Skript Examinatorium AT S. 84

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_______________________________________________________ Fall 34: A und B, die Mutter ihres gemeinsamen Kindes, sowie deren Freundin C beschließen, ge‐
meinsam „eine Bank“ zu überfallen. A stiehlt verabredungsgemäß zwei Fahrräder als Transportmittel. Am Tattag läuft er mit einem Kinderwagen, in dem der 15 Monate alte Sohn sitzt, zur Bank, an der B und C mit den Fahrrädern ankommen. Alle drei führen geladene Gaspistolen bei sich. Nach dem Plan sollen B und C die Anwesenden in der Bank bedrohen, während A über den Tresen springt und sich von der Bankangestellten X das Geld einpacken lässt. Kurz vor der Bank beschleichen A allerdings Bedenken, und er unternimmt einen „kurzen verbalen Versuch“, B und C von dem Vorhaben abzu‐
bringen. Als ihm dies nicht gelingt, geht er mit dem Kinderwagen einfach von dannen. Kurz darauf kehrt er jedoch zurück, um „nach den Frauen zu sehen“. Diese haben inzwischen den Überfall erfolg‐
reich ausgeführt und 5.000 Euro erbeutet. Davon erhält B DM 3.250, der zur Abdeckung von Schul‐
den und für den gemeinsamen Lebensunterhalt bestimmt ist. DM 1.750 erhält C (BGHSt 28, 346). Strafbarkeit der Beteiligten? A. Strafbarkeit von B und C gem. §§ 249/253, 255, 250 I Nr. 1a/b, II Nr. 1, 25 II (+) § 250 I tritt hinter § 250 II zurück. B. Strafbarkeit des A gem. §§ 249/255, 250 II Nr. 1, 25 II 1. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Der objektive Tatbestand ist zwar nicht von A selbst, aber von B und C verwirklicht worden. Zurechnung der Handlungen von B und C gem. § 25 II? Ein gemeinsamer Tatentschluss lag vor. Dass A sich von diesem vor Versuchsbeginn distanziert hat, schließt nicht die Zurechnung nicht per se aus (a.A. Rengier JuS 2010, 287, wenn er im Vorbereitungs‐
stadium den Mittätern seine Abstandsnahme mitteilt), weil seine Beiträge die Tatausführung, wenn‐
gleich in von B und C modifizierter Form, maßgeblich mitgestaltet haben, was er auch wusste. A ist daher dann Mittäter, wenn seine geleisteten Tatbeiträge die Annahme von Tatherrschaft rechtferti‐
gen bzw. er mit Täterwillen gehandelt hat. Der in der Tat fortwirkende Beitrag des A bestand im Auskundschaften des Tatorts, dem Diebstahl der Fahrräder, der Mitverabredung der Tat sowie der Mitgestaltung des Tatplans. a) Tatherrschaftslehre  Eine Mitwirkung nur im Vorbereitungsstadium reicht für Mittäterschaft nicht aus, da Täterschaft Begehung der Straftat (Tatbestandsverwirklichung) voraussetzt. Wer nur bei der Vorbereitung mitwirkt, kann das tatbestandsmäßige Geschehen zwar beeinflussen, aber nicht beherrschen: Mittäterschaft (‐)  Tatherrschaft setzt keine Anwesenheit am Tatort voraus. Da die Mittäterschaft auf arbeitsteiligem Zusammenwirken beruht, kann die Tat auch durch sie nur vorbereitende Beiträge mitbeherrscht werden. Allerdings wurde die Tat hier abweichend von dem ursprünglichen Plan allein von B und C ausgeführt, so dass ihre konkrete Gestaltung nicht mehr maßgeblich von den Planungsleistun‐
gen des A abhing. Da seine wirksam gebliebenen Tatbeiträge (Mitwirkung bei der allgemeinen _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 84 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ Planung, Besorgung der Fluchtfahrräder) demgegenüber eher untergeordnet waren: Mittäter‐
schaft (‐) b) Subjektive Theorie - Ob A die Tat als eigene oder nicht als eigene wollte, sei auf Grund aller Umstände, welche von der Vorstellung des Angeklagten umfasst waren, in wertender Betrachtung zu entschei‐
den. Im Zeitpunkt der eigentlichen Tatbegehung hatte A zwar keinen entsprechenden Willen (auch nicht zur Tatherrschaft), denn er wollte mit der Tatausführung nichts mehr zu tun ha‐
ben. Dies ändert laut BGH, a.a.O. jedoch nichts an der innerer Einstellung bei Erbringung sei‐
ner fördernden Tatbeiträge. Jene seien aber auch nur ein Gesichtspunkt neben anderen. Als Indiz für einen Täterwillen könne noch sein Interesse an der Beute angeführt werden, von der er letztlich profitierte (die Tilgung betraf Schulden von A und B), ohne allerdings einen ei‐
