bereich E-Government besteht aber Luft nach
oben, jede Menge sogar. Für das Vorankommen braucht es weitsichtige und mutige Entscheide der politischen Führung in Bund, Kantonen und Gemeinden – und zwar genau in dieser Reihenfolge.
Wo stehen wir im Vergleich?
Gérald Strub
Strub & Partner GmbH
Kommunaler Beauftragter
für E-Government in
den Kantonen Aargau
und Luzern
gerald.strub
@strubpartner.ch
Ranking im UN E-Government Survey:
Die Schweiz positionierte sich 2014 im
E-Gov­ernment-Development-Index der UNO
mit 0,72 Indexpunkten auf dem 30. Rang.
Die Studie untersuchte 198 Länder. Beim
E-Participation-Index figuriert die Schweiz
mit 0,37 Indexpunkten auf Platz 91. Dieser
Index misst das Angebot und die Nutzung
von E-Government-Dienstleistungen, bei
welchen die Interaktion zwischen den Behörden und den Bürgern sowie der Wirtschaft im Vordergrund steht.
Ranking in der E-Government-Benchmarkstudie der EU: Was die
vier gemessenen Hauptindikatoren betrifft, stehen die Schweizer
E-Government-Angebote bei der Benutzerorientierung und beim
grenzüberschreitenden Angebot im Mittelfeld. Deutliches Entwicklungspotenzial besteht im Bereich der technischen Voraussetzungen
für E-Government. Schlüsselmodule wie die Einmalanmeldung mit
der eID als Grundlage für eine flächendeckende Ausbreitung von
E-Government werden in der Schweiz selten eingesetzt. Auch die
Ausprägung der Transparenz bei der Leistungserbringung bzw. der
Onlinegeschäftsabwicklung und der Verwendung von Personendaten bleibt in der Schweiz unter dem europäischen Durchschnitt.
Weitere internationale Vergleiche: Der Networked-Readiness-Index des World Economic Forum (WEF) weist der Schweiz eine sehr
gute IT-Infrastruktur und ebenso gute Rahmenbedingungen nach.
Die Schweiz belegt im aktuellsten «Global Information Technology
Report» des WEF Platz 6 unter 148 Staaten. Die WEF-Indikatoren
enthalten nebst Daten zu Nutzungsverhalten von Privaten, Firmen
und Verwaltungen auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Kennzahlen wie die Ausbildung der Bevölkerung oder das Innovationspotenzial der Firmen (Quelle: www.egovernment.ch).
Diese Vergleiche veranschaulichen, dass sich die Schweiz leider
lediglich im Mittelfeld bewegt, obwohl die Voraussetzungen für eine
erfolgreiche Umsetzung von elektronischen Services hervorragend
sind.
Was erwarten unsere Bürgerinnen und Bürger vom Staat?
Dem Grossteil der Bevölkerung ist es egal, auf welcher föderalen
Ebene seine Anliegen angesiedelt sind. Er will sie letztlich innert
nützlicher Frist und in einwandfreier Qualität erledigt haben. Sein
Bild von den politischen Behörden und der öffentlichen Verwaltung
ist im Hinblick auf Image und Vertrauen gemäss der aktuellen Studie «Reader’s Digest European Trusted Brands» stark ausbaufähig.
Ein Behördengang ist und bleibt deshalb für die meisten ein Muss.
Die Politik ist derzeit aber nicht bereit, grosse Denkanstrengungen zu unternehmen in Richtung einer grundlegenden Änderung
der Dienstleistungssituation gegenüber den Kunden des Staates,
das heisst den Einwohner/innen oder Steuerzahler/innen, «weil es
ja funktioniert» oder «weil man es immer so gemacht hat». Sein
eigenes «Gärtli» will man ja schliesslich nicht verlieren. Diese Situation zu ändern, ist sehr ambitioniert, jedoch nicht unmöglich.
Der Staat als Dienstleistungserbringer muss keine Befürchtung
haben, seine Kundinnen und Kunden zu verlieren. Durch seine
Monopolstellung spürt er nicht denselben Innovationsdruck, seine
Arbeitsweise zu optimieren und Effizienzgewinne zu erreichen,
dem privatwirtschaftlich orientierte Unternehmen ausgesetzt sind.
Der Staat kann sich deshalb eher Dinge erlauben, die in der Privatwirtschaft korrigiert würden. Eine Verwaltung, die mit den Entwicklungen in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft mithalten
will – und das muss sie –, ist aber zwingend darauf angewiesen, das
eigene Handeln immer wieder zu hinterfragen.
Damit dies erreicht werden kann, müssen die staatlichen Stellen
in der Lage sein, Fehler eingestehen zu können. Alle Menschen
machen Fehler. Aber: «Was sie nicht zugeben, können sie nicht ändern», und «wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert,
begeht denselben zwei Mal.» Ein spannendes Beispiel aus der Privatwirtschaft zum Umgang mit diesem Thema durfte ich anlässlich
der Besichtigung eines mittelständischen Produktionsbetriebs
kennenlernen. Fehlerhafte Produktionsteile, seien diese aufgrund
menschlicher oder technischer Fehler entstanden, werden dort nicht
unter den Tisch gekehrt oder vor dem Chef versteckt. Sie wandern
in eine Kiste, die sich «die Schatztruhe» nennt. Sie werden als etwas
Wertvolles angesehen. Diese «Schätze» ermöglichen es, dass sich
die Qualität der Produktion kontinuierlich verbessert. Ein solches
Denken und Handeln, ja ein solcher Kulturwandel, sollte sich auch
bei den staatlichen Stellen durchsetzen, wodurch das Verständnis
und das Vertrauen aus der Bevölkerung wesentlich gesteigert werden könnten.
