Täglicher Impuls 23.10.2015 Ich unterbreche jetzt die Impulse zum Thema „inneres Erforschen“ und werde mich dem Thema später wieder zuwenden. In den folgenden Impulsen möchte ich gerne ein anderes Thema aufgreifen: Was hat Jesus wirklich gesagt? Warum dieses Thema? Damit die biblischen Texte einen wirklichen Beitrag für eine heutige spirituelle Praxis leisten können, müssen wir sie befreien von gewohnten Wahrnehmungen. Viele Jahrhunderte Textauslegung haben die Texte heute nicht unbedingt zugänglicher gemacht. Es gibt aber Forschungsergebnisse, die längst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Es ist bedauerlich, dass dies noch viel zu wenig geschieht. Jesus war Jude und hat aramäisch gesprochen. Die Evangelien sind auch für nicht-jüdische Zeitgenossen in griechischer Sprache geschrieben, etwa 30 bis 60 Jahre nach dem Auftreten Jesu. Es ist damit zu rechnen, dass durch den zeitlichen Abstand und die Übersetzung in eine andere Sprache und Vorstellungswelt das, was Jesus tatsächlich gesagt und vertreten hat, verändert worden ist. Das hängt mit Überlieferungs- und Übersetzungsfehlern und mit der Übertragung in eine andere Kultur und Geisteswelt zusammen. Kann man feststellen, was Jesus tatsächlich gesagt hat? Die historisch-kritische Wissenschaft unterscheidet zwischen solchen Worten Jesu, die sehr wahrscheinlich auf ihn selbst zurückgehen und solchen, die mit der Übertragung seiner Botschaft in eine andere Umgebung und Kultur zusammenhängen. Es war in der Antike nicht üblich, die geistige Urheberschaft klar zu unterscheiden. Man fühlte sich einer Überlieferung oder Tradition zugehörig und schrieb sie einfach fort, wenn es die gegenwärtige Situation verlangte. Das bedeutet, dass die Überlieferung sich in einem dynamischen Prozess ständig veränderte und anpasste. Dabei sind auch von bestimmten Interessen geleitete Deutungen möglich, die sich sehr weit vom Ursprung entfernen. Für die Nachwelt ist nicht ohne weiteres erkennbar, was in welcher Zeit und aus welchen Gründen bearbeitet und verändert worden ist. Als Korrektiv für das heutige spirituelle Leben ist es wichtig, die ursprünglichen Worte Jesu von dem zu unterscheiden, was spätere Generationen damit angefangen und daraus gemacht haben. Das Ergebnis dieser historisch-kritischen Forschung wird gewohnte Wahrnehmungen verändern und erfordert die Bereitschaft, sich auf neue Perspektiven einzulassen. Nicht alle wollen das. Deshalb weicht die historische Nachfrage, die einst in der evangelischen Theologie sehr gepflegt wurde, heute eher einer biblizistischen Bibelgläubigkeit. Die folgenden Impulse enthalten einige Beispiele für den historisch-kritischen Versuch, zu rekonstruieren, was Jesus tatsächlich gesagt hat.
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