WIRTSCHAFT & POLITIK Taiwan: Japans bester Freund in Ostasien? Japans Regierung steht unter Druck. Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich zum 70. Mal und gerade die Länder Ost- und Südostasiens, aber auch die USA erwarten von Tokyo klare Aussagen dazu, wie Japan seine Vergangenheit sieht und wie es die Zukunft friedlich mitgestalten möchte. Von Detlef Rehn wei Adressaten dieser Botschaft sind Korea und Taiwan. Doch wenn es um die politischen Beziehungen zu Japan geht, könnten die Unterschiede zwischen beiden Ländern kaum größer sein: Hier ein Verhältnis, das von Streit, großem Misstrauen und Rivalität geprägt ist, dort enge und gar freundschaftliche Kontakte. Und dies, obwohl beide Länder das Schicksal teilen, bis 1945 mehrere Jahrzehnte lang japanische Kolonie gewesen zu sein. Während aber zumindest das offizielle Korea äußerst empfindlich auf jeden Versuch Tokyos reagiert, die Vergangenheit ruhen zu lassen und stattdessen die Beziehungen „vorwärtsgerichtet“ zu verbessern, bezeichnete Taiwans Präsident Ma Ying-jeou in seiner Antrittsrede nach seiner Wiederwahl 2012 das gegenwärtige Verhältnis seines Landes zu Japan als „spezielle Partnerschaft“ und „auf dem herzlichsten Stand seit 40 Jahren“. Architektonische Zeugen der Versöhnung Ein gutes Indiz für die unterschiedliche Haltung zu Japan ist der Umgang mit der kolonialen Architektur. In Seoul gibt es zwar nach wie vor eine Reihe von Gebäuden, die während der japanischen Herrschaft entstanden sind. Zu nennen sind vor allem der Hauptbahnhof oder die Zentralbank, die zu Wahrzeichen der Stadt zählen. Andererseits wurde 1995/1996 – freilich nicht ohne längere Debatten – das neoklassizistische General Government Building, der frühere Amtssitz des japanischen Gouverneurs, abgerissen. Ein deutscher Architekt hatte es 1929 auf dem Gelände des mehr als 600 alten Gyeongbokgung-Palastes, dem wichtigsten Königspalast aus der Joseon-Dynastie (1392-1910), gebaut. Nicht weit entfernt wurde 2013 hinter dem aus der Kolonialzeit stammenden Rathaus ein neues Verwaltungsgebäude eingeweiht, dessen Form an eine große, alles 16 J A PA N M A R K T JULI/AUGUST 2015 Patrick Bessler Z 1 Modegschäft in Taipei: die japanischen Einflüsse in der Stadt sind mannigfaltig. verschlingende Welle erinnert. Prompt erhielt es im Volksmund den Namen „Korean Tsunami“. Im Gegensatz hierzu ist in Taiwan das architektonische Erbe der japanischen Kolonialzeit nicht nur an vielen Stellen erkennbar; es wird auch aktiv belebt. So führt zum Beispiel Präsident Ma Ying-jeou in Taipei vom ehemaligen japanischen Gouverneurspalast seine Amtsgeschäfte aus. In Tainan im Süden von Taiwan wurde im September 2014 nach einer aufwendigen Modernisierung ein Kaufhaus wiedereröffnet, das unter dem Namen „Hayashi Department Store“ in den 1930er Jahren das erste Warenhaus am Platz war. Auf dem Dach befindet sich ein kleiner Schrein. Es gibt viele Erklärungen für die grundsätzlich positive Haltung Taiwans gegenüber Japan. Sie reichen teilweise weit in die Geschichte zurück. So hatte zum Beispiel Taiwans Nationalheld, der chinesische Militärführer Koxinga (Zheng Chenggong), der 1661 die Holländer von der Insel vertrieb, eine japanische Mutter. Taiwan kam in dieser Zeit zusammen mit den Ryukyu-Inseln (Okinawa) eine wichtige Brückenfunktion im Handel zwischen China und Japan zu. Unabhängigkeitsbestrebungen waren in Taiwan sehr viel schwächer ausgeprägt als in Korea, das zwar seit 1637 gegenüber den Qing-Kaisern Tribut leistete, jedoch ein eigenständiges Königreich blieb. Vor diesem Hinter- etwa 1990 aufgegriffen wurden. So klagten zum Beispiel Ende der 1990er Jahre überlebende taiwanische Zwangsprostituierte erfolglos vor japanischen Gerichten auf eine Entschuldigung der Regierung in Tokyo und auf eine finanzielle Entschädigung. Auch das offizielle Taipei hat in dieser Frage inzwischen den Ton gegen Japan verschärft: Anfang 2014 besuchte Ma Ying-jieJapanische „Modellkolonie“ ou in Südtaiwan eine Zwangsprostituierte und forderte ebenfalls Gerade ältere Taiwaner äußern sich auch heute recht posivon Japan eine Entschuldigung; gleichzeitig bezeichnete er den tiv zu Japan als Kolonialmacht. Da in den Schulen japanisch Besuch des Yasukuni-Schreins durch Premierminister Abe vom unterrichtet wurde, sprechen viele