genen Anteil zu erhalten. Ob all dies ausreicht erscheint fraglich (offen gelassen von BGH, a.a.O. wegen Zurückverweisung an Tatgericht): Mittäterschaft (+/‐) C. Strafbarkeit des A gem. §§ 249/255, 250 II Nr. 1, 27 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat (+) b) Fördern der Haupttat A war an der Planung und Vorbereitung der Tat beteiligt; seine diesbezüglichen Beiträge haben die konkrete Gestalt der Tatausführung auch beeinflusst: (+) 2. Subjektiver Tatbestand Vorsatz bezüglich der als vollendet gewollten Haupttat und ihrer Förderung durch eigenes Handeln ist für den maßgeblichen Zeitpunkt der Gehilfenhandlung (§ 8) zu bejahen: (+) II./III. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) IV. Rücktritt: Die Bemühungen des A erfüllen die Voraussetzungen nicht: (‐) Fall 35: A, als Praktikant an einer Bank tätig, verrät in einem Spielsalon dem von ihm offenbar ent‐
sprechend eingeschätzten G eine geheime Code‐Zahl, deren Kenntnis die Öffnung der Hintertür des Bankgebäudes ermöglicht, in dem am Montag große Geldsummen gezählt werden, bevor sie in dem Tresor im Keller verschwinden. Er fertigt für G eine Skizze und gibt ihm Tipps, wie man sich erfolg‐
reich in den Besitz des Geldes bringen könne, wenn man erst einmal im Gebäude sei. A weiß, dass G mit Kumpanen sich das Wissen zunutze machen will und erhält einen Beuteanteil zugesagt. C, S und andere gelangen auf dem beschriebenen Weg in die Bank, fesseln ‐ wie von A und G geplant ‐ die von ihnen mit Messern bedrohten Angestellten und erbeuten 350.000 Euro. Nach seiner späteren Fest‐
nahme erklärt G wahrheitsgemäß, dass A ihm schon vor dem Tattag gesagt hat, er wolle mit der Sa‐
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_______________________________________________________ che nichts mehr zu tun haben. Von der Beute hat A nichts erhalten (BGH, NStZ 1994, 29). ‐ Strafbar‐
keit des A? A. §§ 249, 250 II Nr. 1, 25 II 1. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Die Tatbeiträge hat A im Vorbereitungsstadium der Tat erbracht. Ob derartige Beiträge zur Begrün‐
dung von Mittäterschaft genügen können, ist umstritten:  Erforderlich ist ein wesentlicher Beitrag im Ausführungsstadium der Tat. Einen solchen hat A nicht erbracht: (‐)  Auch Beiträge im Vorbereitungsstadium der Tat können genügen, wenn sie den unteren Schwel‐
lenwert der funktionalen Tatherrschaft überschreiten. Zwar erreichen (nach der Lit.) typische Teilnahmehandlungen wie etwa Tipps i.d.R. diesen Schwellenwert nicht; hier hat A aber neben der Skizze und den Ratschlägen zum Vorgehen dem G mit dem Verraten der Codenummer über‐
haupt erst die Tatbegehung ermöglicht: (+/‐)  Ein nur die Tatbegehung vorbereitender Beitrag genügt, zumal dann, wenn diese von ihm abhängt (Rechtsprechung): (+) Soweit der Beitrag des A als zureichend angesehen wird: 2. Subjektiver Tatbestand Was zu gelten hat, wenn der an der Planung Beteiligte vor Eintritt in das Versuchsstadium der Tat sich von dieser gegenüber den anderen distanziert, ist umstritten:  Wer sein Einverständnis vor Versuchsbeginn zurücknimmt, scheidet als Mittäter aus. Mittäter handelten nicht mehr im Rahmen eines gem. Tatentschlusses (z.B. Rengier, Jus 2010, 287, aller‐
dings nicht für den Fall der stillen Abstandsnahme): (‐)  Wer auf der Grundlage gemeinsamen Wollens bereits fördernde Vorbereitungs‐ und Unterstüt‐
zungshandlung vor Versuchsbeginn erbracht hat, hat sich auch dann an der vollendeten Tat betei‐
ligt, wenn er zwar vor deren Ausführung seine weitere Mitwirkung aufkündigt, die Tat aber im üb‐
rigen dem Plan entsprechend begangen wird, eigentlich (+) aber:  Mittäter eines Raubes kann nur sein, wer selbst Zueignungsabsicht hat. „Zwar kann grundsätzlich dann, wenn ein Mittäter nach der Erbringung seines Tatbeitrags eine Willensänderung vornimmt, dies eine Mittäterschaft nicht mehr beseitigen (BGHSt 28, 346, 348). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn durch die Willensänderung ein notwendiges Tatbestandsmerkmal (hier: die Zueignungsab‐
sicht) entfällt. Bei einer solchen Fallgestaltung führt der Wegfall der subjektiven Voraussetzungen der Täterschaft dazu, daß ein fortwirkender Tatbeitrag selbst dann nur noch als Beihilfe zu bewer‐
ten ist, wenn das Verhalten vor der Willensänderung als Mittäterschaft zu bewerten gewesen wä‐
re“ (so BGH, aaO, vgl. auch S/S/Eser, § 24 Rn. 77): (‐) _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 86 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ Wird der subjektive Tatbestand verneint: B. §§ 249, 250 II Nr. 1, 26 Da eine vorsätzlich begangene, rechtswidrige (Haupt‐)Tat vorlag, war nach Ansicht des BGH zu fra‐
gen, ob A den G zur Tat bestimmt hatte, indem er in ihm den Tatentschluß erweckte, was nach den Feststellungen des LG naheliege. Einem Bestimmen stehe nicht entgegen, daß G möglicherweise zu derartigen Taten allgemein bereit (also „tatgeneigt“) war. Auch daß er sie selbst nicht (mit) durchge‐
