Selbstabschaffung des öffentlich-‐rechtlichen Fernsehens Offener Brief an Tom Buhrow: Wissenschafts-‐Journalisten im WDR setzen sich zur Wehr gegen konzeptloses Sparen „Ich bring die Liebe mit“, versprach Tom Buhrow bei seinem Einstand als Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Aber statt Liebe herrscht Konzeptlosigkeit -‐ und ein Spar-‐Besen, der ohne Rücksicht auf Programm und Inhalte geführt wird. Keine Frage: es muss gespart werden. Immerhin stehen dem Westdeutschen Rundfunk im Haushaltsjahr 2015 15 Millionen weniger zur Verfügung als im Vorjahr. Doch die Art, wie und vor allem wo gespart wird, bedroht den öffentlich-‐rechtlichen Sender in seinen Kern-‐ Kompetenzen: der gut gemachten und inhaltlich seriösen Information und Berichterstattung. Massiv von Kürzungen, Einsparungen und Reduzierung bedroht sind die überregionale Anerkennung genießenden Wissenschafts-‐Formate. Nach monatelangen fruchtlosen internen Diskussionen und vergeblichen Beschwörungen, das Standbein „Wissenschaft“ im WDR nicht zu schwächen, sondern zu stärken, gehen wir, neunzig freie Mitarbeiter der Programmbereiche Wissenschaft im WDR-‐Fernsehen und Hörfunk, jetzt mit einem offenen Brief an Tom Buhrow an die Öffentlichkeit. Uns treibt die Sorge um, dass ein für das öffentlich-‐rechtliche Selbstverständnis zentraler Programm-‐ Bereich zugrunde gerichtet werden soll. „Leuchtturm“ Wissenschaft? Technik und Wissenschaft prägen immer stärker unser Leben, setzen Themen und stoßen gesellschaftliche Debatten an -‐ Energiewende, Klimawandel, Sterbehilfe, um nur ein paar Stichworte zu nennen. Gleichzeitig grassiert in Deutschland die Sorge, technologisch den Anschluss zu verpassen, der Ruf nach Förderung der MINT-‐Fächer ist überall zu hören. Kein Wunder, dass seriöse und unabhängige journalistische Berichterstattung über aktuelle Entwicklungen in Technik und Wissenschaft in Fernsehen und Hörfunk gefragt ist wie nie. Der steigenden gesellschaftlichen Bedeutung von Wissenschaft und Technik trägt zumindest nach außen der Plan des neuen WDR-‐Intendanten Tom Buhrow Rechnung, einen journalistischen „Leuchtturm Wissenschaft“ im WDR zu errichten -‐ ein Leuchtturm, der zudem „crossmedial“ die Energien von Fernsehen und Hörfunk bündeln soll. Gegen diese Pläne wäre nichts zu sagen -‐ sähe nicht die Realität völlig anders aus: statt Errichtung eines Leuchtturms stehen der Wissenschaft im WDR rabiate Einsparungen ins Haus. Erst kürzlich stellte der WDR die ARD-‐Wissenschaftssendung „Kopfball“ ein. Jüngste Pläne sehen vor, dass der WDR seine Beteiligung an der Wissenschaftssendung „Nano“ in absehbarer Zeit beenden will. Wie auf den Fluren des Senders zu hören ist, steht auch die Wissenschaftssendung „W wie Wissen“ zur Disposition. Und das Hörfunk-‐Magazin „Leonardo“ hat erhebliche Kürzungen seiner Kurz-‐Features zu verkraften, die von vormals 20 auf heute 10 Minuten geschrumpft sind. Anstatt ein aktuelles, kritisches Wissenschafts-‐ 1 Programms auszubauen wird eingestampft. Einen „Leuchtturm Wissenschaft“ stellen wir uns anders vor. Crossmedia als Sparmodell Zudem deutet einiges darauf hin, dass das vielgerühmte -‐ und prinzipiell auch sinnvolle -‐ Konzept „Crossmedia“ tatsächlich vor allem als Sparmodell fungieren soll, mit dessen Hilfe die Honorare der Fachjournalisten weiter gedrückt werden sollen. Genau dies geschieht nämlich bereits. Konkret sieht das so aus, dass beispielsweise Fernsehjournalisten dazu angehalten werden, Hörfunk-‐Versionen ihrer Beiträge zu erstellen, die deutlich schlechter bezahlt sind, als es der Tarifvertrag vorsieht. Schon jetzt unterläuft der WDR die üblichen und geltenden Honorare. In Zukunft soll nur noch ein Bruchteil der Honorar-‐Sätze, die für entsprechende Beiträge im Hörfunk üblich sind, gezahlt werden. Dieses Honorar-‐Dumping bedroht vor allem die Wissenschaftsjournalisten im Hörfunk in ihrer Existenz, die sich ohnehin bereits mit niedrigeren Minutenpreisen und kürzeren Sendestrecken