Die neue Beweglichkeit

STANDPUNKTE
IZA Standpunkte Nr. 82
Die neue Beweglichkeit:
Die Gewerkschaften in der digitalen Arbeitswelt
Werner Eichhorst
Holger Hinte
Alexander Spermann
Klaus F. Zimmermann
August 2015
Forschungsinstitut
zur Zukunft der Arbeit
Institute for the Study
of Labor
Die neue Beweglichkeit:
Die Gewerkschaften in der
digitalen Arbeitswelt
Werner Eichhorst
IZA
Holger Hinte
IZA
Alexander Spermann
IZA und Universität Freiburg
Klaus F. Zimmermann
IZA und Universität Bonn
IZA Standpunkte Nr. 82
August 2015
IZA
Postfach 7240
53072 Bonn
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Die Schriftenreihe „IZA Standpunkte” veröffentlicht politikrelevante Forschungsarbeiten und
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IZA Standpunkte Nr. 82
August 2015
ZUSAMMENFASSUNG
Die neue Beweglichkeit:
Die Gewerkschaften in der digitalen Arbeitswelt
Die digitale Revolution, insbesondere das mobile Internet, verändert die Arbeitswelt radikal.
Das stellt die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. Dennoch können sie erfolgreich
bleiben und mehr Mitglieder gewinnen, wenn sie sich in mehreren ihrer zentralen
Gestaltungsfelder besser positionieren und etwa die Entwicklung neuer Ansätze in der Aus‐
und Weiterbildung vorantreiben oder einen neuen, auf gegenseitigem Vertrauen
aufbauenden Kompromiss zu Arbeits- und Ruhezeiten erarbeiten. Arbeitsorte jenseits des
betrieblichen Arbeitsplatzes sind gelebte Realität. Auch hier lassen sich – inspiriert von
Betriebsvereinbarungen zum Vertrauensarbeitsort – tarifvertragliche Lösungen entwickeln.
Des Weiteren sollten neue Arbeitsformen wie das über Online‐Portale organisierte
Crowdworking nicht per se abgelehnt, sondern tarifpolitisch gestaltet werden. Moderne
Arbeitsprozesse können von den Gewerkschaften aktiv begleitet werden, ohne dass hart
erkämpfte Errungenschaften im Hinblick auf Arbeitsstandards aufgegeben werden müssen.
Modelle der betrieblichen Gewinn‐ und Kapitalbeteiligung können weiterentwickelt werden,
um Mitarbeitern zukünftig mehr Anteile am Produktivvermögen zu ermöglichen.
Gewerkschaften, die ihre Rolle in der digitalisierten Arbeitswelt konstruktiv annehmen und
sich auf die hier benannten sechs Gestaltungsfelder konzentrieren, sind in einer
unübersichtlicher werdenden Arbeitswelt weiter wichtig.
JEL-Codes:
J21, J24, J51
Schlagworte: Gewerkschaften, Digitalisierung, technischer Fortschritt, Tarifpolitik,
Sozialpartnerschaft
Kontaktadresse:
Werner Eichhorst
IZA
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Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
Einleitung
Diedigitale Revolution, insbesondere das mobile Internet, verändert die Arbeitswelt radikal
und rasch. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit sowie zwischen Arbeitsort und
Wohn‐ und Aufenthaltsort verschwimmen immer mehr. Die Digitalisierung erscheint unauf‐
haltsamundwirdwohldieArbeitsweltundunsereArtzuLebengrundlegendverändern(vgl.
Frey/Osborne2013;Bonin/Gregory/Zierahn2015),auchwennSchnelligkeitundReichweite
derVeränderungennichtsichervorhersagbarsind.DieseVeränderungenbetreffenUnterneh‐
men,BeschäftigteunddieSozialpartnergleichermaßen(vgl.BMAS2015;Zimmermann2015).
Das stellt die Gewerkschaften vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. In den letzten
JahrzehntenhabensiesichaußerfürLohnerhöhungenerfolgreichfürkürzereArbeitszeiten,
ausreichendeRuhepausen,ArbeitssicherheitamArbeitsplatzundreguläreArbeitsformenmit
hoherArbeitsqualitäteingesetzt.WennjedochnichtmehrnurzufestenZeitenamArbeitsplatz
gearbeitet wird, wenn Arbeitszeit zu Hause oder auf Reisen nur noch bedingt erfassbar ist,
wennselbständigerundprojektorientierterinderDienstleistungsgesellschaftgearbeitetwird,
dannentfallendieklassischenAnkerpunktegewerkschaftlichenHandelns.
FürdieGewerkschaftenwirdesentscheidenddaraufankommen,sichderDigitalisierungfrüh‐
zeitigalseineszentralenThemasanzunehmen,umvondermutmaßlichenGeschwindigkeitder
neuerlichenAnpassungsprozessenichtüberrolltzuwerden.Dasistleichtergesagtalsgetan,
denndieDigitalisierungverlangtsowohlerheblicheReformenimBereichderQualifizierung
derBeschäftigtenundderRegulierungvonArbeitalsauchhinsichtlichdesgewerkschaftlichen
Selbstverständnisses.
HerausforderungenfürdieGewerkschaften
Gewerkschaften sind freiwillige Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern, die – wie politische
Parteien–dieInteressenihrerMitgliedervertreten.JemehrMitgliedereineGewerkschaftvor‐
weisenkann,umsohöheristihrEinflussindenLohnverhandlungenmitdenArbeitgebern.Vor
diesemHintergrundhatderkontinuierlicheRückgangderZahlderGewerkschaftsmitgliederin
Deutschlandbis2010(sieheAbbildung)dieVerhandlungspositionderGewerkschaftendeutlich
geschwächt.
2 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
3 Quelle:DeutscherGewerkschaftsbund(http://www.dgb.de/uber‐uns/dgb‐heute/mitgliederzahlen),
abgerufenam12.August2015. Seit 2010 hat sich die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder auf niedrigerem Niveau stabilisiert,
zuletztkonntesogareingeringfügigerZuwachsverzeichnetwerden(vgl.Andersetal.2015;
Dribbuschetal.2012),auchweilführendeGewerkschaftenwiedieIGMetalldasZielderMit‐
gliedergewinnungpriorisierthaben.DennochbleibtdasProblem,dassdergewerkschaftliche
Organisationsgrad gerade bei flexiblen Arbeitsformen und in den Wachstumssektoren recht
schwachausgeprägtist,währendzugleichmitdemdemografischenWandelauchdieGewerk‐
schaftsmitgliederdeutlichalternundNachwuchsproblemeauftauchen.
Der demografische Wandel hat für weite Teile der Wirtschaft einen sukzessive wachsenden
Fachkräftemangel und eine Alterung von Firmenbelegschaften zur Folge. Die Unternehmen
werdenaufdieseEntwicklungmitReorganisationundRationalisierungantwortenundsichdie
MöglichkeitenderDigitalisierungauchindieserHinsichtzunutzemachen.Arbeitsformen,die
sichimmerweitervomklassischenNormalarbeitsverhältnismitfestemArbeitsortundkalku‐
lierbarenArbeitszeitenentfernen,werdenanBedeutungdeshalbweiterzunehmen.Gleichzei‐
tig nimmt die individuelleVerhandlungsmachtzumindestfür gutqualifizierte, knappeFach‐
kräftegegenüberdenArbeitgebernzu,sodasssiejenseitsgewerkschaftlicherFürspracheer‐
folgreichfürihreInteresseneintretenkönnen.