führt habe, sei unschädlich; „eine ‐ mittelbare ‐ Anstiftung ist auch dann möglich, wenn es dem An‐
gestifteten überlassen bleibt, den Haupttäter auszuwählen, oder wenn der Anstifter die Zahl der Zwischenglieder zwischen ihm und dem Haupttäter nicht kennt“. Ferner sei unerheblich, „ob das Verhalten des Angekl. ursprünglich als Mittäterschaft oder als Beihilfe zu bewerten gewesen wäre“, weil nach Wegfall der Zueignungsabsicht die abgeschlossen vorliegende Anstiftung (wieder) eigen‐
ständige, rechtliche Bedeutung erlange und für sie die Zueignungsabsicht keine Rolle spiele. Gegen‐
über einer Beihilfe wäre die Anstiftung „die schwerere und damit maßgebliche Form der Tatbeteili‐
gung“ (alle Zitate BGH, aaO). Wäre ‐ was das LG noch zu prüfen hatte ‐ Anstiftung zu verneinen: C. §§ 249, 250 II Nr. 1, 27 (+) Siehe auch: Rengier JuS 2010, 286 ff., der bei der Zurechnung danach differenziert, ob der Täter seine Abstand‐
nahme im Vorbereitungsstadium den Mittätern offenbart hat oder nicht. BGH, NStZ 1999, 609: Der Annahme einer Mittäterschaft steht nicht entgegen, dass ein Beteiligter in eigener Person keine tbl. Ausführungshandlungen vorgenommen hat. Für eine Tatbeteiligung als Mittäter reicht ein auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tbv fördernder Beitrag aus, der sich auf eine Vorbereitungs‐ oder Unterstützungshandlung beschränken kann. Alle Mittäter treten ein‐
heitlich in das Versuchsstadium ein, sobald einer von ihnen zur Verwirklichung des Tb unmittelbar ansetzt. Die Tat kann daher für einen Mittäter auch dann schon vollendet sein, wenn er seinen ver‐
abredeten, im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung zu leistenden Tatbeitrag noch nicht erbracht hat. BGH, StV 1998, 129: A hatte O im Wohnzimmer misshandelt. Kurze Zeit später schlugen und traten R und V in der Küche auf O ein, während A im Zimmer verblieben war. Als W von dort O zu Hilfe kom‐
men wollte, hielt ihn A durch einen Schlag hiervon ab, ohne dass R und V dies auch nur bemerkten. O erlitt schwere Verletzungen i.S. des § 226. BGH: Mittäterschaft ist nicht schon im Falle des einseitigen Einverständnisses mit der Tat eines anderen und der Betätigung eines solchen Einverständnisses gegeben. Notwendig ist vielmehr, dass jeder Beteiligte i.S. eines zumindest konkludent gefassten gemeinschaftlichen Willensentschlusses seine eigene Tätigkeit durch die Handlung des anderen er‐
gänzt und auch diese sich zurechnen lassen will, dass somit alle in bewusstem und gewolltem Zu‐
sammenwirken handeln. Der BGH hielt A für strafbar gem. § 223 in Tatmehrheit mit §§ 226, 18, 27. Hinweis: Können die Voraussetzungen des § 25 II nicht erwiesen werden, ist zu bedenken, dass auch in der bloßen Zusage einer späteren Unterstützungshandlung bereits eine Beihilfehandlung liegen _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 87 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ kann. Beihilfe zu einer Tat kann auch dadurch geleistet werden, dass der Gehilfe den Haupttäter in seinem schon gefassten Tatentschluss bestärkt und ihm ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit vermit‐
telt. Bereits die Tatsache, dass der Haupttäter dem Gehilfen eine bestimmte Aufgabe im Rahmen des Tatplans überträgt, ist ein wesentliches Indiz dafür, dass er glaubt, die Tat mit dessen Hilfe besser durchführen zu können als ohne ihn. In derartigen Fällen ist die Zusage, den geplanten Gehilfenbei‐
trag zu leisten, i.d.R. geeignet, den Haupttäter in seinem Tatentschluss zu bestärken und ihm ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit zu geben (psychische Beihilfe). __________________________________________________________________________________ Fall 36: A ist in eine Wohnung eingebrochen und hat aus der reichhaltigen Vorratskammer Lebens‐
mittel entwendet, die er in die Wohnung des N bringt. Er teilt N mit, es lagere noch weit mehr in jener Vorratskammer. Daraufhin begeben A und N sich wiederum zum Tatort, gehen durch die auf‐
gebrochene Tür und entwenden nochmals eine größere Menge Lebensmittel. Die Gesamtbeute tei‐
len sie sodann „redlich“ (BGHSt 2, 344). Strafbarkeit von A und N? A. Strafbarkeit des A gem. §§ 242, 244 I Nr. 3 Hinsichtlich der 1. Tour hat A allein gehandelt (§ 244 I Nr. 3). Die 2. Tour zusammen mit N kann Teil einer einheitlichen Tat des A sein (wenn er schon von vornhe‐
