„LOVE AND HATE“ Einführung zur Ausstellung von Granete Ngirandi TelefonSeelsorge Mannheim / 01. März 2016 - Peter Annweiler, TS Pfalz (1) Liebe Granete Ngirandi, liebe Freunde der TelefonSeelsorge! Es weht ein anderer Wind in Afrika: Ein Wind - viel sandiger. Ein Wind - angereichert von Räumen uralter Geschichte, Religionen, Mythen, Kulturen und Künsten. Ein Wind – gespeist aus einem tiefen Reservoir an Vitalität und Lebensfreude, an Warmherzigkeit und Liebeskraft, an Menschlichkeit, an Leidenschaft und Grausamkeit, an magischer Verstrickung und Ahnenkult, an Härte und Sanftmut, an Liebe und Hass. Es ist dieser Wind, den Granete Ngirandi in den nächsten Wochen hier in die TS Rhein Neckar wehen lässt: Im Schatten von Wasserturm und Friedrichsring ein Hauch von Afrika, gesättigt mit Spuren von Liebe und Hass. Das ist bemerkenswert, finde ich, wenn eine TS-Stelle ihre Räume für einen solchen Wind öffnet. Vielleicht gar nicht mal wegen der thematischen und geographischen Entfernung zu Afrika. Sondern wegen der Präsenz von Bildender Kunst überhaupt: Ein visuelles Reizklima in einer Domäne der Ohren. Ein-Sichten für die Augen weiten die Räume, die dem Hören gewidmet sind. Das ist allerdings bei genauerer Wahrnehmung sehr stimmig: Denn auch beim Hören kommen wir ja nicht drum rum, uns Bilder zu machen. Auch im Seelsorgegespräch kommen Farben, Temperaturen und Kompositionen vor. Und geradezu erwünscht sind neue Perspektiven und Einsichten auf alte und vorgestellte Lasten. Die ausgestellten Bilder füllen die Räume der Fachstelle nun auch mit solchen visuellen Anregungen. Anregungen, die erst mal fremd hier sind. Die uns - wie ein Anrufer auch - vor eine Herausforderung stellt: Die Äußerungen des Gegenübers nicht für eine eigene Deutung benutzen zu wollen. Sie erst mal anders, different und anregend sein zu lassen. Sie nicht nur vom „Verstehen“ her anzuschauen, sondern ihren Sinnenreizen nachzugehen. Im Respekt vor dem Anderen auch dessen Andersartigkeit, dessen Fremdheit aushalten - und nicht unseren Vorstellungen gleich machen wollen - so möchte ich mich heute Abend auch den Bildern von Granete Nigrandi annähern. Ich tue das nicht so sehr kunsthistorisch und beschreibend von außen, sondern eher subjektiv gefärbt: Aus der eigenen Wahrnehmung, aus der Begegnung mit Granete und aus der Erfahrung in der Telefonseelsorge. Ich danke für die Einladung und freue mich, wenn ich heute Abend eine kleine Sehhilfe zu den Werken von Granete Ngirandi geben kann. (2) Zunächst möchte ich mit Ihnen und Euch ins Staunen geraten. Das beginnt für mich mit dem Staunen über den Lebensweg von Granete Ngirandi - und wird dann gefolgt von einem kleinen Rundgang mit den Augen. Die Malerin und Grafische Künstlerin Granete Ngirandi ist 1969 in einem Dorf in Simbabwe geboren. Sie hat in Harare und London Kunst studiert. Nach ihrer Heirat kommt sie vor 18 Jahren nach Deutschland und lebt mit ihrer Familie seit 2002 in Ludwigshafen. Ihre Werke umfassen Gemälde, Grafiken und Materialdrucke zu Hause. In ihren farbenfrohen und expressionistisch angelegten Exponaten bringt sie den Betrachtenden afrikanische Themen nahe. Dabei beschäftigt sie sich mit Geschichte und Kultur Simbabwes und thematisiert auch die großen Wunden des südafrikanischen Staates: Die Diktatur von Robert Mugabe und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen schon vor der Jahrhundertwende. Die Tabuisierung von HIV und AIDS - zusammen mit einer dahinsiechenden