Für dieGewerkschaften istdiesein herausforderndesBetätigungsfeld, dennsie können sich
nichtgegendieseEntwicklungstemmen,sondernmüssenerkennen,dassdieneueBeweglich‐
keitderArbeitsweltnichtnurdemBetriebskalkülentspricht,sondernhäufigauchimArbeit‐
Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
nehmerinteresseliegt.DierichtigenAntwortenaufdieunterdemografischenundtechnologi‐
schenVorzeichensichstarkwandelndenRahmenbedingungenderArbeitsweltzufinden,setzt
allerdingseinkonstruktivesKorrektivvoraus,dasdieGewerkschaftenanbietenkönnen.Ohne
diesen Ausgleich birgt die technologisch immer weiter vorangetriebene Flexibilisierung ein
nichtgeringesRisikovonÜberforderungundeineralleinvondentechnischenMöglichkeiten
dominierten,übergangslosenVermischungvonArbeit,FamilientätigkeitoderFreizeit.
Dabeigilteszubeachten,dassdenGewerkschafteninFormneuer,reaktionsschnellersozialer
BürgerbewegungenundneuerKommunikationswegeüberdiesozialenMedieneineersthafte
Konkurrenzerwachsenkönnte–zumaldann,wennsieselbstwomöglichzugunsteneinesall‐
gemeinpolitischenoderaberzusehraufEinzelgruppenkonzentriertenVorgehensihreRolle
alsAnwaltvonübergeordnetenArbeitnehmerinteressenausdemBlickverlierensollten.
WaskönnenGewerkschaftenineinerzunehmenddigitalisiertenundflexiblenArbeitsweltstra‐
tegischtun,damitdieZahlihrerMitgliedernichtweiterabnimmtodersogarnachhaltigwächst
undzugleichihrEinflussaufdierasantenVeränderungsprozessenichtzurDispositionsteht?
WelcheGestaltungsfeldereröffnensichdenGewerkschaftenimSinneeinerKonzentrationauf
ihreKernaufgabealsMitgestaltereinerfairenArbeitswelt?
DigitaleArbeitswelt
EinHauptaugenmerkbeiderDebatteumdieDigitalisierungliegtderzeitaufdemKernbereich
derIndustrie.SiestelltnachwievordasRückgratdesdeutschenWirtschaftsmodellsundder
MitgliederbasisderGewerkschaftendar.„Industrie4.0“bedeuteteinestärkereVernetzungund
eineneueWellederAutomatisierungindenindustriellenBereichenderWirtschaft.MitBlick
aufdieStrukturderTätigkeitenundderBeschäftigungwirddiesvorallemimplizieren,dass
Routinetätigkeiten,aberzunehmendauchanspruchsvollereTätigkeitsprofilenochstärkerals
inderVergangenheitunterDruckgeratenwerden,weilsievonintelligentenMaschinenund
Roboternübernommenwerdenkönnen.DasschaffteinerseitsneuenFreiraumfürkreativeund
wenigerbelastendeBeschäftigung,fürflacheHierarchienundmehrEigenverantwortungund
wirdfüreinHöchstmaßanräumlicherundzeitlicherFlexibilitätsorgen,dasderVereinbarung
vonFamilie,FreizeitundBerufentgegenkommt.
AndererseitsdrohenArbeitsplatzverlusteaufgrundvonRationalisierung,Aus‐undVerlagerun‐
genvonProduktionodereineVerschlechterungderArbeitsbedingungendurchzugroßenEr‐
folgsdruck. DiesgiltesausgewerkschaftlicherSichtzuvermeiden;zugleich mussdernötige
betriebliche Spielraum eingeräumt werden, damit durch individualisierte, flexible und ver‐
netzteProduktionsmodelleneueBeschäftigungspotenzialeinDeutschlandentstehenkönnen.
Allessprichtdafür,dassdieErschließungdieserPotenzialemitdeutlichhöherenQualifikati‐
onsanforderungenandieBeschäftigteneinhergehenwird.DamitwirddieQualifizierungzuei‐
ner zentralen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, zu der die Gewerkschaften einen wichtigen
Beitragleistenkönnen.
4 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
BislangkonnteinDeutschlandeineauffälligeStabilitätindenindustriellenKernbranchenwie
Metall‐undElektroindustrieoderChemiebeobachtetwerden.DiesgiltsowohlimHinblickauf
dasGewichtdiesesBeschäftigungssegmentsamArbeitsmarktalsauchinBezugaufdieArbeits‐
bedingungen.DieswiederumhatsehrvielmitdertraditionellenStärkedesAusbildungssys‐
tems und der tarifvertraglichen Durchdringung dieser Wirtschaftszweige sowie mit der be‐
trieblichen Mitbestimmung zu tun (Eichhorst/Marx/Tobsch 2015). Qualifizierte industrielle
Kernbelegschaften,insbesondereFacharbeiter,sindinDeutschlandgutausgebildet,langfristig
eingearbeitetundhochproduktiv,alsoprinzipiellnichtschlechtvorbereitetfürdieIndustrie
der Zukunft. Die hoch qualifizierte Fachkräftebasis ist ebenso wie das Knowhow einer hoch
produktivenindustriellenProduktioneinerheblicherStandortvorteilundeinErklärungsfaktor
fürdiebemerkenswerteStabilitätdesindustriellenBereichsinDeutschland.
Dieses komplexe, historisch gewachsene Produktionsmodell hat sich über die letzten Jahr‐
zehntealssehranpassungsfähigundwettbewerbsfähigerwiesen.Gleichwohlsinderhebliche
Anstrengungennotwendig,umangesichtsrapidertechnologischerInnovationenundsichwan‐
delnderProduktions‐undGeschäftsmodelleauchinZukunftiminternationalenWettbewerb
bestehenzukönnen.EinezugeringeAnpassungs‐undInnovationsfähigkeitkannetablierteUn‐
ternehmen möglicherweise schneller als der Vergangenheit in eine schwierige ökonomische
Lagebringen,weshalbesauchimInteressederBeschäftigtenundderGewerkschaftenliegt,die
VeränderungenfrühzeitigzuerkennenundsichnötigenAnpassungenfrühzeitigzustellen.
