Inhalt Diskriminierungsrisiken von muslimischen Frauen mit Kopftuch auf dem deutschen Arbeitsmarkt Dokumentation des Fachgesprächs am 30.05.2016 Inhalt Einleitung ______________________________________________________________ 2 Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis _____________________________3 Gabriele Boos-Niazy, Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V. ______ 3 Diskussion zum Vortrag _________________________________________________9 Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe __ 14 Privatdozentin Dr. Sabine Berghahn, Rechtsanwältin und Politikwissenschaftlerin, Freie Universität Berlin ____________________________________ 14 Dr. Sebastian Müller, Deutsches Institut für Menschenrechte (DIMR), Projekt „Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ ________________________________ 16 Zeynep Cetin, Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.) __________________________________________________________________________________ 17 Vera Egenberger, Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) ____________ 18 Diskussion zur Arbeitsgruppe 1 _______________________________________ 20 Arbeitsgruppe 2: Gute Praxis gegen Diskriminierung wegen des Kopftuches am Arbeitsplatz ___________________________________________ 23 Nesreen Hajjaj, Jung, Muslimisch, Aktiv (JUMA) ______________________________________ 23 Dunya Adigüzel, Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V. (IGMG) ___________________ 23 Romin Khan, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) _________________________ 24 Dr. Petra Rostock, Arbeiterwohlfahrt (AWO), Bundesverband ________________________ 24 Andreas Merx, IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung ________________________________________________________________ 24 Diskussion zur Arbeitsgruppe 2 _______________________________________ 26 Diskriminierungsrisiken und Schlussfolgerungen _____________________ 28 Anhang _______________________________________________________________ 30 Redetext Gabriele Boos-Niazy, gekürzt: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis __________________________ 30 Dr. Sabine Berghahn, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 1, dort komplett abgedruckt __________________________________________________________________________ 38 Dr. Sebastian Müller, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 1 ___________________ 38 Zeynep Cetin, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 1 __________________________ 38 Vera Egenberger, Arbeitsgruppe 1: Die Rolle konfessioneller Arbeitgeber____________ 38 Nesreen Hajjaj, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 2 _________________________ 40 Dunya Adigüzel, Arbeitsgruppe 2: Maßnahmen und Gute Praxis gegen Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch __________________________________________ 40 Romin Khan, Arbeitsgruppe 2: Die Perspektive von ver.di auf die Rolle von Gewerkschaften und Betriebsräten __________________________________________________ 41 Dr. Petra Rostock, Arbeitsgruppe 2: Eine wohlfahrtsverbandliche Perspektive aus Sicht der AWO _______________________________________________________________________ 42 Andreas Merx, Arbeitsgruppe 2: Betriebliche Maßnahmen der interkulturellen Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung zum Abbau von Diskriminierung von Kopftuch tragenden Frauen ___________________________________ 44 Stellungnahmen zu den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH vom 31.05.2016 ____________________________________________________________________________ 47 Stellungnahme des Aktionsbündnis‘ muslimischer Frauen in Deutschland e.V. zu den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH, Juliane Kokott, vom 31.05.2016 – Kurzfassung _______________________________________________________ 47 Stellungnahme zu den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH vom 31.05.2016, Dr. Sabine Berghahn – Rechtsanwältin und Politikwissenschaftlerin ________________________________________________________ 49 Programm ___________________________________________________________________________ 57 Liste der Teilnehmenden ____________________________________________________________ 59 Einleitung 2 Einleitung Muslimische Frauen mit Kopftuch treffen auf verschiedene Diskriminierungsrisiken beim gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt. Auch die Beratungsanfragen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) bestätigen dies. Private Arbeitgeber sind häufig im Unklaren über die Rechtslage: Trotz des im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerten Diskriminierungsverbots aufgrund der Religion gehen sie manchmal davon aus, ein Kopftuchverbot in ihrer Einstellungs- und Beschäftigungspraxis aussprechen zu dürfen. Dies kann auch auf bestehende Kopftuchverbote im öffentlichen Dienst der Bundesländer und aufgrund der Sonderregelungen für konfessionelle Arbeitgeber zurückzuführen sein. Kopftuchverbote am Arbeitsplatz haben mehrfach die deutsche Rechtsprechung beschäftigt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Jahr 2015 ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig erklärt. Andererseits hat das Arbeitsgericht Berlin im April 2016 die Klage einer Kopftuch tragenden Lehrerin abgewiesen. Ihre Bewerbung hatte die Senatsbildungsverwaltung mit Verweis auf das Berliner Neutralitätsgesetz abgelehnt. Die Frau klagte daraufhin nach dem AGG wegen Diskriminierung auf eine Entschädigung. Das Gericht wies die Klage ab, weil das Berliner Neutralitätsgesetz das Tragen religiöser Kleidung gleichermaßen allen Religionen untersage. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst sich aufgrund zweier sogenannter Vorabentscheidungsersuchen seit 2015 mit dem Kopftuchverbot. Ein französisches Gericht will klären lassen, ob Kundenwünsche eine Ungleichbehandlung wegen der Religion rechtfertigen können. In einem Fall aus Belgien geht es um die Frage, ob das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wenn allen Beschäftigten untersagt ist, äußere Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugung zu tragen. Das Fachgespräch fand einen Tag vor dem Bekanntwerden der Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH im Vorabentscheidungsersuchen aus Belgien statt. Im Ergebnis schlägt die Generalanwältin dem EuGH vor, auf das Vorabentscheidungsersuchen dahingehend zu antworten, dass eine unmittelbare Diskriminierung zu verneinen ist, jedoch ein Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung vorliegen könne. Dieses kann jedoch gerechtfertigt sein, um eine vom Arbeitgeber im jeweiligen Betrieb verfolgte Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität durchzusetzen, sofern dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Da die Schlussanträge unmittelbar auf Fragestellungen aus dem Fachgespräch Bezug nehmen, sind von zwei Teilnehmerinnen Stellungnahmen dazu in dieser Dokumentation mit aufgenommen. Mit einer Entscheidung des EuGH, der an die Schlussanträge der Generalanwältin nicht gebunden ist, dürfte noch im Laufe dieses Jahres zu rechnen sein. Das Fachgespräch im Rahmen des Themenjahres „Freier Glaube. Freies Denken. Gleiches Recht.“ hat einen Überblick über die Rechtswirklichkeit und die Praxis mit der Kopftuchfrage ergeben und daraus Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis 3 Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis Gabriele Boos-Niazy, Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V. Gabriele Boos-Niazy bezog sich in ihrem Vortrag überwiegend auf das Grundgesetz (GG) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Als Grundrechte, die bei der Diskussion um das Kopftuch regelmäßig eine Rolle spielten, nannte sie das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG), die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG Abs. 1) und den Zugang zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis (Art. 33 GG). Neben den grundgesetzlichen Regelungen sei das Mitte August 2006 in Kraft getretene AGG relevant, das mehrere EU-Richtlinien mit dem Ziel umsetzt, Benachteiligungen aus rassistischen Gründen, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder wegen der sexuellen Identität nicht entstehen zu lassen oder sie zu beseitigen. Das AGG verbiete in erster Linie die Benachteiligung durch Arbeitgebende. Es untersage darüber hinaus aber auch Diskriminierungen, die von Arbeitskolleg_innen, Kund_innen oder Lieferant_innen begangen würden. Allerdings ließen sich dadurch keine unmittelbaren Ansprüche gegen diese Personen ableiten. Das AGG offenbare durch die begrenzte Reichweite große Schutzlücken. In der Arbeit des Aktionsbündnisses sei das insbesondere im Bereich der Bildung zu bemerken, wenn es um die Diskriminierung von Schüler_innen oder Student_innen gehe. Diesen Gruppen sei der Schutz durch das AGG verwehrt, weil die europarechtlichen Vorgaben noch nicht umgesetzt oder noch nicht in die Schul- und Hochschulgesetze der einzelnen Bundesländer aufgenommen worden seien. Im Hinblick auf das Kopftuch beim Zugang zum Arbeitsmarkt ging Boos-Niazy auf zwei Paragrafen des AGG besonders ein: Paragraf 8 Abs. 1, der eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen unter bestimmten Umständen für zulässig erkläre und Paragraf 9, der den Religionsgemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung erlaube. In der Privatwirtschaft sei ein Verbot des Kopftuches nach Paragraf 8 AGG nur dann möglich, wenn der Verzicht auf ein Kopftuch eine wesentliche berufliche Anforderung darstelle, die als angemessen anzusehen und deren Zweck rechtmäßig sei. Das könne der Fall sein, wenn bestimmte Arbeitsabläufe das Tragen eines Kopftuches unmöglich machten, zum Beispiel aufgrund von Sicherheits- oder Hygieneanforderungen und keine Alternative möglich sei. „In der Praxis machen wir häufig die Erfahrung, dass solche Anforderungen vorgeschoben sind und Alternativvorschläge daher nicht angenommen werden“, so Boos-Niazy. Kein Rechtfertigungsgrund für eine Nichteinstellung oder Kündigung sei die Befürchtung finanzieller Verluste aufgrund islamfeindlicher Haltungen von Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis 4 Kund_innen, die möglicherweise einem Geschäft oder einer Praxis mit einer Kopftuch tragenden Mitarbeiterin fernblieben. Immer wieder kontrovers diskutiert werde die zulässige unterschiedliche Behandlung von Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaften (Paragraf 9 AGG). Diese Sondersituation, das so genannte Kirchenprivileg, gründe sich auf die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen. Diese garantiere ihnen, dass sie ihre Angelegenheiten ohne staatliche Einmischung selbst regeln könnten. Eine unterschiedliche Behandlung nach dem AGG sei demnach zulässig, wenn die Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihres Selbstbestimmungsrechts die Zugehörigkeit eines Bewerbers zur eigenen Gruppe für eine berufliche Anforderung halte. „Im Bereich der Verkündigung ist die Einschätzung als gerechtfertigte berufliche Anforderung sicherlich nachvollziehbar, in den verkündigungsfernen Bereichen jedoch mittlerweile kaum zu vermitteln“, sagte Boos-Niazy. Da dies einen sehr großen Teil des Arbeitsmarktes umfasse, sei eine klarere Definition dessen, wo das AGG greifen solle, dringend notwendig. Außerdem werde durch eine sehr unterschiedliche Handhabung deutlich: Das Prinzip werde oft nur dann eingehalten, wenn ausreichend Arbeitskräfte mit der „richtigen“ Zugehörigkeit zur Verfügung stehen würden. Als ein Beispiel für den schwierigen Umgang mit dem AGG nannte Boos-Niazy eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 2014, in dem eine Kopftuch tragende Krankenschwester gegen ihren Arbeitgebenden, ein Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft, verlor. Das Gericht habe die Grundrechte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und das der Religionsfreiheit der Klägerin gegeneinander abgewogen. Es habe zwar einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach Paragraf 7 AGG festgestellt, ihn aber nach Paragraf 9 AGG wiederum als gerechtfertigt angesehen. Als Lücken im AGG beziehungsweise durchgängig genannte Änderungswünsche würden daher immer wieder die Ausdehnung des Geltungsbereichs, die Einführung eines Verbandsklagerechts, die Beschränkung des Paragrafen 9 AGG auf verkündigungsnahe Bereiche und die Erweiterung der Handlungskompetenzen der ADS genannt. Kopftuchtragen im Schuldienst Als Sonderfall erläuterte Boos-Niazy den Diskriminierungsschutz im Schuldienst. Dort lasse Paragraf 8 Abs. 1 AGG eine unterschiedliche Behandlung zu, wenn sie auf einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung basiere. Bei den beiden Klägerinnen, die den BVerfG-Beschluss von 2015 (das so genannte Kopftuchurteil) erwirkten, habe das Bundesarbeitsgericht sechs Jahre zuvor noch keinen Verstoß gegen das AGG gesehen. Das BVerfG hielt dagegen ein pauschales Kopftuchverbot als nicht mit der Verfassung vereinbar. Die Beschränkung religiöser Bekundungen durch das Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen in der damaligen Fassung habe laut Gericht eine unmittelbare, normativ vorgegebene Benachteiligung aus Gründen der Religion dargestellt. Trotzdem sehe auch der BVerfGBeschluss die Möglichkeit vor, in einer bestimmten Konstellation eine Lehrerin vor die Wahl einer Versetzung oder eines Kopftuchverzichts zu stellen. Dies sei dann möglich, wenn es eine konkrete Störung des Schulfriedens gebe, nicht jedoch, wenn eine solche Störung lediglich befürchtet werde. Es müssten also besondere substanzielle Konfliktlagen in einer beachtlichen Zahl von Fällen vorliegen. In solchen Fällen sei laut Gericht der Verzicht auf die religiöse Bekundung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung wegen der Art der Tätigkeit, so Boos-Niazy. Im Hinblick auf die Grundrechte der anderen am Schulbetrieb Beteiligten mache das BVerfG folgende Aussagen: Das Grundrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder werde nicht beeinträchtigt. Allein aus dem Elterngrundrecht lasse sich nicht herleiten, Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgten. Die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schüler_innen dürfe hierbei aber nicht beeinträchtigt werden. Dies geschehe Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis 5 nicht, solange die Lehrkräfte nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben oder die Schüler_innen zu beeinflussen versuchen würden. Das Recht der Eltern auf negative Glaubensfreiheit garantiere keine Verschonung vor der Konfrontation mit religiöser Kleidung. Die religiöse und weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates werde gewahrt, indem er Bezüge zu allen mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Religionen und Weltanschauungen der öffentlichen Schule zulasse. Die Zulassung des Kopftuches bedeute keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben. Die Sorge von Eltern vor einer ungewollten Beeinflussung ihrer Kinder durch den Anblick einer Kopftuch tragenden Lehrerin stelle keine konkrete Gefahr dar, denn die Konfrontation der Schüler_innen mit einer glaubensgemäßen Bekleidung werde durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen. In der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule spiegele sich die religiös-pluralistische Gesellschaft wider, referierte Boos-Niazy die Begründung des BVerfG weiter. Sie führte weiter aus, dass der Beschluss des BVerfG die Möglichkeit vorsehe, das Kopftuch im Schuldienst zu verbieten. Allerdings sei das für eine einzelne Kopftuch tragende Lehrerin nur dann zulässig, wenn diese ein missionarisches oder verbal werbendes Verhalten an den Tag lege und versuche, Schüler_innen zu beeinflussen. Ein allgemeines Verbot für bestimmte Schulen oder Schulbezirke für eine begrenzte Zeit sei möglich, wenn dort nachweislich besondere substanzielle Konfliktlagen in einer beachtlichen Zahl von Fällen vorliegen würden. Das Gericht nenne als Beispiel eine Situation, in der Fragen des richtigen religiösen Verhaltens und sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und so in die Schule hineingetragen würden. Eine Versetzung einer Lehrerin sei dann zumutbar, wenn die Schulleitung alle pädagogischen oder disziplinarischen Maßnahmen erfolglos ergriffen habe, die üblicherweise bei der Lösung von Schulkonflikten zum Einsatz kämen. Allerdings könne die Lehrerin sich auch dafür entscheiden, ihr Kopftuch abzulegen. Umsetzung des BVerfG-Beschlusses in den einzelnen Bundesländern Boos-Niazy erläuterte, dass der Beschluss des BVerfG nach dem Bundesverfassungsgerichts-Gesetz auch andere Landesgesetzgeber binde, obwohl die Klägerinnen aus Nordrhein-Westfalen stammten. In anderen Ländern müssten demnach die jeweiligen Gesetze nach den Vorgaben des BVerfG ausgelegt werden. Der Beschluss wirke damit auf Bundesländer, in denen es ein gesetzliches Kopftuchverbot gebe. Er binde gleichermaßen auch die Gerichte, die im Streitfall das Landesgesetz nach den Maßgaben des BVerfG auslegen müssten. Mit einer Gesetzesänderung sei der Beschluss in Nordrhein-Westfalen umgesetzt worden. In Bremen, Niedersachsen und Hessen sei dies ohne Änderung des Schulgesetzes erfolgt. Bisher keine offizielle Umsetzung des BVerfG-Beschlusses gebe es in Bayern und Baden-Württemberg. Das saarländische Schulgesetz sehe weiterhin neben dem Kopftuchverbot auch die Privilegierung christlicher Bildungs- Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis 6 und Kulturwerte vor. Auch die Berliner Innenverwaltung habe nach Veröffentlichung des BVerfGBeschlusses keinen Änderungsbedarf am sogenannten Neutralitätsgesetz gesehen. Boos-Niazy schilderte daraufhin einige aktuelle Beratungsfälle. Im Schuldienst in Hessen habe eine Lehramtsstudentin von ihrer Ausbildungsschule eine Rundmail mit folgendem Wortlaut erhalten: „Von der Universität Gießen sind Sie unserer Schule als zukünftige Praktikantinnen und Praktikanten für die Schulpraktischen Studien [...] zugewiesen worden. [...] Ein wichtiger Hinweis vorab: Sollte sich unter Ihnen eine Kopftuchträgerin befinden, so müsste sie für das gesamte geplante Praktikum entweder auf ihre Kopfbedeckung verzichten, oder sich bereits heute nach einer anderen Praktikumsschule umschauen. Wir vermitteln unseren Schülerinnen und Schülern ein demokratisches, an den Werten des Grundgesetzes orientiertes Weltbild, bei dem die Gleichberechtigung von Mann und Frau ganz oben ansteht, und das Tragen eines Kopftuches durch Lehrkräfte oder Praktikanten würde hier in der Vorbildfunktion, die wir innehaben, falsche Signale aussenden.“ In den Leitsätzen des Schulprogramms dieser Schule werde dagegen auf die Entwicklung „zur Teilhabe und Teilnahme an der Kultur der offenen Gesellschaft“ sowie die Pflege eines respektvollen, wertschätzenden Miteinanders aller Kulturen verwiesen. In Frankfurt müssten Medizinstudentinnen für ein zweitägiges Praktikum in einem Krankenwagen einen Vertrag unterzeichnen, dessen Bestandteil das „Informationsblatt Studentenpraktika im Rettungsdienst“ sei. Darin heiße es: „Wir erwarten, dass Sie sich neutral verhalten und bei Ihrem Praktikum auf alle Äußerungen zu Ihrer Weltanschauung, Religion etc. verzichten. Auch das Tragen entsprechender Symbole (z.B. Kopftuch) ist zu unterlassen.“ Als Alternative könne eine Mütze getragen werden. Mittlerweile sei das Kopftuchverbot auch auf zwei vorgelagerte Trainingstage ausgedehnt worden, die in der Klinik absolviert würden. In einem weiteren Fall sei einer seit vier Jahren in einer Praxis angestellten Physiotherapeutin gekündigt worden, nachdem sie sich entschlossen habe, ein Kopftuch zu tragen. Ihr Arbeitgeber, der einen syrischkurdischen Migrationshintergrund habe, habe als Hauptargument die Befürchtung angeführt, dass das Image der Praxis leide: Es könne womöglich vermutet werden, dass er als Betreiber sich religiös radikalisiert habe, weil er eine Frau mit Kopftuch beschäftige. Erosion des Rechtsempfindens „Wir haben nach den politischen Diskussionen um die Kopftuchverbote erfahren müssen, dass sich die Schlagworte, insbesondere vom ‚negativen Symbolgehalt des Kopftuches‘ in den Argumentationen maßgeblicher gesellschaftlicher Akteure wiederfinden und deren Handeln bestimmen. Das verfestigt die Barrieren für Kopftuch tragende Frauen in jeglicher Hinsicht“, sagte Boos-Niazy. Sie illustrierte das mit weiteren Beispielen. So würden immer wieder Frauen mit Kopftuch berichten, dass ihnen von Sachbearbeiter_innen der Bundesagentur für Arbeit mehr oder weniger deutlich geraten werde, das Kopftuch abzulegen, um bei der Stellensuche erfolgreich zu sein. Es werde von den Sachbearbeiter_innen argumentiert, dass damit lediglich der Wirklichkeit Rechnung getragen werde. Es werde gleichzeitig deutlich, dass potenzielle Arbeitgebende nicht damit rechnen müssten, „auch nur darauf hingewiesen zu werden, dass sie gegen das AGG verstoßen, wenn sie eine Bewerberin nur wegen ihres Kopftuches ablehnen“, so Boos-Niazy. In einem von der „Deutschlandstiftung Integration“ 2012 herausgegebenen Bewerbungsratgeber sei muslimischen Frauen – unter anderem unter Berufung auf den Migrationsbeauftragten der Bundesagentur für Arbeit, Hasan Altun, – ebenfalls geraten worden, das Kopftuch abzunehmen, wenn Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis 7 sie auf Arbeits- oder Praktikumsplatzsuche seien: Für viele Arbeitgebende sei das Kopftuch demnach ein Zeichen der Unterdrückung, sie trauten den Frauen keine eigenen Entscheidungen zu, sähen sie unter der Fuchtel der Familie und fürchteten, dass Mädchen zwangsverheiratet würden und ihre Ausbildung nicht beendeten. Es sei weiterhin zu beobachten, dass Wohlfahrtsverbände muslimische Frauen mit Kopftuch meist lediglich befristet oder auf Minijob-Basis innerhalb von Projekten einstellen würden, deren Zielgruppe Migrant_innen seien. Die Musliminnen dienten als „Türöffner“ zu diesen Gruppen, eine Festanstellung resultiere daraus in der Regel nicht. Besonders aufgefallen sei ihrem Verband ein Berufsfindungsprojekt der Arbeiterwohlfahrt-Südhessen für junge Migrantinnen, so Boos-Niazy. In einem Zeitungsbericht über das Projekt hätten die beiden zuständigen Sozialarbeiterinnen gesagt, es werde den Teilnehmerinnen nahegelegt, zu überlegen, ob sie zur Erleichterung des Berufseinstieges das Kopftuch ablegen könnten. Potenzielle Arbeitgebende seien darum gebeten worden, Kopftuchträgerinnen nicht gleich pauschal abzulehnen. Zudem sollten die Teilnehmerinnen überlegen, das Symbol Kopftuch selbst auf den Prüfstand zu stellen. „Das stellt die geltende Rechtslage völlig auf den Kopf“, sagte Boos-Niazy. „Denn die Nichteinstellung allein aufgrund des Kopftuches ist ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Tragen des Kopftuches dagegen von der grundgesetzlichen Religionsfreiheit gedeckt. Das heißt, in diesem Seminar erscheinen die jungen Frauen als Bittstellerinnen, die dankbar sein müssen, wenn ein Arbeitgeber bereit ist, ihre ‚Andersartigkeit‘ großmütig hinzunehmen.