Was war Albanien, was ist es, was wird es werden? Sami Frashëri1

Source: Sami Bey Frascheri, Was war Albanien, was ist es, was wird es werden?
(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
besten Söhne Albaniens schon lange mit Plänen befasst haben,
wie ihrem geliebten Vaterlande eine schöne Zukunft gesichert
werden könnte.
Was war Albanien, was ist es, was wird es
werden?
Gedanken und Betrachtungen über die unser
geheiligtes Vaterland Albanien bedrohenden Gefahren
und deren Abwendung.
Sami Frashëri1
Vorwort des Übersetzers.
Das vorliegende Werkchen ist von Sami Bey Frascheri, einem
glühenden albanesischen Patrioten, der einer der vornehmsten
Familien des Landes entstammt, in albanesischer Sprache verfasst,
zur Zeit des Prisrender Kongresses (1899) gedruckt und von
Schahin Bey Colonia ins Türkische übersetzt worden. Aus diesem
wurde es ins Deutsche übertragen.
Der deutsche Übersetzer ist sich zwar der Mängel dieser
doppelten Übertragung bewusst, glaubt aber, dass es hierauf nicht
so sehr ankomme. Was er wünscht, ist lediglich, die vorliegende
Studie eines hervorragenden Arnauten der Öffentlichkeit
zugänglich zu machen. Beweist diese Studie doch, dass sich die
1
Known in Turkish as Şenseddin Sami, Sami Frashëri (1850-1904)
wrote novels and plays in Turkish and was closely associated with laicist
Turkish nationalism. Nonetheless, this tract (published anonymously in the
original Albanian in Bucharest, 1899), takes a firmly anti-Ottoman and antiTurkish stance in vindicating Albanian independence. [SPIN note]
Jetzt, wo die Zukunft dieses uralten Volkes gesichert ist,
scheint es dem Übersetzer der Studie Sami Bey Frascheris von
Interesse, zu zeigen, wie sich dieser hervorragende Arnaute die
Selbstverwaltung seines Heimatlandes vorgestellt hat.
Wien, im März 1913. Der Übersetzer: A. Traxler.
I. Kapitel. Was war Albanien?
1. Abschnitt.
Das von den Albanesen bewohnte Gebiet heißt Albanien. Die
Albanesen sind das älteste Volk Europas. Sie sind vor den
anderen Nationen Europas nach dem europäischen
Kontinente gekommen und haben als die ersten auf diesem
Festlande sich mit dem Bau von Mauern und Häusern, der
Felderbestellung, dem Ackerbau, dem Säen und Ernten befasst.
Denn diejenigen Völker, welche sich vor dem Erscheinen der
Albanesen in Europa befanden und ohne Hinterlassung von
Spuren verschwunden sind, hatten im Zustande der Wildheit in
Wäldern und Felsenhöhlen gelebt und sich von der Jagd
ernährt. Daher kommt es, dass die alten Albanesen, welche
unsere Vorfahren waren, ‘arben’, ‘arban’ genannt werden. Aus
diesem Worte haben die südlichen Albanesen (Tosken), da
sie ’n’ wie ‘r’ aussprechen, ‘arber’ gemacht. So alt ist dieses
Volk, welches bis jetzt ‘arben’, ‘arban’ heißt, welches Wort ‘Felder bebauende’, also ‘Ackerbauer’ bedeutet. Denn ‘ara’ heißt im
Albanesischen ‘Feld’ und ‘ben’ ‘bebauen’. Später machten dann
die Römer ‘alban’ daraus Indem sie nämlich ‘r’ wie ‘l’ aussprachen und den Namen in dieser Weise veränderten, nannten
sie die Albanesen ‘albani" und ihr Land ‘albania’. Und bis heute
bezeichnen die Europäer die Albanesen und Albanien mit
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diesen Namen. Später haben dann die Griechen aus ‘alban’
‘arwanijt’ gemacht, indem sie das ‘l’ wieder in ‘r’ verwandelten.
Was die Türken anbelangt, so haben sie die griechische Bezeichnung ‘arwanijt’ abermals geändert und daraus ‘arnaut’ gebildet.
Daher heißen wir im Inlande ‘Arnauten’. Doch ist diese Bezeichnung nur bei einem einzigen Stamme unseres Volkes, dem der
‘Lapi’ üblich. Die Arnauten nennen ihre ganze Nation ‘Schkipetar’
und Albanien offiziell ‘Schkiperi’.
Dieser Name ist aus ‘Schkip", welches Wort ‘Adler’ bedeutet und
aus ‘tar’ zusammengesetzt, welches eine Handlung oder einen Besitz anzeigt. Im Vulgär-Türkischen bedeutet es ‘kartalli’ oder ‘kartal ßahibi’2). Da der Adler das Lieblingstier des von den alten Arnauten verehrten, ‘Sot’ oder ‘Hoi’ genannten Hauptgottes (Jupiter)
war, so haben ihn auch die Arnauten heilig gehalten und sein Bild
auf ihren Feldzeichen angebracht. Der Name Schkipetar ist von
altersher allgemein gebraucht worden. (Es heißt, dass schon zu
Pyrrhus’3 Zeiten der Name algemeine Verbreitung gefunden habe.)
Die Arnauten Italiens und Griechenlands, die unsere Stammesgenossen sind, gebrauchen diesen Namen aber nicht, sondern
nennen sich auch heute noch ‘Arban’. Von den übrigen Völkern
wurden unsere Vorfahren ‘Pelasger’ genannt. Dieses Wort ist noch
in den Ausdrücken ‘plak’ und ‘plek’, welche ‘der Alte’, ‘die Alten’
bedeuten, in etwas veränderter Form erhalten geblieben.
Dieses so alte und geschichtlich so interessante und wichtige Volk
war sehr zahlreich und sehr kräftig. Der Südosten von Europa, die
ganze Balkanhalbinsel und die Donauländer, also das heutige
Rumänien und Ungarn, die Inseln des Mittelländischen Meeres
und Kleinasien, d.i. Anatolien, war von den alten Arnauten
bewohnt. Ein Teil der Pelasger, der an das Adriatische Meer
2
d. i. ‘Adler-Träger’ oder ‘Besitzer des Adlers’.
3
Pyrrhus, König von Epirus, 318 bis 272 v. Chr.
gelangte, kam auch nach Italien herüber. Von ihnen stammen
die Etrusker, die Latiner und andere ab. Später erschien ein
kleines Volk, die Hellenen oder Griechen, im jetzigen Griechenland und auf den umliegenden Inseln und vermischte sich
mit pelasgischen Stämmen, die an Stelle der nach Italien abgezogenen dort eingewandert waren. Es hat also auch zwischen
den Griechen und den Pelasgern verwandtschaftliche und
sprachliche Beziehungen und Analogien gegeben. Da überhaupt die Pelasger, Kelten, Gallier, Germanen, Slaven, Perser,
Inder und andere, genau genommen zu einer Familie gehörig
sind, so wurde ihrer Gesamtheit die Bezeichnung ‘Arier’ oder
‘Indo-Europäer" gegeben. Aber die Romanen stehen den
Arnauten noch näher als die anderen; daher kommt es, dass
unsere Sprache der lateinischen in einigen Belangen sehr
ähnlich ist.
Die Religion und die religiösen Gebräuche der alten Arnauten
waren sehr schön und poesievoll. Sie haben allen Naturerscheinungen und den Himmelskörpern göttliche Eigenschaften zugeschrieben und glaubten an die Sonne, den Mond,
die großen Sterne, den Himmel, die Wolken, die Winde, das
Meer und anderes, und erwiesen ihnen göttliche Ehren. Auch
der Sonnenaufgang, der Blitz und alle anderen Naturerscheinungen wurden geheiligt. Speziell das Feuer wurde
göttlich verehrt und an bestimmten Orten niemals ausgehen
gelassen.
Nun soll es ja eine Herrschergewalt geben, auch eine Religion
soll sein; aber die Pelasger haben sich damit nicht begnügt.
Mochte die Personifizierung der unbedingten Einheit welche
immer sein, so mochten sie doch nicht unter ihrer alleinigen
Herrschaft stehen. Sie wollten also nicht einem einzigen Gotte
Untertan sein, sondern schufen sich zahlreiche Götter, an die
sie sich um Rat wandten und die einander das Gleichgewicht
halten sollten. Die alten Griechen und Römer haben diese
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(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
religiösen Anschauungen, die heutzutage Mythologie genannt
werden, noch mehr erweitert und ausgeschmückt, und wieviel
Religionen und erhabene Glaubensbekenntnisse auch immer an
ihre Stelle getreten sein mögen (Judentum, Christentum, Islam), so
hat die Mythologie dennoch nichts von ihrer Wertschätzung
verloren, sondern wird noch heute von den zivilisierten Nationen
als eine poesievolle Religion geachtet und geschätzt. (Denn sobald
die Religionen und die erhabenen Glaubensbekenntnisse so
trocken und reizlos geworden sind, wie die Orte, an denen sie
entstanden, dann können die süßzungigen Poeten an ihnen keinen
Geschmack und keine Schönheit mehr finden.)
Den von ihnen bewohnten Gegenden entsprechend, zerfielen die
Pelasger in viele Stämme. Die größten und berühmtesten dieser
Stämme sind: die Illyrier, das heißt ‘die Freien’ (albanesisch: ‘illire’
= ‘frei’, ‘unabhängig’) und die Epiroten, nämlich die ‘Obenbefindlichen’ (albanesisch: ‘eper’, ‘siper’ = ‘oben’) dann die Makedonier
(‘makedonia’ bedeutet im Albanesischen ‘weites Land’), ferner die
Thraker (d. i. ‘die Groben’, ‘trasch’ = ‘grob’), dann die Phrygier,
das heißt ‘die Furchtsamen’ (‘frik’ bedeutet im Albanesischen
‘Furcht’) und andere.
Von diesen Stämmen saßen die Illyrier in Oberalbanien,
Montenegro, Bosnien, Herzegowina, Kroatien und Dalmatien,
dann bis zur Küste des Adriatischen Meeres, und bis zum Ufer des
Flusses Sawe. Die Makedonier und die Thraker lebten in jenen
Gegenden, die noch heute nach ihnen benannt sind. Was die
Phrygier anbelangt, so waren sie in Kleinasien ansäßig, und zwar in
dem heute Kizil-irmak genannten Gebiete, reichend von der
Meeresküste bis zum Flusse Elis, also in den Wilajeten Smyrna,
Konia, Angora und Siwas.
Es wird behauptet, dass im Altertum die Illyrier, die Epiroten, die
Makedonier, die Thraker und die Phrygier einander sehr nahe
gestanden hätten, als eine einzige Nation betrachtet wurden und
ihre Sprachen untereinander verstanden hätten.
Bis zum Erscheinen der Römer haben alle diese Stämme ein
starkes Reich gebildet. Dieses Reich war zur Zeit Philipps 4
noch gewachsen und hatte an Kraft gewonnen. Was Alexander
den Großen, Philipps Sohn, anbelangt, so hatte er den größten
Teil der damals bekannten Welt unter seine Herrschaft gebracht. Er eroberte Griechenland, Thrakien, Kleinasien, Persien, Indien, Ägypten und anderes. Illyrien und Epirus, das
jetzige Albanien, unterjochte er jedoch nicht. Obwohl nun
nach dem Tode Alexanders des Großen die ihm nachfolgenden
makedonischen Arnauten-Fürsten in Asien, Afrika und Europa
eine Reihe von Staaten gründeten, so hatten diese doch keinen
langen Bestand, da sie sich in steter Uneinigkeit und
Zwistigkeit befanden und sich gegenseitig bekämpften. Bald
darauf gingen diese Reiche auch in den Besitz der mit großer
Kraft vordringenden Römer über.
Was die Thraker und die Phrygier anbelangt, so gingen sie teils
in den vielen Kriegen mit den benachbarten fremden Völkern,
teils durch Vermischung mit ihnen, zur Zeit der Römer
zugrunde.
Die Makedonier konnten sich noch eine Zeit lang erhalten,
haben sich aber dann doch auch mit fremden Völkern
vermischt. Im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung
drangen slawische Völker, wie die Serben, Kroaten und andere,
etwas später tatarische Stämme, wie die Bulgaren u.s.w. in die
Balkanhalbinsel ein und besetzten den größten Teil von
Makedonien; indem nun ein Teil der Pelasger von den neu
Angekommenen verdrängt wurde, der andere Teil sich mit
ihnen vermischte, verschwanden sie langsam, langsam vom
Schau-platze. Auf diese Weise sind die thrakischen und
phrygischen Arnauten, welche die Vorfahren der heutigen
4
Chr.
Philipp II. von Makedonien, geboren 382, König von 359 bis 336 v.
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Makedonier bilden, verschwunden, und von ihren Wohnplätzen
haben Bulgaren, Serben und andere, Besitz ergriffen.
Nur die Illyrier und die Epiroten blieben von jeder Vermischung
frei, und von ihnen stammen die Ghegen und die Tosken ab, die
somit unsere direkten Ahnen sind.
2. Abschnitt. Illyrier und Epiroten.
Die Grenzen des jetzigen Albanien decken sich nicht mit jenen
des alten Illyrien. Denn dessen Grenzen griffen von Süden her
nicht über den Jusa-Fluß hinüber. Dagegen dehnten sie sich nach
Norden hin weit über diejenigen des jetzigen Albanien hinaus.
Denn wie wir schon oben gesagt haben, erstreckten sich die
Grenzen Illyriens bis zum Gestade des Adriatischen Meeres und
zum Ufer des Sawe-Flusses. Illyrien umfasste auch das heutige
Montenegro, Bosnien und anderes. Das Gebiet vom Jusa-Fluß bis
zum Golf von Armbrak – es ist dies ein Teil des heutigen Toskenlandes – hieß Epirus. Das Wort ‘eper’ ist albanesisch ; ‘eper’, ‘siper’
heißt ‘oben’. Dies kommt daher, weil dieses Land vom Standpunkte der südlich davon wohnhaften Arnauten ‘oben’ ist. Daraus
nun haben die des Handels wegen ins Land kommenden Griechen,
welche diese Bezeichnung von den Arnauten hörten, ‘Epiros’
gemacht.
Die Lander Illyrien und Epirus waren nicht zusammengehörig.
Weder Illyrien noch Epirus besaßen ein autokratisches Regierungssystem. Sie zerfielen in zahlreiche Stämme, die von gewählten Delegierten, welche sich an bestimmten Orten versammelten,
regiert wurden Diese Versammlungen, welche auch heute noch
üblich sind, hießen ‘pleksi’ oder ‘plakuni’, das ist ‘Rat der Alten’.
Im Hinblick auf die sozialen Verhältnisse des Altertums waren
also die Staaten Illyrien und Epirus sehr modern eingerichtet und
besaßen eine kräftige und glänzende Verfassung.
Pyrrhus, welcher ein König von Epirus war (der Name stammt
vom albanesischen Worte ‘pyr’, welches einen ‘jugendlichen
Mann’ bedeutet), hat die Römer in Italien besiegt und
Griechenland erobert. Die berühhmte Königin der Illyrier,
Teuta 5 und ihr Sohn Kenco haben den Römern heftigen
Widerstand geleistet.
Nach den Berichten der Historiker und Schriftsteller des alten
Griechenland sprachen die Illyrier und Epiroten eine und
dieselbe Sprache und waren auch ihre Sitten und Gebräuche
die gleichen. Aus ihrer Sprache und aus ihren Sitten entwickelten sich sodann diejenigen der heutigen Albanesen.
3. Abschnitt. Die Albanesen unter römischer Herrschaft.
Nachdem die Illyrier und die Epiroten den Römern eine
Zeitlang standgehalten hatten, vermochten sie deren Überzahl
und Kraft nicht mehr zu widerstehen und wurden unterworfen.
Die Länder Makedonien und Epirus, die sich damals verbündet
hatten, führten lange, blutige Kriege mit den Römern, in
welchen diese sehr viele Soldaten verloren. Daher ließ der
kriegstüchtige römische Feldherr Paulus Aemilius achtzig
befest-igte Plätze im Toskenlande dem Erdboden gleichmachen und einige tausend Gefangene nach Rom bringen. Auf
diese Weise ging die Unabhängigkeit der Illyrier und der
Epiroten verloren und kamen sie unter die Herrschaft Roms.
Obgleich nun die Arnauten von den Römern besiegt worden
waren, so wurden sie dennoch nicht von ihnen geknechtet.
Vielmehr wurden ihnen die von ihnen geforderte persönliche
5 Gemahlin des Königs Agron. Diese unter dem Namen ‘Illyrischer
oder Seeräuber-Krieg’ bekannten langwierigen Kämpfe endeten 228 v. Ch
mit einem für Teuta sehr ungünstigen Frieden. Ihren Sohn nennen die
Römer Pineus.
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Freiheit und die innere Unabhängigkeit, also das Recht der
Selbstverwaltung belassen. Die römische Herrschaft war bloß eine
rein nominelle und um sie erhalten zu können, schickten die
Römer eine große Zahl von Kolonisten, die in festen Plätzen im
Innern des Landes angesiedelt wurden. Die noch heute hie und da
vorfindlichen Walachen oder Zinzaren sind die Überreste dieser
Kolonisten. Von Dratsch (Durazzo) bis Saloniki bauten sie eine
lange, ordentliche Straße zu militärischen und Handels-Zwecken,
die nach dem arnautischen Worte ‘ozekjata’, welches ‘lange Straße',
bedeutet, ‘egnazios’6 genannt wurde. Die Erhaltung dieser Straße
bereitete ihnen viele Mühe und Sorgen. Obwohl an die Stelle der
illyrischen und der epirotischen Regierung die rômische getreten
war, so haben sich dennoch, die Arnauten vermittelst ihrer
Versammlungen der Alten selbst regiert.
Zur Zeit der römischen Herrschaft waren also Albanien und die
Albanesen in dieser Weise regiert worden; bei der Zweiteilung des
römischen Reiches kam Albanien zum oströmischen Kaisertum.
Aber zur Zeit der byzantinischen Kaiser wurden die Arnauten
alsbald frei und unabhängig; indem sie sich wieder selbst regierten,
gelangten sie neuerdings in den freien Besitz ihres Landes. Sie
waren durchaus keine Besiegten und Gefangenen mehr. Damals
fand das Christentum Eingang in Albanien und binnen kurzer Zeit
waren alle Albanesen Christen. Nur die alten Sitten und
ursprünglichen Anlagen erfuhren durchaus keine Veränderung. In
dem Maße, als die Kraft der oströmischen Kaiser nachließ, nahm
die Unabhängigkeit der Arnauten zu, aber im ersten Jahrhundert
der christlichen Zeitrechnung kamen die Bulgaren und Slawen
Ameisen gleich von Nordosten und Norden daher und fielen
nolens volens in das Land der oströmischen Kaiser ein; die Serben
setzten sich im Norden illyriens, nämlich in Bosnien, der
Herzegowina, in Dalmatien und Montenegro und Serbien fest und
6
Die Römer nannten sie ‘Via Egnacia’.
die dem Tatarenstamme angehörenden Bulgaren schloßen sich
ihnen an und gelangten bis Makedonien. Die Arnauten, welche
die Ureinwohner Makedoniens sind, wurden gezwun-gen nach
Norden und Westen auszuweichen und in die Berge Albaniens
zu ziehen. Der größte Teil der in Illyrien befind-lichen
Arnauten hatte zwar seine Wohnsitze nicht verlassen, doch
vermengten sie sich derart mit den Slawen, dass sie nach
einiger Zeit ihre Sprache vergaßen und slawisch zu sprechen
begannen. Gestützt darauf können wir sagen, dass die Bosnier
und Dalmatiner, speziell aber die Montenegriner, mehr Arnauten als Slawen sind. In ihren Adern fließt sehr viel arnautisches
Blut. Ihre organischen Formen, ihr Körperbau, ihre Sitten,
Gesänge und Horatänze ähneln denen der Arnauten sehr. Bei
den übrigen slawischen Stämmen zeigen sich diese Formen
und Qualitäten nicht. Da nun aber die von ihnen gesprochene
Sprache die serbische ist, so gelten sie eben als Slawen. Denn
die Sprache ist nun einmal in erster Linie das Kennzeichen der
nationalen Zugehörigkeit.
Auf diese Weise sind also ein großer Teil von Illyrien und die
Hälfte von Makedonien von Albanien losgerissen und
slawisiert worden. Das eigentliche Albanien bestand nur mehr
aus einem Teile des südlichen Illyrien, aus dem westlichen und
nördlichen Makedonien und aus ganz Epirus. Zur Zeit der
Römer und Byzantiner haben Illyrien, Makedonien und Epirus
ihre Namen eingebüßt und die von den Arnauten bewohnt
bleibenden Gegenden wurden nach dem arnantischen Worte
‘Arban’ ‘Albanien’ genannt.
Seit jener Zeit haben Albaniens Grenzen keine Veränderung
mehr erfahren. Auch heute sind sie noch dieselben. Nur
wurden durch den Berliner Vertrag Wranja, Leskovac, Kurschumlje, Olgun (Dulcigno), und andere Orte zu Serbien und
zu Montenegro geschlagen, die früher zu Albanien gehört
hatten. Die Albanesen aus diesen Orten haben, indem sie ihre
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Urheimat verließen und den Slawen einräumten, einen großen
Fehler begangen. Olgun ist noch ganz arnautisch und es ist
zweifellos, dass es dereinst mit Albanien wieder wird vereinigt
werden.
4. Abschnitt. Die kleinen Fürstentümer Albaniens.
Als das byzantinische Reich in der letzten Zeit seines Bestandes
ganz schwach geworden war, besaß es weder die Kraft, seine
Provinzen zu regieren, noch auch die Fähigkeit, seinen Feinden
Widerstand zu leisten. Es entstanden nun, so wie in den anderen
Teilen dieses Reiches, auch in Albanien eine Art kleiner Dynastien.
Die in der Nähe des Meeres gelegenen Gebiete aber kamen unter
die Herrschaft der Venezianer. Was die in Albanien enstandenen
Dynastien anbelangt, so waren einige davon arnautischer Abkunft,
andere wieder waren fremden Blutes und albanisiert worden.
Die Al Necib Kastriotas, die im Paradiese weilenden Ahnen
Skander Begs, und die Familie der Topia aus Arta, waren
autochthone Arnauten. Die Familie der Dukakin aus der Malissia
von Skutari, diejenige der Musaka aus der Ebene von Musaka
kamen aus der Fremde und wurden albanisiert. Wir können nicht
allen diesen zahlreichen, kleinen Reichen den Rang unabhängiger
Staaten zuerkennen. Den größten von ihnen kann wohl diese Bezeichnung gegeben werden; was die anderen Dynastien anbelangt,
so wurden sie von Stammeshäuptlingen und Bojaren gegründet,
die die Schwäche des oströmischen Reiches benützten, um sich
von ihm loszumachen. Unter diesen kleinen Reichen mangelte es
niemals an Zwistigkeiten und inneren Kriegen. Als die Türken von
Asien nach Europa kamen und anfingen, sich der Balkanhalbinsel
nach und nach zu bemächtigen, wurde ganz Albanien von derlei
kleinen Dynastien und unabhängigen Stammeschefs regiert. Die
Türken griffen diese der Reihe nach an, besiegten sie, vertrieben
die einen und ließen die anderen, welche sich unterwarfen, unter
türkischer Oberhoheit weiter bestehen.
Da auch der Fürst von Kroja (Aktschehissar), Kastriota, einsah,
dass es sehr schwierig sein würde, den Türken Widerstand zu
leisten, so schloss er mit Sultan Murad II. 7 einen Freundschaftsvertrag ab, war aber gezwungen, dem Sultan seine vier
geliebten Kinder, als Geisel auszuliefern. Das jüngste von
diesen war Alan Kerk Kastriota, der nachmalige Skander Beg.
5. Abschnitt. Albanien zur Zeit Skander Begs.
Skander Beg, welcher in Mut und soldatischer Tapferkeit, in
der Kriegskunst, in der übernatürlichen Kraft seines Körpers
und seines Verstandes, in Rechtlichkeit und Edelmut, sowie in
allen menschlichen Tugenden und Tälenten ein Wunder an
Vollkommenheit war, wie es die Weltgeschichte nicht mehr
aufzuweisen hat, Skander Beg, welcher die Arnauten und ihren
Namen groß machte und ihnen einen Ruhm schuf, der diese
Nation für immer zum Gegenstande des Glanzes und der
Größe machen wird, Skander Beg, dieser Held ohne Gleichen,
war, als er in die Gewalt der Türken kam, ein engelgleiches
Kind. Er wuchs im Palast des Sultans Murad auf und brachte
es schon in jungen Jahren zuwege, dass die ihn umgebenden
Türken angesichts seines außergewöhnlichen Mutes und seiner
Geschicklichkeiten ‘den Finger vor Staunen im Munde stecken
ließen’. Wohin immer er kam, überall siegte er und nie wurde
er besiegt. Es gab bald niemanden mehr, der sich ihm entgegenzustellen wagte. Als er von einem siegreichen Feldzuge in
Syrien zurückkehrte, erfuhr er aus Sultan Murads eigenem
Munde, dass inzwischen sein Vater in Kroja und seine drei
Brüder im kaiserlichen Palaste gestorben seien, was ihn tief
erschütterte.
7 Sultan Murad II, 1421 bis 1451, unterjochte die Walachei, Serbien
und den Peloponnes, schlug die Christen am 10. November 1444 bei Varna,
18. bis 20. Oktober 1448 auf dem Amselfelde.
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Er verhehlte sich jedoch nicht, dass es ein seltsames Vorkommnis
gewesen wäre, wenn sein Vater und seine drei Brüder binnen so
kurzer Zeit eines natürlichen Todes gestorben sein sollten und
glaubte nicht daran. Da er aber seine Existenz und diejenige Albaniens, die ihm noch mehr als die seinige am Herzen lag, nicht
gefährden wollte, so unterließ er es, Aufklärungen zu verlangen,
auf welche Weise seine Brüder ihr Ende gefunden hatten (die
jedenfalls im Kaiserpalaste das Opfer tückischer, jesidischer 8
Dolche geworden wären, wie ‘El Aba’,9 Denn er fühlte gar wohl,
dass derlei Erkundigungen auch ihn in eine schwere Gefahr
bringen konnten. In der Tat ist Skander Begs Beseitigung auch die
feste Absicht des Sultans, seines Oberherrn, gewesen.
