Verschiedenes KV-Blatt 11.2015 23 KV Berlin und LAGeSo kooperieren Impfstelle für Asylbewerber zwischen Routine und Improvisation Die Tür geht auf, in Begleitung einer Sprachmittlerin betritt ein Ehepaar aus Kambodscha den Raum, schüchtern, beide etwa um die 30 und von schmaler Gestalt. Auf die Frage von Susanne Eipper, einer niedergelassenen Gynäkologin aus Lichtenberg, die heute Frühdienst in der Zentralen Impfstelle hat, ob sie akute Beschwerden haben, lächeln sie vielsagend; als sie die Über- Die Gynäkologin Susanne Eipper und der Pflegehelfer Klaus Schmitz in Erwartung der Patienten. setzung der Sprachmittlerin verstanden haben, schütteln sie den Kopf, dabei weiter lächelnd. Sie setzen sich gehorsam auf eine der Liegen und widmen sich der anstehenden Behandlung mit sichtbarem Ernst. Susanne Eipper appliziert die Impflösungen in die entblößten Oberarmmuskeln, einmal links, einmal rechts; anschließend gibt sie den Hinweis, die Arme nach Möglichkeit in den Anzeige Im langgestreckten, spärlich möblierten Praxisraum stehen an der Längsseite vier parallel angeordnete Liegen, zwei mobile Paravents erlauben das Herrichten einer spärlichen Privatsphäre. Auf einem kleinen Schreibtisch haben Ablagekörbe, Stempel, Stifte und ein Kopiergerät Platz, in dieser Büroecke findet die Dokumentation des Impfens statt. Dieses beginnt strenggenommen bereits in einem der Vorräume auf dem Flur der leer stehenden Station einer Klinik auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit, hier erläutern Sprachmittler den Asylsuchenden den Sinn und die Umstände der Impfungen (gegen Masern, Mumps und Röteln sowie Tetanus und Diphtherie). Im Anmeldebereich der Impfstelle stehen hierfür Aufklärungsbögen in zahlreichen Sprachen zur Verfügung. Pflegehelfer Klaus Schmitz bereitet derweil die Impflösungen vor. Dazu zieht er mittels einer Kanüle die Lösung aus einem Fläschchen, wechselt die Kanüle und legt die zum Verabreichen fertige Spritze in eine Nierenschale. Foto: Bronstering Lange wurde um ihren Betrieb gerungen, seit Ende September wird in der Zentralen Impfstelle auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses M oabit an der Turmstraße gearbeitet. Hier impfen niedergelassene Berliner Ärztinnen und Ärzte über 150 Asylbewerber pro Tag, in zwei Schichten, von Montag bis Freitag. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin organisiert das im engen Sinn Medizinische, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) verantwortet die Infrastruktur. Eine Momentaufnahme zwischen Routine und Improvisation. Verschiedenes KV-Blatt 11.2015 Foto: Bronstering 24 Lagebesprechung mit den Sprachmittlern Fortsetzung von Seite 23 kommenden Tagen nicht zu sehr zu beanspruchen. Die beiden Impflinge ziehen ihre Jacken an, nehmen ihre gestempelten Papiere in Empfang und gehen mit B licken, Gebärden und Worten des Dankes wieder nach draußen. Es ist nicht in jedem Fall klar, wie die zahlreichen Patienten von der Existenz der Impfstelle erfahren und wie sie den Weg in das Gebäude finden. Auf dem campusartigen Gelände sind etliche Hinweisschilder angebracht, teils mit Kabelbinder an Zäunen befestigt, teils mit Pflaster an Bäume geklebt. In der mobilen Röntgenstation auf dem Areal werden die Menschen auf die Möglich keit der Impfung hingewiesen; das LAGeSo gibt bereits beim Antragstellen den Hinweis auf die Impfstelle, außerdem soll ein Busshuttle Asylbewerber, die schon länger in Berlin leben, aus