UnterdemStichwort„Arbeiten4.0“werdendieVeränderungenindergesamtenArbeitswelt,
nichtnurimindustriellenSektor,diskutiert.DabeistehendieVeränderungenvonArbeitsfor‐
menundArbeitsverhältnissenimZentrumderDiskussion.EineallgemeinakzeptierteDefini‐
tiondiesesBegriffsexistiertzwarnochnicht,dochdasBundesministeriumfürArbeitundSozi‐
aleserwartetinseinem„Grünbuch“,dassArbeiten4.0vernetzter,digitalerundflexiblersein
wird.Dabeiwirdjedochbetont,dassesnochunklarist,wiesichdieArbeitsweltimEinzelnen
gestaltenwird(vgl.BMAS2015,S.35).AuchdieGewerkschaftenkönnensichdieserrasanten
Entwicklungnichtentziehen.ImWesentlichenlassensichdiefolgendensechsGestaltungsfel‐
derfürdieWeiterentwicklungundSchärfungdesgewerkschaftlichenProfilsunterscheiden.
Gestaltungsfeld1:Qualifizierung
DieDigitalisierungderWirtschaftführttendenzielldazu,dassmenschlicheArbeitinderZu‐
kunftvermehrtmitnicht‐routineorientierten,d.h.kreativen,analytischenundkommunikati‐
venTätigkeitenverbundenseinwird.Allerdingsistzuerwarten,dasssoziale,interaktiveKom‐
petenzen durch die Digitalisierung an Bedeutung gewinnen. Menschliche Arbeit findet dann
künftigvorallemdortstatt,wosiekomplementärzuimmerintelligenterenMaschinenist.Tä‐
tigkeitenwieForschungundEntwicklungoderDienstleistungeninKombinationmitindustri‐
ellerProduktionsindinderTendenzwenigervonAutomatisierungodergrenzüberschreiten‐
derVerlagerungbetroffen,gehenaberinderRegelmitkontinuierlichsteigendenQualifikati‐
onsanforderungeneinher.
5 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
EsliegtimInteressederGewerkschaften,dassdievonihnenvertretenenBeschäftigtenzuden
GewinnerndieserVeränderungzählen.DabeiwirdauchfürdieGewerkschaftendieFrageeiner
zukunftsfähigenAus‐undWeiterbildungzentral(vgl.Wetzel2015).EsgehtumdieModerni‐
sierungderberuflichenAusbildungeinerseitsundumdiesystematischeWeiterbildungderBe‐
schäftigten andererseits (vgl. Brenke/Zimmermann 2005; Ritzen/Hinte 2013), etwa durch
SchaffungindividuellerWeiterbildungskonten(vgl.Eichhorst2008;Zimmermann2006).
ZahlreicheInitiativenverdeutlichen,dassdieGewerkschaftenandieserStellekeineswegsun‐
tätigsind,sonderndieZeichenderZeitoffenbarerkannthaben.EinBeispielliefertdieVerein‐
barungder„AllianzfürAus‐undWeiterbildung“2015‐2018derDachorganisationenderGe‐
werkschaftenundderArbeitgebersowievonVertreternderPolitik.ZielderVereinbarungist
es,dieberuflicheBildungdeutlichaufzuwertenunddenZugangzudieserAusbildungzuför‐
dern.
AuchersteVereinbarungenüberWeiterbildungwurdenbereitsinderVergangenheitgetroffen.
SohabendieIGMetallunddieIGBergbau,Chemie,Energie(BCE)indenvergangenenJahren
TarifverträgezurQualifizierungabgeschlossen.Schonseit2002bestehtaufderGrundlageei‐
nesTarifvertragesfürdieMetall‐undElektroindustrieinBaden‐WürttembergfürdieBeschäf‐
tigteneinAnspruchaufeinjährlichesGesprächzumQualifikationsbedarf.DabeiwirdderBe‐
darfanQualifikationmitdemVorgesetztenevaluiertundeineanschließendeUmsetzungver‐
einbart.DieseAngebotewerdenvoneinervondenSozialpartnerngegründetenAgenturüber‐
nommen.EswirddabeizwischenbetrieblicherundpersönlicherWeiterbildungunterschieden,
wobeifürletztereauchFreistellungsmöglichkeiteninTeilzeitoderalsBlockmodellbestehen.
DerTarifabschlussinderMetall‐undElektroindustriefür2015enthält,vonderÖffentlichkeit
kaumbeachtet,einenweiterenMeilensteinfürdieWeiterbildung.SowurdederEinstiegindie
über Jahre geforderte Bildungsteilzeit erreicht. Damit ergibt sich erstmals bundesweit ein
durchsetzbares Recht auf eine bis zu siebenjährige Bildungsteilzeit. Danach besteht der An‐
spruchaufeinengleich‐oderhöherwertigenVollzeitarbeitsplatz.BetriebsratundArbeitgeber
könnenvereinbaren,dasseinTeildesfürAltersteilzeitbereitgestelltenGeldesfürBildungsteil‐
zeitgenutztwird.Diesermöglichtz.B.jungenBeschäftigten,einenSchulabschlussnachzuholen,
sichzumTechnikerfortbildenzulassenodereinweiterführendesStudiumzuabsolvieren.Ar‐
beitnehmerkönnenfürihreeigeneFortbildungZeitaufeinemWeiterbildungskontoansparen.
DieIdeeeinesWeiterbildungskontoswurdevonderIGMetallauchbereitsmehrfachaufbe‐
trieblicherEbeneumgesetzt:DieVereinbarungenmitdenUnternehmenTrumpfundStihlgel‐
ten als wegweisend. Im Jahr 2011 einigten sich die IG Metall und die Geschäftsführung von
TrumpfaufeinenBeschäftigungspaktfürdie4000MitarbeiterimInlandfürfünfJahre.EinEle‐
ment des „Bündnis 2016“ ist ein „Familien‐ und Weiterbildungskonto“, das mit bis zu 1000
StundengefülltundblockweiseinAnspruchgenommenwerdenkann.SosindbiszusechsMo‐
natearbeitsfreierZeitmöglich.
Das im Jahr 2010 bei der Stihl‐Gruppe per Betriebsvereinbarung geregelte Qualifizierungs‐
kontogehtaufdenZusatz‐TarifvertragzwischendemVerbandderMetall‐undElektroindustrie
6 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
undderIGMetall Baden‐Württemberg zurück. DieGrundidee: WenndiefestgelegteHöchst‐
quotevonBeschäftigten,dielängerals35StundenjeWochearbeiten,aufWunschdesArbeit‐
gebersüberschrittenwerdensoll,soentstehteinGuthabenaufeinem„kollektivenWeiterbil‐
dungskontofürnebenberuflicheWeiterbildung“.
ImJahr2011wurdeerstmalsauchinderZeitarbeiteinWeiterbildungsfondszurFinanzierung
vonQualifizierungsmaßnahmenfürZeitarbeitnehmergegründet.DieIGBCEschlossmitUSG
PeopleGermany‐TochterTechnicumeinenHaustarifvertrag,indemdieWeiterbildungtariflich
verankert wurde. Kern des Haustarifvertrags ist ein Verein „Weiterbildungsfonds Zeitarbeit
e.V.“,deringemeinnützigerRechtsformorganisiertistundparitätischvondenSozialpartnern
verwaltetwird.InsgesamtfließenzweiProzentderBruttolohnsummederZeitarbeitnehmerin
denFonds,dersichausBeiträgenvonPersonaldienstleister(0,8%),Kundenunternehmen(0,8
%)undBeschäftigten(0,4%)speist.DieBereitstellungvonfinanziellenMittelnfürdieindivi‐
duelleWeiterbildungistunabhängigvondeneingezahltenBeiträgen.
