Seminar Gewöhnliche Differentialgleichungen

Seminar Gewöhnliche Differentialgleichungen
Dynamische Systeme I
1 Einleitung
1.1 Nichtlineare Systeme
In den vorigen Vorträgen haben wir uns mit linearen Differentialgleichungen beschäftigt. Nun
werden wir auch nichtlineare Differentialgleichungen betrachten. Im Differentialgleichungssystem X 0 = F (X) ist F (X) nicht mehr unbedingt linear. Bei den linearen Systemen war die
Existenz und Eindeutigkeit der Lösungen durch die Matrixexponentialfunktion gegeben, nun,
im nichtlinearen Fall, ist dies nicht länger der Fall, denn:
• es gibt Systeme mit unendlich vielen Lösungen
• es gibt Lösungen, die nicht für die ganze Zeit gelten, sondern nur auf einem beschränkten
Zeitintervall
In der Praxis ist für nichtlinearen Systeme Existenz und Eindeutigkeit der Lösungen unter
bestimmten Voraussetzungen gegeben.
1.2 Dynamische Systeme
Um über nichtlineare Systeme mehr aussagen zu können, müssen wir uns mit dynamischen
Systemen beschäftigen. Der Einfachheit halber betrachten wir dynamische Systeme über dem
Rn . Ein solches System liefert uns die Position eines Vektors X ∈ Rn nach einer Zeiteinheit,
nach zwei Zeiteinheiten, usw. Diese Positionen von X schreiben wir als X1 , X2 , usw. Zum
Anfangszeitpunkt schreiben wir X0 . Im Allgemeinen ist der Entwicklungsverlauf von X gegeben
durch Xt .
Man unterscheidet hauptsächlich unter den folgenden dynamischen Systemen:
• Diskretes dynamisches System: falls die Position von Xt nur mit ganzzahligen t
beschrieben wird
• Stetiges dynamisches System: falls die Position von Xt stetig mit t ∈ R beschrieben
wird
• Glattes dynamisches System: falls das System stetig differenzierbar von der Zeit
abhängt
1
Wir werden uns im Folgenden nur mit den glatten dynamischen Systemen beschäftigen.
Definition 1.1. Ein glattes dynamisches System über dem Rn ist eine stetig differenzierbare Funktion φ : R × Rn → Rn , mit φ(t, X) = φt (X), für die gilt:
1. φ0 : Rn → Rn ist die Identität: φ0 (X0 ) = X0 .
2. Halbgruppeneigenschaft φt ◦ φs = φt+s , für alle t, s ∈ R.
Eine stetig differenzierbare Funktion wird auch C 1 Funktion genannt.
Es gilt
d 0
X = F (X) = φt (X),
dt t=0
somit induziert jedes glatte dynamische System ein Vektorfeld F (X).
Beispiel 1.2. Gegeben ist die Differentialgleichung erster Ordnung x0 = ax, die Funktion
φt (x0 ) = x0 exp(at) ist die eindeutige Lösung der Gleichung und ist auch ein glattes dynamisches System über R, denn es gilt:
1. φ0 (x0 ) = x0 e0 = x0
2. φt ◦ φs = φt (x0 eas ) = x0 eas eat = x0 ea(s+t) = φt+s Beispiel 1.3. Sei A eine n × n Matrix. Dann ist die Funktion φt (X0 ) = exp(tA)X0 ein glattes
dynamisches System über Rn , denn es gilt:
1. φ0 (X0 ) = exp(0)X0 = IX0 = X0
2. φt+s (X) = exp((t + s)A)X = (exp(tA)exp(sA))X = φt ◦ φs (X) 2 Existenz und Eindeutigkeit
Sei
X 0 = F (X)
ein Differentialgleichungssystem mit F : Rn → Rn . Eine Lösung des Systems ist eine Funktion
X : J → Rn , mit J ⊂ R ein Intervall, sodass für alle t ∈ J, gilt:
X 0 (t) = F (X(t)).
