Zugriff auf das Geld anderer Leute

FAZ vom 25.11.2015
Zugriff auf das Geld anderer Leute
Es droht ein neues Prinzip in der Währungsunion: Die EU-Kommission will
die Sozialisierung von Verlusten durchsetzen - und schleift damit den
grundlegenden Pfeiler der Marktwirtschaft.
© ZB
Schuldenländer wollen mit Hilfe der EU-Kommission die gut gefüllte
Einlagensicherung der deutschen Banken vergemeinschaften.
Wer als Sparer auf dem Konto seiner Euro-Bank für das Alter vorsorgt, muss
sich fragen, ob er mit der Ersparnis seines Arbeitslebens nicht zu sorglos
umgeht. Unternehmen, die große Beträge zur Zahlung von Gehältern,
Rechnungen oder als Liquiditätspolster bei ihrer Euro-Bank liegen haben,
müssen sich fragen, ob sie das damit verbundene Risiko einer plötzlichen
Zahlungsunfähigkeit eingehen wollen. Denn das Geld bei einer Bank in der
Währungsunion ist künftig nicht mehr sicher. Im Gegenteil: Es ist riskant,
mehr als 100.000 Euro auf dem Konto zu haben. Denn Brüssel hat eine
„Haftungskaskade“ ins Werk gesetzt, die es in sich hat.
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Bricht künftig eine Bank zusammen, sollen die Verluste zunächst durch den
Puffer Eigenkapital, Anleihen und Einlagen, die über 100.000 Euro liegen,
getragen werden. Man mag an dem Versprechen zweifeln, dass künftig der
Steuerzahler nicht mehr für die Rettung einer Euro-Bank bezahlen soll,
wenn man derzeit nach Griechenland blickt. Dort werden die hohen Einlagen
von griechischen Reedern und anderen Großanlegern geschützt. Anders als
in Zypern werden in Griechenland keine Einlagen über 100.000 Euro zur
„Bankenrettung“ herangezogen.
Weil Athen die Gesetze hierfür erst für das kommende Jahr beschlossen hat,
wird schnell noch vor dem Jahreswechsel der Euro-Steuerzahler für marode
hellenische Banken in Haftung genommen.
Ins schiefe Bild passt, dass die Europäische Zentralbank in ihrer Rolle als
Notenbank griechische Wackelbanken in Staatsbesitz entgegen den eigenen
Regeln mit Notfallliquidität als Dauergeldspritze am Leben erhält und sich
zugleich in ihrer Funktion als Bankenaufseherin weigert, selbst kleine
griechische Banken mit einem negativen Eigenkapital zu schließen. So hält
die EZB „Zombiebanken“ am Leben und treibt die Japanisierung der
Eurozone voran.
Noch heftigere Attacke auf die deutschen Spareinlagen
Als Musterschüler hat Deutschland natürlich die Vorgaben aus Brüssel
längst in nationales Recht umgesetzt. Das weithin unbekannte „Sanierungsund
Abwicklungsgesetz“
sieht
vor,
dass
zur
Bankenrettung
„berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“ herangezogen werden können.
Ausgenommen sind Einlagen bis zur EU-Garantie von 100.000 Euro und
Wertpapiere, die nicht zum Bankvermögen gehören. Was darunter fällt,
entscheidet im Zweifel die „Anstalt für Finanzmarktstabilisierung“, die im
Fall der Fälle weite Teile der bisherigen deutschen Rechtsordnung außer
Kraft setzen kann. Wer mehr als den garantierten Betrag auf seinem Konto
liegen hat, dem droht im Abwicklungsfall der Verlust seiner Einlagen. Man
malt sich besser nicht aus, was der Zugriff der Anstalt auf den größten Teil
der Firmengelder für die deutsche Industrie und die Familienunternehmen
bedeuten würde.
Während sich also südeuropäische Länder Zeit lassen, kommt aus Brüssel
die nächste, noch heftigere Attacke auf die deutschen Spareinlagen. Da die
Schuldenländer nicht für ihre eigenen Wackelbanken einspringen und auch
nicht allein für vom Euro-Rettungsfonds geborgte Mittel haften möchten,
wollen sie mit Hilfe der EU-Kommission die gut gefüllte Einlagensicherung
der deutschen Banken vergemeinschaften.
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Schließlich schlummern auf hiesigen Konten 3,4 Billionen Euro, die von
deutschen Banken und Sparkassen gut abgesichert sind, während etwa im
italienischen Sicherungstopf gähnende Leere herrscht. Brüssel will also nach
einer Übergangszeit, dass deutsche Sparer auch für griechische oder
italienische Banken haften.
Ebenso durchtrieben wie die Idee ist die Begründung von
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Finanzkrise sei von
„Menschen ausgelöst worden, die die Kardinaltugenden der Sozialen
Marktwirtschaft nicht beachtet haben“. Junckers Vorwurf der „Gier nach
immer mehr Geld“ zielte mit populistischem Unterton auf die Boni-Banker
in den Investmentbanken, als er im Werben um die Zustimmung Berlins
eine Euro-Einlagensicherung ohne Volksbanken und Sparkassen vorschlug.
Sein Vorschlag ist längst vom Tisch, aber es bleibt dabei, dass der
Steuerzahler die Spitzeninstitute der Sparkassen in der Krise mit rund 100
Milliarden Euro Kapitalspritzen und Garantien retten musste.
Neues Prinzip der Währungsunion
Alarmierend ist Junckers grundlegendes Missverständnis von Sozialer
Marktwirtschaft. Ob mit oder ohne besseres Wissen schleift die EUKommission den Pfeiler der Marktwirtschaft: die Eigenverantwortung. All ihr
Trachten zielt nur noch auf noch mehr Umverteilung. Der Maastrichter
Vertrag war geprägt von der ordnungspolitischen Grundüberzeugung, die
der Ökonom Walter Eucken so auf den Punkt brachte: „Wer den Nutzen hat,
muss auch den Schaden tragen.“
Im Schadensfall will Brüssel jetzt den Griff nach dem Geld anderer Leute
institutionalisieren und zum neuen Prinzip der Währungsunion machen.
Dabei geht es um nichts weniger als um die Einführung einer anderen
Wirtschaftsordnung. Noch wehrt Berlin diesen Übergriff ab. Aber wie lange
noch? Die Bundesregierung hat sich durch den unkontrollierten
Flüchtlingsstrom in eine Sackgasse manövriert. Noch verhallt Berlins Ruf
nach europäischer Solidarität ungehört.
Quelle:www.faz.net, Kommentar von Holger Steltzner vom 25.11.2015
(http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/kommentar-zugriff-auf-das-geld-anderer-leute13930201.html)
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