Predigt zur Jahreslosung 2016 „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ aus dem Buch Jesaja, Kapitel 66, Vers 13, gehalten im Gottesdienst zum Neujahrsempfang am 8. Januar 2016 in der Pauluskirche, Köln-Porz Liebe Gemeinde! „Gott spricht: ich will euch trösten, wie einen seine Mutter getröstet hat.“ Das ist die Jahreslosung für das vor uns liegende Jahr. Sie stammt aus dem letzten, dem 66. Kapitel des Buches Jesaja. Und was diesen Vers so interessant macht, das sind die Umstände, in die hinein Jesaja ihn sagt oder schreibt. Um das deutlich zu machen, werfe ich zuerst einen Blick auf das Buch Jesaja und die geschichtlichen Umstände. Das Buch, das nach dem Propheten Jesaja benannt ist, wird in drei Teile unterteilt und wurde wahrscheinlich von drei, wenn nicht sogar mehr Personen geschrieben. In den ersten 39 Kapiteln schreibt der Prophet selbst im 8. vorchristlichen Jahrhundert an das Volk Israel und warnt es immer wieder davor, sich vom Gott der Väter, von Abrahams, Isaaks und Jakobs abzuwenden. Er klagt über soziale Ungerechtigkeiten und falsche Gottesdienste. Im zweiten Teil, entstanden Mitte des 6. Jahrhundert vor Christus, wechselt der Ton. Jetzt steht das „Tröstet mein Volk“, im Mittelpunkt. Der Autor richtet seine Trostworte an die inzwischen nach Babylon deportierte israelische Oberschicht. Sie hadern mit ihrem Gott, und sie brauchen Halt angesichts von vielen glänzenden und glitzernden babylonischen Gottheiten. Der Verfasser dieses zweiten Teils sagt den Menschen Gottes Versprechen weiter, dass sie wieder zurück nach Jerusalem kommen werden, zurück zum Zion. Im Jahr 538 vor Christus hat dann der Perserkönig Kyrus ein Edikt erlassen, das den Leuten aus Juda erlaubte, in ihr Land zurückzukehren und Jerusalem und den Tempel aufzubauen. Aber nachdem die Fundamente für das neue Haus Gottes gelegt waren, stockt der Bau, weil es so viele Probleme gibt. Beim Bau und im Land. Da ist eine bunte Mischung aus Menschen und das klappt eben gar nicht so, wie sich das alle immer erträumt hatten. In den Fantasien und Visionen vom neuen Jerusalem, die es noch im Exil gab, da war eben alles viel schöner und einfacher. Neben den Heimkehrern aus Baylonien standen die im Land verbliebenen Judäer. Unter ihnen gab es viele, die am Gottesdienst der benachbarten Völker teilnahmen und den Glaubenseifer der Heimkehrer nicht verstehen konnten. Dazu kamen Fremde, die sich während des Exils in Judäa eingerichtet hatten, andere, die aus Babylonien mitgekommen waren, und endlich solche, die zum Wiederaufbau von Tempel und Stadt gebraucht wurden, Gastarbeiter. 1 In dieser Situation stellt sich die Frage, wie man diese unterschiedlichen Gruppen zusammenbringen kann, so dass sie miteinander die anstehenden Aufgaben lösen können, also Integration ist das Stichwort. Außerdem gab es soziale Probleme, die die Emotionen noch zusätzlich verstärkten. Es gab offenbar regelrechte Hassgefühle gegenüber anderen Menschen, anderen Gruppen oder Ethnien. Da wuchs der Widerstand der Einheimischen, also, derer, die sich in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten dort etabliert hatten. Sie wollten nicht wegen der Neuen das preisgeben, was ihnen über so lange Zeit Sicherheit gegeben hatte. Die Hoffnung derer, die aus Babylon zurückgekommen waren, war schwer erschüttert. Die Wirklichkeit sah so ganz anders aus, als die Hoffnungen, die der zweite Jesaja in Jerusalem gegeben hatte. In dieser Situation nun entsteht ein drittes Buch, das sich wiederum unter den Namen des Jesaja stellt. In den letzten 11 Kapiteln wird von unterschiedlichen Autoren mit unterschiedlicher Beurteilung die klägliche nachexilische Lage bedacht. Untergang und Rettung stehen da unmittelbar nebeneinander. Trostlosigkeit und Angst stehen gegenüber Trost und Hoffnung. Die Rettung Israels in neu erstrahlender Blüte gegen die apokalyptische Vorstellung eines neues Himmels und einer neuen Erde. Heute haben wir eine Trostpredigt: „10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie liebhabt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. 11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an dem Reichtum ihrer Mutterbrust. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Ihre Kinder sollen auf dem Arme getragen werden, und auf den Knien wird man sie liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. 