Wie in den letzten Vorträgen betrachten wir die Abbildung F : Rn → Rn als Vektorfeld im
Rn . Ein Anfangswert oder ein Anfangszustand für eine Lösung X : J → Rn ist festgelegt
durch X(t0 ) = X0 , wobei t0 ∈ J und X0 ∈ Rn . Der Einfachheit halber ist meist t0 = 0. Das
größte Problem ist es eine allgemeine Lösung des Systems zu finden, die für alle Anfangswerte
X(0) = X0 mit X0 ∈ Rn gilt.
Manche nichtlinearen Differentialgleichungen haben jedoch für einen bestimmten Anfangswert
keine Lösung:
Beispiel 2.1. Gegeben ist eine einfache Differentialgleichung erster Ordnung
(
1
wenn x < 0
x0 =
−1 wenn x ≥ 0
Das Vektorfeld zeigt nach links wenn x ≥ 0 und nach rechts für alle x < 0. Daher gibt es
keine Lösung für den Anfangswert x0 = 0. Denn angenommen es gäbe eine solche Lösung,
2
dann müsste sie bei x0 = 0 fallen (da x0 (0) = −1), würde also für x > 0 in den negativen
x-Bereich gehen, für welchen jedoch gilt, dass die Steigung des Graphen positiv ist. Somit ist
das Vektorfeld bei x0 = 0 nicht stetig.
Allgemein gibt es keine Lösung der Gleichung, die für alle Zeiten gilt. Falls x0 > 0, dann wäre
eine Lösung x(t) = x0 − t, diese Lösung gilt jedoch nur für −∞ < t < x0 (aus dem selben
Grund wie oben). Das Problem in diesem Beispiel ist, dass das Vektorfeld nicht stetig bei 0 ist. Immer wenn ein
Vektorfeld nicht stetig ist, gibt es das Problem, dass naheliegende Vektoren in gegensätzliche
Richtungen zeigen, so dass in diesen Punkten keine Lösung definiert werden kann oder es mehr
als eine Möglichkeit gibt.
Das folgende Beispiel zeigt den Fall, dass ein nichtlineares Differentialgleichungssystem unendlich viele Lösungen für den selben Anfangswert hat.
Beispiel 2.2. Gegeben ist die Differentialgleichung
2
x0 = 3x 3 .
Die Funktion u(t) = 0 ist eine Lösung der Gleichung (also die Nullfunktion, mit Anfangswert
u0 = 0). Mit u0 = 0 wäre auch u(t) = t3 eine Lösung der Gleichung und mit τ > 0 ist
(
0
wenn t ≤ τ
uτ =
(t − τ )3 wenn t > τ
eine weitere Lösung mit dem selben Anfangswert. Es gibt also viele Lösungen dieser Differen2
tialgleichung für den selben Anfangswert. In diesem Beispiel ist F (x) = 3x 3 an der Stelle 0
nicht differenzierbar, da der Grenzwert des Differenzenquotienten an der Stelle 0 nicht existiert.
(limh→0
F (0+h)−F (0)
h−0
2
= limh→0
3h 3
h
1
= 3 limh→0 h− 3 = ∞ ) Durch diese Beispiele sieht man, dass Existenz und Eindeutigkeit der Lösung im Allgemeinen
nicht gilt, falls F an einer Stelle unstetig (Beispiel 2.1) oder falls F nicht überall differenzierbar
ist (Beispiel 2.2). Wir folgern daraus also, dass F stetig differenzierbar eine notwendige Bedingung für die lokale Existenz und Eindeutigkeit des dynamischen Systems ist. Tatsächlich zeigt
der folgende Satz, dass diese Bedingung auch hinreichend ist.
Satz 2.3 (Existenz- und Eindeutigkeitssatz). Es sei
X 0 = F (X), X(t0 ) = X0
ein Anfangswertproblem mit X0 ∈ Rn und F : Rn → Rn in C 1 . Dann existiert eine eindeutige
lokale Lösung für das Anfangswertproblem.
Anders ausgedrückt: Es existiert ein a > 0 und eine eindeutige Lösung
X : (t0 − a, t0 + a) → Rn
der Differentialgleichung X 0 = F (X) mit dem Anfangswert X(t0 ) = X0 .