Elterngeneration - gestorben sind auch die eigene Schwester und der Schwager. Granete greift die Rechte von Frauen auf und sorgt sich um die Bewahrung der Schöpfung. „Armut macht unvorsichtig. Armut lässt verrohen“ sagt sie letzte Woche, als wir sie auf ihre Erfahrungen ansprechen, die sie in prekären Situationen in Afrika gemacht hat und in diesem Satz scheinen in meinen Augen die unbewältigten Dramen des afrikanischen Kontinents auf. Dramen, um ein vielfaches höher dosiert als wir sie selbst jetzt im europäischen Kontext kennen. Granetes Werke weisen auf die Dramen ohne moralischen Zeigefinger hin. Viel eher sind ihre Farben und Formen sinnenfroh gewählt, zeigen Themen und Probleme auf, ohne „schwer“ zu werden und uns zu bedrängen. Kühn formuliert: Granete Ngirandi lässt uns an einem Blick aufs Leben Teil haben, der viel mit einer Haltung der TS zu tun hat: Freimütig und ausdrucksstark. Empathisch und bildhaft. So gehen viele TS-Mitarbeiter seelsorglich mit den Themen der Anrufenden um - und regen damit eine andere Sicht auf „Probleme“ an. In ihrer afrikanischen Zeit nimmt Granete an Ausstellungen in Simbabwe, Sambia und Südafrika Teil. Sicherlich bekommt ihr Schaffen nach der Übersiedlung nach Deutschland eine wichtige Funktion: Ihre Werke verbinden sie mit ihren Wurzeln und formen dadurch ihre künstlerische Identität. Ihre Werke sind dabei auch künstlerisches Zeugnis einer Migrationsgeschichte. Granete Ngirandi nimmt in ganz Europa an verschiedenen Symposien und Ausstellungen Teil, unter anderem in der Schweiz und in Finnland. In der Region sie immer wieder in sozialen und kommunalen Einrichtungen zu Gast, nun auch hier in Telefonseelsorge Rhein-Neckar. (3) Schön, wenn ich Sie nun zu einem kleinen visuellen Rundgang einladen kann. Vielleicht haben Sie die Werke schon entdeckt, vielleicht machen die Worte Lust, nachher noch einmal auf Entdeckungsreise zu gehen. Bei der Auswahl habe ich auf Vollständigkeit verzichtet. Mit knappen Bemerkungen möchte ich nur sechs Werke aufgreifen. Ich möchte die in der Begegnung ausgewählten Werke in knappen Federstrichen respektvoll beschrieben und subjektiv interpretieren. Die Auswahl ist in der Begegnung mit der Künstlerin entstanden und weiß sich dem Satz verpflichtet. „Ein Kunstwerk entsteht im Auge des Betrachters.“ 3.1. „Aunt Dorothy“, 2015 (auf der Einladung abgedruckt) / Acryl und Sand Die „Tante in Rot“ wird zum Titel- und Sinnbild der Ausstellung. Vielleicht weil dieses Rot so unwiderstehlich ist - und in diesen grauen Tagen so gut tut. Im Blick auf die Silhouette der großen Frau mit Hut sehen wir noch nicht mal ein Gesicht. Da ist nur die Ansicht einer schwarzen Frau. Eine sehr aufrechte Gestalt - voller Ausrichtung, Entschlossenheit und Eleganz. Kein Wunder: Die Tante ist für ein afrikanisches Mädel kurz vor der Heirat die wichtigste Person im Leben. Wichtiger als die Mutter. Denn sie, die Tante, führt in die Rituale der traditionellen Heirat und die Geheimnisse des Lebens als erwachsene Frau. Eine Autorität, der sich junge Frauen gerne anvertrauen. Kein Wunder, wenn sie so klar, weiblich und voller Farbe erscheinen wie „Aunt Dorothy“ - ein Kompass und eine Ermutigung fürs Leben, wenn sich Frauen aufrecht und gut gekleidet in die Welt und das Leben mit der nächsten Generation stellen. Ein farbiger menschlicher Kompass in einer unübersichtlichen Welt. 3.2. „Follow the nature“, 2000 /Materialdruck In der Mitte eine großformatige Wasserschildkröte, um die herum auch