KV Berlin und LAGeSo kooperieren: Impfstelle für Asylbewerber

Verschiedenes
KV-Blatt 11.2015
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KV Berlin und LAGeSo kooperieren
Impfstelle für Asylbewerber zwischen
Routine und Improvisation
Die Tür geht auf, in Begleitung einer
Sprachmittlerin betritt ein Ehepaar aus
Kambodscha den Raum, schüchtern,
beide etwa um die 30 und von schmaler Gestalt. Auf die Frage von Susanne
Eipper, einer niedergelassenen Gynäkologin aus Lichtenberg, die heute
Frühdienst in der Zentralen Impfstelle
hat, ob sie akute Beschwerden haben,
lächeln sie vielsagend; als sie die Über-
Die Gynäkologin Susanne Eipper und der Pflegehelfer Klaus Schmitz in Erwartung der
Patienten.
setzung der Sprachmittlerin verstanden
haben, schütteln sie den Kopf, dabei
weiter lächelnd. Sie setzen sich gehorsam auf eine der Liegen und widmen
sich der anstehenden Behandlung mit
sichtbarem Ernst. Susanne Eipper appliziert die Impflösungen in die ­entblößten
Oberarmmuskeln, einmal links, einmal
rechts; anschließend gibt sie den Hinweis, die Arme nach Möglichkeit in den
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Im langgestreckten, spärlich möblierten
Praxisraum stehen an der Längsseite
vier parallel angeordnete Liegen, zwei
mobile Paravents erlauben das Herrichten einer spärlichen Privatsphäre.
Auf einem kleinen Schreibtisch haben
Ablagekörbe, Stempel, Stifte und ein
Kopiergerät Platz, in dieser Büroecke
findet die Dokumentation des Impfens
statt. Dieses beginnt strenggenommen bereits in einem der Vorräume auf
dem Flur der leer stehenden Station
einer Klinik auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit, hier
erläutern Sprachmittler den Asylsuchenden den Sinn und die Umstände
der Impfungen (gegen Masern, Mumps
und Röteln sowie Tetanus und Diphtherie). Im Anmeldebereich der Impfstelle stehen hierfür Aufklärungsbögen
in zahlreichen Sprachen zur Verfügung.
Pflege­helfer Klaus Schmitz bereitet derweil die Impflösungen vor. Dazu zieht
er mittels einer Kanüle die Lösung aus
einem Fläschchen, wechselt die Kanüle
und legt die zum Verabreichen fertige
Spritze in eine Nierenschale.
Foto: Bronstering
Lange wurde um ihren Betrieb gerungen, seit Ende September wird in der
Zentralen Impfstelle auf dem Gelände
des ehemaligen Krankenhauses M
­ oabit
an der Turmstraße gearbeitet. Hier impfen niedergelassene Berliner Ärztinnen
und Ärzte über 150 Asylbewerber pro
Tag, in zwei Schichten, von Montag bis
Freitag. Die Kassenärztliche Vereinigung
(KV) Berlin organisiert das im engen
Sinn Medizinische, das Landesamt für
Gesundheit und Soziales (LAGeSo)
verantwortet die Infrastruktur. Eine
Momentaufnahme zwischen Routine
und Improvisation.
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Foto: Bronstering
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Lagebesprechung mit den Sprachmittlern
Fortsetzung von Seite 23­
kommenden Tagen nicht zu sehr zu
beanspruchen. Die beiden Impflinge
ziehen ihre Jacken an, nehmen ihre
gestempelten Papiere in Empfang und
gehen mit B
­ licken, Gebärden und Worten des ­Dankes wieder nach draußen.
