Vorlage Titelblatt DIN A4 mit Siegel

TUTORIUM ZUR VOR GERÜ C KTENÜBUN G IM STRAFR ECHT
WINTERSEMESTER 2015/ 2016
DR. VICTORIA IBOLD
Einheit 6: Raub, räuberische Erpressung, u.ä.
Lösungsvorschlag
1. Tatkomplex: Die Geschehnisse
in der Dönerbude
TUTORIUM ZUR VOR GERÜ C K TENÜBUNG IM STRAFR ECHT
Strafbarkeit des T
WINTERSEMESTER 2015/ 2016
SEBASTIAN WACHSMANN, DR. VICTORIA I BOLD
A. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a, Nr. 1b
Indem T zu E sagte „Döner her, aber schnell, sonst mach ich Dich fertig!“, den Döner an sich
nahm und dabei eine ungeladene Pistole im Rucksack hatte, könnte sich er gem. §§ 249 I, 250 I
Nr. 1a, Nr. 1b strafbar gemacht haben.
Anmerkung:
Wörtliche Zitate sind unüblich, hier aber zur Umschreibung der Drohung sinnvoll. Das Wort „wegnehmen“ aus dem SV sollte nicht verwendet werden (ebenso wenig wie das Wort „drohen“) , da
es sich dabei um einen Terminus Tecnicus des Tatbestandes handelt.
Aufbau:
Raub und die Qualifikationen des § 250 werden üblicherweise zusammen geprüft. Wenn der
Grundtatbestand des § 249 größere Schwierigkeiten aufweist, kann sich eine Trennung der Prüfung von § 249 und § 250 empfehlen.
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Grundtatbestand des § 249 I
Aufbauschema § 249 I
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
b. Nötigungsmittel
aa. Gewalt gegen eine Person oder
bb. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
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c. Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme:
„Zweck-Mittel-Relation“ (Finalität)
2. Subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz
b. Zueignungsabsicht
aa. Absicht mindestens vorübergehender Aneignung
bb. Zumindest Eventualvorsatz bzgl. dauerhafter Enteignung
cc. Obj. Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
dd. Vorsatz bzgl. cc.
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
aa. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
Der Döner ist eine im Alleineigentum des E stehende, daher fremde un d zudem bewegliche Sache.
Indem T dem E den Döner aus der Hand nahm, hat er ohne Willen des E dessen Gewahrsam
aufgehoben und neuen Gewahrsam begründet und damit eine Wegnahme vollendet.
Sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild als auch nach der inneren Willensrichtung des
Opfers stellt sich das Geschehen als Wegnahme und nicht als Weggabe i.S.e. räuberischen Erpressung dar, so dass der bzgl. dieser Abgrenzung bestehen de Meinungsstreit nicht entschieden
zu werden braucht.
Anmerkung:
Die Wegnahme ist hier unproblematisch. Eine umfangreiche Abgrenzung zu §§ 253, 255 wäre hier
verfehlt und nervt den Korrektor. Man sollte souverän sein und klar machen, dass der Fall eindeutig ist.
Man kann jedoch wie hier zur Sicherheit den Meinungsstreit erwähnen und offen lassen.
bb. Nötigungsmittel
Das Entreißen des Döners ist keine Gewaltanwendung iSd § 249 I, da T dies nicht in der Erwartung tat, den Widerstand des E zu brechen.
T könnte dem E aber mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben.
Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines Übels, auf das der Drohende zumindest Einfluss zu
haben vorgibt. Entscheidend ist, dass das Opfer die Drohung ernst nehmen soll und auch ernst
nimmt. 1
1
Rengier BT I § 7 Rn. 18; a.A.: "nur nehmen soll", LK § 249 Rn. 4.
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Mit der Ankündigung, den E fertig machen zu wollen, hat T dem E zumindest Verletzungen etwa
in Form von Schlägen in Aussicht gestellt. Er hat damit mit einer gegenwärtigen Gefahr für dessen
körperliche Unversehrtheit, mithin mit einer Leibesgefahr gedroht.
cc. Zweck-Mittel-Relation
Umstritten ist, welche Beziehung zwischen dem Nötigungsmittel und der Wegnahme bestehen
muss.
Nach h.M. genügt eine finale, subjektive Beziehung zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme.
Die Nötigungshandlung müsste dazu nach Vorstellung des Täters gerade als Mittel zur Wegnahme
dienen, also unmittelbar in die Wegnahmehandlung einmünden, Finalität. Das ist i.d.R. der Fall,
wenn ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang beider Teilakte besteht. Die Drohung
sollte nach T´s Vorstellung die Wegnahme ermöglichen, Finalität.
Eine Mindermeinung fordert über die Finalität hinaus noch Kausalität im Sinne der conditio-sinequa-non-Formel zwischen Nötigungshandlung und Wegnahmeerfolg. Es muss also geprüft werden, ob bei hinweg gedachter Drohung keine Wegnahme erfolgt wäre.
Die Wegnahme wäre hier in dubio pro reo auch ohne Drohung durch bloßes, schnelles Entreißen
des Döners gelungen, da E überrascht war. Die Drohung war nicht kausal und es läge folglich
kein Raub vor (a.A. aber sehr gut vertretbar!!).
Ein Streitentscheid ist erforderlich:
Gegen die Forderung der Kausalität spricht:

Wortlaut: "mit" bedeutet nicht "dadurch"

Beweisprobleme: Kausalität kaum zu beweisen

Starke Einengung des Anwendungsbereichs von § 249 I nicht gewollt
Daher reicht mit der h.M. Finalität aus.
Zwischenergebnis: Objektiver Tatbestand § 249 I (+)
b. Qualifikationstatbestand gem. § 250
T könnte die Qualifikation (schwerer Raub) des § 250 I Nr. 1a (Beisichführen einer Waffe / gef.