andere Tiere in ein lebensfrohes Grün gegeben sind: Eine menschenfreie Kollage von Zusammenleben im Gleichgewicht der Natur. Zusammen mit dem Titel ein Blick auf das Gewicht von Natur und Schöpfung. Bei diesem Materialdruck ist auch ein Hinweis auf die Entstehung dieser limitierten Drucke sinnvoll: Granete legt in der Fertigung verschiedene einfache Materialien wie Schnur, Steinchen, Pappe, oder Sand auf eine Druckplatte. Sie legt sie intuitiv und mit der Möglichkeit einer Korrektur auf eine Platte, dann werden sie fixiert. - Für den Druckprozess fügt sie dann dem Negativ ihre Farben hinzu. Die limitierten Einzelexemplare kommen daher immer mit leichten Variationen in Umlauf. In dieser Technik entstehen keine figürlichen Abbilder, sondern variationsreiche Silhouetten, Flächen und Umrisse - die es klar machen: Granetes Kunst ist keine “Ethno-Art”, sondern ein eigenständiger Transformationsprozess. Ihre Figuren sind auch Chiffren. Für die Natur, für Themen, für Botschaften: “Follow African Nature ! - und lass dich hier von animalischen Formen anregen!” Granetes Werke widerstehen beidem: Einem “europäischen” Sog zu künstlerischer Abstraktion. Und einem “afrikanischen” Ethno-Stil der traditionell geprägten Formen von Mensch und Tier. 3.3 „Fleeing“, 2000 / Acryl und Sand Weiter mit einem politischen Bild, das darauf aufmerksam macht, dass Fluchtbewegungen schon lange ein Thema sind, bevor wir in Europa von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Unter der Diktatur von Robert Mugabe kam es zu Fluchtbewegungen nach Südafrika. Simbabwes Einwohnerzahlen sanken im letzten Jahrzehnt von 13 auf 11 Millionen Menschen. Eben weil es keine Lebensperspektiven in dem afrikanischen Land gab. Auch viele Künstler verlassen das Land. Granete Nigarandi greift das Motiv einer Frau auf der Flucht auf: Ein weißer Sack, Lasten auf dem Kopf , ein Stab als Stütze. Im Rücken die verlassene Heimat - unklar, was die Zukunft bringt. Ein ausdrucksstarkes Bild mit kräftigen Farben - frei von anklagender Moralität. 3.4. „Orphan Generation II“, 1998 / Materialdruck Weiter geht es mit einem der erschütternden Themen Afrikas: HIV und AIDS sind die tabuisierten Geißeln der letzten Jahrzehnte. Die Pandemie ist so verbreitet, dass eine ganze Generation fehlt. Allein die Zahlen sind schwindelerregend: Simbabwe hatte 2008 eine Infektionsrate von 15 % der Bevölkerung: Bei 1,2 Millionen Infizierten sterben in diesem Jahr 80.000 Menschen, auch in Granetes Familie. Millionen Kinder wachsen ohne Eltern auf. Schlimm ist die Tabuisierung: Das Schweigen über Infektion und Krankheit zerstört Familien, Ehen, Ressourcen der Unterstützung und Zuwendung. Zwei ausgestreckte, bedürftig wirkende Schemen von Händen erreichen mich zuerst auf diesem Materialdruck, seltsam abgetrennt von drei kopfartigen Kreisen im oberen Bilddrittel. Der kleinere „Kinderkopf“ zeigt zwei Augen. Sie blicken in die entgegengesetzte Richtung wie die „einäugigen“ großen „Köpfe“. Legt uns Granete hier nahe, wie ein Kind zwischen zwei „Fürsorgenden“ aufgehoben ist: Irgendwie dazwischen, vor unruhigem Hintergrund - aber auch mit einer enormen Stabilität ? Das Bild bleibt offen für viele Deutungen - und entzieht sich gerade dadurch auch wieder eine anklagenden Moralität. 