Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Urs Kindhäuser Skript zur Vorlesung Strafrecht AT § 40: Mittäterschaft I. Allgemeines Fall 1: A und B plündern das Opfer O dergestalt aus, dass A den O von hinten anfällt und festhält, während B ihm die Taschen ausräumt. Beide werden des gemeinschaftlichen Raubs angeklagt. Der Verteidiger des A trägt vor, sein Mandant habe keine fremden beweglichen Sachen weggenommen, also keinen Raub begangen; der Verteidiger des B meint, sein Mandant habe zwar fremde bewegliche Sachen in Zueignungsabsicht weggenommen, also einen Diebstahl, mangels Gewaltanwendung aber ebenfalls keinen Raub begangen. Strafbarkeit von A und B nach §§ 249, 25 Abs. 2 StGB 1. oTb: Nötigung (+), durch A Wegnahme (+), durch B Obj. gemeinschaftliche Tatbegehung: arbeitsteiliges Vorgehen, jeweils mit Tatherrschaft. 2. sTb: Vorsatz (+) Zueignungsabsicht (+) Subj. gemeinschaftliche Tatbegehung: gemeinsamer (zumindest konkludenter) Tatentschluss (+) 3./4. RW/Schuld (+) *** 1. Die Mittäterschaft beruht auf dem Zurechnungsprinzip gleichwertiger Verantwortung aufgrund arbeitsteiligen Handelns bei der Tatbestandsverwirklichung: Die einzelnen Tatbeiträge werden zu einer gemeinschaftlichen Straftat zusammengefasst und jedem Mittäter in vollem Umfang als jeweils eigenes Handeln zugerechnet. Jeder Mittäter wird so behandelt, als habe er alle zur Tatbestandsverwirklichung führenden Akte selbst vollzogen (BGHSt 24, 286 [288]; 37, 289 [291]; Kühl § 20/100). Dies setzt voraus, dass jeder der Beteiligten durch sein Verhalten zugleich für sich und für den bzw. die anderen handelt. Die Beteiligten repräsentieren sich wechselseitig. Insoweit entfaltet jedes Verhalten im Rahmen der Mittäterschaft eine zuständigkeitsbegründende Doppelwirkung (zu den rechtstheoretischen Grundlagen der Mittäterschaft Kindhäuser Hollerbach-FS 627 [643 ff.] mwN). Daher kann Mittäter nur sein, wer alle Tätermerkmale und subjektiven Voraussetzungen des Delikts auch selbst erfüllt (vgl BGHSt 14, 123 [129]; 15, 1 [4]). 2. Voraussetzungen der Mittäterschaft: Gemeinschaftliche Begehung (vgl § 38 der Vorlesung) Gemeinsamer (zumindest konkludenter) Tatentschluss; eine ins Detail gehende Kenntnis der Handlungen der Beteiligten wird nicht vorausgesetzt (OLG Düsseldorf NJW 1987, 268 [269]; Kühl § 20/117 f.). Jedoch reicht die bloße Billigung oder Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Situation nicht aus (BGH NStZ 1996, 227 f.; LK-Schünemann § 25 Rn. 173 ff.). 1 *** 3. Zeitrahmen: Unstr. ist eine Mittäterschaft bis zur Deliktsvollendung möglich (S/S- Heine § 25 Rn. 91; Kühl Roxin-FS 665 [681 f.]; LK-Schünemann § 25 Rn. 192 ff.). Erfolgt das Zusammengehen der Täter erst zu einem Zeitpunkt, in welchem die Tat bereits in die Versuchsphase eingetreten ist, spricht man von einer sukzessiven Mittäterschaft. Nach der Rechtsprechung ist eine solche sukzessive Mittäterschaft bei entsprechender „Kenntnis und Billigung“ sogar bis zur Tatbeendigung möglich (BGHSt 2, 344 [345 ff.]; BGH 1996, 227 [228]; Jescheck/Weigend § 63 II 2). Kritik: Zumindest bei Delikten, welche in der Phase der Beendigung keinen eigenständigen Unrechtsgehalt mehr aufweisen (etwa Sicherung des bereits Erlangten beim Diebstahl; anders ggf. beim Dauerdelikt der Freiheitsberaubung) erscheint eine gemeinsame Tatbegehung mangels noch zu verwirklichender Deliktsmerkmale fraglich. *** II. Sonderfragen 1. Exzess des Mittäters: Die Zurechnung fremder Tatbeiträge bei der Mittäterschaft setzt voraus, dass diese in einem, ggf. nur grob umrissenen, Tatplan vereinbart wurden (s.o.). Von einem sog. Exzess wird nun gesprochen, wenn ein Mittäter über diese Vereinbarung hinausgeht. Da das verwirklichte „Mehr“ nicht mehr vom Vorsatz der übrigen Mittäter umfasst ist, wird es ihnen auch nicht zugerechnet. Exemplarisch: B verwendet bei dem mit A gemeinsam geplanten Raub abredewidrig eine Schusswaffe, um das Opfer zur Duldung der Wegnahme seiner Geldbörse zu bewegen; hier ist A allein aufgrund der ihm zurechenbaren Tatteile, also wegen einfachen Raubes (§ 249 StGB) zu bestrafen, während B (zusätzlich) einen schweren Raub begeht (§§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Zu der (von der h.M. verneinten) Frage, ob auch das irrtümliche Schießen auf einen Komplizen, den der Mittäter für einen Verfolger hält, als Exzess anzusehen ist, sofern das Freischießen des Fluchtweges zuvor vereinbart worden war, vgl. BGHSt 11, 268; Kindhäuser AT § 40/22; Kühl § 20/122 einerseits; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, 63 f.; LKSchünemann § 25 Rn.. 177; Seelmann JuS 1980, 571 (572) andererseits. 2. Versuchsbeginn: Gesamtlösung: Versuch beginnt für alle Beteiligten in dem Zeitpunkt, in dem der erste Mittäter im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. (h.M., BGHSt 36, 249 [250]; 39, 236 [237 f.]; Baumann/Weber/Mitsch § 29/104; Jescheck/Weigend § 63 IV 1; Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, 1978, 11 ff., 69 ff.) Einzellösung: für jeden Mittäter gesonderte Prüfung des Versuchsbeginns (LK-Schünemann § 25 Rn.. 204.; Rudolphi Bockelmann-FS 369 [383 ff.]). *** Zum Gutachtenaufbau bei den verschiedenen Konstellationen der Mittäterschaft Kindhäuser AT § 40/23 ff. 2
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