“ Es sei schlicht nicht die Notwendigkeit gesehen worden, die jungen Frauen durch Vermittlung der Rechtslage dazu zu befähigen, sich gegen Benachteiligungen zu wehren. Am 13. Februar 2015 habe sich der Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Niedersachsen (lag) in einer Pressemitteilung für die Beibehaltung des Kopftuchverbots für Lehrerinnen ausgesprochen. Anlass sei der anstehende Staatsvertrag mit den Muslimen gewesen. Die Arbeitsgemeinschaft habe argumentiert, das Auftreten von Kopftuch tragenden Lehrerinnen an der Schule verletze die staatliche Neutralität. Boos-Niazy zitierte aus der Mitteilung: „In unserer modernen Gesellschaft ist das Kopftuch besonders ein patriarchales Symbol, denn nur Mädchen und Frauen sollen sich verhüllen, nicht Jungen und Männer. Dies widerspricht dem Erziehungs- und Bildungsideal unserer Gesellschaft, alle Mädchen und Jungen gleich zu behandeln und ihnen gleiche Startchancen zu ermöglichen.“ Anlässlich des BVerfG-Beschlusses zum Kopftuchverbot habe die Arbeitsgemeinschaft kommunaler Gleichstellungsstellen im Kreis Herford am 1. Juni 2015 eine Stellungnahme herausgegeben, die an alle Schulleitungen des Kreises gegangen sei. Diese habe darauf gezielt, diese hinsichtlich der Umsetzung des BVerfG-Beschlusses zu verunsichern und sie indirekt aufgefordert, Kopftuch tragende Bewerberinnen entgegen der geltenden Rechtslage bei einer Bewerbung nicht einzustellen. In der Stellungnahme habe es unter anderem geheißen: „Die Mehrheit der hier lebenden muslimischen Frauen möchte kein Kopftuch tragen und sich auch nicht in irgendeiner Art und Weise verhüllen. Dazu gibt es auch keinen Anlass.“ Weiter habe es geheißen, dass das Kopftuch bedeute, dass Frauen sich dem Willen des Mannes und seinen Bedürfnissen unterzuordnen hätten und das sei mit dem Verständnis von Gleichberechtigung nicht vereinbar. Boos-Niazy zitierte weiter aus der Stellungnahme: „Eine Lehrerin Vortrag: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis 8 mit Kopftuch ist ein stummes aber sehr beredtes Zeichen dafür, dass die konservativen islamischen Normen Geltung haben. Eine Kopftuch tragende Lehrerin kann deshalb kein Vorbild und keine Hilfe für junge Mädchen und Frauen sein, die Gleichberechtigung leben wollen.“ Boos-Niazy beklagte ein Messen mit zweierlei Maß: „Die betroffenen Frauen bemerken sehr wohl, dass die Öffentlichkeit nicht müde wird, von den Menschen mit Migrationshintergrund die Einhaltung der deutschen Rechtsordnung zu fordern, während für sie selbst diese Regeln offensichtlich keine bindende Wirkung haben.“ Dies verhindere ein Heimisch-Werden. „Doch gerade das ist notwendig, wenn auch kommende Generationen sich für die hiesige Rechtsordnung stark machen sollen“, so Boos-Niazy. Es sei völlig aus dem Blick geraten, was eine freie Gesellschaft ausmache. „Die Information darüber und das Bewusstsein, dass wir alle Schaden nehmen werden, wenn wir diese freie Gesellschaft nicht verteidigen, müssen wir stärker in den Fokus rücken. Das geht nur durch permanentes Erinnern, vor allem im Bereich der Bildung und der Medien.“ Diskussion zum Vortrag 9 Diskussion zum Vortrag Teilnehmende Nesreen Hajjaj Jung, Muslimisch, Aktiv (JUMA) Eva Maria Andrades Projektleiterin des Antidiskriminierungsnetzwerkes Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg Dr. Nahed Samour Humboldt-Universität Berlin, Juristische Fakultät Prof. Dr. Riem Spielhaus Universität Göttingen, Institut für Schulbuchforschung Vera Egenberger Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) Mohamad Hajjaj Landesvorsitzender des Zentralrates der Muslime in Berlin e.V. Dunya Adigüzel Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V. (IGMG) Zeynep Cetin Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.) Michaela Ghazi Personalrätin Allgemeinbildende Schulen Reinickendorf, Berlin, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Taner Aksoy fair – Federation against Injustice and Racism e.V. Najla Al-Amin Universität Osnabrück, Institut für Islamische Theologie Dr. Sebastian Müller Deutsches Institut für Menschenrechte e.V. (DIMR) Maryam Haschemi Yekani Moderation, Rechtsanwältin Diskussion zum Vortrag 10 Maryam Haschemi Yekani wies in ihrer Diskussionseinleitung auf ihre Erfahrung als Rechtsanwältin mit dem Thema hin: Arbeitgebende würden beispielsweise anführen, dass muslimische Frauen, die sich für das Tragen des Kopftuchs entschieden hätten, dies „sehr offensiv“ tragen würden. Ihr stelle sich dabei die Frage, wie man es „weniger offensiv“ tragen könne. Das Kopftuch werde von vielen Arbeitgebenden als nicht angemessen erachtet, außerdem werde von Frauen bei der Einstellung „eine gewisse Diskussionsfreudigkeit“ über das Kopftuchtragen erwartet. Nesreen Hajjaj von Jung, Muslimisch, Aktiv (JUMA), berichtete von Diskriminierungserfahrungen bei Bewerbungen besonders auf solche Arbeitsstellen, in denen sie „das Gesicht“ einer Institution darstellen würde. Dabei sei sie auf teilweise erhebliche und verbal scharfe Ablehnung gestoßen, die schwer zu verdauen gewesen sei. Im 21. Jahrhundert hätte sie solche Reaktionen eigentlich für unmöglich gehalten. Schließlich sei es mittlerweile völlig selbstverständlich, dass Frauen mit Kopftuch beruflich tätig sein wollten. Eva Maria Andrades, Projektleiterin des Antidiskriminierungsnetzwerkes Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, sagte, dass in der Beratung festzustellen sei, dass Arbeitgebende sehr offen diskriminieren würden, wenn es um das Kopftuch gehe. Sie beriefen sich häufig darauf, dass sie eine gewisse Neutralität wahren wollten. Auch gebe es die Begründung, das Kopftuch als Unterdrückungssymbol nicht dulden zu wollen. Erstaunlich sei, wie selbstbewusst das vertreten werde. Dies erkläre sich einerseits wohl aus mangelnder Rechtskenntnis, zum anderen aber auch, weil sie sich darüber hinwegsetzen wollten. „Das finde ich ist schon sehr erstaunlich“, so Andrades. Das offene Ansprechen erleichtere allerdings juristische Auseinandersetzungen, weil die Diskriminierung leichter zu beweisen sei. So sei es gelungen, vor Gericht den entsprechenden Nachweis zu führen und für Frauen dadurch eine Entschädigung auf Grundlage des AGG zu erstreiten. Auch an Schulen zeige sich das Selbstbewusstsein, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Das entspreche der derzeitigen politischen Diskussion und einer Erosion des Rechtsempfindens. Von Jobcentern werde den Frauen nahegelegt, das Kopftuch abzunehmen, anstatt die Frauen über ihre Rechte aufzuklären. In Berlin sei das Neutralitätsgesetz das große Problem, das trotz des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts beibehalten worden sei. Der Berliner Senat verteidige dies weiterhin vehement. Es gebe durch das Gesetz eine „mittelbare Wirkung“, die ganz klar Lehrerinnen benachteilige. Schulen und Schulleitungen würden es über den tatsächlichen Gehalt hinaus sehr weit auslegen und beispielsweise Praktikantinnen und Lehramtsstudentinnen mit Verweis darauf ablehnen. Auch in der Justiz und der Rechtspflege seien die Aussagen zur Geltung und Anwendung sehr schwammig und würden „zum Nachteil von Frauen, die ein Kopftuch tragen, genutzt“. Dr. Nahed Samour, Humboldt-Universität Berlin, Juristische Fakultät, schilderte, dass sich das Problem vor zu verlagern scheine. Frauen mit Kopftuch würden sich sehr gut überlegen, wo sie sich überhaupt bewerben wollten: Für eine Studentin der Rechtswissenschaft sei schon sehr früh klar, dass die Verwaltung oder die Justiz nichts für sie sei, außer sie sei bereit, dort zu kämpfen. Damit verlagere sich vieles in die Selbstständigkeit, was neben Chancen auch Schwierigkeiten bedeute. Viele Frauen seien dadurch von vielen Bereichen abgeschnitten und vom „Arbeitsmarkt einfach weggedrängt“. Außerdem sei es nicht nur eine Diskriminierung aufgrund der Religion, sondern auch aufgrund des Geschlechts. Sie Diskussion zum Vortrag 11 wünsche sich daher einen noch stärkeren Hinweis an die Betroffenen und in Beratungsnetzwerken auf die Rechtslage und eine Aufklärung, welche Pflichten die Arbeitgeber_innenschaft und welche Rechte die Bewerberinnen und Arbeitnehmerinnen hätten. Mit Blick auf eine teilweise geforderte stärkere Öffentlichkeitsarbeit bei dem Thema merkte sie an, dass dies durchaus schwierig sei. Alles, was öffentlich diskutiert werde, müssten die Betroffenen abwehren. Jede Schlagzeile sei fast schon ein Angriff auf den Körper. Sie sprach sich daher für eine gezielte und gesteuerte Aufklärung aus. Prof. Dr. Riem Spielhaus, Universität Göttingen, Institut für Schulbuchforschung, verwies auf große Unsicherheiten und eine Umkehrung der Argumentation bei Einstellungsverfahren. Es werde gefragt, ob überhaupt eine Frau mit Kopftuch eingestellt werden könne im öffentlichen Dienst. Dabei müsse die Frage eigentlich heißen: Können wir sie überhaupt nicht einstellen aufgrund des Kopftuches? Es müsse erst einmal der Schutz hervorgehoben werden. Auch in der Wissenschaft falle ihr auf, dass oft über das Kopftuchverbot gesprochen werde, nicht aber über den Schutz des Bekenntnisses. „Das ist eine vollkommene Verdrehung auch in der Debatte über dieses Thema.“ Sich mit diesen Diskriminierungsrisiken zu beschäftigen sei daher sehr zu begrüßen. Sie unterstrich, dass es wichtig sei, über das Thema Vermeidungsstrategien nachzudenken und zu forschen. Sie verwies außerdem darauf, dass Aussagen aus der Bundesagentur für Arbeit sie ratlos zurückließen. Dort heiße es aus der Leitungsebene, das Kopftuch sei kein Problem. Die Praxis in den Jobcentern sehe dann jedoch anders aus. Wenn die Leitung nicht im Blick habe, was in ihren Behörden passiere, werde das Problem letztlich auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Vera Egenberger, Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG), berichtete von einer „besonderen Spielart der Diskriminierung“ von muslimischen Juristinnen. Diese müssten während ihres Referendariats mehrere Stationen durchlaufen, unter anderem in der Justiz. In einem Fall in Bayern habe eine Kopftuch tragende Referendarin die Auflage erhalten, das Kopftuch abzunehmen oder nur im Hinterzimmer zu agieren. Sie habe sich zwar für eine Klage dagegen entschieden. Diese sei aber durch das Gericht „mit sehr klugen und sehr kreativen Schachzügen“ völlig unmöglich gemacht worden. Dieses Vorgehen betreffe auch die Gleichbehandlung in der juristischen Ausbildung. Mohamad Hajjaj, Landesvorsitzender des Zentralrates der Muslime in Berlin e.V., bezeichnete das Thema Kopftuch als eine Art Symbol. Tatsächlich gehe es nicht um Religion, sondern um Rassismen. Auch nicht-religiöse Menschen würden aufgrund äußerlicher Zuschreibungen diskriminiert, weil angenommen werde, dass sie Muslime seien oder einen muslimischen Hintergrund hätten. Es sei fatal, dass in der Gesellschaft nicht mehr Eignung und Leistung zählten, „sondern Rassismen ausschlaggebend“ seien. Es werde mittlerweile mit voller Überzeugung und Inbrunst Musliminnen gesagt, man stelle sie nicht wegen des Kopftuchs ein. Diese Diskriminierung sei teilweise auch medial getragen, werde hoffähig gemacht und gehöre zum Alltag. Sie sei ein gesellschaftliches Phänomen, das angegangen werden müsse. Außerdem habe er in Berlin erlebt, dass Gleichstellungsbeauftrage und Frauenbeauftragte die Kopftuch tragenden Frauen als beratungsbedürftig ansähen. Dunya Adigüzel, Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V. (IGMG), hob die Diskriminierung in Jobcentern hervor. Diese Einrichtungen sollten eigentlich zur Förderung von Menschen auf dem Arbeitsmarkt agieren. Wenn jedoch versucht werde, den Frauen das Kopftuch auszureden, finde eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Damit werde den Frauen „praktisch klar gemacht“, sie und das Kopftuch seien das Problem. Sie erwähnte Fälle in Nordrhein-Westfalen, bei denen das Jobcenter Frauen gedroht habe, Mittel zu kürzen, wenn sie das Kopftuch nicht abnehmen würden. Es sei falsch, das klischeehafte und diskriminierende Denken als normal darzustellen, dass eine Frau mit Kopftuch das Problem sei. Ohnehin sei es merkwürdig, dass plötzlich Räume wie Arztpraxen „staatlich“ würden. Es bestehe offenbar in der Gesellschaft ein Konsens darüber, dass eine Frau mit Kopftuch bestimmte Arbeiten nicht machen könne, weil es unhygienisch sei und Arbeitgebenden Kunden verloren gingen. Diskussion zum Vortrag 12 Zeynep Cetin, Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.), verwies auf die Praxis von Arbeitgebenden, die sich bewusst privater Arbeitsagenturen bedienten. Diese würden vorab die Auswahl der Bewerberinnen durchführen und es bestünden interne Absprachen, keine muslimischen Frauen mit Kopftuch einzustellen. Die private Arbeitsvermittlung reiche dann nur Bewerbungen von Frauen weiter, die kein Kopftuch trügen. Es gebe somit neben der offenen Diskriminierung weiter die verdeckte. Durch die zwischengeschaltete Agentur könne die Diskriminierung nicht nachgewiesen werden. Michaela Ghazi, Personalrätin Allgemeinbildende Schulen Reinickendorf, Berlin, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), wies darauf hin, dass nur wenige muslimische Frauen mit Kopftuch ein Lehramtsstudium begännen. Angesichts der dramatischen Lehrenden-Situation in Berlin und der Tatsache, dass die Schulen immer bunter und vielfältiger würden, sei das „nahezu schon lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre“. Da dies immer wieder an der Neutralität festgemacht werde, sei es unbedingt notwendig, diesen Begriff zu definieren. Natürlich sei die Schule als Institution ein Ort, der Neutralität wahren müsse. Es sei aber ein Irrtum anzunehmen, dass die Kolleginnen und Kollegen neutral seien, weil sie alle durch Sozialisation und Erziehung geprägt seien. In einer weltoffenen Gesellschaft müsse die Schule diese Vielfalt auch darbieten. Den Kolleginnen ihre Neutralität abzusprechen sei diskriminierend. Außerdem höre die Neutralität der Schule immer dann auf, wenn es um das Personal für die Reinigung gehe. Dort sei es dann „nicht so wichtig, ob die Kolleginnen ein Kopftuch tragen oder nicht“. Sie beobachte, dass Schulleitungen beim Thema Kopftuch sehr hilflos seien, intensivere Aufklärungsarbeit sei daher dringend nötig. Taner Aksoy, fair – Federation against Injustice and Racism e.V., nahm die Situation der Frauen nach der Diskriminierungserfahrung in den Blick. Es müsse auch die Frage gestellt werden, was mit ihnen danach geschehe. Sie wollten teilweise ab einem gewissen Zeitpunkt den Fall nicht mehr weiter verfolgen, weil die psychische Belastung zu groß werde. Sie wollten dann einen Schnitt machen und mit der Sache abschließen. Diese Situation werde zu wenig beachtet. Najla Al-Amin, Universität Osnabrück, Institut für Islamische Theologie, merkte an, dass es durchaus auch positive Fälle gebe. So sei eine Freundin kürzlich ohne Probleme in den Schuldienst in Hannover aufgenommen worden. Gleich beim Bewerbungsgespräch sei ihr ein Vertrag angeboten worden. Sie selbst habe jahrelang im Goethe-Institut als Deutschlehrerin gearbeitet. Zwar sei sie dort am Anfang auch gefragt worden, ob sie das Kopftuch abnehmen würde. Nachdem sie gesagt habe, dass das ihre Entscheidung sei und sie sich wünschen würde, nach ihrer Qualifikation beurteilt zu werden, sei das nie wieder ein Thema gewesen, was sie als sehr positiv empfunden habe. Allerdings habe sie auch von vielen negativen Erfahrungen gehört. Sie wünsche sich, dass die Betroffenen ihre Diskriminierung nicht einfach herunterspielen würden, sondern etwas dagegen täten. Sie sollten das nicht einfach als völlig normale Situation in Deutschland hinnehmen. Dr. Sebastian Müller, Deutsches Institut für Menschenrechte e.V. (DIMR), verwies auf „einen sehr schönen Satz“ des Bundesverfassungsgerichts, dass es einen Bildungsauftrag gebe, die religiöse Pluralität auch an Schulen sichtbar zu machen. Das gehe in der Debatte manchmal unter. Zudem sei es Diskussion zum Vortrag 13 in Menschenrechtszusammenhängen wichtig zu betonen, dass es zuerst die Freiheit gebe. „Erstmal haben wir die Freiheit, und der Staat muss begründen, warum er sie einschränken will.“ Bei der Religionsfreiheit sei der Begründungsaufwand dafür relativ hoch. Es sei gut, sich dessen immer wieder zu vergewissern, auch wenn die Realität anders aussehe und die gesellschaftliche Debatte anders laufe. Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe 14 Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe Privatdozentin Dr. Sabine Berghahn, Rechtsanwältin und Politikwissenschaftlerin, Freie Universität Berlin (vollständiger Manuskripttext, Dr. Berghahn konnte nicht an der Veranstaltung teilnehmen) Die sog. Kopftuchdebatte drehte sich rechtlich, politisch und gesellschaftlich bislang hauptsächlich um das „Kopftuch der Lehrerin“. Dies hängt auch damit zusammen, dass mit dem leidvollen Rechtsweg von Fereshta Ludin bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und mit dem Urteil des Zweiten Senats vom 24.09.2003 eine grundsätzliche Richtung eingeschlagen und für die dann folgende Zeit vorgegeben wurde. Der Zweite Senat des BVerfG befand sich intern in einer Zwickmühle. Die liberale Richter_innengruppe im Senat hatte allem Anschein nach Mühe, eine interne Mehrheit für ein Urteil zu bilden, das der Verfassungsbeschwerde von Fereshta Ludin stattgibt und das Kopftuchtragen grundsätzlich erlaubt. Daher wurde ein in sich widersprüchlicher Kompromiss mit einem Richter des kopftuchkritischen Lagers gefunden. Man einigte sich auf die Linie, dass zwar Ludins Grundrecht der Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG) verletzt worden sei, aber die Bundesländer für die Zukunft in ihren Schulgesetzen das Kopftuch verbieten könnten, indem sie bei Annahme einer „abstrakten Gefährdung“ der staatlichen Neutralität, des Schulfriedens oder der Grundrechte von Schüler_innen oder Eltern das Tragen religiöser oder weltanschaulicher Kleidung oder Symbole verbieten. Solche Gesetze wurden in den Jahren 2004-2006 in acht von 16 Bundesländern erlassen, in fünf davon mit sog. Ausnahmeklauseln zugunsten der Darbietung christlich-abendländischer Traditionen, womit die gesetzgebenden Mehrheiten den Nonnenhabit und die jüdische Kippa vom Verbot ausgenommen sehen wollten. Für Kopftuch tragende Bewerberinnen für das Lehramt und für bereits im Schuldienst tätige Lehrerinnen mit Hijab bedeuteten die Gesetze den glatten Ausfall des individuellen Rechtsschutzes. Bewerberinnen wurden abgelehnt, bereits tätige Lehrerinnen wurden gemaßregelt, abgemahnt oder beamtenrechtlich diszipliniert und zum Teil sogar gekündigt oder aus dem Dienst entfernt. Sofern sie vor Gericht gingen, scheiterten sie stets, jedenfalls in höherer und höchster Instanz der Verwaltungs- oder Arbeitsgerichte. Dortige Richter_innen hatten offenbar keinerlei Zweifel an der salomonischen Qualität des Urteils von Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe 15 2003: Keine Richtervorlage zum BVerfG und vor allem keine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde initiiert. Stattdessen erhoben 2010 zwei sanktionierte Lehrerinnen im Angestelltenverhältnis aus NRW Verfassungsbeschwerden. Diesmal war der Erste Senat zuständig. Aber auch der ließ sich Zeit. Die Materie war heikel, denn Abweichung vom Urteil des Zweiten Senats von 2003 hätte eigentlich die Anrufung des Plenums beider Senate erfordert. Das unterließ der Erste Senat dann aber doch und entschied am 27.01.2015 eigenständig, indem er feststellte, dass nur eine „hinreichend konkrete“ Gefährdung von Schulfrieden, Neutralität oder Grundrechten von Schüler_innen oder Eltern ein Kopftuchverbot im Einzelfall rechtfertigen könne. Damit ist im Grundsatz Kopftuchtragen für Lehrerinnen erlaubt. Wäre bereits im ersten Urteil dieser an sich rechtsstaatlich selbstverständliche Grundsatz zum Tragen gekommen, wäre die Entwicklung vermutlich viel pragmatischer und weniger konfliktreich verlaufen. Dem Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion gemäß AGG (seit August 2006 in Kraft) wäre allgemein mehr Beachtung geschenkt worden. Die Zeit hätte genutzt werden können zur Gewöhnung an Kopftuch tragende Frauen auch in akademisch anspruchsvollen Berufstätigkeiten. Auf der Seite der Schule und Schulaufsicht hätte man Differenzierungsvermögen entwickeln können, problematische Handlungsweisen oder Aussagen von Kopftuchträgerinnen zu erkennen und Wichtiges von Unwichtigem für die Integrität des öffentlichen Dienstes zu unterscheiden. Der Abbau von Vorurteilen und die Inklusion aufstiegsorientierter junger Musliminnen mit oder ohne Kopftuch in den Lehrberuf an öffentlichen Schulen, in den öffentlichen Dienst und darüber hinaus in