ImZugedesweitervoranschreitendendemografischenundtechnologischenWandelswirdder
AusbauderWeiterbildungimSinneeinestatsächlichlebenslangenLernenszurNotwendigkeit
füralleBeschäftigten.GeradejeneErwerbstätigen,dienichtvonbetrieblichinitiierterundfi‐
nanzierterWeiterbildungprofitieren,braucheneinenverbessertenZugang,ummitdenWand‐
lungsprozessenamArbeitsmarktSchritthaltenzukönnenundnichtGefahrzulaufen,arbeits‐
loszuwerden.DiessprichtfüreinleichtzugänglichesModellderBedarfsbestimmung,derVer‐
mittlungundderFinanzierungvonlebenslangemLernen.EinKontenmodellinVerbindungmit
einemWeiterbildungsrechtinVoll‐oderTeilzeiterscheinthierambestengeeignet.Einege‐
setzlicheRegelungsolltejedocheineÖffnungsklauselfürtariflicheoderbetrieblicheLösungen
vorsehen.
DieGewerkschaftenkönneneinensubstanziellenBeitragzurEntwicklungeinerstarkenund
umfassendenWeiterbildungskulturleisten,vonderDeutschlandgegenwärtignocheingutes
Stückentferntist.ZahlreichepositiveBeispieledürfennichtdenBlickdaraufverstellen,dass
lebenslanges Lernen nach wie vor meistens weder betrieblich adäquat organisiert noch im
„Pflichtenheft“ der Beschäftigten angekommen ist. Hier zu Fortschritten zu kommen, sollte
zweifelloszudenKernaufgabenkünftigerGewerkschaftspolitikzählen.
Gestaltungsfeld2:Arbeitszeit
DieArbeitszeitpolitik,einklassischesGestaltungsfeldderGewerkschaftenaufderEbenevon
TarifverträgenundBetriebsvereinbarungen,mussineinervongroßerIndividualisierungund
gleichzeitigvonWettbewerbundkontinuierlicherVerfügbarkeitgeprägtendigitalenWeltneu
bestimmtwerden.EsmüssenLösungengefundenwerden,diebetrieblicheundindividuelleAn‐
forderungenvereinbarmachen.AusSichtderBeschäftigtengehteshierummehrArbeitszeit‐
7 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
souveränität,insbesondereumGrenzenderVerfügbarkeitbzw.ErreichbarkeitunddieBerück‐
sichtigungmobilenArbeitens,aberauchumAnsprücheaufdieVerkürzungoderVerlängerung
vonArbeitszeitenjenachLebenslage.
UnbeschadetderTatsache,dassverlässliche,gleichmäßigüberdieWocheverteilteArbeitszei‐
tenfürdieMehrzahlderBeschäftigtenbislangnochdenRegelfalldarstellen,istdieFlexibilisie‐
rungandieserStellenichtaufzuhaltenundwirdvonderDynamikdertechnologischenNeue‐
rungenvorangetrieben.SiemachtbeiderstärkeraufbetrieblicheundauchArbeitnehmerbe‐
langeabgestimmten,deshalbvariablenArbeitszeitnichtmehrHalt,sondernwirdkünftigunter
demEinflussdestechnologischenWandelsverstärktbishinzurvölligenAuflösungvonRegel‐
arbeitszeitmodellenzugunstenvoneigenverantwortlichgestalteterVertrauensarbeitszeitrei‐
chen,dieseitensderArbeitgebernichtmehrkontrolliertwirdoderwerdenkann,weildieAr‐
beitsabläufeund‐ortedazuzudiverssind.
InimmermehrBranchendürftedieDigitalisierungvonProduktionundDienstleistungendafür
sorgen,dassnochmehrFlexibilitätEinzughältundletztlichoftmalsderbetrieblicheArbeitsort
unddieeffektiveArbeitszeitentkoppeltwerdenkönnen.Damitwerdensichzugleichtraditio‐
nelleArbeitsweltenwiedasModelldesAcht‐Stunden‐Tagesundletztlichwohlauchdasder40‐
Stunden‐Wocheüberleben.JeflexiblerdieArbeitsgestaltungalssolche,umsowenigerpassen
zu ihr starre Regeln. Die Digitalisierung ermöglicht zwar prinzipiell die komplette Kontrolle
vielerTätigkeiten.AllerdingsistdieskeingangbarerWeg,amwenigsteninwissensintensiven
Tätigkeiten.VielmehrwirdArbeitsleistunginZukunftnochmehrüberdenOutputalsüberden
Input bewertet werden. Die Bedeutung von Vertrauensarbeitszeiten wird zunehmen, ganz
ohneMissbrauchskontrollenwirdesallerdingsnichtgehen.
Eswirdkünftigverstärktdaraufankommen,Regelnzuetablieren,dienurnochArbeitszeitkor‐
ridorevorgebenundeineselbstverständlicheMöglichkeitschaffen,etwaigeMehr‐oderMin‐
derarbeitraschwiederauszugleichen.EinerfolgreichesPraxisbeispielsinddieinlangjährigen
Diskussions‐ und Lernprozessen etablierten Arbeitszeitkonten. In der jüngsten Wirtschafts‐
krisehatDeutschlandbereitsstarkvondieseminternenFlexibilisierungsinstrumentprofitiert,
weilgutgefüllteArbeitszeitkontenabgebautundsomitEntlassungenvermiedenwerdenkonn‐
ten.
DarüberhinauswirdsichverbreitetdasKonzeptdesMonats‐,Jahres‐undLebensarbeitszeit‐
kontosdurchsetzen,mitdessenHilfediegeleisteteArbeitszeitentwederbetrieblicherfassto‐
dervommobilenArbeitnehmereigenverantwortlichnachgehaltenwird.Sokönnengewollte
Auszeiten im Dialog mit dem Arbeitgeber angespart, betriebliche Boni in Arbeits‐ oder Bil‐
dungszeitgutschriftenausgezahltunddieGewerkschafteninsBildgesetztwerden,dassdiege‐
fundenenRegelneingehaltenwerden.
BislangstehenallerdingsinderDebatteehernochdieRisikenimVordergrund,währenddie
sichergebendenChanceneinerdurchdieDigitalisierungnochmalsstimuliertenArbeitszeitfle‐
xibilisierungoftunterschätztwerden.SieliegenallemvoranindenverbessertenChancenzur
VereinbarungvonFamilieundBeruf,aberauchindererleichtertenSelbstverwirklichungmit
8 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
HilfeweitgehendfreierArbeitszeiteinteilungundeineraufdieseWeiseerreichbarengrößeren
Lebenszufriedenheit. Mehr Freiheit bei der Arbeitszeit ist eben nicht allein ein Element be‐
triebswirtschaftlichen Kalküls, sondern kommt zunehmend auch dem Lebensgefühl und der
Erwartungshaltung vieler Arbeitnehmer entgegen. Doch die Möglichkeiten sind bislang un‐
gleichüberdieBranchenundQualifikationsebenenhinwegverteilt:Gutqualifizierte„Wissens‐
arbeiter“dermodernenDienstleistungsgesellschaftunddiebesondersselbstbewusstagieren‐
den,weilknappenFachkräftesindhiereindeutiggegenübergeringerqualifiziertenBeschäftig‐
teninRoutinetätigkeitenprivilegiert.WährendindertechnologisiertenDienstleistungsgesell‐
schaftfürdieZukunfteineGrenzedervonBetriebundArbeitnehmergewolltenArbeitszeitfle‐
xibilisierungnichtinSichtist,sindder„alten“industriellenProduktionandieserStellenatur‐
gemäßsolcheGrenzengesetzt,dieauchdieDigitalisierungnurbedingtüberwindenwird.
