Passion Pilze - Verein für Pilzkunde Zürich

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Pilzforschung Natur
Passion Pilze
Im Reich der Pilze gibt es noch viele Geheimnisse
zu lüften und beim ­Artenschutz grossen
Nachholbedarf. Das treibt die Schweizer
Wissenschaftlerin Beatrice Senn-Irlet an.
Text Hans-Peter Neukom
Foto: René Berner
natürlich leben 8 | 2009
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Tintenfischpilz, giftig
Frau Senn-Irlet, wann kamen Sie
das erste Mal mit Pilzen in Kontakt?
Beatrice Senn-Irlet: Bewusst war das in
meiner Kindheit. Damals gingen wir einmal mit dem Onkel im Gurnigel Pilze
sammeln. Da mein Bruder vom anschlies­
senden Pilzmahl einen Hautausschlag
­bekam, wurde dieses Abenteuer von
­meiner Mutter rasch beendet.
Und wann erwachte Ihr wissenschaftliches Interesse für Pilze?
Während des Botanikstudiums an der
Universität Bern. Pilzkunde oder Mykologie ist kein eigenes Studienfach. Der
Weg zu ihr führt über das Biologie­
studium. Die Vielfalt dieser Organismengruppe faszinierte mich sofort. Zudem
gab und gibt es da ja auch noch viel
Spannen­des zu erforschen und zu ent­
decken.
Ist das nicht ein etwas exotisches
­Spezialgebiet der Biologie?
Spezialisiert schon, aber nicht exotisch.
Pilze gehören zu den ältesten Lebensformen unserer Erde überhaupt und kommen in fast allen Natur- und Lebensbereichen vor. Ohne die Wurzelpilze unserer
Bäume gäbe es beispielsweise keine Wälder. Ohne Hefepilze gäbe es weder Wein
noch Brot und ohne Schimmelpilze weder
Salami noch Penicillin.
Wenn man schon so viel über Pilze
weiss, wofür braucht es dann noch die
­Mykologie?
Die Mykologie ist ein breites, aktuelles
Teilgebiet der Biologie und entsprechend
vielfältig sind ihre Aufgaben. Die Erfassung und Beschreibung aller existierenden Arten ist nur eine davon. Dazu kommen etwa die Untersuchung ihrer
speziellen und zuweilen höchst seltsamen
Lebensweisen, Funktionen und Erscheinungsformen. Tatsächlich birgt das Reich
der Pilze noch viele Geheimnisse, die es
aufzuklären gilt.
natürlich leben 8 | 2009
Foto: foto-net/Kurt Schorrer
Beatrice Senn-Irlet
Die Pilzforscherin wurde 1954 in Aarau
geboren, wuchs in Bern auf und lebt
heute mit ihrem Mann in Bolligen. Sie
studierte Botanik an der Universität Bern
und doktorierte 1986 mit einer Arbeit
über hochalpine Pilze. 1996 habilitierte
sie sich auf dem Gebiet der Systematik
der Pilzgattung der Stummelfüsschen
(Crepidotus) und ist seither Lehrbeauftragte an der Universität Bern. Im Jahre
2000 wechselte sie als wissenschaftliche
Mitarbeiterin an die Eidgenössische
Forschungsanstalt für Wald, Schnee und
Landschaft (WSL) in Birmensdorf,
wo sie unter andrem die nationale
Pilzdatenbank betreut.
Die WSL gehört zum ETH-Bereich.
Rund 500 Mitarbeitende, aufgeteilt in
16 Forschungseinheiten, sind an der
WSL tätig. Zu den Forschungsschwerpunkten gehören die Nutzung und der
Schutz von Landschaften und Lebensräumen sowie die Erarbeitung von
Entscheidungsgrundlagen und Modellen
für eine nachhaltige und ökologische
­Umweltpolitik in der Schweiz.
_ www.wsl.ch
_ www.swissfungi.ch
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Pilzforschung Natur
Fliegenpilz, giftig
Welche Rolle spielt die Pilzforschung
in der Schweiz?
Auf vielen Teilgebieten der Mykologie
hat die Schweizer Forschung schon be­
deutende Beiträge geleistet. In der Forschungslandschaft gibt es jedoch ähnliche
Trends wie in der Mode. Die genaue Einteilung und Benennung der unterschiedlichen Arten und die Erfassung ihrer Verwandtschaften untereinander, wir nennen
das Taxonomie, und die ökologische Pilzforschung, gehörten da in den letzten
­Jahren eher zu den Verlierern.