Wir werden diesen Satz nicht beweisen, da er noch in Analysis II bewiesen wird. Im Beweis wird
die sogenannte Picard-Iteration genutzt, mit der man sich eine Folge von Funktionen definiert
und dann beweist, dass diese Folge gleichmäßig gegen eine Lösung der Differentialgleichung
konvergiert.
3
2.1 Picard Iteration
Mit Hilfe der Picard Iteration konstruieren wir uns eine Funktionenfolge, welche gegen die
Lösung der Differentialgleichung konvergiert. Diese Folge von Funktionen uk (t) wird induktiv
definiert mit u0 (t) = x0 (wobei x0 der Anfangswert ist):
Z
t
F (uk (s))ds.
uk+1 (t) = x0 +
0
Beispiel 2.4. Gegeben ist die Differentialgleichung x0 = x mit Anfangswert x(0) = x0 . Wie
wir bereits wissen ist die Lösung x(t) = x0 et . Wir konstruieren nun eine Folge von Funktionen
uk (t), welche gegen die richtige Lösung x(t) mit k → ∞ konvergiert.
u0 (t) = x0
So haben wir unseren Anfangswert definiert. Nun folgt
Z t
Z t
Z t
u0 (t)=x0
F (x)=x0 =x
u1 (t) = x0 +
F (u0 (s))ds. = x0 +
F (x0 )ds
=
x0 +
x0 ds = x0 + tx0
0
0
0
Mit Hilfe von u1 können wir nun u2 bestimmen
Z t
Z t
t2
u2 (t) = x0 +
F (u1 (s))ds = x0 +
(x0 + sx0 )ds = x0 + tx0 + x0
2
0
0
Es folgt weiter
u3 (t) = x0 + tx0 +
t2
t3
x0 + x0
2
3
Es folgt also allgemein
Z
uk+1 (t) = x0 +
t
F (uk (s))ds = x0
0
⇒
k+1 i
X
t
i=0
lim uk+1 (t) = x0
h→∞
∞ i
X
t
i=0
i!
i!
= x0 et
3 Stetige Abhängigkeit von Lösungen
Satz 3.1. Es sei O ⊂ Rn eine offene Menge und F : O → Rn Lipschitz-stetig 1 mit Konstante
K. Nun seien Y (t) und Z(t) Lösungen von X 0 = F (X) mit Z(t),Y (t) ⊂ O welche auf dem
Intervall [t0 , t1 ] definiert sind. Dann gilt:
∀t ∈ [t0 , t1 ] : |Y (t) − Z(t)| ≤ |Y (t0 ) − Z(t0 )|exp(K(t − t0 )).
1
F Lipschitz-stetig falls gilt: ∃K ∈ R; ∀X1 , X2 ∈ O : |F (X1 ) − F (X2 )| ≤ K|X1 − X2 |
4
Der Satz besagt also, dass Lösungen Y (t) und Z(t) mit unterschiedlichen Anfangswerten, jedoch auf dem selben Zeitintervall definiert, für alle t in der Umgebung von t0 nahe zusammen
liegen, auch wenn sie sich der Zeit auseinander bewegen. Dies geschieht aber nicht schneller als
exponentiell.
Aus diesem Satz und mit Hilfe des − δ-Kriterium ergibt sich folgendes Korollar:
Korollar 3.2 (Stetige Abhängigkeit des Anfangswerts). Es sei φ(t, X) der Fluss des Systems
X 0 = F (X), wobei F stetig differenzierbar ist. Dann ist φ eine stetige Funktion von X.
Bevor wir den Satz beweisen können, müssen wir zunächst die sogenannte Gronwall Ungleichung
beweisen:
Satz 3.3 (Gronwall Ungleichung). Es sei u : [0, α] → R≥0 eine stetige Funktion, welche für
C ≥ 0 und K ≥ 0 folgender Abschätzung genügt:
Z t
∀t ∈ [0, α] : u(t) ≤ C +
Ku(s)ds
0
Dann gilt
∀t ∈ [0, α] : u(t) ≤ CeKt .