TeilweisegibteshierzubereitsVereinbarungenaufbetrieblicherEbene.Beispielhafthabenun‐
teranderemdiegroßenAutomobilherstellerVW,DaimlerundBMWdasRechtderMitarbeiter
aufNicht‐ErreichbarkeitinderFreizeitvereinbart,ebensowiedieRegel,dassdievonZuhause
oderunterwegsgeleisteteArbeitvomPCundLaptopalsArbeitszeitberücksichtigtwird.Damit
werdenArbeitsortundArbeitszeitgleichermaßenflexibilisiert,aberaucharbeitsfreieRäume
imjeweiligenbetrieblichenZusammenhanganerkannt.Obdassinnvollistbzw.auchimInte‐
ressedesArbeitnehmersliegt,mussallerdingsimbetrieblichenZusammenhangentschieden
werden.
Es gibt jedoch viele Bereiche der modernen Arbeitswelt, in denen tarifvertragliche oder be‐
trieblicheRegelungenentwedernichtzustandekommenoderinderPraxisinsLeerelaufen.
WoetwaVertrauensarbeitenpraktiziertundArbeitszeitengarnichterfasstwerden,stößtdie
ArbeitszeitpolitikanihreGrenzen.DieGestaltungtragfähigerArbeitsbedingungeninanderer
FormbleibteinrelevantesThema,etwaindemfaireVereinbarungenüberLeistungenundRes‐
sourcengetroffenwerden.EinevondenGewerkschaftengeforderte„Anti‐Stress‐Verordnung“
kannindiesemZusammenhangallenfallseinenRahmenbilden,derdurchbetrieblicheVerein‐
barungenzukonkretisierenist,undzwarunterBerücksichtigunglegitimerbetrieblicherund
individuellerBedürfnisseundPräferenzen.DieGewerkschaftensolltennichtprimärfürkom‐
plexe Regelungen mit flächendeckendem Allgemeinverbindlichkeitscharakter streiten, son‐
dernflexibelaufdieseneuenHerausforderungenreagieren.
FürdiegewerkschaftlicheStrategieistindiesemZusammenhangnocheinweitererAspektvon
Belang:ImgleichenMaße,wieesArbeitnehmernzusehendshäufigergelingtunderstrechtin
Zukunftgelingenwird,nebenanderenAspektengeradeauchihreArbeits‐undPräsenzzeiten
auf individueller Basis unmittelbar mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren, bedürfen sie dazu
nichtmehrnotwendigdervermittelndenInstanzvonGewerkschaften.Dieseverlierenaufdiese
WeisepotenziellanMitgestaltungsmacht.Umsowichtigerwirdessein,dassdieGewerkschaf‐
tenandieserStelleihrerseitsflexibelreagieren,damitSpielräumeeröffnet,aberzugleichfaire
Bedingungensichergestelltwerdenkönnen.
9 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
Gestaltungsfeld3:Arbeitsort
InsbesondereimDienstleistungssektorwirddankmobilemInternetnichtnuramArbeitsplatz
gearbeitet.EsistgelebteRealität,dassunterwegsimAuto,ZugundFlugzeugsowieanOrten
wie Cafés, Lounges, Bistro und Hotelzimmern, aber auch im Home‐Office gearbeitet wird.
Smartphones, Notebooks mit schnellem Zugang zum Internet und Firmennetzwerk ermögli‐
chenungewöhnlicheArbeitsorte.DadurchsteigtdieArbeitsproduktivität,dadasBearbeitungs‐
tempovonArbeitsvorgängengesteigertwerdenkann.EssteigtaberzugleichauchdasRisiko
mangelnderSelbstdisziplinmitderFolgeschleichenderodernotorischerSelbstausbeutung,die
vordergründig im Interesse des Arbeitgebers liegen mag, aber auch Belastbarkeitsgrenzen
überschreitenundzukrankheitsbedingtenFehlzeitenführenkann.HierzuaustariertenLösun‐
genzukommen,diedenWunschauchvielerBeschäftigternachgrößtmöglicherFlexibilitätres‐
pektieren,aberRegelnetablieren,diedenUnternehmenandieserStelleGrenzenhinsichtlich
KontrolleundErwartungshaltungsetzen,kannzueinerwichtigen„Baustelle“derGewerkschaf‐
tenwerden.
Erste Lösungsansätze, die Arbeitszeiten an verschiedenen Arbeitsorten explizit adressieren,
findensichaufbetrieblicherEbene.NebendenbereitserwähntenRegelungenbeigroßenAu‐
tomobilherstellern haben sich zum Beispiel die Geschäftsführung und der Betriebsrat bei
MicrosoftineinerBetriebsvereinbarungüberVertrauensarbeitszeitundVertrauensarbeitsort
aufeinefürbeideSeitenakzeptableLösunggeeinigt.DieVereinbarungzumVertrauensarbeits‐
ortergänztdiebereitsseit1998bestehendeBetriebsvereinbarungzurVertrauensarbeitszeit.
AufdieseWeisewirdeinrechtlicherRahmenfürdiegelebtebetrieblichePraxisgeschaffen.Da‐
bei sinddie Modelledurchausunterschiedlich,denn jederMitarbeiterentscheidetselbstwo
undwannerarbeitet.ModerneTechnologienermöglichendabeinichtnurdenZugriffaufalle
Unterlagen,sondernerleichternauchdieKommunikationmitdenKollegen.Einemitarbeiter‐
orientierteUnternehmenskulturistdabeinachEinschätzungvonMicrosoftderSchlüsselzum
Erfolg.DamitdaspersönlicheMiteinandernichtzukurzkommt,gibtesdennochklareRegeln
fürdiePräsenzpflichtbeiTeammeetingsundMitarbeitergesprächen.
DiesistaucheinThemafürdietariflicheEbene.HiersolltendieGewerkschaftenaktiverwer‐
den,auchummöglichengesetzlichenLösungenzuvorzukommen,diedannweitwenigerpra‐
xisnahausgestaltetseinkönnten,wiediemittlerweilezurückgezogeneNovellederArbeitsstät‐
tenverordnungfürHome‐Office‐ArbeitsplätzevonAnfang2015zeigt.ArbeitsortundArbeits‐
zeitmüssenvondenTarifpartnerngestaltetwerden.
