Szene Nachgefragt „Extreme Schieflage“ ?? Der Risikostrukturausgleich führt zu erheblichen Verzerrungen unter den Krankenkassen, kritisiert der Vorstand der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), Dr. Hans Unterhuber, im Interview und verlangt eine grundlegende Reform. Herr Dr. Unterhuber, die SBK musste ihren Beitragssatz für 2016 auf 15,9 Prozent anheben und rangiert damit am oberen Ende. Weshalb? Die steigenden Kosten im Gesundheitssystem sowie neue Gesetze und Reformen sorgen bei den Krankenkassen für Mehrausgaben, auch bei der SBK. Im Gegensatz zu anderen Kassen werden wir jedoch keine Leistungen kürzen und nicht am Service sparen. Wir sind keine Billigkasse, sondern Qualitätsanbieter. In Rankings wie dem Kundenmonitor belegen wir regelmäßig Platz 1. Zu einem erheblichen Dr. Hans Unterhuber, Teil jedoch ist unser Zusatzbeitrag Systemfehlern in der Vorstand der Siemens Kassenfinanzierung geschuldet. Hier muss sich dringend Betriebskrankenkasse etwas ändern. Deshalb setzen wir uns für eine faire Verteilung der Mittel aus dem Gesundheitsfonds ein. Das beinhaltet eine Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA). Zu welchen Verzerrungen unter den Krankenkassen führt der Morbi-RSA? Der Morbi-RSA gleicht Risiken aus, auf die die Krankenkassen Einfluss nehmen könnten. Ein Beispiel sind Volkskrankheiten wie Diabetes: Werden diese Krankheiten von Ärzten dokumentiert, erhalten Kassen Zuweisungen – das hat in den vergangenen Jahren prompt zu einem deutlichen Anstieg dieser Krankheiten geführt. Das kann politisch nicht gewollt sein. Dagegen werden Risiken, auf die die Kassen keinen Einfluss haben, nicht ausgeglichen, wie der Wohnort der Versicherten oder die Höhe des Krankengeldes. So werden Kassen, deren Kunden hauptsächlich in Ballungsraumgebieten wohnen, wo die Versorgung teuer ist, systematisch benachteiligt. Es entsteht eine extreme Schieflage zwischen den Kassen – die Leidtragenden sind am Ende die Kunden, wenn etwa Versicherte in Ballungsräumen für dieselbe Versorgung erheblich mehr bezahlen müssen. Bereits heute zahlen Versicherte in Nordrhein-Westfalen im Schnitt einen Zusatzbeitrag von 1,2 Prozent, also deutlich mehr als der bundesweite Zusatzbeitrag von 1,09 Prozent, in Thüringen dagegen nur 0,8 Prozent. Wie sollte der Morbi-RSA reformiert werden? Erstens fordern wir einen Regionalfaktor, der die angesprochene Wohnortkomponente in den Morbi-RSA integriert. Zweitens wird derzeit das Krankengeld nur unzureichend ausgeglichen, hier müssen die Grundlohnhöhe berücksichtigt sowie Fallzahlen und Dauer besser abgebildet werden. Drittens müssen Hochkostenfälle über einen Hochrisikopool ausgeglichen werden, damit die Finanzlage einer Kasse nicht von Erkrankungen einzelner Versicherter abhängt. Schließlich dürfen Volkskrankheiten nicht so stark wie heute bei der Krankheitsauswahl berücksichtigt werden, damit Manipulationsanreize sinken. Nur wenn die Mittel des Gesundheitsfonds fair verteilt werden, gibt es echten Kassenwettbewerb. Das Ausgleichssystem sollte transparent gestaltet und die Wirkungen regelmäßig nicht nur von Expertokraten, sondern in einer demokratischen Auseinandersetzung bewertet werden. Heute werden gut 200 Milliarden Euro über ein undurchsichtiges System verteilt. bal f&w 2|2016 113
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