qualifizierte Erwerbstätigkeiten wären vermutlich weiter fortgeschritten, wenn es die pauschalen Verbotsgesetze in einigen Bundesländern nicht gegeben hätte und wenn diese nicht eine solche Rückendeckung durch die Justiz erhalten hätten. Für die Zukunft gilt es diesen Prozess der Pragmatisierung und Veralltäglichung des Umgangs mit Menschen anderer Religion und Kultur gesellschaftlich nachzuholen, ohne in platten Kulturrelativismus oder Gleichgültigkeit zu verfallen. Es gibt zweifellos auch von Seiten eingewanderter Muslime problematisches Verhalten und geschürte Konflikte. Jedoch muss jedes soziale Phänomen nach seiner konkreten Eigenart betrachtet werden. Dass Mädchen in der Schule schwimmen lernen und Sport treiben, hat einen anderen Stellenwert als die Frage nach dem Kopftuch. Politisch ist ein Lernprozess bei Politiker_innen erforderlich, so dass man darauf verzichtet, stets neue Verbotsgesetze, z.B. für die Gesichts- und Vollverschleierung, zu propagieren, weil der rechtspopulistischen AfD oder anderen Gruppierungen der Wind aus den Segeln genommen werden soll und man die eigene Partei als handlungsfähig in Sachen Grenzziehungen darstellen möchte. Eine Gelingensbedingung ist ferner die Erkenntnis auch unter Feministinnen, dass Frauen aus anderen Herkunftssphären ihre Emanzipation selbst bestimmen sollten und nicht unbedingt nach westlichem Muster „selig“ werden müssen. Das eigene Projektionsmuster sollte selbstkritisch erkannt werden: Denn das Kopftuch ist kein eindeutiges Symbol, nicht für Frauenunterdrückung und auch nicht für andere fragwürdige Ziele oder Praktiken. Wenn es überhaupt um den Symbolcharakter gehen soll, so muss differenziert werden, wer dem Kopftuch welche Bedeutung beimisst. In erster Linie zählt die Bedeutung, die die Trägerin ihrem Kopftuch beimisst. Den meisten anderen Menschen kann zugemutet werden, dass sie sich mit abwertenden Projektionen zurückhalten, solange sie nicht selbst (oder andere Personen) zum Kopftuchtragen gezwungen werden sollen. Eine weitere Gelingensbedingung ist religiöse und weltanschauliche Toleranz. Früher war fast die ganze deutsche Bevölkerung in den beiden christlichen Großkirchen organisiert, heute sieht die religiöse Landschaft ganz anders aus, d.h. wesentlich pluralistischer. Vor allem ist der Islam als mitgliederstarke Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe 16 Religion dazugekommen. Die deutsche Mehrheitsbevölkerung ist im Zeitverlauf säkularer geworden, d.h. große Teile der Bevölkerung sind heute nicht-religiös bzw. gehören keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft an. Dennoch hat strikter Laizismus, d.h. die strenge Trennung von Religion und Öffentlichkeit, die Ausgrenzung des Religiösen ins Private und das Verbot der öffentlichen Bezeugung des eigenen religiösen Bekenntnisses, in Deutschland keine verfassungsrechtlich mehrheitsfähige Tradition. Sie einzuführen würde mehr Probleme schaffen als lösen. Politisch und gesetzgeberisch sollten daher Bundesländer wie Berlin, wo es zumindest starke laizistische Tendenzen gibt, keinen weiteren rechtspolitischen Durchsetzungs- oder Aufrechterhaltungsehrgeiz entwickeln, sondern im Gegenteil ablassen von der Verfolgung eines solchen Sonderwegs, wie ihn das sog. Neutralitätsgesetz derzeit darstellt. Im Hinblick auf das Kopftuch der Lehrerin und sonstiger Berufe im öffentlichen Dienst missachtet das Gesetz die Vorgaben der zweiten Kopftuchentscheidung und sendet ein desintegratives Signal für alle Muslim_innen und ggf. Angehörige anderer Religionen aus. Dr. Sebastian Müller, Deutsches Institut für Menschenrechte (DIMR), Projekt „Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ Müller nannte drei verschiedene menschenrechtlich relevante Ebenen zur Beurteilung eines Kopftuchverbotes: die internationalen Menschenrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz. Auf internationaler Ebene müsse man speziell zur Frage des Kopftuchs an Schulen ein wenig suchen. Es gebe jedoch Anknüpfungspunkte in der praktischen Auslegung der UNAntirassismus-Konvention und der UN-Kinderrechts-Konvention. So habe beispielsweise der UNKinderrechts-Ausschuss 2004 darauf hingewiesen, dass der Staat Bildungsmaßnahmen für Kinder und Eltern durchführen solle, um eine Kultur religiöser Vielfalt einüben zu können. Aus den Menschenrechten leite sich zudem die Verpflichtung ab, alle Religionen und sichtbaren religiösen Zeichen gleich zu behandeln. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verfolge ebenfalls den Ansatz, dass alle Religionen gleich behandelt werden müssten. Er nehme allerdings Rücksicht auf die unterschiedlichen Verfassungstraditionen zur Trennung von Staat und Kirche. Deswegen habe er eine zurückhaltende Rechtsprechung entwickelt, die den Staaten einen großen Ermessensspielraum einräume. So dürfe Frankreich, das beim Verhältnis Staat und Kirche einen strikten Laizismus vertrete, sehr weit gehende Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe 17 Neutralitätspflichten verlangen. Nach Ansicht des EGMR sei es gerechtfertigt, das Prinzip des Laizismus auch auf staatliche Kliniken auszuweiten. Entsprechend habe er keine Verletzung des Rechts einer Klagenden gesehen, die in einer solchen Klinik ein Kopftuch habe tragen wollen und der es untersagt worden sei. In Deutschland habe sich eine andere Verfassungstradition entwickelt, so Müller. Hier stehe das Prinzip im Mittepunkt, alle Religionen gleichermaßen zu fördern. Das deutsche Neutralitätsverständnis sei gerade kein Sterilitätsgebot. Gerade wegen des weiten Ermessensspielraums des EGMR sei es möglich, in Deutschland Regelungen zu finden, die der individuellen Religionsfreiheit mehr Gewicht gäben. Wie dies möglich sei, verdeutliche der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot. Bezogen auf das Berliner Neutralitätsgesetz gebe es zwei relevante rechtliche Aspekte aus dem Beschluss des BVerfG. Einerseits das Verbot der Privilegierung einer Religion. Eine Privilegierung gebe es in Berlin nicht, weil alle gleich behandelt würden. Problematisch werde es allerdings, wenn in der praktischen Auslegung die sichtbaren Bekenntniszeichen einer Religion unterschiedlich behandelt würden – also beispielsweise das Kopftuch als sichtbares Zeichen zu werten, ein Kreuz als Schmuck dagegen nicht. Andererseits ermögliche das Gericht ein pauschales Verbot nur, wenn eine „substanzielle Konfliktlage über das richtige religiöse Verhalten“ im gesamten Schulbezirk vorliege. Die Konfliktlage müsse erst einmal bewiesen werden und sie müsse tatsächlich substanziell sein. Die Nachweispflicht dafür liege beim Berliner Gesetzgeber. Es sei fraglich, ob das einfach so für das gesamte Landesgebiet anzunehmen sei, wie es das Gesetz unterstelle. Das Berliner Pauschalverbot stehe hier im Gegensatz zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, das sehr detaillierte Anforderungen aufgestellt habe. Das DIMR habe diese Frage bereits untersucht und sich eindeutig positioniert: „Das Gesetz muss geändert werden. Es ist nicht verfassungsgemäß.“ Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss das deutsche Neutralitätsverständnis konsequent auf Schulen angewendet, sagte Müller. Zum einen habe es klargestellt, dass das Kopftuch als Ausdruck der individuellen Religionsfreiheit der Lehrerin nicht pauschal verboten werden könne. Zum anderen habe es staatlichen Stellen auch den Bildungsauftrag aus dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes mit auf den Weg gegeben. Das Bundesverfassungsgericht sage, dass die Schule in einer offenen Gesellschaft als Lernort für religiöse Diversität verstanden werden müsse. Dies leite das Gericht aus dem staatlichen Neutralitätsgedanken ab. Anders als in Frankreich sei dies in Deutschland jedoch ein offenes, förderndes Neutralitätsverständnis für sämtliche Religionsgemeinschaften. Deswegen seien alle gleich zu behandeln, und zwar so, dass das in der Schule auch eingeübt werden könne. Zeynep Cetin, Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.) Cetin kündigte an, dass die am Berliner Arbeitsgericht unterlegene muslimische Frau weiter für ihr Recht kämpfen und auch weiter klagen werde. Es sei aber traurig, dass sie einen weiten Instanzenweg durchlaufen müsse, obwohl das BVerfG in seinem Grundsatzurteil eigentlich eine klare Regelung geschaffen habe. Sie frage sich, wie lange der Berliner Senat sich noch weigern wolle, das anzuerkennen. Cetin führte einige Fälle aus der Beratung ihres Netzwerkes genauer aus. Es gebe derzeit viele Anfragen von Frauen, die sich als Quereinsteigerinnen für Willkommensklassen beworben hätten und abgelehnt Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe 18 worden seien. Dies sei unverständlich angesichts der Tatsache, dass in Berlin an Schulen händeringend nach Lehrpersonal gesucht werde. Es würden immer wieder hochqualifizierte Frauen nur mit dem pauschalen Hinweis auf das Kopftuch abgelehnt, obwohl es gerade für Willkommensklassen nur von Vorteil sein könne, auch Quereinsteigerinnen aus anderen Berufszweigen einzustellen. „Das kann doch eigentlich nur ein Mehrwert sein“, so Cetin. Es würden auch Frauen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und nicht von Anfang an abgelehnt. Auch würden einzelne Schulen sie gerne einstellen, allerdings mache dies dann die Senatsbildungsverwaltung nicht mit. Diese Situation führe dazu, dass sich viele muslimische Frauen mit Kopftuch, die Lehrerinnen werden wollten, studiert hätten oder quer in den Beruf einsteigen wollten, auf eine Bewerbung verzichteten. Sie hätten durch die ablehnende Gerichtsentscheidung einfach nicht den Mut dazu. Diese Frauen müssten nicht nur zu Bewerbungen ermutigt werden, sondern auch dazu, gegen eine Ablehnung vorzugehen. In einem geschilderten Fall ging es um eine muslimische Frau mit Kopftuch, die sich als Studentin für einen Nebenjob in einem Café beworben hatte. Während eines Probearbeitens sei sie von der Chefin der Filiale plötzlich darauf hingewiesen worden, dass sie in dem Betrieb nicht mit Kopftuch arbeiten könne. Die Filialleiterin habe gesagt, dass sie als aufgeklärte Frau das Tragen des Kopftuches nicht legitimieren könne. Die Kopftuch tragende Frau habe vor Gericht aber Recht bekommen. Der Fall bestätige, dass diskriminierende Arbeitgebende kein Unrechtsbewusstsein hätten und davon ausgingen, dass ein Kopftuchverbot in einem Betrieb ganz normal sei. Anhand eines weiteren Falls schilderte Cetin die Praxis, dass sich Arbeitgeber „hinter privaten Arbeitsvermittlungen verstecken“ würden, die eine Vorauswahl träfen. Dabei gebe es anscheinend interne Absprachen, mit denen muslimische Frauen mit Kopftuch ausgeschlossen werden sollten. In dem beschriebenen Fall habe die Agentur nach einer Bewerbung angegeben, dass die Kunden niemanden mit Kopftuch einstellen wollten. Außerdem gebe es auch immer wieder den Hinweis, dass eine Arbeitsvermittlung nur möglich sei, wenn die Frau das Kopftuch während der Arbeit abnehmen würde. Es sei schwierig, gegen solche Arbeitsvermittlungsagenturen rechtlich vorzugehen. Cetin nannte solche Vorgehensweisen geradezu belustigend, wenn Arbeitgebende sich andererseits in der Selbstdarstellung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beriefen oder die „Charta der Vielfalt“ unterschreiben würden, es aber bei der Umsetzung in der Praxis hapere. Als letztes Beispiel schilderte Cetin Hindernisse in der Flugzeugabfertigung. Dort gebe es für sogenannte Ramp-Agent_innen eine Uniformpflicht. Einer hochqualifizierten Bewerberin sei versucht worden, das Tragen des Kopftuches auszureden, weil die verschiedenen Fluggesellschaften, für die sie tätig werden würde, keine passende Uniform mit Kopftuch hätten. Es habe sich dabei deutlich der Wille gezeigt, auch keine Einzelfalllösung für die Situation suchen zu wollen. Vera Egenberger, Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) Egenberger sprach in ihrem Vortrag über konfessionelle Arbeitgeber. Die kirchlich gebundenen, katholischen oder evangelischen Wohlfahrtsverbände seien zusammen die zweitgrößten Arbeitgeber der Bundesrepublik. Die Krankenhäuser, Kindergärten, Seniorenheime und anderen Sozialdienste würden zu 80 bis 100 Prozent aus staatlichen Mitteln gefördert, weil sie staatliche, an Verbände gegebene Aufgaben übernähmen. Sie bekämen in der Regel auch steuerliche Erleichterungen, die anderen kommerziellen Anbietern nicht notwendigerweise zuteilwürden. Noch aus der Tradition der Weimarer Arbeitsgruppe 1: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Entwicklungsperspektiven und Veränderungsbedarfe 19 Reichsverfassung abgeleitet, könnten die Kirchen nach innen eine Autonomie in Anspruch nehmen, mit der sie Internes ausschließlich selbst, ohne staatlichen Einfluss regeln könnten. Nach europäischen Beschäftigungsrichtlinien könnten konfessionell gebundene Arbeitgeber Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen, wenn die Ausführung einer Tätigkeit einer kirchlichen Anbindung benötige. Beispiele dafür seien Seelsorger im Krankenhaus oder Priester, die der jeweiligen Konfession angehören müssten. Bei so genannten verkündungsfernen Stellen könnten solche Ausnahmen aber eigentlich nicht mehr greifen. In der nationalen Umsetzung werde es in Paragraf 9 des AGG den konfessionellen Arbeitgebern weitgehend erlaubt, die Kirchenzugehörigkeit der Mitarbeiter_innen zur Bedingung zu machen. Es seien in Einzelfällen Ausnahmen möglich, die auch durch interne Richtlinien geregelt seien, sie würden dann bei einem Mangel an qualifiziertem Personal angewendet. Obwohl Personal durchaus benötigt werde, würden die konfessionellen Verbände muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, oft einfach nicht einstellen. Bislang habe es nach ihrem Wissen nur eine Klage einer Person dagegen gegeben, die diese vor Gericht verloren habe, so Egenberger. Sie verwies auch auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts an den EuGH, das die europarechtliche Konformität dieser Ausnahmeregelung für kirchliche Arbeitgeber zum Gegenstand hat. Diskussion zur Arbeitsgruppe 1 20 Diskussion zur Arbeitsgruppe 1 Moderatorin Maryam Haschemi Yekani nannte in der Diskussion weitere Beispiele aus ihrer Erfahrung als Rechtsanwältin mit dem Thema. Sie wies zudem auf weit verbreitete Missverständnisse bei der Neutralität hin. Private Arbeitgeber dürften diese gar nicht einfordern, anders als der Staat. Die Entscheidung für eine „religiös neutrale Zahnarztpraxis“ sei beispielsweise mit dem Berliner Neutralitätsgesetz nicht vereinbar. Grundsätzlich gebe es bei der Neutralitätsfrage das Problem, dass Frauen mit Kopftuch sich erklären müssten, aber etwa bei einer Lehrerin, die eine Kette mit einem Kreuz trage, dieses religiöse Symbol in einem Vorstellungsgespräch überhaupt nicht angesprochen werde. Ihrem Eindruck nach habe die Diskussion um das Kopftuch angefangen, als gut ausgebildete, qualifizierte Frauen in bestimmte öffentlich sichtbare Bereiche vorgedrungen seien. Vorher habe sich beispielsweise niemand an Kopftuch tragenden türkischen Putzhilfen in bestimmten nicht-sichtbaren Bereichen gestört. Das bestätige sich durch Erfahrungen mit Jobcentern, in denen Frauen mit Kopftuch gesagt werde, sie bekämen nur Angebote für Callcenter, weil man sie dort nicht sehen und man sich auf die Qualifikation konzentrieren könne, im Einzelhandel seien sie nicht unterzubringen. Zeynep Cetin nannte es „paradox und kurios“, dass nach ihrer Beratungserfahrung das Verbot religiöser Symbole faktisch immer nur muslimische Frauen mit Kopftuch treffe. Ein christliches Symbol wie ein Kreuz an einer Kette werde dagegen als erlaubter Modeschmuck eingeschätzt. Des Weiteren führte sie das Berliner Kammergericht als Ausbildungsstelle an, das den Umgang mit Kopftuch tragenden Frauen gut handhabe. Diese Referendarinnen seien von bestimmten hoheitlichen Aufgaben freigestellt, ohne dass dies Auswirkung auf die Gesamtnote oder auf die Beurteilung habe. Ulrike Bargon, Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (agah), Landesausländerbeirat, erinnerte daraufhin an einen Fall in Hessen, in dem sich ein Anwaltsverein über eine Referendarin mit Kopftuch beschwert habe, die auf der Richterbank saß. Der damalige Justizminister habe gesagt, sie könne so an der Ausbildungsstation nicht mehr teilnehmen und müsse dann mit ungenügend beurteilt werden. Tatsächlich sehe sie das Problem der Beurteilung, weil Referendarinnen keine hoheitlichen Tätigkeiten ausübten. Auf einen Einwand in der Diskussion, dass Neutralitätsgebote doch auch äußere Religionszeichen von Christen einschränken würden, etwa Ordenstracht tragende Nonnen, erläuterte Nahed Samour anhand eines Urteils des Arbeitsgerichtes Berlin die Frage von Bekleidungsvorschriften. Die Richter hätten festgestellt, dass es in der christlichen Religion keine vergleichbaren Bekleidungsvorschriften für Diskussion zur Arbeitsgruppe 1 21 gläubige Menschen wie im Islam gebe. Diese würden nur für bestimmte Positionen innerhalb der Glaubensgemeinschaft gelten. Eine Zugehörigkeit zu einem Orden als Mönch oder Nonne stelle demnach, anders als die Glaubensüberzeugung eines Einzelnen, eine herausgehobene Stellung dar. Stefan Sträßer, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA), nannte den Gedanken der Neutralität für Unternehmen vom Ansatz her richtig. Zur Erläuterung verließ er den seiner Ansicht nach von der ADS mit dem Kopftuch „sehr fokussiert“ gewählten Fachgesprächsgegenstand etwas. In der Praxis gebe es viele Fälle von Arbeitgebenden, die nicht diskriminieren wollten, sondern sich einfach die Frage stellen würden, wie man mit unterschiedlichen religiösen Anforderungen umgehen solle. In einer Belegschaft, in der alle großen Weltreligionen vertreten seien, sei es nicht falsch von den Arbeitgebenden sich so neutral zu verhalten, wie es das Neutralitätsgesetz sage. „Das finde ich in einer pluralen Gesellschaft gar keinen verkehrten Ansatzpunkt“, so Sträßer. Er nannte Beispiele wie einen Mitarbeiter in einem Chemieunternehmen, der sich aus religiösen Gründen einen Bart wachsen lasse, wodurch er aber den gesetzlich vorgeschrieben Mundschutz nicht mehr darüber tragen könne. Oder es gebe den Fall im Ramadan, wenn ein Gabelstaplerfahrer zu kollabieren drohe, weil er nicht trinke. Auch wenn Männer aus religiösen Gründen sagen würden, sie könnten nicht nackt gemeinsam mit anderen Männern duschen, stelle sich für Arbeitgebende die Frage nach dem Umgang damit. Das seien handfeste Probleme. Es würden dann in manchen Fällen islamwissenschaftliche Gutachten eingeholt, um die Sachverhalte zu klären, natürlich auch Schichtpläne geändert oder Mitarbeiter_innen umgesetzt. Für den Arbeitgebenden bedeute dies dann aber auch, andere Beschäftige mit gleicher Qualifikation finden zu müssen. Wenn man einer Religionsgemeinschaft entgegen komme, könne sich das Problem stellen, dass dann die nächste mit einer anderen Forderung komme. Außerdem seien Unternehmen, etwa im ländlichen Raum, damit konfrontiert, dass Kund_innen beispielsweise keine Kopftuch tragende Versicherungsvertreterin akzeptieren würden. Es stelle sich dann die Frage, wie damit umzugehen sei. Er könne deswegen die Idee, sich neutral zu verhalten, gut verstehen, so Sträßer. Es sei daher wünschenswert, das Themenjahr der ADS etwas breiter anzulegen. Nahed Samour entgegnete, dass der Neutralitätsbegriff, wie ihn zumindest das Berliner Neutralitätsgesetz formuliere, hochproblematisch sei, weil man schnell bei Vorgaben von Sichtbarkeit lande. Man solle Neutralität besser durch Inklusion ersetzen. Denn dann werde schnell deutlich, wer exkludiert werde, wer außen vor bleibe. Damit würde auch „die Dramatik eindeutig, mit der wir es hier zu tun haben“. Vera Egenberger betonte, dass es nicht helfe, die verschiedenen Dinge zu vermischen. Die staatliche Neutralität habe nur mit Schule und mit Gerichtsbarkeit zu tun, nichts mit privaten Firmen. Der Umgang mit anderen Anforderungen an Unternehmen sei „mit der AGG-Brille“ betrachtet eine Frage des Diversity-Managements, nicht der Neutralität. Diskussion zur Arbeitsgruppe 1 22 Sebastian Müller führte zum Umgang mit religiösen Gruppen Kanada als Beispiel an. Dort habe man schon in den 1960er-Jahren den Begriff der „reasonable accommodation“ eingeführt, also der angemessenen Vorkehrung. Demnach hätten die Arbeitgebenden eine Verpflichtung nachzuweisen, warum sie bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllen wollten. Am Ende müsse man sich jedoch immer überlegen, wie man das Zusammenleben organisieren wolle. Er räumte ein, dass die Menschenrechte dabei einiges an Kreativität abverlangten. Barbara Schmidt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wies darauf hin, dass das Ministerium in den viel gescholtenen Jobcentern viele Schulungen zur Interkulturellen Öffnung und Diversität anbiete. Diese benötigten jedoch viel Zeit, Personal und Ressourcen. Ihrer Erfahrung nach wäre ein besseres, zentrales Wissensmanagement sehr hilfreich, beispielsweise mit geeigneten Informationsmaterialien über den Rechtsstand. Arbeitsgruppe 2: Gute Praxis gegen Diskriminierung wegen des Kopftuches am Arbeitsplatz 23 Arbeitsgruppe 2: Gute Praxis gegen Diskriminierung wegen des Kopftuches am Arbeitsplatz Nesreen Hajjaj, Jung, Muslimisch, Aktiv (JUMA) Hajjaj beschrieb zunächst das Ziel von JUMA: „Mit uns und nicht nur über uns sprechen.