Skander Beg begnügte sich damit, die Erfüllung derjenigen
Vertragsbestimmung zu verlangen, laut welcher die Geiseln nach
dem Tode des Vaters nach Kroja zurückgesendet werden sollten.
Von da an sandte er den Türken ein Geschlecht von bärengleichen
Helden entgegen, die mit ihnen außerordentlich schwere und
gefährliche Kriege führten. Da Seine Hoheit Skander Beg durch
seine Tapferkeit und seine übergewaltigen Fähigkeiten auch die
Achtung und Ehrfurcht der türkischen Truppen errungen hatte, so
vermochte Sultan Murad nicht, seinen Soldaten, welche in den
sicheren Tod geschickt zu werden fürchteten, Mut einzuflößen.
Es dauerte nicht lange, so fand Seine Hoheit Skander Beg den von
ihm gesuchten geeigneten Zeitpunkt, um sich nach der Residenzstadt seiner erhabenen Ahnen, Aktschehissar, zu begeben.
Dort angekommen, verjagte er die türkische Besatzung und nun
8 Jesid, Sohn Moawijas, des Gründers der Omajjaden-Dynastiee, ließ die
Familie des Chalifen Ali ausrotten und ist daher der muslimische Judas Ischariot.
9 ‘El Aba’, eigentlich der Mantel, unter dem Mohammed Fatima, Ali,
Hassan und Hussein zu schlafen pflegten. Die vier Letztgenannten sind eben
Alis Familie, die Jesid ausrotten ließ.
erhoben sich die Arnauten, welche Skander Beg als den
gesetzlichen Erben seines ruhmvollen Vaters anerkannten.
Kaum hatten sie die Nachricht von Skander Begs Ankunft
vernommen, so eilten alle Stammeschefs und die Notablen der
arnautischen Nation nach Kroja. Sie traten dort zu einer gemeinsamen Beratung zusammen und schlössen sodann eine
‘Bessa’ ab, für die Verteidigung des Vaterlandes und die
Freiheit bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und Skander
Beg als ihr Oberhaupt und ihren Oberfeldherrn anzuerkennen.
Auch wurden ihm die Versicherungen der Ehrfurcht und
Ergebenheit dargebracht und die Zeremonie der Inthronisation
vollzogen. Auf diese Weise geschah es zum ersten Male, dass
das ganze arnautische Volk zu einer Monarchie vereinigt wurde
und unter eine rechtmäßige Regierung kam.
Um Albanien neuerdings zu erobern, beeilten sich die Türken,
große Truppenkörper, ja ganze Armeen zu schicken. Aber
Skander Beg und die Arnauten warfen sich ihnen entgegen und
leisteten mannhaften Widerstand. Mit wenig zahlreichen
Kampfgenossen griff er die ungeheuren, unzähligen Scharen
der türkischen Truppen an. Einzig durch seine Tapferkeit zersprengte er die Türken und zwang durch die Kraft seines
Armes, die von ihm geschlagenen Truppen Sultan Murad II.
und dessen Sohnes Mahmud überall und jederzeit zum
Rückzuge. Selbst die Mutigsten unter den Türken gerieten in
Furcht und Schrecken.
In dieser Weise wehrten sich Skander Beg und die Arnauten
während eines Zeitraumes von mehr als dreißig Jahren, vernichteten ihre Feinde, schufen Albanien Ruhm und Ehre und
erhielten ihm die volle Unabhängigkeit. Damals erwarteten alle
europäischen Staaten von Skander Beg ihr Heil, von den
Arnauten die Errettung aus Türkennot. Denn jene waren
furchtsam und armselig. Die Magyaren und der Papst selbst
schickten Skander Beg einige Male ins Feuer, die selbst aber
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blieben daheim und sahen von weitem zu. Auch hier war seine
Hoheit Skander Beg Sieger über die Türken und solange er lebte,
bewahrte Albanien seinen Ruhm und Glanz, und seine Unabhängigkeit. Nach dem Tode Seiner Hoheit Skander Begs jedoch
fiel Albanien in die Händer der Türken.
6. Abschnitt. Die Arnauten unter türkischer Herrschaft.
Von welch blutigen und furchtbaren Kämpfen auch die Zeit
Skander Begs, dieses glorreichen Helden, erfüllt war, so sind diese
Tage doch schöne und geheiligte für unser Vaterland gewesen.
Denn damals war das arnautische Volk frei, stand unter einer
nationalen Regierung, war von ganz Europa gefürchtet, und hatte
durch seine den Osmanen gegenüber bewiesene übergewaltige
Tapferkeit großen Ruhm und Ehre gewonnen. Nach dem Verscheiden dieses muteinflößenden Helden aber wurde, wie wir
berichten müssen, Albanien ein Bestandteil des ottomanischen
Reiches. Die wegen ihres Mutes und ihrer Tapferkeit berühmten
Arnauten pflegten, da sie zu Kampf und Krieg viele Neigung
haben, diesen als Daseinszweck und Existenzmittel zu betrachten.
Seit dem Altertum gingen sie nach allen Ländern Europas, um in
deren Dienste zu treten und deren Kriege zu führen, wobei sie
sich sehr nützlich erwiesen. (In Frankreich bildeten sie die leichte
Reiterei.) Auch war es eine alte Gepflogenheit, nach Anatolien zu
ziehen, um dort in die Dienste der ottomanischen Regierung zu
treten, wobei sie sich sehr brauchbar zeigten.
Schon viele Jahre, bevor sich die Türken Albaniens bemächtigten,
gelangten viele Arnauten im türkischen Staatsdienste zum Range
von Großwürdenträgern des Reiches. Bajesid Pascha, der im
Kriege gegen Tamerlan den gefangenen Sultan Mehmed aus der
Mitte des feindlichen Heeres herausholte und ihn unter tausend
Schwierigkeiten und Gefahren in der Verkleidung eines Bettlers
rettete, soll ein ungemein kühner und schlauer Arnaute gewesen
sein.
Noch bevor Albanien in die Gewalt der Türken kam, begannen
die Arnauten den Glauben der Türken anzunehmen und
Muslims zu werden. Aber nachdem Albanien in die Hände der
Türken gefallen war, breitete sich der Islam noch weiter aus,
nach dem Grundsatze: ‘Wo das Schwert ist, dort ist auch die
Religion’. Da es aber im Charakter der Arnauten liegt, eines
Glaubens rasch müde zu werden, ihn aufzugeben und einen
anderen anzunehmen, so wendeten sie sich bald wieder von
der Religion der Osmanen ab, als sie bemerkten, dass die
Türken jene verachteten, die nicht Muslims geworden waren.
Dennoch wurden jene Arnauten, die, unter die Herrschaft der
Türken geratend, Christen geblieben waren, nicht so wie die
übrigen christlichen Nationen geknechtet und zu Rajahs
gemacht, sondern blieben gleich ihren mohammedanischen
Stammesbrüdern frei und im Besitze ihrer Waffen. Sie blieben
auch gleich den Muslims in den türkischen Armeekorps und
kämpften die Kriege gegen die Feinde der Türkei mit.
Der Nationalcharakter der Arnauten war genau so, Wie ihn
sich die türkische Regierung wünschen mochte. Dem Kämpfen,
Reiten, kriegerischen Spielen, dem Stechen und Hauen und
ähnlichen Beschäftigungen, wie sie die Türken liebten, waren
auch die Arnauten sehr ergeben. Demzufolge fanden die
Türken in den Arnauten treue und mutige Kampfgenossen,
während die Arnauten bei den Türken eine Regierung fanden,
die ganz nach ihrem Geschmacke war. In der Türkenzeit war
Albanien reicher und blühender geworden; denn die Arnauten
zogen mit den Türken zusammen überallhin in den Krieg, und
kehrten mit reicher Beute beladen, mit Gold, Silber, kostbaren
Waffen und Pferden aus Arabien, Kurdistan und Ungarn nach
Albanien zurück.
Da die Arnauten den Türken geistig und körperlich,
hinsichtlich der Intelligenz und des Mutes, überlegen sind, so
nahmen sie die höchsten Stellen ein und wurden auf den
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wichtigsten Posten ver-wendet; sie wurden sogar höher geachtet
und geschätzt, als die hohen Beamten türkischer Abkunft. So gab
es gegen 25 Größ-vezire, die Arnauten waren, und das waren
gerade die größten und mächtigsten jener Persönlichkeiten, die
diesen Posten bekleideten.
In Albanien dagegen konnte kein Fremder irgend eine Anstellung
erlangen; sämtliche Posten, größe und geringe, wurden stets von
Arnauten innegehabt. Wir können sagen, dass Albanien ausschließlich nach albanesischen, lokalen und nationalen Grundsätzen regiert wurde, während diejenigen der türkischen Oberherrschaft durchaus nicht maßgabend waren. Auch sind den Arnauten,
abgesehen von ihrem Blute, das sie, Muslims wie Christen, in den
Kriegen vergossen, keinerlei Steuern auferlegt worden.
Aus diesen Gründen befanden sich die Arnauten und die Osmanen in der Verbindung, die sie miteinander eingegangen waren,
sehr wohl. Denn dasjenige, was die Arnauten liebten: Reichtum,
Achtung, Waffen, Pferde, Beute und die ihnen unentbehrliche
Freiheit, fanden sie bei den Türken; und dasjenige, was die Türken
verlangten: Tapferkeit, Treue, Todesverachtung, fanden sie bei
den Arnauten.
Bis zur Zeit der ‘Tansimat’10 waren ihre Beschäftigungen solcher
Art; die nach jenen bis heute eingetretenen Veränderungen werden
in einem besonderen Kapitel besprochen werden.
7. Abschnitt. Das arnautische Volk und seine Sprache.
Die Arnauten sprechen eine der ältesten und schönsten Sprachen
der Welt. Alle Idiome, welche mit dem Albanischen von gleichem
Alter waren, sind vor einigen tausend Jahren verschwunden, und
‘Tansimat’ (Reformen) heißen die durch den kaiserlichen Hatt-i scherif
(Handschreiben) vom Jahre 1839 oktroyierten einschneidenden Reformen.
10
werden nirgends auf Erden mehr gesprochen. An ihre Stelle
sind einige neue Sprachen getreten, die aus jenen hervorgingen.
Mit dem Albanesischen von gleichem Alter sind: das
Altgriechische, das die Sprache der alten Inder darstellende
Sanskrit, das Altpersische, die Zendspräche, die keltische, also
die Sprache der alten Franken, das Teutonische, das ist die
Sprache der alten Germanen und andere. Alle vorerwähnten
Sprachen, von welchen einige ebenso alt, andere jünger wie das
Albanesische sind, werden zu den toten Sprachen gerechnet
und, abgesehen von den Gelehrten, nirgends mehr verstanden.
Unsere Sprache aber, die albanesische, welche noch älter ist als
jene, ist noch so, wie sie zur Zeit der Pelasger war und lebt
noch immer.
Es ist zweifellos, dass die Pelasger das älteste der Urvölker
Europas sind. Es lassen sich sehr viele Beweise dafür erbringen,
dass unsere Sprache dieselbe ist, welche schon die uns
mythisch erscheinenden Pelasger gesprochen haben. Es
werden noch heute im Albanesischen die aus dem Kultus der
Pelasger und aus der altgriechischen Mythologie stammenden
Namen der Gottheiten und in den alten Sagen vorkommende
Wörter gebraucht. Daraus ergibt sich klar, dass die vor so
vielen Jahren von den Pelasgern gesprochene Sprache dasselbe
Albanesisch ist, dessen wir uns heute bedienen. Wenn auch ein
geringfügiger Unterschied vorhanden sein mag, so dürfte diese
Differenz doch so unbedeutend sein, dass wir – angenommen,
wir stünden einem alten Pelasger gegenüber – uns mit ihm
verständigen könnten, ob wir nun ein Ghege, Toske, Tschama
oder Gorar sind.
Wenn man die Feinheiten der Albanesischen Grammatik und
Syntax, die zahlreichen Deklinationsformen der Substantive,
der Artikel und Fürwörter ins Auge faßt – Feinheiten, die nicht
einmal moderne Sprachen aufzuweisen haben – und bedenkt,
dass schon die alte Sprache so kunstvoll und ausgebildet war,
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so ergibt sich daraus, wie ungemein alt und unverändert eine
Sprache sein muss, die schon in den mythischen Zeiten so vollendet war.
Das Kennzeichen der Nationalität ist die Sprache. Jedes Volk
besitzt sein eigenes Idiom. Ein Volk, das seine Sprache vergisst
oder die Muttersprache aufgibt, um sich eines anderen Idioms zu
bedienen, verliert im Laufe der Zeit auch sein ursprüngliches
Volkstum und wird ein Bestandteil desjenigen Volkes, dessen
Sprache es gebraucht. Wir wollen damit nicht etwa sagen, dass all
diese vielen Nationen ausgestorben oder ausgerottet worden seien.
Nein, dem ist nicht so. Wir meinen nur, dass sie in jenen Völkern
aufgingen, mit denen sie sich vermischten und deren Sprache sie
annahmen.
So vermengten sich die Makedonier, die Thraker, die Phrygier, die
nördlichen Illyrier und andere zu den Pelasgern gehörende Völker,
Stämme also, die wie wir zu den Albanesen zählten, mit anderen
Völkerschaften, büßten ihre Sprache ein und verschwanden auf
diese Art. Nur die Arnauten jener Gebiete, die heute Albanien
bilden, mischten sich mit fremden Völkern nicht, hielten ihre
Sprache fest, und so ist die heute in Albanien und unter den
Arnauten gebräuchliche Sprache dieselbe, welche schon von den
uns mythisch anmutenden Pelasgern gesprochen wurde.
Wie konnten nun die Arnauten, die doch mitten unter fremden
lind wilden Völkerschaften lebten, ihre alte Sprache unversehrt
und unverändert erhalten? Es gab doch so viele alte Sprachen, es
gab ihre Schriften, ihre Bücher, ja ihre vollständige Literatur, und
sie gingen dennoch entweder zugrunde oder erlitten so viele
Veränderungen, dass die aus ihnen hervorgegangenen neuen Idiome ganz andere Sprachen sind. Wieso ging nun nicht auch die
Sprache der Arnauten zugrunde, wieso erlitt gerade sie keine Veränderungen? Diese Frage zu beantworten ist sehr leicht: die Albanesen bewahrten sich ihre Sprache nicht durch die Literatur, die
Wissenschaften, die Zivilisation, sondern einzig und allein durch
die Freiheit. Das heißt dadurch, dass sie sich stets selbst regierten, jede Vermischung mit den anderen Völkern vermieden, in
ihre Gebiete die Fremden (Türken und andere) nicht hineinließen und den Fremden keinerlei Einmengung in ihre internen
Angelegenheiten gestatteten, vermochten sie ihre Nationalität
und ihre alte Sprache zu erhalten. Indem sie sich von der
ganzen Welt absonderten, von der Wissenschaft und dem
Handel fernhielten, auf den Bergen und an schwer zugänglichen Orten isoliert lebten, konnte bis heute die alte Sprache
und das Volkstum der Arnauten rein erhalten werden
Dachten nun aber die Albanesen niemals daran, ihre Sprache
zu lesen und zu schreiben? Das ist allerdings eine wunderliche
Sache. Die Mehrzahl der in den Bergen sozusagen im Zustande
der Wildheit lebenden Pelasger-Stämme mochte allerdings in
dieser Beziehung keine Nötigung empfinden und hatte es wohl
nicht nötig, eine Schriftsprache einzuführen. Wieso kommt es
aber, dass die Makedonier, welche doch ein großes und
mächtiges Reich, gegründet hatten, dass das Reich des Pyrrhus
von Epirus, dass der Staat der Teuta von Illyrien nicht das
Bedürfnis fühlten, ihre Sprachen zu schreiben? Warum hat sich
Philipp von Makedonien, der sich doch um die Wohlfahrt
seines Landes und Griechenlands bemühte, nicht damit befaßt,
das Albanesische ebenso wie das Griechische lesen und schreiben zu lassen? Leider müssen wir sagen, dass auch Alexander
der Große hierzu keine Zeit gefunden hat. Warum haben aber
auch die Ptolemäer, die in Alexandrien für die Künste und
Wissenschaften und für das Griechische so viel getan haben,
nicht an ihre Muttersprache gedacht, warum haben sie für das
Albanesische nicht ein eigenes Alphabet geschaffen, wo sie
doch in den umliegenden Ländern Asiens und Afrikas Völker
vor Augen hatten, die ihre Sprache lesen und schreiben konnten? Auch die Römer haben ja zuerst die altgriechische Sprache
gelernt und in dieser Sprache Philosophie und die Wissenschaften studiert; dennoch haben sie auch ein eigenes Alphabet
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für die lateinische Sprache geschaffen und diese Sprache gelesen
und geschrieben
8. Abschnitt. Die Arnauten muhten sich stets für andere Völker und
arbeiteten nie für sich selbst.
Der berühmte deutsche Philologe Dr. Hahn, der zur Erforschung
Albaniens viel beigetragen hat, entdeckte auf einigen in Albanien
gefundenen Grabsteinen eingravierte Inschriften, deren Lettern
den Phönikiscben sehr ähnlich, und deren Texte arnautische
waren. Daraus würde sich ergeben, dass die Arnauten in ihrer
Sprache schreiben konnten. Nur konnten solche Inschriften sonst
nirgends mehr aufgefunden werden und andere Spuren und Beweise dafür, dass die Arnauten sich derartiger Buchstaben bedienten, gibt es außer jenen Grabsteinen nicht.
Wie wir schon oben sagten, haben die Arnauten, indem sie ihr
Blut vergossen, jederzeit viel Treue und Nützlichkeit gezeigt;
aber von dem Blute, das die Arnauten verspritzten, haben
immer nur Andere Nutzen gezogen, Albanien hat von diesem
Blute keinerlei Vorteil gehabt Sehr viele und hervorragend
große Taten sind von Arnauten vollbracht worden; stets aber
brüsteten sich die fremden Völker mit diesen berühmten
Männern, und brüsten sich noch jetzt damit. Pyrrhus und
Alexander den Großen zählen die Griechen zu den Ihren!
Wohl wurden auch in Kleinasien, in der Umgebung von Angora,
einige Grabsteine mit griechischen Lettern, ferner in der italienischen Provinz Etrurien solche mit lateinischen Lettern aufgefunden, deren Texte weder griechisch noch lateinisch waren, und
von denen vermutet wird, dass sie albanesisch seien und aus der
Zeit der pelasgischen Stämme der Phrygier und Etrusker stammen;
doch sind diese Beweise nicht klar genug und zu wenig überzeugend. Immerhin scheint daraus soviel hervorzugehen, dass die Arnauten hie und da albanesische Texte mit Benützung von phönikischen, griechischen und lateinischen Buchstaben geschrieben haben. Auch sind ja einige solche Dichtungen und Erzählungen, die
im griechischen, lateinischen und arabischen Alphabete geschrieben sind, gegenwärtig noch erhalten. Aber das sind keine wertvollen Sachen; wohl aber ist die albanesische Sprache wichtig, und
doch haben die Arnauten nicht daran gedacht, ihre eigene Sprache
mit einem nationalen Alphabete zu schreiben, und so ist eben
unsere Sprache bis zum heutigen Tage ungeschrieben geblieben.
Die Makedonier, welche in so kurzer Zeit große Eroberer
wurden, taten für ihr Vaterland und für das Arnautische, das
ihre Muttersprache war, nichts; wohl aber haben die Griechen,
die ihre Feinde waren und unter ihre Botmäßigkeit gerieten,
aus dem vergossenen Blute Vorteil gezogen; denn nicht die
Sprache der Makedonier fand in die von ihnen eroberten
Gebiete Eingang, sondern vielmehr die Sprache und Gesittung
der Griechen; darum wurden jene Länder als griechisch
betrachtet. Und doch konnte offenbar der Sprache und
Gesittung der zu Makedoniern gewordenen alten Griechen
dieses Recht nicht zustehen und sie hätten eigentlich
untergehen müssen. Statt dessen aber machte die griechische
Sprache und Sitte zur Zeit der Ptolemäer in Alexandrien große
Fortschritte und gewann an Ausbreitung.
Die Ptolemäer stammten aus der Provinz Tschamiri des
jetzigen Albanien, und auch die Makedonier waren echte
Arnauten; dennoch haben sie sich, ihre eigene Sprache, das
Arnautische, zur Seite schiebend, in den Dienst der Sprache
der Griechen gestellt, und die von Demosthenes gegen sie - die
Makedonier - gehaltenen heftigen Reden vergessen!
Nach den Griechen kamen die Römer an die Reihe. Auch diese
haben von den Arnauten sehr viel Nutzen gezogen. Die
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Tapferkeit und Intelligenz der Albanesen hat viel zum Wachsen
der römischen Macht und des römischen Prestiges beigetragen;
auch in der Römerzeit gingen aus den Reihen der Arnauten viele
gewaltige Männer hervor, die aber als Römer angesehen wurden.
Nach den Römern kamen die Türken an die Reihe. Nach der
Vereinigung der Arnauten mit den Türken kämpften sie in jedem
Kriege Schulter an Schulter und die Arnauten waren es, die die
größte Tapferkeit und Geschicklichkeit ah den Tag legten. Was
hilft das aber, wenn der Ruhm stets den Türken zufiel und die
Arnauten als Türken galten! Die größten und besten Vezire der
Türken waren Albanesen. Der Eroberer Jemens, Sinan Pascha,
welcher die türkische Flagge bis zum Indischen Ozean trug,
Köprülü¸, welcher, nachdem er das türkische Reich vom sicheren
Untergange gerettet hatte, Wien belagerte, und noch viele andere
Persönlichkeiten, die sich als Stützen des Reiches bewährt hatten,
waren Söhne Albaniens. Die Türkei hatte von diesen Männern
sehr viele Vorteile, Albanien aber, ihr Vaterland, hatte von ihnen
keinerlei Nutzen.
In den letzten Zeiten haben mohammedanische Arnauten für die
Türken, und christliche Albanesen für die Griechen ihr Blut
vergossen und vergießen es noch. Die Türken sowohl wie die
Griechen, statt die ihnen geleisteten Dienste zu belohnen, arbeiten
im Gegenteil an der Vernichtung der arnautischen Sprache und
des albanesischen Volkstums.
Die Arnauten haben das meiste dazu beigetragen, dass das jetzige
Griechenland geschaffen werden konnte; fast alle ihre Helden:
Botsari, Tschawela, Majoli und andere, waren Albanesen;
gebürtige Griechen waren es nicht, und doch zogen nur diese aus
dem Mute jener Vorteil. Was Albanien anbelangt so erntete es
keinen Nutzen, sondern nur Schaden ein. Außerlich betrachtet,
haben Türken mit Griechen Krieg geführt, tatsächlich aber haben
mohammedanische Albanesen mit christlichen Arnauten gekämpft.
Wenn die christlichen Arnauten siegten, kam dies den Griechen
zugute, siegten die mohammedanischen Albanesen, so hatten
die Türken den Gewinn davon. Das auf beiden Seiten
vergossene Blut aber war arnautisches. Die Arnauten metzelten
einander nieder, und den Nutzen davon hatten die anderen!
Die Arnauten haben ihr eigenes Blut schonungslos, aber auch
nutzlos verspritzt; denn niemals kam dieses Blut irgendwie
Albanien zugute. Jederzeit profitierten und profitieren die
Fremden, und meistens die Feinde von dem Blute, das die
Arnauten ohne Überlegung vergießen.
Nicht nur mit dem Schwerte allein, auch mit der Feder leisteten
die Albanesen den Fremden Dienste. Da sie ihre eigene
Sprache nicht schreiben konnten, so waren sie gezwungen, in
griechischer, lateinischer, türkischer, arabischer Sprache zu
schreiben, und so schufen sie mit arnautischen Talenten nicht
sich, sondern den Herren dieser Sprachen Ruhm und Ehre.
Obendrein wurden dann noch die Albanesen als ungebildet
und blutdürstig betrachtet und mit dem Spotte ‘sie hätten ihre
Bücher verschluckt’, verhöhnt.
Und doch war der größte Philosoph des alten Griechenland,
Aristoteles, kein Grieche sondern Albanese. Wohl waren nach
Stagora, dem im Wilajete Salonik gelegenen Geburtsorte des
Aristoteles, Griechen aus der Fremde eingewandert. Es ist aber
aus den Gesichtszügen, die seine Statue zeigt, dann aus gewissen Eigentümlichkeiten in seinen griechisch geschriebenen
Werken, aus seinen herzlichen Beziehungen zu Philipp von
Makedonien, der ja Griechenlands größter Feind war, und aus
anderen Umständen zu schließen, dass jener große Philosoph,
der in der makedonischen Kasba (Marktflecken) Stagora lebte,
nicht dem griechischen Volksstamme, sondern den dortigen
Ureinwohnern Makedoniens angehört hatte, mithin Arnaute
war.
Auch in der Türkenzeit haben sehr viele Albanesen türkische
und arabische Bücher und Dichtungen verfasst, besonders die
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türkische Poesie wurde von ihnen gepflegt. Der unter den
türkischen Dichtern eine hervorragende Stellung einnehmende
Jahy Bey war ein Arnaute. Die Albanesen haben jederzeit, sei es
mit dem Schwerte, sei es mit der Feder und dem Verstande, Beweise ihrer Fähigkeiten geliefert, keiner von ihnen aber hat jemals
für Albanien gewirkt; stets haben sich nur andere Nationen mit
den Leistungen arnautischer Söhne gebrüstet und von ihnen
Nutzen gezogen.
Zur Wiedererweckung Ägyptens war ein Arnaute fähig; Mehmed
Ali, ein Albanese, der weder lesen noch schreiben konnte,
verstand es, ein mächtiges und blühendes Reich zu schaffen; aber
Albanien hat niemand einen solchen Dienst geleistet. Indem wir
diese Zeilen beendigen, müssen wir daher mit Bedauern sagen,
dass die Albanesen jederzeit für die fremden Völker arbeiteten,
niemals aber für ihre eigene Sprache und ihr Vaterland sich
bemühten. Für Albanien arbeitete einzig und allein: Skander Beg.