Werkzeug) und/oder des § 250 I Nr. 1b (Beisichführen von "sonst einem Werkzeug/Mittel") ve rwirklicht haben, da sich im mitgeführten Rucksack eine ungeladene Pistole befand.
aa. § 250 I Nr. 1a Alt. 1 – Besichführen einer Waffe
Waffe ist jeder einsatzbereite Gegenstand, der dazu geeignet und bestimmt ist, Menschen erhebliche Verletzung zuzufügen. Dies ist zwar bei einer geladenen Pistole unproblematisch der Fall;
eine ungeladene Pistole ist jedoch nicht geeignet, Menschen erheblich zu verletzten, weil sie
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nicht einsatzbereit ist. Mangels Einsatzbereitschaft der Pistole handelt es sich im Tatzeitpunkt
nicht um eine Waffe (absolut h.M., vgl. BGH NJW 1998, 2915, 2916).
bb. § 250 I Nr. 1a Alt. 2 – Besichführen eines gefährlichen Werkzeugs
Grundsätzlich ist der Begriff des gefährlichen Werkzeugs umstritten. Nach der weitestgehenden
Ansicht liegt ein gefährliches bereits Werkzeug vor, wenn es sich um einen objektiv gefährlichen
Gegenstand mit Waffenersatzfunktion handelt. Sogar nach dieser weitestgehenden Ansicht handelt es sich bei einer ungeladenen, nicht einsatz bereiten Pistole jedoch nicht um einen objektiv
gefährlichen Gegenstand mit Waffenersatzfunktion , da sie nicht geeignet ist, Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen.
Anmerkung:
Denkbar ist es, auf Grundlage einer abstrakt -objektiven Betrachtung, der auch die Rspr. mit dem
Gedanken der Waffenersatzfunktion zuneigt, ein gefährliches Werkzeug zu bejahen, da die ungeladene Waffe auch als Schlagwerkzeug verwendet werden kann. Dies lehnt die Rspr. jedoch ab ab
(siehe dazu BGH NJW 1998, 2915, 2916: „Weder aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte, noch aus dem Gesamtzusammenhang der tatbestandlichen Begriffe “Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug” läßt sich jedoch herleiten, daß echte Schußwaffen auch dann den
Begriff der Waffe i. S. des § 250 StGB n. F. erfüllen, wenn sie ungeladen und damit objektiv ungefährlich sind. Die erhöhte kriminelle Energie, die dadurch zum Ausdruck kommt, da ß ein Täter
derartige Waffen bei der Tatbegehung bei sich führt oder verwendet, kann im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden.“). Es erscheint jedoch zumindest vertretbar,
ein gefährliches Werkzeug auf Grundlage einer abstrakt -objektiven Betrachtung entgegen der
Rspr. zu bejahen.
cc. § 250 I Nr. 1b – Besichführen eines sonstiges Werkzeugs
Die Pistole könnte jedoch ein sonstiges Mittel oder Werkzeug i.S.v. § 250 I Nr. 1b sein, das T
mitführt, um den Widerstand von F durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu
überwinden. Nach h.M. sind sonstige Mittel oder Werkzeuge Gegenstände, die sich zwar zur Anwendung von Gewalt oder zur Drohung mit Gewalt eignen, die aber schon nach ihrer objektiven
Beschaffenheit oder nach der Art ihrer geplanten Verwendung keine erheblichen Körperverletzungen hervorrufen können und in diesem Sinne ungefäh rlich sind. 2 Erfasst sind damit auch abstrakt ungefährlich Alltagsgegenstände sowie Scheinwaffen.
Anmerkung:
Beispiele aus der Rechtsprechung für solche Alltagsgegenstände sind etwa Klebebänder als Fesselungs- und Knebelmittel (BGH NStZ 1993, 79), Kabelstücke (BGH NJW 1989, 2549), aber auch
K.O. Tropfen (BGH NStZ 2009, 505 f.).
2
Wessles/Beulke Strafrecht BT 2 § 4 Rn. 285; ähnlich Rengier Strafrecht BT I § 4 Rn. 60.
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Beispiele für Scheinwaffen i.S.d. § 250 I Nr. 1b sind: nicht funktionsfähige oder einsatzbereite
Waffen (BGH NJW 1998, 2915 f.; 3130), eine ungeladene Schreckschusspistole (NStZ -RR 2007,
375), Spielzeugpistolen und echt aussehende Waffen (NJW 1998, 2914 f.).
Ob eine Pistole ungeladen ist oder nicht, ist nicht äußerlich erkennbar, sodass sich auch ein e
ungeladene Pistole zumindest zur Drohung mit Gewalt – etwa Androhung einer Schussverletzung
– geeignet ist; nach ihrer objektiven Beschaffenheit ist eine ungeladene Pistole jedoch nicht zur
Hinzufügung erheblicher Körperverletzungen geeignet.
Die ungeladene Pistole ist damit ein sonstiges Mittel iSd § 250 I Nr. 1b.
Anmerkung zur Scheinwaffenproblematik:
Nach der Rechtsprechung und der h.L. ist bei Scheinwaffen abzugrenzen zwischen bedrohungstauglichen – und damit den Qualifikationstatbestand erfüllenden – Scheinwaffen und offensichtlich ungefährlichen Gegenständen 3: Eine Scheinwaffe ist danach dann kein Mittel i.S.d. § 250 I
Nr. 1b StGB, wenn aus der Sicht eines objektiven Betrachters, nicht des konkreten Opfers, die
Drohungswirkung nicht auf dem objektiven Erscheinungsbild des Gegenstandes selbst, sondern
auf der täuschenden Erklärung des Täters beruht. 4 Beispiele für bedrohungsuntaugliche Gegenstände sind neben einem Labello-Stift und einem Metallrohr (BGH NJW 1996, 2663; NStZ 2007,
332) eine Wasserpistole (BGH NStZ 2011, 703) oder ein Holzstück, das der Täter in seiner Hand
umschlossen hält, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich um eine Schusswaffe (BGH NStZ
1998, 38).
T müsste die Pistole bei sich geführt haben. Der Täter führt das Werkzeug bei sich, wenn es ihm
während des Tathergangs zur Verfügung steht. Zur Verfügung steht es ihm, wenn es so in seiner
räumlichen Nähe ist, räumliche Komponente, dass er sich seiner jederzeit, also ohne großen
Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann, zeitliche Komponente. 5
Der Rucksack samt Inhalt steht T in räumlicher Hinsicht zur Verfügung, müsste aber in zeitlicher
Hinsicht noch abgenommen und geöffnet werden. Darüber hinaus müsste die Pistole noch unter
den Sportsachen hervorgeholt und in die Hand genommen werden. Der Zeitaufwand und die
Schwierigkeiten sind insgesamt noch überschaubar, daher liegt ein Beisichführen vor.