Beweis. 1. Fall: Angenommen C > 0, dann gilt
Z t
U (t) = C +
Ku(s)ds > 0.
0
Es folgt u(t) ≤ U (t). Wenn wir nun U nach t ableiten erhalten wir
U 0 (t) = Ku(t)
U 0 (t)
Ku(t)
⇔
=
U (t)
U (t)
(3.1)
(3.2)
Durch (3.1) und u(t) ≤ U (t) gilt dann
U 0 (t)
Ku(t)
=
≤K
U (t)
U (t)
1
⇔
U 0 (t) ≤ K
U (t)
Es ergibt sich mit
1
U (t)
(3.3)
(3.4)
als äußere Ableitung und U 0 (t) als innere Ableitung
d
(ln U (t)) ≤ K
dt
(3.5)
Wenn man nun diese Ungleichung nach t integriert ergibt sich
ln U (t) ≤ ln U (0) + Kt
(3.6)
Kt ist die Stammfunktion von K, ln U (0) ist die Konstante, die bei den Stammfunktionen die
Verschiebung auf der y-Achse zeigt. Wir setzen nun C := U (0)
ln U (t) ≤ ln C + Kt
Kt
U (t) ≤ Ce
5
|e()
(3.7)
(3.8)
da u(t) ≤ U (t) gilt, folgt
u(t) ≤ CeKt .
2. Fall: Sei nun C = 0.
Zunächst konstruieren wir uns eine positive Folge (Ci )i∈N mit
limi→∞ Ci = 0.
Es folgt:
Z
ui (t) ≤ Ci +
t
Kui (s)ds
0
Wir wissen, dass die Gronwall Ungleichung für Ci > 0 gilt, daher folgt:
ui (t) ≤ Ci eKt
(3.9)
Kt
⇒ limi→∞ ui (t) ≤ limi→∞ Ci e
Kt
≤ 0e
(3.10)
=0
(3.11)
Nun wollen wir mit Hilfe der Gronwall-Ungleichung den eigentlichen Satz beweisen:
Beweis. Angenommen Y (t) und Z(t) sind Lösungen von X 0 = F (X). Definiere v(t) = |Y (t) −
Z(t)|. Es gilt:
Y 0 (t) = F (Y (t)) und Z 0 (t) = F (Z(t))
0
(3.12)
0
⇒ |Y (t) − Z (t)| = |F (Y (t)) − F (Z(t))|
(3.13)
wir integrieren nach t :
(3.14)
t
Z
|Y (t) − Z(t)| ≤
|F (Y (s)) − F (Z(s))|ds + |Y (t0 ) − Z(t0 )|
(3.15)
t0
Z
t
⇒ v(t) ≤ v(t0 ) +
|F (Y (s)) − F (Z(s))|ds
(3.16)
t0
da F Lipschitz-stetig folgt:
(3.17)
Z
t
v(t) ≤ v(t0 ) +
Kv(s)ds
(3.18)
t0
Definiere u(t) = v(t + t0 ):
Z
t+t0
u(t) = v(t + t0 ) ≤ v(t0 ) +
Kv(s)ds
v(s)=u(s−t0 )
=
Z
v(t0 ) +
t0
Ku(τ )dτ
0
Nun wenden wir die Gronwall Ungleichung an:
v(t + t0 ) ≤ v(t0 )eKt ⇒ v(t) ≤ v(t0 )eK(t−t0 )
6
t
Beispiel 3.4. Es sei k > 0. Gegeben ist das System
−1 0
0
X =
X,
0 k
für den Anfangswert X(0) = (−1, 0) ist
X(t) = (−e−t , 0)
die Lösung. Für ein beliebiges η 6= 0 sei Xη (t) die Lösung für den Anfangswert Xη (0) = (−1, η).
Dann ist
Xη (t) = (−e−t , ηekt ).