Dieser unvergleichliche Held allein ist in Wahrheit Albaniens und
der albanesischen Nation geheiligte Inkarnation und das Zenith
ihres Ruhmes.
II. Kapitel. Was ist Albanien?
1. Abschnitt. Albaniens Grenzen.
Wir haben gesehen, welche Ausdehnung im Altertum die von
Albanesen bewohnten Gebiete hatten, bis wohin dieses Volk
vordrang und wie es sich in Illyrier, Epiroten, Thraker, Phrygier
und andere Stämme teilte. Wir haben gesehen, wie zur Römerzeit
die Makedonier, Thraker und Phrygier, indem sie sich mit fremden
Völkern vermischten, ihre Sprache und ihr Volkstum einbüßten
und wie schließlich zur Zeit der Byzantiner die Slawen in die ganze
Balkanhalbinsel eindrangen und sich in Thrakien, Makedonien und
dem nördlichen Illyrien festsetzten.
Seit jener Zeit hat sich Albanien sehr verkleinert. Von den
Gegenden, die der Wohnsitz unserer Ahnen, der Pelasger,
waren, sind nur das untere oder südliche Illyrien, Epirus und
der obere oder nördliche Teil von Makedonien übrig geblieben.
Nur sind die Namen Illyrien, Epirus, Makedonien und andere
Benennungen heute nicht mehr gebräuchlich und gehören der
alten Geographie an. Heute werden die Gegenden, welche von
den Arnauten bewohnt sind, in unserer Sprache ‘Schkiperi’ und
in den fremden Sprachen ‘Albania’, ‘Arnaudlük’ genannt.
Albanien bildet im Südosten von Europa einen Teil der
Balkanhalbinsel. Es liegt im Westen der Halbinsel in dessen
Mitte und grenzt an das Adriatische und Griechische Meer. Es
reicht vom 42. Grad nördlicher Breite bis zum 39. Grad, noch
unterhalb des Golfes von Arta. Albaniens Grenzen laufen,
sobald es sich vom Meere getrennt hat, Montenegro und
Novibasar entlang ein wenig über den 43. Grad hinaus bis zur
Grenze von Serbien. Im Süden zieht die Grenze am ArtaFlusse entlang, dann an Griechenland hin bis zum ZygosGebirge. Dann kommen wir zur östlichen Grenze. Sie läuft
von der serbischen Grenze in der Gegend von Wranja bis zur
griechischen Grenze beim Zygos-Gebirge. Möglich ist es aber
auch, wenn man die autochthonen Völker ins Auge fasst, eine
andere, durch den Zug der Gebirge, Flüsse und Bäche
bestimmbare Trennungslinie zu konstruieren, die Albanien von
den übrigen Völkern der Balkanhalbinsel scheiden würde.
Auf diese Weise befindet sich Albanien zwischen dem 43. und
39. Grad nördlicher Breite und dem 17. und 19. Grad 24'
östlicher Länge. Demzufolge beträgt Albaniens Länge 450 und
seine Breite 200 Kilometer, sein Flächeninhalt zirka 80.000
Quadratkilometer.
Im Norden Albaniens liegen Montenegro, das unter der
Verwaltung österreichs stehende Novibasar oder Bosnien und
Serbien, im Osten Makedonien, im Südosten Griechenland. Im
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Westen und Südwesten ist es vom Meere eingeschlossen, welches
es von Italien und dem zivilisierten und erleuchteten Europa
trennt.
2. Abschnitt. Die albanesischen Landschaften.
Das von den im Vorstehenden gekennzeichneten Grenzlinien
umschlossene Land ist Albanien, unser geliebtes Vaterland, das zu
den schönsten Ländern Europas gehört. Es ist vielleicht nicht
besonders reich und fruchtbar, aber es ist über alle Maßen schön.
Es ist gebirgig, seine Berge sind hoch und rauh und bieten auch
den Anblick gewaltiger Felsmassen. Aber die Bergabhänge sind
mit dichten Wäldern bedeckt und voll kalten, schmackhaften
Wassers. Sie haben viele Klüfte, in denen während des ganzen
Sommers der Schnee liegen bleibt. Sie sind mit schönen Pflanzen
geschmückt, von welchen sich die Tierwelt nährt und mit allen
Gattungen von Kräutern, die zur Heilung von Krankheiten dienen.
Sie sind voll von Metallen, die seit Erschaffung der Weit in ihnen
ruhen.
Es gibt in Albanien weite und fruchtbare Ebenen, die, wenn die
durch sie fließenden Flüsse und Bäche reguliert werden würden,
vollständig bewässert werden könnten. Da sich aber heute
niemand um sie kümmert, so gerieten sie infolge von
Überschwemmungen in sumpfigen Zustand. Wenn die Täler urbar
gemacht und bewässert würden, so könnte allein schon die Ebene
von Musaka die Ernährung von ganz Albanien auf sich nehmen.
Die Ebenen von Kossowo und Monastir, die Umgebungen von
Tetowo und Uesküb gehören zu den schönsten der Welt und die
aus den dortigen Gegenden stammenden Feldfrüchte sind die
besten von allen.
Die mit Olivenbäumen bedeckten Hügel der Tschamuria, sowie
die Orangen-und Zitronenhaine haben ihresgleichen nicht. Die
ganze arnautische Meeresküste entlang ziehen sich schöne Wälder
und Olivenpflanzungen. Die Orange wächst auch im Innern
Albaniens bis nach Elbassan.
Es gibt viele Flüsse und Bäche. Mit nur wenig Mühe könnte
sehr viel Boden bewässert werden. Wenn an einigen Stellen
Ausbaggerungen vorgenommen würden, so könnten kleine
Dampfer und Schiffe von den Mündungen der Flüsse in das
Landesinnere verkehren.
In Albanien befinden sich die schönsten Seen der
Balkanhalbinsel: der Skutari-, Ochrida-, Presba-, Kastoria-,
Jania-See und andere Seen, welche voll von Fischen aller Art
sind und sämtlich von kleinen Dampfern befahren werden
können.
Auch viele wertvolle Haustiere werden heute in Albanien
gezogen, das Schaf, die Ziege, das Rind, das Pferd und andere.
Das Fleisch und die Wolle der in Albanien gezüchteten Hammel wird nach Stambul und anderen Orten der Türkei
verfrach-tet. Die Ebene von Musaka vermag sehr viel Pferde
zu erzeugen und von welch kleiner Statur auch immer diese
Pferde sein mögen, so sind sie doch kräftig und ihre Bewegungen rasch und leicht.
Die Albanesen haben Neigung und insbesondere Geschick zu
jeder Art von Viehzucht und wenn sich eine Regierung fände,
die in dieser Hinsicht den Weg weisen und erleichtern, das
heißt die Bevölkerung belehren würde, wie die Viehzucht
rationell zu betreiben wäre, so würde sich Albanien durch die
Viehzucht allein ernähren können Zusammenfassend kann
gesagt werden, dass Albanien, so klein es auch ist, verschiedene
Klimate und Bodengattungen und sehr viele für die Viehzucht
nützliche Dinge aufzuweisen hat, so dass es bei guter
Wirtschaft emporkommen und selbst das Vierfache seiner
Bevölkerung erhalten könnte.
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3. Abschnitt. Die Bevölkerung Albaniens, die Arnauten.
Innerhalb des durch die im vorletzten Abschnitte beschriebenen
Grenzlinien gebildeten Albaniens leben zirka zwei Millionen und
vielleicht noch mehr Menschen. Unter diesen sind annähernd
hunderttausend Walachen oder Zinzaren, die in den Pend-Bergen
und an anderen Orten ansässig sind, und die gleiche Menge
Griechen in der Umgebung von Janina, sowie Slawen in Monastir
und Kossowo. Es mögen aber auch diese nichts anderes als
Arnauten sein, die durch Kirche und Schule gräkisiert, beziehungsweise slawisiert worden sind, und ihre Sprache eingebüßt haben.
Viele von diesen hatten weder Haus noch Hof, andere wieder
trieben auf ihrem eigenen Grund und Boden Ackerbau und ließen
sich Leute von weit her kommen, um ihre Äcker zu bestellen.
Denn da sich die Arnauten dazumal mit dem Kriege beschäftigten,
so mochten sie die Waffen nicht im Stiche lassen und sich nicht
mit Hacken und Graben abgeben.
Die übrigen Gebiete Albaniens sind mit echten Arnauten besiedelt,
die unter den Namen Ghegen und Tosken, wie wir wissen, zwei
große Stämme bilden. Der Fluß Schkumbi trennt die Gebiete der
Ghegen von jenen der Tosken; aber auch südlich von dem
genann-ten Flusse gibt es etliche Ghegen, die auch die Mundart
der Ghegen sprechen.
Zwischen Ghegen und Tosken gibt es im Grunde genommen
keinen Unterschied; beide Stämme sprechen, mit geringfügigen
Variationen, dasselbe Idiom, und sobald die Sprache sich weiterentwickelt haben wird, dürften auch diese Verschiedenheiten bald
verschwinden.
Was den Glauben anlangt, so spalten sich die Albanesen in
Muslims und Christen, und zwar gibt es von den Ersten zwei
Drittel, von den Letzten ein Drittel. Von den Christen sind die
Hälfte römische und unierte Katholiken, die andere Hälfte
Orthodoxe. Auch die Muslims spalten sich in Sunniten und
Bektaschis.
Aber diese religiösen Verschiedenheiten geben keinen Anlass
zu Zwietracht und Uneinigkeit unter den Albanesen. Doch ist
das nur bei den orientalischen Völkern nicht der Fall. In den
zahlreichen erleuchteten Ländern Europas dagegen sind sie Ursache zu großen Kriegen und fürchterlichen Metzeleien gewesen. In Albanien kennt man Religionskämpfe nicht; zwischen
Christen und Muslims, zwischen Katholiken und Orthodoxen,
zwischen Sunniten und Bektaschis haben erhebliche Zwistigkeiten nicht stattgefunden, derlei Gehässigkeiten sind in Albanien unbekant.
Bevor der Arnaute Christ oder Muslim ist, ist er Arnaute. Was
immer die Urreligion der Arnauten – nämlich die Religion der
alten Pelasger – gewesen sein mag, bevor sie den christlichen
Glauben annahmen, so sind ihre Anschauungen die gleichen
geblieben; auch nachdem sich die Albanesen dem Islam zugewendet hatten, blieben diese Anschauungen dieselben. Sein
Glaube hat den Arnauten nicht verändert; der Albanese hat
niemals den Glauben über sein Volkstum gestellt, er hat immer
seine Nation höher gehalten als seine Religion. Vermöge dieser
ihrer von Zeitalter zu Zeitalter überlieferten Gesinnung und
der heißen Liebe zu ihrer Nation vermochten es die Arnauten,
ihr Urvolkstum und ihre Sprache inmitten so vieler Gefahren
rein zu erhalten. Was auch die Albanesen vor einigen Jahrtausenden gewesen sein mögen, so sind sie doch, ungeachtet
der Veränderungen der religiösen Anschauungen und des
Wandels der Zeiten auch heute noch dieselben, die sie waren.
Wie immer die Pelasger der mythischen Zeiten, die Illyrier und
Makedonier des Altertums, die Epiroten zur Zeit Skander Begs
gewesen sein mögen, die heutigen Albanesen sind noch dasselbe alte Volk, das jene in grauer Vorzeit waren.
Alles was einer Nation nötig sein mag, besitzen die Albanesen.
Sie sind so mutig und stark, dass die Männer und Frauen, da
ihrer zwei Millionen sind, im Notfalle 300.000 Krieger ins Feld
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stellen könnten, vielleicht auch mehr, während schon diese Zahl
von Kriegern einer Million Soldaten jedes anderen Volkes das
Gleichgewicht hält. Dass die Arnauten große Tapferkeit besitzen
und im Kriege gewaltiges Ungestüm an den Tag legen, behaupten
nicht nur wir allein, auch unsere Feinde leugnen dies nicht und es
wird nirgends bestritten.
Da es nun so ist, so leidet es keinen Zweifel, dass die Arnauten in
der Lage sind, jeder Gefahr gegenüber ihr Land zu behaupten.
Infolgedessen kann Albanien nicht in fremde Hände fallen und
würde seine Freiheit stets zu wahren wissen. Da er nun so stark
und mutig ist, warum soll der Arnaute nicht selbst der Herr seines
Landes sein? Warum soll er sich nicht selbst regieren können?
Aber nicht nur mutig und stark ist der Arnaute, er ist auch fähiger
und begabter als alle anderen Nationen; in jeder Wissenschaft, in
jeder Kunst ragt er über die anderen hinaus und zeichnet sich vor
allen aus. Unermüdlich bearbeitet er den Boden, hebt tiefe Kanäle
aus, und vermag jede große und geringe Arbeit zu verrichten.
In der Eisenindustrie ist der Arnaute ein geschickter Meister, er
verfertigt schöne Messer, Scheeren, Waffen u.s.w. Er kann die in
europäischen Fabriken mit hochentwickelten Maschinen hergestellten Waffen mit der Hand vermittelst seiner mangelhaften
Werkzeuge so trefflich herstellen, dass sie sich von jenen absolut
nicht unterscheiden. Die Arnauten können Seide, Wolle, Baumwolle und Flachs verarbeiten; sie erzeugen Leinwand, Serge und
anderes. Aus dem Felle der Tiere machen sie Saffian, Leder, Sohlleder und Pelze.
Auch mit der Herstellung von Käse, Butter, Olivenöl, Wein und
der gebräuchlichsten sonstigen tierischen und pflanzlichen Produkte beschäftigen sich die Albanesen.
Die arnautischen Frauen sind ehrbar, schön, süß, reizend, und
gleich ihren Männern voll Mutes. Sie bekümmern sich ausschließlich um die häuslichen Angelegenheiten, die Männer bekümmern
sich um diese Dinge nicht. Abgesehen davon, dass sie die
nationalen Trachten, Schuhzeug und die übrigen für Männer
und Frauen nötigen Kleidungsstücke herstellen, sind die
Frauen auch in der Werkstatt und beim Stickrahmen sehr
geschickt. Sie verstehen es, feine Leinwand, Seide und vortrefflichen Musseline zu erzeugen
Kurz, die Arnauten sind mutig, gescheit, arbeitsfreudig und in
jeder Tätigkeit Meister. Trotzdem sie verschiedenen Glaubensbekenntnissen angehören, gibt es unter ihnen keine Zwietracht,
keine Uneinigkeit, es gibt nur Eintracht und Liebe. Die
Arnauten besitzen alles, was ein Volk braucht, um vorwärts zu
kommen.
4. Abschnitt. Die in der Fremde lebenden Albanesen.
Außer den zwei Millionen in Albanien ansässigen Arnauten,
gibt es im Auslande noch mehr als eine halbe Million
Albanesen: In Italien, Griechenland, in einigen Gegenden der
Türkei, in Montenegro und anderen Ländern. Die meisten
dieser Arnauten sind in Griechenland und Italien.
Die in Griechenland befindlichen Arnauten haben sich noch
vor der Türkenzeit dorthin begeben, als sie in der
byzantinischen Epoche aus Furcht vor den von Norden her
eindringenden Hunnen und anderen wilden Völkerschaften aus
Albanien nach Griechenland geflüchtet waren. Als die
Barbaren, überallhin das Chaos bringend, auch nach Albanien
kamen, verließen Tausende von Arnauten voll Schrecken ihre
Wohnsitze und begaben sich nach den Inseln, nach Morea,
Attika und nach anderen Gegenden Griechenlands. Sie fanden
die meisten dieser Gebiete menschenleer, konnten aber auch
dort, wo das griechische Element vorhanden war, dank ihrer
eigenen numerischen Überzahl ihre Sprache, das Arnautische,
erhalten und sprechen auch heute noch albanesisch. Hydra,
Spetsä, Poros, Kuluri (Salamis), Ägina und andere Inseln sind
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(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
noch heute von echten Arnauten bewohnt, und eine andere als die
albanesische Sprache wird dort nicht gebraucht. Der größte Teil
der Bevölkerung der Landschaft Attika besteht aus Arnauten.
Bevor Athen die Hauptstadt des jetzigen Griechenlands wurde,
war es ein von Arnauten bewohnter kleiner Marktflecken, und
außer dem Albanesischen hörte man dort keine andere Sprache.
Es heißt, dass auch heute noch ein Drittel der Bevölkerung des
heutigen Griechenland (ohne Thessalien) Arnauten seien. Sicher
ist aber, dass ein Viertel der Bewohner echte Albanesen sind.
Damals haben sich auch nach anderen Gegenden sehr viele
Arnauten zerstreut. So sind auf den in der Nähe Konstantinopels
liegenden Inseln des Marmara-Meeres, in den Umgebungen
Adrianopels und Philippopels einige Ortschaften von unierten
Albanesen bewohnt. (Außer den in der Umgebung von Philippopel liegenden Dörfern gibt es auch im nördlichen Bulgarien, bei
Tirnowa, viele von Arnauten bewohnte Ortschaften. Abgesehen
von einigen nationalen Bräuchen, die sie noch beobachten, haben
sie ihre Sprache gänzlich verloren und sind bulgarisiert worden.)
Die in Italien befindlichen Arnauten leben in Kalabrien und
Sizilien. Auch die dortigen echten Arnauten haben dadurch, dass
sie sich in den aus ihnen bestehenden Ansiedelungen von den
Italienern abseits hielten, ihre Sprache und ihren Glauben – sie
sind Orthodoxe – erhalten können. Dieser Arnauten gibt es mehr
als 300.000, und sie alle sprechen albanesisch. Sie sind damals, als
nach Skander Begs Tode Albanien in die Hände der Türken fiel,
von dort geflüchtet.
Damals haben hunderttausende von Albanesen ihr Vaterland
verlassen, und sich nach sehr vielen Gegenden Europas zerstreut;
aber sie haben, indem sie sich mit den dortigen Einwohnern
mischten, im Laufe der Zeit ihre Muttersprache verlernt.
Infolgedessen sind einige große Familien verloren gegangen und
nur ihr Ruhm ist übrig geblieben. Es hat in Italien solche berühmte Familien gegeben, welche den Künsten und Wissenschaften,
dem Wohlstande und dem Ansehen Italiens wertvolle Dienste
geleistet haben. Auch ein Papst, Clemens XII.11 ist aus einer
solchen Familie hervorgegangen. Von den damals in großer
Zahl nach Europa geflüchteten Albanesen konnten nur jene
ihre Sprache und ihr Volkstum retten, die nach dem Königreiche Neapel gegangen waren, dem Skander Beg Unterstützung und Wohltaten hatte zuteil werden lassen, und die
sich dort beisammen gehalten hatten.
Obwohl ihre Sprache, die die toskische Mundart und mithin
echt albanesisch ist, einige Veränderungen erlitten hat, indem
sie italienische Bestandteile in sich aufnahm, so haben die
Arnauten Italiens in ihrer Sprache doch noch uralte Wörter, die
wir selbst schon vergessen haben.
Viele weise und edle Persönlichkeiten unter den Arnauten
Italiens haben ihrer Muttersprache und ihrer Nation viele
Dienste und Anhänglichkeit bewiesen. Sie haben alte Gesänge
und einige Gedichte gesammelt und drucken lassen, und auch
andere Werke herausgegeben. Die Arnauten Italiens haben
aber nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem Schwert
sich nützlich gemacht, indem sie unter Garibaldi sich durch
Mut und Geschick hervortaten.
So gibt es denn in und außerhalb Albaniens mehr als
zweieinhalb Millionen Arnauten, die die albanesische Sprache
sprechen.
5. Abschnitt. Wie geht es den Arnauten heute?
Als die Albanesen unter die Oberherrschaft der Türken
gerieten, gingen sie – wie wir schon oben sagten – nicht, wie zu
erwarten gewesen wäre, ihrer Freiheiten verlustig und wurden
11
Clemens XII. (Lorenzo Corsini) 1730-1740
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sie nicht, gleich den anderen fremden Völkern, zu Sklaven
gemacht; sie sind im Gegenteile als Waffengefährten der Türken
mit diesen zusammen gegen andere Völker gezogen und sind,
nachdem sie ihnen das Fell abgezogen und die Welt gleich einer
Zwiebel abgeschält hatten, mit Beute beladen zurückgekehrt und
waren frei und unabhängig. So lebten die Arnauten mit den
Türken viele hundert Jahre.
Leben sie aber auch heute noch so? Nein, jetzt ist es anders. Heute
sind die Arnauten Sklaven Sie werden unterdrückt, sie werden
mehr unterjocht als alle anderen Völker der Türkei, mehr als die
Griechen, die Slawen, die Armenier, ja sogar mehr als die Juden.
Die Türkei traut den Albanesen nicht mehr, sie verlässt sich nicht
mehr wie ehedem auf sie. Sie sieht sie als Feinde und Verräter an,
sie betrachtet sie nicht mehr wie in alten Tagen als Genossen und
Brüder.
Heute macht die Türkei den Albanesen zum Soldaten, um ihn
türkisch zu lehren, sie unterdrückt und demütigt ihn. Heute will
der Türke den Arnauten die Kriegskunst lehren, von der er doch
selbst nichts versteht! Er bringt sie den Arnauten auch wirklich
nicht bei, er erweckt nur ihre Verblüffung und ihren Spott.
Der Türke behält die Arnauten drei Jahre, ja zehn Jahre fern von
ihren Wohnstätten, von ihrem Vaterlande unter den Waffen und
wie? Nackt, hungrig, krank, und elend! Um zwecklos zu sterben,
jagt er den Arnauten in den Kampf; der unwissende und feige
Türke, der sein Vorgesetzter ist, stellt ihn auf die gefährlichsten
Posten; dabei aber soll der bedauernswerte, elende und hungrige
Arnaute tapfer kämpfen, seinen Mut und seine Kraft beweisen,
und den Türken Ehrerbietung zeigen!
Erkennen aber die Türken diese Dienste der Arnauten an? Findet
das vergossene Blut seinen Lohn? Keineswegs! Stirbt der Arnaute
nicht im Kampfe, dann stirbt er vor Hunger, Elend und Krankheit.
Sehr wenige von denen, die ins Heer eintreten, sehen ihre Heimat
wieder.
Wer aber sind die Kommandanten und Offiziere? Stets Türken.
Die Hälfte des ottomanischen Heeres besteht aus Albanesen,
aber von den Kommandanten und Offizieren sind kaum ein
Prozent Arnauten.
Die an Steuern und Abgaben nicht gewöhnten Albanesen sind
von so vielen Steuern bedrückt, dass sie das Haupt nicht heben
können. Was haben die Türken, die seit fünfhundert Jahren die
Herren der Albanesen sind, jemals anderes getan, als die
Arnauten in den Krieg geschickt? Sie haben sie weder ein
Handwerk, noch Künste und Wissenschaften gelehrt, einzig an
Beute haben sie sie gewöhnt. Jetzt plötzlich wollen sie ihnen
die Waffen nehmen, und zu ihnen sagen: ‘Zahlt Steuern!’ Sie
mögen sie nehmen, wenn sie sie bei uns armen Teufeln finden!
Sie werden nichts bekommen. Die Kinder und Enkel jener
Arnauten, die in goldstrotzenden Kleidern einhergingen' und
mit Silber und Gold eingelegte Waffen trugen, sind arm und
elend. Mögen doch die Gendarmen und Steuerbeamten in ihre
Wohnhäuser eindringen und, den Stock schwingend, rufen:
‘Zahlt!’ Sie mögen bei uns Unglücklichen finden und nehmen!
Längst haben die Arnauten ihre Ochsen, ihre Hammel, ihre
Ziegen, ihre Hausgeräte, ja sogar ihre Reliquien verkauft! Wie
soll also der Arnaute Steuern zahlen!! O weh, welch’ große
Schande, o weh, welch’ großes Unglück! Allah, erbarme dich!
Heute befindet sich der größte Teil des Toskalik und des
Ghegalik in dieser Lage.
Wohl sind einige Gebiete des Ghegalik, die sich gegen die
serbischen Berge hinziehen, weniger bedrückt und geben
weder Steuern noch Soldaten, aber sie leben auch gleichsam
wild. Sie sind arm und herabgekommen, da sie keine geregelte
Verwaltung besitzen und in beständigem Kampfe miteinander
stehen. Sie haben keinen Broterwerb und die Gegenden
können sie nicht ernähren. Obendrein werden sie von der
türkischen Regierung fortwährend drangsaliert, die Regierung
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verlangt die Auslieferung ihrer Waffen, um sie schwächen, unterwerfen und ihnen dann das Fell über die Ohren ziehen zu können!
Albanien, das bis gestern von Arnauten verwaltet wurde, wird
heute von niedrigen, anmaßenden, ehrlosen Subjekten regiert.
Diese Kerle haben ihre Beamtenstellen in Stambul für Geld
gekauft, kommen dann nach Albanien und fangen an das Land
auszusaugen, um zunächst die von ihnen bezahlten Bestechungsgelder hereinzubekommen und dann für ihre eigene Tasche zu
arbeiten!
Wir haben beobachtet, dass den orientalischen Völkern sonst
stets die Religion höher steht, als die Heimat. Wenn zum
Beispiel ein Grieche seinen Glauben ändert, so gibt er auch
seine angestammte Nation auf. Wird er Katholik, so sagt er:
Ich bin ein Europäer; wird er Muslim, so sagt er: Ich bin ein
Türke. Nur dem Arnauten steht sein Glaube erst an zweiter
Stelle und seine Nation an der ersten. Mag er Muslim,
Orthodoxer oder Katholik sein, immer bleibt er Albanese und
sagt: Ich bin ein Arnaute.
Wie arm und unwissend auch Albanien sein mag, so hat es sich
doch so lange mit Gerechtigkeit und Größe selbst regiert und auch
heute würden sehr viele Arnauten fähig sein, ihr Vaterland selbst
zu verwalten. Aber diesen Arnauten wird nicht nur kein Amt
anvertraut, ja sie dürfen nicht einmal den Fuß in ihr geliebtes
Heimatland setzen! Man gibt ihnen ein Stück Brot, um ihnen den
Mund zu schließen, und hält sie in den entferntesten Winkeln von
Anatolien oder Arabien, Gefangenen gleich! Wenn sie aber
Vaterlandsverräter, Elende und Ehrlose werden, dann sind sie
geehrt und angesehen!