Anmerkung:
Streitig. Gegen Strafbarkeit in solchen einem Fall, da Zeitaufwand zu groß: BayOblG NJW 1999.
Für Strafbarkeit z.B. Wessels/Hillenkamp BT 2 Rn. 267, auch BGH.
3
Zur Rechtsprechung grundsätzlich BGH NJW 1996, 2663 („Labello-Fall“); seitdem st. Rspr. vgl. nur BGH
NStZ 2007, 332 („Metallrohr“).
4
BGH NJW 1996, 2663; NStZ 2007, 332.
5
Rengier BT I § 4 Rn. 13
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Klausurtaktisch unbedingt bejahen, da man sonst nicht mehr zur Verwendungsabsicht und zur
Aufgabe der Verwendungsabsicht kommt.
Zwischenergebnis: Objektiver Tatbestand § 250 I Nr. 1b (+)
2. Subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz
T handelte vorsätzlich bgzl. der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache. Daneben war er
sich auch der Umstände bewusst, die die mitgefüh rte ungeladene Pistole zu einem sonstigen Mittel iSd § 250 I Nr. 1b qualifizieren.
b. Absicht rechtswidriger Zueignung
T kam es auch darauf an, sich den Döner dauerhaft anzueignen und er wollte E dauerhaft aus
einer Eigentümerposition verdrängen. Er handelte mit Zueignungsabsicht.
Zudem hatte er keinen fällen und einredefreien Anspruch auf den Döner und war sich dessen auch
bewusst. Die angestrebte Zueignung war rechtswidrig und diesbezüglich ha ndelte T auch vorsätzlich.
c. Verwendungsabsicht:
T müsste bei Begehung der Tat die Absicht gehabt haben, die Pistole zur Drohung einzusetzen ,
§ 250 I Nr. 1b. Die tatsächliche Verwendung ist nicht Voraussetzung. Der Absicht steht dabei
nicht entgegen, dass der Täter den Einsatz von Bedingungen abhängig macht, die dem Einfluss
des Täters entzogen sind.
Ursprünglich hatte T diese Verwendungsabsicht . Es ist unschädlich, dass der Einsatz unter der
Bedingung stand, dass E keine Schwierigkeiten macht , denn der Eintritt dieser Bedingung war
dem Einfluss des T entzogen.
(P): T gibt die Verwendungsabsicht im Laden auf.
Grundsätzlich ist erforderlich, dass T die Verwendungsabsicht bei Begehung der Tat hatte, Koinzidenzprinzip, §§ 8, 16. Nach allgemeinen Grundsätzen muss mindestens das Versuchsstadium
erreicht sein, um von „Tat“ sprechen zu können, § 22.
Fraglich ist daher, ob T bereits das Versuchsstadium erreichte, als er im Laden das Opfer E aussonderte und daraufhin die Verwendungsabsicht fallen ließ.
Der Täter erreicht das Versuchsstadium, wenn er unmittelbar ansetzt, § 22. Das bedeutet, er muss
subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschreiten und objektiv eine Rechtsgutsgefährdung bevorstehen.
Subjektiv überschritt T die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“, als er hungrig den Laden betrat. Zwar
begann er objektiv in diesem Augenblick noch nicht mit der Nötigungshandlung und damit der
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eigentlichen Tatausführung. Jedoch stand nach dem Tatplan des E die Drohung zeitlich unmittelbar bevor und es waren keine weiteren wesentlichen Teilakte bis zur Tatbegehung mehr erforderlich. Zudem waren die Rechtsgüter des E zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht des T bereits konkret
gefährdet und T befand sich auch schon in der Opfersphäre des E.
Insofern ist sowohl subjektiv als auch objektiv ein unmittelbares Ansetzen mit Betreten des Ladens
zu bejahen. Das Versuchsstadium war folglich erreicht. In diesem Zeitpunkt wies T noch die notwendige Verwendungsabsicht des § 250 I Nr. 1b auf, sodass die Qualifikation erfüllt ist.
Anmerkung:
A.A. gut vertretbar, da sich T noch nicht vor E aufgebaut hat. Klausurtaktisch ist es sinnvoll, die
Verwendungsabsicht zu bejahen, um noch zum Problem Teilrücktritt von der Qualifikation zu
kommen.
Folglich hatte T Verwendungsabsicht bei Begehu ng der Tat.
II.
Rechtswidrigkeit und Schuld
T handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Teilrücktritt von der Qualifikation § 24 I 1 Alt. 1 analog
Indem T davon Abstand nahm, die Pistole einzusetzen, könnte er gem. § 24 I 1 Alt. 1 analog
strafbefreiend von der Qualifikation des § 250 I Nr. 1b zurücktreten sein. Er wäre damit nur wegen
des Grunddeliktes gem. § 249 I strafbar, sog. Teilrücktritt.
Ob ein solcher Teilrücktritt möglich ist, ist umstritten.
Die Rspr. lässt einen solchen Teilrücktritt nicht zu. Begründet wird dies damit, dass das Grunddelikt bereits verwirklicht wurde und sich auch das Handlungsunrecht der Qualifikation bereits
verwirklicht habe, wenn der Täter im Versuchsstadium ein Werkzeug in Verwendungsabsicht bei
sich trägt. Das Opfer sei dann bereits abstrakt gefährdet. Hinzu kommt der dogmatische Einwand,
die Tat lasse sich nur als Ganzes und nicht teilweise aufgeben.
Die h.L. tritt dem überzeugend entgegen 6 Das Unrecht der Tat hat sich im Versuchsstadium noch
nicht ganz verwirklicht, vielmehr reduziert der Täter freiwillig das Unrecht und die Gefährdung
des Opfers, wenn er die Verwendungsabsicht noch vor Vollendung des Raubes aufgibt. Damit
reduziert sich auch das Strafbedürfnis. Die Rechtsordnung ist in geringerem Maße angegriffen,
wenn der Täter diese wieder teilweise respektiert. Die Strafbefreiung ist zudem im Sinne des
Rechtsgüterschutzes.