rein einen weiteren „Besuch“ geplant hatte; nur noch möglich, wenn eine „natürliche Handlungsein‐
heit“ bejaht werden kann) oder auf einem neuen Tatentschluss beruhen. In diesem Fall handelte es sich um eine neue Tat (§ 242), für die dann bezogen auf N § 25 II in Betracht kommt. B. Strafbarkeit des N gem. §§ 242, 25 II (2. Tour) 1. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Bezogen auf die bei der 2. Tour entwendeten Gegenstände hat N in eigener Person Wegnahmen getätigt. 2. Subjektiver Tatbestand und gemeinsamer Tatentschluss (+) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) C. Strafbarkeit des N gem. §§ 242, 244 I Nr. 3, 25 II (2. Tour) 1. Tatbestand N ist nicht selbst zur Ausführung der Tat in die Wohnung eingebrochen, da A schon ohne Wissen des N zuvor auf der 1. Tour die den Zutritt verwehrende Umschließung von außen gewaltsam geöffnet hatte. Er ist auch nicht eingestiegen, denn dies ist nur bei Betreten des geschützten Raumes auf ei‐
nem dafür regelmäßig nicht bestimmten Weg unter Entfaltung einer gewissen Geschicklichkeit oder Kraft der Fall. N wusste jedoch vom Aufbruch der Tür und machte sich dies selbst zunutze. Ob ihm die Qualifikation zugerechnet werden kann (bezogen auf die Beute der 2. Tour), ist umstritten: _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 88 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________  Da N auf den „Einbruch“ des A keinen Einfluss mehr haben konnte (keine Tatherrschaft) und eine nachträgliche Billigung den fehlenden gemeinsamen Tatentschluss nicht rückwirkend ersetzen kann, scheidet insoweit sukzessive Mittäterschaft aus: (‐)  Wenn die 2. Tour noch auf dem ursprünglichen Tatentschluss des A beruht (also Teilakt einer ein‐
heitlichen Tat gem. § 244 I Nr. 3 ist; nach Wegfall der „fortgesetzten Tat“ kaum noch möglich), lässt das Gesetz den Mittäter kraft des Einverständnisses und kraft seines Anteils an der Durch‐
führung auch für das haften, was der andere Mittäter (bereits) getan hat. Wer in Kenntnis und Bil‐
ligung des bisher Geschehenen als Mittäter eintritt, bezieht sein Einverständnis auf den Gesamt‐
plan mit der Folge, dass ihm auch die einheitliche Tat als solche zugerechnet wird. N konnte sich dann nur an dem noch ablaufenden Diebstahl beteiligen, wie er ihn vorfand, nämlich als Woh‐
nungseinbruchsdiebstahl. Es ist kein Grund zu sehen, der es rechtfertigen könnte, den Mittäter in‐
soweit besser zu stellen als den Gehilfen, für dessen Handlung diese Zurechnungsfrage schon im‐
mer so beantwortet wurde (so der BGH, aaO): (+) Wird Mittäterschaft mit dem BGH bejaht: II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) Wer §§ 244 I Nr. 3, 25 II mit der Literatur verneint, muss dann insoweit noch prüfen D. Strafbarkeit des N gem. §§ 242, 244 I Nr. 3, 27 Zur vorsätzlich begangenen rechtwidrigen Tat des A siehe oben: (+) Die Hilfeleistung bestünde in der Förderung der Tat des A.  N förderte wissentlich und willentlich den Teil der Tat, der noch bevorstand: (+)  Eine Anwendung des Erschwerungsgrundes ist auch über die Konstruktion einer Beihilfe nicht möglich: (‐) _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 89 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ __________________________________________________________________________________ Fall 37: A, B und C planen einen Einbruchsdiebstahl, den sie unter Beisichführen von Waffen begehen wollen und verabreden zusätzlich, im Falle des Entdecktwerdens notfalls auf etwaige Verfolger zu schießen, wobei auch deren Tod in Kauf genommen werden soll. Als sie fliehen müssen, hält A irr‐
tümlich den hinter ihm laufenden B für einen Verfolger und schießt mit bedingtem Tötungsvorsatz auf ihn, verletzt ihn jedoch nur (BGHSt 11, 268). Strafbarkeit von A, B und C? A. Strafbarkeit des Schützen A I. § 242, 244, 22, 23, 25 II StGB [wenn man davon ausgeht, das sie noch keine Ggs. weggenommen haben] II. §§ 211, 212, 22, 23 I, 12 I (+) A handelt vorsätzlich und mit Verdeckungsabsicht. III. §§ 223, 224 I Nr. 2, 5, 25 II Der Identitätsirrtum ist unbeachtlich (vgl. Fall 12). B. Strafbarkeit des verletzten B I. § 242, 244, 22, 23, 25 II StGB II. §§ 211, 22, 23 I, 12 I, 25 II an sich selbst I. Tatbestand 1. Tatentschluss a) Hinsichtlich der Verwirklichung des Tatbestandes durch einen der Beteiligten C ging abredegemäß davon aus, dass jeder Beteiligte notfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen und unter Umständen dabei auch einen Verfolger erschießen würde: (+) b) Hinsichtlich der eigenen Beteiligungsrolle als Mittäter Der etwaige Schusswaffengebrauch war zwischen allen Beteiligten zuvor abgesprochen (gemeinsa‐
