DIE FRIEDENS-WARTE – INHALT 89 (2014) 3–4

DIE FRIEDENS-WARTE – INHALT 89 (2014) 3–4
DEKONSTRUKTION VON SOUVERÄNITÄT.
DISKURSE ZUR LEGITIMIERUNG MILITÄRISCHER INTERVENTIONEN
Gastherausgeber: Prof. Dr. phil. Michael Staack
ZUM TODE VON ARNO SPITZ
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Ernst-Renatus Zivier
EINLEITUNG
Es begann mit dem „Ende der Geschichte“.
Souveränitätsdiskurse und westliche Weltordnungspolitik
Michael Staack / Denis Liebetanz
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DEBATTE
Dekonstruktion von Souveränität.
Diskurse zur Legitimierung militärischer Interventionen
August Pradetto
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Dieser Debattenbeitrag stellt zugespitzt dar, wie aufgrund veränderter Machtverhältnisse in den internationalen Beziehungen zugunsten des Westens das
Verhältnis zwischen Souveränität und Menschenrechtsschutz neu bestimmt
wird. Westlicherseits wird für einen immer größeren Teil der Welt das Recht
auf Souveränität infrage gestellt und dies nicht zuletzt mit dem Menschenrechtsschutz begründet. In gewisser Weise wird die Politik der Konfrontation
und Exklusion aus den 1950er und 1960er Jahren wieder aufgegriffen, wobei
heute nicht kommunistische Diktaturen im Fokus stehen, sondern Diktaturen
unterschiedlichster Art. Der Essay analysiert diese Infragestellung und fragt
nach deren spezifischen, historisch-kontingenten Charakteristika.
BEITRÄGE
Souveränität als fundamentales Konzept des Völkerrechts
Andreas von Arnauld
Das völkerrechtliche Konzept staatlicher Souveränität befindet sich in stetem Wandel. Hierfür sorgen v. a. innere Antinomien äußerer Souveränität (als
Freiheit zur Selbstbindung), eine Außenwendung der Volkssouveränität im
Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie die menschenrechtliche Idee individueller Souveränität. In der spannungsvollen Gleichzeitigkeit eines vom
Staat und von der internationalen Gemeinschaft her gedachten Modells ist
„Souveränität“ heute ein mehrdimensionales Konzept. Eine weitere Stärkung
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des Verständnisses von Souveränität als Verantwortung kann nur in kleinen
konkreten Schritten erfolgen und bedarf multilateraler Einbindung. Auch
ist zu bedenken, dass das traditionelle Souveränitätsverständnis die Rechtsgleichheit der Staaten stützt und so vor einem Recht des Stärkeren schützt.
Souveränität über natürliche Ressourcen
im postkolonialen Völkerrecht
Sigrid Boysen
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Gleiche Souveränität war das große Versprechen der nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Dach der Vereinten Nationen neu errichteten internationalen Ordnung. Sie ist durch die systematische Trennung der politischen und
ökonomischen Institutionen charakterisiert. Zu dieser ambivalenten Differenzierung zwischen dem politischen und dem ökonomischen Bereich gehört
der inhärente Widerspruch zwischen den anti-imperialistischen Ansprüchen
des modernen Völkerrechts und seinen imperialen Wurzeln sowie zwischen
emanzipatorischem Versprechen und dem regulierenden Zugriff einer instrumentell-ökonomischen Rationalität. Nur wer sich diese Struktur der internationalen Ordnung bewusst hält, kann die spezifischen Gleichheitsfragen
einer Wohlfahrtsökonomie jenseits des Wohlfahrtsstaates richtig fassen, die
das Prinzip der Souveränität über natürliche Ressourcen aufwirft. Ihnen ist
der Beitrag gewidmet.
Das Ende der Souveränität? – Über die Entstehung
neuer Gewalträume im Krieg gegen den Terrorismus
Janosch Prinz / Conrad Schetter
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Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, wie über die Konstruktion von bestimmten Gewalträumen die Legitimation einer post-heroischen Kriegsführung (v. a. mithilfe von Drohnen) erfolgt. Am Beispiel der Konzepte der
„unregierten Räume“ und der „kill boxes“ soll verdeutlicht werden, wie gegenwärtig die Schaffung zielorientierter, fluider Gewalträume zum bestimmenden Merkmal der militärischen Kriegsführung avanciert. Gerade das
Konzept der „unregierten Räume“ offenbart zugleich die Unmöglichkeit der
territorialen Kontrolle von Kriegsgebieten. Der Anspruch, ein Territorium
flächenhaft zu beherrschen, wird aufgegeben zugunsten punktueller Vernichtungsschläge gegen einen undefinierten Feind.
Comprehensive Approach – ein Auslaufmodell?
Die fragwürdige Geschichte erweiterter Sicherheit
Corinna Hauswedell
Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Chance zur Neuformulierung
eines gemeinsamen Sicherheitsverständnisses zwischen Ost und West vertan
worden. Die Entgrenzung westlicher Militärpolitik – im deutschen Kontext
beginnend mit dem out-of-area-Urteil von 1994 – hat hinsichtlich ihrer nor-
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mativen und legitimatorischen Basis unterschiedliche, diskursive und handlungsrelevante Etappen durchlaufen. Das Versprechen einer „erweiterten
Sicherheit“ speiste sich in den 1990er und 2000er Jahren aus parallelen Diskursen der militärischen und zivilen Eliten. Die nach 9/11 daraus abgeleitete
Operationalisierung staatlicher Friedenspolitik als „vernetzter Ansatz“ (comprehensive approach) in zahlreichen militärisch-zivilen Interventionen war
ein folgenschwerer und ressourcenintensiver Irrweg: Nicht nur ging die analytische Trennschärfe zwischen unterschiedlichen Bedrohungen, Gefahren
und Risiken verloren, auch wurde ziviles Krisenmanagement und Prävention
durch die Dominanz militärischen Handelns marginalisiert oder desavouiert.
AUTOR_INNEN
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