Dogmatisch wird das Ergebnis durch eine Erweiterung des Tatbegriffs von § 24 erreicht: Die Tat
umfasse nicht nur die Merkmale des Qualifikationstatbestands, sondern auch das Unrecht. Das
6
Streng JZ 2007, S. 1089.
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Unrecht der Qualifikation ist aber im Versuchsstadium noch nicht voll verwirklicht, die „Tat“ daher noch nicht vollendet. Nach a.A. soll der Gedanke der tätigen Reue greifen 7.
Diese Ansicht überzeugt, insbesondere angesichts der Tatsache, dass im Fall zum fraglichen Zeitpunkt ein Rücktritt von der gesamten Raubtat noch möglich war und daher auch ein Tei lrücktritt
möglich sein sollte.
Fraglich ist, ob dem T hier eine solche teilweise Strafbefreiung zuzubilligen ist. Dazu müssten die
Rücktrittsvoraussetzungen vorliegen.
Der Versuch war nicht subjektiv fehlgeschlagen, da die Verwirklichung der Qualifikation des
Beisichführens durch Verwendungsabsicht aus Tätersicht noch möglich war.
Der Versuch war unbeendet, da T noch nicht alles aus seiner Sicht Erforderliche zur Tatbestandsverwirklichung getan hatte, nämlich die Verwendungsabsicht während der Tatausführung permanent aufrecht zu erhalten. Das bloße Aufgeben der Tat war daher ausreichend, § 24 I 1 Alt. 1
analog. Dies hat T getan, indem er bewusst die Pistole im Rucksack ließ.
Fraglich ist die Freiwilligkeit, also das Aufgeben auf Grund autonomer Motive. Hier war T nicht
fremdbestimmt, sondern autonom in seiner Entscheidung. Die Verwendung der Pistole wäre im
Rahmen seines Tatplans noch sinnvoll gewesen. Er verzichtete freiwillig darauf.
Zwischenergebnis:
Die Rücktrittsvoraussetzungen sind gegeben.
IV.
Ergebnis:
T ist strafbar gem. §§ 249 I.
Anmerkung:
Das Wegwerfen der Pistole ist für TK 1 bedeutungslos und wird erst für die weiteren TKe relevant.
Das Wegwerfen im Beendigungsstadium, also nach Vollendung des Raubes käme in jedem Fall zu
spät für einen Teilrücktritt.
B. § 239 I (-)
T hat sich keiner Freiheitsberaubung schuldig gemacht. Die bloße Äußerung der Bedrohung führt
nicht dazu, dass E in seiner Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt und damit auf andere Weise der
Freiheit beraubt war. Inbes. bezieht sich die Drohung des T nicht auf eine zu unterlassene Fortbewegung des E. 8
7
8
Rengier BT 1 § 4 Rn. 79.
Vgl. zu Fällen, in denen eine Drohung zu einer Freiheitsberaubung führen kann Rengier BT I § 22 Rn. 11.
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C. § 239b (-)
A hat sich auch nicht gem. § 239b strafbar gemacht, da die bloße Bedrohung des E noch nicht
dazu führt, dass sich T des E bemächtigt, also eine physische Herrschaft über diesen begr ündet.
Wer in vertretbarer Hinweise ein Sich-Bemächtigen bejaht, muss dennoch den § 239b ablehnen,
da die Bemächtigung mit der für den Raub erforderlichen Nötigung zusammen fällt und es damit
an einer stabilen Zwischenlage fehlt.
Anmerkung:
Soweit Raub und räub. Erpressung zu prüfen sind, sollten die § 239 ff. standardmäßig mitgeprüft
werden. Dabei darf man aber keine Zeit vergeuden, sondern sollte diese Delikte in ein, zwei Sätzen
abhandeln. Auch ein Hinweis auf diese Delikte bei den Konkurrenzen kann genügen. Diese Delikte
gewinnen nur eigenständige Bedeutung, wenn die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit/Sich-Bemächtigen deutlich über das für § 249 bzw. §§ 253, 255 erforderliche Maß hinausgehen.
Exkurs: Restriktive Auslegung der §§ 239a, 239b StGB
im Zwei-Personen-Verhältnis
1. Ausgangspunkt
Die spät ins StGB eingefügten bzw. auf Zwei -Personen-Verhältnisse erweiterten §§ 239a, 239b
stören das Gefüge konkurrierender klassischer Delikte (§§ 253, 255, 177 etc.):
Bei §§ 253, 255 und 249 ff. werden nun selbst in Zwei-Personen-Verhältnissen häufig auch §§
239a, 239b vom Wortlaut her mitverwirklicht, obwohl es sich im Unrechtsgehalt um „klassische“
Raubfälle handelt, für die die Strafdrohungen der §§ 239a, 239b sehr hoch erscheinen, „nicht
unter fünf Jahren“
(zu) weitgehende Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes auf Grund stark überschießender
Innentendenz: Tatbestand bei §§ 239a, 239b bereits mit Entführung, Bemächtigen , nicht erst mit
Erpressung/Nötigung vollendet, d.h. Rücktrittsmögl ichkeiten werden abgeschnitten
Daher: Restriktive Auslegung der §§ 239a, 239b; v.a. Abgrenzung zu (milderen) §§ 253, 255 und
249 ff. erforderlich. Deshalb: Restriktionen im Zweipersonenverhältnis!
2. Neuere Rechtsprechung und h.M.:
Betonung der Zweiaktigkeit der §§ 239a/b: Jeder Akt muss eigenständige Bedeutung haben, d.h.
zwischen Entführung bzw. Bemächtigung (= 1. Akt) und beabsichtigter Erpressung bzw. Nötigung
(= 2. Akt) muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang bestehen (s. BGHSt 40, 350, 35 5):
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a) Funktionaler Zusammenhang:
Eine eigenständige, für die beabsichtigte Erpressung/Nötigung (2.Akt) funktionale Bedeutung hat
die Bemächtigung (1. Akt) nur, wenn sie nicht schon damit zusammenfällt; Bemächtigung muss
„stabile Zwischenlage“ bilden.
bei Entführung (Ortsveränderung!) ist Stabilisierung regelmäßig zu bejahen.