mer Tatentschluss), und jeder sollte seine Schusswaffe „bei Bedarf“ gleichberechtigt im gemeinsa‐
men Interesse aller gebrauchen. Ob A sich mit der Abgabe des Schusses auf B noch im Rahmen des Tatplans gehalten hat, ist umstritten:  Wenn der gemeinschaftliche Entschluss nur das Schießen auf Verfolger vorgesehen hat, liegt hier ein (fahrlässiger) Exzess des Schützen vor, weshalb Zurechnung ausscheidet: (‐)  Eine Strafbarkeit des B wegen des auf ihn gerichteten Schusses verstößt gegen den Grundsatz der Nichtstrafbarkeit der Selbsttötung. Deshalb kann ihm der nur vermeintlich auf einen Verfolger ge‐
zielte Schuss des A nicht über die Mittäterschaft als Versuch einer Fremdtötung zugerechnet wer‐
den: (‐) _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 90 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________  Der error in persona des B ist auch für die übrigen Mittäter ein (hier:) unerheblicher Identitätsirr‐
tum; denn auch der irrende A hält sich noch an den Tatplan, wenn er auf den vermeintlichen Ver‐
folger schießt. Die wie jedem Mittäter auch ihm vom Tatplan abverlangte Konkretisierung müssen die anderen Mittäter sich auch dann zurechnen lassen, wenn A ein Fehler (eine Personenver‐
wechslung) unterläuft. Die Fehlleistung gehört zu dem mit dem Tatplan verbundenen Risiko der Planverwirklichung: (+) Wird ein Exzess verneint: 2. Unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung Durch Abgabe des Schusses hat A unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt. Nach den allgemeinen Regeln mittäterschaftlicher Zurechnung müssen sich alle anderen Mittäter, also auch B, dieses Handeln des A als eigenes zurechnen lassen (h.M.). Allerdings handelt es sich in seiner Person um einen untauglichen Versuch (BGH, a.a.O.) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) Wird ein Exzess des A bejaht: §§ 211, 212, 30 II, 12 I (+) III. §§ 223, 224 I Nr. 2, 5, 22, 23, 25 II an sich selbst Nur untauglicher Versuch der Tat (in seiner Person „Mangel am Tatbestand“, so BGH, aaO, S. 271). Nach der a.A. keine Strafbarkeit, da das Rechtsgut diesem Mittäter gegenüber nicht geschützt ist. C. Strafbarkeit des C §§ 211, 212, 22, 23 I, 12 I, 25 II bzw. §§ 211, 212, 30 II, 12 I Entsprechend den Argumenten unter B (+/‐). §§ 223, 224 I Nr. 2, 5, 25 II (+) Zum Problem der „vermeintlichen Mittäterschaft“ später beim Versuch 5. Mittelbare Täterschaft, § 25 I Alt. 2 StGB Mittelbarer Täter ist, wer die Tat „durch einen anderen“ begeht, d.h. ein menschliches „Werkzeug“ als unmittelbar handelnden Anderen (= Tatmittler) einsetzt, den er steuert. Die Handlungen des Tat‐
mittlers werden ihm so zugerechnet, als hätte er sie selbst vorgenommen. BGH: Entscheidend ist auch hier die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft des Hinter‐
manns, wobei die objektive Tatbeherrschung ein Indiz für den Täterwillen bildet. Zwischen mittelba‐
rer Täterschaft und Mittäterschaft sind fließende Übergänge möglich. _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 91 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ H.L.: Die Tatherrschaft des mittelbaren Täters erfordert eine überlegene Stellung hinsichtlich des Tatgeschehens, der gegenüber dem Tatmittler, obwohl er die Handlungsherrschaft hat, nur eine un‐
terlegene Position zukommt. Diese Tatherrschaft kann nur durch überlegenes Wissen, einen überle‐
genen Willen oder (so die h.M.) überlegene Organisationsmacht begründet werden, die es dem mit‐
telbaren Täter ermöglichen, das Geschehen planvoll zu steuern. Mittelbare Täterschaft und Mittäter‐
schaft gründen auf unterschiedlicher Art der Tatherrschaft und sind deshalb voneinander zu unter‐
scheiden. Da mittelbare Täterschaft eine Form der Täterschaft ist, scheidet sie aus bei eigenhändigen Delikten sowie dort, wo dem „Hintermann“ die im jeweiligen Tatbestand geforderte Subjektsqualität fehlt (z.B. die Eigenschaft als Amtsträger bei echten Sonderdelikten, die Pflichtenstellung bei der Untreue, die Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten). Fallgruppen: Der Hintermann bedient sich ‐ in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände ‐ zur Begehung der (seiner!) Straftat eines anderen, der  objektiv tatbestandslos handelt  ohne Tatbestandsvorsatz (bzw. mit dem Vorsatz, einen anderen Tatbestand zu verwirklichen) handelt  ohne eine zum Tatbestand gehörende zusätzliche Absicht handelt (seitdem bei §§ 242, 263 StGB auch Drittbereichungsabsicht kaum noch relevant, nur bei § 252 StGB spielt sie noch eine Rolle)  rechtmäßig (gerechtfertigt) handelt  ohne Schuld, entschuldigt oder jdf. nicht voll verantwortlich handelt Handelt der „Vordermann“ selbst tatbestandsmäßig, rechtswidrig und voll verantwortlich, so schei‐