Da nun die Arnauten ihre Nation in solchem Maße lieben und
verehren, müssen sie da nicht auch auf die Erhaltung ihres
Volkstums bedacht sein? Wodurch kann die Erhaltung der
Nation gesichert werden? Vor allen Dingen durch die Sprache,
6. Abschnitt. Das arnautische Volkstum.
Es gibt auf Erden nichts kostbareres und wertvolleres als die
Heimat. Wie jeder Mensch seine Mutter, seinen Vater, den Ort,
wo er geboren und herangewachsen ist, liebt, so liebt er auch sein
Volk. Der Mensch, der seine Nation und sein Vaterland nicht liebt,
ist ein Verräter und ein Ehrloser, man kann ihn gar nicht einen
Menschen nennen.
Die Albanesen erweisen ihrer Nation und ihrem Vaterlande mehr
Ehrfurcht und Verehrung als jedes andere Volk. Der Arnaute hält
seinem Heimatlande geradezu Blutstreue und kann es nicht
ertragen, dass es von anderen erniedrigt wurde.
Die Religion hat niemals die Albanesen zu entzweien und zu
verändern vermocht. Daher kommt es, dass die zwischen den
verschiedenen Glaubensbekenntnissen entstehenden Reibungen und die im zivilisierten Europa niemals mangelnden religiösen Kämpfe in Albanien und bei den Arnauten unerhört
und unbekannt sind.
Wie wir schon oben gesagt haben, ist die Sprache das erste und
wichtigste Merkmal der nationalen Zugehörigkeit. Womit kann
die Sprache erhalten werden? Durch die Schrift, durch das
Schreiben. Eine Sprache, die nicht auch geschrieben und
gelesen wird, kann nicht lange existieren, ohne Schaden zu
erleiden. Indem sie sich mit anderen Sprachen mischt, wird sie
ruiniert.
Aber ihr werdet sagen: Unsere Sprache hat, ohne geschrieben
zu werden, so viele tausend Jahre existieren können und
warum sollte sie ohne Schrift nicht auch noch weiter leben
können? Es ist nun richtig, dass sie tausende Jahre, ohne
geschrieben zu werden, existiert und keinen Schaden gelitten
hat; aber die Arnauten haben eben, ohne mit anderen Nationen
in Berührung zu kommen, in ihren Bergen gelebt. Zudem sind
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ja auch jene Völker, die die Nachbarn der Albanesen sind, roh und
ungebildet gewesen.
Damals regierte das Schwert, und mit dem Schwerte war der
Arnaute ihnen allen überlegen. Und doch sehen wir, dass die
Makedonier, trotzdem sie aus eigener Kraft große Eroberer
geworden waren, ihre Sprache, das Arnautische, da es keine Schrift
besaß, und ihr Volkstum einbüßten und gänzlich verschwanden –
nämlich als Griechen betrachtet wurden - als sie mit anderen in
der Zivilisation weiter vorgeschrittenen Völkern in Berührung
traten.
Nur dadurch, dass die Arnauten des jetzigen Albanien sich mit den
fremden Nationen nicht vermengten und von der ganzen Welt
getrennt, gleichsam wild, lebten, haben sie ihre Sprache und ihr
Urvolkstum ohne Schaden bis jetzt erhalten können.
Werden aber die Albanesen ihre Sprache und ihr Volkstum auch
weiterhin, wie bisher, ohne Schrift und ohne Bildung - sei es in
Albanien, sei es in Griechenland oder in Italien - aufrechterhalten
können? Nein, niemals! Die Welt hat sich verändert, die Menschen
sind erwacht, die Nationen sind vom Lichte der Wissenschaft
erleuchtet, jedes Volk bemüht sich, den anderen voranzukommen.
Es arbeitet daran, zu wachsen und zu erstarken und verschlingt
diejenigen, die klein und schwach sind. Heute muss jedes Volk,
um Sprache und Volkstum zu schützen, die Augen offen und den
Verstand beisammen halten. Es muss seine Sprache zu entwickeln
trachten, es muss scharf auf der Hut sein, um von seinen
Nachbarvölkern nicht zerstückelt und vernichtet zu werden.
Es gibt unter den Nationen keine Freundschaft wie zwischen
guten Kameraden ; jedes Volk kämpft für sich und bemüht sich,
das andere zu unterdrücken. Und wehe den Schwachen!
7. Abschnitt. Albanien drohende Gefahren.
Bis vor kurzer Zeit war Albanien von lauter Gebieten
umschlossen, die der Türkei Untertan waren, und die Grenzen
dieses Reiches waren sehr weit von Albanien entfernt. Die
Arnauten und die Türken schirmten vereint diese von Albanien
selbst so weiten Grenzen des Reiches, ihr eigenes Heimatland
aber wussten sie von keiner Gefahr bedroht und waren
beruhigt darüber, dass kein Feind an Albanien herankonnte.
Heute ist das aber nicht mehr so. Heute liegt Albanien in
einem fernen Winkel der Türkei und ist von feindlichen
Staaten umgeben. Montenegro, Serbien, Griechenland
umgrenzen Albanien, Österreich ist nicht fern.
Der Weg von Albanien bis zur Türkei, der zwischen Bulgarien
und dem Ägäischen Meere hindurchführt, ist ein gar weiter
Weg. Sind einmal die Bulgaren, diese Straße verlegend, bis zum
Ägäischen Meere vorgedrungen, dann ist Albanien von der
Türkei abgeschnitten und diese kann Albanien auch vom
Meere her nicht zu Hilfe kommen. Daher müssen die Arnauten
im Falle eines Krieges zwischen Bulgaren und Türken ausschließlich auf die Verteidigung ihres eigenen Vaterlandes
bedacht sein. Von dem mit der eigenen Verteidigung beschäftigten, vielleicht geschwächten, verwüsteten und gänzlich
ruinierten ottomanischen Reiche dürfen sie nichts erwarten.
Doch nicht nur von den Gefahren, die ein ausbrechender
Krieg mit sich brächte, ist Albanien bedroht. Auch in Friedenszeiten existieren solche Gefahren, die Albanien ohne Waffengewalt und Blutvergießen zu vernichten drohen. Ja, diese
bedeuten einen noch härteren Kampf und eine noch schwerere
Gefahr; es ist der Kampf, der mit der Feder und durch die
Schule ausgefochten wird, es ist der Nationalitätenstreit.
Die Albanien umgebenden Nationen wollen es zerstückeln und
unter sich aufteilen. Die Griechen, die Slawen und die anderen
Nachbarvölker wünschen keineswegs, die arnautische Nation
zu unterrichten, jedes dieser Völker will vielmehr den Arnauten
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seinen eigenen Glauben zu dem Zwecke aufdrängen, um sie
vermittelst des Glaubens auf ihre Seite herüberziehen zu können.
Da ist zunächst der Türke, der bald mit List und bald mit Gewalt,
mit Fanatismus und Heuchelei vorgeht und die mohammedanischen Albanesen von den christlichen Arnauten, ihren Brüdern,
losreißen will. So wünscht die ottomanische Regierung - um die
christlichen Arnauten für immer von den mohammedanischen zu
scheiden, nicht, dass die ersten sich Arnauten nennen, sondern
bezeichnet sie als ‘Rumi’, d.h. Griechen, als Bulgaren, Serben und
mit anderen Namen. Was die muslimischen Arnauten anbelangt,
so nennt sie sie lediglich ‘Mohammedaner’ und will die
Bezeichnung ‘Arnauten’ nicht zugestehen, ja nicht einmal hören.
Blinde Türken! Sie haben den Verstand verloren und begreifen
nicht, dass sie durch eine solche Vorgangsweise nur die Interessen
ihrer eigenen Feinde fördern und sich selbst schaden.
Die Griechen, die ihre Freiheit und ihr gegenwärtiges Reich
albanesischem Blute, dem Schwerte der Botschari, Tschawela,
Maioli und anderer arnautischer Helden verdanken; diese
Griechen, welche noch heule die arnautische Tracht, den Fustan,12
den Tscharik,13 die Kaltscha14 tragen, die arnautischen Horatänze
und Gesänge haben, diese Griechen sind heute Albaniens
grimmigste Feinde.
Jedermann kennt die ‘große Idee’ der Griechen. Nun war aber
selbst zu Perikles Zeiten, damals also, als Griechenland seine
glänzendste Epoche hatte, dieses Reich von geringerem Umfange
als heute. Trotzdem sie daher keinen Anspruch darauf erheben
können, mehr Land als damals zu besitzen, so maßen sie sich an,
auch jene Länder besitzen zu wollen, die Alexander der Große,
12
Der Kittel (Fustanella)
13
Das leichte Schuhwerk der Bauern und Hirten
14
Die halbkugelförmige Mütze
beherrscht hat, ja sie träumen sogar von einer
Wiederherstellung des byzantinischen Reiches. Dabei aber
wollen sie sich nicht erinnern, dass das Reich Alexanders des
Großen ein makedonisches - also albanesisches - und das
Reich der Byzantiner ein römisches war, und Griechenland
beiden Weltreichen Untertan gewesen ist. Da aber trotz
Schreien und Weinen jene Länder nun einmal nicht zu haben
sind, so bleibt die Hoffnung der Griechen auf Albanien und
Makedonien beschränkt.
Die Griechen arbeiten daran, die orthodoxen Albanesen –
nach einer bestimmten Methode und mit Unterstützung durch
die Religion – von ihren Brüdern, den mohammedanischen
und katholischen Arnauten, abzuziehen, sie ihre schöne Sprache vergessen zu machen, ihnen dafür die griechische beizubringen, und sie so zu gräkisieren. Die Griechen glauben, dass
die orthodoxen Albanesen, sobald sie gräkisiert sein würden,
nicht mehr nach den muslimischen Arnauten und nach Europa
gravitieren würden, und dass in absehbarer Zeit das südliche
Albanien, das Toskalik, Griechenland zufallen wird.
Zu diesem Zwecke arbeiten die Griechen von Athen aus Tag
und Nacht daran, die orthodoxen Albanesen zu gräkisieren. Sie
benützen dazu die Schulen, die Lehrer, die Bücher, die Ärzte
und zahlreiche andere Mittel, ja sogar Geld, das ihnen einige
alberne, törichte und verräterische Gräkomanen zur Verfügung
gestellt haben; sie bedienen sich andererseits des Patriarchates,
der Bischöfe, der Priester und drohen mit der Exkommunikation und der Ausstoßung aus der Kirche.
Selbst wenn der heilige Jesus ein Grieche gewesen wäre und
wenn man, um Christ zu werden, Grieche sein müsste, wäre
ein solches Vorgehen nicht am Platze. Die von diesen beiden
Stellen - Athen und Patriarchat - gemachten falschen Vorspiegelungen haben den Erfolg, sehr viele orthodoxe Arnauten
den Weg der Ignoranz und Finsternis zu führen und sie zu
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dem Glauben zu bringen, dass man nur dann in Wahrheit ein
Christ sei, wenn man Grieche sei. Da nun die Sprache der Orthodoxie ausschließlich die griechische ist, so sind angeblich jene, die
sie nicht verstehen, keine wahren Orthodoxen. Es gibt aber sehr
wenige orthodoxe Arnauten, die griechisch können; so sehr sie
sich auch Mühe geben mögen, so vermögen sie doch nicht, es zu
erlernen. Denn das Griechische ist so schwierig, korrumpiert und
spröde, dass sogar von den Griechen nur wenige es zu sprechen
imstande sind.15
Die auf solche Weise betrogenen orthodoxen Albanesen nennt
man Gräkomanen. Sie sind es nicht aus freier Wahl geworden,
sondern wurden in das Tal des Verrates gelockt. Doch Allah sei
Lob! Seitdem die Gräkomanen albanesisch zu lesen und zu schreiben angefangen haben, sind ihrer weniger geworden. Sie haben die
Teufelei der Griechen durchschaut, verlassen sie und stellen sich
wieder in den Dienst ihrer eigenen Sprache und Nation.
Die orthodoxen Albanesen fürchten weder die griechischen
Lehrer, noch die Bischöfe des Patriarchates. Aber es gibt einen
mächtigen Bundesgenossen der Griechen, welcher Hand in Hand
mit ihnen die albanesische Sprache und Nation zu vernichten
strebt. Dieser ‘Bundesgenosse’ der Griechen, der sein Möglichstes
tut, um die Griechen und das Patriarchat zu unterstützen, ist der
Türke.
Die ottomanische Regierung ist eifrig bestrebt, die Interessen der
Griechen zu fördern, indem sie der Drucklegung albanesischer
Die Türken nennen die Griechen, welche innerhalb des ottomanischen
Reiches leben, ‘Rumi’, jene des Königreiches Griechenland ‘Junani’ (in der
vorliegenden Broschüre übrigens ausschließlich ‘Grec’). Unter dem ‘Griechischen’, das nur wenige Griechen sprechen können, ist natürlich nicht das neugriechische Idiom zu verstehen, sondern die Sprache der ottomanischen Griechen, das ‘Rumtscha’, welches vom Neugriechischen abweicht, und korrumpierter ist als dieses.
15
Literaturerzeugnisse, der Eröffnung von Schulen und jedwedem Fortschritte der albanesischen Sprache Hindernisse in
den Weg legt. Während die Regierung die griechischen Schulen
auf jede Art unterstützt, sieht sie der Bedrückung der
orthodoxen Albanesen durch die phanariotischen Priester
gelassen zu.
Nebst den Türken und den Griechen sind auch die Serben und
Bulgaren Feinde der Albanesen. Ebenso wie die Griechen im
Süden Albaniens arbeiten, so arbeiten jene im Norden und
Osten dieses Landes.
Auch auf ihrer Seite stehen einige dumme, alberne, orthodoxe
Albanesen, die das Opfer von Einflüsterungen der Slawen
geworden sind und - indem sie das süßklingende, von ihren
Ahnen seit Jahrtausenden gesprochene Idiom verschmähen sich mit der Erlernung slawischer Sprachen befassen. Welch
großes Verbrechen! Welche Erbärmlichkeit und Niedertracht!
Aber auch den Slawen leiht der Türke seine Unterstützung. Er
lässt sie frei schalten und erlaubt ihnen alles. Uns aber bindet er
die Hände auf das sorgfältigste. Ihnen stellt er überreichlich
Fermans zur Gründung von Schulen Und zum Baue von Kirchen aus, uns aber erlaubt er selbst die kleinste Schule nicht.
Denken denn die Türken nie darüber nach, wer eigentlich ihre
Freunde sind? Sind es die Griechen und die Slawen oder sind
es die Arnauten? Sind es denn nicht die Albanesen, welche für
die Türken ihr Blut verspritzt haben und noch heute vergießen?
Und doch sind die Türken an der Spitze und mit ihnen im
Bunde die Griechen und Slawen die Feinde der Arnauten und
Albaniens. Nach besten Kräften und voll Eifer bemühen sie
sich, dieses Volkes Sprache und Nation zu vernichten; das
heißt, sie wünschen, dass dessen Name verschwinde.
Griechenland, Bulgarien und Serbien, jedes dieser Länder
arbeitet in jenen Gegenden Albaniens, durch die es sich zu
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vergrößern wünscht, daran, den christlichen Arnauten die eigene
Nationalität aufzudrängen und das albanesische Idiom und Volkstum zu vernichten. Die Türkei unterstützt einerseits diese Bemühungen und sucht andererseits die mohamedamischen Arnauten
von ihren christlichen Brüdern loszureißen und zu sich herüberzuziehen.
Aber der türkischen Regierung würde daraus kein Nutzen
erwachsen. Gelänge selbst diese teuflische Absicht, so würde auch
sie zugleich mit den muselmanischen Arnauten in den gefährlichen
Abgrund, in das tiefe Loch stürzen, das ihre gemeinsamen Feinde
gegraben haben.
Das sind die Gefahren für Albanien und die Albanesen. Sie haben
sich vor den satanischen Absichten der Türken, Griechen und
Slawen zu schützen und müssen trachten, sie zunichte zu machen;
sie müssen ihnen gegenüber zusammenhalten.
8. Abschnitt. Albaniens Freunde.
So sehr auch die Albanesen von Feinden umringt sind - und
gerade diejenigen, welche es am nötigsten hätten, mit den Arnauten befreundet und verbündet zu sein, die Türken und Griechen,
diese beiden törichten Völker, sind es, die am eifrigsten von allen
an der Vernichtung der albanesischen Nation arbeiten - so wollen
wir doch nicht sagen und behaupten, dass die ganze Welt den
Albanesen feindlich gesinnt sei.
Nein, wir haben auch Freunde, die uns lieben und uns, sobald wir
es wünschen, helfen würden. Alle europäischen Nationen, die
Fran-zosen, die Italiener, die Deutschen, die Engländer und
andere - diese alle lieben uns Arnauten und schätzen unser Volk;
sie bewundern den Mut, die Tapferkeit und die vielen vortrefflichen Eigenschaften, die unser Volk aufzuweisen hat.
Alle Schriftsteller Europas haben jederzeit sehr schön über uns
geschrieben, sie wissen, dass wir tapfere und mutige Männer
sind, sie erkennen uns als das älteste und edelste Volk von Europa an, sie beginnen das Albanesische wegen seiner Wichtigkeit vom Standpunkte der Sprachwissenschaften zu studieren.
Frankreich hat seit altersher für die Albanesen und speziell für
die katholischen Albanesen und die Mirditen Vorliebe gezeigt.
In Italien gibt es 300.000 Albanesen, die zur Einigung Italiens
mehr beigetragen haben, als die Italiener selbst. Diese
wünschen daher die Wohlfahrt Albaniens, als dessen Nachbarn
wollen sie nicht, dass dieses von den Griechen und Slawen
zerstückelt werde.
Was Österreich anbelangt, so wünscht auch dieses absolut
nicht, dass die Slawen Serbiens und Bulgariens dadurch
erstarken, dass sie bis ins Innere Albaniens vordringen. Es
wünscht, einem so mutigen Volke, wie es die Albanesen sind,
zu helfen, damit es der Übermacht der Balkanslawen widerstehen könne. Es protegiert aus demselben Grunde auch die
Walachen.
Englands Wunsch ist es, dass alle Völker in Wohlstand und
Freiheit leben und so wird es zweifellos auch den Arnauten
wohlwollend gegenüberstehen.
Russland, das der Hort nicht nur seiner eigenen Slawen, sondern aller Slawen ist, wird sich trotzdem nicht feindlich gegen
die Arnauten verhalten. Es wird ihnen ein gutes Wort nicht
verweigern, hat es dieses doch auch den Griechen nicht verweigert, obwohl sie Feinde der Slawen sind.
Die Großmächte lieben und schätzen uns also und wir haben
somit auch viele Freunde. Soweit wird ihre Freundschaft aber
doch nicht gehen, dass auch nur eine von ihnen unsere eigene
Arbeit verrichten und uns direkt zu Hilfe eilen würde. Da wir
übrigens in drei Glaubensbekenntnisse gespalten und die
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Mehrheit von uns Muslims sind, so werden sie nicht begreifen
können, inwiefern wir eine einheitliche Nation bilden und ein
einziges Reich aufrichten könnten.
Griechen widerstehen, ihre Sprache und Nationalität erhalten,
so können sie das nur, wenn sie sich auf die Freundschaft der
Arnauten stützen und mit diesen ein Bündnis schließen.
Es ist aber zweifellos, dass keine Regierung uns ihre Unterstützung versagen würde, sobald wir ihnen bewiesen haben
würden, dass wir für den Einheitsgedanken ersprießliche Arbeit zu
leisten imstande sind.
Dies weiß auch Rumänien, das der Hort der Walachen ist, sehr
gut. Daher hat auch Rumänien für Albanien mehr Freundschaft gezeigt, als jeder andere Staat und hat immer gewünscht,
dass sich die Walachen von den Griechen lossagen.
Nur ein Volk gibt es unter unseren Nachbarn, das seinen eigenen
Vorteil kennt und – da es weiß, dass es ohne uns nicht bestehen
kann – unser Freund ist. Dieses Volk sind die in Albanien selbst
und in den Albanien benachbarten Gegenden lebenden Walachen.
Ein Teil dieses Volkes sind walachisch und albanesisch sprechende
Albano-Walachen und der andere Teil walachisch und griechisch
redende Gräko-Walachen.
Der erste Albanesenklub ist in Rumänien gegründet worden.
Die erste albanesische Druckerei wurde dort eröffnet. Die
ersten Bücher wurden dort gedruckt. Dieses Wohlwollen
Rumäniens wird Albanien niemals vergessen. Zum Danke
hiefür wollen wir die in Albanien lebenden Walachen lieben
und ihnen gute Behandlung zuteil werden lassen.
Ebenso wie sie es mit den orthodoxen Albanesen machten und
noch machen, so bemühten und bemühen sich die Griechen, auch
diese Walachen mit Hilfe von Kirchen und Schulen zu gräkisieren.
Auch diese Walachen unterlagen bis vor kurzem – gerade wie die
orthodoxen Albanesen – den trügerischen Vorspiegelungen der
Griechen. Sie ließen sich gräkisieren, gaben ihre Sprache auf und
nahmen an deren Stelle die griechische an. Allein sie haben vor
kurzem doch den hohen Wert des eigenen Volkstums und der
Muttersprache erkannt, haben begonnen, ihre eigene Sprache zu
lesen und zu schreiben und eigene Schulen zu eröffnen.
Diesbezüglich haben die Walachen außer den Arnauten keine
Freunde im Lande.
Trotz aller Mühe dringen nun die Griechen bei den Walachen, die
ihr Idiom und ihr Volkstum zu sehr lieben, mit ihren Absichten
nicht mehr durch. Die Walachen sahen auch ein, dass sie es nötig
haben, mit den wahren Arnauten, nämlich denjenigen, die ihr
Idiom und ihre Nation hochhalten, zusammenzugehen und ihre
Freunde zu werden. Wollen die in Albanien und Makedonien
lebenden Walachen den satanischen Verführungskünsten der
Sobald ein Mensch schwach und energielos sich zeigt, so
steigen ihm nicht nur seine Feinde, sondern alle, auch seine
Freunde, auf den Rücken. Um sein Ansehen und seine Würde
zu wahren, muss man sich dem Feinde und auch dem Freunde
gegenüber kraftvoll und tüchtig zeigen. Diese Walachen, die in
geringer Zahl und viel später als wir nach Albanien gekommen
und hier Fremdlinge sind, halten sich für höher stehend und
für tüchtiger als uns.
Es hat Walachen gegeben, die Europa beweisen wollten, dass
‘die Walachen die Seele des Landes seien, dass die Arnauten
nur die Kriegführung und das Blutvergießen verstünden, die
Walachen aber die Verwaltungskunst, weshalb eigentlich diese
zum Herrschen berufen seien’!
Ja, es gibt auch Walachen, welche behaupten, dass, da es doch
ein walachisches Alphabet und walachische Schulen gebe, für
eine eigene albanesische Schrift und für albanesische Schulen
kein Bedürfnis bestehe!
Dieselbe Großmut zeigen auch die Türken und die Griechen
uns gegenüber. Sie alle lieben uns so innig, dass sie uns ihr
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eigenes Alphabet und ihre eigene Sprache zum Geschenk machen
und uns in ihre eigenen Schulen aufnehmen wollen.
Arnauten sich jedes Verkehres mit den fremden Völkern
enthielten und einsam lebten, erhalten werden konnte.
Wenn nun auch nicht alle Walachen und auch nicht gerade die
verständigsten unter ihnen dieser Meinung sind, so ist es doch
nicht nötig, ihnen allzuviel zu trauen. Sei dem nun wie ihm wolle,
wir müssen scharf darüber nachdenken, was wir zu tun haben und
müssen dies dann und zwar selbst tun. Denn auf dieser Welt
schaut jedermann nur auf sich. Wie es im Albanesischen heißt;
‘Den Rock, den der Feind verschmäht hat, nimmt uns der Freund’!
Aber nicht nur unser Volk schrieb seine Sprache nicht, in
Europa und Asien gibt es viele Völker, die ihre Sprache erst in
diesem Jahrhundert zu schreiben angefangen haben. Obwohl
das Albanesische seit Tausenden von Jahren erhalten zu
werden vermochte, ohne geschrieben zu werden, geht dies jetzt
nicht mehr; denn die Zeiten haben sich geändert, jetzt kann
kein Volk mehr von den übrigen abgesondert leben. Die
Nachbarn sind erwacht, huldigen dem Fortschritte und
bemühen sich, uns zu verschlingen. Sie betrachten es als ihre
allerwichtigste Aufgabe, uns unsere Sprache vergessen zu
machen und uns dafür die ihrige zu lehren.
9. Abschnitt. Die Schrift für die albanesische Sprache.
Wie wir schon in früheren Abschnitten gesagt haben, ist das
allererste unterscheidende Merkmal der Nationalität und speziell
das Mittel zur Einteilung der Völker die Sprache. Eine Sprache
aber, die nicht gelesen und geschrieben wird, zählt nicht. Die Provençalen Frankreichs, die Katalonier Spaniens, die Galen Englands
und soviele diesen ähnliche Völkerschaften werden, obgleich sie
alle ihre eigene Sprache gesprochen haben, denoch nicht als
Völker für sich betrachtet, da sie ihre Sprache nicht lasen und
schrieben. Gemäß den Sprachen, die sie lesen und schreiben,
werden sie dem französischen, spanischen, englischen u.s.w. Volke
zugezählt.
Demgemäß muss es die wichtigste Aufgabe eines Volkes, das seine
Nationalität zu erhalten wünscht, sein, sein Idiom zu lesen und zu
schreiben. Daher kommt es, dass andererseits diejenigen, die ein
Volk gänzlich zu unterdrücken wünschen, dieses Volk mit aller
Macht vom Lesen und Schreiben seiner Sprache abhalten.
