JAN WE ILE R ME IN L E BE N A L S ME NSCH FOLG E 4 68 Bifi-Romantik Z u ihrem ersten gesetzten Essen lud Carla lediglich eine Person ein, nämlich ihren Freund Alex. Bisher hatte ich geglaubt, sie sei an bürgerlichen Ritualen der Essensaufnahme wenig interessiert. Jedenfalls habe ich noch nie gesehen, dass sie Gästen etwas gekocht hätte. Genau genommen hat sie überhaupt noch nie etwas gekocht, was challengetechnisch über das Auftauen von Rahmspinat hinausgegangen wäre. Insofern waren Sara und ich fast gerührt, als Carla uns darum bat, nicht zu früh nach Hause zu kommen, weil sie für sich und Alex ein Candle- Light-Dinner plane. Auf meine Frage, was es denn Köstliches gebe, erklärte sie, zuerst wolle sie eine Suppe machen, sie habe so etwas in der Art im Keller gesehen. Was sie meinte war eine Dose Hummersuppe, die ich einmal vor vielen Jahren auf einer Tombola gewonnen habe. Es handelte sich bei dieser Hummersuppe tatsächlich um den einzigen Spielgewinn meines Lebens, deshalb hob ich die Büchse auf. Sie ist schon mehrmals mit mir umgezogen und besitzt einen sentimentalen Wert für mich, den ich aber bereit war, für das erste KerzenlichtDinner meiner Tochter zu opfern. Ich sah mir die Suppendose an und stellte fest, dass bei den Herstellerangaben noch eine vierstellige Postleitzahl stand. Ich sagte aber mal lieber nichts, denn ich wollte die romantische Stimmung der Kinder nicht trüben. Über den zweiten Gang hatte sich Carla viele Gedanken gemacht und sogar Kochbücher gewälzt, war aber über die Lektüre mit ihren einschüchternden Fachbegriffen wie „Bridieren“, „Lardieren“ und „Nappieren“ etwas mutlos geworden und wollte sich stattdessen auf die eigene Intuition verlassen. Sie präsentierte also als Hauptgang ihr selbsterdachtes Rezept einer Bifi-Sauce. Man schneidet dafür zwei bis drei Bifi-Würstchen in zentimeterdicke Scheiben. Diese brät man in einer Pfanne mit Zwiebeln an. Dann gibt man drei geachtelte Tomaten sowie einen Mix aus gepfeffertem Tomatenmark und Sahne dazu. Das Ganze muss dann etwas köcheln und man kann es noch mit Curry und Paprika veredeln. Klang alles nach einer wirksamen Anleitung für ein klassisches Sodbrennen. Dazu gedenke sie Spaghetti zu kochen, teilte Carla mit und machte nicht den Eindruck übertriebener Besorgnis, was ihre Saucenkreation anging. Als Dessert plante sie Vanille-Eis mit heißen Himbeeren, hatte jedoch mit einem Blick ins Tiefkühlfach feststellen müssen, das keine Himbeeren da waren, woran sie mir umgehend die Schuld gab. Jeder vernünftige Haushalt habe Himbeeren, behauptete sie. Dann eben Vanilleeis mit ohne Himbeeren. Gegen 19 Uhr fuhren Sara und ich in die Stadt. Wir gingen ins Kino, danach noch etwas trinken und fuhren einen Umweg nach Hause, weil wir auf keinen Fall in eine Susi-Und-Strolch-Nudel-Situation platzen wollten. Als wir gegen 23:30 Uhr heimkamen, lag unsere Tochter vor dem Fernseher und machte einen insgesamt unzufriedenen Eindruck. Der Abend war nicht ganz so verlaufen wie sie sich das vorgestellt hatte. Die Hummersuppe habe zum Beispiel geschmeckt wie Arsch und Friedrich. Ihr jedenfalls. Alex habe, womöglich aus Höflichkeit, die ganze Brühe alleine ausgelöffelt. Dann die BiFi-Sauce: Im Großen und Ganzen zwar köstlich, allerdings habe sie ihre Kreation offenbar überwürzt mit der halben Flasche Tabasco. Alex habe die Sauce quasi im Alleingang verzehrt, weil sie ihr zu scharf war. Übrigens ohne Nudeln. Die seien total matschig gewesen. Sie habe gedacht, man brauche pro Person eine Packung. Also habe sie ein Kilo Spaghetti gekocht, und zwar 22 Minuten lang, weil sie angenommen hatte, man müsse die Kochzeit pro Packung berechnen. Das Dessert sei immerhin gut gewesen. In Ermangelung von Himbeeren habe sie Nutella zum Eis gereicht. Alex habe sehr ordentlich gegessen und dazu Wein getrunken, sei dann aber früh gegangen. Ihm sei irgendwie nicht gut gewesen. Womöglich der Alkohol. Ich nehme an, es war die Mischung von Allem. Die Bifi-Sauce, der Wein, das Eis. Und die Hummersuppe. Bevor ich die Dose wegwarf, sah ich noch einmal auf das Etikett. Abgelaufen im Februar 1993. Aber das heißt ja nichts, hat meine Oma immer gesagt. • 28. MÄRZ 2016
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