det mittelbare Täterschaft i.d.R. aus. Ausnahmen nach h.M.: - Beim Missbrauch staatlicher Machtbefugnisse oder im Rahmen mafiaähnlicher Organisations‐
strukturen soll trotz voller Verantwortlichkeit der (unmittelbaren) Täter der hinter ihnen stehen‐
de Befehlsgeber kraft seiner Organisationsherrschaft (mittelbarer) Täter sein, wenn und weil er das Gesamtgeschehen bedingungslos in die von ihm gewünschte Richtung lenken kann („Täter hinter dem Täter“). Voraussetzungen: „Wenn der Hintermann durch Organisationsstrukturen be‐
stimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe nahe‐
zu automatisch auslöst. Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen insbe‐
sondere bei staatlichen, unternehmerischen oder geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen und bei Befehlshierarchien in Betracht. Handelt in einem solchen Fall der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Han‐
delnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft“ (BGHSt 40, 218, 236). Zum Aufbau: Tatnächsten zuerst prüfen. Anschließend: Vorfrage: Mittäterschaft des Tatnächsten mit dem mögl. Hintermann? _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 92 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ Wenn nein: beim Hintermann mb. Täterschaft prüfen (Bild: der Vordermann = Werkzeug = Tatmittler ist der "verlängerte Arm" des mb. T. Dieser "handelt" durch das Werkzeug). § 25 I 2. Alt. I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Obj. TB ‐ Eventuell bes. Tätereigenschaften (z.B. Amtsträger) ‐ Das Tatbestandsmerkmal, das die Handlung beschreibt (z.B. Töten, Wegnehmen, Misshandeln etc.), wird vom Werkzeug ‐ also nicht unmb. vom (deshalb:) "mb" Täter ‐ erfüllt. Er muss aber die "Herr‐
schaft" über diese Hdlg. des "Werkzeugs" obj. und subj. haben. „H hat nicht unmittelbar den Tod des O verursacht. Fraglich ist jedoch, ob ihm die Handlung des W als mbT gem. § 25 I 2 Alt. zugerechnet werden kann….“ Hat H also die Herrschaft (objektiv!) über die Hdlg. des Werkzeugs? Fallgruppen s.o. ‐ Erfüllt er auch die übrigen Merkmale des fragl. Tb? (bei 212 unproblematisch, weil es keine weite‐
ren gibt). Grund: der mb. Täter ist Täter; er muss also den ganzen Tatbestand der erwogenen Straftat in eige‐
ner Person erfüllen; lediglich die bei ihm fehlende Handlung wird ersetzt durch seine (obj. und subj.) Herrschaft über die Hdlg des "Werkzeugs“. Bei "eigenhändigen" Delikten ist mb. T nicht möglich (z.B. bei §§ 153 ff; "Ersatz" dort: § 160). 2. Subj. TB Vorsatz bzgl. aller obj. TbMe, insbes. Wissen um die Herrschaft über die Tat und Tatherrschaftswille; ggf.: sonstige subj. TbM, z.B. Bereicherungsabsicht. II. Rechtswidrigkeit (sie bestimmt sich selbstverständlich unabhängig davon, wie beim "Werkzeug" zu entscheiden war) III. Schuld Klassiker: Fall 38: Frau H, P und R leben in einem von Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben geprägten neurotischen Beziehungsgeflecht zusammen. Durch gezielte Irreführung reden H und P dem leicht beeinflussbaren R ein, ein das Böse verkörpernder und die Menschheit bedrohender „Katzenkönig“ verlange von R ein Menschenopfer in Gestalt der Frau N (auf deren Tötung es H und P aus Eifersucht und Rache abgesehen haben); andernfalls müssten Millionen von Menschen, wenn nicht gar die Menschheit, sterben. R erkennt, dass er einen Mord begehen soll und sucht unter Hinweis auf das 5. Gebot des Dekalogs nach einem Ausweg. H und P zerstreuen seine Gewissensbisse mit dem Hinweis, für sie gelte das Tötungsverbot nicht, da es sich um einen „göttlichen Auftrag“ handele und sie die Menschheit zu retten hätten. Schließlich gibt R ihrem Drängen nach. Entsprechend den ihm erteilten _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 93 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ Anweisungen versetzt er der N in deren Blumenladen unter dem Vorwand, Rosen kaufen zu wollen, mit einem ihm zu diesem Zweck von P überlassenen Fahrtenmesser hinterrücks Stiche in den Hals, das Gesicht und den Körper, um sie zu töten. Als dritte Personen der sich nun verzweifelt wehrenden Frau zu Hilfe eilen, lässt R von weiterer Tatausführung ab, um entsprechend seinem „Auftrag“ uner‐