Bei der Bemächtigung fehlt es dagegen öfters an stabiler Bemächtigungslage, v.a. bei „kurzen
Tatgeschehen“
b) Zeitlicher Zusammenhang:
Fehlt, wenn abgenötigte Handlung/Erpressung erst nach Beendigung der Bemächtigungs - bzw.
Entführungslage erfolgen soll (BGH NStZ 1996, 277; StV 97, 302 f.), insbes. wenn Bemächtigung
nur der allgemeinen Einschüchterung dient.
D. § 303 I wegen Verzehr des Döners (-)
T hat sich nicht gem. § 303 I strafbar gemacht, denn nach h.M. liegt bei bestimmungsgemäßen
Verbrauch einer Sache keine Sachbeschädigung vor. Nach anderer Ansicht tritt die Sachbeschädigung als mitbestrafte Nachtat des Diebstahls bzw. des Raubes zurück. 9
E. § 241 I
Die Drohung des T, den E „fertig zu machen“ ist eine Bedrohung mit einer Körperverletzung, also
eine Bedrohung mit einem Vergehen, nicht mit einem Verbrechen iSd § 12 I. T macht sich mangels
Bedrohung mit einem Verbrechen mit gem. § 241 I strafbar.
9
Rengier BT 1 § 24 Rn.18.
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F. § 123 I
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Geschützte Ort: Geschäftsraum (+)
b. Tathandlung
Eindringen bedeutet Betreten gegen oder ohne den Willen des Opfers. Nach ganz herrschender
Ansicht deckt die generelle Erlaubnis des Geschäftsinhabers auch das Betreten zu widerrechtlichen oder unerwünschten Zwecken. 10 Das gilt jedoch nicht, wenn schon äußerlich erkennbar ist,
dass der Täter die Räume zu unerwünschten Zwecken betritt. Die Absichten des T waren nicht
erkennbar, demnach liegt hier ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Inhabers vor.
2. Ergebnis:
T hat sich nicht gem. § 123 I strafbar gemacht.
Ergebnis TK 1 :
Der einfache Raub wird vom qualifizierten Diebstahl wegen Spezialität verdrängt. Die Taten gem.
§ 240 und § 244 I Nr. 1b) treten im Wege der Spezialität hinter § 249 I , 250 I Nr. 1b zurück.
T ist strafbar gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1b.
10
Rengier BT 1 § 30 Rn.11.
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2. Tatkomplex: Die Fahrt mit dem Taxi
Strafbarkeit des T
A. § 263 I
T könnte sich gem. § 263 I strafbar gemacht haben, indem er sich von F im Taxi befördern und
ihn auf den Parkplatz fahren ließ.
I.
Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Täuschung über Tatsachen
Indem T in das Taxi des E stieg und ihm ein Fahrziel angab, erklärte er zwar nicht ausdrücklich,
jedoch aber konkludent seine Zahlungswilligkeit bzgl. des anfallenden Fahrpreises. T hatte jedoch
von Anfang vor, den Fahrpreis nicht zu entrichtet; er täuschte demnach E über die innere Tatsache
seiner Zahlungswilligkeit.
b. Irrtum
F hat hinsichtlich der Zahlungswilligkeit seiner Fahrgäste ein sachgedankliches Mitbewusstsein
und hatte damit eine Fehlvorstellung über diese Tatsache; er erlag einem täuschungsbedingten
Irrtum.
c. Vermögensverfügung
Vermögensverfügung ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.
Mit Einsteigen und Angeben des Fahrzieles durch T sowie Losfahren des F haben die beiden einen
Beförderungsvertrag geschlossen, auf Grund dessen F sich zur Erbringung einer – vermögenswerten – Fahrleistung verpflichtete; dies stellt bereits eine Vermögensm inderung in der Variante
eines Eingehungsbetrugs dar. Auch die erbrachte Beförderungsleistung ist eine Verfügung (Erfüllungsbetrug). Es kann hier dahinstehen, ob der spätere Verzicht auf das Entgelt eine Verfügung darstellt, da dieser nicht irrtumsbedingt sondern nötigungsbedingt war.
d. Vermögensschaden
F hat einen Vermögenschaden erlitten, wenn auf Grundlage einer Gesamtsaldierung ein Vergleich
des Vermögens des F vor und nach der Vermögensverfügung einen negativen Saldo ergibt.
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Der Vermögenssaldo des F war bereits mit Abschluss des Vertrags negativ, da T von Anfang an
nicht gewillt war, die Gegenleistung zu erbringen, die wirtschaftlich negativen Folgen des Vertragsschlusses also hinreichend wahrscheinlich waren. F´s Forderung gegen T war wirtschaftlich
gesehen erheblich weniger wert als die geschuldete Leistung des F. Auf die tatsächliche Beförderung kommt es für die Vollendung nicht mehr an. Diese vertieft den Schaden. Der Vorgang Eingehung eine s negativen Vertrages und Erfüllung wird hier als Einheit betrachtet, es liegt insgesamt nur ein Betrug vor.
2. Subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz (+)
b. Absicht stoffgleicher, rechtswidriger Bereicherung (+)
Auch eine Spazierfahrt ist eine Vermögensposition. Der Vorteil für T ist stoffgleich zum Vermögensnachteil des F. Die Bereicherung ist rechtswidrig, obwohl der Täter an sich einen Beförderungsanspruch hat, da er die Gegenleistung nicht erbringen will.
II.
III.
Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
Strafantrag
Der Schaden, der durch die Fahrt entstanden ist, ist bei lebensnaher Bet rachtung bei unter 50
EUR und damit als geringwertig i.S.v. § 248a einzustufen. Ein Strafantrag gem. §§ 263 IV i.V.m.
248a ist gestellt.
IV.
Ergebnis
T hat sich gem. § 263 I strafbar gemacht.
B. § 249 I
T könnte sich gem. § 249 I strafbar gemacht haben, indem er F geschlagen, aus dem Auto gedrängt
hat und mit dem Auto weggefahren ist.
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Diebstahlskomponente
aa. Fremde, bewegliche Sache
Das Taxi ist ein körperlicher Gegenstand, der nicht im Eigentum des T steht. Ein tauglich es Tatobjekt ist gegeben.