den über die Stadt verteilten Unterkünften zur Impfstelle bringen. In jedem Fall ist die erfolgte Registrierung in der Hauptstadt Voraussetzung zur Impfung, die Abrechnung der erbrachten medizinischen Leistungen der Ärzte erfolgt über den „Grünen Schein“, der den Menschen quartalsweise ausgehändigt wird. jüngeren öffnen sich die Schleusen, er weint und windet sich. Doch er beruhigt sich wieder, als die Ärztin ihm einen Spielzeugdinosaurier in die Hände drückt. Am Ende wirkt er benommen, aber unversehrt, als die Familie mit Gesten des Dankes den Raum verlässt. Die Nächsten, bitte. Ein Ehepaar aus dem Irak, in Begleitung zweier Jungen, schätzungsweise zwei und vier Jahre alt. Die Eltern wirken noch abgekämpfter als die Söhne, die die Aktion als Abenteuer zu begreifen scheinen. Der Vater mit sich lichtendem Haar und silbernen Bartstoppeln wird als erster geimpft, er möchte seinen Söhnen ein mutiges Beispiel geben. Die Mutter lächelt während des Eindringens der Nadel in den Oberarm in Richtung ihrer Kinder. Der kleine Sohn zieht währenddessen unruhig seine Kreise; die Schreibkraft, eine Kreuzung aus Maskottchen und Fakto tum, hat alle Hände voll zu tun, ihn nicht den Kühlschrank mit den Impfpackungen öffnen zu lassen. Der ältere Junge kämpft tapfer mit den Tränen, als er an der Reihe zum Piksen ist; beim Überhaupt der Dank. Das ist die immer wieder gezeigte Reaktion der Patienten. Sie wähnen sich aufgenommen und versorgt; die ausgefüllten Papiere – Grüner Schein, Laufzettel, Impfausweis – sind offizielle Dokumente eines Staates, der zu einer neuen Heimat werden kann. Der Algorithmus des Impfens funktioniert in den ersten Tagen des Betriebs noch nicht geräuschlos, es dauert eben, bis sich auch unter Profis eine entsprechende Routine etabliert hat. Die Gynäkologin Susanne Eipper spritzt die Impflösungen und unterschreibt en passant die Laufzettel, sie beruhigt kleine K inder und findet aufmunternde Worte jenseits der Sprachgrenzen, inmitten der Hektik im Raum strahlt sie eine freundliche Ruhe aus. Der Pflegehelfer bereitet die Impfspritzen vor, die Schreib- Verschiedenes KV-Blatt 11.2015 kraft erledigt den Papierkram und hält so dem medizinischen Personal den Rücken frei. Im Wartebereich auf dem Flur der Impfstation klären Sprachmittler über die bevorstehende Behandlung auf, nur wenige Menschen entscheiden sich nach der Aufklärung dagegen. Die mit Abstand am häufigsten gesprochene Sprache ist Arabisch, auch Kurdisch, Urdu, Farsi und Paschtuni sind zu hören. Die wievielte Schlange ist es für die Wartenden in Berlin? Wie auch immer, sie bleiben ruhig und diszipliniert. Die Zentrale Impfstelle liegt ganz am nördlichen Rand des weitläufigen Geländes. Während vor der etwa d reihundert Meter entfernten Registrierungsstelle die Asylbewerber in drangvoller Enge stundenlang stehen, geht es in der Impfstelle sachlich und effizient zu; nach dem Aufklärungsgespräch in der Muttersprache verstreichen im Schnitt 30 Minuten bis zur eigentlichen Impfung. Das Team arbeitet in einem konzentrierten Takt, der keine Zeit für eine Zigarette oder auch nur einen Gang zur Toilette lässt; es warten noch viele weitere Patienten auf den schmerzhaften wie schützenden Stich. Eine junge Muslima hat leichte Kreislaufbeschwerden nach der Impfung, die Ärztin bettet sie in Rückenlage und hebt ihre Beine an, während die Schreibkraft ihre kleine Tochter im Arm hält und ihr Gesicht zur Mutter hinwendet. An die junge