Wir haben ausführlich besprochen, warum sich die Arnauten nicht
mit dem Schreiben ihrer Sprache befasst haben, wieso es kam,
dass das Albanesische bis auf unsere Tage nicht geschrieben
wurde und wie die Sprache infolge des Umstandes, dass die
Nicht nur bei jenen Albanesen, die in Italien und Griechenland
leben, nein, auch unter den Arnauten Albaniens gibt es Leute,
die das Albanesische nicht sprechen können. Und doch haben
ihre Ahnen überhaupt keine andere Sprache gekonnt! Die
albanesische Sprache, die sich seit Jahrtausenden zu erhalten
gewusst hat, soll nunmehr solcherart aufgegeben werden und
binnen kurzer Zeit vergessen und verloren sein.
Einige erleuchtete Persönlichkeiten unter den edeldenkenden
Albanesen haben aber diese große und furchtbare Gefahr
erkannt und die hinsichtlich des Schreibens unserer
wohlklingenden Sprache im Herzen jedes denkenden Arnauten
schlummernden Wünsche aus dem Stadium des Projektes
hervorgezogen und zur Tat werden lassen.
Vor zwanzig Jahren (vom Jahre 1899 aus gerechnet, in dem das
vorliegende Buch gedruckt wurde), zur Zeit des Prisrender
Kongresses, wurde ein besonders vollendetes und genaues
Alphabet der albanesischen Sprache verfasst.
Als die Arnauten sahen, wie schön sich ihre wohlklingende
Sprache schreiben lasse, griffen sie mit beiden Händen zu. Es
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(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
dauerte nicht lange, so entstand auch in Stambul unter türkischer
Patronanz eine Sektion des Arnautenklubs und später wurden
auch in Rumänien und in Ägypten von Albanesen solche
Vereinigungen gegründet. In Kortscha wurde eine albanesische
Schule eröffnet; hier begann man zum ersten Male in unserer
Sprache zu unterrichten. Die Schulen vermehrten sich aber
allerdings nicht so, wie wir es gewünscht hätten, und kamen nicht
recht vorwärts. Wohl aber gelangte unser Alphabet und mit
diesem gedruckte Bücher nach allen Gegenden Albaniens.
Binnen kurzer Zeit lernten Männer, Frauen, Knaben und
Mädchen der Albanesen lesen und schreiben. Innerhalb zwanzig
Jahren fasste die albanesische Schrift so stark und tief Wurzel und
kräftigte sich so sehr, dass sie nie mehr beseitigt und vernichtet
werden kann. Dieser vor zwanzig Jahren gepflanzte Baum blühte
und trug schöne Früchte; der Fortschritt, den unsere Schrift macht,
bedeutet den Tod der Feinde unseres Volkstums.
Freilich haben diese erklärt: Die Sache ist unmöglich. Das
Albanesische ist keine Sprache, die geschrieben werden kann. Es
ist eine schlechte und verderbte Sprache, seine Grammatik und
Syntax taugen nichts. Keine Wissenschaft kann in dieser Sprache
gelehrt werden und dergleichen Dinge mehr; leeres Geschwätz,
das den Zweck hatte, die Albanesen zu entmutigen und sie von
dem Versuche, ihre Sprache zu schreiben, abzubringen.
Nun aber, wo die Gegner sehen, wie schön sich das Albanesische
schreiben lässt, wie gut man es lesen kann, wie gut sich die
grammatikalischen und syntaktischen Regeln erlernen und
verwenden lassen; wie die albanesische Sprache sogar besser und
schöner ist als alle anderen Idiome, wie sich alle Künste und
Wissenschaften in dieser Sprache behandeln und lehren lassen; wie
ein Grieche die schwierige, tote Sprache des Homer, Euripides,
Plato usw., ein Türke die unendliche und unerschöpfliche Sprache
der Araber und Perser jahrelang lernt und doch nicht erlernen
kann, so sehr er sich auch bemüht, während andererseits der
Albanese sein Idiom binnen kurzer Zeit zu lesen und zu
schreiben versteht: - nun lassen unsere Gegner vor Staunen
den Finger im Munde stecken.
Jetzt, wo unsere Gegner die Vorzüge der albanesischen
Sprache erkennen und die Fortschritte beobachten, die die
arnautische Schrift macht, jetzt begreifen sie, dass Albanien
ihren Händen zu entschlüpfen droht und nun vereinigen sie
sich, um der albanesischen Schrift alle möglichen Hindernisse
in den Weg zu legen. Türken, Griechen, Slawen gehen trotz der
zwischen ihnen lodernden Gehässigkeit und Feindschaft Hand
in Hand gegen uns vor. Die Hohe Pforte, der Yildiz-Kiosk, das
griechische Patriarchat, die Athener Regierung usw. sind in
dieser Sache ein Herz und eine Seele.
Der Türke untersagt die albanesischen Schulen und Bücher, er
erlaubt nicht einmal den Druck der kleinsten Broschüre, sieht
jeden als Feind an, der albanesisch lesen und schreiben will und
pflegt diesen als ‘Komitatschi’ zu bezeichnen.
Der Grieche begann von Athen aus über unsere Schrift zu
jammern und zu schreien, kämpft mit tausenderlei Kniffen und
Ränken gegen die ihre Sprache liebenden Albanesen und hat
schon viele von ihnen durch die Hand des Türken maßregeln
lassen.
Das Patriarchat und die Bischöfe begannen ihre Bannflüche zu
schleudern, wie einst Jupiter seine Blitzstrahlen,
Alle diese Hindernisse sind Ursache, dass in Albanien keine
nationalen Schulen errichtet werden und sich die in
arnautischer Sprache geschriebenen Bücher und Zeitungen
nicht vermehren können.
Nichts aber kann die Albanesen hindern, ihre Sprache zu lesen
und zu schreiben, denn sie sind ja daran gewöhnt, ohne
Schulen und Bücher schreiben zu lernen. Heute ist das Albanesiscbe nicht mehr wie vor zwanzig Jahren eine Sprache ohne
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Schrift, heute ist es eine Sprache, die besser als jede andere
geschrieben und gelesen werden kann. Dieser Umstand hat unsere
Gegner sehr verstimmt, denn sie sehen, dass sich das Albanesische
sehr gut eingewurzelt hat. Sie können demzufolge nicht mehr
sagen, dass das Arnautische nicht geschrieben werden könne.
10. Abschnitt. Albaniens Armut und die fehlende geregelte Verwaltung.
Bis vor nicht langer Zeit war Albanien ein reiches und blühendes
Land. Die Arnauten erhielten als Entschädigung für die geleisteten
Kriegsdienste reichen Lohn und erfreuten sich der im Kriege
gewonnenen Beute, sie zogen außerdem ihren Nutzen aus den
Bodenprodukten und der einheimischen Industrie. Der Steuern,
die sie der ottomanischen Regierung zu entrichten hatten, gab es
wenige und sie waren nicht drückend. Von dem Gelde, das aus
dem Auslande nach Albanien gelangte, kam sehr wenig wieder
hinaus. Das meiste blieb im Lande und dieses besaß daher
Wohlhabenheit und war in blühendem Zustande.
Heute ist das nicht mehr so. Heute werden die Arnauten für den
Kriegsdienst nicht mehr belohnt, sondern stehen unter der
Wehrpflicht. Sie kehren nicht mehr mit goldgestickten Kleidern,
mit Gold, Silber und Waffen aus dem Kriege zurück, sondern
nackt, gebrochen und elend.
Hausindustrie wird nicht mehr betrieben, denn sie kann mit der
europäischen Fabriksware nicht konkurrieren. Auch der größte
Teil des in den Besitz der Arnauten gelangenden Bargeldes bleibt
nicht bei ihnen, sondern fließt nach Europa ab.
Die Steuern der Regierung sind drückend geworden, sie können
nur schwer aufgebracht werden. Die alten Einnahmsquellen sind
versiegt, neue sind nicht an deren Stelle getreten. Für Straßen
zahlen die Albanesen viele Abgaben, doch gibt es keine. Die
Flüsse überschwemmen die Ebenen und die aus den Sümpfen
entstehenden Fieber erhalten die Bevölkerung schwach und
kränklich; sie kann nicht arbeiten und stirbt vor Hunger und
Schwäche. So ist denn ganz Albanien in große und traurige
Armut gehüllt.
Albanien ist für die türkische Regierung nur dazu da, Steuern
und Soldaten zu liefern. Wirst du zwanzig Jahre alt, Arnautensohn, dann komm weit fort von der Heimat, um in einer
Kaserne grausam Hunger zu leiden! Komm, Arnautensohn,
zahl 5 Piaster jährlich für eine Ziege und wenn du auch im
Jahre kaum die Hälfte davon an ihr verdienst!
Das ist die Leistung des türkischen Beamten, aber eine
geregelte Verwaltung gibt es nicht. Nachdem der Gendarm
dem Bauer seine Habe und seine Söhne entrissen hat, geht er
aus dessen Hütte hinaus und hinter seinem Rücken dringt der
Räuber ein und bestiehlt ihn, der Feind kommt und tötet ihn.
Den Bauer zu brandschatzen, das verstehen die türkischen
Beamten, ihn vor den Dieben und den Feinden zu schützen,
das verstehen sie nicht!
Armer Arnaute! Um sein Hab und Gut und sein Leben zu
schützen, muss er Tag und Nacht mit der Waffe in der Hand
bereit stehen, aber nun wollen sie ihm auch noch die Waffen
nehmen! Die türkische Regierung, die den Bauer nicht
schützen kann, nimmt ihm die Waffen aus den Händen und
gibt ihn dann, wehrlos wie er ist, den Räubern und dem Feinde
preis. Es ist evident, dass die Beamten der türkischen
Regierung, um die ehrlichen Arnauten zu brandschatzen, mit
Dieben gemeinschaftliche Sache machen. Verdient eine solche
Wirtschaft den Namen einer ‘Verwaltung’? Niemals! Albanien
befindet
sich
unter
einem
ungemein
schlechten
Regierungssystem. Ja, es gibt überhaupt kein solches.
Die Arnauten haben täglich Streit miteinander und bekämpfen
sich gegenseitig. Zwecklos vergießen sie ihr Blut, jenes
kostbare Blut, das für eine andere Sache als Albaniens Heil
nicht vergossen werden sollte! Armut, Zuchtlosigkeit, Un-
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wissenheit, Streit, Uneinigkeit und Hass sind die Früchte. Arm,
unwissend, uneinig, jeder des anderen Feind, wie die Arnauten
sind, kämpft jeder gegen jeden. Zwecklos verspritzen sie ihr Blut,
allmählich verkommen sie!
Sie sind in einen tiefen und schweren Schlaf verfallen. Ihre
Nachbarn aber erwachen von Tag zu Tag mehr, sie machen
Fortschritte, sie vermehren sich, sie dringen mit großen Schritten
in das Innere Albaniens vor, sie sind dabei, es ganz in Stücke zu
reißen!
So sieht es in Albanien heute aus!
III. Kapitel. Was wird Albanien werden?
1. Abschnitt. Kann Albanien in seiner heutigen Lage bleiben?
Albanien ist ein Teil der europäischen Türkei und solange der
Status quo eben dauert, bildet die Türkei einen europäischen Staat.
Wird aber der Türkei noch ein langes Leben in Europa beschieden
sein? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht. Auf jeden Fall
aber fällt sie negativ aus, das heißt, die Türkei hat nicht mehr lange
zu leben.
Die Türkei hat ja lange in Europa existiert. Man nahm an, dass sie
längstens in zehn Jahren nach dem Berliner Vertrage
verschwinden werde; indessen sind zwanzig Jahre vergangen und
sie lebt noch immer.
Man tat nichts und tut nichts, um diesem Reiche eine längere
Lebensdauer zu sichern. Wie ein Kranker, der auf den Rat der
Ärzte nicht achtet und seinen Körper nicht schont, gerade so tut
die Regierung alles, was geeignet ist, ihre Lebenstage abzukürzen.
Wie lange der Staat noch in Asien weiterleben könnte, das wissen
wir nicht und gehört auch nicht hieher. Aber auf dem europäischen Festlande sind seine Tage gezählt.
Was Albanien anbelangt, so ist dieses nicht selbständig fundiert
und hat keine eigenen Wurzeln entsendet. Es steht auf dem
vermorschten Fundamente der Türkei und zieht seine Nahrung
aus denselben Wurzeln wie diese. Beim Zusammenbruch dieser
großen Ruine wird auch Albanien mitstürzen und unter dem
gewaltigen Schutthaufen mitbegraben werden.
Die anderen Völkerschaften der europäischen Türkei arbeiten
schon lange daran, sich davor zu schützen, dass sie von der
stürzenden türkischen Ruine zerschmettert werden. Die Lage
dieser Völkerschaften gleicht derjenigen der Gräser, die unter
dem Schnee des Winters sich ernähren und, indem sie unter
dieser kalten und schweren Decke ruhen, schnell wachsen und
gedeihen. Was die Arnauten anbelangt, deren Schicksal mit
dem der Türken seit Jahrhunderten verknüpft ist, so haben sich
diese aus dem morschen und gefährlichen türkischen Gebäude
nicht geflüchtet, obwohl sie sahen, dass sie an dem Orte nicht
gesund bleiben konnten, wo diese ‘Gul jabani’ (Wüstengespenst) haust, sondern vonTag zu Tag mehr herunterkamen.
Derselbe ‘Schnee’, der die anderen unter ihm ruhenden Völkerschaften genährt und nicht erstickt hat, versengte Albaniens
Wurzeln. Albanien ist in dem langen Winter des starren Absolutismus vertrocknet und verdorrt.
Die makedonische Frage wurde auf den grünen Tisch der
Diplomatie niedergelegt und wird irgendwie entschieden
werden. Rumelien kann nicht in seiner gegenwärtigen Situation
verbleiben. Es wird den Türken abgenommen und ihnen so die
Möglichkeit entzogen werden, dessen Bevölkerung noch länger
zu quälen. Die Schmerzensschreie der Bevölkerung werden
gehört und es wird ihnen ihr Recht zuteil werden. Werden
dann wohl auch die Albanesen ihre Stimmen erheben? Werden
auch sie ihre Rechte fordern? Oder werden sie es dulden, dass
die Grausamkeiten und der Absolutismus der Türken bis zur
letzten Stunde auf ihnen und den übrigen Völkerschaften
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lasten bleiben? Das wird sich zeigen. In dem Maße, als die
schwarzen türkischen Nebel dichter werden, wachsen auch die
Hoffnungen der unter ihnen seufzenden Völker auf Befreiung.
Wie wir in früheren Abschnitten auseinandergesetzt haben, sind
die Albanesen seinerzeit nicht die Gefangenen der Türken,
sondern deren Kameraden gewesen. Heute aber erleiden die
Albanesen das schwerste Unrecht. Heute sind sie die Geknechtetsten von Allen. Da dem nun so ist, warum bemühen sich denn all
diese Völker nicht, den schweren Alp von sich abzuschütteln,
warum wollen die Arnauten noch darunter bleiben? Sehen sie etwa
nicht ein, dass sie die Schultern gegen eine Mauer lehnen, die
einzustürzen und sie alle unter sich zu begraben droht?
Die Arnauten gleichen einem Manne, der in das Meer gefallen,
aber ein guter Schwimmer ist. Aber sie wollen nicht nur sich selbst,
sondern auch die zugleich ins Meer gestürzten Türken retten, die
nicht schwimmen können. Die Verfluchten geben dem des
Schwimmens Kundigen den nötigen Spielraum nicht, sondern
halten sich mit den Händen an seinen Füßen fest und hindern ihn
am Schwimmen. Auf diese Weise sind nicht nur die Türken selbst
im Begriffe zu ertrinken, sondern sie ziehen mit sich zugleich auch
die Albanesen in die Tiefe des Meeres hinab. Warum reißen sich
denn aber die Arnauten, die diese Gefahr mit eigenen Augen
sehen und die eigene Existenz zu retten hoffen und wünschen,
nicht von dem schlechten und unverständigen Menschen los, der
sie in die Tiefe zu ziehen bemüht ist?! Was muss ein Mensch tun,
der in eine solche Gefahr geraten ist? Er muss, um sein eigenes
Leben zu retten, sich von dem Verräter, der ihn mit sich zugleich
zu ertränken droht, zu befreien suchen, indem er ihn mit einem
kräftigen Fußtritte in die Tiefe des Meeres hinabstößt. Das ist der
Weg zur Rettung, es gibt kein anderes Mittel. Die Türkei wird
sodann nicht weiter leben, sie wird nicht weiter leben können, sie
wird nicht weiter leben wollen und sie braucht auch nicht weiter
zu leben.
Wenn sich die Arnauten von den Türken nicht trennen wollen,
so werden sie eben mit ihnen zusammen untergehen. Das ist
ganz klar. Einen toten Menschen muss man beerdigen, so sehr
man ihn auch geliebt haben mag. Von ihm sich nicht trennen
wollen, heißt mit ihm zusammen zu Grabe gehen. Die Türkei
ist tot, sie wird begraben, wir können sie nicht länger halten,
denn die ganze Welt wird durch dieses schlechte Aas beunruhigt.
Daher wiederholen wir: So wie Albanien bisher gelebt hat,
kann es fürderhin nicht weiterleben. Es ist klar und feststehend,
dass Albanien mit der Türkei zusammen nicht weiter existieren
kann. Selbst wenn der Türkei eine neue Blütezeit beschieden
wäre und sie noch eine Zeitlang leben würde, so könnte
Albanien nicht mit ihr vereint leben. Ja, eine neue Blütezeit und
eine Verlängerung der Lebensdauer des ottomanischen Reiches
wäre sogar Albaniens Tod. Wir haben in den vorangegangenen
Abschnitten gesehen, wie die Türken dadurch, dass sie den
Albanesen Hände und Füße banden, es ermöglichten, dass
Griechen, Slawen und andere sie bedrängen und bedrücken.
Wohl hat Albanien bis heute Nation und Sprache zu erhalten
gewusst. Wenn jedoch Albanien keine Schulen errichten,
Wissenschaften und Künste nicht pflegen darf, so wird dies
fürderhin nicht möglich sein. Die Türkei lässt es aber nicht zu,
dass die Arnauten Schulen bauen und ihre Sprache entwickeln;
dagegen lässt sie die übrigen Völkerschaften, die Albaniens
Feinde und ihre eigenen sind, nach Belieben schalten. Wenn
also die Türkei noch längere Zeit am Leben bleiben würde,
dann wird von Albanien keine Spur mehr übrig bleiben. Dieses
Land wird dann zwischen den Griechen und den Slawen
aufgeteilt werden.
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2. Abschnitt. Sind die Albanesen fähig, sich selbst zu erhalten?
Auf dieser Welt sind zweierlei Dinge nötig: das Recht und die
Kraft. Das Recht, das sich nicht auf die Kraft stützt, und die Kraft,
die nicht vom Recht gestützt wird, sind wie ein einzelner Flügel;
mit nur einem Flügel kann kein Vogel fliegen.
Die Kraft, die sich nicht auf das Recht stützt, richtet sehr selten
etwas aus und auf das Recht, das nicht die Kraft hinter sich hat,
wird sehr selten geachtet. Jederzeit verschlingt der große Fisch den
kleinen.
Zweifellos steht heute den Albanesen das Recht zur Seite. Wie
sollte es auch nicht das Recht der Albanesen sein, ihre Sprache zu
lesen und zu schreiben? Alle Nationen, selbst die ärmsten und
schwächsten, besitzen dieses Recht und niemand macht es ihnen
streitig. Eines Rechtes nun, das jedes Volk auf Erden besitzt,
sollten die Albanesen beraubt sein?
Sie sollen ihre eigene Sprache nicht lernen dürfen, es soll zulässig
sein, dass andere Völker aus der Fremde daherkommen, um sie
ihre Sprache zu lehren und um ihr Idiom und Volkstum an die
Stelle derjenigen der Arnauten zu setzen? Nein! Tausendmal nein!
Die Albanesen sind stärker als alle auf der Balkanhalbinsel
ansässigen Völker und wenn man die geistigen Fähigkeiten ins
Auge fasst, sind sie kräftiger und gesünder als jedes andere Volk
des Erdballes.
Selbst heute und in ihrer jetzigen Situation ziehen ihrer 500.000
Mann zu den Kriegen aus! Überhaupt sind 200.000 bis 300.000
Krieger jederzeit auf die Beine zu bringen. Diejenigen, welche
Albanien gut kennen, werden sich über diese Ziffern nicht wundern. Denn Albanien hat in so vielen Kriegen jederzeit so viele
Leute stellen können. Und andererseits ist es auch jedermann
bekannt, dass 200.000 Mann albanesischer Truppen 500.000
fremden Soldaten gewachsen sind. Die Mannhaftigkeit der
Arnauten wird selbst von ihren Feinden nicht bestritten.
Wir haben oben gesehen, wie viel Tapferkeit die Albanesen
gezeigt, wie treu sie den Fremden, die ihre Herren oder ihre
Waffengefährten waren, gedient und wie sie sie groß gemacht
haben. Sollten nun diese Arnauten, die den Fremden, welche
ihre Aufopferung nicht zu schätzen wussten, soviel Dienste
erwiesen haben, nicht auch fähig sein, ihre Sprache und
Nationalität zu schützen? Wie sollten sie dieser legalen Rechte
nicht teilhaftig werden, die ihnen doch gebühren?
Bis zum heutigen Tage haben die Arnauten jederzeit kraftvoll
gekämpft. Niemals aber haben sie für ihre legalen Rechte
gestritten. Heute aber ist der Tag, wo sie für ihre nationalen
Interessen und für ihre geheiligten Rechte eintreten müssen.
Für eine Nation gibt es nichts heiligeres als sein Volkstum und
seine Sprache. Der Mensch, welcher Krieg führt, um Beute
und Schätze zu gewinnen, wird stets getadelt, aber ein Mensch,
der gegen den Räuber seines geheiligten Rechtes kämpft, ist
doppelt ein Held. Sein legales Recht verleiht ihm eine Kraft,
die niemals besiegt werden kann. Da kann ein Mann zehn
Männer überwinden.
Wohlan, da nun die Arnauten so tapfer und stark waren,
warum blieben sie in dem Zustande der gebundenen Hände?
Und warum sind sie im Begriffe, ihr Land von Fremden
zerstückeln und für immer vernichten zu lassen, die schwächer
sind als sie selbst und sich weder auf die Kraft noch auf das
Recht stützen können? Sie blieben im Zustande der
gebundenen Hände, weil es der Türke ist, der ihnen die Hände
gebunden und sie mit gebundenen Händen den Feinden
ausgeliefert hat und mit dessen Hilfe und Unterstützung die
fremden Völker im Begriffe sind, die Albanesen zu vernichten!
Ist aber der Türke so stark, dass er mit einer Hand die Hände
der Arnauten fesseln, und mit der anderen ihren Feinden Hilfe
leisten kann? Nein, wir wissen sehr gut, dass der Türke so stark
nicht ist, aber er ist ein schlauer Fuchs. Er täuscht die Arnauten
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(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
durch teuflische und verräterische Intriguen. Aber auch die
Albanesen selbst binden ihre Hände, denn sie sind töricht und
blind!
Heute gleicht Albanien einem Löwen, dessen Füße gefesselt sind
und der von Schakalen und Füchsen umringt ist, die im Begriffe
sind, ihn in Stücke zu zerreißen. Da gibt es kein anderes Mittel, als
sich zu bewegen, sich zu schütteln und mit nur etwas Kraft die an
Händen und Fußen befindlichen Ketten zu zersprengen. Sodann
werden alle diese Schakale und Füchse entfliehen und nicht mehr
wagen, sich auch nur umzudrehen und ihre Gesichter zu zeigen.
In erster Linie muss man einmal der Türkei die Zähne weisen und
zu ihr sprechen: ‘Bleib fern, zieh dich zurück, misch dich nicht in
meine Sachen, denn ich habe gesehen, wie du mir die guten
Dienste, die ich dir erwiesen habe, auf erbärmliche Weise durch
Schlechtigkeiten gelohnt hast. Seit fünfhundert Jahren erhalte ich
dich, du aber hast mir die Hände gebunden und willst, dass die
Feinde mich zerstückeln, du willst mich mit dir in den Abgrund
reißen, in den du stürzen wirst!’
Was sind die Türken eigentlich? Ein wildes Volk, das mit
Bettlerknütteln in den Händen aus Nord- und Mittelasien
dahergekommen ist. Nachdem sie durch ihr Ungestüm die
schönsten und zivilisiertesten Länder der Welt in ihre Gewalt
bekommen hatten, haben sie sie gebrandschatzt und geplündert,
dann angezündet und zerstört. Bis heute halten sie sie in Armut,
Elend und Finsternis fest, zur Empörung der ganzen Menschheit.
Eines dieser Länder, die seit Jahrhunderten unter furchtbaren
Grausamkeiten schmachten, ist das arme Albanien, dessen Einwohner mehr als alle anderen Völker den Druck empfinden.
Die Türken gehören zu den Völkern, die wie Sintflut und Hagelwetter über die Erde dahingezogen sind Mit Sengen, Brennen und
Blutvergießen haben sie die halbe Welt heimgesucht Aber diese
Hunnen, Vandalen, Mongolen, Avaren, Gothen und so viele
andere wilde Völker, wo sind sie nun? Auch die Türken, die
von gleicher Wesensart sind, wie diese wilden Völkerschaften,
haben keinen Anspruch darauf, länger zu leben als diese;
übrigens sind sie ja ohnedies alt geworden. Noch länger zu
leben haben sie kein Recht und weiterhin können sie weder
leben noch wollen sie es; denn sie haben bis jetzt weder einen
zivilisierten Staat wie die übrigen Nationen zu bilden, noch
eine ordentliche Verwaltung einzuführen vermocht. Sie wollen
für immer in Unkultur leben. Sie werden und müssen zugrunde
gehen, damit die Menschheit von ihnen erlöst werde.
Was aber haben wir den Türken getan, dass sie auch uns mit
sich in den Abgrund ziehen wollen? Was haben wir mit den
Türken zu schaffen? Müssen wir mit den Türken zusammen
gehen? Niemals! Wir sind keine Türken und stammen auch
nicht von asiatischen Völkern her. Wir sind Europas älteste
Nation. Wir haben mehr als jedes andere Volk Anspruch auf
europäische Erde. Die Albanesen sind berechtigt, dieses heilige
Recht zu fordern und in Anspruch zu nehmen.