3.5. „Migration“, 2016 / Acryl Das aktuelle, gerade entstandene Bild zeigt eine ungewohnte Atmosphäre für Granetes Werke: Düster und apokalyptisch die Farben, ungewöhnlich die Perspektive auf einen gewölbten Horizont. Als ob die Künstlerin die globale Dimension der Flüchtlingskrise aufgreift. Ein feuriger Himmel ist durchzogen von schwarzen Schlieren. Ein finsterer Schleier legt sich über die Zone des Aufbruchs. Eine überdimensionierte Gestalt ragt über kleine Boote heraus, als ob ein Schlepper Flüchtende in die schwarzen Schlieren treibt. Winzige Boote auf großer Wasserfläche, ein verschmierter Himmel und schwarze Striche auf der Wasseroberfläche mögen etwas von der nochmaligen Verfinsterung der Welt zeigen, deren Resultate wir in den täglichen Schlagzeilen und Meldungen über Flüchtende wahr nehmen können. 3.6. „Birds of the forest“ (Shiri Zesango), 2006 Zuletzt ein Bild mit einer deutlichen Polarität: Ein schwarzer Vogel und ein roter Gecko. Es ist, als ob der weiße Hintergrund die Tiere irgendwie isoliert und abstrahiert. Reizvoll dazu die künstliche feine schwarze Diagonale über das quadratische Format. Die Diagonale taucht öfter in Granetes Werken auf. Eine künstlerische Intervention ins Format, die in meinen Augen zu Fragen anregt: Verbindet oder trennt diese Linie? Macht sie nur eine Unterscheidung deutlich oder markiert sie eine Grenze? Sind die Tiere unverbunden? Oder gerade durch die Linie “friedlich” getrennt? Welche Aufgabe hat eine Grenze? Immerhin: Die Tiere greifen einander nicht an. Ist das schon eine Friedensbotschaft in diesen Tagen? (4) Damit beenden wir unseren kurzen Rundgang. Sie haben ja gleich noch mal die Möglichkeit, ohne Kommentare auf die Werke zu zu gehen. Granete Ngirandi lädt uns ein, mit ihr einen Blick auf Afrika zu werfen, der kein plumper Appell nach dem Motto „Vergesst Afrika nicht!“ ist. Vielmehr sind es ihre Transformationen, ihre Farben, ihre Titel, die uns ins Staunen bringen. Sie regen an, mehr sehen zu wollen. Mehr von Erfahrungen und Themen, die einen Kontinent prägen und die ihre Biographie prägen. Sie lädt zu einem fragenden Staunen ein - und in den vorgestellten Werken (mit Ausnahme von „Migration“) liegen ja wenig düstere Töne von schwere Themen, sondern eine farbenfrohe Lebenszugewandtheit: Eine Ressource, die Afrika ausmacht, die Granetes Kunst ausmacht. Dennoch zeigt sie ja keine Folklore oder Idylle, sondern bringt in ihren Werken eine Dialektik von Schönheit und Abgründigkeit zum Ausdruck. Hier liegt in meinen Augen auch der Bogen zum Titel der Ausstellung: „LOVE AND HATE“. Denn es geht nicht darum, Gegensätze in ein „Entweder-Oder“ aufzulösen. Viel eher legt sich beim Blick auf Granetes Werke eine Sicht nahe, die Hass, Abgründigkeit und Krieg nicht ausblendet. Bei jedem Atemzug sind wir von beidem umgeben. Von Liebe und von Hass. Aber wie es auch in einer gelingenden Seelsorge-Begegnung angelegt ist, gilt auch: Es eine Frage der Haltung, was davon spürbar wird, was wir „kultivieren“ können. Und dabei ist es in meinen Augen aber keine eigene „Leistung“, keine Technik, ob wir die Liebe zulassen können. Es ist eher eine Gabe, ein Geschenk, eine Weitung, ein Trost. Granete Ngirandis Werke sind Geschenke einer solchen Weitung. Geweitet bin ich nach diesem Rundgang und bin - mitten in Mannheim - erfasst von einem frischen Wind aus Afrika. Bewegt von Einblicken in Vitalität und Lebensfreude, Warmherzigkeit und Liebeskraft, Leidenschaft und Grausamkeit, magischer Verstrickung und Ahnenkult, Härte und Sanftmut, Liebe und Hass. Der Ausstellung wünsche ich eine gute Resonanz. Ihnen und Euch danke ich für die Aufmerksamkeit.
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