Die organismische Biologie, die sich mit
der Vielfalt der Lebewesen, ihren Wechselwirkungen untereinander und mit ihrer
Umwelt befasst, hat an unseren Hoch­
schulen leider an Ansehen verloren. Das
wirkte sich auch auf die Zahl der Professoren- und Forschungsstellen aus. Gerade
heute ist das besonders bedauerlich.
Wieso bedauerlich?
Pilze sind nicht zuletzt aus ökologischer
Sicht überaus interessante Lebewesen.
Die Erforschung der komplizierten, vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Pilzen, ihren Lebensräumen und anderen
Lebens­formen vermittelt uns wertvolle
Erkenntnisse zum besseren Verständnis
unserer Umwelt.
Apropos Umweltschutz und Arterhaltung:
Braucht es wirklich drei Arten tödlich
giftiger Knollenblätterpilze?
Wir betreiben Naturschutz aus unterschiedlichen Gründen und Haltungen
der Natur gegenüber. Vor einem religiösen, ethischen Hintergrund etwa gilt es
alle Geschöpfe zu erhalten, unabhängig
davon, ob deren Sinn für uns nun direkt
einsehbar ist, ob sie nützlich oder gar
schädlich sind. Die drei nah verwandten
Knollenblätterpilze zeigen uns das Prinzip der genetischen Vielfalt. Gerade in
Zeiten des Klimawandels ist es sicher
von Vorteil, wenn die einheimischen Pilzarten genetisch vielfältig zusammen­
gesetzt sind. Das verbessert ihre Fähigkeit, sich an sich ändernde Umweltbedingungen anzupassen.
Die Forschungsanstalt für Wald, Schnee
und Landschaft (WSL) befasst sich
mit der Nutzung und dem Schutz von
Landschaften und Lebensräumen.
Welche Rolle spielen Pilze dabei?
Maronen-Röhrling, Speisepilz
Gegenwärtig befassen sich drei Forschungseinheiten der WSL mit Pilzen. Im
Bereich der Biodiversitätsforschung, einer
Art Bestandsaufnahme aller lebenden
­Arten, wird das nationale Datenzentrum
für Pilze unterhalten.
Zu unseren aktuellen Aufgaben gehört
die Erstellung Roter Listen, in denen
die bedrohten Arten aufgeführt sind.
Um als Entscheidungsgrundlage für die
Umweltpolitik brauchbar zu sein, dürfen
­solche Gefährdungslisten nicht auf blos­
sen Zufallsbeobachtungen beruhen. Sie
müssen vielmehr auf überprüfbaren
­wissenschaftlichen Aussagen gründen.
­Dafür entwickeln wir die geeigneten
­Me­thoden und wenden sie an. Ein
Forschungs­team befasst sich mit der Rolle
von Pilzen in Waldökosystemen und
­ihren Wechselbeziehungen zu den andern Lebewesen des Waldes.
Waldbewirtschaftung auf die Artenvielfalt von Grosspilzen.
Sind Pilze auch beim Waldschutz
ein Thema?
Gibt es konkrete Schutzmassnahmen
für einzelne Pilzarten?
Ja, selbstverständlich. Im Bereich des
Waldschutzes befasst sich eine Forschungsgruppe mit Pilzkrankheiten an
einheimischen Baum­arten. Die Gefahr
der Einschleppung ­gefährlicher Pilz­
krankheiten im Gefolge des weltweiten
Handels wird durch den Klimawandel
ja och zusätz­lich erhöht. Ein weiteres
Unter­suchungsthema ist der Einfluss der
Nein. Der Artenschutz von Pilzen hinkt
­jenem anderer Organismengruppen stark
hinterher. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass vermehrt Versuche gemacht
­werden, seltene Arten zu kultivieren und
zu züchten. Gelänge die Kultivierung,
hätte man von den betreffenden Arten
genü­gend Pilzgeflecht für eine Wieder­
aussetzung in die Natur zur Verfügung.
