Kapitel 6

Kapitel VI: Stabilität - Begriffe und lineare Systeme
Stabilität im Sinne von Lyapunov/exponentielle Stabilität
Lineare nicht autonome DGLs
Autonome DGLs
Anwendungen auf inhomogene DGLs
Delay-Differentialgleichungen
Ausgangspunkt
Nun betrachten wir AWPs auf etwas spezielleren Definitionsbereichen.
Annahmen. Sei f : D 3 ( t, x) → f ( t, x) ∈ Rn stetig und lokal
Lipschitz-stetig in x auf D = (a, ∞) × G mit a ≥ −∞ und offenem
G ⊂ Rn . Für τ ∈ (a, ∞) und ξ ∈ G betrachten wir erneut das AWP
ẋ = f ( t, x), x(τ) = ξ
(1)
mit dem Fluss ϕ : D → Rn . Es gebe ein Gleichgewicht x∗ ∈ G mit
f ( t, x∗ ) = 0 für t > a.
Offenbar ist ϕ( t, τ, x∗ ) = x∗ mit J(τ,x∗ ) = (a, ∞) eine (ausgezeichnete)
konstante Lösung. Nun stellen wir uns die Frage, ob für ξ nahe x∗
die Lösung ϕ(., τ, ξ) auch auf ganz [τ, ∞) existiert und auf diesem kompletten Zeitintervall nahe bei x∗ verbleibt. Für kompakte Teilintervalle
von (a, ∞) ist uns dies ja bereits bekannt (Satz V-1).
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Formale Definitionen
Diese Frage führt auf die klassischen Stabilitätsbegriffe von Lyapunov.
Definition 1. Das Gleichgewicht x∗ von ẋ = f ( t, x) heißt
stabil, falls es zu jedem ε > 0 und τ ∈ (a, ∞) ein δ > 0 gibt, so
dass für alle ξ ∈ Bδ ( x∗ ) ∩ G gilt:
t + (τ, ξ) = ∞ und ϕ( t, τ, ξ) ∈ Bε ( x∗ ) für alle t ≥ τ.
instabil, falls es nicht stabil ist.
attraktiv, falls es zu jedem τ ∈ (a, ∞) ein δ > 0 gibt, so dass für
alle ξ ∈ Bδ ( x∗ ) ∩ G gilt:
t + (τ, ξ) = ∞ und lim ϕ( t, τ, ξ) = x∗ .
t→∞
asymptotisch stabil, falls x∗ stabil und attraktiv ist.
Dies sind alles lokale Eigenschaften, da sie nur für Anfangswerte ξ
gelten sollen, die in einer Umgebung von x∗ liegen.
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Geometrische Veranschaulichung
Stabilität:
δ
x∗
Asymptotische Stabilität:
x∗
δ
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Bemerkungen
Stabilität impliziert für jedes τ ∈ (a, ∞) die Konvergenz
lim ϕ( t, τ, ξ) = x∗ gleichmäßig in t ∈ [τ, ∞).
ξ → x∗
Beachte, dass δ in diesen Definitionen von τ ∈ (a, ∞) abhängen darf.
Kann man in der Stabilitätsdefinition auf jedem Intervall der Form
[ c, ∞) mit c > a den Radius δ unabhängig von τ ∈ [ c, ∞) wählen, so
heißt x∗ gleichmäßig stabil.
x∗ ist gleichmäßig attraktiv, falls es zu allen c > a ein δ > 0 gibt,
so dass zu jedem ε > 0 ein T > 0 existiert mit
kϕ( t, τ, ξ) − x∗ k ≤ ε für alle t ≥ τ + T, τ ≥ c, ξ ∈ Bδ ( x∗ ) ∩ G.
Das Gleichgewicht x∗ ist gleichmäßig asymptotisch stabil, falls
es gleichmäßig stabil und gleichmäßig attraktiv ist.