“ Das Thema sei wichtig, um Partizipationsmöglichkeiten für Frauen auch als Chance anzuerkennen. Es gehe außerdem um eine gesellschaftliche Mitgestaltung und darum, Vielfalt in verschiedenen Berufen abzubilden. Die Beispiele und Zitate aus dem Vortrag von Boos-Niazy zeigten, wie stark „unter der Gürtellinie“ und niveaulos Kommentare von gesellschaftlichen Entscheidungsträgern manchmal seien. Der Entschluss, ein Kopftuch zu tragen, komme bei jungen Musliminnen aus freien Stücken und sei keine Entscheidung der Eltern. Ein Kopftuch zu tragen bedeute faktisch allerdings, sich in bestimmten Bereichen einem Berufsverbot unterwerfen zu müssen. Das Tragen eines Kopftuches werde aber erst zum Problem, wenn Frauen anfangen würden, sich zu entwickeln, aufzusteigen und in gesellschaftlich und beruflich wichtige Positionen zu streben. In Berufen mit Geringverdienenden stelle das Kopftuch dagegen kein Problem dar. Mit Blick auf die akademische Ausbildung sagte Hajjaj, dass die Entscheidung junger Musliminnen nach Ansicht mancher Menschen offenbar nicht zum sonst gängigen „Unterdrückungsnarrativ“ passe. Dunya Adigüzel, Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V. (IGMG) Adigüzel beklagte eine klischeehafte Darstellung von Frauen, deshalb sei ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz notwendig. Dabei gehe es darum, das Bild einer Frau mit Kopftuch nachhaltig zu ändern. Dies könne mit Kampagnen, Publikationen und Plakaten zur „Normalisierung“ geschehen, die auch Vielfalt sichtbar machten. Sie verwies als Beispiel auf die Universität Gummersbach, die mit Kopftuch tragenden Studentinnen werbe oder die Zeitschrift „Familie“, die Kopftuch tragende Frauen als Mütter zeige. Adigüzel nannte die gesetzlichen Regelungen des AGG nicht ausreichend, weil die Nachweisbarkeit vor Gericht problematisch sei, meist Aussage gegen Aussage stehe und es beim Weglassen der diskriminierenden Äußerung umgangen werden könne. Außerdem ändere es nicht die Haltung der Arbeitgebenden. Es würden zwar diskriminierende Äußerungen durch Arbeitgebende unterbleiben, in der Praxis ändere sich dadurch aber nichts. Adigüzel führte weiter aus, dass Diskriminierungen von Seiten muslimischer Frauen selten angezeigt würden. Viele vertrauten dem Rechtssystem nicht. In der Gesellschaft fehle ein Schuldbewusstsein für die Diskriminierung, die Ablehnung muslimischer Frauen durch Arbeitgebende sei salonfähig geworden. Es gebe daher Handlungsbedarf bei der Aufklärung über die eigenen Rechte und Handlungsmöglichkeiten. Mit Empowerment-Maßnahmen müsse verhindert werden, dass Frauen mit Kopftuch bestimmte Berufsfelder schon im Vorhinein ausschlügen. Arbeitsgruppe 2: Gute Praxis gegen Diskriminierung wegen des Kopftuches am Arbeitsplatz 24 Romin Khan, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) Khan räumte ein, dass das AGG für Gewerkschaften noch kein großes Thema sei. Hier sei noch eine weitere Auseinandersetzung nötig. Höheres Gewicht habe bei der Gewerkschaft das Thema Geschlechterdiskriminierung, beispielsweise in Fragen der Entgeltgleichheit oder Karrierechancen. Als mögliche Handlungsmöglichkeiten bezeichnete Khan außerbetrieblich anonymisierte Bewerbungsverfahren und eine Interkulturelle Öffnung. Innerbetrieblich ergäben sich Handlungsmöglichkeiten durch das Betriebsverfassungsgesetz, etwa dadurch, Personalräte zu informieren und Regelungen zu schaffen, die Antidiskriminierungspraxen fördern und stärken würden. Kahn sagte, dass auch Verdi sich noch stärker mit spezifischen Diskriminierungsstrukturen auseinandersetzen und das Thema unter dem Stichwort Empowerment in Bildungsseminare einfließen lassen sollte. Khan wies auf das „große Thema“ hin, dass das AGG nicht in kirchlichen Betrieben gelte. Bei den Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene nannte Khan den gewerkschaftlichen Rechtsschutz. Allerdings bedeute diese Inanspruchnahme häufig, dass die Lösung auf Vergleiche ausgerichtet sei, statt Grundsatzurteile zu erwirken. Dr. Petra Rostock, Arbeiterwohlfahrt (AWO), Bundesverband Rostock beschrieb den seit dem Jahr 2000 laufenden Prozess der interkulturellen Öffnung der AWO. Dieser orientiere sich am Leitbild der Offenheit für alle, die sich mit den Werten der AWO identifizierten, etwa der Achtung weltanschaulicher Bekenntnisse. Ziel sei es, Vielfalt auch in den Reihen der Beschäftigten abzubilden. Spezifische Maßnahmen des Bundesverbandes für Frauen mit Kopftuch seien ihr nicht bekannt. Es ist ein Leitfaden entwickelt, der sich auf das AGG bezieht und mit Bildungsmaßnahmen für Multiplikator_innen begleitet werden soll. Rostock sagte, dass sich das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchtragen mit den AWO-Werten decke. Als Best PracticeBeispiel nannte sie die Aktionswoche „Echtes Engagement. Echte Vielfalt. Echt AWO.“, zu der 60 Bewerbungen mit Plakaten eingegangen seien, die diese unterschiedlichen Vielfaltsdimensionen abgebildet hätten, etwa durch ein Motiv mit einer Kopftuch tragenden Mitarbeiterin. Andreas Merx, IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung Merx betonte in seinem Kurzvortrag, dass es wichtig sei, positive Anreize zu setzen. Arbeitgebende seien nicht immer rassistisch, Vorbehalte und Unkenntnis seien jedoch weit verbreitet. Diese Gruppe könne durch Informationen erreicht werden. Merx berichtete, dass nach einer Studie der ADS mit anonymisierten Bewerbungsverfahren gute Erfolge zu erzielen seien, besonders, wenn standardisierte Verfahren angewendet würden. Es sprach sich für breite Ansätze statt Einzelmaßnahmen aus, um Arbeitsgruppe 2: Gute Praxis gegen Diskriminierung wegen des Kopftuches am Arbeitsplatz 25 langfristig einen Organisationswandel zu bewirken. Es müsse immer die Qualifikation entscheidend sein. Außerdem könne Diversity Vorteile bieten, wie besondere Sprachkenntnisse oder die Kenntnis einer Community. Es sei bereits empirisch belegt, dass vielschichtige Teams Vorteile brächten, beispielsweise neue Kundenschichten ansprechen könnten. Merx stellte eine Liste konkreter Maßnahmen vor, wie Betriebsvereinbarungen, Diversity-Kalender mit Thementagen, Vielfaltskantine (ohne SchweinefleischAngebot), Einrichtung von Räumen der Gebete oder der Stille, Mitarbeiter_innennetzwerke bestimmter Gruppen im Betrieb, Diversity-Monitoring und -Management, Beschwerdestellen nach Paragraf 13 des AGG, Cultural-Divers-Checks, Ausschreibungen mit Vielfaltskriterien nach Paragraf 5 des AGG, Zusammenarbeit mit Moscheen und Migrationsverbänden. All dies erreiche allerdings nur dem Thema gegenüber offene Arbeitgebende. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sei noch „viel Luft nach oben“. Er rief die Verwaltungen auf, mit gutem Beispiel voranzugehen. Diskussion zur Arbeitsgruppe 2 26 Diskussion zur Arbeitsgruppe 2 Moderation: Heike Fritzsche, Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Zum Thema Beschwerdestellen auf Grundlage des AGG, die an Schulen noch freiwillig, in Unternehmen bereits verpflichtend sind, berichteten die Teilnehmer_innen nur von einer geringen Nutzung. Kopftuch tragende Frauen würden das betriebliche Beschwerderecht nach Paragraf 13 kaum in Anspruch nehmen, sagte Mohamad Hajjaj. Auch Pinar Cetin, Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), sagte, Muslima würden sich zuerst eher an Moscheen wenden. Sie bemängelte, dass die Polizei islamfeindliche Vorfälle nicht gesondert erfasse, ein klares Benennen sei aber notwendig und nicht das Aufführen unter Rassismus. Dunya Adigüzel sagte, dass Frauen lieber das Gespräch mit anderen Frauen in Moscheen suchten, weil ihr Vertrauen in die Gesellschaft sehr gering sei. Gabriele Boos-Niazy betonte, dass die Schwelle sehr hoch sei, sich an eine staatliche Institution zu wenden. Dies liege an einem gewissen Fatalismus und der Furcht, die Diskriminierung noch einmal durchleben zu müssen. Deshalb gingen Betroffene lieber zu Beratungsstellen und in Moscheevereine, dort müsse man nicht nochmal erklären, worum es gehe, so Boos-Niazy. Nathalie Schlenzka, ADS, wies zur Klarstellung darauf hin, dass es entscheidende Unterschiede zwischen Beschwerdestellen und Beratungsstellen gebe: Beschwerdestellen seien für Arbeitgeber nach Paragraf 13 AGG verpflichtend zu benennen. Beschwerdestellen im Bildungsbereich verbindlich einzurichten, werde derzeit diskutiert, beispielsweise in Berlin und Nordrhein-Westfalen. Die Verankerung von Beratungsstellen sei dagegen rechtlich weniger verbindlich, deren Aufgabenspektrum sei breiter gefasst. Mehrere Teilnehmer_innen wiesen auf die Schwierigkeit von betrieblichen Diversity-Maßnahmen hin, wenn gleichzeitig Vielfalt nicht als Ressource in der Gesellschaft anerkannt und wertgeschätzt werde. Die Reduzierung der Debatte auf das Kopftuch sei dabei zusätzlich problematisch, weil das die Frauen auf ein Stück Stoff reduziere. Dr. Alexander Böhne, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA), ging auf die anonymisierten Bewerbungsverfahren ein. Diese seien kritisch in ihrer Wirkung gegen Diskriminierung und auch in ihrer Akzeptanz durch Arbeitgebende zu sehen. Sie seien ein „reines Placebo, das nichts bringt“. Zudem sei es in Regionen, in denen es kaum Menschen mit Migrationshintergrund gebe, schwierig diese Gruppe zu fördern. Diversity-Maßnahmen liefen dort ins Leere oder es gebe gar keinen Bedarf an ihnen. „Bitte keine verpflichtenden Maßnahmen“, sagte er dazu. Juliane Zacher, GEW, sagte, dass der Bildungsinhalt Vielfalt sich in Berlin in der Diskussion um den Rahmenlehrplan widerspiegele. Mitunter seien jedoch auch die Erwartungen an die Schule zu hoch, wenn man davon ausgehe, dass dort alle gesellschaftspolitischen Probleme gelöst werden sollten. In der Lehre lasse das Berliner Neutralitätsgebot wenig Spielraum für Kopftuch tragende Lehrerinnen. Die GEW habe zum Thema Kopftuch noch keine einheitliche Meinung, man befinde sich dort in der Findungsphase. Diskussion zur Arbeitsgruppe 2 27 Michaela Ghazi, GEW, wies darauf hin, dass sich die Schwierigkeiten für Frauen mit Kopftuch potenzieren würden. Die zuvor von Andreas Merx vorgestellten Maßnahmen griffen nur bedingt. Als möglichen Ansatzpunkt nannte Ghazi das Abbilden von Diversität in Schulbüchern. Es gehe darum, Denkweisen aufzubrechen. „Wir sind seit 50, 60 Jahren eine Einwanderungsgesellschaft und treten auf der Stelle“, so Ghazi. Sie stellte die Frage, wann denn ein Migrationshintergrund aufhöre. Druckmaßnahmen könnten dazu führen, dass sich etwas ändere. Sie verwies außerdem auf das GEWRechtsgutachten „Rechtlicher Rahmen für eine unabhängige Beschwerdestelle zum Schutz gegen Diskriminierung in Berliner Schulen“. Prof. Dr. Riem Spielhaus nannte es ein Teil des Problems, dass „Migrationshintergrund“ und „Muslimsein“ synonym verwendet würden. Es bestehe eine Überlappung, aber die Besonderheit der religiösen Dimension müsse in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Kopftuch sei ein besonderes Merkmal und es gebe keine anderen Merkmale, für die es derartig explizite Verbote in bestimmten Bereichen gebe. Die gesellschaftliche Debatten- und Gesetzeslage sei anders als bei anderen Vielfaltsmerkmalen und habe eine besondere Brisanz. Die Vorurteile gegenüber dem Kopftuch wirkten auch auf Musliminnen ohne Kopftuch. Auch sie würden diskriminiert, nach dem Motto, man könne ja nie wissen, ob Musliminnen ohne Kopftuch auch irgendwann das Kopftuch anlegen wollten. Taner Aksoy forderte eine „allgemeine Sensibilisierung in der muslimischen Community“. Viele Muslime würden Diskriminierung und Ausgrenzung passiv hinnehmen und hätten sich damit abgefunden. Die Sensibilisierung müsse jedoch in Verbindung mit Moscheen und Beratungsstellen angestoßen werden. Helga Hentschel, Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, berichtete, dass es immer mehr Auszubildende mit Kopftuch in Berlin gebe. Das sei eine ganz neue Dimension. Es sei notwendig und müsse selbstverständlich werden, dass Frauen beim Übergang von Schule zu Beruf ein Recht auf Bildung und Ausbildung hätten. Sie seien darin zu bestärken. Außerdem müsse sich das Bild der Gesellschaft ändern, wobei alle gefordert seien und zusammenarbeiten müssten. Junge Mädchen mit Kopftuch sollten ermuntert werden, der Weg werde mit der Zeit einfacher werden. Diskriminierungsrisiken und Schlussfolgerungen 28 Diskriminierungsrisiken und Schlussfolgerungen In den Beiträgen und Diskussionen der Veranstaltung haben sich mehrere Erklärungen für die Diskriminierung muslimischer Frauen mit Kopftuch gezeigt. Nach Ansicht vieler Teilnehmer_innen ist das Kopftuch in der Gesellschaft und in Unternehmen nicht erwünscht. Hier sei generell eine weit weniger wertschätzende Bewertung der Kategorie Religion im Vergleich zu anderen Diversitykategorien wie Alter, Behinderung oder Geschlecht zu beobachten. Die Ablehnung des Kopftuches durch Arbeitgebende sei vielfach bereits salonfähig geworden. Dies widerspricht allerdings den gesetzlichen Grundlagen: Staatliche Neutralität gilt nicht in Privatunternehmen. Dennoch gingen viele Arbeitgebende davon aus, dass es statt des zuvorderst stehenden Diskriminierungsverbotes wegen der Religion eine weitreichende Neutralität bzw. ein Kopftuchverbot außerhalb des öffentlichen Dienstes gebe. Dies sei eine Art „Kern-Missverständnis“ von Arbeitgebenden. Vielfach wurde auch beklagt, dass in Jobcentern betroffene Frauen nicht im Sinne des Rechts unterstützt werden, sondern ihnen ein Verzicht auf das Kopftuch nahegelegt wird. Die Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen der Teilnehmer_innen bezogen sich auf mehrere Bereiche: Das Berliner Neutralitätsgesetz muss geändert werden, es ist nach dem BVerfG-Urteil von 2015 nicht mehr verfassungsgemäß. Entsprechende Ländergesetze müssen überprüft werden. Paragraf 9 des AGG: Es muss geklärt werden, bei welchen Tätigkeiten in einem Beschäftigungsverhältnis bei konfessionellen Arbeitgebenden die Religionszugehörigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellen darf. Gesellschaftlich, in Unternehmen und Institutionen sollte mehr Wert auf gegenseitige Akzeptanz, auf mehr Vielfalt und die Inklusion verschiedener Lebensweisen gelegt werden. Insbesondere die Diskriminierungsdimension Religion muss hier mehr Berücksichtigung finden. Die bereits gelebte Vielfalt muss sichtbarer werden und sollte auch sich durch die Repräsentation Kopftuch tragender Musliminnen in Publikationen, Plakaten, Schulbüchern etc. widerspiegeln. In Unternehmen können dazu pro-aktive Vielfaltsmaßnahmen (z.B. anonymisierte Bewerbungsverfahren, DiversityKalender, Gebetsräume/Räume der Stille) und Betriebsvereinbarungen hilfreich sein. Mit verschiedenen Arten des Wissensmanagements können die rechtlichen Grundlagen bekannter gemacht werden, etwa mit Informationsmaterialien, Trainingshandbüchern sowie Schulungsund Sensibilisierungsmaßnahmen für Arbeitgebende. Die rechtliche Argumentation muss dabei gestärkt werden: Das individuelle Grundrecht auf Religionsfreiheit sowie das Diskriminierungsverbot sollten bei Information, Aufklärung und Sensibilisierung im Mittelpunkt stehen. Auch muslimische Mädchen und Frauen müssen in der Entwicklung und Durchsetzung von Berufswünschen und -wegen mehr Aufklärung, Unterstützung und Empowerment erfahren. Insbesondere Mitarbeiter_innen in Jobcentern, Arbeitsvermittlungen und Berufsberatungen müssen verstärkt informiert und für das Thema sensibilisiert werden. Diskriminierungen wegen des Kopftuches zielen nicht nur auf die Religionsfreiheit: Sie greifen ausschließlich Frauen und Mädchen an. Deshalb sollte sie nicht nur als religionsbezogene, sondern auch als Geschlechterdiskriminierung in den Blick genommen werden. Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sollten verstärkt dafür sensibilisiert werden, welche Benachteiligungen Diskriminierungsrisiken und Schlussfolgerungen muslimische Mädchen und Frauen wegen des Kopftuches erleben. Das vielfach noch vorherrschende Bild vom Kopftuch als „Symbol der Unterdrückung“ verhindert bei Akteurinnen gegen Geschlechterdiskriminierung eine Solidarisierung und Unterstützung betroffener Frauen. Die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Unterstützung von Auszubildenden, Bewerberinnen und Arbeitnehmerinnen mit Kopftuch sollte gezielt ausgelotet werden, z.B. durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutzes. Auch die Potenziale des Betriebsverfassungsgesetzes sollten Betriebsräte und Beschäftigungsvertretungen stärker nutzen. Bundesweit müssen spezifische Beratungs- und Hilfsangebote ausgebaut werden: Diese können Beschwerdestellen an Schulen umfassen sowie unabhängige Beratungsstellen für Diskriminierungsfälle. Sie sollten vor allem niedrigschwellig, merkmalsübergreifend und mit der muslimischen Community vernetzt arbeiten. Kooperationen von Antidiskriminierungsstellen mit muslimischen Einrichtungen sind ebenso sinnvoll wie die Zusammenarbeit von christlichen und muslimischen Einrichtungen. 29 Anhang 30 Anhang Redetext Gabriele Boos-Niazy, gekürzt: Gesetzliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben – Status Quo und Auswirkungen in der Praxis Ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung und die Möglichkeit aus der Praxis der Arbeit des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen zu berichten. Die angeführten Beispiele stammen aus unserer Arbeit der Beratung und Unterstützung von Frauen, die von Diskriminierung betroffen sind. Im Folgenden möchte ich drei Aspekte beleuchten: Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben Ein Blick in die Praxis Was uns Sorgen macht – die Erosion des Rechtsempfindens Ich nehme in meinem Vortrag in erster Linie Bezug auf das Grundgesetz und das AGG, nicht auf die Rechtspositionen der Vereinten Nationen. Rechtliche Regelungen zum Kopftuch im Arbeitsleben Grundrechte in der Kopftuchdiskussion Die Grundrechte, die bei der Diskussion um das Kopftuch regelmäßig eine Rolle spielen sind: das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3), nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, die Geschlechter gleichberechtigt sind, der Staat diese Gleichberechtigung fördern und Hindernisse abbauen muss, sowie niemand wegen diverser Merkmale, u.a. seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit, üblicherweise etwas verkürzt als „Religionsfreiheit“ bezeichnet (Art. 4 Abs. 1 und 2), die nach gültiger Rechtsprechung sehr weit ist und eine sichtbar religiöse Praxis mit einschließt, die Berufsfreiheit (Art. 12 GG Abs. 1), nach der jeder seinen Beruf frei wählen kann, nach Art. 33 GG, die Garantie, dass jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern haben muss, und zwar unabhängig von seinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis oder eben auch der Ablehnung eines solchen Bekenntnisses oder einer Weltanschauung. Das hier genannte Kriterium der „Eignung“ wird uns später noch einmal begegnen. Diskriminierungsschutz in Beschäftigung und Beruf: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Neben den grundgesetzlichen Regelungen ist das Mitte August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bei Kopftuchfragen relevant. Das AGG ist die Umsetzung mehrerer EU- Anhang 31 Richtlinien, die zum Ziel haben, Benachteiligungen aus rassistischen Gründen, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder wegen der sexuellen Identität gar nicht erst entstehen zu lassen oder – falls sie schon existieren – sie zu beseitigen. Das AGG gilt in seinem arbeitsrechtlichen Teil für den Bereich der Beschäftigung – einschließlich der betrieblichen Ausbildung – und in seinem zivilrechtlichen Teil für Verträge mit privaten Bildungseinrichtungen. In diesem Bereich fehlt allerdings der im arbeitsrechtlichen Teil existierende Teil des Schutzes gegen sexuelle Belästigung. Das AGG verbietet in erster Linie die Benachteiligung durch den Arbeitgeber. Es untersagt darüber hinaus aber auch Diskriminierungen, die von Arbeitskollegen, Kunden oder Lieferanten begangen werden. Allerdings leiten sich gegen diese Personen keine unmittelbaren Ansprüche aus dem AGG ab. Die begrenzte Reichweite des AGG offenbart also große Schutzlücken. Bei unserer Arbeit bemerken wir das insbesondere im Bereich der Bildung, wenn es um die Diskriminierung von Schüler*innen oder von Student*innen geht. Diesen Gruppen ist der Schutz durch das AGG verwehrt, da diesbezüglich bestehende europarechtliche Vorgaben bisher nicht umgesetzt bzw. nicht in die Schul- und Hochschulgesetze der einzelnen Bundesländer aufgenommen wurden. Vier Paragrafen des AGG spielen im Hinblick auf das Kopftuch beim Zugang zum Arbeitsmarkt eine besondere Rolle: § 1 Ziel des Gesetzes und Benachteiligungsgründe § 7 Benachteiligungsverbot. Dies gilt für den Bereich der Stellenausschreibung über die Einstellung und die Arbeitsbedingungen bis hin zur Kündigung. Es umfasst Arbeitnehmer, Auszubildende und Beamtinnen sowie verschiedene Arten von Benachteiligungen (unmittelbare und mittelbare) § 8 Abs. 1, der eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen unter bestimmten Umständen für zulässig erklärt und § 9, der den Religionsgemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung erlaubt. Auf die beiden letzteren Paragrafen gehe ich im Hinblick auf das Kopftuch kurz ein: Verbotsmöglichkeiten Privatwirtschaft Im Bereich der Privatwirtschaft ist ein Verbot des Kopftuches nur dann möglich, wenn der Verzicht eine wesentliche und berufliche Anforderung darstellt, die als angemessen anzusehen und deren Zweck rechtmäßig ist. Das kann dann der Fall sein, wenn bestimmte Arbeitsabläufe das Tragen eines Kopftuches unmöglich machen, z.B. aufgrund von Sicherheits- oder Hygieneanforderungen und keine Alternative möglich ist. In der Praxis machen wir häufig die Erfahrung, dass solche Anforderungen vorgeschoben sind und Alternativvorschläge daher nicht angenommen werden. Insbesondere im Bereich der Personalvertretungen müsste mehr Aufklärungsarbeit diesbezüglich geleistet werden. Kein Rechtfertigungsgrund für eine Nichteinstellung oder Kündigung ist die Befürchtung finanzieller Verluste aufgrund islamfeindlicher Haltungen von Kunden, die möglicherweise einem Geschäft oder Anhang 32 einer Praxis mit einer Kopftuch tragenden Mitarbeiterin (Verkäuferin/Arzthelferin/Physiotherapeutin) fernbleiben. Verbotsmöglichkeiten § 9 AGG Immer wieder kontrovers diskutiert wird die zulässige unterschiedliche Behandlung von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften oder Vereinigungen, die sich die Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen. Diese Sondersituation – auch Kirchenprivileg genannt – gründet sich auf die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen, die ihnen garantiert, dass sie ihre Angelegenheiten ohne staatliche Einmischung selbst regeln können. Eine unterschiedliche Behandlung nach dem AGG ist demnach zulässig, wenn die Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft aufgrund ihres Selbstverständnisses im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder der Art der Tätigkeit der Meinung ist, die Zugehörigkeit eines Bewerbers zur eigenen Gruppe sei eine gerechtfertigte berufliche Anforderung. Im Bereich der Verkündigung ist die Einschätzung als gerechtfertigte berufliche Anforderung sicherlich nachvollziehbar, in den verkündigungsfernen Bereichen jedoch mittlerweile kaum zu vermitteln. Da dieser Bereich einen sehr großen Teil des Arbeitsmarktes umfasst, ist eine klarere Definition dessen, wo das AGG greifen soll, dringend notwendig. Zudem wird durch eine sehr unterschiedliche Handhabung deutlich, dass dieses Prinzip oft nur dann eingehalten wird, wenn ausreichend Arbeitskräfte mit der „richtigen“ Zugehörigkeit zur Verfügung stehen. Nicht nur Kritiker sehen den § 9 als Regelung, die einem effektiven Diskriminierungsschutz für Nicht-Mitglieder von Kirchen oder Menschen, die offensichtlich nicht nach deren Prinzipien leben, entgegensteht. Ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 2014. Eine Kopftuch tragende Krankenschwester verlor ein Verfahren gegen ihren Arbeitgeber, ein Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft. Das BAG wog die beteiligten Grundrechte gegeneinander ab (kirchliches Selbstbestimmungsrecht, Art. 140 GG, Art. 137 WRV, und Religionsfreiheit der Klägerin, Art. 4 Abs. 1, 2 GG) und stellte zwar einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 AGG fest, sah ihn aber nach § 9 AGG als gerechtfertigt an. Die Lücken im AGG bzw. die Änderungswünsche, die durchgängig genannt werden, sind die Ausdehnung des Geltungsbereichs die Einführung eines Verbandsklagerechts die Beschränkung des § 9 auf verkündigungsnahe Bereiche und die Erweiterung der Handlungskompetenzen der ADS. Diskriminierungsschutz in Beschäftigung und Beruf: Sonderfall Schuldienst § 8 Abs. 1 lässt eine unterschiedliche Behandlung zu, wenn sie auf einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung basiert, der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Bei den beiden Klägerinnen, die den BVerfG-Beschluss von 2015 erwirkten, sah das Bundesarbeitsgericht 2009 noch keinen Verstoß gegen das AGG: In beiden Urteilen hieß es textgleich, dass das Anhang 33 Kopftuchverbot das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG nicht verletzt, auch wenn es zu einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen der Religion führen kann. Begründung: „Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung ist gem. § 8 Abs. 1 AGG aber zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies ist hier gegeben. [...] Der Klägerin gereicht eine bestimmte Form ihrer Religionsausübung zum Nachteil. Deren Unterlassung wiederum ist wegen der Bedingungen der Ausübung ihrer Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung. Der damit verfolgte Zweck ist rechtmäßig und die Anforderung angemessen.“ Der Dreh- und Angelpunkt war also die Frage, ob der Verzicht auf eine religiöse Bekundung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist, die eine Kopftuchträgerin eben nicht erfüllen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat hingegen in seinem Beschluss von 2015 die Praxis eines pauschalen Kopftuchverbotes als nicht mit der Verfassung vereinbar befunden und sich auch im Hinblick auf das AGG geäußert. Demnach stellte die Beschränkung religiöser Bekundungen durch das SchulG NRW in der damaligen Fassung eine „[...] unmittelbare, normativ vorgegebene Benachteiligung aus Gründen der Religion dar, die die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen betrifft (§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AGG).“ Trotz dieses Grundsatzes sieht auch der BVerfG-Beschluss die Möglichkeit vor, in einer bestimmten Konstellation eine Lehrerin – unabhängig von ihrem eigenen Verhalten – vor die Wahl einer Versetzung oder eines Kopftuchverzichts zu stellen. Nämlich dann, wenn es eine konkrete Störung des Schulfriedens gibt – nicht jedoch, wenn eine solche Störung lediglich befürchtet wird. Es müssen also besondere substanzielle Konfliktlagen in einer beachtlichen Zahl von Fällen vorliegen. Eine Benachteiligung aus Gründen der Religion ist gerechtfertigt, wenn „[...] das äußere Erscheinungsbild zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt, [...].“ Der Verzicht auf die religiöse Bekundung stellt in dieser Konstellation „[...] eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung [...]“ dar. Potenziell kollidierende Grundrechte in der Schule Im Bereich der Schule gibt es unterschiedliche Grundrechtsträger, deren Rechte kollidieren können. Im Hinblick auf das Kopftuch im Schuldienst sind das: das Grundrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder die negative Glaubensfreiheit der Schüler*innen die negative Glaubensfreiheit der Eltern die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates. Der Beschluss des BVerfG von 2015 macht im Hinblick auf die Anwesenheit einer Kopftuch tragenden Lehrerin in Verbindung mit den Grundrechten der anderen Beteiligten folgende Aussagen: Das Grundrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder wird nicht beeinträchtigt. Allein aus dem Elterngrundrecht lässt sich kein Anspruch herleiten, Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen. Die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler darf hierbei aber nicht beeinträchtigt werden. Anhang 34 Die negative Glaubensfreiheit der Schüler*innen wird nicht beeinträchtigt, „solange die Lehrkräfte [...] nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen [...]“. Das Recht der Eltern auf negative Glaubensfreiheit „[...] garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht.“ Die religiöse und weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates wird bewahrt, indem er Bezüge zu allen mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule zulässt. Die Zulassung des Kopftuches bedeutet keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben. Die Sorge von Eltern vor einer ungewollten Beeinflussung ihrer Kinder durch den Anblick einer Kopftuch tragenden Lehrerin stellt keine konkrete Gefahr dar, denn die Konfrontation der Schüler*innen mit einer glaubensgemäßen Bekleidung wird [...] durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen [...] Insofern spiegelt sich in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die religiös-pluralistische Gesellschaft wider.“ Verbotsmöglichkeiten Dennoch sieht der Beschluss des BVerfG die Möglichkeit vor, das Kopftuch im Schuldienst zu verbieten. Ein Verbot, das auf eine einzelne Kopftuch tragende Lehrerin zielt, ist nur dann zulässig, wenn diese ein missionarisches oder verbal werbendes Verhalten an den Tag legt und versucht, Schüler*innen konkret zu beeinflussen. Ein allgemeineres Verbot für bestimmte Schulen oder Schulbezirke für eine begrenzte Zeit ist möglich, wenn dort nachweislich besondere substanzielle Konfliktlagen in einer beachtlichen Zahl von Fällen vorliegen. Das Gericht nennt als Beispiel eine Situation, „[...] in der – insbesondere von älteren Schülern oder Eltern – über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und [...] in die Schule hineingetragen [...]“ werden. Verbote sind also dort möglich, wo es zu einer Überschreitung der Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder zu einer Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität kommt. Grundrecht der Lehrerin in substanziellen Konfliktlagen Wenn die Schulleitung alle pädagogischen oder disziplinarischen Maßnahmen, die üblicherweise bei Schulkonflikten zur Lösung zum Einsatz kommen, erfolglos ergriffen hat und zu dem Schluss kommt, dass nur die Versetzung der Lehrerin mit Kopftuch den Konflikt – zu dem sie nicht selbst etwas beigetragen hat – lösen wird, ist der Lehrerin eine Versetzung zumutbar. Allerdings kann sie sich auch dafür entscheiden, ihr Kopftuch abzulegen, statt sich versetzen zu lassen. Auch wenn der Beschluss des BVerfG von zwei Klägerinnen aus NRW erwirkt wurde, sind doch die anderen Landesgesetzgeber über § 31 Abs. 1 BVerfGG daran gebunden, ihre jeweiligen Gesetze nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auszulegen. Anhang 35 Der Blick in die Praxis - Umsetzung des BVerfG-Beschlusses in den einzelnen Bundesländern Die erfolgreichen Klägerinnen stammten zwar aus NRW, aber der Beschluss des BVerfG wirkt auch auf andere Bundesländer, in denen es ein gesetzliches Kopftuchverbot gibt. Gemäß § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sind die Landesgesetzgeber daran gebunden, ihre jeweiligen Gesetze nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auszulegen. Der BVerfGBeschluss bindet gleichermaßen auch die Gerichte. D.h. im Streitfall müssen sie das Landesgesetz nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts auslegen. Die Umsetzung des BVerfG-Beschlusses erfolgte in Nordrhein-Westfalen durch eine Gesetzesänderung. In Bremen, Niedersachsen und Hessen wurde der BVerfG-Beschluss ohne eine Änderung des Schulgesetzes umgesetzt. Bisher keine offizielle Umsetzung des BVerfG-Beschlusses gibt es in Bayern und Baden-Württemberg. Das saarländische Schulgesetz sieht weiterhin neben dem Kopftuchverbot auch die Privilegierung christlicher Bildungs- und Kulturwerte vor. Auch die Berliner Innenverwaltung sah nach Veröffentlichung des BVerfG-Beschlusses keinen Änderungsbedarf am sogenannten Neutralitätsgesetz. Aktuelle Beratungsfälle Schuldienst Hessen Eine Lehramtsstudentin, erhielt von ihrer Ausbildungsschule eine Rundmail mit folgendem Wortlaut: „Von der Universität XY sind Sie unserer Schule als zukünftige Praktikantinnen und Praktikanten für die Schulpraktischen Studien [...] zugewiesen worden. [...] Ein wichtiger Hinweis vorab: Sollte sich unter Ihnen eine Kopftuchträgerin befinden, so müsste sie für das gesamte geplante Praktikum entweder auf ihre Kopfbedeckung verzichten, oder sich bereits heute nach einer anderen Praktikumsschule umschauen. Wir vermitteln unseren Schülerinnen und Schülern ein demokratisches, an den Werten des Grundgesetzes orientiertes Weltbild, bei dem die Gleichberechtigung von Mann und Frau ganz oben ansteht, und das Tragen eines Kopftuches durch Lehrkräfte oder Praktikanten würde hier in der Vorbildfunktion, die wir innehaben, falsche Signale aussenden.“ In den Leitsätzen des Schulprogramms dieser Schule heißt es übrigens: „Wir entwickeln die Fähigkeit zur Teilhabe und Teilnahme an der Kultur der offenen Gesellschaft – Die Schülerinnen und Schüler werden an Kultur herangeführt – dies betrifft ihr ästhetisches, ethisches und demokratisch-politisches Verständnis. Interkulturelle Praxis: Leitsatz: Wir pflegen ein respektvolles, wertschätzendes Miteinander aller Kulturen.“ Medizinstudentinnen Im Rahmen der Ausbildung muss ein zweitägiges Praktikum in einem Krankenwagen absolviert werden; dem sind zwei Tage mit theoretischer Ausbildung vorangeschaltet. Für die Mitfahrt im Krankenwagen ist ein Vertrag mit der Stadt Frankfurt zu unterzeichnen, dessen Bestandteil das „Informationsblatt Studentenpraktika im Rettungsdienst“ ist. Darin heißt es: „Wir erwarten, dass Sie sich neutral verhalten und bei Ihrem Praktikum auf alle Äußerungen zu Ihrer Weltanschauung, Religion etc. verzichten. Auch das Tragen entsprechender Symbole (z.B. Kopftuch) ist zu unterlassen.“ Als Alternative könne eine Mütze getragen werden. Mittlerweile wurde das Kopftuchverbot auch auf die zwei vorgeschalteten Trainingstage, die in der Klinik absolviert werden, ausgedehnt. Anhang 36 Physiotherapeutin Eine seit vier Jahren in einer Praxis angestellte Physiotherapeutin hat sich entschlossen ein Kopftuch zu tragen. Ihr Arbeitgeber, der einen syrisch-kurdischen Migrationshintergrund hat, kündigt sie einen Tag, nachdem sie zum ersten Mal mit Kopftuch erschien, fristgerecht. Er möchte, dass sie den noch ausstehenden Urlaub nimmt, damit sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in der Praxis erscheint. Sein Hauptargument ist die Befürchtung, dass das Image der Praxis leidet, weil vermutet werden könne, dass er als Betreiber sich religiös radikalisiert habe, weil er eine Frau mit Kopftuch beschäftigt. Die Erosion des Rechtsempfindens Wir haben nach den politischen Diskussionen um die Kopftuchverbote erfahren müssen, dass sich die Schlagworte, insbesondere vom „negativen Symbolgehalt des Kopftuches“ in den Argumentationen maßgeblicher gesellschaftlicher Akteure wiederfinden und deren Handeln bestimmen. Das verfestigt die Barrieren für Kopftuch tragende Frauen in jeglicher Hinsicht. Die folgenden Beispiele sollen das illustrieren. Bundesagentur für Arbeit Immer wieder berichten Frauen mit Kopftuch darüber, dass ihnen von Sachbearbeitern der Bundesagentur für Arbeit mehr oder weniger deutlich geraten wurde, das Kopftuch abzulegen, um bei der Stellensuche erfolgreich zu sein. Die Sachbearbeiter/innen argumentieren, lediglich der Wirklichkeit Rechnung zu tragen; gleichzeitig wird deutlich, dass potenzielle Arbeitgeber nicht damit rechnen müssen, auch nur darauf hingewiesen zu werden, dass sie gegen das AGG verstoßen, wenn sie eine Bewerberin nur wegen ihres Kopftuches ablehnen. In einem von der Deutschlandstiftung Integration 2012 herausgegebenen Bewerbungsratgeber wurde muslimischen Frauen – u.a. unter Berufung auf den Migrationsbeauftragten der Bundesagentur für Arbeit, Hasan Altun, – ebenfalls geraten, das Kopftuch abzunehmen, wenn sie auf Arbeits- oder Praktikumsplatzsuche sind. Für viele Arbeitgeber sei das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung, sie trauten den Frauen keine eigenen Entscheidungen zu, sähen sie unter der Fuchtel der Familie und fürchteten, dass Mädchen zwangsverheiratet würden und ihre Ausbildung nicht beendeten. Wohlfahrtsverbände Seit Jahren beobachten wir, dass Wohlfahrtsverbände muslimische Frauen mit Kopftuch meist lediglich befristet und/oder auf Minijob-Basis innerhalb von Projekten, deren Zielgruppe Migrant/inn/en sind, einstellen. Die Musliminnen dienen als „Türöffner“ zu diesen Gruppen, eine Festanstellung resultiert daraus in der Regel nicht. Besonders aufgefallen war uns ein mehrteiliges Berufsfindungsprojekt der AWO-Südhessen für junge Migrantinnen – „Mit Kopftuch und Köpfchen in den Arbeitsmarkt“. In einem Zeitungsbericht über das Projekt hieß es seitens der beiden zuständigen Sozialarbeiterinnen, es werde den Teilnehmerinnen nahegelegt, zu überlegen, ob sie zur Erleichterung des Berufseinstieges das Kopftuch ablegen könnten, während potenzielle Arbeitgeber darum gebeten wurden, Kopftuchträgerinnen doch nicht gleich pauschal abzulehnen. Zudem solle das Symbol Kopftuch selbst auf den Prüfstand gestellt werden und die „[...] Teilnehmerinnen [sollten] überlegen, ob sie bereit sind, für den Beruf das Kopftuch zeitweise abzulegen.“ Das stellt die geltende Rechtslage völlig auf den Kopf. Denn die Nichteinstellung allein aufgrund des Kopftuches ist ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Tragen des Kopftuches Anhang 37 dagegen von der grundgesetzlichen Religionsfreiheit gedeckt. D.h. in diesem Seminar erscheinen die jungen Frauen als Bittstellerinnen, die dankbar sein müssen, wenn ein Arbeitgeber bereit ist, ihre "Andersartigkeit" großmütig hinzunehmen. Die Notwendigkeit, die jungen Frauen durch Vermittlung der Rechtslage dazu zu befähigen, sich gegen Benachteiligungen zu wehren, oder sich und die eigenen Leistungen realistischer einzuschätzen, wurde schlicht nicht gesehen. Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Niedersachsen (lag) Am 13. Februar 2015 sprach sich der Vorstand der lag-Niedersachsen unter Bezug auf das Urteil von 2003 per Pressemitteilung für die Beibehaltung des Kopftuchverbots für Lehrerinnen aus. Anlass war der anstehende Staatsvertrag mit den Muslimen. Die lag argumentierte, das Auftreten von Kopftuch tragenden Lehrerinnen an der Schule verletze die staatliche Neutralität. Weiter hieß es: „In unserer modernen Gesellschaft ist das Kopftuch besonders ein patriarchales Symbol, denn nur Mädchen und Frauen sollen sich verhüllen, nicht Jungen und Männer. Dies widerspricht dem Erziehungs- und Bildungsideal unserer Gesellschaft, alle Mädchen und Jungen gleich zu behandeln und ihnen gleiche Startchancen zu ermöglichen.“ Gleichstellungsbeauftragte Kreis Herford Anlässlich des BVerfG-Beschlusses zum Kopftuchverbot gab die AG kommunaler Gleichstellungsstellen im Kreis Herford am 1. Juni 2015 eine Stellungnahme heraus, die an alle Schulleitungen des Kreises ging. Sie zielte darauf, diese hinsichtlich der Umsetzung des BVerfG-Beschlusses zu verunsichern und forderte sie indirekt auf, Kopftuch tragende Bewerberinnen entgegen der geltenden Rechtslage bei einer Bewerbung nicht einzustellen. Darin hieß es u.a.: „Die Mehrheit der hier lebenden muslimischen Frauen möchte kein Kopftuch tragen und sich auch nicht in irgendeiner Art und Weise verhüllen. Dazu gibt es auch keinen Anlass.“ Das Kopftuch bedeute, dass Frauen sich dem Willen des Mannes und seinen Bedürfnissen unterzuordnen haben und das sei mit unserem Verständnis von Gleichberechtigung nicht vereinbar. „Eine Lehrerin mit Kopftuch ist ein stummes aber sehr beredtes Zeichen dafür, dass die konservativen islamischen Normen Geltung haben. Eine Kopftuch tragende Lehrerin kann deshalb kein Vorbild und keine Hilfe für junge Mädchen und Frauen sein, die Gleichberechtigung leben wollen.“ Was ist zu tun? Die betroffenen Frauen bemerken sehr wohl, dass die Öffentlichkeit nicht müde wird, von den Menschen mit Migrationshintergrund die Einhaltung der deutschen Rechtsordnung zu fordern, während für sie selbst diese Regeln offensichtlich keine bindende Wirkung haben. Dieses Messen mit zweierlei Maß verhindert ein heimisch werden, doch gerade das ist notwendig, wenn auch kommende Generationen sich für die hiesige Rechtsordnung stark machen sollen. Es ist offensichtlich völlig aus dem Blick geraten, was eine freie Gesellschaft ausmacht. Die Information darüber und das Bewusstsein, dass wir alle Schaden nehmen werden, wenn wir diese freie Gesellschaft nicht verteidigen, müssen wir stärker in den Fokus rücken. Das geht nur durch permanentes Erinnern, vor allem im Bereich der Bildung und der Medien. Bildung in Schule und Moscheegemeinden, Mediale Sensibilität – Erinnerung daran, was eine freie Gesellschaft ausmacht. Das Grundgesetz unterscheidet zwischen religiöser Gesinnung und verfassungsfeindlicher Bestrebung, daher: Entscheidend sind gesetzeskonforme Handlungen – die Gedanken sind frei. Anhang 38 Förderung des Bewusstseins, dass freie Gesellschaften sich in Diktaturen verwandeln können und solche Prozesse mit der Vorenthaltung von Rechten bei Mitgliedern kleiner Gruppen anfangen. Im Folgenden dokumentieren wir die vollständigen verschriftlichten Manuskripttexte der Inputbeiträge, die von Workshopteilnehmenden gehalten wurden. Für diejenigen Beiträge, die uns nicht verschriftlicht vorliegen, sei auf die jeweilige Zusammenfassung des gesprochenen Wortes im Dokumentationsteil zum Workshop 1 und 2 verwiesen. Dr. Sabine Berghahn, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 1, dort komplett abgedruckt Dr. Sebastian Müller, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 1 Zeynep Cetin, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 1 Vera Egenberger, Arbeitsgruppe 1: Die Rolle konfessioneller Arbeitgeber Konfessionell gebundene Wohlfahrtverbände (Caritas und Diakonie) stellen in der Bundesrepublik den zweitgrößten Arbeitgeber dar. Sie stellen in manchen Teilen der sozialen Dienste (Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Schulen, Alten- und Pflegeheime, Sozialberatung, etc.) ein weitgehendes Monopol dar. Diese Dienste werden je nach Bereich zu großen Teilen oder vollständig über Steuermittel finanziert. Die Dienste stehen in der Regel allen Teilen der Bevölkerung offen. In der Europäischen Richtlinie 2000/78/EG wird das Recht auf Gleichbehandlung formuliert, welches auch für religiöse Gemeinschaften und speziell für den Beschäftigungssektor gilt. Durch Art. 4 (2) erhalten die Kirchen und andere öffentliche wie private Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, die Möglichkeit „einer Ungleichbehandlung aus religiösen oder glaubensbedingten Gründen. Es findet daher keine Diskriminierung statt, wenn die Religion oder die Weltanschauung einer Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt […]“. Anhang 39 Im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wird in § 9, der sich spezifisch auf das Selbstbestimmungsrecht der christlichen Kirchen bezieht, auch eine Ausnahmeregelung für konfessionelle Arbeitgeber vorgenommen. Bei der Wahl der Angestellten liegt dann keine Form der Diskriminierung vor, wenn „eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung in Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. Diese Ausnahmeregelung wird in Deutschland in der Praxis zumeist auf alle Stellen bei konfessionell gebundenen Arbeitgebern ausgeweitet. Bei der Caritas bildet die katholische Kirchenmitgliedschaft eine Einstellungsvoraussetzung. Bei der Diakonie ist es die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche, auch wenn die zu besetzende Stelle nicht im verkündungsnahen Bereich angesiedelt ist. Hiervon sind Konfessionslose sowie Menschen, die einer anderen Religion als der christlichen angehören, betroffen. Im Besonderen sind dies muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen. Bislang hat es in dieser Fallkonstellation jedoch nur eine einzige Klage im Rahmen des AGG gegeben. Das Bundesarbeitsgericht (Az. 5 AZR 611/12) hatte in 2014 geurteilt, dass ein konfessionelles Krankenhaus einer muslimischen Krankenschwester das Tragen eines Kopftuches verbieten darf. Eine am 31.05.2016 veröffentlichte Einschätzung der EuGH-Generalanwältin Kokott bezüglich eines vergleichbaren Falles in Belgien, geht in eine vergleichbare Richtung. http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2016-05/cp160054de.pdf In einem weiteren Berliner Streitfall wollte eine diakonische Einrichtung die Stelle eines wissenschaftlichen Referenten besetzen und bevorzugte laut Stellenausschreibung Christen. Dieser sollte einen unabhängigen Bericht zu der Umsetzung der Antirassismus-Konvention der Vereinten Nationen in Deutschland erstellen. Eine konfessionslose Sozialpädagogin bewarb sich erfolglos und klagte gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Nach gegensätzlichen Urteilen vom Arbeitsgericht Berlin und LAG Berlin-Brandenburg wird der Fall nun beim BAG verhandelt. Dies setzte das Verfahren aus und beschloss, dem EuGH einige Fragen vorzulegen, die das Verhältnis des Diskriminierungsschutzes und der kirchlichen Selbstbestimmung betreffen (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.03.2016, 8 AZR 501/14 (A). Konkret soll der Gerichtshof folgende Fragen des BAG beantworten: „1. Ist Art.4 Abs.2 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber, wie der Beklagte im vorliegenden Verfahren, bzw. die Kirche für ihn - verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts seines/ihres Ethos darstellt? 