Wenn Recht und Kraft vereint sind, so entsteht daraus eine
Gewalt, der nichts zu widerstehen vermag. Gestützt auf diese,
sind die Arnauten befähigt, ihre Rechte, das ist: ihre Nation,
ihre Sprache und ihr Vaterland jedem Fremden gegenüber zu
verteidigen; sie brauchen es nur zu wollen.
3. Abschnitt. Albaniens Heil oder sein Untergang liegt in den Händen
der Arnauten.
Heute steht Albanien am Rande eines sehr tiefen und gefährlichen Abgrundes. Am Rande eines solchen Abgrundes darf
man aber nicht lange stehen bleiben. Wenn man an einem
solchen Orte bleibt, so läuft man Gefahr, in die Tiefe zu rollen
und dort in tausend Stücke zu zerschellen. Wenn man in
Sicherheit bleiben will, so muss man sich an einem ebenen und
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gefahrlosen Orte aufhalten. Sobald einmal Albanien sich aus den
es umgebenden Gefahren befreit und sich auf den Weg des Heiles
und Fortschrittes begeben haben wird, dann wird es eines der
besten und schönsten Länder Europas werden.
Ist Albanien auch nicht groß, so ist es doch auch nicht viel kleiner
als manche andere Länder, die selbständige Staatswesen darstellen,
wie Griechenland, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Dänemark,
Belgien, Holland und andere. Es grenzt an Europa und ist Italiens
und Österreichs Nachbar. Es würde rasch zur Zivilisation
gelangen und sich gut in Europa einfügen.
Wie wir schon oben gesehen haben, besitzen die Arnauten alles,
was sie hiezu brauchen. Sie sind aufgeweckt und verständig, für
die Zivilisation und jede Art von Kunst und Wissenschaft
empfänglich und zahlreich. Sie sind sehr tapfere und berühmte
Krieger. Unser geliebtes Vaterland kann in seinem gegenwärtigen
Zustande nicht mehr lange verharren. Es wird für immer verloren
sein und weder die Albanesen noch Albanien werden mehr sein,
oder es wird sich in einer Weise umbilden, die in der Welt einzig
dastehen und den Neid aller Völker hervorrufen soll. Albaniens
Heil oder sein Untergang liegen in den Händen der Arnauten
selbst. Wenn wir wollen, können wir gerettet, wenn wir wollen,
können wir verloren sein.
Es ist nicht nötig, dass wir gleich den anderen Völkern vorgehen,
um unsere Freiheit zu gewinnen. Wir können es anders machen;
wir brauchen nicht zu den Waffen zu eilen, wir brauchen uns nicht
in unsere Berge und Schluchten zu werfen, um uns dort töten und
vernichten zu lassen. Die Arnauten mögen es so machen, dass sie
einander den Abschluss eines Bundes versprechen, dass sie
einander in mannhafter Weise die Bessa geben und die Bessa
abnehmen, von Europa und der Türkei ihre Rechte zu fordern,
und auf diesem Entschlusse treu beharren. Die Türkei wird dann
kaum vernommen haben, was wir wünschen, so wird sie es auch
schon geben Ebenso wie die Arnauten den anderen Völkern
Europas Hilfe geleistet haben, so werden auch diese den
Albanesen beistehen und auf die Türkei einen Druck ausüben.
4. Abschnitt. Bessa und Bund der Albanesen.
Die ‘Bessa’ der Arnauten ist schon seit dem Altertum bekannt
und heute auf der ganzen Welt berühmt. Der Arnaute tritt von
einer abgeschlossenen Bessa niemals zurück, er bricht sie nicht,
er hält sie bis zum letzten Atemzuge. Bis zum heutigen Tage
hält der Arnaute die Bessa heilig und sie ist es auch, die ihn von
den ihn umgebenden Gefahren retten wird.
Was die Albanesen vor allem anderen tun müssen, ist der
Abschluss einer auf ganz Albanien sich erstreckenden, großen
und allgemeinen Bessa. Jeder Arnaute muss in dieser Bessa und
im Bündnisse inbegriffen sein. Die Blutsverwandten müssen
von der Durchführung der bis zum heutigen Tage noch nicht
erledigten Blutprozesse abstehen und sie der Vergessenheit
anheimgeben. Wer Blut vergossen hat, muss amnestiert werden.
Das arnautische Blut ist sehr kostbar, wozu es nutzlos verspritzen? Wozu sollen wir einander töten, da doch unser kostbares Blut im Kampfe gegen die Feinde unseres Vaterlandes
vergossen werden muss?
Sobald sich die Arnauten zu einer solchen starken Bessa, zu
einem Bunde vereinigt haben werden, werden sie wie ein
ungemein starker Mann sein, der sich in den Dienst eines
Zweckes, einer Absicht, einer Idee gestellt hat. Wer kann sich
dann Albanien und den Arnauten gegenüber zu stellen wagen?
Wer würde heute, sobald die Einigkeit hergestellt ist, es noch
so wie damals, wo sie fehlte, wagen, den Arnauten ihre
geheiligten Rechte zu entreißen, und sie unter die Füße zu
treten?
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Auf, Ihr Heldensöhne, Ihr Heldenarnauten! Schließt die Bessa,
den Bund, seid einig! Das wird euch retten! Anders werdet Ihr
euch nicht retten können, sondern werdet vernichtet werden!
geschlossen werden, sie muss vom Momente des Abschlusses
so lange gelten, bis das Heil Albaniens gesichert ist, und muss
unverbrüchlich von allen Beteiligten gehalten werden.
Schaut nicht auf die Religionen, die Glaubensbekenntnisse.
Muslims, Katholiken, Orthodoxe, alle Arnauten sind Brüder, was
immer und wo immer sie sein mögen. Alle Arnauten müssen sich
unter Albaniens geheiligter Fahne sammeln! Wer es mit den
Türken hält, sich von den Arnauten absondert oder aus religiösen
Gründen mit den Feinden Albaniens zusammengeht, ist ein
arnautischer Verräter, ein Feind unseres Vaterlandes und unserer
Nation Solche Leute kann man nicht Arnauten nennen. Man darf
sie nicht als Arnauten, man muss sie als Feinde ansehen.
Bis zu jenem Tage muss der Bund halten und in ganz Albanien
Geltung haben. Denn die türkische Verwaltung ist keine solche,
die einer Besserung fähig wäre, sie neigt vielmehr nur zur Verschlechterung. Die türkische Regierung gibt Albanien nicht frei,
sie will es vernichten. Es muss daher der albanesische Bund in
den Fragen, die auf unser Volkstum und unsere Rechte sich
beziehen, an die Stelle jener Regierung treten. Was nötig ist,
müssen die Albanesen selbst tun, oder die Türken mit Gewalt
dazu zwingen, es geschehen zu lassen. Auf diese Weise müssen
wir unser Idiom und Volkstum, sowie die Rechte der
arnautischen Nation schützen und verteidigen.
Allah sei Lob! Albaniens Einigung macht Fortschritte. Die Bessa
ist dabei, an Kraft zuzunehmen. Albaniens Einigung, die an einer
Stelle Albaniens ihren Anfang genommen hat, wird sich rasch
nach allen Gegenden Albaniens ausbreiten. Anfangs wurde der
Hauptzweck dieses Bundes von den Albanesen verschieden
beurteilt und auch nicht ernst genommen; allmählig wurde das
aber anders. Es war unerlässlich, schon von Anfang an dem
Bunde diesen Zweck zu geben und die Urheber des Bündnisgedankens haben dies auch gewollt, weil es eben nicht anders ging.
Man ließ auch nicht locker und nun, wo die Fundamente des
Bundes einmal feststehen, gewinnt er langsam an Kraft Der
Zweck des Bundes wird unbedingt erreicht werden und was dazu
nötig ist, wird geschehen. Bei der zweiten oder dritten Zusammenkunft wird man sich darüber verständigen.
Wir müssen glauben und hoffen, dass dieser Bund, der in
Albanien in der Bildung begriffen ist, diese Vereinigung, diese
Bessa, die Ursache zu Albaniens Heil werden wird. Denn alle
Arnauten wissen, dass Albanien in Gefahr und sehen, wo sein Heil
zu finden ist.
Diese Bessa gleicht den vergangenen Bessas nicht, sie ist eine
Bessa auf Leben und Tod. Diese Bessa darf nicht auf kurze Zeit
In jedem Sandschak Albaniens wird der Bund eine Sektion und
er wird auch eine Zentrale haben. In jeder dieser Sektionen
wird ein Ausschuss gebildet werden, der sich jede Woche zu
versammeln haben wird. Was den Hauptausschuss anbelangt,
so wird er im Jahre eine, und nach Maßgabe des Bedarfes
weitere Sitzungen abhalten. Jede Sektion wird aus einem
Präsidenten, einem Schriftführer, einem Kassier, und aus vier
bis fünf Mitgliedern bestehen. Auch diese werden im Bedarfsfalle Einladungen zu Sitzungen ergehen lassen und mit dem in
der Zentrale befindlichen großen allgemeinen Ausschusse den
Gedankenaustausch zu pflegen haben.
5. Abschnitt. Albaniens Ziele.
Albaniens einzige Ziele sind seine Befreiung von der Fremdherrschaft, die Erhaltung des eigenen Idioms und Volkstums,
das Standhalten gegenüber den Intriguen der Feinde und die
Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Sprachen der
Griechen und Slawen, endlich die Durchkreuzung der Köde-
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rungsabsichten dieser Nationen, die Albanien und dem Arnautentum die Wurzeln abgraben wollen.
Zielen dient und die nötigen Qualitäten besitzt, eine
Verwaltung mit offenen Augen.
Alles was diesen Absichten der Arnauten entgegenstrebt, jede
Gegenaktion wird von allen wahren Albanesen und dem ‘AlbanerBunde’ bekämpft und niedergerungen werden. Dagegen werden
alle Mittel, welche den Zielen der Arnauten förderlich sind,
angewendet werden.
Dies sind die Ziele der Arnauten, mag man sie nun wie immer
beurteilen.
In allererster Linie steht die Sprache. Albanien kann ohne die
Arnauten, die Arnauten können ohne das Albanesische, dieses
kann ohne eigenes Alphabet und ohne Schulen nicht bestehen.
Daher muss zu allererst die Sprache geschützt werden. Auf die
Türkei muss der nötige Druck ausgeübt werden, damit sie ihren
ablehnenden Standpunkt gegenüber der albanesischen Sprache
aufgebe. Die Türkei muss gezwungen werden, die Eröffnung
albanesischer Schulen, den Druck albanesischer Bücher und
Zeitungen zuzulassen.
Die im verflossenen Abschnitte erwähnte Änderung der
Verwaltung brauchen die Albanesen so notwendig wie das Brot,
das sie essen, und das Wasser, das sie trinken. Bekommen sie
eine solche Verwaltung nicht, dann können sie weder ihrer
Sprache zur Entwicklung und Ausbreitung verhelfen, noch ihre
Nationalität schützen. So rasch als möglich muss Albanien
seine Lostrennung betreiben, die Vorgangsweise hiebei
studieren und seine neue Stellung kennen lernen. Auch Europa
muss sich darum kümmern.
Jeder Arnaute hat zuförderst das Albanesische lesen und schreiben
zu lernen und darf erst dann - wenn er es für nützlich hält - sich
mit den fremden Sprachen befassen.
Die Albanesen müssen ihre Sprache durch Kunst und
Wissenschaft schmücken und verbessern. Alle müssen sich
zusammentun und zeigen, dass sie einen einheitlichen Körper,
eine einzige Nation bilden und sie müssen derselben Rechte
teilhaftig werden, die alle anderen Völker auf dem Erdballe
besitzen.
Das Zweite ist die Kirche. Die Albanesen müssen aus der
Abhängigkeit von der griechischen, bulgarischen und serbischen
Kirche befreit werden; es müssen eigene nationale, christliche
Kirchen mit albanesischen Priestern und einer albanesischen
Liturgie geschaffen werden. Denn der heilige Jesus war weder
Grieche noch Slawe.
Damit all das geschehen kann, muss die derzeitige Verwaltung
beseitigt und durch eine solche ersetzt werden, die den
arnautischen nationalen Bedürfnissen und Interessen angepasst ist
und die das Vaterland und die Nation schützt. Sie darf nicht, wie
die jetzige Verwaltung, uns fremd und blind gegenüberstehen,
sondern muss eine albanesische Verwaltung sein, die unseren
6. Abschnitt. Die kommende Verwaltung.
Wenn auf der Balkanhalbinsel eine Umwälzung stattfinden und
die Türkei untergehen wird, wird Albanien auf sich selbst
angewiesen sein. Denkt niemand daran, was dann aus Albanien
werden wird ? Es wird niemand den Gedanken zu nähren
wagen können, sich ein Stück Albaniens anzueignen. Auch
wenn Albanien eine autonome Verwaltung besitzt, wird es
unter türkischer Oberhoheit verbleiben.
Die Arnauten sehen, dass die Türkei daran arbeitet, die
arnautische Nation von den Nachbarvölkern, die deren Feinde
und ihre eigenen sind, aufsaugen zu lassen. Dennoch haben die
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Arnauten, die seit 500 Jahren für jenes Staatswesen ihr Blut
vergießen, ihm niemals den Untergang gewünscht. Ebenso wie sie
ihre mit der türkischen Regierung abgeschlossenen Verträge bis
jetzt gewissenhaft gehalten haben, gedenken sie das auch ferner zu
tun und wollen auch weiterhin ihr Blut opfern. Ja, die Albanesen
würden der Türkei noch bessere Dienste leisten können, wenn sie
die von uns besprochene eigene, autonome Verwaltung bekämen
und wenn sie, wie es die Notwendigkeit erheischt, ihre eigenen
Kräfte steigern.
Wenn aber die Türkei, wie gewöhnlich, ihr eigenes Heil nicht will,
es vorzieht, ihren Weg fortzusetzen und geradeaus in den Abgrund zu rollen, so werden die Albanesen sich eben darauf beschränken, sich selbst zu retten und die ganze Welt wissen lassen,
dass sie ihr Heil in die eigene Hand genommen haben und nicht
willens sind, sich selbst zu töten und mit ‘Madschnun’16 zugleich
zu Grunde zu gehen.
So wird sich denn die von uns beschriebene albanesische
Verwaltung unter türkischer Oberhoheit befinden. Aber nicht in
der Weise, wie sich die Türken das vorstellen mögen, wird
Albanien mit ihnen zusammengehen. Sondern Albanien soll
wieder so selbständig werden, wie es dies einstens war. Falls die
Türkei gesunden sollte, darf sie doch nicht wieder in den Stand
gesetzt werden, Albanien zu verderben und zu unterdrücken- Sie
soll nicht mehr, wie sie es bis jetzt getan hat, Gelegenheit finden,
intrigant und korrumpierend vorzugehen und wie zur Zeit des
Elends Albanien mit sich zusammen ins Grab reißen zu können.
Wie wird aber Albanien eine solche Verwaltung bekommen? Wir
wissen sehr wohl, dass die Türkei aus freiem Antriebe und in Güte
nichts gewährt. Es ist ja bekannt, dass die Türkei kein guter Hirte
Madschnun (‘der vom bösen Geiste Besessene’) ist der sehr popu-läre
Held eines großen arabischen Romans.
16
ist, der seine Schäflein zur Ernährung auf fette Weiden führt
und sie hegt und pflegt. Sie ist im Gegenteil ein Wolf, der die
Schäflein erst verlässt, nachdem er ihr Fleisch aufgefressen und
ihre Knochen zermalmt hat.
Statt Albanien eine menschliche und geordnete Verwaltung zu
geben, statt es zu unterrichten und zu belehren, wünscht die
Türkei, dass Albanien unter dessen Feinde aufgeteilt werde.
Das haben die Türken überall und jederzeit getan.
Sie haben so viele Länder verloren, die sie sich durch
Einführung einer menschlichen Verwaltung für immer hätten
erhalten können. Denn die Türken sagen so: Was tun wir mit
Ländern, in denen wir nicht töten, schlagen, stechen, vernichten, brennen, sengen und morden können? Es ist besser, wir
geben ein solches Land auf, wir brauchen es nicht, mag es
nehmen wer will. Von diesem Standpunkte ausgehend, hat sich
die Türkei vor kaum zwanzig Jahren in dem auf dem Berliner
Kongresse abzuschließenden Vertrage auch nicht dazu verstehen wollen, für Rumelien und Anatolien Reformen zuzugestehen, und Europa, das doch mitunter vor Pressionen nicht
zurückscheut, lieh den Unterdrückten dennoch sein Ohr nicht.
Seitdem bereitet sich die Türkei ohne Unterlass zum Kriege
vor, der sie bei dieser Sachlage doch schließlich selbst vernichten wird.
Man kann demzufolge wohl sagen, dass die Türkei den
Albanesen aus freien Stücken nichts geben wird. Was Albanien
braucht, muss es den Türken mit Gewalt abringen. Zunächst
mag es das allerdings auf friedliche Weise fordern, muss aber
schon seine Gewehre schußbereit halten.
Wir glauben allerdings nicht, dass die Türkei dumm genug sein
wird, es auf einen Krieg ankommen zu lassen. Denn die Zeiten
sind vorbei, wo sie die Tosken auf die Ghegen loslassen und
die Ghegen auf die Tosken hetzen konnte. Heute würden
vielleicht nicht einmal die Türken, speziell die Türken Rume-
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liens, auf die Albanesen schießen können. Würden denn, während
sich die Türken mit den Albanesen herumschlagen, die übrigen
Völker der Balkanhalbinsel fernstehende Zuschauer bleiben?
Würden nicht auch sie sich erheben und ihre Ansprüche geltend
zu machen wünschen? Mit Rücksicht auf diese schwerwiegenden
Bedenken werden die Türken nicht wagen dürfen, die Arnauten
mit Krieg zu überziehen.
Aber auch einige von den Großmächten, denen ja eine
Umwälzung auf der Balkanhalbinsel höchst unerwünscht wäre,
würden sich einmengen und auf die Türkei im Sinne der Gewährung der albanesischen Wünsche einen Druck ausüben.
Wenn aber weder die Türkei noch Europa die Forderungen der
Albanesen beachten wollten, so würden diese ihnen drohend zurufen: ‘Wir sind bereit, im Bunde mit unseren kleinen Nachbarn
die Türkei unter uns aufzuteilen und unser Albanien anderen
Staaten zu überlassen."
Mag das nun werden wie es wolle, jedenfalls wird man auf unsere
Stimme hören und uns unsere Rechte geben. Man wird Albanien
kennen lernen und es wird seine autonome Regierung bekommen.
Wir wünschen, solange die europäische Türkei besteht, unter ihrer
Souveränität zu bleiben und insolange sie nicht vernichtet und
verjagt ist, wollen wir keineswegs und niemals von ihr getrennt
werden. Aber alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Türkei auf
dem von ihr eingeschlagenen Wege nicht mehr weit kommen wird.
Es ist klar, dass ihre Lebenstage als europäischer Staat gezählt sind.
Was wird dann aus Albanien werden? Wird es auf eigenen Füßen
stehen? Gut, aber auf welche Weise? Wie wird seine Autonomie
aussehen ?
sein oder wer dann ihr Staatsoberhaupt sein werde. Soll ein
Arnaute es werden, so sind sämtliche Albanesen der Meinung,
dass keine Familie im Lande so ehrwürdig und hochstehend sei,
dass aus ihr das Oberhaupt entnommen werden könnte. Soll es
ein Ghege sein, so wären die Tosken dagegen. Soll es ein Toske
werden, so würden die Ghegen dies nicht zugeben. Käme ein
Muslim in Betracht, so würden ihn die Christen nicht mit
freundlichen Augen ansehen. Würde es ein Christ, so wären die
Muslims nicht einverstanden. Käme ein Fremder aus Europa
daher, so würde er Bälle, Theater und andere europäische
Einrichtungen nach Albanien verpflanzen wollen, die nicht nur
den arnautischen Muslims, sondern auch den Christen
unsympathisch sind. Käme ein mohamedanischer Fürst ins
Land, so brächte er einen Tross von Dienern, Sklavinnen und
schwarzen Negern mit, welche zu ernähren und zu erhalten der
Arnaute keine Lust hast.
Wozu braucht Albanien an der Spitze seiner Regierung einen
solchen Mann? Wozu sollen wir unserem Lande all die Kosten
auferlegen, die ein solcher Fürst oder Padischah verursachen
würde? Zudem würde er dadurch, dass er einzelne von uns
bevorzugen und mit Ehren überhäufen würde, die übrigen
beleidigen und ihre Charaktere verderben.
Der große antike Historiker Strabo sagte vor 2000 Jahren bei
Besprechung unserer Länder Folgendes: ‘Obwohl es hie und
da einige Monarchien der Makedonien Illyrier und Epiroten
gibt, so sind doch meistens ihre tatsächlichen Beherrscher und
Grundpfeiler ihrer Verwaltungen die ‘Plakuni’ 17 genannten
Ratsversammlungen der Alten; diese Körperschaften sind es,
die in jenen Ländern die Regierungsgewalt innehaben.’
7. Abschnitt. Albaniens Staatsoberhaupt.
Die Fremden denken zuweilen und die Arnauten denken stets
daran, wer nach Einführung der Autonomie ihr Fürst oder König
17
Pelagonen.
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Warum sollten wir nun diese so viele Jahrtausende alte, schöne
Gepflogenheit aufgeben und einen fremden Mann suchen, der die
Hälfte der Einkünfte Albaniens absorbieren und die vortrefflichen
Charaktereigenschaften der Albanesen korrumpieren würde? Solch
einen Mann brauchen wir doch nicht. Wir sollten vielmehr von
jenen ‘Plakunis’ Strabos niemals abgehen. Diese ‘Pleksia’, die
Ratsversammlungen der Alten, müssen wir beibehalten. Albaniens
Oberhaupt soll die ‘Pleksia’ sein ; die ‘Pleksia’ soll für immer die
Regierungsgewalt ausüben.
8. Abschnitt. Albaniens Einteilung.
Da Albanien gegen Osten hin Gegenden aufweist, die auch von
anderen Nationen bewohnt sind und wir nicht wissen, welche
dieser Nationalitäten sich uns anschließen würden und welche
nicht, so können wir derzeit noch nicht bestimmen, wie weit sich
das autonome Albanien erstrecken, wieviele Sandschaks es
umfassen und nach welchem Schlüssel die Einteilung in Sektionen
vorgenommen zu werden hätte
Immerhin können wir unserer Ansicht dahin Ausdruck geben,
dass Albanien in 15 Sandschaks geteilt werden könnte, deren
Namen folgende sind: Skutari, lpek, Prisren, Prischtina, Uesküb,
Monastir, Dibre, Elbassan, Tirana, Berat, Kortscha, Kostur
(Kastoria), Janina, Ergeri (Argyrokastro), Prevesa. Jedes dieser
Sandschaks kann in 3 bis 4 Kazas geteilt und vom Mutessarif des
Sandschaks verwaltet werden, die Kazas – abgesehen von dem
Zentral-Kaza – durch die Kaimakams. Auf diese Weise wird es in
Albanien 15 Mutessarifs und zirka 60 Kaimakams geben.
Albaniens Zentrale, nämlich seine Hauptstadt, wird eine der in der
Mitte Albaniens liegenden Kasbas werden. Am besten wäre es, im
Mittelpunkte Albaniens, in klimatisch gesunder Lage an einem
schönen Platze eine neue Kasba zu gründen. Diese Kasba, die wir
‘Skander Begas’ nennen könnten, wird nach einem schönen Plane
mit breiten geraden Straßen, ordentlichen Gebäuden, Plätzen,
Gärten und anderen nützlichen Dingen geschmückt werden.
Binnen kurzem würde sie emporwachsen und gedeihen. Denn
ganz Albaniens Reichtum und Gelehrsamkeit würde dort
zusammenströmen und Lust bekommen, sich dort anzusiedeln.
Diese neue Kasba wird auch für die alten Kasbas eine besondere Mission zu erfüllen haben. Da nämlich ihre Einwohnerschaft ein Mosaik sämtlicher Stämme Albaniens darstellen wird,
so wird auch die dort gesprochene Sprache die Eigenheiten
und Formen der Idiome aller Gegenden Albaniens zeigen und
für die Sprache und Literatur des Landes das Vorbild und
Muster abgeben. Diese Kasba und ihre Umgebung wird
abgesondert und gleich einem Kaza verwaltet werden.
9. Abschnitt. Der Rat der Alten (Senat).
Einer der aus jedem Sandschak hervorgehenden ‘Alten; wird in
den Senatoren-Medžlis gewählt werden. Dieser aus 15
Senatoren bestehende Medžlis wird sich am Sitze der
Zentralregierung versammeln und aus seiner Mitte einen 1. und
2. Präsidenten wählen. Der 1. Präsident wird sodann die Würde
eines Fürsten oder Padischah in Albanien bekleiden. Er wird
die den Herrschern zustehenden Funktionen ausüben; er wird
die Anordnungen des Kabinettes, das ist des Minister-Rates,
sanktionieren; der Präsident des Medžlis wird, sobald er es an
der Zeit findet, eine ihm genehme Person zu sich bitten und sie
mit der Bildung eines neuen Medžlis-Kabinettes betrauen. Er
wird die Abgeordnetenversammlung eröffnen und die Eröffnungsrede halten. Überhaupt werden diejenigen Staatsaktionen,
die in den anderen Staaten von den Herrschern ausgeübt
werden, in Albanien dem Medžlis-Präsidenten zufallen. Nur
wird er diese Aktionen nicht durchführen dürfen, ohne sich
zuvor mit dem Medžlis ins Einvernehmen gesetzt und dessen
Zustimmung eingeholt zu haben. Denn ein einzelner Mann
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kann irren und einen Fehler begehen, aber 15 erfahrene Männer,
die die Sache prüfen, werden nicht alle zusammen einen solchen
Fehler machen.
Wenn auch dem Medžlis-Präsidenten die dem Staatsoberhaupte
gebührende Ehrfurcht und Ehrerbietung erwiesen werden wird, so
werden doch nur jene seiner Staatsaktionen Rechtskraft besitzen,
die vom ganzen Medžlis votiert und angeordnet werden.
Wenn der 1. Präsident krank oder abwesend ist, so hat der 2.