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bb. Wegnahme
T müsste das Taxi auch weggenommen haben.
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Gewahrsam ist die
vom natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, deren Reichweite
durch die Verkehrsanschauung bestimmt wird.
Zunächst war der Taxifahrer F Gewahrsamsinhaber am Taxi.
Spätestens in dem Zeitpunkt als T davonfuhr, hat T den F von der Sachherrschaft endgültig ausgeschlossen und Alleingewahrsam begründet.
Gewahrsamsbruch bedeutet die Aufhebung der Sachherrschaft gegen oder ohne den Willen des
Berechtigten.
Die Kriterien zur Bestimmung des Merkmals Gewahrsamsbruch im Rahmen des Raubes und damit
die Abgrenzung zur räuberischen Erpressung sind umstritten.
Die h.L. grenzt nach der inneren Willensrichtung des Gewahrsamsinhabers ab, also danach, ob
das Opfer denkt, der Gewahrsamswechsel sei von seinem Verhalten abhängig , er habe eine
Schlüsselposition inne.
F sah hier angesichts der Schläge keine Möglichkeit, d en Gewahrsamswechsel zu verhindern. T
wendete vis absoluta an, indem er F aus dem Fahrzeug drängte , so dass eine Willensbildung
unmöglich war. Es lag hier nach h.L folglich ein Gewahrsamsbruch und mithin eine Wegnahme
vor.
Die Rspr. grenzt nach dem äußeren Erscheinungsbild ab. Stellt sich das Geschehen von außen
betrachtet als Weggabe dar, dann liegen nur die leges generales §§ 253, 255 vor. Bei einem
„Nehmen“ der Sache ist § 249 als lex specialis jedoch vorrangig.
Das äußere Geschehen stellt sich hier als gewaltsame Verdrängung des Fahrers aus seiner Gewahrsamsposition dar, mithin als „Nehmen“ des Taxis. Auch nach den Kriterien der Rechtsprechung liegt eine Gewahrsamsbruch, also insgesamt eine Wegnahme vor.
Zwischenergebnis: Die Meinungen kommen zum selben Ergebnis, nämlich dass eine Wegnahme
vorliegt. Ein Streitentscheid ist nicht erforderlich.
Anmerkung:
Nochmal: Bei Meinungsstreitigkeiten immer erst prüfen, ob die Meinungen im Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Erst dann in die Argument ation einsteigen und den Streit entscheiden. Die Darstellung von nicht entscheidungserheblichen Streitigkeiten gibt keine Punkte,
kostet Zeit, nervt den Korrektor und führt oft zu Abzügen. Es ist ein Ärgernis, wenn erst 2 Seiten
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Pro- und Kontra Argumente erörtert werden, dann aber der Streit offen gelassen wird mit dem
Hinweis, dass beide Meinungen im Fall zum selben Ergebnis kommen. Das ist dann nicht gefragtes Wissen.
b. Qualifiziertes Nötigungsmittel
Definition Gewalt:
Gewalt = körperlich wirkender Zwang gegen eine Person durch unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf einen anderen, die nach der Vorstellung des Täters dazu bestimmt und geeignet ist,
einen tatsächlich geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden oder unmöglich zu machen.
Die Schläge und Tritte bewirken gegenüber F körperlich wirkenden Zwang, die nach Vorstellung
des T dazu dienen, erwarteten Widerstand gegen die Wegnahme zu überwinden bzw. unmöglich
zu machen. Das Nötigungsmittel Gewalt liegt vor.
c. Zweck-Mittel-Relation
Die Gewaltanwendung diente aus Sicht des T zur Wegnahme des Taxi, der erforderliche finale
Konnex liegt vor.
2. Subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz (+)
b. Zueignungsabsicht
Fraglich ist jedoch, ob T mit Zueignungsabsicht handelte, also zumindest mit dolus eventualis
hinsichtlich der dauerhaften Enteignung des Eigentümers und mit Absicht hinsichtlich der zumindest vorübergehenden Aneignung.
Zwar kam es dem T darauf an, vorübergehend den Gebrauchsvorteil hinsichtlich des Wagens als
zu nutzen, sich also die Sache vorübergehend anzueignen (Aneignungsabsicht).
T hat jedoch von Anfang an geplant, das Taxi dem F zurückzubringen; damit wollte er F nicht
dauerhaft aus seiner Eigentümerposition verdrängen. Die angestrebte, bloß vorübergehende Gebrauchsanmaßung am Taxi schließt damit den Vorsatz dauerhafter Enteignung des F aus.
Zueignungsabsicht ist nicht gegeben.
II.
Ergebnis:
T ist nicht strafbar gem. § 249 I.
Mangels Zueignung bzw. Zueignungsabsicht scheidet auch eine Strafbarkeit gem. § 246 I und
§ 242 I aus.
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C. §§ 253, 255
T könnte sich durch dieselben Handlungen und dadurch, dass er das Beförderungsentgelt nicht
entrichtete gem. §§ 253, 255 strafbar gemacht haben.
Anmerkung:
In der vorliegenden Konstellation wird der Streit um das Erfordernis einer Vermögensverfügung
bei §§ 253, 255 und damit um die Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung relevant. Die h.L. sieht zwischen den beiden Delikten ein Exklusivitätsverhältnis und lehnt daher eine
räuberische Erpressung mangels Vermögensverfügung ab (s. unten). Da die Rec htsprechung aber
keine Vermögensverfügung für erforderlich hält und §§ 253, 255 vielmehr als die subsidiären
leges generales zu § 249 ansieht, kann sie eine Strafbarkeit bejahen.
Hätte man dagegen einen Raub bejaht, so würde es weder nach h.L. (Exklusivität) noch nach der
Rspr. Sinn (Raub ist lex specialis) machen, die §§ 253, 255 ausführlich zu prüfen. Es genügt dann
eine kurze (!!) Prüfung der §§ 253, 255 bzw. ein Hinweis in den Konkurrenzen.
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Nötigungsmittel
Die Schläge und Tritte gegenüber F stellen eine Gewaltanwendung gegen eine Person dar (s.
oben).
b. Nötigungserfolg
Als Nötigungserfolg lässt § 253 jedes Tun, Dulden oder Unterlassen zu.