2. Sofern die erste Frage verneint wird: Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts wie hier § 9 Abs.1 Alt.1 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, in einem Rechtsstreit wie hier unangewendet bleiben? 3. Sofern die erste Frage verneint wird, zudem: Welche Anforderungen sind an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art.4 Abs.2 der Richtlinie 2000/78/EG zu stellen?“ Die Antwort auf diese Vorabanfrage an den EuGH aus 2016 bezüglich des § 9 AGG und der Richtlinien konformen Umsetzung der Ausnahmeregelung für konfessionelle Verbände muss abgewartet werden, Anhang 40 um einschätzen zu können, wie sich die Situation für muslimische Frauen entwickelt, die ein Kopftuch tragen. Nesreen Hajjaj, siehe Zusammenfassung zu Arbeitsgruppe 2 Dunya Adigüzel, Arbeitsgruppe 2: Maßnahmen und Gute Praxis gegen Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch Mit Blick auf das gesellschaftliche Bild einer Frau mit Kopftuch aus den Medien und auch aktuellen Studien zeigt sich, dass dieses durch Vorurteile und Diskriminierung geprägt ist. Wenn wir darüber nachdenken, was eine gute Praxis sein kann, um die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt langfristig zu beenden, dann reichen gesetzliche Regelungen wie das AGG nicht aus. Dieses hat nur dazu geführt, dass Arbeitgeber nun ihre Haltung nicht mehr offen äußern, geändert hat sich daran aber nichts. Wenn Kunden sich weigern, von einer Dame mit Kopftuch bedient zu werden, dann sind kleine Unternehmen gefährdet. Dies alles spricht für einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Das Bild einer Frau mit Kopftuch muss nachhaltig geändert werden. Letztendlich ist es ein Zeichen ihrer Religiosität und nicht ihrer beruflichen Qualifikation. Deshalb wäre eine erste Maßnahme Kampagnen für eine Normalisierung im Umgang. Hier sind öffentliche Abbildungen von Frauen mit Kopftuch auf der Homepage der Uni Gummersbach zu nennen, wo sie als Studentin dargestellt sind oder der Zeitung „Familie“, wo sie als Mutter mit Kind auf der Titelseite abgebildet ist. In den Medien sollte sensibel mit der klischeehaften Darstellung von Frauen mit Kopftuch aufgehört werden. Dafür braucht es Aufklärung und Sensibilisierung. Damit einher gehen Maßnahmen des Empowerments für Frauen mit Kopftuch. Oftmals schlagen sie bewusst Berufsfelder ein, die unproblematisch sind, wenn man sie mit Kopftuch verrichten möchte. Und im Diskriminierungsfall kommt es selten zur Anzeige, weil inzwischen eine starke Resignation eingetreten und ein mangelndes Vertrauen in das Rechtssystem vorhanden ist. Hier braucht es einer stärkeren Aufklärung über die eigenen Rechte und Handlungsmöglichkeiten. In den Internationalen Wochen gegen Rassismus wurden durch Veranstaltungen in Moscheegemeinden der IGMG junge Mädchen darüber aufgeklärt, wie die Rechtssituation ist und gleichzeitig dazu motiviert, dass zu lernen oder zu studieren, was das eigene Interesse trifft. Diese Empowerment-Ansätze müssen aber noch breiter durchgeführt werden. Die Rolle der staatlichen Neutralität muss hierbei auch dahingehend diskutiert werden, dass sie keine Sanktion oder Verurteilung von religiöser Symbolik darstellt, die auf den privaten Arbeitsmarkt übertragbar wäre. Der Staat hat hier eine Vorbildfunktion, die negativ für Frauen mit Kopftuch ausgelegt wird. Eine Studie der Uni Witten-Herdecke belegt, dass Arbeitgeber den Ausschluss von Frauen mit Kopftuch nicht als Diskriminierung ansehen. Hier fehlt ein Schuldbewusstsein, weil die Diskriminierung kaum gesellschaftliche Sanktionierung erfährt. Dies muss durch gezielte Kampagnen, Schulungen und andere Sensibilisierungsmaßnahmen geändert werden. Anhang 41 Eine gute Praxis kommt aus England, wo religiöse und kulturelle Vielfalt schon lange Normalität ist. Hier haben Unternehmen für Frauen mit Kopftuch entsprechende Outfits entwickelt, die zur Firmenkleidung passen. So zum Beispiel auch die Polizei. Letztendlich sieht man daran, dass eine Lösung mit Kopftuch möglich ist, wenn man denn bereit ist, danach zu suchen. Romin Khan, Arbeitsgruppe 2: Die Perspektive von ver.di auf die Rolle von Gewerkschaften und Betriebsräten Das gewerkschaftliche Engagement von ver.di gründet sich auf Solidarität und Respekt gegenüber allen Menschen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, Alter und Hautfarbe – mit dem Ziel, gemeinsam für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen aller zu kämpfen. Eine aktive Politik der Nichtdiskriminierung und Gleichstellung in den Betrieben und Verwaltungen, aber auch darüber hinaus ein breites gewerkschaftliches Engagement für mehr gesellschaftliche und politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten gehören für ver.di untrennbar zusammen, sie sind Bausteine für eine diskriminierungsfreie Arbeitswelt und eine solidarische Gesellschaft. Viele Studien zeigen einen deutlichen Handlungsbedarf, der betrieblichen Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen mit Migrationshintergrund entschiedener entgegenzutreten. Deshalb setzen wir uns für anonymisierte Bewerbungsverfahren und die Interkulturelle Öffnung der Verwaltung ein. Der öffentliche Dienst muss als Vorreiter einer inklusiven Ausbildungspolitik gezielt seinen Anteil an Auszubildenden mit Migrationshintergrund signifikant steigern. Ein wichtiges Thema für ver.di als Gewerkschaft in der überwiegend Frauen organisiert sind, ist die Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern. Meiner Einschätzung nach, sollte sich ver.di darüber hinaus noch stärker mit spezifischen Diskriminierungsstrukturen auseinandersetzen. ver.di hat sich gemeinsam mit dem DGB erfolgreich für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingesetzt, das 2006 in Kraft getreten ist. Es bedeutet einen großen Schritt nach vorn, auch wenn noch immer zu wenige Unternehmen eine diskriminierungsfreie Wertschätzung aller Beschäftigten anstreben. Dennoch ist das AGG für Gewerkschaften noch kein großes Thema, hier ist weiterhin eine Auseinandersetzung nötig. Das AGG weist noch Leerstellen auf: Zum einen im Hinblick auf ein echtes Verbandsklagerecht. Zum anderen in Bezug auf die Rechte der Personalräte und die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten und Beschäftigte im kirchlichen Bereich bzw. bei Einrichtungen religiöser Träger. Das AGG weist den betrieblichen Interessenvertretungen und den Gewerkschaften eine besondere Verantwortung bei der Durchsetzung des Diskriminierungsschutzes zu. In unseren Seminaren und Schulungen von Betriebsräten weisen wir auf die vielfältigen Anknüpfungspunkte des Betriebsverfassungsgesetzes hin, gegen Diskriminierung aufgrund der Religion vorzugehen. Ansatzpunkte gegen Diskriminierung bieten sich hierbei in folgenden Punkten, die allerdings nicht in konfessionellen Betrieben gelten: Anhang 42 §75 BetrVG: Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen: Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass Benachteiligung unterbleibt und die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet wird §80 BetrVG: Allgemeine Aufgaben des Betriebsrats: Hierzu zählen die Integration „ausländischer Beschäftigter“, sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus §92 BetrVG: Personalplanung §95 Richtlinien für Einstellung §96-98 BetrVG: Berufliche Bildung: Hier bietet sich viel Potenzial für die Sensibilisierung der betrieblichen Akteure zum Antidiskriminierungsrecht. Eine weitere Möglichkeit ist die Unterstützung von Arbeitnehmerinnen mit Kopftuch im Streitfall über den gewerkschaftlichen Rechtsschutz. Voraussetzung ist, dass die Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied ist. Vorbehaltlich der Freiwilligkeit dieser Mitgliederleistung und der Prüfung der Erfolgsaussichten findet dann eine Unterstützung statt. Oftmals sind diese Streitfälle aber auf einen Vergleich ausgerichtet, statt Grundsatzurteile herbeizuführen. Zur Stärkung der Beschäftigten und zur besseren Verankerung der Antidiskriminierungsrechte sollten exemplarische Fälle besser gerichtlich erstritten werden. Dr. Petra Rostock, Arbeitsgruppe 2: Eine wohlfahrtsverbandliche Perspektive aus Sicht der AWO Seit der Gründung des Verbandes 1919 ist die nicht-religiöse Bindung der Arbeiterwohlfahrt zentral für die Werteorientierung des Verbandes. Die AWO ist offen für alle, die sich mit den Werten der AWO von Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit und Toleranz identifizieren. Zu den Grundwerten der AWO gehören u.a.: die Achtung des religiösen Bekenntnisses und der weltanschaulichen Überzeugung des/der Einzelnen; den Rat- und Hilfesuchenden ohne Rücksicht auf deren politische, ethnische, nationale und konfessionelle Zugehörigkeit beizustehen. Umgekehrt darf die Religion oder Weltanschauung der Beschäftigten und Mitglieder der AWO die Ausübung der beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit und die Gleichbehandlung aller Klient/inn/en der AWO nicht beeinträchtigen. Die AWO versteht sich selbstverständlich auch für Menschen islamischen Glaubens als ein Ort der Fürsorge. Darüber hinaus bestehen vor Ort vielfältige Kooperationen mit islamischen Vereinen oder Initiativen. Ein wichtiger Schritt in Richtung eines diskriminierungsfreien Zugangs zu AWO-Diensten war der Beschluss der Bundeskonferenz vom Oktober 2000 zur interkulturellen Öffnung der AWO. Schon in ihrem Grundsatzprogramm von 1988 hatte die AWO interkulturelle Arbeit als wichtigen Beitrag zur Gestaltung des Einwanderungsprozesses definiert. Auf der Bundeskonferenz 2000 wurde ein weitergehender Auftrag beschlossen: Alle AWO-Gliederungen wurden aufgefordert, bestehende und neue Dienste und Einrichtungen interkulturell zu öffnen, indem darauf geachtet wird, dass konzeptionell, organisatorisch und personell den Bedürfnissen von Migrant/inn/en in den Einrichtungen und Anhang 43 Maßnahmen entsprochen wird und Migrant/inn/en ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend in den Angeboten repräsentiert sind. Aus diesem Beschluss ergibt sich als kontinuierliches Handlungsfeld, die Angebote und Dienstleistungen unter dem Aspekt der interkulturellen Offenheit zu betrachten. Es gilt, Barrieren zu erkennen und abzubauen sowie selbstkritisch zu prüfen, inwieweit die AWO selbst Zugänge verbaut. Dies kann unbewusst oder aus Unaufmerksamkeit geschehen. Migrant/inn/en sollten nicht nur als Klient/inn/en und Kund/inn/en wahrgenommen werden, sondern auch als potenzielle Mitarbeiter/innen, Ehrenamtliche oder Mitglieder. Sie sind als gleichberechtigte Partner/innen auf Augenhöhe an der Gestaltung und Überprüfung von Angeboten im haupt- und ehrenamtlichen Bereich zu beteiligen. So finden sich beispielsweise in den schriftlichen Konzeptionen der AWO-Kindertagesstätten regelmäßig Aussagen zur interkulturellen Orientierung in der pädagogischen Gestaltung der Kita (grundlegende AWO-Qualitäts-Management-Norm). Bisher existieren keine Maßnahmen des AWO Bundesverbandes e.V., die sich speziell an Kopftuch tragende Frauen richten, auch ist derzeit keine Kollegin mit Kopftuch beim Bundesverband beschäftigt. Für die einzelnen AWO-Gliederungen ist leider keine Aussage zu Maßnahmen, die sich an Kopftuch tragende Kolleginnen richten möglich, es gibt jedoch Kopftuch tragende Mitarbeiterinnen innerhalb der AWO, was sich unter anderem an zwei der nachfolgenden Beispiele guter Praxis zeigt: Eines der fünf Plakatmotive , das für die AWO Aktionswoche 2016 „Echtes Engagement. Echte Vielfalt. Echt AWO.“ Werbung macht, zeigt eine Mitarbeiterin der AWO Arbeit & Qualifizierung gemeinnützige GmbH Solingen, die Kopftuch trägt: http://www.echt-awo.org/wpcontent/themes/awo/shop/plakate/Motiv2016_5.jpg Die Plakatkampagne möchte die vielfältige Realität der AWO abbilden. Auf den Plakaten sind ausschließlich Menschen zu sehen, die sich tatsächlich bei der AWO engagieren oder bei der AWO beschäftigt sind. Alle Gliederungen der AWO waren aufgerufen worden, Mitarbeitende aus allen Bereichen einzuladen, sich als „Model“ für die Plakatkampagne zu bewerben. Auch der AWO Landesverband Bayern e.V. wirbt auf seiner Webseite unter anderem mit einer Kopftuch tragenden jungen Frau für die Ausbildung zur Pflegefachkraft: http://www.awobayern.de/ Aufgrund wiederholter Anfragen an den Bundesverband zu den Themen Vielfalt und Diskriminierung befindet sich derzeit (Stand Juni 2016) ein „Leitfaden des AWO Bundesverbandes zu Vielfalt und der Umsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in AWO Einrichtungen“ im internen Abstimmungsprozess. Der Leitfaden setzt die Regelungen des AGG in Bezug zu den Leitsätzen und dem Leitbild der AWO und erläutert unter anderem am Beispiel des Kopftuches von Arbeitnehmerinnen, welche Pflichten sich aus dem AGG für die AWO als Dienstleisterin und Arbeitgeberin ergeben. Ziel ist es, die Veröffentlichung des Leitfadens zu flankieren mit einer verbandsinternen Verständigung über eine nicht-diskriminierende bzw. diskriminierungssensible Organisationskultur. Auch im Rahmen der Debatten um ein neues Grundsatzprogramm der AWO wird darüber diskutiert, was die AWO Werte von Neutralität und Toleranz heute konkret heißen (können). Anhang 44 Andreas Merx, Arbeitsgruppe 2: Betriebliche Maßnahmen der interkulturellen Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung zum Abbau von Diskriminierung von Kopftuch tragenden Frauen Menschen mit arabischem oder türkischem Hintergrund sowie insbesondere Frauen mit Kopftuch sind die mit am meisten benachteiligte Gruppe auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eine mögliche präventive Maßnahme, um Vorbehalte und Diskriminierungen zu reduzieren: Durchführung anonymisierter Bewerbungsverfahren Zentrale Ergebnisse eines Pilotprojekts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Projekte/anonymisierte_bewerbu ngen/das_pilotprojekt/anonymisierte_bewerbungen_node.html Einbindung von proaktiven, positiven und Diversity-Maßnahmen in breitere und bekanntere Ansätze Anonymisierte Verfahren sind nur freiwillig und nicht verpflichtend und erreichen wohl eher nur Unternehmen, die ehedem schon offen für solche Ansätze sind. In der Praxis gibt es bisher eher wenige spezifische Maßnahmen nur in Bezug auf Muslime. Längerfristig ist vor allem ein grundlegendes Problembewusstsein, Einstellungswandel und Wandel der Organisationskulturen in Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen notwendig. Um mehr Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen zu erreichen und vor allem diejenigen, die bisher eher noch Vorbehalte haben, empfiehlt die FS IKA die Einbindung von Gegen- bzw. proaktiven Maßnahmen in breitere und bekanntere Ansätze wie Interkulturelle Öffnung und Diversity Management. Auch die Positiven Maßnahmen nach § 5 AGG wären ein geeigneter breiterer Ansatzpunkt. Vorteil dieser Einbindung in breitere Ansätze ist vor allem ein damit verbundener grundlegender Perspektivwechsel und keine isolierten Maßnahmen nur in Bezug auf Muslima. Diese stärken den Blick auf Mehrfachzugehörigkeiten und Mehrfachdiskriminierungen, denn es geht dann nicht nur um das Kopftuch, sondern die Vielfältigkeit des jeweiligen Menschen in seiner ganzen Individualität. DiversityAnsätze stehen für einen Übergang von defizit- zu kompetenz- und potenzialorientierten Ansätzen, z.B. Betonung von migrantenspezifischen Potenzialen. Die Entwicklung muss weg von einseitigen Integrationsaufforderungen und herkömmlicher Minderheit-Mehrheit-Dichotomie im Kontext der Debatten um Islam, Einwanderung, Flucht und Asyl hin zu einem Verständnis von Vielfalt und Inklusion: Strukturen und Haltungen der Mehrheitsgesellschaft müssen sich ändern, um die vorhandene Vielfalt gestalten und nutzen zu können. Proaktive, positive und Diversity-Maßnahmen auf verschiedenen Organisationsebenen Um einen tatsächlichen Wandel der Einstellungen und Organisationskulturen zu erreichen, können und sollten Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen zu einem Bündel an Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig motiviert werden. Es ist dabei wichtig, vor allem positive Anreize zu setzen und mit guten Praxisbeispielen zu arbeiten, das ist motivierend und greift Unsicherheiten in einer positiven Wendung auf! Für Organisationskultur/-entwicklung, z.B. Anhang 45 - Diversity-Check zur Überprüfung aller Personalprozesse und Organisationsstrukturen auf Barrieren oder Potenziale für Vielfalt Verhaltensregeln gegen Diskriminierung, Diversity-Commitment Betriebsvereinbarungen zur Förderung von Gleichbehandlung und Vielfalt Niedrigschwellige und flexible Maßnahmen wie ein Diversity-Kalender, Speisenangebote kennzeichnen, Raum der Ruhe für Gebete und Abschalten betriebliches Diversity-Monitoring Aufbau einer internen Potenzialdatenbank, die sprachliche, interkulturelle, interreligiöse oder landeskundliche Potenziale der Mitarbeiter/innen erfasst Einrichtung der betrieblichen Beschwerdestellen nach § 13 AGG und Angebot eines niedrigschwelligen Beschwerdeverfahrens. Personalgewinnung, neben anonymisierten Verfahren: Culture-Fair-Check zu Personalauswahlverfahren Interkulturell angepasste Kompetenzfeststellungsverfahren Gezielt Bewerber-Pool erweitern Infotage an Schulen oder in Moscheen durchführen oder Kooperation mit lokalen Migrantenorganisationen oder muslimischen Gemeinden und Moscheevereinen Interessant vor allem für kleinere Organisationen/KMUs: Beteiligung an Anwerbungsund Informationskampagnen und dann bei gleicher und geeigneter Qualifikation gezielte Einstellung Kampagnen von Kammern, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften erreichen vor allem KMU besser, da sie z.T. näher an den Unternehmen dran sind Empowerment-Maßnahmen wie Kurzpraktika, Schnuppertage oder ausbildungs- oder berufsvorbereitende Angebote Mentoringprogramme Zielquoten, z.B. Stadt Mannheim oder Stadt Hamburg und andere. Personalentwicklung: Diversity, interkulturelle oder interreligiöse Trainings und Workshops für Führungskräfte, Personalverantwortliche und Mitarbeiter/innen zur Sensibilisierung und Kompetenzentwicklung Antidiskriminierungs-, Interkulturelle- oder Diversity-Kompetenz als wichtiges Kriterium für beruflichen Aufstieg: dann wird das für „Mehrheitsangehörige“ interessanter: positive Anreize setzen! Begleitung und Unterstützung durch politische und gesellschafts- und wirtschaftspolitische Ebene Da auch die in „Proaktive, positive und Diversity-Maßnahmen auf verschiedenen Organisationsebenen“ genannten Maßnahmen wohl vor allem Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen erreichen und aufgegriffen werden dürften, die ehedem schon offen für Veränderungen sind, die Diskriminierungsrisiken in dem Bereich aber insbesondere in den tieferliegenden Einstellungen, Vorbehalten, Vorurteilen und z.T. auch schlicht in der Unkenntnis und mangelnden Erfahrung von Menschen und Akteuren liegt, braucht es einen weiteren Aufbruch und Unterstützung durch politisch Verantwortliche und zentrale gesellschafts- und wirtschaftspolitische Akteure. Hierzu eine Auswahl an möglichen und wünschenswerten Maßnahmen: Breite zielgerichtete Debatten, Kampagnen und Angebote der Bundesregierung, z.B. auf Basis der im Koalitionsvertrag 2013 angekündigten Ausbildungs-Allianz zur Aufklärung, Sensibilisierung und dem Kampf gegen Islamophobie, Rassismus und Diskriminierungen. Dabei sollten auch die Handlungsmöglichkeiten für Betroffene nach dem AGG nochmal bewusst gemacht werden, aber auch die Vorteile durch Einwanderung und Integration stärker Anhang 46 betont und die Religionsfreiheit als Grundwert und Grundrecht unserer Gesellschaft verdeutlicht werden Mehr Kampagnen und passgenaue Angebote der Kammern, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die vor allem auch die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Vorteile von Vielfalt breiter bekannt machen und vor allem die vielen schon vorhandenen guten Praxisbeispiele aus der Unternehmenswelt als motivierende Vorbilder zum Nachmachen stärker streuen Bundesregierung und Sozialpartner: Entwicklung eines (Diversity)Audits für diskriminierungsfreie Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen. Die Unternehmensinitiative Charta der Vielfalt