So wie im Satz erhalten wir:
|Xη (t) − X(t)| = |ηekt − 0| = |η − 0|ekt = |Xη (0) − X(0)|ekt
Die Lösungen Xη (t) bewegen sich von X(t) weg, aber höchstens exponentiell. 3.1 Stetige Abhängigkeit von Parametern
Differentialgleichungen hängen oft von Parametern ab. Wie zum Beispiel der harmonische Oszillator, der von Dämpfungskonstante und der Federkonstante abhängt. Die Frage ist nun, wie
die Lösung solcher Gleichungen von diesen Parametern abhängt. Wir wollen dazu den zuvor
bewiesenen Satz benutzen. Es sei das System X 0 = Fa (X) mit a als Parameter gegeben, wobei
das System stetig differenzierbar in a ist. Nun betrachten wir das künstlich vergrößerte System
von Differentialgleichungen:
x01 = f1 (x1 , ..., xn , a)
..
.
x0n = fn (x1 , ..., xn , a)
a0 = 0.
Dies ist ein autonomes System mit n + 1 Differentialgleichungen. So ergibt sich folgender Satz:
Satz 3.5 (Stetige Abhängigkeit von Parametern). Es sei X 0 = Fa (X) ein Differentialgleichungssystem, wobei Fa stetig differenzierbar in X und a ist. Dann hängt der Fluss des Systems
stetig von a und X ab.
4 Erweitern von Lösungen
Es seien Y (t) und Z(t) zwei Lösungen für die Differentialgleichung X 0 = F (X), wobei F
stetig differenzierbar ist. Angenommen es gilt Y (t0 ) = Z(t0 ) und beide Lösungen sind auf dem
Intervall J um t0 definiert. Sei Ut0 = (t0 − a, t0 + a) für ein a > 0, nach dem Eindeutigkeitsund Existenzsatz muss Y (t) = Z(t) für alle t ∈ Ut0 gelten. Man könnte meinen, dass Ut0 ⊂ J
gilt. Dies ist jedoch nicht der Fall:
Angenommen Ut0 ist das größtmögliche Intervall in dem Y (t) = Z(t) gilt. Wenn Ut0 6= J,
dann gibt es einen Endpunkt t1 von Ut0 und t1 ∈ J. Da Y (t) und Z(t) nach Voraussetzung
7
differenzierbar sind, sind sie auch stetig und es gilt Y (t1 ) = Z(t1 ). Nach dem Eindeutigkeitsund Existenzsatz sind Y (t) und Z(t) in einem Intervall Ut1 = (t1 − a∗ , t1 + a∗ ) für ein a∗ > 0
gleich. Dies widerspricht der Annahme, dass Ut0 das größte Intervall mit Y (t) = Z(t) ist.
Daher können wir immer annehmen, dass die Lösung auf dem maximalen Zeitdefinitionsbereich
eindeutig ist. Trotzdem gibt es keine Garantie, dass die Lösung für die gesamte Zeit definiert
ist. Dazu ein Beispiel:
Beispiel 4.1. Gegeben ist die Differentialgleichung
x0 = 1 + x2
x(t) = tan(t − c) für beliebige Konstante c sind die Lösungen für dieses System. Eine solche
Funktion kann nicht auf ein größeres Intervall erweitert werden als
c−
π
π
<t<c+
2
2
da x(t) → ±∞ wenn t → c ± π2 .
Als nächstes betrachten wir, was mit der Lösung passiert, wenn wir uns den Grenzen des
Definitionsbereichs annähern.
Satz 4.2. Es sei O ⊂ Rn offen und F : O → Rn in C 1 . Sei Y (t) eine Lösung des Systems
X 0 = F (X), welche auf dem maximalen offenen Intervall J = (α, β) ⊂ R, β < ∞ definiert ist.
Dann gibt es für jede kompakte Menge C ⊂ O ein t0 ∈ (α, β), sodass Y (t0 ) ∈
/ C.
Der Satz sagt also, wenn eine Lösung Y (t) nicht mehr auf ein größeres Zeitintervall erweitert
werden kann, dann verlässt diese Lösung jede kompakte Menge in O. Daraus folgt also, dass
mit t → β entweder Y (t) gegen die Grenzen von O geht oder eine Teilfolge |Y (ti )| → ∞ (oder
beides).
