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DIGITALISIERUNG
VERSTEHEN – CUSTOMER
EXPERIENCE GESTALTEN
WHAT’S NEXT?
„Wir haben ein übergreifendes Projekt zur Digitalisierung
unseres Unternehmens gestartet“ – mit dieser freudigen
Botschaft wurde ich vor Kurzem von einem Kunden
zu einem gemeinsamen Termin begrüßt. Die Energie
und Motivation, ein solch wichtiges und hippes Thema
anzugehen, war deutlich spürbar. Markt, Marketiers,
Berater und neuerdings auch die Politik geizen ja nicht
mit Wortneuschöpfungen zum Thema Digitalisierung –
was sich auch in besagtem Kundentermin sehr schnell
herausstellte: Bereits eine Frage kann den Enthusiasmus
empfindlich dämpfen: „Was genau verstehen Sie unter
Digitalisierung und welche Ziele verfolgt das Unternehmen mit diesem Projekt?“ Überspitzt formuliert gab
es schlicht keine klare Aussage zu Zielen und Interpretation der Digitalisierung, dafür aber Zeitplan und
Projektbudget.
Die Welt der unbeschränkten Möglichkeiten?
Die beschriebene Situation ist beileibe kein Einzelfall,
immer schnellere Innovationszyklen im Technologiesektor rund um Web und Mobile stellen Unternehmen
vor massive Herausforderungen und erzeugen Druck,
auch dabei sein zu müssen. Alle Welt predigt, der Endkunde habe sekündlich steigende Erwartungen, die
der Unternehmer bitteschön zu übertreffen habe – das
alles natürlich auf allen aktuell angesagten Kanälen und
rund um die Uhr. Und ja, der Markt und insbesondere
die Technologieanbieter versprechen eine Welt der unbeschränkten Möglichkeiten. Ein Blick in den Markt lässt
schnell digitale Zukunftsvisionen entstehen, die sich
verschiedenster Technologien bedienen. So wird der
„digitale Kunde“ künftig über Wearables, also tragbare
Technologien, die in die Kleidung eingebaut sind, nicht
nur Daten sammeln, sondern über diese Wearables
auch mit Unternehmen kommunizieren, um beispielsweise seinen vernetzten Haushaltsgeräten im Internet of Things bereits während des Joggens auf Basis
der aktuellen Vitaldaten die perfekte Mischung für den
bald benötigten Regenerationsdrink zuzusenden. Die
Krankenversicherung schickt Bonuspunkte und Motivationshilfen auf die getragenen Google Glasses und
unterstützt durch den Online-Coach. Gleichzeitig wird
der beim gleichen Anbieter abgeschlossene dynamische
Kfz-Versicherungstarif wieder reduziert und die „Strafe“
durch die vor einer Woche stattgefundene Autobahnfahrt
mit mehr als 120 km/h, durch Health Credits reduziert.
Und und und ...
Neue Geschäftsmodelle werden am laufenden Band realisiert und integriert.
Soweit die Zukunftsvisionen, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten und auch müssen. All diese Visionen und Services setzen sehr stark auf das neue Erfinden
von Geschäftsmodellen – fraglos die Königsdisziplin der
Digitalisierung, aber ebenso wenig plan- und steuerbar.
Auch Accenture stellt in der TOP 500-Studie fest, dass
sich mehr als 80 % der Unternehmen primär mit der
Digitalisierung des Services und der Geschäftsprozesse
INTRE PERFORM
Fortsetzung auf S64 ç
INTRE: Wer – einzelne Unternehmen oder auch gerne
Branchen – hat aus Ihrer Sicht die Digitalisierung bis
dato recht gut im Griff ? GRÜNZNER: Ich denke Telekommunikationsanbieter sind neben den offensichtlichen Retailern im Web sehr fit, was die Digitalisierung
angeht. Im deutschen Markt greife ich gerne Telekom
und Telefonica heraus, die ein konsistentes und sehr
schlüssiges Serviceangebot über Web, Mobile und Service Center anbieten und dabei gezielt digitale Kanäle
wie Social und Chat integrieren. Banken holen meines
Erachtens gerade auf und die Hypovereinsbank setzte
in den vergangenen zwei Jahren mit der Einführung der
Online-Filiale ein deutliches Zeichen.