F duldet die Wegnahme des Wagens und unterlässt es, seine Forder ungen aus dem Beförderungsvertrag geltend zu machen bzw. die Personalien des T aufzunehmen . Ein Nötigungserfolg liegt
vor.
c. Vermögensverfügung
(P) Es ist umstritten, ob es sich beim Nötigungserfolg um eine Vermögensverfügung handeln
muss.
Dieser Streit kann dahin stehen, wenn eine Vermögensverfügung vorliegt.
Eine Vermögensverfügung setzt mindestens ein willensgesteuertes Verhalten voraus, das bewusst
eine Vermögensminderung herbeiführt.
Hinsichtlich des Fahrzeugs wurde bereits eine Wegnahme bejaht, so da ss eine Verfügung denklogisch nicht mehr in Betracht kommt.
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Der Verzicht des Fahrers, seine Forderung aus dem Beförderungsvertrag geltend zu machen sowie
die Personalien des T zu erfassen, könnte eine Verfügung darstellen.
Ein willensgesteuertes Verhalten kommt denklogisch nur beim Einsatz von „vis compulsiva“ als
Nötigungsmittel in Betracht und nicht bei „vis absoluta“ so wie hier im Fall, die jede Willensbildung unmöglich macht.
Anmerkung:
A.A. vertretbar, da der F seine Forderungen trotz Gewalteinwirkung noch hätte stellen können.
Es lag folglich keine Verfügung vor. Der Streit, ob eine Verfügung zu fordern ist, muss daher
entscheiden werden.
Aufbau:
Wieder: Erst prüfen, ob der Streit entscheidungserheblich ist, dann erst in die Argument ation
einsteigen. Läge eine Vermögensverfügung vor, so kämen beide Meinungen zur Bejahung des
Tatbestands von §§ 253, 255. Der Streit wäre überflüssig und sollte nicht dargestellt werden, auch
wenn man viel Wissen dazu präsentieren möchte.
E.A. (Rspr.): Keine Verfügung nötig, §§ 253, 255 leges generalis, § 249 I lex specialis. Jeder Raub
ist damit gleichzeitig auch eine räuberische Erpressung.
Argumente:

Wortlaut §§ 253, 255 fordert keine Verfügung, nur Nötigungserfolg

Anderer Gewaltbegriff bei §§ 253, 255 als bei § 249 I widersinnig. §§ 253, 255 sollte wie bei
§ 249 I auch mit vis absoluta begangen werden können. Eine Privilegierung gerade des Täters,
der vis absoluta einsetzt, ist nicht einzusehen

Lückenlose Bestrafung möglich. Z.B. für Täter, die den obj ektiven Tatbestand des Raubes erfüllen, denen aber die Zueignungsabsicht fehlt, so wie in vorliegendem Fall.

Vermögensverfügung müsste abweichend von § 263 definiert werden, da bei §§ 253, 255 nötigungsbedingt.
Gegenargument: Wortlautargument schwach, da Vermögensverfügung auch in § 263 nicht genannt, aber nach absolut h.M. erforderlich.
A.A (h.L). : Vermögensverfügung ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, sog. Verfügungslehre.
§ 253 ist ein Selbstschädigungsdelikt, § 249 I ein Fremdschädigungsdelikt. Tatbestände daher
alternativ, sog. Exklusivitätsverhältnis.
Argumente:

§ 249 I wäre praktisch überflüssig, wenn jeder Raub auch von §§ 253, 255 erfasst wäre (Ausnahme bei Raub einer wertlosen Sache: Zueignungsabsicht, aber keine Bereicherungsabsicht ).
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
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§ 249 I steht aber am Anfang des 20. Abschnitts. Eigenständigkeit und Abgrenzbarkeit der
Delikte sind wünschenswert.

Ungewöhnlich, dass allgemeinere Vorschrift, § 255, auf die speziellere, § 249, verweist.

Straflose Gebrauchsanmaßung und die Privilegierung von § 248b werden unterlaufen, da die
Rspr. diese Fälle über §§ 253, 255 erfasst.

Einsatz eines einfachen Nötigungsmittels zum Zweck des Diebstahls würde zur Strafbarkeit
aus § 253 führen, sog. „kleiner Raub“. Dies sei vom Gesetzgeber nicht gewollt.
Gegenargument: Privilegierung wird bei § 248b nur bei Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels unterlaufen, nicht bei einfacher Wegnahme. Dies ist gerechtfertigt.
Anmerkung:
Der Streit ist ein Klassiker und muss beherrscht werden. Dennoch sollte man sich in der Klausur
aus Zeitgründen auf jeweils 2 Argumente beschränken. Die jeweils gewichtigsten Argumente sind
wohl „vis absoluta“ für die Rspr. und „Unterlaufen von § 248b“ für die Lit.
Bewerten Sie die Wichtigkeit des Streits nicht über. § 249 und §§ 253, 255 haben identische
Strafrahmen und Qualifikationen.
Streitentscheid: Pro Literatur wegen Unterlaufen von § 248b.
Vermögensverfügung zu fordern, aber im Fall nicht gegeben.
Anmerkung:
Beide Meinungen sind gleichwertig. Entscheiden Sie si ch klausurtaktisch. Die Meinung der Rspr.
führt im Fall dazu, dass §§ 253, 255 erfüllt wäre. Damit eröffnen sich generell punkteträchtige
Folgeprobleme bei §§ 253, 255, insbesondere „Schaden“ und die Qualifikationen §§ 250, 251. Im
Fall wäre der Schaden problematisch, da hinsichtlich der Forderungen aus dem Beförderungsvertrag nur eine Schadensvertiefung gegenüber dem Betrugsschaden (str eitig) in Betracht kommt,
sog. Sicherungserpressung. Hinsichtlich des Fahrzeugs läge ein Schaden vor, da der vorübergehende Gebrauchsvorteil bzw. der Besitzverlust eine relevante Vermögensposition ist.
Folgt man wie hier der Meinung der Literatur, so kann man ausführlich auf die § 240 und § 248b
eingehen und damit punkten. Diese Tatbestände würden, geht man mit der Meinung der Rspr.,
von §§ 253, 255 verdrängt und sollten dann nur mit einem Satz erwähnt werden.
