Umweltverträglichkeitsprüfung Mag. Fiona List Univ.-Doz. Dr. Wolfgang List Mag. Piotr Pyka List Rechtsanwalts GmbH TEIL 2 Vortrag im Rahmen der Generalversammlung der Bürgerinitiativen-Vereinigung „Aktion 21“ am 07.11.2015 Salzburg EuGH-Vorabentscheidung "Karoline Gruber" ist da - die Bindungswirkung ist weg! • Am 16.04.2014 hat der EuGH das mit Spannung erwartete Urteil zur Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden gefällt • EuGH verneint die Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden gegenüber der betroffenen Öffentlichkeit, die am Feststellungsverfahren nicht beteiligt war • Da die Republik Österreich die UVP- Richtlinie 2011/92/EU nicht entsprechend umgesetzt hat, besteht hinsichtlich der Anwendung Vorrang der unionsrechtlichen Normen gegenüber den entgegenstehenden innerstaatlichen Regelungen. • Mit Urteil vom 16.04.2015 hat der EuGH klar festgestellt, dass die österreichische Rechtslage in Bezug auf die Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden gegenüber Nachbarn, die in den diesbezüglichen Feststellungsverfahren keine Parteistellung genießen, klar der UVP-Richtlinie widerspricht. • Welche Konsequenzen hat dieses Urteil für die österreichische Rsp und den Gesetzgeber? VwGH-Erkenntnis zur Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden vom 22. Juni 2015 (Rechtssache Gruber) • Der VwGH hat mit seinem Erkenntnis vom 22. Juni 2015, 2015/04/0002, die angefochtene Betriebsanlagengenehmigung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben • VwGH hat festgestellt: Nachbarn gehören zur „betroffenen Öffentlichkeit“ iSd UVP-Richtlinie und müssen damit in der Lage sein, Entscheidungen, mit denen die Durchführung der UVP verneint wird, gerichtlich anzufechten. • Im Rahmen der Parteistellung steht dem Nachbarn somit ein subjektives Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeit, sowie das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch im Zusammenhang mit dem Unionsrecht zu. VwGH-Erkenntnis vom 20. September 2015 • Der VwGH hat mit seinem Erkenntnis vom 29. September 2015, erneut festgehalten, dass aufgrund des Urteils „Gruber“ die Entscheidung keine UVP durchzuführen, als Entscheidung, Handlung oder Unterlassung iSd Art 11 UVP-RL zu werten ist • In dem Erkenntnis wurde ein UVP-Feststellungsbescheid für das Projekt „110kV Netzabstützung Villach“ wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben • Der VwGH hat festgehalten, dass die betroffenen Grundeigentümer Anspruch auf Abänderung bzw. Vorschreibung von Auflagen haben • Im Rahmen dieser Parteistellung steht ein subjektiv öffentliches Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten zu Rechte der Bürgerinitiativen iZm der UVP • • • Der VwGH sieht den Ausschluss von Bürgerinitiativen aus dem UVP Feststellungsverfahren als unionsrechtswidrig an Es besteht enormer Handlungsbedarf des österreichischen Gesetzgebers laut EuGH und VwGH Bürgerinitiativen (§ 19 Abs 4) haben im Feststellungsverfahren (2. und 3. Abschnitt) – keine Antragsbefugnis, – keine Parteistellung, – keine Mitwirkung Dagegen im ord. UVP-Verfahren 2. und 3. Abschnitt (Spalte 1) – Parteistellung / VwG-Beschwerderecht – VwGH-Revisionsbefugnis (BI auch VfGH) • Von Bürgerinitiativen sind „anerkannte Umweltorganisationen“ iSd § 19 Abs 7 UVP-G 2000 zu unterscheiden, die nach der Rsp des BVwG Antragslegitimation im Feststellungsverfahren haben (BVwG, 11.02.2015, W104 2016940-1) Bisherige Rechtslage zur Präklusion in Österreich • Präklusion = Verlust der Parteistellung bei nicht rechtzeitiger Erhebung von Einwendungen • §§ 42 und 44a AVG: spätestens am Tag vor bzw während der Verhandlung mussten Einwendungen erhoben werden ansonsten kam es zum Verlust der Parteistellung und somit zum Verlust sämtlicher Parteirechte • Diese Personen konnten selbst bei nachweislicher Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte nicht mehr am Verfahren teilnehmen, weil Präklusion eingetreten war EuGH stürzt Präklusion (I) • Vertragsverletzungsverfahren: „Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland“ • Mit ihrer Klage vom 21. März 2014 beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten und Art. 25 der Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) verstoßen hat. • Die Republik Österreich war als Streithelferin am Verfahren beteiligt EuGH stürzt Präklusion (II) • Mit dem am 15.10.2015 ergangenen Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 (Kommission/Deutschland) hat der EuGH einen fundamentalen Grundsatz des Verwaltungsverfahrens gekippt. • In UVP und IPPC-Verfahren gibt es künftig keine Präklusion mehr. Daher kann jeder Betroffene Beschwerde gegen Genehmigungen an das Verwaltungsgericht erheben, unabhängig von vorherigen rechtzeitigen Einwendungen. • Dieses Urteil hat massive Auswirkungen auf die Durchführung der unionsrechtlich geprägten Verfahren, wie UVP- und IPPCVerfahren, voraussichtlich auch in Verfahren betreffend Natura-2000 Gebiete. EuGH stürzt Präklusion (III) • EuGH stellt fest: „Es besteht eine umfassende Möglichkeit Einwendungen zu erheben unabhängig davon, wann diese vorgebracht werden.“ • Einwendungen können in einer Beschwerde nach Belieben ausgedehnt werden • Das Urteil des EuGH ermöglicht die Einbringung von Beschwerden durch Personen, die bislang überhaupt nicht im Genehmigungsverfahren aufgetreten sind • Ergebnis: Der nationale Gesetzgeber wird eine umfassende Novellierung des Verfahrensrechts andenken müssen Beispiele von anhängigen Verfahren der List Rechtsanwalts GmbH iZm der UVP • Bürgerinitiative gegen Errichtung einer 110 kV-Freileitung zwischen Vorchdorf und Kirchdorf (anhängig beim VwGH) • Bürgerinitiative gegen Errichtung des Batteriekraftwerkes der Firma Banner (anhängig beim BVwG) • Bürgerinitiative gegen Errichtung eines Einkaufszentrums in Steyr (anhängig beim VwGH) • Mandant gegen Errichtung einer zweisystemigen 110 kV Freileitung Freistadt (anhängig beim VwGH) Gesetzliche Neuregelungen? • Eine gesetzliche Neuregelung könnte mE so aussehen, dass Nachbarn dasselbe Beschwerderecht eingeräumt wird, welches schon derzeit den Umweltorganisationen nach § 3 Abs 7a UVP-G zukommt. • Die Einräumung einer Parteistellung oder eines Antragsrechtes im UVP-Feststellungsverfahren wäre ebenso erforderlich • Match um UVP und Beteiligtenstellung bleibt spannend Was macht der österr. Gesetzgeber, anstatt den rechtskonformen Zustand herzustellen? EINFACH KEIN RESPEKT VOR BÜRGERN…
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