Gestaltungsfeld4:Arbeitsformen
Neue Arbeitsformen wie die externen Flexibilisierungsinstrumente Minijobs, befristete Be‐
schäftigung, Solo‐Selbständigkeit,TeilzeitbeschäftigungundZeitarbeitwerdenbisheute von
den Gewerkschaften als Abweichung vom gewünschten unbefristeten, sozialversicherungs‐
pflichtigenVollzeitarbeitsverhältnis(sogenanntesNormalarbeitsverhältnis),alsatypischoder
10 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
sogar prekär gebrandmarkt. Auch Werkverträge oder die Abwicklung von Dienstleistungen
über Online‐Plattformen („crowdworking“) werden als nicht wünschenswerte Abweichung
vonderNormalarbeitsformhäufigreflexartigabgelehnt.EinepauschaleDisqualifikationdieser
Arbeitsformenalsneue Spielarten einer „Prekarisierung“ ist aber inder digitalen Weltnoch
wenigerzielführendalssieesinderVergangenheitwar.Eswirdmehrdennjedaraufankom‐
men,dieaufdemVormarschbefindlichenflexiblenundkreativenArbeitsformenausgewerk‐
schaftlicherSichtaktivmitzugestalten.
VieleUnternehmengreifenheutevermehrtaufdenEinsatzexternerExpertenzurück,umspe‐
zifischeKompetenzenflexibelindieBetriebsabläufeeinbindenzukönnen.DieDigitalisierung
wirddiesenTrendvoraussichtlichweiterverstärken.InsoweitdadurchdieArbeitsfelderder
UnternehmensbelegschaftenunmittelbarbetroffensindundauchdieGefahrbesteht,dassPer‐
sonalzugunstensolchflexiblenKnowhow‐„Einkaufs“abgebautwird,sinddieGewerkschaften
hierunmittelbargefordert.GenerellgehtesumdieFrage,wiedasUnternehmeninZukunftde‐
finiertwird,obdies–nochdazubeiMitarbeiterbeteiligung–alleineineEntscheidungdesMa‐
nagementsistundwieimKontextderbetrieblichenMitbestimmungmitdenUnternehmenVer‐
einbarungenüberdenEinsatzvonexternenExpertengetroffenwerdenkönnen.
BereitsinderVergangenheithabenUnternehmenindenBereichen,indenendieGewerkschaf‐
tenstarkorganisiertsind,ihreStrategienimUmgangmitZeitarbeitundWerkverträgenverän‐
dert.SobestehtetwazwischenderDaimlerAGunddemBetriebsrateineVereinbarungüber
eine Begrenzung des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern. Gleichzeitig hat das Unternehmen in
ReaktionaufdieKritikanWerkverträgenundDruckdesBetriebsratesbestimmteStandards
fixiert,wenngleichVerhandlungenübereineVereinbarungzuWerkverträgennichtzueinem
Ergebnis geführt haben. Im Metallsektor besteht neben Vereinbarungen über Branchenzu‐
schlägeaucheinetarifvertraglicheVereinbarungüberdieÜbernahmevonmehrals18Monate
imBetriebtätigenBeschäftigtenderZeitarbeitineinedirekteAnstellung.DiePrüfungdesSta‐
tusalsZeitarbeiterbzw.WerkvertragsnehmerkanninUnternehmenmitstarkenBetriebsräten
amleichtestenauchtatsächlichrealisiertwerden.AllerdingsistausSichtderGewerkschaften
auchklar,dassfürjeneWirtschaftsbereiche,indenenihreVerhandlungsmachtgeschwächtist,
gesetzlicheRegelungenzurZeitarbeitundzuWerkverträgengeprüftwerdenmüssen,insbe‐
sondereMitbestimmungsrechtebeiWerkverträgenundEqualPaybeiderZeitarbeit.Dievon
ihnenangestrebtengesetzlichenVeränderungendienendamitalsoauchdemZiel,diegewerk‐
schaftlicheHandlungsmachtzustärken.
InsbesondereinderZeitarbeitistesdenGewerkschaftenmitderVereinbarungvonTarifver‐
trägen,dieeineAbweichungvonEqualPayerlauben,gelungen,einelangeZeittarifungebun‐
deneBranchetariflicheinzubinden.IneinemweiterenSchrittwurdenBranchenzuschlagstarif‐
verträgevereinbart,dieeineAngleichungderEntgeltevonZeitarbeitnehmernandasEntgelt‐
niveauderStammbelegschaftnachneunMonatenÜberlassungszeitaneinKundenunterneh‐
menbeinhalten.DieseVereinbarungenhabenauchdazubeigetragen,dassdieGewerkschaften
zusätzlicheMitgliederausdemKreisderZeitarbeitnehmergewinnenkonnten(vgl.Spermann
2013).
11 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
Neben dem verstärkten Technikeinsatz in den Betrieben impliziert die Digitalisierung auch
einewachsendeRollevoninternetbasiertenPlattformenbeiderOrganisationvonArbeitspro‐
zessen,insbesonderebeiderAuslagerungvonbestimmtenDienstleistungen.Diesverstärktdie
schonlängerzubeobachtendeEntwicklunghinzueinervermehrtenNutzungvonWerkverträ‐
genfürbetrieblicheTeilaufgaben.NebenderEinschaltungvonUnternehmen,dieWerkverträge
miteigenemPersonaldurchführenoderPersonalalsZeitarbeiterüberlassen,bieteteinewach‐
sendeAnzahlanOnline‐PlattformenauchdieMöglichkeit,AufträgeanselbständigeDienstleis‐
tungserbringerzuverlagern(Stichwort:Crowdworking).SolchePlattformenentziehensichta‐
riflichenRegulierungenundmachendeneinzelnenArbeitsanbietergewissermaßenzumUn‐
ternehmerineigenerSache.
DieseDynamikkannzueinerweiterenZergliederungderArbeitsorganisationundzulängeren,
komplexerenWertschöpfungskettenführen.DamitwerdendieetabliertenStrukturenvonUn‐
ternehmenmitklarenGrenzentendenziellaufgelöst.GleichzeitigwirdausSichtderGewerk‐
schaftenderStatusdesinTarifverträgeundSozialversicherungeinbezogenenArbeitnehmers
inFragegestellt.VorteileeinerBeschäftigungaufderBasisvonWerkverträgenmitUnterneh‐
menoderSelbstständigenliegenausSichtderBetriebeingrößererFlexibilitätund/odergüns‐
tigeren Kostenrelationen, insbesondere dann, wenn tarifliche Standards, Mindestlöhne oder
ArbeitgeberbeiträgekeineRollespielen,wiediesimFallvonSelbstständigenderFallist.
