Diskussion um das Kopftuch

Aus: Erziehung und Wissenschaft, Zeitschrift der GEW, Heft 6/99, S. 16 ff
Dr. Ali Ucar
Diskussion um das Kopftuch
Kopfbedeckungen haben - wie jede andere Bekleidungsvorschrift - in verschiedenen Kulturkreisen
unterschiedliche Bedeutungen und sie werden aus unterschiedlichen Gründen getragen.
Das Kopftuchtragen von Frauen möchte ich im Folgenden auf drei Ebenen darstellen:
Das Kopftuch als traditionelles Kleidungsstück
Bei vielen Völkern ist es seit jeher Tradition, dass die Frauen aus klimatischen, kulturellen oder
auch aus magischen Gründen ihren Kopf bedecken, um sich zu schützen.
Das Kopftuch, das heute als Teil der Bekleidungsvorschrift des Islam gilt, hat seine Wurzeln in der
vorislamisch-arabischen Kultur.
Der Islam hat diese Tradition übernommen.
Das Kopftuch als Ausdruck der Glaubenszugehörigkeit
Die Bekleidung der Frau wird im Koran an zwei Stellen erwähnt:
"0 Prophet, sprich zu deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Weibern der Gläubigen, dass
sie sich in ihren Überwurf verhüllen. So werden sie eher erkannt und werden nicht verletzt. Und
Allah ist verzeihend und barmherzig." (Sure 33/59)
Die Bedeckung der Frau durch Schleier oder Kopftuch wurde zum Symbol für den Unterschied
zwischen Frauen der höheren sozialen Schichten und Sklavinnen. Durch ihre Verschleierung
wurden adelige Frauen kenntlich gemacht, um sie vor Belästigung zu schützen.
An einer anderen Stelle hat der Koran folgendes formuliert:
"Und sprich zu deinen gläubigen Frauen, dass sie .... ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize
zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihren Schleier über ihren Busen
schlagen..." (Sure 24/31)
Die Körperbekleidung der Frau wird in dieser Sure mit dem Schutz ihrer Ehre (Namus) begründet.
Ehre im engeren Sinne bezieht sich auf die Sexualität der Frau. Der Islam geht dabei (wie im
übrigen auch das Christentum) nicht von einer biologischen Schwäche der Frau aus, sondern von
ihrer "Stärke und Gefährlichkeit", die es zu zähmen gilt. Die vorgesehene Körperbekleidung
(Schleier und Kopftuch) sind damit Bestandteil der gesellschaftlichen Kontrolle über die Frau.
Eine einheitliche Interpretation der o.g. Koranvorschriften gibt es in der islamischen Welt nicht.
Deshalb werden sie auch von Land zu Land und in den verschiedenen religiösen Schulen
unterschiedlich in die Praxis umgesetzt.
Obwohl die Bekleidung der Frau mit ihrer diskriminierten Stellung zu tun hat, könnte theoretisch
jede Frau selbst entscheiden, ob sie einen Schleier oder ein Kopftuch aus religiösen Gründen trägt
oder nicht. Ein Verbot verbessert die benachteiligte Stellung der Frauen nicht.
Das Kopftuch-Tragen als religiös-politisches Bekenntnis
Das Kopftuch wird als Symbol für politische Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und
Laizisten instrumentalisiert. Der politische Islam benutzt das Kopftuch der Frau und die religiösen
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Gefühle der Menschen für die Gestaltung eines theokratisch angelegten Gesellschaftssystems.
Hinter dem Symbol "Kopftuch" stehen politische Machtinteressen. Das hat mit Religions- und
Gewissensfreiheit nichts zu tun.
Ich möchte hier zum Schluss darauf hinweisen, dass die labile Situation der 2. und 3.
Migrantengeneration in Gefahr ist, vom politischen fundamentalistischen Islam ausgenutzt zu
werden.
Eine Lösung hierfür wäre die Verbesserung der Lebensbedingungen und der Bildungschancen der
Kinder und Jugendlichen von Migrantenfamilien.
Vor allem könnte auch ein religionskundliches Unterrichtsangebot unter deutscher Schulaufsicht
zur Verbesserung beitragen.
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