Es ist nicht in jedem Fall klar, wie die
zahlreichen Patienten von der Existenz
der Impfstelle erfahren und wie sie den
Weg in das Gebäude finden. Auf dem
campusartigen Gelände sind etliche
Hinweisschilder angebracht, teils mit
Kabelbinder an Zäunen befestigt, teils
mit Pflaster an Bäume geklebt. In der
mobilen Röntgenstation auf dem Areal
werden die Menschen auf die Möglich­
keit der Impfung hingewiesen; das
LAGeSo gibt bereits beim Antragstellen
den Hinweis auf die Impfstelle, außerdem soll ein Busshuttle Asylbewerber,
die schon länger in Berlin leben, aus
den über die Stadt verteilten Unterkünften zur Impfstelle bringen. In jedem
Fall ist die erfolgte Registrierung in der
Hauptstadt Voraussetzung zur ­Impfung,
die Abrechnung der erbrachten medizinischen Leistungen der Ärzte erfolgt
über den „Grünen Schein“, der den
Menschen quartalsweise ausgehändigt
wird.
jüngeren öffnen sich die Schleusen, er
weint und windet sich. Doch er beruhigt
sich wieder, als die Ärztin ihm einen
Spielzeugdinosaurier in die Hände
drückt. Am Ende wirkt er benommen,
aber unversehrt, als die Familie mit
Gesten des Dankes den Raum verlässt.
Die Nächsten, bitte. Ein Ehepaar aus
dem Irak, in Begleitung zweier Jungen,
schätzungsweise zwei und vier Jahre alt.
Die Eltern wirken noch abgekämpfter
als die Söhne, die die Aktion als Abenteuer zu begreifen scheinen. Der Vater
mit sich lichtendem Haar und silbernen
Bartstoppeln wird als erster geimpft,
er möchte seinen Söhnen ein mutiges
Beispiel geben. Die Mutter lächelt während des Eindringens der Nadel in den
Oberarm in Richtung ihrer Kinder. Der
kleine Sohn zieht währenddessen unruhig seine Kreise; die Schreibkraft, eine
Kreuzung aus Maskottchen und Fakto­
tum, hat alle Hände voll zu tun, ihn
nicht den Kühlschrank mit den Impfpackungen öffnen zu lassen. Der ältere
Junge kämpft tapfer mit den Tränen, als
er an der Reihe zum Piksen ist; beim
Überhaupt der Dank. Das ist die immer
wieder gezeigte Reaktion der Patienten.
Sie wähnen sich aufgenommen und versorgt; die ausgefüllten Papiere – Grüner
Schein, Laufzettel, Impfausweis – sind
offizielle Dokumente eines Staates, der
zu einer neuen Heimat werden kann.
Der Algorithmus des Impfens funktioniert in den ersten Tagen des Betriebs
noch nicht geräuschlos, es dauert eben,
bis sich auch unter Profis eine entsprechende Routine etabliert hat. Die Gynäkologin Susanne Eipper spritzt die Impflösungen und unterschreibt en passant
die Laufzettel, sie beruhigt kleine K
­ inder
und findet aufmunternde Worte jenseits der Sprachgrenzen, inmitten der
Hektik im Raum strahlt sie eine freundliche Ruhe aus. Der Pflegehelfer bereitet die Impfspritzen vor, die Schreib-
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kraft erledigt den Papierkram und hält
so dem medizinischen Personal den
Rücken frei. Im Wartebereich auf dem
Flur der Impfstation klären Sprachmittler über die bevorstehende Behandlung
auf, nur wenige Menschen ­entscheiden
sich nach der Aufklärung dagegen. Die
mit Abstand am häufigsten gesprochene
Sprache ist Arabisch, auch Kurdisch,
Urdu, Farsi und Paschtuni sind zu hören.
Die wievielte Schlange ist es für die Wartenden in Berlin? Wie auch immer, sie
bleiben ruhig und diszipliniert.
Die Zentrale Impfstelle liegt ganz am
nördlichen Rand des weitläufigen Geländes. Während vor der etwa d
­ reihundert
Meter entfernten Registrierungsstelle
die Asylbewerber in drangvoller Enge
stundenlang stehen, geht es in der
Impfstelle sachlich und effizient zu;
nach dem Aufklärungsgespräch in der
Muttersprache verstreichen im Schnitt
30 Minuten bis zur eigentlichen Impfung. Das Team arbeitet in einem konzentrierten Takt, der keine Zeit für eine
Zigarette oder auch nur einen Gang zur
Toilette lässt; es warten noch viele weitere Patienten auf den schmerzhaften
wie schützenden Stich. Eine junge Muslima hat leichte Kreislaufbeschwerden
nach der Impfung, die Ärztin bettet sie
in Rückenlage und hebt ihre Beine an,
während die Schreibkraft ihre kleine
Tochter im Arm hält und ihr Gesicht zur
Mutter hinwendet. An die junge Frau
geht der Rat, sich noch etwas im Warte­
raum hinzusetzen; ihre Augen leuchten, als sie die Tür öffnet und sich verabschiedet.