Fotos: René Berner (8)
natürlich leben 8 | 2009
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Klebriger Hörnling, kein Speisepilz
Parasol-Schirmling, Speisepilz
Bei Pilzen sprechen wir dabei von Impf­
aktionen, weil wir die jeweilige Wuchsgrundlage dieser Pilze, etwa das Erdreich
unter bestimmten Bäumen, deren Wurzeln
oder auch totes Holz, damit infizieren oder
eben impfen könnten.
Muss man unsere Speisepilze schützen?
Schliesslich findet sich ja keiner von ihnen
auf der aktuellen Roten Liste für die
Pilze der Schweiz.
Das ist eher eine politische als eine wissenschaftliche Frage. Sagen wir es so: Pilzsammler dürften sich freuen, dass keine
natürlich leben 8 | 2009
Kuhmaul, Speisepilz
Weisser Knollenblätterpilz, tödlich giftig
Herbsttrompete, Speisepilz
Eierschwamm, Speisepilz
«Vor einem religiösen,
­ethischen Hintergrund gilt es
alle Geschöpfe zu erhalten.»
Speisepilze zu den bedrohten Arten ge­
hören. Aus blossen Arterhaltungsgründen
sind entsprechende Sammeleinschränkungen daher nicht erforderlich.
Warum gibt es dennoch Beschränkungen?
Die Mengenbegrenzungen für das Pilzsammeln, etwa im Kanton Bern pro Per-
son und Tag zwei Kilogramm, zielen mehr
auf eine gerechtere Verteilung eines begehrten Waldproduktes als auf den Pilzschutz. Dazu kommen weitere Argumente,
etwa aus dem Bereich des Wildschutzes
oder von Seiten der lokalen Bevölkerung.
Sie haben tagaus tagein beruflich
mit Pilzen zu tun, können Sie da privat
ein Pilzgericht überhaupt noch geniessen?
Aber sicher! Auf ein Gericht mit selbst
­gesammelten Steinpilzen, die zu meinen
Lieblingspilzen gehören, möchte ich deswegen gewiss nicht verzichten.
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Pilzforschung Natur
Einem Giftpilz auf der Spur
Das Rätsel um die Vergiftungen durch den Grünling in Europa
könnte gelöst sein. Japanische Forscher haben einen Giftstoff identifiziert,
der in Asien für mehrere Todesfälle verantwortlich scheint.
Text Hans-Peter Neukom
Rhabdomyolyse
Der Begriff Rhabdomyolyse bezeichnet
eine besondere Form des Abbaues der
quer gestreiften Muskulatur. Diese
umfasst neben dem Herzmuskel jene
Muskeln, die wir willkürlich anspannen
können, im Unterschied zur glatten
Muskulatur etwa von Darm, Arterien
oder Bronchien, die wir nicht willentlich
beeinflussen können.
Bei der Rhabdomyolyse gelangt das der
Sauerstoffübertragung dienende und
normalerweise fest im Muskel verankerte
Myoglobin ins Blut. Dieses Eiweiss kann
die feinen Nierenkanälchen verstopfen
und zu Nierenversagen führen. In
manchen Fällen soll aufgrund einer
Schädigung des Herzmuskels das Herz
versagen. Erste Anzeichen einer
Rhabdomyolyse sind Muskelschmerzen
und -schwäche sowie eine auffällige
Dunkelfärbung des Urins.
Pilzvergiftungen sind nicht der einzige,
sondern ein eher seltener Auslöser.
Die anderen Ursachen reichen von
mechanischen Muskelverletzungen
(Quetschungen, Crush-Syndrom),
Elektrounfällen und Verbrennungen über
seltene Medikamentnebenwirkungen,
Schlangenbisse sowie Alkohol- und
Drogenvergiftungen bis zu extremen
Fasten- und Hungerkuren.
F
ünf Frauen und sieben Männer zwischen 22 und 61 Jahren erlitten in
Frankreich in den Jahren 1992
bis 2000 nach dem Verzehr des als Speisepilz beliebten Grünlings ernste Vergiftungen. In drei Fällen endeten diese sogar tödlich. Im Jahre 2001 wiesen dann
­französische Wissenschafter nach, dass
mehrere kurz aufeinander folgende
Grünling-Mahl­zeiten zu einer Auflösung
von Muskelfasern – einer sogenannten
Rhabdomyolyse – führen können.