Beweis. Angenommen ∀t ∈ (α, β) : Y (t) ⊂ C. Da F stetig und C kompakt ist (auf einem
kompakten Intervall ist eine stetige Funktion beschränkt) ∃M > 0∀X ∈ C : |F (X)| ≤ M . Sei
γ ∈ (α, β). Wir behaupten, dass Y sich erweitern lässt zu der stetigen Funktion Y : [γ, β] → C.
Um dies zu zeigen reicht es zu zeigen, dass Y gleichmäßig stetig auf J = (α, β) ist.
Sei > 0 und für t0 < t1 ∈ J gilt |t1 −t0 | < δ. Wähle δ = M . Es gilt zu zeigen |Y (t1 )−Y (t0 )| ≤ :
Z
t1
|Y (t0 ) − Y (t1 )| = |
Y 0 (s)ds|
t0
da Y 0 (t) = F (Y (t)) folgt:
Z
t1
=|
F (Y (s))ds|
Z
t0
t1
|F (Y (s))|ds
≤
Y (s)∈C
t0
Z t1
=⇒ ≤
M ds
t0
= (t1 − t0 )M
≤
8
Somit ist Y gleichmäßig stetig auf J. Daher können wir Y (β) = limt→β Y (t) definieren.
Als nächstes zeigen wir, dass das erweiterte Y : [γ, β] → Rn an der Stelle β ableitbar ist und
dass Y eine Lösung der Differentialgleichung ist.
Z t
Y 0 (s)ds
Y (β) = Y (γ) + lim
t→β
Y 0 =F (Y )
=⇒
γ
Z
t→β
t
F (Y (s))ds
= Y (γ) + lim
γ
da F (Y (s)) gleichmäßig stetig, folgt:
Z
β
F (Y (s))ds
= Y (γ) +
γ
Z
t
⇒ ∀t ∈ [γ, β] : Y (t) = Y (γ) +
F (Y (s))ds
γ
Somit ist Y an der Stelle β differenzierbar und ist auch die Lösung der Differentialgleichung an
der Stelle: Y 0 (β) = F (Y (β)) und somit für alle t ∈ [γ, β]. Daher war (α, β) nicht der maximale
Definitionsbereich für die Lösung. Dadurch haben wir den Satz bewiesen.
Nach dem im Beweis genutzten Schema können wir das Intervall J solange erweitern, wie
∀t ∈ J : Y (t) ⊂ C gilt. So folgt dieses Korollar:
Korollar 4.3. Es sei C eine kompakte Teilmenge der offenen Menge O ⊂ Rn und F : O → Rn
stetig differenzierbar. Sei Y0 ∈ C und angenommen das Bild jeder Lösung der Form Y : [0, β] →
O mit Y (0) = Y0 liegt in C. Dann gibt es eine Lösung Y : [0, ∞] → O mit Y (0) = Y0 , und es
gilt:∀t ≥ 0 : Y (t) ∈ C.
Aus diesem Korollar und dem Satz davor können wir nun einen weiteren Satz formulieren. Der
Satz zeigt, dass Lösungen welche naheliegende Anfangswerte haben, auf dem selben Zeitintervall
definiert sind und für alle t nahe zusammen bleiben.
Satz 4.4. Sei F : O → Rn in C 1 . Es sei Y (t) eine Lösung für X 0 = F (X) auf dem geschlossenen Intervall [t0 , t1 ] definiert und Y (t0 ) = Y0 . Dann gibt es eine Umgebung U ⊂ Rn von Y0
und eine Konstante K, so dass es, falls Z0 ∈ U , eine eindeutige Lösung Z(t) gibt, die auch auf
[t0 , t1 ] definiert ist und Z(t0 ) = Z0 ist. Außerdem gilt
∀t ∈ [t0 , t1 ] : |Y (t) − Z(t)| ≤ |Y0 − Z0 | exp(K(t − t0 )).