ist nur freiwillig und wenig diskriminierungssensibel, hat aber viel zu einem größeren Bewusstsein und der Bekanntheit von Diversity-Ansätzen in Deutschland beigetragen. Die Bundesregierung und die Sozialpartner sollten selbst weitergehende Qualitätskriterien für ein Diversity Management entwickeln, das Diskriminierungen stärker in den Blick nimmt und längerfristig zu einem Mehr an tatsächlicher Gleichstellung für alle von Benachteiligungen und Diskriminierungen betroffenen Menschen führt Mehr gezielte Informationen über Möglichkeiten des deutschen Arbeitsmarkts für muslimische Gemeinden z.B. über Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst. Diese sind oft noch unbekannt bzw. die bestehenden Informationen erreichen diese Zielgruppe nicht genügend Generell muss die Bildungs- und Ausbildungssituation von Muslima verbessert werden. Es sind auch viele sozialstrukturelle Faktoren für die schlechten Arbeitsmarkpositionen ursächlich, nicht nur das Kopftuch Diversity oder interkulturelle Kompetenz als Grundlage in gesamten Bildungssystem von Anfang an verankern. Nur so kann ein längerfristiger gesellschaftlicher Wandel in den Einstellungen erreicht werden Auf Landesebene: keine staatlichen Kopftuchverbote, diese dienen der Privatwirtschaft als Vorwand. Entsprechende Prüfung und Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Es braucht ergänzend zum AGG eigene Länderantidiskriminierungsgesetze und eine flächendeckende Antidiskriminierungsstruktur und -kultur in den Ländern und Kommunen Hinsichtlich der Bundestagswahlen: Erweiterung und Verbesserung des AGG: Stichworte: längere Klagefristen, wirksame/abschreckende Sanktionen, Erleichterung der Beweislastführung für Betroffene, echtes Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände, Abschaffung der Kirchenklausel nach § 9 AGG, Stärkung des Mandats der ADS (eigenes Klagerecht, deutlich mehr Ressourcen), und vor allem gesetzliche Verpflichtung zu positiven Maßnahmen bzw. Diversity Mainstreaming zumindest des öffentlichen Sektors wie in Schweden oder UK: Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes! Vor dem Hintergrund von breiter gesellschaftlicher Verunsicherung, gezielter Angstmacherei, grassierendem Rechtspopulismus und Rassismus sowie schlicht der Orientierungslosigkeit vieler Menschen in unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund massiver Veränderungen durch Globalisierung, Internationalisierung, EU-Krise, Einwanderung, Flucht und Asyl: Breite gesellschaftliche Diskussion über die Frage, wo wollen wir gemeinsam hin, was ist „Ein neues Wir“? (Prof. Dr. Naika Foroutan). Oder: Durchführung einer Staatsziel-Kampagne und das Leitbild „Einheit in der Vielfalt“ ins Grundgesetz aufnehmen. Anhang 47 Stellungnahmen zu den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH vom 31.05.2016 Einen Tag nach dem Fachgespräch hat die Generalanwältin am EuGH, Juliane Kokott, ihre Schlussanträge zur Rechtssache C-157/15, Samira Achbita (und Centrum voor gelijkheid van kansen en voor racismebestrijding) ./. G4S Secure Solutions NV vorgelegt. Das Vorabentscheidungsersuchen vor dem Europäischen Gerichtshof betrifft eine Klage aus Belgien zum Thema Kopftuch am Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft. Zwei am Fachgespräch beteiligte Teilnehmende haben daraufhin Stellungnahmen erarbeitet. Da in den Schlussanträgen wichtige Problemstellungen aus dem Fachgespräch aufgegriffen werden, drucken wir die darauf Bezug nehmenden Stellungnahmen vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V. und von Dr. Sabine Berghahn hier ab. Stellungnahme des Aktionsbündnis‘ muslimischer Frauen in Deutschland e.V. zu den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH, Juliane Kokott, vom 31.05.2016 – Kurzfassung Im März 2016 wurden vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zwei Klagen zum Thema Kopftuch am Arbeitsplatz innerhalb der Privatwirtschaft diskutiert. Im Fall der belgischen Klägerin ging es darum, ob eine vom Arbeitgeber erlassene Regelung, die neutral formuliert ist, eine Diskriminierung der Klägerin, die ein Kopftuch trägt, darstellt. Die fragliche Betriebsregel lautet: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeden Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“ 1 Am 31. Mai 2016 legte die Generalanwältin des EuGH, Juliane Kokott, ihre Schlussanträge zu dem Rechtsstreit vor. Die Medienresonanz war zwar groß, aber in weiten Teilen sachlich unzutreffend. Der folgende Text referiert den Abwägungsprozess der Generalanwältin und macht kritische Anmerkungen dazu. Die Generalanwältin sieht in der Betriebsregelung keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion, da sie das Tragen aller Zeichen verbiete und nicht nur das Tragen eines Kopftuchs. In der weiteren Prüfung stellt sie eine mittelbare Diskriminierung fest. Diese kann dann gerechtfertigt sein, wenn es sich bei der Anforderung, die der/die Arbeitnehmer_in erfüllen muss, um eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ handelt, sie „angemessen“ ist, ein „rechtmäßiges Ziel“ verfolgt und das gewählte Mittel (die Betriebsregelung) „geeignet“ ist, um dieses Ziel zu erreichen. 2 Die Generalanwältin sieht im Hinblick auf die strittige Betriebsregelung alle Rechtfertigungskriterien erfüllt, allerdings stützt sich ihre Verhältnismäßigkeitsprüfung weitgehend nicht auf rechtliche Quellen, sondern stellt ihre persönliche Meinung dar, die von denen der Verfahrensbeteiligten abweicht. Das räumt sie offen ein: alle Verfahrensbeteiligten sind „[...] sich zutiefst uneinig, ob ein Verbot wie das hier streitige ein legitimes Ziel verfolgt, [...] und ob es einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält.“ 3 Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 31. Mai 2016, Rechtssache C-157/15, Samira Achbita und Centrum voor gelijkheid van kansen en voor racismebestrijding gegen G4S Secure Solutions NV, Rn. 17. 2 Art. 4 der Richtlinie 2000/78 „Berufliche Anforderungen“ Abs. 1. 3 Schlussanträge, Rn. 63. 1 Anhang 48 Zu dem Ergebnis, dass die mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt sei, kommt die Generalanwältin, indem sie die unternehmerische Freiheit, sich ein Unternehmensziel auf die Fahnen zu schreiben, zu einem Grundrecht erklärt, das auf der gleichen Stufe steht wie die Religionsfreiheit. Dieses Unternehmensziel ist prinzipiell beliebig; im vorliegenden Streitfall lautet es: „Neutralität“. Dieses „rechtmäßige Ziel“ meint der Arbeitgeber nur dann erreichen zu können, wenn er alle religiösen oder weltanschaulichen Zeichen in seinem Unternehmen verbietet. Das Nichttragen solcher Zeichen wird damit aus Sicht der Generalanwältin zu einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“, die aus ihrer Sicht ein „geeignetes Mittel“ ist, um das Ziel zu erreichen. Doch ist das Mittel (Verbot) auch angemessen? Aus Sicht der Generalanwältin ist das mit „Ja“ zu beantworten, denn sie sieht die Religionsfreiheit der Betroffenen nur im Hinblick auf einen Aspekt der Religionsausübung (Tragen eines Kopftuches) eingeschränkt. Alternativen, wie die Einbindung eines Kopftuches in eine Uniform erwähnt sie zwar, verwirft sie jedoch direkt wieder, da dies den Arbeitgeber wieder vom selbstgewählten Pfad der Neutralität abbringen würde. 4 Diese Gefahr sieht sie jedoch nicht gegeben, wenn religiöse Zeichen eine gewisse Größe nicht überschreiten. Zudem sieht sie ein Kopftuchverbot nicht per se als ein Hindernis beim Zugang zum Arbeitsmarkt und nennt die Klägerin dazu als Beispiel. Sie habe eine Stelle gefunden, die sie erst dann verloren habe, als sie ein Kopftuch tragen wollte. 5 Die Schlussanträge der Generalanwältin sind in mehreren Punkten kritikwürdig. Die Generalanwältin zeigt durch die von ihr gewählte Beschreibung einer religiösen Bekleidung als Mittel, „eine bestimmte, religiöse Überzeugung aktiv zum Ausdruck bringen zu wollen“ 6, dass sie keine Unterscheidung trifft zwischen maßgeblich unterschiedlichen Motiven, die „Bekundungen“ zugrunde liegen können. Sie stellt lediglich darauf ab, dass der/die Betreffende sich dadurch als Anhänger einer bestimmten Religion kenntlich machen möchte. Die strittige Betriebsregelung führt zu einer unmittelbaren Benachteiligung von Personen, die einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bekleidungsgebot Folge leisten wollen. Das konterkariert die EU-Richtlinie 2000/78, die zum Ziel hat, Religion und Weltanschauung besonders zu schützen. Tatsächlich werden Bekleidungen, die aus modischen Motiven gewählt werden und diese zum Ausdruck bringen, im Vergleich zu Bekleidungen, die religiös oder weltanschaulich motiviert sind, privilegiert, denn ersteres Verhalten ist erlaubt, während letzteres verboten wird. Es ist problematisch, dass die Generalanwältin ein beliebig wählbares Unternehmensziel – im vorliegenden Fall das der religiösen und weltanschaulichen Neutralität – als legitimes Ziel deklariert, hinter dem Grundrechte, die durch die Union besonders geschützt sein sollen, zurückstehen müssen. Die Generalanwältin misst die Fähigkeit einer Person, der Neutralitätspolitik des Arbeitgebers zu genügen, lediglich an der Sichtbarkeit der Religionszugehörigkeit und nicht an deren gesamtem Verhalten; dies ist unverhältnismäßig. Die Generalanwältin ordnet das Tragen einer religiös motivierten Bekleidung als „Brauch“ ein, dem man auch in seiner Freizeit Genüge tun kann 7, dem entsprechend schließt sie, das entsprechende Kleidungsstück könne einfach an der Garderobe abgegeben werden. Dies ist eine völlige Fehleinschätzung der Wirkung, die das erzwungene Ablegen eines religiös motivierten, als verbindlich empfundenen Kleidungsstücks (Kopftuch, Kippa, Turban) auf den/die Träger_in hat. Die Argumentation der Generalanwältin wird völlig inkonsistent, wenn sie das Tragen eines religiösen Zeichens als Schmuckstück, dessen Tragen nicht als religiös verpflichtend empfunden Ebenda, Rn. 107. Ebenda, Rn. 124. 6 Ebenda, Rn. 53. 7 Ebenda, Rn. 110. 4 5 Anhang 49 wird und das entsprechend leicht an der Garderobe abgegeben werden könnte, als zulässig und nicht dem Unternehmensziel der Neutralität zuwiderlaufend definiert. Die Behauptung der Generalanwältin, Kopftuchverbote behinderten die Integration muslimischer Frauen in den Arbeitsmarkt nicht, wird durch die Beratungspraxis der Antidiskriminierungsstellen täglich widerlegt. Ihr Hinweis darauf, dass die Klägerin trotz Kopftuchverbot in den Arbeitsmarkt integriert gewesen sei und ihren Arbeitsplatz erst verloren habe, als sie das Kopftuch tragen wollte, entbehrt nicht einer gewissen Brisanz. Das bedeutet aus Sicht Betroffener nichts anderes, als dass sie ihre Kündigung selbst verschulden, wenn sie die gesetzlich garantierte Religionsfreiheit, die auch das Tragen religiös motivierter Kleidung umfasst, wahrnehmen wollen. Das aus dem Mund einer Generalanwältin des EuGH zu hören, ist nichts, was üblicherweise zu erwarten ist. Die rechtliche Situation in Deutschland garantiert eine größere Religionsfreiheit als das in anderen EULändern der Fall ist. Betriebsregeln, wie die im vorliegenden Fall diskutierten, haben pauschalierenden Charakter und wären aus unserer Sicht in Deutschland selbst dann unzulässig, falls der EuGH den Schlussanträgen der Generalanwältin folgen sollte. Wir hoffen allerdings, dass dies nicht der Fall sein wird. Eine detaillierte Darstellung der Schlussanträge der Generalanwältin und entsprechender Kritik findet sich unter: http://www.muslimische-frauen.de/wp-content/uploads/2016/06/Endfassung-Kommentar-zu-denSchlussanträgen-der-Generalanwä-ltin-EuGH-zum-Kopftuch-in-der-Privatwirtschaft.pdf Wesseling, den 10. Juni 2016 Aktionsbündnis muslimischer Frauen e. V. E-Mail: info @muslimische-frauen.de www.muslimische-frauen.de/ Stellungnahme zu den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH vom 31.05.2016, Dr. Sabine Berghahn – Rechtsanwältin und Politikwissenschaftlerin Zur Rechtssache C-157/15, Samira Achbita (und Centrum voor gelijkheid van kansen en voor racismebestrijding) ./. G4S Secure Solutions NV, vorgelegt vom Belgischen Kassationshof Sollte der Gerichtshof den Empfehlungen der Generalanwältin, Juliane Kokott, folgen, stünde dies nach meiner Auffassung im Widerspruch zum Geist der Antidiskriminierungsrichtlinien und zur bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Das Verfahren der Vorabanfrage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) betrifft den Fall der Muslima Samira Achbita, die als Rezeptionistin bei der Firma G4S Secure Solutions NV – zunächst ohne, dann jedoch mit Kopftuch – arbeitete und sich weigerte, ihr Kopftuch am Arbeitsplatz abzunehmen, woraufhin sie entlassen wurde. Darüber hinaus geht es um die Zulässigkeit einer generellen betrieblichen Regelung, die es den Beschäftigten des Unternehmens – im Interesse eines möglichst neutralen Erscheinungsbildes – verbietet, am Arbeitsplatz sichtbar religiöse, philosophische (bzw. weltanschauliche) oder politische Zeichen oder Kleidungsstücke am Körper zu tragen. Anhang 50 Die Argumentationslinie der Generalanwältin Die Generalanwältin prüft in ihrem schriftlichen Statement die Frage nach der Zulässigkeit der betrieblichen Verbotsregelung im konkreten Fall, einschließlich der Zulässigkeit der Entlassung von Frau Achbita. Maßstab der rechtlichen Prüfung ist das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie (RL) 2000/78/EG, die für den Bereich von Beschäftigung und Beruf sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung untersagt (vgl. Art. 1 und 2 RL). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es sich hier nicht um eine unmittelbare Diskriminierung handele, da allen Beschäftigten gleichermaßen verboten wird, ihre religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion liege daher nicht vor. Das Verbot stelle allenfalls eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion dar. Diese könne aber durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden, da die betriebliche „Neutralitätspolitik“ in Gestalt des streitigen Verbots ein legitimes Ziel verfolge, weil ein neutrales Erscheinungsbild der Beschäftigten eine berufliche Anforderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der RL darstellen könne. Die Rechtfertigung, dass es sich um eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ handeln muss, hält die Generalanwältin zwar im Zusammenhang mit Religion für eine hohe Hürde, die sie aber als „keineswegs unüberwindbar“ bezeichnet. Im konkreten Fall der Rezeptionistin der Sicherheitsfirma G4S, die eine explizit religiös, philosophisch und politisch neutrale Unternehmenspolitik betreibe, betrachtet sie diese Hürde als überwunden (Rn. 78-84). Kein Kopftuch zu tragen soll demnach eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein können, wenn ein Unternehmer aus eigenem Recht (vgl. Art. 16 Grundrechte-Charta, GR-Ch) ein neutrales Erscheinungsbild seiner Beschäftigten durchsetzen will. Sodann prüft die Generalanwältin, ob die unternehmerische „Neutralitätspolitik“ samt der darauf gegründeten betrieblichen Verbotsregelung ihrerseits legitim ist, was sie zum einen davon abhängig macht, dass diese Politik nicht auf Vorurteilen gegenüber bestimmten Religionen oder Überzeugungen oder Religion überhaupt beruht. Zum anderen müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Durchsetzung der Neutralitätspolitik gewahrt sein. Die betriebliche Regelung muss demnach geeignet, erforderlich (kein milderes Mittel vorhanden) und angemessen (im engeren Sinne verhältnismäßig) sein. Zugunsten von Beschäftigten gelten ebenfalls Unionsgrundrechte, insbesondere Art. 10 GrundrechteCharta – die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit – , aber bei der Religionsausübung sei Beschäftigten am Arbeitsplatz Zurückhaltung zumutbar. Insbesondere könne die Ausübung religiöser Bräuche in die Freizeit verlagert werden. Mit dieser Abwägung bejaht die Generalanwältin auf den konkreten Fall bezogen auch die Verhältnismäßigkeit des Verbots (im engeren Sinne) und der Kündigung, räumt aber zum Schluss einen Differenzierungsspielraum im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Durchsetzung betrieblicher Regelungen ein. Demnach soll es „insbesondere“ darauf ankommen, wie groß und auffällig das religiöse Zeichen ist, ferner sollen die konkrete Tätigkeit der Arbeitnehmerin berücksichtigt werden sowie der hierarchische Kontext der Tätigkeit und schließlich die nationale Identität des jeweiligen Mitgliedstaates. Im Folgenden sollen Anmerkungen zu drei Aussagen der Generalanwältin vorgebracht werden: Zur Verneinung einer unmittelbaren Diskriminierung Zur Bedeutung der beruflichen Anforderung, „religiös neutrales Verhalten“ zu zeigen Zur Einzelfalldifferenzierung im Rahmen einer generellen betrieblichen Regelung Anhang 51 Zur Verneinung einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund der Religion Die Argumentationslinie der Generalanwältin beruht wesentlich auf der Verneinung einer unmittelbaren Diskriminierung; bei Annahme einer solchen wäre eine Rechtfertigung kaum denkbar, auch wenn die Generalanwältin dies für möglich hält (Rn. 27). Nach der Richtlinie ist bei unmittelbarer Diskriminierung keine Rechtfertigungsmöglichkeit vorgesehen. Ob auch unmittelbare Benachteiligungen ausnahmsweise und unter sehr begrenzten Voraussetzungen gerechtfertigt werden können, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während bei einer unmittelbaren Diskriminierung einer Person wegen einer der in Art. 1 angesprochenen Kategorien „in vergleichbarer Situation eine weniger günstige Behandlung“ (Art. 2 Abs. 2a RL 2000/78/EG) widerfährt, wird die Person im Fall einer mittelbaren Diskriminierung durch eine scheinbar neutrale Vorschrift benachteiligt, ohne dass sich dies sachlich und unter Einhaltung der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen lässt (Art. 2 Abs. 2b RL). Tatsächlich könnte man bei oberflächlicher Betrachtung hier von einer mittelbaren Diskriminierung ausgehen, weil das scheinbar neutrale Kriterium der Sichtbarkeit religiöser, philosophischer oder politischer Zeichen formal alle Betroffenen gleich behandelt, jedoch zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass es auf die Vergleichbarkeit der Situation ankommt und dass der Diskriminierungsgrund „Religion“ direkt in der betrieblichen Regelung angesprochen ist. Bei der Frage der Vergleichbarkeit der Situation müssten auch relevante Unterschiede in der religiösen Betroffenheit logisch miteinbezogen werden, hier in Form der Tatsache, dass es im Rahmen mancher Religionen Verpflichtungen für Personen gibt, Körperteile zu bedecken oder sich durch Symbole sichtbar zu bekennen. Warum verneint die Generalanwältin hier die unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion? Bei vordergründiger Betrachtung, so schreibt sie selbst, könne man eine unmittelbare Benachteiligung annehmen, weil es Frau Achbita untersagt wurde, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer religiösen Überzeugung als Muslima zu tragen. Das sei eine direkte Anknüpfung an den muslimischen Glauben (Rn. 43). Diese Zuordnung entspreche zwar auch dem weiten Verständnis des Gerichtshofs von unmittelbarer Benachteiligung aufgrund der Religion (Rn. 44). Den entscheidenden Grund, die unmittelbare Diskriminierung dennoch zu verneinen, sieht Kokott jedoch darin, dass es in den anderen Fällen, für die der EuGH die direkte Benachteiligung bejaht hat, „stets um unabänderliche Körpermerkmale oder persönliche Eigenschaften von Menschen“ wie Geschlecht oder sexuelle Ausrichtung, „nicht um Verhaltensweisen“ ging (R. 45). Dieser Umstand ist jedoch leicht erklärbar, denn der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) war bislang – im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) – tatsächlich nicht mit Kopftuchfällen und auch nicht mit anderen Fällen sichtbarer religiöser Kleidungsstücke oder Zeichen konfrontiert. Das bedeutet aber auch, dass die Differenzierung, welche die Generalanwältin hier vornimmt und auf deren Grundlage sie die unmittelbare Benachteiligung ablehnt, keine Rechtfertigung aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ziehen kann. Es ist vielmehr eine von der Generalanwältin ad hoc eingeführte Unterscheidung, die wenig überzeugend ist, da die in Art. 1 der RL angeführten „verpönten“ Merkmale zwar in der Tat unterschiedlich in ihrer benachteiligenden Wirkungsweise sind, aber dennoch nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Unabänderliche Körpermerkmale werden diskriminierungsrechtlich nicht mehr geschützt als einstellungs- und verhaltensbezogene Unterscheidungsgründe (vgl. Art. 19 AEUV und die Richtlinien). Die streitige betriebliche Regelung richtet sich zwar nicht gegen den muslimischen Glauben oder irgendeinen anderen Glauben als solchen, jedoch soll kein religiöses, weltanschauliches oder politisches Bekenntnis äußerlich sichtbar gemacht werden dürfen. Dass sich ein Teil der Musliminnen aufgrund bestimmter geistlicher Lehrmeinungen, die wiederum auf der Interpretation von Koranversen beruhen, verpflichtet fühlt, Haar, Hals und Nacken zu bedecken, was üblicherweise durch Tragen eines Kopftuchs (Hijab) ausgeführt wird, führt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit dazu, dass die Befolgung dieser religiösen Obliegenheit zu einer sichtbaren Kleidungs- und Persönlichkeitseigenschaft wird, wenn die Anhang 52 Frau sich in der öffentlichen Sphäre bewegt. Hier lässt sich durchaus eine Analogie zur Unabänderlichkeit von Körpermerkmalen diagnostizieren, denn die subjektiv gefühlte Verpflichtung, ein Kopftuch zu tragen, führt in aller Regel auch zu einer konstanten Befolgung dieser Obliegenheit. Natürlich kann ein Kopftuch abgesetzt werden, ebenso wie eine jüdische Kippa oder ein Sikh-Turban, jedoch würde die Person, sofern sie unter dem Druck eines betrieblichen Verbots handelt, gezwungen gegen ihre religiöse Überzeugung die für sie verbindliche Obliegenheit zu verletzen. Insofern wird sie gerade nicht gleichbehandelt, sondern erfährt eine „weniger günstige Behandlung“. Genau davor soll die Person durch die Richtlinie und die Gesetze der Mitgliedstaaten geschützt werden. Die Integritätsverletzung durch ein Verbot sichtbarer religiöser Zeichen steht auf einer Ebene mit dem unzulässigen Eingriff in die Gewissensfreiheit. Nicht zufällig sind die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit geschützter Gegenstand ein und desselben europäischen Grundrechts (vgl. Art. 10 GRCh sowie Art. 9 EMRK); auch im deutschen Grundgesetz sind die Freiheit des Glaubens, Gewissens und Bekenntnisses entsprechend zusammengefasst (Art. 4 GG). Niemand soll Benachteiligungen wegen unabänderlicher äußerer Körpermerkmale oder persönlicher Eigenschaften hinnehmen müssen, aber auch nicht wegen legitimer innerlicher Überzeugungen, zu denen übrigens rein politische nicht zwangsläufig gehören. 