Stabilität und Attraktivität sind voneinander unabhängig. Es kann
also passieren, dass ein Gleichgewicht attraktiv aber instabil ist.
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Beispiele
Stabilitätsuntersuchungen für DGLs höherer Ordnung werden immer
auf diejenigen für das aus Satz I-2 resultierende System 1. Ordnung
zurückgeführt.
Logistische Gleichung ẋ = α x( N − x) (α > 0, N > 0) mit
ϕ( t, τ, ξ) =
N
´
für ξ > 0.
1 + Nξ − 1 e−α N(t−τ)
³
x∗ = 0 ist instabil und x∗ = N ist gleichmäßig asymptotisch stabil.
Harmonischer Oszillator ẍ + x = 0: (0, 0) ist stabil, jedoch nicht asymptotisch stabil.
Mathematisches Pendel mit Dämpfung: (0, 0) scheint asymptotisch
stabil und (π, 0) scheint instabil zu sein.
Für nichtlineare DGLs werden wird zwei wesentliche Methoden zur Untersuchung der Stabilität kennen lernen, die auf Lyapunov zurückgehen.
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Beliebige Lösungen
Die Stabilitätseigenschaften lassen sich auch für beliebige Lösungen
und nicht nur für Gleichgewichte definieren und untersuchen. Diesen
allgemeinen Fall kann man aber immer auf die Situation für ein Gleichgewicht zurückführen, was nun erläutert wird.
Für τ ∈ (a, ∞) und ξ ∈ G sei ϕ∗ (.) := ϕ(., τ, ξ) eine ausgezeichnete
Lösung des AWPs mit t+ (τ, ξ) = ∞.
Dann stellt sich die Frage, ob für kleine η auch die Lösung ϕ(., τ, ξ +
η) auf ganz [τ, ∞) existiert und nahe ϕ∗ (.) verbleibt (Stabilität) oder
sogar im Sinne von limt→∞ kϕ( t, τ, ξ+η)−ϕ∗ ( t)k = 0 dagegen konvergiert
(Attraktivität).
Die Differenz ∆( t) := ϕ( t, τ, ξ + η) − ϕ∗ ( t) erfüllt nun das AWP
˙ ( t) = f ( t, ϕ∗ ( t) + ∆( t)) − f ( t, ϕ∗ ( t)), ∆(τ) = η.
∆
Obige Frage reduziert sich auf diejenige für die Nulllösung dieses AWPs.
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Beliebige Lösungen
Stabilitätseigenschaften der ausgezeichneten Lösung ϕ∗ (.) für die
DGL ẋ = f ( t, x) sind äquivalent zu den Stabilitätseigenschaften der
Nulllösung der DGL der gestörten Bewegung
ż = g( t, z)
mit dem Vektorfeld
g( t, z) := f ( t, ϕ∗ ( t) + z) − f ( t, ϕ∗ ( t)).
Man verstehe dies als Definition der Stabilitätseigenschaften von ϕ∗ (.).
Überlegen Sie sich, was die Eigenschaften in Definition 1 für die Nulllösung von ż = g( t, z) dann präzise für die Abweichung der gestörten
Lösung ϕ(., τ, ξ + η) von der ausgezeichneten Lösung ϕ∗ (.) = ϕ(., τ, ξ) der
ursprünglichen DGL ẋ = f ( t, x) bedeutet.
Eine sehr detaillierte Diskussion hierzu findet sich in [KK].
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Der Einzugsbereich
Definition 2. Für τ ∈ (a, ∞) heißt
S τ ( x∗ ) := {ξ ∈ G | lim ϕ( t, τ, ξ) = x∗ }
t→∞
der Einzugsbereich von x∗ (zur Anfangszeit τ).
Im Einzugsbereich liegen alle Anfangswerte, von denen aus die jeweilige
Lösung für t → ∞ gegen das Gleichgewicht konvergiert.
