Maputo Vista Social Club – Wie ein Connewitzer Alternativer auszog, um die mosambikanische Volksmusik zu retten Der Bürgermeister hätte wohl auch zugestimmt, wenn er auf „Avenida Hohberga“ bestanden hätte. Aber der ehemalige Leipziger Hausbesetzer Roland Hohberg hatte für seine Adresse in Mosambik einen klangvolleren Namen im Sinn. Der Feldweg vor seinem Haus sollte „Straße der Musik“ heißen. Der Ortsvorsteher von Massaca willigte umstandslos ein. Ihm liegt viel am Wohl seines ersten ausländischen Bürgers. Seither werden Briefe an Roland Hohberg in der Rua da Música abgegeben. Seine Residenz, eine knappe Autostunde von der Hauptstadt Maputo entfernt, wirkt freilich nicht sonderlich beschwingt. Eher wie eine Festung. Die zweistöckige Trutzburg ragt unter den schlichten Nachbarhäusern hervor und ist komplett aus Feldsteinen gebaut. Sie ist akkurat gemauert und verrät deutsche Facharbeit. Hohberg wollte sein Haus eigentlich von einem ehemaligen Vertragsarbeiter machen lassen, der den Umgang mit Mörtel und Kelle in der DDR gelernt hatte, doch ist der kurz vor Weihnachten mit dem Materialgeld durchgebrannt. Das letzte Mal war es die Klimaanlage, mit der sich die Reparaturfirma aus dem Staub machte. Das passiert schon mal in Mosambik. Hohberg hat gelernt, damit umzugehen, zu improvisieren. Sein ganzes Leben ist Improvisation, seit er Anfang der 80er Jahre mit der SED brach. Erinnerungen an den Leipziger Anschlag Schon als 15-Jähriger zog er von zu Hause weg. Im Kernkraftwerk Greifswald lernte er Nachrichtenelektronik und BMSR-Technik, wie es damals hieß. Später avancierte er zum Betriebsfunk-Redakteur, spielte mit der Betriebsportgemeinschaft KKW Fußball in der DDR-Liga, ließ sich zur Kreis- und Bezirksparteischule delegieren. Die Genossen hatten Großes mit ihm vor. Aber anstatt Karriere zu machen, begann Hohberg Fragen zu stellen. So viele, dass er sich schließlich mit den Funktionären überwarf. „Ich trat aus der Partei aus, verweigerte den Dienst in der NVA und stellte den Ausreiseantrag“, erinnert sich der Dissident mit dem blonden Pferdeschwanz. Er blieb dennoch – bis zum Schluss. Im letzten Atem der DDR verspürte er den frischen Wind für einen Neubeginn ganz nach seiner Nase. So eine Art schöpferischer Basisfreidenkerreformsozialismus auf Kommunalebene. Er schrieb beim „Leipziger Anschlag“ mit, dem ersten Stück Zeitungsfreiheit im sozialistischen Leipzig. Gründete die „Connewitzer Alternative“, ermunterte Studenten und Kreative, marode Häuser in der Stöckart-Straße zu besetzen und sie so vor dem Abriss zu retten. Kämpfte am Runden Tisch um Nutzungsverträge und Renovierungsgelder. Schmiss legendäre Partys, die manchem noch heute nostalgische Tränen in die Augen treiben. Mit Anarchie und Schwarzem Block hatte das wenig zu tun, eher mit Visionen und Illusionen, denen die pekuniäre Wirklichkeit der Wiedervereinigung gar zu schnell den Atem aushauchte. Für die Dorfschönen ist Senhor Roland ein Rätsel Nach Afrika hatte Hohberg schon immer Sehnsucht. Die Mosambikaner in der DDR hatten mit ihrer Musik sein Fernweh geweckt. Afrika – das war Hohbergs Freiheit, nicht der Westen. Als ihn ein Carlos Silia, ein Student der Kulturwissenschaften, gleich nach der Wende einlud, packte er sofort seine Koffer. Seither holte er lediglich ein paar Sachen nach. Nicht mal der Bürgerkrieg konnte ihn schrecken. „Ich hatte wenig familiäre Bindungen und noch ein riesiges Potenzial an Abenteuerlust“, beschreibt Hohberg sein Reisemotiv. Zurück will er nicht mehr. Er hat seinen Frieden gefunden im kleinen Dörfchen Massaca, das weitaus beschaulicher ist als der Name vermuten lässt. „Vielleicht ist es ja das Alter“, grient der 44-Jährige. „Aber nur Stress und Partys sind auf Dauer auch nicht so interessant. Hier kann ich’s mir selber einteilen, was ich haben möchte und wie viel davon. Ich kann hier zurückgezogen leben oder mit den Musikern an neuen Projekten arbeiten.