DieOrganisationdieserGruppevonErwerbstätigenistkeinleichtesTerrainfürdieGewerk‐
schaften(vgl.Zimmermann2013).FürihreZukunftwirdesaberentscheidendsein,auch in
solchenWachstumsbereichenbesserFußzufassenunddiesegestaltenzukönnen.Indendy‐
namisch wachsenden Bereichen, die sehr stark von selbstständigen, individualisierten Er‐
werbsformengeprägtsind,dengewerkschaftlichenOrganisationsgradzuerhöhen,setztaller‐
dingsvoraus,geradedortneueMitgliederzugewinnen,wogemeinsameInteressennichtohne
Weitereszuformulierensind.DieserfordertneueOrganisations‐undKommunikationsformen,
dienichtzuletztauchfürSelbstständigezugänglichsind;eserfordertAngeboteanBeratung
undUnterstützung,diefürdiejeweiligeZielgrupperelevantundattraktivsind.KlassischeTa‐
rifverträge und Mitbestimmungsstrukturen sind hier auf absehbare Zeit vermutlich nicht zu
realisieren,wohlaberfürdiejeweiligeSituationpassendeBeratungsleistungen,etwaauchdie
EtablierunggewisserStandardsfürPreiseundandereBedingungenaufderEbenedieserBe‐
rufsgruppen.
DanebenstelltsichdieFrage,welcheAnpassungenbeidersozialenAbsicherungfürSelbststän‐
digesinnvollsind.SelbstständigesindinderRegelnichtindieSozialversicherungeinbezogen,
dienachwievoranderEigenschaftdesabhängigBeschäftigtenorientiertist.Geradeauseiner
selbstständigenTätigkeitohneSozialbeiträgeentstehenjedochWettbewerbsvorteile.Möchte
mandieKostendifferenzialezwischensozialversicherungspflichtigerBeschäftigungundselbst‐
ständigen Tätigkeiten vermindern, so macht eine Erweiterung der Sozialversicherung auf
selbstständigeTätigkeitenodereineBeitragszahlungdurchAuftraggeberselbstständigerTä‐
tigkeiteninbestimmtemRahmenSinn.AuchhiertutsicheinwichtigesThemen‐undGestal‐
tungsfeldfürdieGewerkschaftenauf.
12 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
Gestaltungsfeld5:Arbeitsprozesse
MitdentechnischenMöglichkeitenderdigitalisiertenArbeitentstehenauchneuePotenziale
füreinefortschrittlicheArbeitsgestaltung.AufdereinenSeitewirdmenschlicheArbeitinZu‐
kunfttendenziellanspruchsvollerundstärkeraufinteraktive,analytischeundkreativeTätig‐
keitenausgerichtetsein.ZukünftigeArbeitnehmerwerdenimmermehr„Arbeitnehmer‐Selbst‐
ständigen“ähneln(vgl.Zimmermann2013).IndemMaße,wieRoutinetätigkeitenwegfallen,
kannArbeitfürmehrMenschenalsfrüherauchinteressanterundvielfältigerwerden,während
traditionellehierarchischeFührungsmodellegegenüberstärkererEigenverantwortunganBe‐
deutungverlierendürften.
DamiteinhergehtjedochnebenderwachsendenFlexibilisierungvonArbeitszeitundArbeits‐
ortaucheineoftstarkprojektartigeOrganisationvonArbeitsprozessen(vgl.Eichhorst2015),
inderZieleanstellevonArbeitszeitendefiniertwerden.DarausergebensichstetsneueArbeits‐
konstellationen,dieinVerbindungmitderpotenziellenzeitlichenAllgegenwartdesJobsauch
zueinerhohenBelastungwerdenkönnen.Die„Entgrenzung“derArbeitimSinneeinerständi‐
genErreichbarkeitundVerfügbarkeitundeinerallgemeinenVerdichtungundBeschleunigung
derArbeitsprozessekannzuvermehrtensubjektivenBelastungssituationensowiemittel‐und
langfristigzugesundheitlichenProblemenundernstenpsychischenErkrankungenführen.In
diesemZusammenhangstellensichneueHerausforderungenfürdieGestaltung„guterArbeit“
bishinzurbetrieblichenGesundheitsprävention(vgl.auchHirschel2013;Wetzel2015).Hier
solltendieGewerkschafteneineweitereAufgabesehen.
Gestaltungsfeld6:Kapitalpartnerschaft
DieDigitalisierungführtzuProduktivitätsfortschrittenundbetrieblichenErträgenbeidenUn‐
ternehmen,diefrühzeitigundkonsequentdieVorteiledestechnischenFortschrittsnutzenund
Produkt‐oderProzessinnovationenrealisieren.DamitstelltsichdieFrage,wieauchinZukunft
eineangemesseneBeteiligungderArbeitnehmerseiteandenProduktivitätsfortschrittenund
denbetriebswirtschaftlichenErträgenausderDigitalisierungundhöhererKapitalintensitäter‐
reichtwerdenkann.
BishersindinDeutschlandwenigeralszehnProzentdersozialversicherungspflichtigenArbeit‐
nehmerinirgendeinerFormamKapitalbzw.Gewinnbeteiligt,sodassnocherheblichesPoten‐
zialfürdenAusbaueiner„Kapitalpartnerschaft“besteht(vgl.Zimmermann2013).Ausgewerk‐
schaftlicherSichtgilteszuverhindern,dasseinehöhereKapitalintensitätderProduktionAr‐
beitnehmervomzusätzlichgeschaffenengesellschaftlichenReichtumausschließt.Wennimmer
intelligentereMaschinenundRoboterindieWirtschaftEinzughaltenundihreProduktivität
steigern,erscheintesnurfolgerichtig,dieMitarbeiterandiesemKapitalstärkerzubeteiligen.
DieKapitalbeteiligungderArbeitnehmerwird imZeitalterderDigitalisierungmitSicherheit
wiedereinThemamitgrößererBedeutungwerden(vgl.auchFreeman2015).Deshalbbietet
diesesGestaltungsfeldRaumfürLösungenaufbetrieblicherundtariflicherEbene.
13 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
DazumüsstensichdieGewerkschaftenhiervomBedenkenträgerzumAnwaltderArbeitneh‐
meralsKapitaleignerwandelnundinsbesondereanpraktikablenLösungenzumWeitertrans‐
porterworbenerAnteilebeimWechseldesArbeitsplatzesmitwirken.InderneuenArbeitswelt
weichendieArbeitnehmerimmermehrvomBilddervergangenenArbeiterschaftab.Esistdes‐
halbweitwenigerwahrscheinlich,dassKapitalbesitzendeArbeitnehmerdenGewerkschaften
denRückenkehren,dasieihretraditionelleIdentifikationverlieren.Tatsächlichsindpotenzi‐
elleGewerkschaftsmitgliederinderdigitalenArbeitsweltohnehinweitvonsolchtraditionellen
Rollenbildern entfernt und müssen durch neue Unterstützungs‐ und Vertretungsfunktionen
umworbenundgeschütztwerden.