von ihnen immer noch die Dezember des Vorjahres als „unangemessen“. Ferner soll mit Sprache fließend. Zudem begreifen sie die Kolonialzeit nicht Billigung der Regierung in Taipei noch 2015 ein Museum für als durchweg repressive Periode, denn anders als in Korea, wo die taiwanischen „Trostfrauen“ eröffnet werden. das Militär die Verantwortung hatte, lag die Verwaltung in Ungeachtet all dieser Punkte ist das Verhältnis zwischen Taiwan größtenteils in den Händen von Technokraten, die aus Taiwan und Japan nach wie vor sehr gut, und die Aussage Ma der Insel eine Modellkolonie machen wollten. So investierte Ying-jeous von 2012 daher grundsätzlich weiter richtig. Etwas Japan beträchtliche Mittel in die wirtschaftliche Entwicklung, weniger Getöse und mehr Diaaber auch in den Bau von Schulog statt Konfrontation, heißt die len, Eisenbahnstraßen sowie in das Parole auf beiden Seiten, und dies Gesundheitssystem; hierdurch verhilft sicherlich auch im Umgang besserte sich für viele der Lebensmit anderen umstrittenen Punkstandard deutlich. ten. So beansprucht zwar auch Auch die Erfahrungen mit ChiTaiwan die Senkaku/Diaoyu-Inang Kai-shek und seiner Kuomintseln; doch unabhängig von der ang-Partei (KMT), die ab 1945 von Frage der territorialen SouveräniNanjing aus die Insel als Provinz tät vereinbarten Taipei und Tokyo der Republik China verwaltete 2013 ein Fischereiabkommen, das und 1949 nach der Niederlage im auch die Fanggründe um die Inseln chinesischen Bürgerkrieg dorthin einschließt. floh, lassen für zahlreiche ältere Taiwans B evölkerung teilt Taiwaner die japanische Kolo- 1 Heutiger Sitz des taiwanischen Präsidenten: der ehemalige japanische Gouverneurspalast in Taipei. über alle Altersgruppen hinweg nialzeit in einem milderen Licht die positive Einstellung: In einer Umfrage von Anfang 2013 erscheinen. Dies gilt vor allem angesichts der großen Turbubezeichneten fast zwei Drittel der befragten Taiwaner ihre lenzen, die die Etablierung einer neuen, vom Festland kommenGefühle gegenüber dem nördlichen Nachbarn als „eng“ oder den Elite mit sich brachte. Der Widerstand hiergegen gipfelte im gar „sehr eng“. Andererseits stößt Japan bei 85 Prozent der Massaker vom 28. Februar 1947, als die KMT einen Aufstand Koreaner auf Misstrauen. gegen die Regierung blutig unterdrückte und Tausende von Taiwan ist „Japanland“, und wahrscheinlich werden sich die Taiwanern dabei ums Leben kamen. Beziehungen zwischen beiden Ländern auch nach einem zu Die Kolonialherrschaft hatte jedoch auch sehr negative erwartenden Machtwechsel bei den nächsten taiwanischen PräAspekte. So wurden zum Beispiel nach Schätzungen der Taipei sidentschaftswahlen im Januar 2016 nicht grundsätzlich ändern. Women´s Rescue Foundation etwa zweitausend Frauen aus Der jetzige Amtsinhaber Ma Ying-jeou scheidet nach zwei Taiwan zur Prostitution in der japanischen Armee gezwungen. Wahlperioden verfassungsgemäß aus. Nach derzeitigem Stand Ferner zogen die Kolonialherren etwa zweihunderttausend der Dinge ist zu erwarten, dass Frau Tsai Ying-wen von der junge taiwanische Männer zum Kriegsdienst heran. Hinzu oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) die kamen japanische Programme zur kulturellen Assimilierung vor Wahl gewinnt. Die DPP fährt anders als die KMT einen deutlich allem von taiwanischen Ureinwohnern. chinaunabhängigeren Kurs. Dies aber dürfte in Tokyo durchaus wohlwollend registriert werden. ■ Diplomatischer Umgang mit Konfliktthemen Anders als in Korea, wo ein sehr starkes Nationalgefühl herrscht, ist die Identität der Taiwaner aufgrund des GegenDr. Detlef Rehn satzes zwischen den „Festländern“ und den seit Generationen berichtet als freier Journalist aus Tokyo. auf der Insel Ansässigen viel schwächer ausgeprägt. Dies dürfte E-Mail: [email protected] ein wichtiger Grund dafür sein, dass die Schattenseiten der japanischen Kolonialherrschaft erst nach der allmählichen Umwandlung Taiwans in eine demokratische Gesellschaft ab Detlef Rehn grund tat sich Taiwan mit der japanischen Kolonialherrschaft, die 1895 begann, insgesamt trotz mancher Opposition sehr viel leichter als Korea, wo Japan schon vor der vollständigen Annexion 1910 auf erbitterten Widerstand stieß. JULI/AUGUST 2015 J A PA N M A R K T 17
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