“ Die Dorfschönen wundern sich, dass Senhor Rolands Musikburg bis heute kein Fräulein hat. Zwei Ehen sind ihm in seinem unsteten Leben schon kaputt gegangen, seinen Sohn hat er seit Jahren nicht mehr gesehen. Jetzt hat er ein Mädchen adoptiert, dessen Eltern an AIDS gestorben sind. Für sie lebt er und für die Musik. Im Steintempel in der Rua da Música entsteht gerade das modernste Studio Mosambiks. Die dicken Mauern sind gut isoliert, sie schützen vor Hitze, Ablenkung und Misstönen. Sein Studio in Boomtown Maputo war ihm zu teuer geworden. Um die Musiker, die im seltensten Fall von ihrem Handwerk leben können, nicht ausbluten zu müssen, zog er um aufs Dorf. Der Bürgermeister ist stolz auf seinen deutschen Investor. Und die angesehensten Musiker preisen Hohberg in den höchsten Tönen. „Zum ersten Mal hat sich jemand für unsere Belange interessiert,“ sagt etwa Mr. Arssen, Mosambiks erste Adresse für Ragga and Dancehall. „Bei Roland wissen wir, dass etwas herauskommt. Die Zusammenarbeit ist immer fruchtbar, er hat gute Kontakte und wir können uns auf ihn verlassen“. Retter der mosambikanischen Volksmusik Hohberg gründete den Verein Pro Music – der der gnadenlosen Ausbeutung der Musiker ein Ende setzen will. Zum ersten Mal haben sie eine Chance, sich gegen Raubkopien und Knebelverträge zu wehren. Dank Hohberg können einige inzwischen sogar von der Musik leben. Und es wäre kein Wunder, wenn der Exilsachse bald auch noch einen Verdienstorden für die Rettung der mosambikanischen Volksmusik bekäme. Was er in Maputo und Massaca betreibt, steht dem kubanischen Buena Vista Social Club in nichts nach. Hohberg hat sich der Wiederbelebung des Marrabenta-Sounds verschrieben, der in den 50er und 60er Jahren den Ton angab in der portugiesischen Kolonie. Ganz Maputo, damals noch Lourenco Marques, war verrückt nach der Tanzmusik der MarrabentaKapellen. Einheimische wie Touristen himmelten die schwarzen Musikgötter an, verdrehten verzückt die Augen, wenn sie gelenkiger als Elvis ihre Hüften schwangen. Erst war es der Krieg, dann ausländischer Rap, Soukous und Kwaito, die den traditionellen Melodien fast den Garaus machten. Nur noch vier der „Velhas Glorias“, der glorreichen Alten, sind am Leben. Einer ist Roland Hohberg vor zwei Jahren weggestorben. Jetzt steht nur noch Dilon Djindji auf der Bühne - bei „Mabulu“, Hohbergs Maputo Vista Social Club. 78 ist Djindji und wenn er seine Stimme erhebt, laufen einem warme Schauer über den Rücken. Das Publikum kreischt sich schon fast ohnmächtig, wenn das unscheinbare Männchen nur das Mikro ergreift. Und spätestens, wenn er zum Duett mit dem 50 Jahre jüngeren Rapper Chiquito ansetzt und dabei wie ein Derwisch in kurzen Sprüngen über die Bühne setzt, steht jeder Club Kopf. Roland Hohberg versucht eine Mischung aus Marrabenta und HipHop – ein tanzwütiger Mix mit Botschaft, der alle Generationen anspricht. Mabulu heißt: das Gespräch suchen, den Dialog zwischen Alt und Jung, zwischen ehemaligen Bürgerkriegsgegnern, zwischen Partei und Opposition. Mabulu hat schon in Sydney und Paris gastiert, in London, Genf und Hannover. In England reisten ihnen Weltmusikfans zu jedem Konzert nach. Gerade wird die nächste EuropaTournee vorbereitet. „Beim letzen Mal waren wir drei Monate unterwegs und haben auch gutes Geld eingenommen. Mein Anteil sind 15 Prozent,“ sagt Manager Hohberg: „Das ist die Basis für alle anderen Projekte. Aber reichen tut es eigentlich nie.“ Mabulu-Welttournee mit Stopover in Leipzig Diesmal wollen sie auch durch Deutschland touren. Das Afrika-Festival in Würzburg schwebt ihm vor und Leipzig wäre auch so einer von Hohbergs Träumen. Am liebsten träumt er sie früh um Fünf, wenn er sich mit dem Laptop an den nahegelegenen Damm zurückzieht. „Das sind die kreativsten Stunden für mich“, schwärmt der Frühaufsteher voller Tatendurst. Er war es, der mit seinen Musikern ein Solidaritätskonzert für die Flutopfer in Sachsen organisierte. Einen alten Hanomag hat er gekauft – er soll als mobiles Studio, Kino auf Rädern und musikalisches AIDS-Aufklärungs-Büro durchs Land rollen. Dorthin, wo der viel beschworene Aufschwung Mosambiks noch nicht angekommen ist. In Massaca hat Hohberg ein verwildertes Grundstück mit Panoramablick erstanden, auf dem bislang nur Geckos und Eidechsen hausen. Vor seinem geistigen Auge sieht er ein Kulturzentrum, das Musiktalente für Workshops nutzen. Einen Freisitz, zu dem Wochenendausflügler zum Grillen und Tanzen kommen. Und dann ist da ja noch die Website www.mozambique-music.com. Vielleicht Afrikas erste Website zum Musik-Download. Hohberg sieht sie schon als zusätzliche Einnahmequelle für seine dauerhaft klammen Musiker, als virtuelle Showbühne für Talente ohne Veröffentlichungschance. In Massaca wird derweil am neuen Mabulu-Album gebastelt. Es wird besser denn je, ist sich Hohberg sicher, und: weltmarkttauglich. Was aus den dicken Mauern an der Rua da Música in diesen heißen Sommertagen nach außen dringt, klingt wirklich nach verdammt guter Musik. CLAUS STÄCKER, ARD Korrespondent
© Copyright 2024 ExpyDoc