Attraktivität von x∗ bedeutet gerade, dass eine ganze Umgebung von
x∗ (für jede Anfangszeit τ ∈ (a, ∞)) im Einzugsbereich von x∗ liegt.
Definition 3. Das Gleichgewicht x∗ heißt global asymptotisch
stabil, wenn x∗ asymptotisch stabil ist und Sτ ( x∗ ) = G für alle τ ∈
(a, ∞) gilt.
Für alle Anfangswerte in G konvergiert dann die jeweilige Lösung für
t → ∞ gegen das Gleichgewicht. Es gibt viele weitere Stabilitätsbegriffe.
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Geschwindigkeit der Konvergenz
Attraktivität sagt nichts darüber aus, wie schnell die Lösung gegen das
Gleichgewicht konvergiert. Eine solche Quantifizierung ist in folgender
Stabilitätseigenschaft enthalten.
Definition 4. Das Gleichgewicht x∗ heißt exponentiell stabil, falls
es zu c > a ein δ > 0 und Konstanten K, α > 0 gibt, so dass für alle
ξ ∈ Bδ ( x∗ ) ∩ G gilt:
kϕ( t, τ, ξ) − x∗ k ≤ K e−α(t−τ) kξ − x∗ k für alle t ≥ τ ≥ c.
Ist dies für alle ξ ∈ G richtig (d.h. man kann δ = ∞ wählen), so heißt
x∗ global exponentiell stabil.
Man sieht leicht:
exponentiell stabil ⇒ gleichmäßig asymptotisch stabil,
sowohl für die lokalen als auch für die globalen Versionen.
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Beispiele
Logistische Gleichung ẋ = α x( N − x) (α > 0, N > 0) mit
ϕ( t, τ, ξ) =
N
´
für ξ > 0.
1 + Nξ − 1 e−α N(t−τ)
³
x∗ = N ist exponentiell stabil.
Es gilt S τ ( N ) = (0, ∞).
Betrachtet man die DGL auf der Menge D = R × G mit G = (0, ∞),
so ist x∗ = N global exponentiell stabil.
ẋ = − x3 mit Gleichgewicht x∗ = 0.
x∗ ist gleichmäßig asymptotisch stabil mit S τ ( x∗ ) = R.
x∗ ist nicht exponentiell stabil.
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Kapitel VI: Stabilität - Begriffe und lineare Systeme
Stabilität im Sinne von Lyapunov/exponentielle Stabilität
Lineare nicht autonome DGLs
Autonome DGLs
Anwendungen auf inhomogene DGLs
Delay-Differentialgleichungen
Lineare DGLs
Mit A ∈ C ((a, ∞), Rn×n ) und r ∈ C ((a, ∞), Rn ) sei nun speziell
ẋ = A ( t) x + r ( t) auf D := (a, ∞) × Rn .
Für jede beliebige Lösung lautet die DGL der gestörten Bewegung nun
ż = A ( t) z.
(2)
Eigenschaften der Stabilität einer beliebigen Lösung der linearen DGL
reduzieren sich also auf diejenigen der Nulllösung der zugehörigen
homogenen DGL (2). Man spricht von der jeweiligen Stabilitätseigenschaft des Systems (2) (statt von derjenigen seiner Nullösung).
Für lineare DGLs ist die (lokale) asymptotische Stabilität äquivalent zur
globalen asymptotischen Stabilität:
Satz 5. Ist ẋ = A ( t) x asymptotisch stabil, so gilt Sτ (0) = Rn für alle
τ ∈ (a, ∞).
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Lineare DGLs
Man kann nun Eigenschaften der Stabilität für lineare DGLs mittels der
Übergangsmatrix charakterisieren.
Satz 6. Die DGL (2) ist genau dann stabil, wenn zu jeder Anfangszeit τ ∈ (a, ∞) eine Konstante K existiert mit
kΦ( t, τ)k ≤ K für alle t ≥ τ.