Erkennen die heutigen Entscheidungsträger die Bedürfnisse der Bevölkerung?
Die meisten Politikerinnen und Politiker gehören eher der Generation der Digital Immigrants (digitale Einwanderer) an. Demnach
sind sie erweiterten digitalen Formen der politischen Partizipation
gegenüber meist eher kritisch eingestellt. Da auch die E-Government-Gremien mit vielen politischen Mandatsträgern bestückt sind,
werden E-Government-Themen zu stark «verpolitisiert». Am Beispiel im Kanton Aargau aus dem Jahr 2013 lässt sich gut veranschaulichen, wie aus heutiger Sicht umsetzbare und aus Laiensicht
einfache E-Services wie die Möglichkeit, elektronisch abzustimmen,
nur schleppend vorankommen. Der Grossrat hat einen Kredit über
1,1 Millionen Franken nicht gutgeheissen und das Projekt für den
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Ausbau des E-Voting-Pilotbetriebs im Kanton Aargau damit sistiert.
In der Zwischenzeit wurden die Hürden übersprungen und die Pilotversuche können weitergeführt werden, nun halt einmal mehr
zeitlich verzögert.
Auch die berechtigten und ernst zu nehmenden Fragen bezüglich
Datensicherheit und Datenschutz stellen immer wieder Hindernisse dar, die nur schwierig zu überwinden sind. Unter Berücksichtigung der geltenden gesetzlichen Regelungen muss es aber möglich
sein, das Vertrauen in die vom Staat zur Verfügung gestellten Lösungen schaffen zu können, wie es auch beim E-Banking der Banken
möglich war.
Schaffung eines «(halb-)unabhängigen Innovationsdepartements»
Die heutige E-Government-Organisation in der Schweiz ist auf
der Grundlage von Strategien und Rahmenvereinbarungen aufgebaut. Auf die Schaffung eines E-Government-Gesetzes wurde bewusst verzichtet, da die Umsetzung über die föderalen Ebenen
partnerschaftlich erfolgen sollte. Dieser nicht bindende Charakter
hat nun zur Folge, dass das Vorankommen teilweise hinkt. Schliesslich bedingt die Entwicklung von innovativen Lösungen unter anderem vor allem eines: Geld! Kurzfristig liefert aber das Bereitstellen von entsprechenden Geldern für E-Government-Services und
die damit verbundene Verbesserung und Verbreiterung der Dienstleistungsbereitschaft gegenüber politisch heisseren Themen für
den nächsten Wahlkampf keine schlagkräftigen Argumente, um in
der Wählergunst aufzusteigen.
Bekanntlich mahlen die Mühlen der Behörden langsam. Aktuelle Trends und Entwicklungen werden durch die langwierigen und
komplizierten Prozesse der Verwaltung und der Politik meist verschlafen. Eine Flexibilität mit kurzen Entscheidungswegen, wie sie
in der Privatwirtschaft vorherrscht, ist nicht denkbar. Auf lange
Sicht ist der Verwaltungsaufwand aber nur durch bewusst geförderte Innovation und die Ausschöpfung der heutigen Möglichkeiten
zu mindern.
Als Erstes sollen Verwaltungen zum Beispiel ein Departement
für Innovation, Forschung und Entwicklung einrichten und betreiben. Dieses Departement soll die Aufgabe haben, bewusst nach
Innovation für die öffentliche Verwaltung Ausschau zu halten, wie
dies die Forschungsabteilung einer Firma tut – und zwar nicht nur
im Umfeld des E-Governments. Das Bestreben eines solchen Departementes soll es sein, die Verwaltung als Ganzes stetig noch besser
zu machen und die Kundenbeziehungen laufend zu vereinfachen.
Damit kann unter anderem die Entwicklung von behördlichen E-Services nutzengerechter vorangetrieben werden.
Zum Zweiten sollen die Kräfte wie auch die verfügbaren Mittel
und Ressourcen gebündelt werden. Derzeit bestehen im Umfeld von
E-Government schweizweit zahlreiche Projektfelder mit einer gros­
3sen Themenvielfalt. Mit der typisch schweizerischen Denkweise
versuchen die Entscheidungsträger, es allen Beteiligten recht zu
machen. Dadurch arbeitet jeder Kanton an seinen eigenen Lösungen
und investiert viel Geld, um seine Angebote auf- und auszubauen.
Diese Lösungen hören jedoch meistens an der Kantonsgrenze auf.
Um wichtige Ziele wie die elektronische Identität oder die Vernetzung der Datenbestände zu erreichen, welche die Basis für die Weiterentwicklung künftiger E-Services bilden, ist aber eine Zusammenarbeit nötig.
Schliesslich kann E-Government mit einer einheitlichen Sprache
und dem Abbau von heterogenen Lösungslandschaften eine Chance sein, das Vertrauen in den Staat zu fördern, Verwaltungsaufwand
durch Effizienzsteigerung abzubauen und die Zufriedenheit unserer
Kundinnen und Kunden allseits zu steigern. Diesen wachsenden
und berechtigten Ansprüchen und Bedürfnissen muss sich Politik
und Verwaltung stellen. Am besten rasch.
Quellen
––www.egovernment.ch
––www.readersdigest.ch