VulVodynie - Praxisklinik Dr. Weiss

Vulvodynie
Ursachen - Behandlungsmöglichkeiten
Anna
Weitere Symptome
Die 34jährige Anna war verzweifelt. Noch vor wenigen Jahren
hatte sie sich völlig gesund gefühlt. Doch jetzt war alles
anders.
Begonnen hatte es mit einer „harmlosen“ Blasenentzündung.
Drei Tage musste sie Antibiotika einnehmen, dann war alles
wieder gut. Bis auf den Scheidenpilz, aber auch das war mit
einer Salbe und einem Zäpfchen zu beheben. Leider blieb
es nicht dabei. Die Blasenentzündungen mit anschließender
Pilzinfektion häuften sich. Und damit auch die Beschwerden.
Litt Anna anfänglich nur vorübergehend unter Brennen und
Juckreiz im Scheidenbereich ging das Brennen später kaum
noch zurück. Anna hatte das Gefühl, als wäre der Scheideneingang eine offene Wunde.
Die Gynäkologen verschrieben neue Salben und Tabletten,
doch die Medikamente halfen wenig und oft verstärkten die
Salben sogar das Brennen. Fast so schlimm wie die Schmerzen
war die Tatsache, dass „nichts“ gefunden wurde. Außer einer
leichten Rötung sei kein krankhafter Befund vorhanden. Das
bestätigten mindestens vier verschiedene Frauenärzte.
Anna fragte sich am Ende, ob sie sich das Ganze nur einbilde.
Doch eingebildet war das nicht, bei Anna hatte sich eine
Vulvodynie entwickelt.
Vulvodynie tritt selten isoliert auf. Häufig ist sie gepaart mit
Blasenbeschwerden, Beckenbodenbeschwerden, MagenDarm-Störungen, Reizempfindlichkeit, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und vermehrten Ängsten.
Definition:
Als Vulvodynie (engl. „vulvodynia“) oder Vulvodyniesyndrom
werden chronische Schmerzen oder Missempfindungen im
Bereich des Scheideneingangs bezeichnet, die länger als drei
Monate dauern und sich nicht durch einen hinreichenden
körperlichen Befund erklären lassen.
Häufigkeit
Vulvodynie ist ein relativ häufiges Beschwerdebild. Im Laufe
des Lebens sollen laut einer Untersuchung in den USA
zwischen 8 und 16% aller Frauen darunter leiden.
Vulva = Gesamtheit der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane d.h. Venushügel, große und kleine Schamlippen,
Klitoris und Scheidenvorhof. Auslöser
Am häufigsten wird Vulvodynie nach wiederholten Infekten im Genitalbereich ausgelöst. An erster Stelle stehen
Pilzerkrankungen. Aber auch Bakterien, Viren (z.B. Herpes),
Trichomonaden oder andere Keime können am Anfang des
Leidensweges stehen.
Weitere Auslöser: Hauterkrankungen, Operationen, Verletzungen, traumatische Erfahrungen, Erkrankungen von regionalen Nerven, vermehrte Schwellungen (Ödeme) im Bereich
der Vulva und andere lokale Erkrankungen.
Fast in allen Fällen spielen Angst und Anspannung eine
große Rolle. So entwickelt sich aus einer „harmlosen“ Pilzerkrankung viel eher eine Vulvodynie, wenn in der gleichen
Zeit eine höhere emotionale Anspannung/Belastung, Depressionen oder vermehrt Ängste vorhanden sind.
Beschwerden:
Die Schmerzen sind unterschiedlich intensiv ausgeprägt und
werden meist als brennend oder stechend erlebt. Verstärkt
werden die Schmerzen in der Regel durch enge Kleidung,
Fahrradfahren, Berührung, Tampons, Verkehr und Aufregung/
Stress.
Typen
Lokale Vulvodynie: Die Schmerzen sind auf einzelne Bereiche beschränkt. Bei Berührung (z.B. Watteträger) kann sich
eine Rötung zeigen.