8 Religion ist überall in der Union als geschützte, d.h. verbotene Diskriminierungskategorie anerkannt und gesetzlich verankert, zumal die historischen Erkenntnisse aufgrund der verheerenden Religionskriege im Europa der frühen Neuzeit und in anderen Teilen der Welt zu Toleranz und zur Anerkennung von Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mahnen. Auch im Erwerbsleben sind religiöse Obliegenheiten daher relevant, allerdings muss zwischen den gegenläufigen Rechten und Interessen abgewogen werden (s.u.). Festzuhalten ist, dass die Unterscheidung zwischen unabänderlichen Körpermerkmalen und einer inneren Überzeugung aufgrund von Glaubensvorstellungen für die Frage, ob eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, nicht tauglich ist, weil die identitäre und auf die Menschenwürde bezogene Funktion dieselbe sein kann. Auch wenn die Generalanwältin das Kopftuchtragen als „Brauch“ bezeichnet und damit suggeriert, es sei verzichtbar, geht dies am normativen Kern der Problematik vorbei, da eine Arbeitnehmerin wohl kaum wegen eines verzichtbaren Brauchs, einer Gewohnheit, einer bloßen Marotte, ihren Arbeitsplatz und damit ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage aufs Spiel setzt. Das „islamische Kopftuch“ und die damit im Zusammenhang stehende Diskriminierung sind ein typisches Beispiel für eine mehrdimensionale und intersektionale Diskriminierung von muslimischen Frauen, die Elemente von unmittelbarer Benachteiligung aufgrund der Religion und mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, u.U. auch Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft vereint. Auch diesem gesellschaftlichen Benachteiligungszusammenhang wird die Generalanwältin in ihrer Stellungnahme nicht gerecht (vgl. Rn. 114-116). Weitere Begründungen der Generalanwältin, warum es sich beim Verbot des Tragens sichtbarer Zeichen einer Religion oder Weltanschauung nicht um eine unmittelbare Diskriminierung handeln soll, überzeugen ebenfalls nicht. Zwar wird in der betrieblichen Regelung nicht an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion angeknüpft, sondern an die Symbolisierung eines Bekenntnisses. Damit trifft es nicht alle Musliminnen, aber doch einen Teil, und diese Personen werden in direkter Anknüpfung an ihr religiöses Bekenntnis benachteiligt. Dass auch Angehörige anderer Religionen oder Weltanschauungen oder Vertreter/innen politischer Auffassungen in analoger Weise sanktioniert werden können, wenn sie 8 Einzelne Mitgliedstaaten der EU haben in ihren Antidiskriminierungsgesetzen zum Teil auch politische Auffassungen unter Diskriminierungsschutz gestellt, ebenso wie sie – je nach Sprachfassung – das weltliche Pendant zu Religion, im Deutschen: „Weltanschauung“, sprachlich-semantisch variiert definiert haben, EUKommission 2006: Religion und Weltanschauung in der Beschäftigung – das EU-Recht. (Autorin: Lucy Vickers, hrsg. von der Generaldirektion Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Ref. G.2), S. 29/30. Anhang 53 ihre Überzeugungen durch Zeichen sichtbar machen, ändert nichts am unmittelbar benachteiligenden Charakter des Verbots. Zur Bedeutung der beruflichen Anforderung, „religiös neutrales Verhalten“ zu zeigen Hier kommen wir zum zweiten wesentlichen Standbein der Argumentation der Generalanwältin, zur „Neutralitätspolitik“ von Unternehmen. Juliane Kokott prüft die Frage, ob ein betriebliches Verbot sichtbarer Zeichen für eine religiöse, philosophische oder politische Überzeugung ein legitimes Ziel und seine Umsetzung verhältnismäßig ist, indem sie überprüft, ob der Verzicht auf sichtbare religiöse Zeichen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der RL 2000/78/EG ist. Als Anforderung identifiziert sie „religiöse, philosophische und politische Neutralität“ bzw. konkret „religiös neutrales Verhalten“. Dem Unternehmen bzw. dem Unternehmer stehe es zu, die Identität, die coporate identity des Unternehmens zu definieren, die in einer Politik der Vielfalt bestehen kann, aber ebenso in einer strikten Neutralitätspolitik (Rn. 76). Gerade in laizitären Staaten wie Frankreich liege derartiges auch für privatwirtschaftliche Firmen nahe, für ein Unternehmen der Sicherheitsbranche hält die Generalanwältin dies für besonders evident (Rn. 93). Eine solche Unternehmensidentität zu erreichen muss ein legitimes Ziel sein, das normativ unionskonform ist, keine menschenverachtende Ideologie transportiert und auch nicht schlicht die Wünsche und Vorlieben der Kunden umsetzt, jedenfalls nicht blindlings und unreflektiert (Rn. 90), anderen falls würde es der Leitentscheidung im Fall Feryn vom 10.07.2008 widersprechen (C-54/07). Ein Kopftuchverbot erfülle diese Anforderungen, es sei Ausdruck einer selbst auferlegten Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität (Rn. 93). In dieser Argumentation setzt die Generalanwältin das Tragen eines „islamischen Kopftuchs“ implizit mit religiös nicht neutralem Verhalten gleich. Denn wie eine Kopftuch tragende Frau in beruflicher Position ansonsten agiert, scheint nicht von Belang zu sein. Ein solcher Begriff von Verhalten ist jedoch nicht plausibel. Eine Muslima kann ein Kopftuch tragen und trotzdem mit Reden und Handeln ein korrekt religiös, weltanschaulich und politisch neutrales Verhalten praktizieren. Der verkürzte Begriff von Neutralität – als Nicht-Sichtbarkeit eines religiösen Bekenntnisses – ist problematisch, denn Neutralität drückt sich im Verhalten aus, und zwar im gesamten Verhalten, wobei ein getragenes Kleidungsstück oder Zeichen wie das Kopftuch nur einen Teil des Verhaltens darstellt, der keineswegs den Gesamtcharakter des Verhaltens der Person bestimmt. 9 Das Unternehmen und die Kund/inn/en können Höflichkeit, Gleichbehandlung, zuvorkommendes Eingehen auf ihre sachlich gerechtfertigten Wünsche und Verzicht auf irgendwelche religiösen, weltanschaulichen oder politischen Äußerungen oder Beeinflussungsversuche erwarten. Das Tragen eines Kopftuchs steht dem nicht von vornherein entgegen. Es gehört zu den beruflichen Anforderungen an eine Beschäftigte mit Kopftuch, durch entsprechende Selbstdarstellung, also Reden und Handeln, etwaige Erwartungen, dass sie als Muslima mit Kopftuch Christen, Juden, Nicht-Gläubige als Kund/inn/en oder Kolleg/inn/en benachteiligen oder Muslime bevorzugen würde, zu widerlegen. Gelingt es trotz korrektem Verhalten der Muslima im Einzelfall nicht, hartnäckige Vorurteile des Gegenübers in der kommunikativen Interaktion aufzubrechen, so wird man dies aber wohl als Problem des Gegenübers und nicht der 9 Anders ist die Frage bei der Burka oder dem Niqab zu beantworten, weil bei diesen Verhüllungen, die das Gesicht bedecken, die „unverstellte Kommunikation“ von Angesicht zu Angesicht behindert wird. Beim Kopftuch ist dies jedoch nicht der Fall, die Ausübung der beruflichen Tätigkeit wird durch das Kopftuch grundsätzlich nicht behindert. Anhang 54 Muslima ansehen. In diesem Sinne lässt sich auch die Feryn-Entscheidung des EuGH von 2008 in ihrer Übertragung auf die Kopftuchproblematik interpretieren. 10 Hinter den EU-Diskriminierungsverboten steht der Gedanke, dass eine Muslima mit Kopftuch – wie auch ein Sikh mit Turban oder ein Jude mit Kippa – das Recht haben muss, gleichberechtigt und ohne Diskriminierung im Erwerbsleben sich zum eigenen Glauben bekennen zu können, solange dies nicht den beruflichen Anforderungen oder den Rechten der Kunden, Kollegen und des Unternehmens zuwiderläuft. Bei korrektem Verhalten einschließlich Reden und Handeln dürfte die Abwägung im Normalfall zugunsten der Kopftuchträgerin ausfallen, da eine konkrete Beeinträchtigung oder Gefahr für die Rechte oder Integrität der anderen Personen oder für Unternehmensinteressen nicht ersichtlich ist. Dasselbe mag auch für Personen am Arbeitsplatz gelten, die – wie etwa die Christin mit goldenem oder silbernem Kreuz an der Halskette – ihren Glauben sichtbar macht, ohne dass sie sich durch eine religiöse Regel dazu verpflichtet fühlen müsste. 11 Die Glaubens- bzw. Bekenntnisausübung dürfte im Allgemeinen – bei ansonsten korrektem „neutralen“ Verhalten (durch Reden und Handeln) – in der Abwägung ein normatives Übergewicht haben, da Art. 19 AEUV (früher Art. 13 EGV) und die im Jahre 2000 geschaffenen Antidiskriminierungsrichtlinien (2000/43/EG, 2000/78/EG) eben gerade die Diskriminierung in Anknüpfung an die geschützten Kategorien (u.a. Verbot sichtbarer religiöser Zeichen) untersagen. Es wäre ein Selbstwiderspruch des Unionsrechts, wenn eine (generelle) betriebliche Regelung mit dem Verbot sichtbarer religiöser Zeichen als legitime Ausnahme vom Diskriminierungsverbot zugelassen würde. Das gilt übrigens auch, wenn man – wie die Generalanwältin – das Verbot im vorliegenden Fall als mittelbare Diskriminierung wegen der Religion ansieht. Das unternehmerische Recht, religiös, weltanschaulich und politisch „neutrales Verhalten“ von den Beschäftigten zu verlangen, bleibt unberührt, da – wie erwähnt – durch Reden und Handeln jene Neutralität ausgedrückt werden kann. Es wäre ein gegen Muslime gerichtetes Vorurteil zu unterstellen, dass Musliminnen mit Kopftuch sich nicht „religiös neutral“ verhalten könnten. Ein Unternehmen hat zur Ausprägung seines Erscheinungsbildes nach außen verschiedenste Möglichkeiten, sein Profil zu gestalten, es kann die Vielfalt zum Ausgangspunkt machen, aber auch sich als religiös und weltanschaulich neutrale Firma profilieren. Dabei kann es einen Verhaltenskodex einführen. Ebenso kann das Unternehmen ein möglichst einheitliches personelles Erscheinungsbild durch eine Firmenuniform erreichen, worauf auch die Generalanwältin hinweist (Rn. 83). Jedoch ist dabei eine Diskriminierung derjenigen zu vermeiden, die ihr Bekenntnis äußerlich sichtbar machen wollen bzw. sich dazu verpflichtet sehen. Dann ist eine Variante der Uniform vorzusehen, die es u.a. gläubigen Musliminnen erlaubt, ihrer Kopfbedeckungsobliegenheit nachzukommen. Insofern sind eine Politik der Vielfalt und eine Politik der religiösen Neutralität nicht so entgegengesetzt, wie dies in den Ausführungen der Generalanwältin erscheint. Privatrechtliche Unternehmen, die keine sog. religiösen Tendenzbetriebe sind, müssen auch in laizitären Staaten, in denen von Staats wegen das Religiöse und Weltanschauliche aus dem Bereich der Öffentlichkeit und der Erwerbssphäre herausgehalten und ins Private verbannt werden, mit der Vielfalt in der Belegschaft zurechtkommen, die sie vorfinden. Vielfalt und menschliche Verschiedenheit besteht nicht nur im Religiösen und Weltanschaulichen, vielmehr drückt sie sich auch in der Verteilung der Positionen auf die Geschlechter, im Altersaufbau in der ethnischen Herkunft, in der sexuellen Ausrichtung sowie in der Inklusion von Behinderten aus. Eine allumfassende „Neutralität“ wäre gar nicht möglich; eine Ausgrenzung von Bewerbern und Bewerberinnen aus Gründen etwa der Hautfarbe oder des Geschlechts wäre evident unvereinbar mit 10 11 Das müsste in dem Parallelverfahren (Bougnaoui und ADDH, C-188/15) zum vorliegenden Achbita-Verfahren (C-157/15) berücksichtigt werden. EGMR Eweida ./. UK, Beschwerde Nr. 48420/10 u.a. Anhang 55 dem Unionsrecht. Daher ist es nicht einzusehen, warum dies bei einer Selektion nach dem Glauben grundsätzlich anders zu beurteilen wäre; die Problematik der „Kirchenklauseln“ und Tendenzbetriebe des Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG bleibt hier außer Betracht. Selbst wenn man – wie die Generalanwältin – „lediglich“ eine mittelbare Diskriminierung durch das betriebliche Verbot des Tragens sichtbarer religiöser Zeichen annimmt, bliebe es ein eklatanter Selbstwiderspruch, wenn unter dem Richtlinienrecht eine Exklusion gerechtfertigt würde, die genau die entgegengesetzte Zielrichtung hat wie das Diskriminierungsverbot der Richtlinie. Infolgedessen ist auch die Folgerung, dass das Nicht-Tragen religiöser Zeichen eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein kann, wenn in dem Unternehmen eine explizite Neutralitätspolitik gilt, nicht plausibel. Zur Einzelfalldifferenzierung im Rahmen einer generellen betrieblichen Regelung Die Generalanwältin selbst bezeichnet die Verhältnismäßigkeitsprüfung als „delikate Angelegenheit“ (Rn. 99), sie zieht Analogien zur Rechtsprechung des EGMR, der des Öfteren Kopftuchverbote im öffentlichen Dienst oder in Schulen und Hochschulen als vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 erachtet hat. Jedoch ist die Rechtsgrundlage in Form des Art. 9 EMRK eine wesentlich andere als im Fall der unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinien und der zugrunde liegenden Norm des Art. 19 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV, früher: EG-Vertrag). Ebenso unterscheidet sich der Art. 10 der EU-Grundrechte-Charta von Art. 9 EMRK. Art. 10 GR-Ch ist nicht – wie Art. 9 der EMRK – unter den weitgehenden Gesetzesvorbehalt gestellt, der es erlaubt, die Religionsfreiheit mit gesetzlichen Beschränkungen zu versehen, die „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ (Art. 9 Abs. 2 EMRK). 12 Der Absatz 1 von Art. 10 der GR-Ch und Art. 9 der EMRK unterscheidet sich allerdings kaum, insbesondere werden in beiden Normen auch Bräuche und Riten als legitime Religionsausübungsformen erwähnt. Allerdings binden Grundrechte nur die Staaten bzw. die öffentliche Gewalten, nicht unmittelbar Private untereinander. Insofern sind bei der Anwendung der Antidiskriminierungsgesetze, die zur Umsetzung der Richtlinien erlassen wurden, und bei der Interpretation der hier betroffenen Richtlinie in der Tat Abwägungen der unternehmerischen Rechte und Interessen gegen die Rechte und Interessen der Beschäftigten erforderlich. Somit ist, wie die Generalanwältin schreibt, von Beschäftigten eine gewisse Zurückhaltung in der Religionsausübung, partiell auch in der Bekenntniskundgabe zu erwarten, insbesondere wenn religiöse Handlungen, Bräuche oder Riten den betrieblichen Abläufen und Erfordernissen zuwiderlaufen. Demgemäß sind etwa Gebete auf Pausen oder in die Freizeit zu verschieben, wenn sie den Betriebsablauf stören. Die macht auch für gläubige Muslime und Musliminnen in der Praxis meist keine Probleme. Die Generalanwältin betont, dass das Kopftuch abgenommen werden kann und dass dies als Gebot der Zurückhaltung in der Religionsausübung auch Musliminnen zugemutet werden könne. Anders sei es beim Geschlecht, bei der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Ausrichtung, dem Alter und einer Behinderung, denn diese unabänderlichen Gegebenheiten könne niemand „an der Garderobe abgeben“ (Rn. 116). Dieses auf den ersten Blick einleuchtende Bild, ein Kopftuch als Kleidungsstück an der Garderobe abzugeben, stimmt dennoch nicht, weil – wie dargelegt wurde – die religiöse Überzeugung, an das Bedeckungsgebot gebunden zu sein, eben gerade nicht durch ein (generelles) betriebliches Verbot ausgehebelt werden darf. Zwar gibt es im Rahmen des Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG einen Vorbehalt für nationale Maßnahmen zugunsten von Sicherheit und Ordnung und anderen in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Struktur, jedoch reichen diese Befugnisse – auch nach der Prüfung der Generalanwältin (Rn. 136-140) – nicht aus, um Unternehmen das Recht zu geben, Diskriminierungsverbote auszuhebeln. 12 Anhang 56 Am Ende ihrer Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Verbots sichtbarer religiöser Zeichen am Arbeitsplatz erläutert die Generalanwältin, dass das Maß der Zurückhaltung, das einem Arbeitnehmer, also auch einer muslimischen Arbeitnehmerin, zugemutet werden kann, von einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände des Einzelfalls abhängig sei (Rn. 117). Anschließend führt sie aus, was auch in die Empfehlung eingegangen ist, dass es jedoch auf die Größe und Auffälligkeit der jeweiligen Zeichens ankomme. Ein kleiner Ohrring, eine Anstecknadel seien im Zweifel eher statthaft als ein Hut, ein Turban oder eben ein Kopftuch. Auch seien herausgehoben tätige Arbeitnehmer strenger zu behandeln als untergeordnet tätige Beschäftigte (Rn. 119). Dass diese Kriterien für verhältnismäßige Differenzierungen hier gegen Ende der rechtlichen Prüfung eingeführt werden, erstaunt sehr, denn es wirft die gesamte Logik des betrieblichen Verbots über den Haufen. Ein betriebliches Verbot, das alle Religionen aller Beschäftigten gleich behandeln soll und sichtbare Zeichen oder Kleidungsstücke untersagt, muss als pauschales Verbot angesehen werden und erlaubt daher keine Ausnahmen nach der Größe der Symbole oder nach der hierarchischen Stellung der Beschäftigten. Die Sichtbarkeit von Zeichen ist eine leicht feststellbare Tatsache, an die eine Rechtsfolge geknüpft wird. Unterstellt man hypothetisch die diskriminierungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen generellen betrieblichen Regelung, so wäre eine solche Differenzierung ein Einfallstor für Privilegierungen bestimmter religiöser Zeichen. Damit wäre aber auch die Zielsetzung einer unternehmerischen „Neutralitätspolitik“ unerreichbar und könnte nicht mehr zur Rechtfertigung eines (generellen) betrieblichen Verbots aller sichtbaren religiösen Zeichen verwendet werden. Auch dieser Selbstwiderspruch belegt, dass Gutachten und Empfehlung der Generalanwältin in zentralen Punkten inkonsistent sind und dem Unionsrecht widersprechen. Berlin, den 19. Juni 2016 Dr. Sabine Berghahn Rechtsanwältin und Politikwissenschaftlerin (Privatdozentin an der FU Berlin) Waldhüterpfad 29, 14169 Berlin, Tel. +49 (0)30 814 13 79, Fax . +49 (0)30 810 51 390 [email protected] Anhang Programm 57 Anhang 58 Anhang 59 Liste der Teilnehmenden Name Institution Dunya Adigüzel Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland / Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V. (IGMG) Taner Aksoy fair - Federation against Injustice and Racism e.V. Najla Al-Amin Universität Osnabrück Dr. Zekeriya Altuğ Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) Eva Maria Andrades ADNB beim TBB Berlin Dr. Delal Atmaca DaMigra Ulrike Bargon Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (agah) – Landesausländerbeirat Dr. Sabine Berghahn PD am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin Dr. Böhne Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) Gabriele Boos-Niazy Aktionsbündnis muslim. Frauen e.V. Zeynep Cetin Inssan e.V. - Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit Sabine Christen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Judith Ciganović Beauftrage der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Vera Egenberger Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) Dr. Dina El Omari Exzellenzcluster Religion und Politik Uni Münster Bernhard Franke Antidiskriminierungsstelle des Bundes Gudula Fritz Antidiskriminierungsstelle des Bundes Heike Fritzsche Antidiskriminierungsstelle des Bundes Michaela Ghazi Allgemeinbildende Schulen Reinickendorf Antje Goll Antidiskriminierungsstelle des Bundes Nesreen Hajjaj JUMA – Jung, Muslimisch, Aktiv Anhang 60 Mohamad Hajjaj Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. Maryam Haschemi Yekani Rechtsanwältin Helga Hentschel Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, AL'in Frauen Hanan Kajed JUMA – Jung, Muslimisch, Aktiv Romin Khan Verdi (Referent Migrationspolitik) Heike Lehmann DGB Bundesvorstand Andreas Merx IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung Marieluise Mühe Antidiskriminierungsstelle des Bundes Katharina Müller Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Stabstelle Flüchtlingspolitik Dr. Sebastian Müller Deutsches Institut für Menschenrechte Projekt "Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit" Anna Maria Müller BAGSO e. V. Markus Müller Journalist Dr. Petra Rostock AWO (Projektleiterin Gleichstellungsbericht) Nahed Samour Humboldt Universität zu Berlin, Juristische Fakultät Nathalie Schlenzka Antidiskriminierungsstelle des Bundes Barbara Schmidt Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) Dr. Birgit Schweikert Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Unterabteilung 4 Ann Kathrin Sost Antidiskriminierungsstelle des Bundes Sträßer Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) Malti Taneja Beauftrage der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Juliane Zacher Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes; sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Dokumentation erstellt von: Marcus Müller, Journalist Herausgeberin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes 11018 Berlin www.antidiskriminierungsstelle.de Kontakt Beratung: Tel.: 030 18555-1865 (Mo. bis Fr.: 9 – 12 Uhr und 13 – 15 Uhr) Fax: 030 18555-41865 E-Mail: [email protected] Besuchszeiten nach Vereinbarung Kontakt Zentrale: Tel.: 030 18555-1855 E-Mail: [email protected] Stand: August 2016
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