kannt fliehen zu können; dabei rechnet er mit dem Tod seines Opfers, der jedoch ausbleibt (BGHSt 35, 347). Strafbarkeit von H, P und R? A. Strafbarkeit des R §§ 211, 212, 22, 23 I, 12 I I. Tatbestand Da N überlebt hat, ist die Tat nicht vollendet. Der Tötungsvorsatz des R umfasst auch die heimtücki‐
sche Begehungsweise; indem R mehrfach auf Frau N einstach, hat er jdf. unmittelbar angesetzt: (+) II. Rechtswidrigkeit (+) III. Erlaubnistatbestandsirrtum? R beging die Tat, weil er glaubte, nur auf diese Weise die Menschheit oder Millionen von Menschen retten zu können. Fraglich ist, ob insoweit ein auf § 34 gründender Erlaubnistatumstandsirrtum vor‐
liegt. hyp. Rechtfertigung (vgl. Fall 31)?  R nahm zwar irrig eine Notstandslage i.S. des § 34 an; da das menschliche Leben als Höchstwert aber abwägungsfest ist und Frau N auch nicht für die vom „Katzenkönig“ drohende Gefahr ver‐
antwortlich war, könnte R sich nicht auf ein wesentlich überwiegendes Interesse berufen, wes‐
halb sein Tun auch bei Unterstellung der Richtigkeit seiner Annahmen nicht gerechtfertigt wäre: (‐
) III. Schuld Irrige Annahme i.S. des § 35 II (direkt/analog) a) Vorliegen der Voraussetzungen Wenn die abergläubische Wahnvorstellung als Putativgefahr i.S. der Notstandsvorschriften angese‐
hen wird, kommt ein derartiger Irrtum in Betracht. Zur bedrohten Menschheit gehörte wohl auch R selbst. Ggf. auch „übergesetzlichen Entschuldigungsgrund“ (Kollision von Millionen von Menschenle‐
ben mit dem Leben der N). b) Rechtsfolgen Da der Irrtum vermeidbar war, liegt kein Schuldausschluss vor. Gemäß § 35 II (direkt oder ‐ bei An‐
nahme eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes ‐ analog) müsste aber die Strafe gemildert werden. _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 94 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ 3. Erlaubnisirrtum gem. § 17? Ein solcher Irrtum lag hier u.U. vor, wäre aber in jedem Fall vermeidbar gewesen. 4. Schuldunfähigkeit gem. § 20? Wurde vom BGH verneint (a.A. wohl denkbar); § 21 nahm der BGH zugunsten des R an. 5. Rücktritt gem. § 24 I 1 Alt. 2 (‐) §§ 223, 224 I Nr. 2, 3 und 5 (+) B. Strafbarkeit von H und P §§ 211, 212, 22, 23 I, 12 I, 25 I Alt. 2, 25 II I. Tatbestand 1. Tatentschluss a) Hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung durch R (+) Vorsatz bzgl. der heimtückischen Begehungsweise liegt vor; zudem handelten sie aus niedrigen Be‐
weggründen (täterbezogenes, besonderes persönliches Merkmal). b) Hinsichtlich der eigenen Beteiligungsrolle als mittelbarer Täter H und P haben den Irrtum über die Bedrohung der Menschheit oder zumindest von Millionen von Menschen durch den Katzenkönig gezielt herbeiführen und die Leichtgläubigkeit des R ausnutzen wollen. Mithin hatten sie „Willensherrschaft“ über R und ‐ deswegen und aufgrund des Eigeninteres‐
ses am Taterfolg ‐ auch Täterwillen. Fraglich ist allerdings, ob bei verantwortlich handelndem Vor‐
dermann der Hintermann noch Täter sein kann („Täter hinter dem Täter“):  Aus dem Selbstverantwortungsprinzip folgt, dass die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft dort endet, wo der Vordermann selbst vollverantwortlicher Täter ist. Eine Figur des Täters hinter dem eigenverantwortlich handelnden Täter gibt es mithin nicht. An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch, dass der unmittelbare Täter in einem vermeidbaren Verbotsirrtum oder in einem Zu‐
stand erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelt, denn auch dann bleibt ihm die Möglichkeit der Entscheidung erhalten. Da er also verantwortlich handelt, kann nur Anstiftung in Betracht kommen: mittelbare Täterschaft (‐)  Ein Täter hinter dem Täter ist zumindest dann möglich, wenn die Verantwortlichkeit des Vorder‐
manns zwar nicht aufgehoben, sondern nur erheblich eingeschränkt ist und der Hintermann die‐
ses Defizit gezielt ausnutzt (Modell „eingeschränkter“ Verantwortung). Hier lag ein Irrtum des R vor, ohne den er nicht gehandelt hätte. Ob er als vermeidbar anzusehen war, betrifft nur den R: mittelbare Täterschaft (+) _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 95 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________  Der Fall des Täters hinter dem Täter ist nach den allgemeinen Regeln zu behandeln. Hat der Hin‐