14 Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden. Wenn wir dieses Trostwort aus Jesaja im 66. Kapitel heute hören, dann finde ich, trifft es uns heute in einer vergleichbaren Seelenlage wie es damals war, als es geschrieben wurde. Wie viele haben heute auch dieses Gefühl, dass sich alles verändert, ob ich will oder nicht, dass man selbst es eigentlich gar nicht mehr beeinflussen kann, dass die Dinge, die doch früher Wert und Beständigkeit hatten, heute nicht mehr gelten. Wie viele sorgen sich um die Zukunft, weil kaum noch jemand sieht, wie es weitergehen wird. Damals wie heute müssen sich so viele Strukturen neu finden und das verunsichert Menschen. Heute heißen die Themen auch Versorgung von Neuankömmlingen, Integration, soziale Ungerechtigkeiten, nicht nur im Blick auf die Migranten. Wie werden diese Menschen sich hier einfinden? Wie damals verändern sich gerade die Gewichte in der Welt. Wir erleben tagtäglich 2 Terror und er scheint immer näher zu kommen. Und wenn wir genau hinsehen, dann stehen wir genauso zwischen den Extremen Trostlosigkeit und Hoffnung, zwischen der Vision von blühenden Landschaften und dem Untergang wie die Menschen damals. Heute steht das „Wir schaffen das“ der Kanzlerin neben den Demonstrationen, die gegen den Untergang des christlichen Abendlandes schreien. Eigentlich kommt da dieses Trostwort, diese Jahreslosung gerade recht: „Gott spricht: ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Ich finde das ein wunderbares Bild, aber man muss aufpassen, dass daraus nicht ein billiger Trost wird. Denn diese Zerrissenheit, die im Buch Jesaja durchaus auch zur Sprache kommt, die gehört hier auch hin. Auf der einen Seite gehört es für mich als Christ zu einer nicht diskutierbaren Selbstverständlichkeit, dass wir Menschen auf der Flucht in unserem Land aufnehmen und schützen. Aber auf der anderen Seite muss ich auch wahrnehmen, dass es viele Menschen gibt, die mit diesen Veränderungen Probleme haben. Die machen ihnen Angst, denn sie glauben dadurch ihren sicheren Boden zu verlieren. Aber es geht ja gar nicht nur um die Flüchtlinge bei uns. Die Welt verändert sich so schnell, die scheint sich so schnell zu drehen, dass viele Angst haben den Halt zu verlieren. Die Anschläge, von denen wir hören, gehen auch an uns nicht spurlos vorbei. Und das, was in der Silvesternacht hier in Köln passiert ist, das verunsichert. Es gehört auch zu einem christlichen Leben, dass ich die Sorgen, die meiner Nächsten und meine eigenen wahr- und ernstnehme! Auch das ist ein Stück Trost, den uns Gott durch sein Wort schenkt. Denn wenn ich aufhöre die Andersdenkenden, diejenigen, die vor lauter Angst Parolen schreien, zu verteufeln und versuche sie zu verstehen, dann kann ich anders mit ihnen umgehen. Akzeptieren kann und muss ich ihre Meinung aber dennoch nicht. Aber den Trost kann ich ihnen trotzdem geben. Die Jahreslosung nutzt als Bild für wirksamen Trost die Zuwendung einer Mutter zu ihrem Kind. Ein Bild, das Nähe und Wärme ausstrahlt. Es erzählt von Liebe und Geduld, von Verständnis und Verzeihen, von Geborgenheit im Schoß und in den Armen der Mutter. Gott stellt sich als unmittelbar nah und emotional spürbar vor. Es geht um Trost, nicht um Vertröstung. Natürlich hat das Bild von der tröstenden Mutter auch seine Grenzen. Reden wir über die Väter, die freiwillig oder gezwungenermaßen diese Rolle bei den Kindern übernehmen, sie sind bei einem solchen Bild nicht so gefragt. Wie meine Schwiegermutter immer sagt: „Ein Vater ist nur ein Mann, an Mutterhand ist Salbe dran.“ Natürlich gibt es einige, die das Mutterbild so nicht erleben konnten, 3 weil die Mutter nicht da war, oder weil sie die Nähe nicht zugelassen hat. Aber auch die haben vielleicht eine Person, mit der sie diese Geborgenheit verbinden. Letztlich geht es hier um ein Idealbild, das beschrieben wird, um Gottes Güte, Wärme und Liebe zu beschreiben. Was auch immer geschieht in diesem Jahr, wie auch immer sich alle verändert, also wir, unsere Stadt, unserer Gemeinde, unser Land und unsere Welt sich entwickeln und verändern werden, ob wir selbst es mehr mit „Wir schaffen das“-Gefühlen oder mit einer ängstlichen Sehnsucht nach Bekanntem und Bewährten beantworten, wir sind in Gottes Hand wohl behütet, getröstet und versorgt. Sie versorgt, nährt und schützt uns, verbindet unsere Wunden, wie es sonst nur eine Mutter tut. Ich denke mit dem Gedanken, mit der Jahreslosung kann man getrost ins neue Jahr gehen. „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Pfarrer Andreas Daniels [email protected] 4
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