Frau geht der Rat, sich noch etwas im Warte raum hinzusetzen; ihre Augen leuchten, als sie die Tür öffnet und sich verabschiedet. Andrea Bronstering Der Blick auf das Große Ganze Kaum wird in der Zentralen Impfstelle am LAGeSo unter der Regie der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin geimpft, steht das zuständige Gesundheitsamt Mitte vor der Tür resp. im Raum. Zwischen Ende September und Mitte Oktober fanden allein fünf Begehungen der Impfstelle durch Mitarbeiter des Gesundheitsamtes statt, Ziel waren das Etablieren und Kontrollieren eines Hygieneplanes. Diese unbestritten wichtige Aufgabe des Gesundheitsamtes erfuhr im konkreten Fall eine fragwürdige Ausformulierung: So müssen sterilisierte Tupfer, Kanülen, Holzspatel, Pflaster und Aufziehspritzen aus an der Wand montierten geschlossenen Produktspendern entnommen werden; Desinfektionsmittel- und Seifenspender mit Ellenbogenhebel müssen angebracht werden; zwischen den einzelnen Behandlungsliegen müssen stabile Trennwände montiert werden; bereits aufgezogene Kanülen müssen mit Datum versehen werden; geeignete Behälter zur Mülltrennung mit Fußöffnung müssen bereitgestellt werden. Geht bei diesen Details nicht der Blick für das Große Ganze verloren? Seit Wochen thematisiert die Presse von der taz bis zur FAZ die apokalyptischen Zustände auf dem Gelände vor dem LAGeSo, wo täglich mehrere Hundert Menschen im Freien auf einen Termin warten. Was gefährdet deren Gesundheit mehr? Das tagelange Ausharren im Staub (im August bei 35 °C) resp. Nässe (im Oktober bei Graden nahe Null) im Gedränge und Geschubse, darin eingekeilt Alte, Schwangere und Kinder? Sich zwei (!) Toilettenwagen teilend, dabei von überforderten „Sicherheitskräften“ angepöbelt zu werden? Oder im Warmen und Trockenen im Gebäude der Zentralen Impfstelle von Sprachmittlern geduldig über die bevorstehende Impfung aufgeklärt zu werden, sich in der Toilette im Gebäude die Hände waschen zu können, dabei das Smartphone aufladen zu können, schließlich Zuwendung und Immunisierung in einem zu erfahren? Hätte sich das Gesundheitsamt vor Bezug der Räume der Zentralen Impfstelle an deren Planung und Einrichtung beteiligt, wären Kompromisse zwischen Vorschriften und Realität schneller gefunden. So weit, so verständlich. Aber was in Gottes Namen machen zwei unangemeldete Vertreter der Ethik-Kommission der Ärztekammer Berlin (ÄKB) in der Zentralen Impfstelle? Zu ihren Aufgaben zählt es, „den für die Durchführung von biomedizinischer Forschung am Menschen oder von epidemiologischer Forschung mit personenbezogenen Daten verantwortlichen Arzt über die mit dem Vorhaben verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen“ zu beraten. Geht es darum, das Handeln der impfenden Ärzte vor Ort mit einem Audit zu legitimieren, auch wenn diese in der Impfstelle von „epidemiologischer Forschung“ meilenweit entfernt sind? Eh bien, die ÄKB fordert nun in einem Schreiben an den Berliner Senat (a) die Umwandlung der Zentralen Impfstelle am LAGeSo zu einer Zentralen Untersuchungs- und Impfstelle und (b) die Durchführung altersgerechter Impfungen gemäß den Empfehlungen der STIKO. Durchaus diskussionswürdige Anregungen – offen bleibt nur, warum die ÄKB mit diesen Forderungen nicht im Vorfeld an die KV Berlin, die Ko-Betreiberin der Impfstelle, herangetreten ist, um dergestalt Kräfte und Sachverstand zu bündeln. Andrea Bronstering 25
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