termann danach Täterwillen, so ist er mittelbarer Täter, auch wenn der Vordermann im vollen Umfang für die Tat verantwortlich ist (so der BGH): mittelbare Täterschaft (+) Wird die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft bejaht: 2. Unmittelbares Ansetzen (+) Da der Tatmittler R bereits seinerseits in das Versuchsstadium eingetreten ist, gilt dies nach allen Ansichten auch für die mittelbaren Täter H und P. II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) §§ 223, 224, 25 I Alt. 2, 25 II (+) Ergebnis: Bestraft werden H und P wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft. Wird mittelbare Täterschaft von H und P verneint, so werden sie bestraft wegen Anstiftung zum ver‐
suchten Mord in Tateinheit mit Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung. __________________________________________________________________________________ Fall 39: Die A schreibt (1943) an die Luftwaffeneinheit, in der ihr Schwiegersohn S als Flugzeugwart tätig ist, er betreibe Sabotage, bringe Flugzeuge zum Absturz und gehöre an die Wand gestellt, ob‐
wohl sie davon ausgeht, dass die Bezichtigung nicht stimmt. Sie will S hierdurch „Ungelegenheiten bereiten“ und rechnet insbesondere damit, dass er in längere Haft genommen werden wird, was ihr recht ist. S wird von der Geheimen Feldpolizei festgenommen und bleibt für 15 Tage auf Anordnung des Kriegsgerichts in Haft, wird sodann jedoch freigesprochen (BGHSt 3, 4). Strafbarkeit der A nach aktuellem Recht? A. Strafbarkeit der A gem. §§ 239 I, III Nr. 1, 25 I Alt. 2 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Die Freiheitsberaubung wurde nicht von A, sondern von den Feldpolizisten durch die Festnahme bewirkt und vom Kriegsgericht (eigentlich: dem Gerichtsherrn) durch Anordnung der Haft aufrecht‐
erhalten. Beide Maßnahmen waren nach Lage des Falles aus Sicht der Dienststellen rechtmäßig. Ver‐
ursacht hat die A diese Handlungen durch ihre wahrheitswidrige Bezichtigung. S war auch länger als eine Woche seiner Freiheit beraubt. 2. Subjektiver Tatbestand A wollte durch ihr irreführendes Schreiben eine längere Haft des S herbeiführen. Sie wusste, dass ihre Täuschung die Behörden zum Handeln zwang und wollte eben dies erreichen. A handelte mit Täterwillen bzw. mit dem Willen zur Tatherrschaft aufgrund überlegenen Wissens, weil sie wusste, dass ein materieller Grund für den Freiheitsentzug nicht bestand. II. Rechtswidrigkeit (+) _____________________________________________________________________________________________________________________ Wintersemester 2011/2012 ‐ 96 ‐ Prof. Dr. Frank Schuster Examinatorium Strafrecht A
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_______________________________________________________ Dass sowohl Feldpolizei als auch die Militärgerichtsbarkeit rechtmäßig handelten, kommt A nicht zugute. Sie hat durch ihre Täuschung die Dienststellen in Bewegung gesetzt und so die Ursache ge‐
schaffen für den von ihr gewollten Erfolg. Ihn herbeizuführen hatte sie kein Recht (so BGH, aaO). III. Schuld (+) B. Strafbarkeit der A gem. § 164 (+) Fall 39a: A hat das Kind des T gekidnappt und verlangt nun, dass T den O verprügeln soll. Strafbarkeit von T und A? Abwandlung: Die Geliebte G droht T mit Trennung, falls er nicht den O verprügelt. A. Strafbarkeit des T § 223 StGB I. Tatbestandsmäßigkeit (+) II. Rechtswidrigkeit § 34? III. Schuld § 35 StGB (+) B. Strafbarkeit des A § 239 StGB § 239b StGB § 223, 25 I 2 Alt. StGB Abwandlung: Gesetzgeber hat mit § 35 StGB deutlich gemacht, wo im Fall des Nötigungsnotstandes die Grenze eines frei verantwortlichen Verhaltens liegt. Unterhalb der Schwelle von § 35 wird der unmittelbare Täter nicht wirklich von G beherrscht. Folge? __________________________________________________________________________________ Zum Problem des Irrtums über den konkreten Handlungssinn: Beispiel 1: (Irrtum über quantifizierbare Unrechts‐ und Schuldmaße): A veranlasst den einfältigen B, ein wertvolles Kandinsky‐Gemälde des C zu verbrennen, indem er B vorspiegelt, es handele sich um ein wertloses Geschmiere. B verbrennt daraufhin das Bild. Beispiel 2: (manipulierter error in persona) F weiß, dass L den Lohnkiller K angeworben hat, an be‐
stimmter Stelle den X zu erschießen. F lädt X für die Tatzeit zu sich ein und schickt den Z, der prompt von K erschossen wird, weil er annimmt, X vor sich zu haben. Vgl. dazu Veranstaltung und z.B. Kühl, AT, § 20/74; Otto, AT, § 21/88 ff.
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