Zum Beweis benötigen wir zwei Hilfslemma:
Lemma 4.5. Falls F : O → Rn , O ⊂ Rn stetig differenzierbar, dann ist F lokal Lipschitz-stetig,
d.h. es gibt um jeden Punkt eine Umgebung, sodass F dort Lipschitz-stetig ist.
Der Beweis für dieses Lemma ist analog zum Beweis des Satzes aus der Analysis II, dass stetige
Funktionen auf einer kompakten Menge gleichmäßig stetig sind.
Lemma 4.6. Falls F : O → Rn lokal Lipschitz-stetig ist und C ⊂ O eine kompakte Menge ist,
dann ist F |C Lipschitz-stetig.
9
Beweis. Angenommen F |C wäre nicht Lipschitz-stetig. Dann gilt
∀k > 0 ∃X, Y ∈ C : |F (X) − F (Y )| > k|X − Y |
⇒ ∀n ∈ N>0
∃Xn , Yn : |F (Xn ) − F (Yn )| > n|Xn − Yn |
(4.1)
(4.2)
Da C kompakt ist, wissen wir, dass es konvergente Teilfolgen mit Grenzwert in C gibt, wir
nennen diese nun Xni und Yni , wobei Xni → X und Yni → Y und X, Y ∈ C. Es muss X = Y
gelten, da für alle n gilt:
4.2
1
1
|F (Xni ) − F (Yni )| ≤ limi→∞ 2M = 0
i→∞ ni
ni
|X − Y | = lim |Xni − Yni | ≤ lim
i→∞
wobei M das Maximum von F (X) mit X ∈ C ist (existiert nach Satz vom Maximum, C
kompakt und F stetig). Da F lokal Lipschitz-stetig ist gibt es eine Umgebung O0 von X
auf der F |O0 Lipschitz-stetig mit der Konstanten K ist. Außerdem existiert ein ni0 , sodass
Yni , Xni ∈ O0 für alle ni ≥ ni0 .
4.2
∀ni ≥ ni0 : |F (Xni )−F (Yni )| ≤ K|Xni −Yni | ⇒ ni |Xni −Yni | < |F (Xni )−F (Yni )| ≤ K|Xni −Yni |
Widerspruch.
Nun können wir den Satz beweisen.
Beweis. Da [t0 , t1 ] kompakt, existiert ein > 0, sodass X ∈ O, falls |X − Y (t)| ≤ für ein
t ∈ [t0 , t1 ]. Die Menge aller solcher Punkte ist eine kompakte Menge C ⊂ O (da dies alle Punkte
in einer geschlossenen Kugel mit Mittelpunkt Y (t) für ein t mit Radius sind, diese Menge
ist auch beschränkt, da eine beschränkte Teilmenge in einem metrischen Raum in einer Kugel
enthalten ist). Da F nach Voraussetzung stetig differenzierbar ist, folgt mit Lemma 4.5, dass F
lokal Lipschitz-stetig ist. Nach Lemma 4.6 folgt, dass F |C Lipschitz-stetig mit der Konstanten
K ist.
Wähle δ > 0, so dass δ ≤ und δeK|t1 −t0 | ≤ .
Behauptung: Wenn |Z0 − Y0 | < δ, dann gibt es eine eindeutige Lösung durch Z0 für alle
t ∈ [t0 , t1 ] definiert.
Da |Z0 − Y (t0 )| < folgt Z0 ∈ O. Nach dem Existenzsatz gibt es dann eine Lösung Z(t) mit
Z(t0 ) = Z0 welche auf dem maximalen Intervall [t0 , β) definiert ist.
Für den Fall β ≤ t1 folgt, mit Satz 3.1 : ∀t ∈ [t0 , β] :
|Z(t) − Y (t)| ≤ |Z0 − Y0 |eK|t−t0 |
≤ δeK|t−t0 |
≤
Daher gilt Z(t) ⊂ C. Nach Korollar 4.3 kann [t0 , β) nicht der maximale Definitionsbereich
sein. Daher folgt, dass β > t1 sein muss. Die Eindeutigkeit von Z(t) folgt direkt nach dem
Eindeutigkeitsatz. Somit wurde der Satz bewiesen.
10