Andrea Bronstering
Der Blick auf das Große Ganze
Kaum wird in der Zentralen Impfstelle am LAGeSo unter der
Regie der Kassen­ärztlichen Vereinigung (KV) Berlin geimpft,
steht das zuständige Gesundheitsamt Mitte vor der Tür resp.
im Raum. Zwischen Ende September und Mitte Oktober fanden allein fünf Begehungen der Impfstelle durch Mitarbeiter
des Gesundheitsamtes statt, Ziel waren das Etablieren und
Kontrollieren eines Hygieneplanes. Diese unbestritten wichtige
Aufgabe des Gesundheitsamtes erfuhr im konkreten Fall eine
fragwürdige Ausformulierung: So müssen sterilisierte Tupfer,
Kanülen, Holzspatel, Pflaster und Aufziehspritzen aus an der
Wand montierten geschlossenen Produktspendern entnommen
werden; Desinfektionsmittel- und Seifenspender mit Ellenbogenhebel müssen angebracht werden; zwischen den einzelnen
Behandlungsliegen müssen stabile Trennwände montiert werden; bereits aufgezogene Kanülen müssen mit Datum versehen
werden; geeignete Behälter zur Mülltrennung mit Fußöffnung
müssen bereitgestellt werden.
Geht bei diesen Details nicht der Blick für das Große Ganze
verloren? Seit Wochen thematisiert die Presse von der taz
bis zur FAZ die apokalyptischen Zustände auf dem Gelände
vor dem LAGeSo, wo täglich mehrere Hundert Menschen im
Freien auf einen Termin warten. Was gefährdet deren Gesundheit mehr? Das tagelange Ausharren im Staub (im August
bei 35 °C) resp. Nässe (im Oktober bei Graden nahe Null)
im Gedränge und Geschubse, darin eingekeilt Alte, Schwangere und Kinder? Sich zwei (!) Toilettenwagen teilend, dabei
von überforderten „Sicherheitskräften“ angepöbelt zu werden?
Oder im Warmen und Trockenen im Gebäude der Zentralen
Impfstelle von Sprachmittlern geduldig über die bevorstehende
Impfung aufgeklärt zu werden, sich in der Toilette im Gebäude
die Hände waschen zu können, dabei das Smartphone aufladen zu können, schließlich Zuwendung und Immunisierung
in einem zu erfahren? Hätte sich das Gesundheitsamt vor
Bezug der Räume der Zentralen Impfstelle an deren Planung
und Einrichtung beteiligt, wären Kompromisse zwischen Vorschriften und Realität schneller gefunden.
So weit, so verständlich. Aber was in Gottes Namen machen
zwei unangemeldete Vertreter der Ethik-Kommission der Ärztekammer Berlin (ÄKB) in der Zentralen Impfstelle? Zu ihren
Aufgaben zählt es, „den für die Durchführung von biomedizinischer Forschung am Menschen oder von epidemiologischer
Forschung mit personenbezogenen Daten verantwortlichen
Arzt über die mit dem Vorhaben verbundenen berufsethischen
und berufsrechtlichen Fragen“ zu beraten. Geht es darum, das
Handeln der impfenden Ärzte vor Ort mit einem Audit zu legitimieren, auch wenn diese in der Impfstelle von „epidemiologischer Forschung“ meilenweit entfernt sind? Eh bien, die ÄKB
fordert nun in einem Schreiben an den Berliner Senat (a) die
Umwandlung der Zentralen Impfstelle am LAGeSo zu einer
Zentralen Untersuchungs- und Impfstelle und (b) die Durchführung altersgerechter Impfungen gemäß den Empfehlungen
der STIKO. Durchaus diskussionswürdige Anregungen – offen
bleibt nur, warum die ÄKB mit diesen Forderungen nicht im
Vorfeld an die KV Berlin, die Ko-Betreiberin der Impfstelle,
herangetreten ist, um dergestalt Kräfte und Sachverstand zu
bündeln.
Andrea Bronstering
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