INTRE: Werden Wearables die Service-Zukunft verändern – zu Beispiel die Apple Watch oder Smart HomeLösungen? GRÜNZNER: Eindeutig ja, insbesondere aber
die Zukunft der Datenanalyse und Bewertung. Jedes digitale Device ist ein potenzieller Datenmess- und -sammelpunkt. Wenn kognitive Systeme in der Lage sind,
diese Datenflut in Echtzeit auszuwerten, ergeben sich
natürlich völlig neue Möglichkeiten der Gestaltung von
Interaktionen sowohl im klassisch reaktiven Bereich als
auch in der proaktiven Ansprache.
STEFAN GRÜNZNER
Geschäftsführer der brightONE Consulting GmbH
INTRE: Es gibt auch leichte Warnungen bzw. Sorgen bzw.
die Annahme, dass sich hier ein neues Ökosystem entwickelt. Beispiel Fitnessbereich: Die Fitness-Uhr mit GPS
misst das Bewegungs- und Trainingsverhalten und gibt
parallel eine Trainingsanleitung. Musik wird zum Lauf
durch eine individuelle Playlist eingespielt und ein Online-Applaus und Lauf-Coaching fördern die Motivation
der Nutzer. Der Online-Shop bietet Health- und FitnessProdukte an und in der Community erfolgt ein sozialer
Austausch zwischen den Nutzern. Alles gut und schön,
aber was passiert, wenn Apps miteinander sprechen?
GRÜNZNER: Neben all den tollen neuen Möglichkeiten
ist Vorsicht mehr als angebracht. Ein „interessantes“
Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Anbieter
Uber. Man sei in der Lage, aufgrund von Nutzerprofilen
zu prognostizieren, welches Ziel und warum ein Fahrgast dieses ansteuert – inklusive durchaus eher privater
und delikater Aussagen. Also ja, es lohnt sich, sich Sorgen zu machen und vorsichtig zu sein. Dennoch: Vernetzung und Digitalisierung in allen Lebensbereichen wird
auch weiterhin viele nützliche und damit vom Anwender akzeptierte Lösungen hervorbringen. Der Endkunde
wird durch die schlichte Nutzung entscheiden, welche
Angebote er nutzt und welches Risiko er eingehen will.
Ob Apps dabei miteinander reden oder Datenkraken im
Hintergrund Informationen kombinieren, ist dabei bei
hohem Nutzen zweitrangig. Wichtig wird es sein, auch
aus Serviceperspektive als Anbieter aktiv zu informieren
und nicht die alleinige Verantwortung beim mündigen
Nutzer oder in der Regulierung zu suchen.
INTRE PERFORM
INTRE: Ist der Kunde im Sinne eines Endkonsumenten bei strategischen Entscheidungen, die sich auf
den Kunden(service) auswirken, unterrepräsentiert?
GRÜNZNER: Kurz gesagt – leider ja. Das hat meines
Erachtens zwei wesentliche Gründe: Kundenservice ist
in Unternehmen unterrepräsentiert. Solange Service als
outsourcing-fähige Belastung (nicht Leistung) gesehen
wird, spielen Kosten und nicht Qualität die Hauptrolle.
Auch innerhalb der Serviceorganisation werden viele
Veränderungen „im Sinne“ des Kunden ohne Feedbackschleife umgesetzt. Beide Punkte lassen sich aber mit
wenig Aufwand angehen. Klassische Journey Maps (in
Interaktion mit Kunden entwickelt!) und Personas helfen
dabei, Serviceprodukte mit dem Endkunden im Fokus zu
entwickeln und ganz nebenbei auch Kosten zu sparen.
Denn nicht jedes Serviceprodukt, von dem ich glaube,
es kommt gut an oder wird benötigt, wird von Kunden
ebenso gesehen. Intensive Beschäftigung mit echten
Kunden erleichtert auch strategische Entscheidungen
im Rahmen der Digitalisierung. Wenn ich weiß, wo heute Defizite und Erfolgsfaktoren aus Kundensicht liegen,
kann ich neue und digitale Serviceprodukte im Rahmen
einer Digitalisierungsstrategie wesentlich sicherer platzieren.
© brightone
INTERVIEW: STEFAN GRÜNZNER
Geschäftsführer der brightONE Consulting GmbH
INTRE PERFORM
beschäftigen und nur wenige den Fokus auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle (digitale Zukunftsvisionen) setzen. Aber was dann, bitteschön?