Ausblick:
DieGewerkschaftenwerdenweitereinewichtigeRollespielen
DieDigitalisierungstelltnichtnurdieGewerkschaften,sondernauchdieUnternehmenunddie
Politikinsgesamt,vorerheblicheHerausforderungen.DieseergebensichausderVeränderung
vonProduktions‐undArbeitsmodellenimZugeeinerabsehbarenneuenWelletechnischerIn‐
novationen.WenngleichdieDigitalisierungoftalsBedrohungfüretablierteStrukturenwahr‐
genommenwird,ergebensichdochgleichzeitigauchpositiveGestaltungsmöglichkeitenfürdie
Zukunft. Während die Gewerkschaften in den über Tarifvertrag und betriebliche Mitbestim‐
mungorganisiertenBereichenunmittelbarEinflussaufdieGestaltungvonProduktionundAr‐
beitnehmenkönnen,läuftdiesinanderen,tendenziellwachsendenBereichenaufgenuinpoli‐
tischeEntscheidungenhinaus,andenendieGewerkschaftendennochaktivmitwirkenkönnen.
FürdieZukunftderGewerkschaftenwirdeswichtigsein,inwieweitsiemitpassendenAngebo‐
ten diejenigen Branchen und Berufe besser erreichen können, die bislang kaum organisiert
sind.SiesolltensichdabeialsorganisierteInteressenvertreterderArbeitnehmer(undArbeit‐
suchenden)verstehen,nichtaberdieRolleeinerpolitischenParteiübernehmen.
Angesichtsder HerausforderungendesdemografischenWandels und des Heraufziehens der
digitalen Arbeitswelt geraten die Gewerkschaften nur allzu rasch in die Versuchung, immer
mehr auf politischeAktivitätenzu setzen.Bereitsjetztreklamieren sie traditionell ein allge‐
meinpolitischesMandat,dassie(wiedieUnternehmerverbändenatürlichauch)impolitischen
Raum,d.h.außerhalbvonBetriebenundTarifdiskussionen,fürdieWerbungundDurchsetzung
derMitgliederinteressennutzen.DabeigehtesnichtnurumkonkreteRegelungenvonArbeits‐
beziehungenimSinnederhierbenanntenGestaltungsfelder,sonderndiesschließtalleThemen
vonKinderbetreuungundSchulebiszurRenteundAltenpflegemitein.AndieStellevonPro‐
filschärfunggerätdannallerdingsschnellinhaltlicheUnschärfe.EsbestehtdieGefahr,derei‐
gentlichenAufgabe,derGestaltungderArbeitswelt,nichtmehrgerechtzuwerden.
AnderesozialeOrganisationen,diesichimdigitalenZeitalterunterNutzungdesInternetsleicht
bildenkönnen,könntenangesichtsdesseninKonkurrenzzudenGewerkschaftentreten,und
sodieeffektiveInteressenvertretungderArbeitnehmerschwächen.DamitkönnteauchdieGe‐
14 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
fahreinernochstärkerenZergliederungvonArbeitnehmervertretungenentstehen,wiesiege‐
genwärtig bei den Branchengewerkschaften erkennbarist. Die Gewerkschaften wären insge‐
samtsichergutberaten,ihrenMitgestaltungsanspruchwiederstärkeraufihr„Kerngeschäft“
zu konzentrieren, denn Flexibilisierung und Digitalisierung „human“ und chancengerecht zu
gestalten,istHerausforderunggenug.
DarüberhinausgiltheuteauchfürdieGewerkschaften,dassineinerZeitglobalisierterMärkte
eine nationale Perspektive zu kurz greift. Die Digitalisierung wird die grenzüberschreitende
VerflechtungderWirtschaftnochweitervorantreiben.DieWertschöpfungskettenwerdenwei‐
terglobalzunehmenundtendenzielllängerwerden.DieGestaltungderProduktionsbedingun‐
gen entlang der ganzen Wertschöpfungskette wird damit auch für die Gewerkschaften zum
zentralenThema.DieRollevonStandardsiminternationalenHandelwiedieinternationaleKo‐
operationunterdenGewerkschaftenwirddeshalbimmerwichtiger.
Entscheidenddürfteallerdingssein,inwieweitesdenGewerkschaftengelingt,einefaireWohl‐
standsverteilungunterdenBedingungenderneuenArbeitsweltsicherzustellen,dieeinzelne
Arbeitsmarktgruppen aufgrund ihrer Qualifikation und Produktivität stark bevorzugen. Hier
stehenzweiPunkteimVordergrund:
Erstens:DieGewerkschaftendesDGBhabeninVergangenheitsowohlbeiihrenForderungen
Augenmaßbewiesenwieaucheine„gerechte“BeteiligungdervonihnenvertretenenArbeit‐
nehmergruppeninverschiedenenBerufsgruppensichergestellt.DieaktuellenStreikerfahrun‐
geninDeutschlanddeutenabereherdaraufhin,dassnunkleine,konfliktbereiteBerufsgewerk‐
schaftenihrejeweiligenPartikularinteressenhartnäckigerdennjeverfolgenundsoauchdie
großen,imDGBvertretenenGewerkschaftenunterDrucksetzen.DasGesetzzurTarifeinheit
wirddiesenKonfliktvermutlichalleinnichtlösenkönnen.
Zweitens:WennnebenhochqualifiziertenErwerbstätigenvorallemdieKapitalseiteimZeital‐
ter der Globalisierung und des technischen Fortschritts strukturell begünstigt ist, genügt es
nicht,einegerechteBeteiligungamErwirtschaftetenalleinüberLohnforderungenanzustreben.
Hierbietetsich mitdemInstrumentderMitarbeiter‐Kapitalbeteiligung eineMöglichkeit,die
Gewerkschaften,UnternehmenundPolitikimZeichenderdigitalenArbeitsweltnochstärker
beachtenundgestaltensollten.
Einehochgradigflexible,technologisierteundindividualisierteArbeitsweltmitvielfältigenFa‐
cettenvonArbeitsformenundeinerTendenzzustärkererMitarbeiterbeteiligungamUnterneh‐
menmachtdieGewerkschaftennichtetwaüberflüssig(vgl.dazuauchHassel2013).Wohlaber
erfordertdieserTrend,dasssichdieGewerkschaftenaufihreeigentlicheAufgabebesinnen:Sie
darfnichtdarinbestehen,Partikularinteressenzustarkzuakzentuieren.Insofernsindauchdie
SegmentierungsprozesseinderGewerkschaftslandschaftambivalent.GeradedieKonsequen‐
zenderDigitalisierungverlangennachstarkenGewerkschaften,dieeinefaireOrganisationder
Arbeit,eine„gerechte“VerteilungdeserwirtschaftetenWohlstandssowiedieChancengerech‐
tigkeitderAkteureinsZentrumihrerTätigkeitstellen.Tunsieesnichtundvollziehensieden
WandelderArbeitsweltinihremSelbstverständnisundLeistungsportfolionichtnach,werden
15 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
sieimZeichendesheraufziehendenFachkräftemangels,derdeneinzelnenBeschäftigtengrö‐
ßereindividuelleVerhandlungsmachtgegenüberdenUnternehmengebenwird,einenspürba‐
renVerlustanEinflussundMitgliedernerleiden.Damitgingezugleicheinwichtiges,gesamt‐
wirtschaftlichesKorrektivverloren,dasdieneue,unübersichtlicherwerdendeArbeitsweltin
jedemFallbenötigt.
16 Eichhorst/Hinte/Spermann/Zimmermann:DieneueBeweglichkeit
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