Generalisierte Vulvodynie: Bei diesem Beschwerdebild
brennt/schmerzt die gesamte Vulva.
Provozierte Vulvodynie: Hier treten die Schmerzen nur auf,
wenn ein äußerer Reiz vorhanden ist, meist eine Berührung,
z.B. beim Verkehr, durch Tampons oder enge Kleidung.
Nicht provozierte Vulvodynie: Meist nach längerem Leiden
können die Schmerzen und Missempfindungen auch ohne
äußeren Anlass dauerhaft sein („unprovoked vulvodynia“).
Lokale und provozierte Formen sind aus naheliegenden
Gründen leichter zu ertragen als nicht provozierte und gene–
ralisierte Beschwerden.
Ursachen
Die Ursachen gelten häufig als „unklar“ oder „rätselhaft“.
Es gibt es jedoch seit einigen Jahren neue Hinweise zu den
körperlichen und psychischen Hintergründen.
Bei der Vulvodynie sind die Schleimhäute in der Regel leicht
gerötet, entzündet oder geschwollen. Allerdings ist diese
Reaktion nicht die eigentliche Ursache der Beschwerden. Sie
sind eher als Ausdruck einer unspezifischen Irritation und
Überempfindlichkeit der lokalen Nerven und der Schleimhaut
zu verstehen. Der naheliegende Versuch, diese Reaktion
durch Kortison zu unterdrücken, erweist sich aber meist als
unwirksam und hat auch längerfristig negative Folgen.
Die eigentliche Ursache der Schmerzen liegt - das zeigen
aktuelle Studien – in einer erhöhten Empfindlichkeit des Nervensystems auf äußere Reize. Bei Untersuchungen im funktionellen MRT („Hirnscanner“) findet sich eine hohe Aktivität
in Hirnregionen, die bei Schmerzverarbeitung und Angst eine
Rolle spielen, etwa Hippocampus, Basalganglien und somatosensorischer Kortex. Selbst minimale Reize im Bereich der
Vulva lösen dort eine übersteigerte Reaktion aus.
Das Nervensystem reagiert also in zu starker Weise auf
Reize, die ansonsten ignoriert würden. Somit ist Vulvodynie im Wesentlichen Ausdruck einer peripheren (Haut/
Schleimhaut) und zentralen (Gehirn) Sensitivierung und
nicht primär eine Erkrankung der Vulva.
Therapie
Diese Erkenntnisse haben weitreichende Folgen für die
Therapie. Nicht die Behandlung der Genitalregion sollte im
Mittelpunkt stehen. Das eigentliche Ziel ist die Beruhigung
der übersteigerten Reaktion des Nervensystems auf mehr
oder weniger normale Reize. Es kommt darauf an, die erhöhte
Irritierbarkeit auf allen Ebenen schrittweise zu mildern und
Körper, Geist und Seele von der Ungefährlichkeit der Situation zu überzeugen.
Unnötiges meiden
Selbstverständlich muss das Krankheitsbild ausreichend abgeklärt werden. Es ist notwendig, ernsthafte Erkrankungen,
die hinter den Beschwerden stecken können, auszuschließen.
Aber bei unauffälligem Befund haben wiederholte gleichartige Untersuchungen in aller Regel einen verschlimmernden
Effekt: Verunsicherung, Angst, unbewusste Konzentration auf
die Schmerzregion und Sensibilität des Gewebes nehmen zu.
„Was habe ich für ein rätselhaftes Krankheitsbild? Was
steckt hinter den Schmerzen? Etwas muss doch sein! Ich
bilde mir das doch nicht ein!“ So ähnlich denken viele Betroffene, wenn immer wieder „nichts“ bei einer Untersuchung
herauskommt.