Präsident an seine Stelle zu treten und die Geschäfte zu führen.
Die Mitglieder des Medžlis und die Präsidenten werden auf vier
Jahre gewählt und alle zwei Jahre wird die Hälfte von ihnen
ausscheiden. Dei 1. Präsident wird mit einem Teile und der 2.
Präsident mit dem anderen Teile zugleich abtreten. Auf diese
Weise wird der Medžlis niemals ohne Oberhaupt bleiben. Sollte
der 2. Präsident zum 1. Präsidenten gewählt werden und er daher
die Stelle des 2. Präsidenten nicht mehr bekleiden können, so wird
für zwei Jahre ein anderer zum 2. Präsidenten gewählt werden.
Jedem Senator wird ein Sekretär beigegeben werden und der
Sekretär des 1. Präsidenten wird den Posten eines Chefsekretärs
bekleiden. Die Sekretäre werden nicht zugleich mit den Senatoren
ausgewechselt werden.
Jedes Sandschak wird mit dem Senator, den es in den Medžlis
entsendet hat, in ständigem Kontakte bleiben. Es wird seine
anfälligen Klagen über Regierungsbeamte oder sonstige Beschwerden und anderweitige Anliegen an seinen eigenen Senator gelangen lassen. Die Sekretäre werden die bei ihnen einlangenden Gesuche in Evidenz halten, sie sorgfältig prüfen und dann werden
diese Gesuche, nachdem der Senator sie mit seinem Sekretär
zusammen studiert hat, dem Medžlis zur Beratung unterbreitet
werden.
Die vom Medžlis getroffene Entscheidung wird zum Zwecke der
Durchführung der nötigen Maßregeln dem Premierminister oder
dem kompetenten Ressortministerium zugemittelt werden. So
wird zwischen Bevölkerung und Regierung ein Kontakt hergestellt werden, damit der Senatoren-Medžlis zu jeder Angelegenheit in gehöriger Weise Stellung nehme und niemandes Klage
unberücksichtigt lasse.
Der Senatoren-Medžlis wird sich in der Hauptstadt befinden
und jeden Tag Sitzung halten; nur wird es den Senatoren
gestattet sein, im Sommer zwei Monate - und zwar je einen
Monat der einen Hälfte und einen Monat der anderen Hälfte sich in ihre Heimat zu begeben, teils um der Ruhe und
Erholung zu pflegen, teils um an Ort und Stelle die lokalen
Bedürfnisse zu studieren.
Die in den Senatoren-Medžlis zu wählenden Personen, mögen
sie nun lesen und schreiben können oder nicht, sollen die
Achtung und Ehrfurcht der Bevölkerung, aus der sie
hervorgehen, genießen und über dreißig Jahre alt sein.
Der Senatorert-Medžlis wird darauf zu achten haben, dass die
Medžlis-Abgeordneten hinsichtlich ihrer Beschlüsse stets die
gebotene mäßigung beobachten und er wird auch auf die
Erhaltung der völkischen Sitten bedacht sein. Indessen wird
der Medžlis doch trachten, einige für die Jetztzeit doch zu
rohen und heftigen Eigenheiten der Arnauten bis zu einem
gewissen Grade zu mildern und zu zügeln.
So oft Neuwahlen der Senatoren stattfinden, wird allen
Einwohnern Albaniens, aus denen diese ja hervorgehen, die
Möglichkeit geboten sein, in den Senat zu gelangen und die
meisten der Senatoren werden ja auch in die Lage kommen,
Präsidenten zu werden. Es wird sich also niemand beklagen
können. Selbst diejenigen, die nicht lesen und schreiben
können und daher unfähig sind, ihre Angelegenheiten selbst zu
betreiben, werden in Albaniens höchsten Medžlis gelangen
können und ihres Anspruches darauf nicht beraubt sein.
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10. Abschnitt. Die Deputierten-Kammer.
11. Abschnitt. Die Minister.
Aus jedem Kaza werden zwei Mann zu Deputierten gewählt
werden es wird somit auf je 20.000 Einwohner ein Abgeordneter
entfallen. Es wird sich eine Deputiertenkammer von etwas über
oder etwas unter hundert Mann am Sitze der Regierungsgewalt
Albaniens auf einen Monat im Jahre versammeln.
Die Gruppe der Minister, die innerhalb ihrer Ressorts Albanien
durch Gesetze und lokale Verordnungen verwalten werden,
also Albaniens Ministerrat, wird aus sieben Personen bestehen :
Dem Minister für innere Angelegenheiten, dem Minister für
auswärtige Angelegenheiten, dem Kriegs- und Marineminister,
dem Justizminister, dem Finanzminister, dem Unterrichtsminister und dem Minister für öffentliche Arbeiten. Einer
dieser Minister wird, sobald einmal Albanien ein autonomer
Staat sein wird, als Ministerpräsident fungieren.
Sie wird sich mit der Prüfung und Bewilligung des Budgets, sowie
den öffentlichen Arbeiten zu befassen haben und über die dem
Ministerrate und dem Senate zuzuweisenden Aufgaben beraten.
Die Mitglieder der Deputiertenkammer werden auf vier Jahre
gewählt und die Hälfte davon wird nach zwei Jahren ausscheiden.
Das aktive Wahlrecht haben diejenigen, welche das 20. Lebensjahr
erreicht haben, jährlich mindestens 5 Franken Steuer an die
Regierung abführen, ein Haus oder sonstigen Besitz haben, oder
Schulen absolvierten und lesen und schreiben können. Das passive
Wahlrecht kommt jenen zu, die das 25. Lebensjahr vollendet
haben, mindestens 10 Franken im Jahre an Steuern zahlen, ein
Haus oder Grund und Boden besitzen und Schulen höheren
Grades, allenfalls eine Hochschule absolviert haben.
Gesetze und Verordnungen, Steuervorlagen aller Art, Eisenbahnprojekte und andere großzügige Werke werden, nachdem sie im
Ministerrate der Beratung unterzogen worden sind, dem Medžlis
der Deputierten unterbreitet. Sobald sie im Medžlis der
Deputierten approbiert und gebilligt worden sind, kommen sie vor
den Medžlis der Senatoren. Sollte auch der Senat sie annehmen, so
erhalten sie das Siegel des Präsidenten des Senates und werden an
den Ministerrat zurückgeleitet.
Sobald sich die Deputiertenkammer versammelt hat, wählt sie aus
ihrer Mitte einen 1. und einen 2. Präsidenten.
Wenn Albanien eine autonome Provinz der Türkei wird, so
wird der aus Stambul für fünf Jahre nach Albanien entsendete.
Generalgouverneur die Stelle eines Ministerpräsidenten
einnehmen. Die hohe Pforte wird den Namen des Wali, den sie
den Albanesen zu schicken willens ist, dem Senate bekanntgeben, welcher sofort die Deputiertenkammer einzuberufen
hat. Im Falle diese beiden Medžlisse den Mann nicht
akzeptieren, welchen die hohe Pforte den Arnauten senden will,
so wird der Senatspräsident dies der hohen Pforte bekanntgeben, damit diese eine andere Persönlichkeit designiere.
Jeder von den Ministern wird für die Ausübung der ihm
übertragenen Funktionen, der Ministerpräsident oder Generalgouverneur aber wird für die Amtshandlungen sämtlicher
Ministerien den Medžlissen der Senatoren und Deputierten
gegenüber die Verantwortung zu tragen haben.
Die Minister werden in jeder Woche ein- oder zweimal
zusammentreten, um über ihre Aktionen zu beraten und jeder
Minister wird jene Angelegenheiten, die nicht seiner eigenen
Entscheidung zustehen, dem Ministerräte zur Besprechung zu
unterbreiten haben. Der Ministerrat selbst wieder wird für
gewisse wichtige Materien die Wohlmeinung des Senates
einholen und erforderlichen Falles mit diesem gemeinsame
Sitzungen halten und mit ihm zusammen beraten.
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12. Abschnitt. Militärische Angelegenheiten.
Jeder Arnaute wird sich von seinem 20. bis zu seinem 40.
Lebensjahre zum Militärdienste bereithalten müssen. Sobald er 20
Jahre alt ist, wird er auf bloß ein Jahr zum aktiven Heeresdienste
herangezogen. Er wird in der seiner Heimat nächstgelegenen
Kaserne bequartiert werden, Exerzieren und den soldatischen
Dienst lernen. Im Falle er sich die notwendigen Kenntnisse schon
vor Ablauf des Jahres angeeignet hat, wird er auf ein schriftliches,
von seinem Kommandanten befürwortetes Ansuchen hin
beurlaubt.
Die aus dem aktiven Dienste, dem Nizamstande, Tretenden
werden in die Landwehr (Redif) übersetzt. Die Redifs werden in
drei Klassen eingeteilt. Die erste Klasse umfasst sieben Jahre, die
zweite und dritte je sechs Jahre. Die erste Klasse wird einen Monat
im Jahre, die zweite zwei Wochen, die dritte eine Woche in den
Hauptort ihres Kaza einrücken und ihre Exerzitien dort zu wiederholen haben. Die Waffen und Monturen jedes Mannes werden in
den Kasernen, mit Nummern versehen, aufbewahrt werden.
Die Redifs können jederzeit, sobald es sich als notwendig erweist,
unter die Waffen gerufen werden. Zunächst wird die erste, sodann
die zweite, im Notfalle auch die dritte Klasse dorthin einberufen
werden, wo man ihrer bedarf.
Vom 40. bis zum 60. Lebensjahre ist jeder Arnaute Landsturmsoldat (Mustahfiz). In Kriegszeiten werden diese einberufen
werden und zur Verteidigung des Landes berufen sein.
Auf den beschriebenen Grundlagen wird der Heeresstand zu
Friedenszeiten vielleicht 20.000 Mann nicht übersteigen, in
Kriegszeiten aber wird er eine Heeresmacht von 500.000 Mann
ergeben, die in vier Armeekorps eingeteilt sein werden.
Das erste Armeekorps wird an der griechischen Grenze stehen,
das zweite an der östlichen, das dritte an der nordöstlichen, d.i.
serbischen, das vierte an der nordwestlichen, d.i. monte-
negrinischen Grenze sich befinden. Janina, Monastir,
Prischtina und Skutari werden die Hauptquartiere der Armeekorps sein.
In jedem Sandschak wird ein General, d.i. Divisionskommandant, in jedem Kaza ein Bimbaschi, in jeder Nahije
werden je nach Bedarf noch Subalternoffiziere sich befinden.
Diese Kommandanten haben mit den Nizamtruppen nichts zu
schaffen, da sie eigene Offiziere haben. Sie werden die Redifs
zu bestimmten Zeiten Manöver abhalten lassen und sie werden
darauf sehen, dass die Standeslisten und Register in Ordnung
sind.
Auch die Gendarmen werden unter ihren Befehlen stehen und
wenn diese im Falle eines Aufruhres zur Wiederherstellung der
Ordnung nicht ausreichen, so werden die Kommandanten
sofort eine Klasse der Redifs oder die Redifs einiger Nahijen
einberufen und mit diesen den Tumult dämpfen und die
Aufrechterhaltung der Ordnung bewerkstelligen.
Es wird auch eine Division Marinetruppen geben und man
wird, um ausreichende Exerzitien abhalten zu können, einige
Landsoldaten etwas länger bei der Fahne behalten. Auf dieselbe Art wird man auch Reiter und Kanoniere ausbilden. Die
Seesoldaten werden auf Kriegsschiffen bequartiert werden und
ihre Zentrale wird das bei Valona gelegene Souq Solimani
(Paschalimani) werden. Von Olgun (Dulcigno) bis Salahora
wird die Küste geschützt werden.
13. Abschnitt. Unterrichts-Verwaltung.
Wenn es etwas gibt, auf das die Albanesen ihr ganz besonderes
Augenmerk richten müssen, so ist das zweifellos der Unterricht.
Es ist eine Notwendigkeit, dass in jedem Dorfe, oder für je 2
bis 3 Nachbardörfer je eine, in jeder Kasba je nach deren
Größe auch mehr als eine Iptidaje-(Elementar-)Schule entstehe.
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Vom 7. bis zum 13. Lebensjahre werden die Knaben und
Mädchen diese Iptidajé-Schulen besuchen müssen und es werden
jene Väter und Mütter, die diesbezüglich gleichgiltig und nachläßig
sind, Tadel und Strafe zu gewärtigen haben.
Der Elementarunterricht wird unentgeltlich sein und die
Unbemittelten werden auch die Bücher, Hefte und sonstigen
Schreibmaterialien gratis erhalten.
Im Hauptorte jedes Kaza werden sich außer je einer Rüsehdie(Fortbildungs-) Schule für männliche Lehrer und abgesondert für
weibliche Lehrkräfte noch Idadie-(Mittel-)Schulen für Knaben und
Mädchen befinden. An anderen Orten werden nach Maflßabe des
Bedarfes Industrie- und Landwirtschafts-schulen errichtet werden.
In der Hauptstadt Albaniens werden sich, abgesehen von
Rüschdié- und Idadie-Schulen, auch eine Universität, eine
Kriegsschule, eine Forst- und Montanschule und noch viele
derartige Anstalten für Künste, Wissenschaften und Industrie
befinden.
Etwas später werden noch zwei Universitäten, je eine für das
nördliche und das südliche Albanien, gegründet werden. Eine
Marine-Schule wird sich an einem Orte der Meeresküste erheben,
an dem sich Kriegsschiffe befinden, etwa in Dratsch (Durazzo)
oder in dem bei Valona gelegenen Hafen Souqsu.
Zur Abfassung und Herausgabe der nötigen Lehrbücher und zur
Förderung der Entwicklung der Sprache wird in der Hauptstadt
Albaniens ein wissenschaftliches Kollegium, eine ‘Akademie’, ins
Leben gerufen werden. Es wird eine Staats-druckerei geben, in
welcher die für die Schulen nötigen Lehrbücher, die der
Verbreitung der Bildung und der Geistes-erleuchtung der
Albanesen dienenden Zeitungen, periodischen Druckschriften und
andere offizielle Publikationen, gedruckt werden.
Mit Unterstützung und unter dem Protektorate des Unterrichtsministeriums werden gelehrte Gesellschaften gegründet werden,
die sich mit Albaniens Geographie, seiner Geschichte,
Geologie, dem Bergwesen und anderem beschäftigen werden.
Jede dieser Gesellschaften wird ein- bis zweimal im Monate
Revuen erscheinen lassen, die über Entdeckungen und Erfindungen berichten werden.
In der Hauptstadt Albaniens werden noch zwei große Schulen
sein: in der einen werden die europäischen Sprachen:
Französisch, Englisch, Deutsch, Slawisch, Neugriechisch u.s.w.,
in der anderen : Altgriechisch, Lateinisch, Arabisch, Persisch,
Sanskrit u.s.w. vorgetragen werden. An jeder dieser beiden
Schulen wird ein Kollegium sein, das aus Personen bestehen
wird, die dieser Sprachen mächtig sind und sie lehren werden;
diese Personen werden über die erwähnten Sprachen Bücher
verfassen, die dann in der Staatsdruckerei gedruckt werden. In
der Staatsdruckerei werden die Lettern aller dieser Sprachen
vorrätig sein.
Auch ein öffentliches Museum wird sich in der Hauptstadt
befinden, in das die Bilder und Statuen von albanesischer
Herkunft und aus anderen Ländern, sowie Steininschriften und
andere Überbleibsel aus der antiken Zeit Aufnahme finden
werden. Die Direktion dieses Museums wird es sich auch
angelegen sein lassen, die alten Kasbas zur Vornahme von
Ausgrabungen auf ihrem Grund und Boden zu ermuntern und
sie dabei unterstützen. Ferner wird ein naturhistorisches
Museum geschaffen werden. Die Direktion dieses Museums
wird auf die in allen Gegenden Albaniens vorfindlichen Tiere,
Pflanzen, Mineralien, Geologie und Enterologie bezügliche
Forschungen und Untersuchungen vornehmen.
Die Direktionen der beiden Museen werden allmonatlich je
eine Broschüre herausgeben, womit die durch solche Forschungen und Untersuchungen gewonnenen Kenntnisse sowie
die einschlägigen, in Europa und den anderen Weltteilen
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(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
verfassten gelehrten Abhandlungen veröffentlicht und kundgetan
werden.
Man wird auch eine große Bibliothek schaffen, die sehr viele
wichtige und nützliche Bücher in allen jenen Sprachen enthalten
wird, die man in Albanien versteht.
Mit Rücksicht darauf, dass in einigen Gebieten Albaniens außer
dem Albanesischen auch noch andere Sprachen, wie das Bulgarische, Griechische, Walachische, gesprochen werden, können
diejenigen, die diese Sprachen sprechen, in den Elementarschulen
mit dem Albanesischen zusammen auch diese Sprachen lernen.
Dagegen werden die Schulen höheren Grades und die Hochschulen rein albanesisch sein. Indessen können die Nicht-Albanesen, falls sie es wünschen, auch einige Schulen haben, in denen
in ihrer Sprache gelehrt wird. Nur können diejenigen, die das
Albanesische nicht lesen und schreiben können, weder irgend ein
Staatsamt erlangen noch zu Medžlis-Mitgliedern gewählt werden.
14. Abschnitt. Öffentliche Arbeiten.
Nach dem Unterricht werden die öffentlichen Arbeiten zu jenen
größten Bedürfnissen gehören, auf die die Albanesen ihr ganz
besonderes Augenmerk zu richten haben. Diese öffentlichen
Arbeiten werden Albanien Wohlstand und Reichtum bringen.
Straßen, Eisenbahnen, Hafenbauten, Strom- und Flußregulierungen, Bergbau und Forstwirtschaft sind die nötigsten und nutzbringendsten jener Werke, die die Arnauten – sobald sie erst Hände
und Füße frei haben werden – schaffen müssen.
Albanien könnte heute, wenn es eine geschickte und ehrliche
Verwaltung gehabt hätte, im Hinblicke auf die Unmenge Geldes,
die es unter dem Titel ‘Wege-Abgaben’ entrichtet hat, Chausseen
aus Silber besitzen; nun wird es mit einem viel geringeren Kostenaufwande Straßen erhalten, die von Mensch und Tier gefahrlos
und mühelos benützt werden können.
Eine Eisenbahn wird – von Monastir ausgehend – nach
Kortscha, dort sich gabelnd, einerseits Janina passierend nach
Prevesa führen und dort endigen, andererseits über Berat und
‘Skander Bega’, die künftige Hauptstadt Albaniens gehen, dort
ebenfalls abzweigen und einerseits nach Valona, andererseits
nach Durazzo laufen und eine Trasse nach Elbassan haben.
Eine andere Bahn wird ebenfalls von Monastir ihren Ausgang
nehmen und nach Ochrida führen, von dort wird sie dem
Flußlaufe des Drin folgen und einen Flügel nach Lesch
(Alessio) und Skutari entsenden; der andere wird über Prisren
gehen und via Ferisovic den Anschluss nach Österreich, via
Salonik jenen an das türkische Bahnnetz erreichen.
Diese Bahnen und einige Sekundärbahnen werden binnen
kurzer Zeit, sei es durch ausländische Gesellschaften, sei es mit
Hilfe einer Anleihe durch die albanesische Regierung selbst
gebaut werden können und auf diese Weise wird viel Wohlstand und Kultur nach Albanien gelangen.
Sodann kommt die Arbeit an die Reihe, die in der Ebene von
Musaka vonnöten ist. Würden in dieser Ebene Regulierungen
und Verbesserungen vorgenommen werden, so könnte sie
nicht nur ganz Albanien ernähren, sondern außerdem noch für
das Ausland eine Kornkammer darstellen. Die Verbesserungen
in dieser Ebene aber hängen von der Regulierung der sie
durchfließenden Wasserläufe des Semen, Berat, Devoli u.s.w.
und von derjenigen der Flüsse Vojusa und Schkumbi ab. Die
Flussbetten müssen ausgebaggert und an bestimmten Stellen
müssen Stauwehren und Schleusen gebaut werden. An anderen
Stellen wieder müssen Kanäle mit Schleusen angelegt werden,
durch die die ganze Ebene bewässert werden kann. Derzeit
nimmt die Musakija im; Winter infolge des Austretens ihrer
Flüsse die Form eines riesigen Sees an, während sie sich im
Sommer voll von Sümpfen und Tümpeln präsentiert. Würde
die Ebene aber in der Weise, wie wir es beschrieben haben,
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reguliert und verbessert, so wäre sie ein weites und breites
Ackerland mit einem vortrefflichen Klima. Ihre Fruchtbarkeit ist
so überaus groß, dass die Musakija, wenn sie entsprechend
bewässert würde, ein zweites Ägypten werden könnte. Die Hügel
der Musakjja können zu Gärten und Olivenhainen gestaltet
werden; auf ihren Wiesen könnte soviel Vieh, Pferde, Rinder und
Schafe ernährt werden, dass, nachdem Albanien damit versorgt ist,
eine große Menge nach Europa ausgeführt werden könnte.
Auch der Hafen von Durazzo – den Sultan Mahmud aus dem von
seiner Ignoranz eingegebenen Beweggrunde, dass die Schiffe
Venedigs nicht hineingehen sollten, sperren ließ – dieser schöne
und geräumige Hafen Von Durazzo könnte durch Ausbaggerungsarbeiten ebenso wie Triest und Saloniki zu einem bedeutenden Handelsplatze gemacht werden.
Außer diesem könnte auch noch das an der Küste des
Adriatischen Meeres gelegene Butorino und ähnliche andere
Häfen eröffnet und binnen kurzer Zeit emporgebracht werden. Es
könnte eine Dampfschiffahrtsgesellschaft ins Leben gerufen
werden, die von den Häfen Albaniens aus bis nach Triest, Italien
und Griechenland fährt. Auf dem Skutari-, Ochrida- und PresbaSee und auf einigen noch zu regulierenden Flüssen; könnten kleine
Dampfer und Schiffe verkehren.
Das Ministerium für öffentliche Arbeiten wird auf diese
Angelegenheiten, sowie auf Forstwirtschaft und Bergwesen sein
Augenmerk zu richten haben. Die Waldparzellen werden nacheinander, partienweise, abgeholzt werden; in dem Jahre, wo die
letzte Waldparzelle abgestockt wird, ist die zuerst niedergeschlagene wieder nachgewachsen. Auf diese Weise werden die
Wälder stets in Ordnung, und groß sein.
Nach den überall in Albanien vorhandenen Metallen wird
geschürft werden. Ackerbau, Goldschmiedekunst und andere
Handwerke werden vom Ministerium für öffentliche Arbeiten
stets aufmerksam im Auge behalten und gefördert werden und es
wird zu den obersten und wichtigsten Obliegenheiten dieses
Ministeriums gehören, für die Schaffung und das Emporkommen von Industrieorten zu sorgen.
Wolle, Baumwolle, Seide, Eisen, Nutzholz und andere im
Inlande vorhandene Rohmaterialien sollen auch im Inlande
verarbeitet und so soll das Bedürfnis verringert werden, die
einschlägigen Waren aus dem Ausland einzuführen.
15 Abschnitt. Kultus.
Albaniens Kultus-Angelegenheiten werden dem Unterrichtsoder dem Justiz-Ministerium unterstellt sein. Die Muslims
werden einen Groß-Mufti, die orthodoxen Christen einen
Exarchen, die Katholiken einen Erzbischof haben. Diese drei
geistlichen Chefs werden sich mit den Kultusfragen der drei in
Albanien vertretenen Konfessionen zu beschäftigen haben.
Moscheen, Kirchen, Tekes,18 Klöster, Muftis, Imams, Priester,
kurz alle geistlichen Personen und die kirchlichen Domänen
und frommen Stiftungen der drei Glaubensbekenntnisse
werden unter der Aufsicht der drei Chefs stehen und durch je
zwei von den Chefs abhängige Medžlisse ordnungsmäßig
administriert werden.
Wenn auch die Rechnungsgebarung der religiösen Gemeinschaften der Überwachung und Kontrolle des Ministeriums
unterstehen wird, so wird sich dieses dennoch nicht in die rein
kirchlichen Dinge einmengen; die religiösen Angelegenheiten
werden ausschließlich Sache der erwähnten Medžlisse sein.
Das eine der jedem geistlichen Chef unterstehenden Medžlisse
wird nur aus geistlichen Personen, wie Muftis, Ulemas,
18
’Teke’ ist ein mohammedanisches Kloster.
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Müderissen 19 ), Derwischen, Bischöfen, Priestern und anderen
Leuten zusammengesetzt sein, der andere wird gemischt sein und
aus geistlichen und weltlichen Elementen bestehen. Die erste
Kommission wird sich mit den rein kirchlichen Angelegenheiten
und der frommen Literatur befassen, die zweite, nämlich die
gemischte Kommission, mit der Verwaltung der Moscheen,
Kirchen, der frommen Stiftungen u.s.w. und der Rechnungsgebärung abgeben.
Ein Teil der Mitglieder dieser beiden Medžlisse wird von den
respektiven geistlichen Oberhäuptern ausgewählt und vom
Kultusministerium bestätigt werden, den anderen Teil wird die
Bevölkerung zu wählen haben.
Obwohl den geistlichen Chefs, also dem Ober-Mufti, dem
Exarchen und dem Erzbischof, die größte Achtung und
Verehrung gezollt werden wird, so wird es ihnen doch nicht
gestattet sein, sich in andere Dinge als ihre religiösen Angelegenheiten einzumengen. Die Ulemas, Derwische und Priester werden
in den Moscheen, geistlichen Seminarien und Kirchen ihre
Predigten abhalten und dort den Religions-unterricht erteilen
dürfen, sie werden sich aber jeder Ingerenz auf den Schulunterricht zu enthalten haben.
Die sich ausschließlich in Albanien vorfindenden Bektaschis 20
werden einen an einem bestimmten Orte Albaniens residierenden
Chef-Baba bekommen. Dieser Chef-Baba wird von den anderen
Babas gewählt und eingesetzt werden. Ihm wird ein Medžlis
unterstehen, der aus den anderen Babas und Derwischen
19
’Müderis’ ist ein Professor der muslimischen Theologie
20 Bektaschis sind eine von Hadschi Bektasch in der ersten Hälfte des XIV.
Jahrhunderts gegründete muslimische Sekte mit etwas freieren Ansichten - als
die der Strenggläubigen. Ihre Priester heißen ‘Baba’ (Vater).
zusammengesetzt sein und sich mit den Angelegenheiten der
Tekes und religiösen Orden befassen wird.