Nochmal zur Klarstellung:
Bejaht man bereits den spezielleren § 249 I, so prüft man §§ 253, 255 nicht noch zusätzlich an.
Bejaht man jedoch nur die Wegnahme, verneint den Raub aber als Ganzen (wie hier im Fall wegen
fehlender Zueignungsabsicht), darf man §§ 253, 255 nicht (wie leider so oft) vergessen. Die Rspr.
sieht eben kein Exklusivitätsverhältnis, sondern vielme hr in §§ 253, 255 leges generales, die trotz
Wegnahme voll anwendbar bleiben.
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Anmerkung:
Nochmal: Der Streit sollte nicht immer dargestellt werden, wenn die §§ 249, 253, 255 zu prüfen
sind, sondern nur wenn er für die Falllösung erheblich wird. Zwei wichtige Konstellationen führen
zu unterschiedlichen Strafrahmen und sind daher besonders genau zu prüfen:
1. Nötigungsbedingte Wegnahme zwar (+), aber § 249 I insgesamt ( -), v.a. mangels Zueignungsabsicht. Wie im Fall hinsichtlich des Fahrzeugs.
Lösung: Rspr.: §§ 253, 255 (+). Lit. nur §§ (223,) 240, 248b .
2. Vis absoluta bei Forderungserpressung. Wie im Fall hinsichtlich der Forderung aus Beförderungsvertrag. Allerdings kein Problem der Abgrenzung von § 253 zu § 249 I (Forderung ist keine
Sache), sondern der Erpressung.
Lösung: Rspr.: §§ 253, 255 (+). Lit. nur §§ 223, 240.
II.
Ergebnis
T hat sich nicht gem. §§ 253, 255 strafbar gemacht.
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D. § 316a I
Dadurch dass T den Taxifahrer zum Parkplatz dirigi erte, dort schlug und aus dem Auto schob,
könnte sich T gem. § 316a I strafbar gemacht haben.
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Angriffs auf Führer eines Kraftfahrzeugs
Angriff i.S.d. § 316a I StGB ist jede auf die Verletzung der genannten Rechtsgüter – Leib und
Leben sowie Entschlussfreiheit – gerichtete, feindselige Handlung.
Das Dirigieren des F auf den Parkplatz ist noch kein Angriff auf dessen Entschlussfreiheit, da F –
wenngleich unter täuschungsbedingt anderen Vorstellungen – auf Grund einer freien Willensbetätigung handelte.
Die Schläge und das Schieben des F aus dem Fahrzeug ist jedoch eine Verletzun g von F`s körperlichen Unversehrtheit und damit ein Angriff.
b. auf Führer eines Kraftfahrzeugs
F müsste im Zeitpunkt des Angriffs auch Führer eines Kfw gewesen sein.
„Führer“ i.S.d. § 316a StGB ist nach BGH Rechtsprechung derjenige, der das Kfz in Bewegung zu
setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit
der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. 11
Daran fehlt es, sobald der Fahrer sich außerhalb des Fahrzeugs befindet, ferner regelmäßig auch
dann, wenn das Fahrzeug aus anderen als verkehrsbedingten Gründen anhält und der Fahrer den
Motor ausstellt.
Hier hielt der Taxifahrer auf den Wunsch des T an, sodass ein nicht verkehrsbedingter Halt vorliegt. Zudem schaltete der Fahrer den Motor aus. Folglich war er im Zeitpunkt des Angriffs nicht
mehr Führer eines Kfz.
Nach einer aufgegebenen Ansicht der Rechtsprechung genügt es dagegen, wenn der Führer eines
Kfz mittels einer Täuschung an eine einsame Stelle gelockt wurde, um dort unter Ausnutzung
dieser Lage – bei abgestelltem Kfz – ausgeraubt zu werden („Vereinzelung des Opfers“). 12 Nach
dieser Ansicht genügt daher die Führereigenschaft des F im Zeitpunkt der Täuschung des B über
seine wahren Absichten. Diese Ansicht ist jedoch im Hinblick auf den Wortlaut un d des Schutzzweck der Norm abzulehnen und wurde vom BGH in seiner Grundsatzentscheidung entsprechend
11
12
BGH NJW 2004, 786 ff.
Zuletzt noch BGH NJW 2001, 764 f.
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aufgegeben. 13 Der Wortlaut des § 316a StGB erfordert, dass das Opfer als Führer eines Kfz angegriffen wird und diese Eigenschaft daher im Tatzeitpunkt, d.h. nicht im Zeitpunkt des Tatentschlusses, sondern bei Verüben des Angriffs, hat. Schutzzweck des § 316a StGB ist zudem neben
individuellen Rechtsgütern zumindest gleichrangig der Schutz der Sicherheit des Kraftfahrverkehrs auf den Straßen; sofern aber ein Angriff erst erfolgt, wenn das Opfer nicht mehr Führer
eines Kfz ist, wird die Sicherheit des Kraftfahrverkehrs und damit der Schutzzweck des § 316a I
StGB nicht tangiert. 14
Anmerkung:
Auch der subjektive Tatbestand wäre angesichts der bisherigen Ergebnisse der Prüfung nicht
gegeben: T hatte keine Absicht, einen Raub oder eine räuberische Erpressung (anders nach Meinung der Rspr.) zu begehen.
Dieser Prüfungspunkt ist vom Gesetzgeber ersichtlich als Absicht formuliert worden und daher
im subjektiven Tatbestand zu prüfen. Viele Bearbeiter prüfen dies leider im objektiven Tatbestand.
II.
Ergebnis:
T hat sich nicht gem. § 316a I strafbar gemacht.
E. § 240 I (+)
F. §§ 223 I, 224 I Nr. 3 (+)
Hinterlistiger Überfall gem. § 224 I Nr. 3 (+/ -) (beides vertretbar)
G. § 248b (+)
H. § 239 (-)
I. § 239a (-)
Ergebnis 2. TK:
Strafbarkeit des T gem. §§ 263 I; 53; 224 I Nr. 3; 52; 240 I; 53, 248b
Anmerkungen an: [email protected]
13
BGH BeckRS 2004, 00037.
14
Siehe zur Argumentation BGH BeckRS 2004, 00037.