Daher ist ein wesentlicher Schritt bei negativem Vorbefund:
• Vermeidung wiederholter Untersuchungen
• Vermeidung unangenehmer/schmerzhafter Eingriffe
• Vermeidung übertriebener Intimhygiene
• Absetzen wirkungsloser Medikamente/Behandlungen
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Problematische Schonung
Umfassende Therapiestrategien
Die Betroffenen stellen schnell fest, dass die Beschwerden
durch jede Art von Irritation (Druck, Berührung, Kälte,
Verkehr usw.) schilmmer werden. Die naheliegende Lösung
heißt Schonung und Meidung aller Reize. Doch das hat
negative Folgen. Erhalten Sinneszellen keine Signale, nimmt
deren Sensibilität im Laufe der Zeit zu.
Kein einzelnes Medikament oder Therapieverfahren ist in der
Lage, alleine die Beschwerden zu heilen. Doch das ist kein
Grund zur Resignation. Durch die Kombination geeigneter
Therapieverfahren in Sicherheit vermittelnder Umgebung können große therapeutische Fortschritte erzielt werden.
So geht es lärmempfindlichen Menschen mit Oropax zwar
besser, die erhöhte Empfindlichkeit lässt dadurch aber
keineswegs nach. Im Gegenteil: Selbst bei normaler Geräuschkulisse ist ohne Gehörschutz bald an Schlaf kaum mehr
zu denken. Ähnlich verhält es sich mit den Sensoren in der
Schleimhaut. Sie gewöhnen sich an die reizarme Lage und
werden durch die Schonung im Laufe der Zeit immer sensibler.
Doch was ist zu tun, wenn Meidung das Problem langfristig
verschlechert aber gleichzeitig kleinster Druck bereits
Beschwerden bereitet? Ein echtes Dilemma!
Das therapeutische Fenster
Dann gilt es, Bedingungen zu schaffen, dass sich zwischen
Über- und Unterstimulation ein Bereich öffnet, der für die Heilung genutzt werden kann: das therapeutische Fenster. Hier
wird noch keine Abwehrreaktion provoziert und trotzdem sind
Reize ausreichend stark, um schrittweise die Schwelle anzuheben. Der Körper lernt, dass gewisse Signale nicht gefährlich sind und beginnt langsam, adäquat darauf zu reagieren.
Dies wird vor allem ermöglicht, wenn auch andere Sinne Ruhe
und Sicherheit vermitteln, das Gesamtumfeld vertrauenswürdig und wohltuend ist. Bei der Behandlung der Vulvodynie
wird das so geöffnete therapeutische Fenster systematisch
genutzt und erweitert, um die Reizschwelle nach und nach
anzuheben und damit die Beschwerden zu verringern.
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Aufklärung
Ganz am Anfang steht die Aufklärung für die betroffenen
Frauen und ggf. auch deren Partner. Wie ist das Krankheitsbild zu verstehen? Was geschieht im Körper? Wie lässt es sich
wirkungsvoll behandeln? Wenn so vermittelt werden kann,
dass die Symptomatik nachvollziehbar, erklärbar und keineswegs „eingebildet“ ist, dann ist den meisten Frauen bereits
eine erste Last von den Schultern genommen.
Allgemeine maSSnahmen
Oft ist zu Beginn der Therapie die Schmerzschwelle sehr
niedrig. Bereits kleinste Reize lösen schon heftige Reaktionen
aus. An eine direkte Behandlung der Schamregion ist dann
kaum zu denken; das therapeutische Fenster ist in diesem
Bereich äußerst schmal, ja praktisch geschlossen.
Daher muss die Behandlung erst einmal über indirekte Wege
(“Umwege”) die Bedingungen für die Öffnung des therapeutischen Fensters schaffen. Durch Ölmassagen, Wärme,
Atemtherapie, Bauchmassagen und Ähnliches wird Körper
und Seele entspannte Sicherheit vermittelt und so bereits ein
wenig die übersteigerte Sensibilität der Vulva reduziert.
Spezifische Therapie
Jetzt ist es möglich, stufenweise spezifische Therapien für
den Beckenboden und die Vulvaregion zu integrieren. Der
angespannte Beckenboden wird sanft gelöst,
gedehnt und mit vielfältigen Übungen stufenweise an Reize
gewöhnt.