Auch in Polen kam es 2002 zu einer
schweren Pilzvergiftung mit Rhabdomyolyse. Eine Mutter und ihr Kind verzehrten in
kurzen Abständen neun Gerichte mit Grünlingen. Zwei Tage nach der letzten Mahlzeit
zeigten sie ähnliche Symptome wie die
Betroffe­nen in Frankreich und mussten 23
Tage hospitalisiert werden. In der Schweiz,
wo bis dahin noch keine Vergiftungen mit
dem Grünling auftraten, strich das Bundesamt für Gesundheit den Grünling 2002 von
der Liste der Speisepilze. Das für die
Muskel­zersetzung verantwortliche Gift des
Grünlings blieb vorderhand unbekannt.
In Asien sind ähnlich rätselhafte Pilz­
vergiftungen bereits seit den 1950er-Jahren
bekannt. Inzwischen konnte hier ein Pilz
mit wissenschaftlichem Namen Russula
subnigricans, der von Sammlern offenbar
mit verwandten essbaren Arten verwechselt
wurde, als verantwortlicher Giftpilz identifiziert werden. 30 Minuten nach dessen Verzehr traten bei den Betroffenen Übelkeit
und Durchfall als erste Symptome auf, gefolgt von Sprachstörungen, Muskelkrämpfen, steifen Schultern und Rückenschmerzen. Im weiteren Verlauf kam es dann auch
zur Zersetzung von Muskelfasern. Das dabei ins Blut gelangende Eiweiss Myoglobin
störte die Nierenfunktion und führte durch
Nierenversagen in den letzten Jahren in
­Japan zu sieben Todesfällen. In unseren
Laub- und Nadelwäldern wächst der asia­
Grünling
Der seltsame Giftstoff­
kandidat war in der Natur
bisher kaum bekannt.
tische Giftpilz nicht. Er kommt ausschliesslich in Asien und Nordamerika vor.
Japanische Forscher konzentrierten sich
nun gezielt auf Russula-subnigricans-Pilze
aus der Region Kyoto, wo die rätselhaften
Vergiftungen gehäuft auftraten. In diesen
Pilzen fanden sie endlich einen Giftstoffkandidaten, der auch für die bislang ungeklärten, ähnlich verlaufenen Grünling-Vergiftungen in Europa verantwortlich sein
könnte. Es handelt sich dabei um die selbst
für Chemiker reichlich exotische Substanz
Cycloprop-2-en-Carboxylsäure. Nach vorläufigen biologischen Untersuchungen
scheint diese Substanz direkt oder indirekt
zu der gefährlichen Muskelzersetzung zu
führen. Zur Erforschung des Vergiftungs­
mechanismus sind laut Experten allerdings
noch weitere Untersuchungen nötig.
Der seltsame Giftstoffkandidat war in
der Natur bisher kaum bekannt. Chemiker
stellen diese unbeständige Substanz künstFoto: Jörg Gilgen
natürlich leben 8 | 2009
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diese Reaktionsfähigkeit könnte für die
Giftwirkung verantwortlich sein – vergleichbar etwa der Wirkung der sogenannten freien Radikale, die chemisch ebenfalls
sehr reaktionsfreudig sind und Zellen
schädigen können.
Die Reaktionsfähigkeit und Empfindlichkeit des Stoffes erschwerten auch dessen
Isolierung aus den Pilzen. Dies erklärt
möglicher­weise, warum diese Substanz so
lange unentdeckt geblieben war, obschon sie
sich im Tierversuch bereits in kleinen Mengen als lebensgefährlich erweist. So kann
schon der Verzehr von zwei bis drei Fruchtkörpern von Russula subnigricans bei Erwachsenen zum Tod führen, erklären die
japani­schen Wissenschafter. Und sie halten
es für möglich, dass auch die Grünlings­
vergiftungen in Europa mit diesem seltsamen Giftstoffkandidaten zusammenhängen.
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lebens­gefährlich giftiger Pilz erkannt.
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vor allem in der langen Latenzzeit, der Zeitspanne zwischen dem Verzehr und dem Auftreten erster Symptome. Wer denkt schon
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wie allgemeiner Müdigkeit, Muskelschwäche und Muskelschmerzen an eine Pilz­
vergiftung, wenn die Pilzmahlzeit bereits
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