Ich glaube, jedes Unternehmen sollte sich mit den Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung auseinandersetzen und daraus gezielt eine Digitalisierungsstrategie
ableiten, die weniger weit in die Zukunft zielt und sich
viel konkreter mit den Bedürfnissen der Kunden von
heute und morgen auseinandersetzt. Doch gerade diese Was uns definitiv „morgen“ erwarten wird, ist die RevoKonkretion fällt schwerer, als man denken möchte. Hier lution in der Informationsverarbeitung durch kognitive
leisten Customer Journeys wertvolle Dienste, um sich Systeme. Zum ersten Mal sind wir in der Lage, auch
als Unternehmen den Spiegel der Kundenwahrnehmung unstrukturierte Informationen in Echtzeit zu verarbeiten
vorzuhalten. Entscheidend ist es, die Customer Journeys – eine Revolution in vielen Bereichen, die aber insbesonnicht im stillen Kämmerlein zu entwickeln, sondern Kun- dere im Bereich von Selfservices und Kundenserviceden methodisch zu begleiten und echte Erfahrungen in organisationen bereits begonnen hat und in den komder Interaktion mit dem Anbieter
menden Jahren jedes Unternehmen
einzufangen. Dabei ergeben sich
tangieren wird. Nach wie vor liegen
„Ich glaube, jedes Unternehmen
sollte sich mit den Chancen und
in der Zusammenarbeit mit un80 % aller Informationen in UnterMöglichkeiten der Digitalisierung
seren Kunden immer wieder zwei
nehmen unstrukturiert vor und sind
auseinandersetzen und daraus
wesentliche Erkenntnispotenziale:
damit für Mitarbeiter und Systeme
ERSTENS: Endkunden empfinden gezielt eine Digitalisierungsstrategie
kaum zugänglich. Stellen Sie sich vor,
ableiten, die weniger weit in die
gut gemeinte „Serviceideen“ oft
was passiert, wenn kognitive Systeme
anders, als vom Unternehmen ge- Zukunft zielt und sich viel konkreter
diesen Schatz verfügbar machen und
plant. ZWEITENS: Servicemitarbei- mit den Bedürfnissen der Kunden von
zusätzlich mit öffentlich verfügbaren
ter, die immer Teil einer derartigen heute und morgen auseinandersetzt.“
Datenquellen kombinieren. Also was
Analyse sein sollten, leiden massiv
erwartet uns in naher Zukunft? ERSunter komplexen Servicemodellen und Kundenansprü- TENS: Kunden führen echte und dynamische Dialoge
chen und haben keine Chance, positiv auf die Customer mit kognitiven Systemen auf jedem digitalen Kanal bzw.
Experience einzuwirken.
Device. Endlich Selfservice, der funktioniert! ZWEITENS:
Servicemitarbeiter haben den digitalen Coach zur Hand,
WHAT´S NEXT?
der sie in jeder Interaktion durch den Zugriff auf die WisUnd hier sehen wir auch die wesentlichen Anknüpfungs- sensbasis der angeschlossenen Datenquellen wieder auf
punkte für die Frage „What’s next?“: Der Endkunde ent- Augenhöhe mit den Kunden bringt. Endlich wieder Menscheidet am Ende des Tages, welche neuen Kanäle oder schen, deren Intelligenz gewollt und gefordert ist am
Innovationen er nutzen wird – schlicht auf der Grundla- Servicearbeitsplatz!
ge, ob diese Mehrwert für ihn bieten. Dieser Mehrwert
orientiert sich gerade im Servicebereich primär an den autor: stefan grünzner
Faktoren Einfachheit und Geschwindigkeit. Die Servicezukunft wird sich also weiter mit einer Integration in die
BRIGHTONE IST AUF DER CCW 2016
Selfservice-Welt auseinandersetzen müssen. Nahtloser
Halle
1, Stand A9, brightONE Consulting GmbH
und barrierefreier Wechsel in den persönlichen Kanal,
Customer Experience-Management:
wenn benötigt, wird meines Erachtens entscheidender
Beratung & Systemintegration,
Wettbewerbsvorteil werden – aber nur wenn ich dann
Social
Media Engagement & Monitoring:
auch kompetent bedient werde! Das erfordert eben auch
®
SocialCom
, Cognitive Computing, Digitalisierung
eine völlig neue Art der Unterstützung von Servicemitwww.brightone.de
arbeitern in Form und Verarbeitung von Informationen.
© Fotolia
Fortsetzung von S62 ç