Schritt für Schritt fördern Beckenbodentraining, Vibrationsbehandlungen, Wärmetherapie und weitere Verfahren die
Normalisierung der gesteigerten Sensibilität.
Die Therapeutinnen stellen auch Hilfsmittel für das Üben
zuhause vor (z.B. Vaginaldehner, Vibratoren), die eine sehr
wirkungsvolle therapeutische Ergänzung sein können.
Das gemeinsame Gespräch
Für die meisten Frauen ist der Verkehr nicht nur schmerzhaft, sondern führt auch im Anschluss oft zu tagelangen
Verschlechterungen. So wird die körperliche Liebe bald ganz
gemieden. Nicht selten gehen die betroffenen Frauen aus
Angst vor einer erneuten schmerzvollen Erfahrung jeglicher
Form der körperlichen Intimität aus dem Weg. Sie empfinden
gegenüber dem Partner dann oft Schuldgefühle und viele
Partner fühlen sich – bei mehr oder weniger großem Verständnis – zurückgewiesen. So lastet oft eine Verstrickung
aus Frustration, Schuldgefühlen und latenten Vorwürfen auf
der Partnerschaft und bereitet ein angespanntes emotionales
Klima, das für die Heilung hinderlich ist.
In gemeinsamen Gesprächen kann hier der Boden geschaffen werden, wie in Sicherheit und Vertrauen körperliche
Berührung und intime Nähe erlebt werden kann, selbst wenn
Verkehr (noch) nicht möglich ist.
Das tägliche Selbsthiilfe-Übungsprogramm ist ein wesentlicher Baustein während und nach der Intensivtherapie.
Medikamente
Schmerzmittel sind bei Vulvodynie leider nur gering oder gar
nicht wirksam. Doch es gibt andere therapeutische Optionen.
Besonders niedrig dosierte Antidepressiva und Präparate, mit
denen die Reizschwelle beeinflusst wird, sind eine Alternative.
Als alleinige Maßnahme sind sie jedoch fast immer unzureichend.
Die Anwendung von wirkstoffhaltigen Salben, Cremes und
Ovulas ist meist nicht empfehlenswert, da sie die Irritation
der Schleimhäute verstärken. Eine unspezifische, milde Hautpflege kann dagegen sinnvoll sein.
Intensivtherapie
Wenn Beschwerden über Monate oder Jahre bestehen, sind
die Reaktionsmuster oft tief neuronal verankert. Um hier eine
Veränderung zu erreichen, braucht es eine sehr häufige
wiederholte korrigierende Erfahrung. Niederfrequente Therapien (z.B. einmal pro Woche) sind nicht in der Lage, solch eine
Neuorganisation zu erreichen.
Wir konnten die besten Erfahrungen mit mehrstündigen
Anwendungen (4-6 Stunden/Tag) machen, die täglich über
einen begrenzten Zeitraum von 2-3 Wochen durchgeführt
werden. Auch wenn dieses Vorgehen aufwändig ist, gelingt
es damit, die Reizverarbeitung neu zu ordnen (neuronale Restrukturierung) und so die Reizschwelle auf ein gesundes Maß
anzuheben. Schmerzen, Angst und Anspannung lassen nach.
Selbsthilfe
In aller Regel geht es nach der Intensivtherapie deutlich
besser, allerdings sind damit die Beschwerden nicht völlig verschwunden. Zuversicht, Ruhe und Selbstsicherheit
sind bereits wieder eingekehrt und gleichzeitig hat sich das
therapeutische Fenster weiter geöffnet. Und damit eröffnen
sich neue Möglichkeiten für die Selbsthilfe, die während der
Therapiephase erlernt wurde.
Statt hilflos den Beschwerden ausgeliefert zu sein, ist es nun
möglich, die Beschwerden aus eigener Kraft zu überwinden.
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Praxisklinik
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