Sämtliche sonstigen Glaubensbekenntnisse werden in Albanien
volle Religionsfreiheit genießen. Die Juden. Protestanten u.s.w.
werden gleichfalls ein der Oberaufsicht des Kultusministeriums
unterstehendes geistliches Oberhaupt haben.
Religion und Glaube sind jedes Menschen: Gewissensache;
niemals darf ein Mensch sieh das Recht anmaßen, einen
anderen Menschen zu zwingen, an eine Religion zu glauben
oder eine religiöse Handlung zu vollziehen. Die geistlichen
Beamten, Ulemas und Priester, dürfen ausschließlich durch
Worte und gute Werke das Volk auf den richtigen Weg führen
und auch das nur innerhalb der Moscheen, Tekes und der
Kirchen; außerhalb dieser wird es ihnen, verboten sein, für
Religion und Glauben zu agitieren. Niemand darf gezwungen
werden, für religiöse Werke und heilige Stätten Geld zu geben;
jedermann soll nur das geben, was er eben aus freien Stücken
geben will.
10. Abschnitt. Finanz-Ministerium.
Abgesehen von dem, was gestohlen und geraubt wird oder
sonstwie nutzlos verloren geht, zieht die türkische Regierung
heute aus den vier Wilajeten, die Albanien bilden, in der Form
von Steuern nahe an drei Millionen Pfund heraus. Es ist kein
Zweifel, dass die meisten dieser Steuern drückend sind. Die
Schafsteuer und einige andere drückende und ungerechtfertigte
Steuern müssten notwendigerweise ermäßigt werden. Dagegen
gibt es viele andere Dinge, die heute 'nutzlos und brach liegen,
Wälder, Bergwerke und andere Quellen des Reichtums, die
nach gehöriger Exploitierung große Staatseinnahmen ermöglichen würden. Wenn sich eine gerechte und geordnete Verwaltung ihrer annehmen wollte, so könnte sie ganz gut eine noch
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höhere Summe als die oben erwähnte als Albaniens Jahreseinkünfte erzielen.
Wie die Sachen heute stehen, müssen wir aber jenen Betrag,
nämlich die Jahreseinnahmen von drei Millionen französischer
Goldstücke, als Leistungs maximum betrachten.
Wenn einmal Albanien auf eigenen Fußen steht, wird es als
allererstes nötig haben, schöne Münzen zu prägen, das heißt
ordentliches Geld herzustellen. Eine Goldlira wird in zwanzig
Teile – die Franken – und ein Stück davon in hundert Teile –
Centimes – geteilt werden. Es wird auch Halbe, Viertel, Achtel
und Zehntel von Goldliras geben. Die Franken werden aus Silber
sein, ebenso die Zweieinhalb- und Fünffrankstücke. Die halben
und Viertelfranken, also die 50-und 25-Centimesstücke, werden
gleichfalls aus Silber sein, die 5-, 10- und 20-Centimesstücke
werden aus Nickel geprägt.
Aus diesen Münzsorten wird Albaniens Geld bestehen. Die
Grundlage des Münzwesens und sein Wertmesser bleibt die
Goldlira. Mit Silber- und Nickelgeld werden kleinere Beträge
gezahlt werden und um mit dem Werte der Goldlira die Proportion nicht zu stören, wird dessen Menge eine beschränkte sein.
Was die Türkei anbelangt, so kann der Kurs des SilberMedschidiés im Verhältnis zur Goldlira mit Rücksicht auf dessen
übergroße Häufigkeit nicht gehalten werden.
In der Hauptstadt Albaniens wird eine Nationalbank gegründet
werden. Diejenigen, welche nicht wissen, wo und wie sie ihr Geld
verstecken sollen, und es, abgesehen davon, dass es keine Zinsen
trägt, auch meistens einbüßen, werden ihr vorhandenes Bargeld
dieser Bank, die unter Garantie des Staates von diesem geleitet
wird, mit vollster Sicherheit anvertrauen.
Die von der Regierung eingehobenen Steuern werden gleichfalls,
statt in entlegenen Depots verwahrt zu werden, sofort an die Bank
abgeführt werden. Die Nationalbank wird in jedem Sandschak und,
wenn nötig, in jedem Kaza eine Filiale haben und auf diese
Weise wird überall in Albanien eine Bank vorhanden sein und
niemand sich der Mühe unterziehen müssen, sein Geld in der
Tasche oder im Portefeuille mit sich herumzutragen. Die Bank
wird jedermanns Kassier sein. Die Bank wird, indem sie das
vom Staate und von der Bevölkerung übernommene Geld
nutzbringend verwertet, dem Nationalwohlstande und der
Staatswohlfahrt gute Dienste leisten.
Sie wird das in Empfang genommene Bargeld aufbewahren
und dafür Papiergeld, nämlich Banknoten, ausgeben und das
Kapital wird nicht unfruchtbar und zinsenlos bleiben.
Oftmals wird die Beamtenschaft eines Staates durch zwei
Dinge verdorben: durch zu hohen Gehalt, der dem Übermut
und dem Laster die Tore öffnet, und durch zu geringen Gehalt,
der zu Diebstahl und Bestechlichkeit verleitet. Daher sollen in
Albanien die Gehälter weder zu hoch noch zu niedrig sein.
Eine beiläufige Vorstellung von der Höhe der Monatsbezüge
der Beamten kann man sich nach der Tabelle machen, die wir
hier als Beispiel eingeschaltet haben.
Auf diese Weise wird der ganze jährliche Kostenaufwand zwei
Millionen Pfund nicht übersteigen und es wird nahezu eine
Million Pfund übrig bleiben, welcher Betrag für Eisenbahnen
und Chausseen, Hafenbauten und andere öffentliche Arbeiten
und für den Bau von Kriegsschiffen und Handelsdampfern
wird verwendet werden können. In dem Maße, als diese
öffentlichen Arbeiten ihren Fortgang nehmen, werden auch
von Jahr zu Jahr die Einkünfte Albaniens steigen und es wird
der Tag kommen, wo die Regierung allein mit den Zolleinnahmen und den indirekten Steuern ihr Auslangen finden
und wo der bedauernswerte Bauer für seine Person, sein Vieh,
seine Äcker und Häuser von den drückenden Steuern befreit
werden und erleichtert aufatmen wird. Dann werden die
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Arnauten gleich den heutigen Amerikanern wie im Paradiese und
glücklich leben.
Die albanesischen Münzen werden auf der Aversseite einen Adler
mit halb ausgebreiteten Flügeln, unter ihm einen Stern als
Albaniens Symbol, an den Seiten des Vogels den Namen Albaniens und unter den Füßen des Vogels die Jahreszahl eingeprägt
tragen; auf der Reversseite der Münzen wird innerhalb eines
Kranzes von Zweigen und Blüten der Betrag und die Benennung
der Münzsorte eingraviert sein.
17. Abschnitt. Albaniens Munizipien.
Die glücklichsten Länder der Welt sind diejenigen, welche die
Hand der Regierung, nämlich deren Einmischung, am wenigsten
fühlen. So weit es irgend möglich ist, muss die Regierung vermeiden, in direkte Berührung mit dem Volke zu kommen. Daher
muss es gute, geordnete Munizipien geben. Eine andere Art der
Verwaltung soll man in Albanien nicht kennen. Die Munizipien
sollen das Bindeglied zwischen Regierung und Volk sein. Die
Munizipien werden die Steuern einheben und sie an die Regierung
abführen. Kleinere Rechtssachen werden die Munizipien zu
entscheiden haben. Sie werden die Verbindungsstraßen zwischen
den Dörfern bauen, sie werden die Gassen der Kasbas in
Ordnung halten.
Die Elementarschulen, Jahrmärkte und ständigen Märkte, die
Lieferungsarbeiten für Dörfer und Marktflecken, die Forste,
öffentlichen Gärten und Gemeindewiesen werden unter der Oberaufsicht der Munizipien stehen.
In jeder kleinen Kasba wird sich eine, in den großen Kasbas
werden sich zwei oder auch mehr Munizipal-Sektionen befinden.
Einige Ortschaften, die einander sehr nahe liegen, werden ein
gemeinsames Munizipium bilden und auf diese Weise wird jedes
Kaza in lauter Munizipien zerfallen.
Jedes Munizipium wird einen Gemeinderat haben. Diese
Körperschaften werden aus Leuten bestehen, die das
zwanzigste Lebensjahr erreicht haben, jährlich mindestens fünf
Franken Steuer an den Staat entrichten, Grundbesitz haben
oder lesen und schreiben können. Dieser Gemeinderat wird
einmal im Jahre zusammentreten und ein Oberhaupt des Munizipiums oder einen Müdir der Nahije, einen Vorstand-Stellvertreter oder Reis-i müawen und drei Mitglieder für einen
Munizipal-Ausschuß, ferner einen Vorsitzenden, einen 2. Vorsitzenden und drei Mitglieder für ein Friedensgericht wählen.
Die Namen der Gewählten werden dem Kaimakam des Kaza
bekanntgegeben werden, welcher, sie sogleich an den
Mutessarif des Sandschaks weiterleiten wird, der sie zu
bestätigen und zurückzusenden hat.
Unter der Aufsicht des Munizipalitätschefs werden die Waldund Straßen-aufseher, die Steuereinnehmer und Gendarmen
der Nahijen stehen. Die Steuern der Einwohner werden von
den Munizipien vermittelst der Steuerbeamten und wenn nötig
unter Gehdarmerieassistenz eingehoben und an die
Sahdschakzentrale abgeführt werden. Kleine Rechtssachen, bei
denen es sieh entweder um Streitigkeiten beim Handelsbetriebe
oder um Übertretungen handelt, werden von den Friedensgerichten der Munizipalsektionen entschieden, die aber mit
Zustimmung beider Streitteile auch größere Rechtshändel
schlichten werden.
Auf diese Weise werden die Munizipien sich mit allen Arbeiten
befassen. Die Bevölkerung wird eine andere Verwaltung als die
durch von ihr selbst gewählte Munizipien gar nicht kennen.
Was die Regierung anbelangt, so wird sie sich um andere Dinge
als die großen, der Allgemeinheit zugute kommenden Werke
nicht zu kümmern haben. Die Munizipien wieder werden jene
Arbeiten, die sie nicht selbst durchführen, den Kaza-Zentralen
überweisen
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Die Munizipien werden von den Gebäuden, den Äckern, den
Gärten, den Forsten, den Märkten, dem Handel und Wandel und
anderen Dingen Spezialsteuern einheben. Diese Steuergelder
werden eine spezielle Verwendung finden, aus ihnen werden die
Kosten der Munizipal-Verwaltungen bestritten, die Feldhüter
u.s.w. bezahlt werden.
Rückblick.
Aus all dem von uns Gesagten lässt sich sehr gut erkennen, auf
welche Weise Albanien verwaltet werden kann und welch
herrliches Land es unter einer solchen Verwaltung werden könnte!
Innerhalb einer kurzen Zeit kann es eines der schönsten Länder
Europas und der ganzen Welt werden. Mit dieser Regierungsform
wird Albanien binnen kurzer Frist das aufgeweckteste und
zivilisierteste Volk des Erdballes sein und all diese Arnauten, die
seit Jahrhunderten in Knechtschaft, Armut und Elend schmachten,
werden wie reiche und glückliche Menschen leben können!
Was muss diese bedauernswerte Nation tun, um aus dem Unglück,
in das sie verstrickt ist, herauszukommen und sich von den
Gefahren, die sie umringen, zu befreien? Sehr wenig ist dazu nötig:
nur Entschlossenheit und fester Wille! Unser Wollen genügt; wenn
wir es wollen werden, so brauchen wir nur so vorzugehen, wie wir
es beschrieben haben und wir werden Albanien aus den Gefahren
und dem Unglück erretten. Es ist in unsere Hand gegeben,
Albanien zu retten oder zu vernichten; und da wir Arnauten das
eben in der Hand haben, müssen wir bedenken, dass es ein sehr
großer Fehler wäre, die Hände in den Schoß zu legen und nichts
zu tun! Wir würden unser Vaterland mit eigener Hand töten; denn
es retten können und nicht retten, heißt: es mit eigener Hand töten.
Da dem nun so ist, was müssen wir tun? Jeder Arnaute muss Tag
und Nacht, jederzeit, das Heil Albaniens und den Fortschritt
seiner Nation im Geiste und im Herzen tragen. Wodurch
geschieht das? Es geschieht so, dass jeder Arnaute wünscht,
dass die Albanesen in Einigkeit und Eintracht leben. Alle
Arnauten sind Brüder; in ihren Adern fließt das gleiche Blut.
Es gibt nicht Muslims und Christen, es gibt nur Arnauten. Sie
alle sind Arnauten, mögen ihre Glaubensbekenntnisse welche
immer sein. Sie müssen einander als Brüder ansehen, einander
von Herzen und von ganzer Seele lieben. Die Albanesen waren
Arnauten, bevor sie Christen und Muslims wurden; daher wird
jeder Arnaute, der aufrichtig und ehrlich Albaniens Heil
wünscht, jederzeit sein Volkstum über seinen Glauben stellen,
denn seine Brüder sind nicht seine Glaubensgenossen sondern
seine Stammesgenossen. Die wahren Arnauten sind in anderer
Art Brüder untereinander. Ihre Brüderlichkeit soll so innig und
stark sein, dass nichts sie entzweien und keinerlei Zwietracht
zwischen ihnen platzgreifen kann.
Wenn es zwischen Freimaurern und Bektaschis Brüderlichkeit
gibt, so müssen sich auch die Arnauten ihrer befleißen. Jeder,
der von Arnauten abstammt und albanesisch spricht, ist ein
Arnaute. Ein wahrer Arnaute aber ist jener, der mit dem
Verstande und dem Herzen ein Arnaute ist. Diese Arnauten,
die wir als die wahren Arnauten bezeichnet haben, sind in
Wahrheit echte Albanesen; sie lieben ihre Sprache und ihr
Volkstum und arbeiten für das Heil ihres Vaterlandes.
Wenn alle Arnauten oder die meisten solche echten Arnauten
sein werden, dann wird man sagen können, dass Albanien so
gereift und seinen Gefahren entronnen sein wird, wie wir es
wünschen. Daher muss jeder Arnaute zunächst selbst ein
‘echter Arnaute’ sein oder sich selbst zu einem echten
Arnauten machen; sodann muss er die anderen auf den rechten
Weg führen und so nach und nach einer den anderen zu
‘arnautisieren’ und zu echten Arnauten zu machen sich
bemühen.
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Heute gibt es sehr viele Arnauten, man kann sagen, neunzig vom
Hundert, die weder im Verstande noch im Herzen Albanesen sind;
denn sie wollen von ihrer Nation nichts wissen und sprechen ihre
Sprache nicht. Sie lesen und schreiben ihre Sprache nicht, ja, einige
schämen sich sogar, das Arnautische zu sprechen. Wenn es aber
solche Elenden gibt, die sich schämen, Albanien ihre Mutter zu
nennen, so wird sich Albanien noch mehr schämen zu zeigen, dass
es solche Kinder besitzt!
Das albanesische Volk ist kein solches, dem anzugehören man
sich schämen müsste. Es ist im Gegenteil eine große Ehre, einem
Volke anzugehören, das so mutig und klug ist Wenn unser Volk
zurückgeblieben ist, so liegt der Fehler nicht in ihm, sondern in
uns. Wenn unsere Sprache bis jetzt ohne Schrift sich behelfen
musste, so ist nicht etwa ihre Untauglichkeit oder Mangel an
Wohlklang daran schuld, sondern unsere Indolenz und Saumseligkeit. Nicht in unserem Volkstum und Idiom liegt der Fehler,
sondern in uns.
Wir sind Europas ältestes, tapferstes und klügstes Volk. Wir sind
vom Stämme der Arban, sprechen die älteste und schönste
Sprache. Diejenigen sind törichte und dumme Verräter, die nicht
Sprache und Volkstum voranstellen, denen ihre eigene Sprache
nicht gefällt und die sich nicht scheuen, als ihre Umgangssprache
die türkische, griechische, slawische und andere zu bezeichnen.
Das Vorhandensein solcher Leute ist für Albanien und das
arnautische Volk ein großer Schandfleck. Welch große Schmach
für einen Arnauten, in dessen Adern das Blut Skander Begs und
seiner Gefährten rollt, seine eigene Nation und Sprache zu
verachten, eine fremde Sprache vorzuziehen und sich zu bemühen,
sie an die Stelle des Arnautischen zu setzen!
Diese Leute sehen darauf, dass ihre eigenen Kinder und Enkel
nicht albanesisch reden lernen und sich ja nicht als Arnauten
bezeichnen. Es ist eine große Schande für Albanien, dass eine
solche verhängnisvolle Nachkommenschaft entsteht. Es ist eine
Schmach, dass es auf Erden solche Menschen gibt! Ist ein
solcher Mensch minder schlecht und erbärmlich, wie jemand,
der seiner Mutter nicht Liebe und Ehrfurcht erweist, sie in eine
Ecke stößt und sich schämt, sich als ihr Sohn zu bekennen?
Solcher Leute Existenz ist für unser Vaterland ein gewaltiger
Schandfleck! Nirgends auf Erden außer in Albanien gibt es
solche giftige Früchte!
So viele reiche Albanesen geben ihr ganzes Vermögen für den
Fortschritt fremder Nationen her, die die Feinde ihres eigenen
Volkes sind; sie haben Millionen geopfert, um ihre eigenen
Stammesgenossen und Nachkommen das Albanesische
vergessen zu machen und sie dahin zu bringen, dass sie sich
nicht Arnauten nennen!
Diese sind keine Feinde; sie sind um vieles schlimmer als
solche. Die Sprache hat kein Wort dafür, um diese verfluchten
und schmutzigen Verräter zu kennzeichnen. Arnauten sind sie
nicht, eine andere Nation sind sie auch nicht. Einige sind Jezids
(Verräter), sie sagen, die Arnauten seien Türken; andere sind
verworfen, sie sagen, die Albanesen seien Griechen; noch
andere wieder sagen, die Arnauten seien Slawen!
O, welch schweres Wort ist das doch für die Zunge des
Arnauten! O, wie können sie ein solches Wort nur aussprechen!
Solche Leute sollte es in Albanien nicht geben und auch nicht
auf Erden! Solche Verräter sind zu schwer für den Boden und
der Boden kann sie nicht tragen. Weg mit ihnen, sie sollen
nicht sein!
Es ist nötig, dass jeder wahre Arnaute darauf sehe, dass diese
Verfluchten bei keinem Arnauten eine Heimstätte finden, denn
solche Leute bringen Albanien und den Arnauten Schaden und
Schande! Kurzum, jeder Albanese muss zunächst aus sich
selbst einen echten Arnauten machen und sodann nach besten
Kräften trachten, die anderen aufzuklären. Er muss darauf
sehen und darnach trachten, dass die albanesische Sprache
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vorwärtskomme und sich ausbreite, das heißt, dass das Lesen und
Schreiben unserer Sprache und mit dieser Kunst und Wissenschaft
verallgemeinert werden.
Er muss daran arbeiten, dass sein Volk eines der zivilisiertesten
und erleuchtetsten Völker werde. Wenn wir alle uns dieser Arbeit
eifrig unterziehen, so wird, da ja unser Volk von Natur aus klug
und aufgeweckt ist, es binnen kurzer Zeit zu Europas zivilisiertesten und erleuchtetsten Völkern gehören.
Welche Nation könnte sich auch mit einem Volke messen, das ein
altes Volk, Europas ältestes Volk ist, mit einem Volke, das in
Jahrtausende alten Traditionen beharrte, die aus den Zeiten der
mythischen Pelasger stammen, mit einem Volke, das, trotzdem es
so alt ist, jetzt doch ein junges Volk wird, da es nun erst anfängt,
in die Zivilisation einzutreten, mit einem so klugen und fähigen
Volke, einem Volke, das einen so vollendeten Kopf, einen so
regelmäßigen Körperbau besitzt, wie ihn keine andere Nation
aufzuweisen hat, mit einem Volke, das eine so reiche, volltönende,
schöne und leichte Sprache besitzt, die es von seinen Müttern
erlernt hat?
Auf, Arnautenhelden, arbeiten wir! Wenn wir es wollen, wenn wir,
uns Mühe geben, so werden wir eines von Europas besten und
erleuchtetsten Völkern werden und alle glücklich sein können.
Vorwärts! Lässt uns nicht im Schlummer des Elends und der
Unwissenheit verbleiben! Denn wenn wir darin bleiben, so gehen
wir zugrunde. O weh, welch große Sünde, welch schwerer Fehler!
Heute noch würden wir durch ihn verloren sein! Heute, wo selbst
die schwächsten Völker erwachen und Fortschritte machen, heute
sollten die Albanesen, die seit soviel Jahrhunderten so furchtbare
und wüste Zeiten durchgemacht haben, untergehen ?
Ein Volk, das soviel Verstand und eine so schöne Sprache besitzt,
sollte dadurch in Unwissenheit verbleiben, dass es diese Sprache
nicht schreibt? Ein so tapferes und sein Blut durchaus nicht
schonendes Volk soll von schwachen und furchtsamen
Völkern zerstückelt werden?
Wir haben Verstand, wir haben Mut, wir haben eine süße und
leichte Sprache und sollten von diesen Mitteln keinen Gebrauch machen oder keinen Gebrauch zu machen verstehen?
Wir sollten mit gebundenen Armen dastehen oder – und das
wäre das fürchterlichste – selbst an unserer Vernichtung
arbeiten und gleich den Blinden durch unsere Unwissenheit
unsere Nation in die Grube reißen?
Sind wir nicht Arnauten? Unsere Religion, unser Glaube unsere
Aufmerksamkeit, unsere Wünsche, unser Verstand, unsere
Gedanken; alles muss einzig auf das Heil Albaniens und der
Arnauten gerichtet sein. Wir müssen unsere Sprache vorwärts
bringen, ihr Verbreitung schaffen, sie verschönern; die Schrift
mit Kunst und feiner Sitte schmücken! Wir müssen Schulen
eröffnen, wir müssen Unterricht erteilen, es darf keinen
ungebildeten Arnauten geben, er soll lesen und schreiben
können. Die fremden Schulen müssen wir aufheben und unser
Vaterland mit albanesischen Schulen füllen.
Unsere Kinder müssen wir binnen kurzer Zeit lesen und
schreiben und das Nötigste in den Künsten und Wissenschaften lehren. Sobald sie die Sprache können, lernen sie in
kurzer Zeit lesen und schreiben und auf diese Weise wird für
das Kind auch die Zeit kommen, wo es Künste und Wissenschaften erlernen kann.
Die Hirten, Bauern und Handwerker werden nicht unwissend
bleiben. Wir haben ein Recht auf diese Dinge und man hat uns
unsere geheiligten Rechte entrissen, indem man uns hindert,
diesen Weg des Rechtes zu gehen und auf ihm zu arbeiten.
Nun ist es unsere Pflicht, mit dem Worte und der Tat, mit dem
Munde, der Hand, der Feder und dem Schwerte zu trachten,
uns dieser tyrannischen Faust zu entwinden, die uns unserer
geheiligten Rechte beraubt hat.
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the history of cultural
nationalism in Europe
www.spinnet.eu
Source: Sami Bey Frascheri, Was war Albanien, was ist es, was wird es werden?
(trl. A Traxler; Wien: Hölder, 1913)
Wir wünschen nicht, fremden Besitz anzutasten, wir wollen nur
nicht, dass uns unser eigener Besitz und unser klares Recht
gewaltsam vorenthalten werden. Für unser Recht, für unser Volk,
für die Wohlfahrt unserer Nation wollen wir kämpfen. Diejenigen,
welche uns auf unserem geheiligten Wege aufhalten und uns
hindern wollen, ihn zu wandeln, werden wir vernichten, erdrücken,
zermalmen und beiseiteschieben.
Das sind unsere Ziele! Das sind unsere Wünsche! Das ist
unsere Religion unser Glaube! Alle Jene, die sich dem Dienste
unserer Bestrebungen widmen, sind unsere Brüder! Unter den
wahren Arnauten gibt es keine Spaltung keine Zwietracht,
keine Heuchelei, keinen Unterschied! Alle sind Brüder, alle
haben einen Körper, einen Geist, eine Seele, einen Glauben!
Wir wollen unsere Stimmen erheben, wir wollen rufen; auch die
zivilisierten Völker sollen uns hören, sie sollen uns helfen, das
‘geheiligte Recht’, das wir wünschen, von dem Räuber zu erlangen.
Wir fürchten uns vor nichts. Wir werden kämpfen, bis wir erreicht
haben, was wir anstreben. Wir wollen nicht schweigen. Wir sind
aufrichtig, Allah ist stets der Helfer der Aufrichtigen. ‘Allah selbst
ist die Aufrichtigkeit.’
Holla, arnautische Brüder! Wir wollen nicht wie jene wilden
Völker sein, die von Europäern, welche sich in die Einöden
Australiens und Afrikas begeben, mit einigen aus Blech, Glas und
dergleichen Stoffen angefertigten Kinderspielzeugen betrogen und
denen dafür ihre Ländereien aus den Händen gerissen werden. Wir
lassen uns nicht wie diese mit ähnlichen Dingen, wie derlei Blechund Glassachen betrügen. Wir lassen die klaren Rechte unseres
Vaterlandes und unserer Nation nicht in den Händen der Fremden und der Feinde. Wir wollen das Joch zerbrechen, das seit
Jahrhunderten schwer auf uns lastet. Wir wollen die Ketten
zerreißen, die unsere Füße umschließen. Wir wollen den ‘Alp’ von
uns abschütteln, der uns niederdrückt, zerquetscht und nicht Atem
schöpfen lässt. Wir wollen nicht träge und untätig bleiben. Wir
wollen unsere Hände und Füße rühren, wir wollen uns bewegen,
wir wollen uns schütteln. Mit Gott und dem Recht wollen wir frei
unseren Weg gehen.
Gott, das Recht, das Volk, die Sprache, Albanien, das Arnautentum!
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