herumschlagen müssen. Außerdem bedroht es die bimedialen Kollegen, die aufwendige Recherchen nur durch eine Mehrfachverwertung finanzieren können. Um keine falschen Vorstellungen zu erwecken: Wir wollen keine Veränderungen blockieren. Natürlich muss man Programme weiterentwickeln -‐ dazu gehört auch, dass mitunter alte Sendungen abgeschafft und neue aus der Taufe gehoben werden. Allerdings bestätigt sich die Befürchtung immer mehr, dass mit der jetzigen Sparpolitik keine nachhaltige Programmreform angegangen wird, sondern hochwertiges Programm einfach preiswerterem geopfert wird. Selbstabschaffung des öffentlich-‐rechtlichen Rundfunks? Wir sind zutiefst beunruhigt über die konzeptlosen und gefährlichen Sparpläne der WDR-‐ Intendanz. Wir sind davon überzeugt, dass der öffentlich-‐rechtliche Rundfunk damit an seinem eigenen Ast sägt und an seiner Selbstabschaffung arbeitet. Die Sparpläne der WDR-‐Intendanz treiben die inhaltliche Verflachung des Programms weiter voran. Sie bedeuten Raubbau an dem, was den öffentlich-‐rechtlichen Rundfunk in seinem Kern ausmacht und seine Existenz legitimiert: einer qualitativ hochwertigen, inhaltlich substanziellen, seriös recherchierten Berichterstattung. Statt sich auf seine zentralen Stärken und Aufgaben zu konzentrieren, die ihm zudem auch noch Anerkennung beim Beitragszahler verschaffen, schwächt die Führung des WDR genau diese Redaktionen. Daher kommt der Abbau des Programms einer schleichenden Selbstabschaffung des öffentlich-‐rechtlichen Rundfunks gleich. 2 Prekäre Arbeitsbedingungen für Fachjournalisten Wir, 90 freie Mitarbeiter der Wissenschaft im WDR-‐Fernsehen und Hörfunk, haben deshalb beschlossen, diesem verantwortungslosen Sägen am eigenen Ast entgegenzutreten. Nicht zuletzt bedroht es uns auch in unserer Existenz. Das könnte man als unser individuelles Problem abtun -‐ aber ohne ausreichend bezahlte Fachjournalisten kann es keinen seriösen und vor allem unabhängigen Fachjournalismus geben. Schon jetzt treiben teils prekäre Arbeitsbedingungen immer mehr Wissenschafts-‐Journalisten aus dem Job. Wir sind Fachjournalisten, in der Regel mit abgeschlossenem Hochschulstudium, nicht wenige unter uns sind promovierte Wissenschaftler. Angesichts schwindender Auftragsvolumina und Kürzungen von Sendeplätzen zweifeln immer mehr an ihrem Job. Ein berufliches Standbein außerhalb des Journalismus, oft in einer PR-‐Abteilung, wird für viele künftig notwendig sein. Dabei müssen Fachjournalisten unabhängig sein, um entsprechend arbeiten zu können. Doch dies ist immer weniger möglich. Enttäuschende Antwort von Tom Buhrow Nach fünf Wochen hat uns Tom Buhrow eine Antwort auf unseren Brief zukommen lassen. Allerdings ist diese nicht dazu angetan, unsere Sorgen zu zerstreuen -‐ im Gegenteil. Buhrow schreibt zwar, unsere Befürchtungen „nicht auf die leichte Schulter“ zu nehmen. Gleichzeitig bekräftigt er aber, dass die Programm-‐„Nische“ Wissenschaft weiter abgebaut werden soll. Kompensiert werden soll das durch die „neuen Chancen“ und Verdienstmöglichkeiten, die sich durch das „crossmediale Leuchtturm-‐Projekt“ ergeben sollen. Angesichts der oben beschriebenen Realität wirkt das allerdings wie Hohn. Wir sind davon überzeugt, dass die Gesellschaft einen unabhängigen, nicht von Geldern der Privatwirtschaft abhängigen Rundfunk braucht -‐ und dass gerade in der jetzigen Zeit das originäre journalistische Programm des öffentlich rechtlichen Rundfunks gestärkt werden muss, anstatt es abzubauen. Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt, an dem die Debatte über Reformen innerhalb des öffentlich-‐rechtlichen Rundfunks nicht mehr nur intern geführt werden darf. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, zu erfahren, was passiert, denn schließlich geht es darum, was mit ihrem Geld gemacht wird. Die schleichende Erosion des substanziellen öffentlich-‐ rechtlichen Programms muss verhindert werden. 3
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