Die DGL (2) ist genau dann asymptotisch stabil, wenn für jedes
τ ∈ (a, ∞) gilt:
lim Φ( t, τ) = 0.
t→∞
Der Beweis ist eine Übung. Diese Charakterisierung erlaubt leider keine
direkte Verifikation mittels der Untersuchung von A (.). Für autonome
lineare DGLs wird das möglich sein.
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Lineare DGLs
Gleichmäßige Stabilität von (2) ist äquivalent dazu, dass K auf Intervallen der Form [ c, ∞) unabhängig von τ ∈ [ c, ∞) gewählt werden kann.
Überraschend ist nun die Tatsache, dass die gleichmäßige asymptotische
Stabilität bereits exponentielles Abklingen einer jeden Lösung garantiert.
Satz 7. Die DGL (2) ist genau dann gleichmäßig stabil, wenn zu
jedem c ∈ (a, ∞) eine Konstante K gibt mit
kΦ( t, τ)k ≤ K für alle t ≥ τ ≥ c.
Weiter ist das System (2) genau dann gleichmäßig asymptotisch stabil, wenn es exponentiell stabil ist: Für jedes c > a gibt es Konstanten
K und α > 0, so dass gilt:
kΦ( t, τ)k ≤ K e−α(t−τ) für alle t ≥ τ ≥ c.
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Beweis
Wir beweisen nur die nicht triviale Richtung der letzten Aussage. Dazu
nehmen wir an, dass (2) gleichmäßig asymptotisch stabil ist. Wähle zu
c > a ein δ > 0 mit
kϕ( t, τ, ξ)k = kΦ( t, τ)ξk ≤ 1 für t ≥ τ ≥ c, kξk ≤ δ
(gleichmäßige Stabilität). Man kann δ > 0 notfalls soweit verkleinern,
dass zusätzlich ein T > 0 existiert mit
kϕ( t, τ, ξ)k = kΦ( t, τ)ξk ≤
δ
für t ≥ τ + T, τ ≥ c, kξk ≤ δ
2
(gleichmäßige Attraktivität). Für M = 1/δ schließen wir daraus
kΦ( t, τ)k ≤ M für t ≥ τ ≥ c,
kΦ( t, τ)k ≤
1
für t ≥ τ + T, τ ≥ c.
2
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Beweis
Für t ≥ τ ≥ c wählen wir k ∈ N0 mit τ + kT ≤ t ≤ τ + (k + 1)T . Dann folgt
mit der Halbgruppeneigenschaft
Φ( t, τ) = Φ( t, τ + kT )Φ(τ + kT, τ + ( k − 1)T ) · · · Φ(τ + T, τ)
und mit obigen Abschätzungen unter Benutzung von ( t − τ)/T − 1 ≤ k:
kΦ( t, τ)k ≤ M 2−k ≤ 2 M 2−
( t−τ)
T
= K e−α(t−τ)
mit K = 2 M und α = ln(2)/T .
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Reduzible DGLs
Satz 8. Es gebe B ∈ Rn×n und T ∈ C 1 ((a, ∞), Rn×n ) mit det(T ( t)) 6=
0 für t ∈ (a, ∞), so dass gilt:
B = T ( t)−1 [ A ( t)T ( t) − Ṫ ( t)] für t ∈ (a, ∞).
(3)
Sind T und T −1 beschränkt auf (a, ∞), so ist (2) genau dann gleichmäßig (asymptotisch) stabil, wenn dies für ż = Bz gilt.
Dies folgt sofort aus der Tatsache (siehe Seite II-41), dass die Übergangsmatrix von (2) unter obigen Voraussetzungen gegeben ist durch
Φ( t, τ) = T ( t)−1 eB(t−τ) T (τ).
Wir werden sehen, dass sich die Stabilitätseigenschaften von ż = Bz
mittels der Eigenstruktur von B leicht analysieren lassen. Außerdem ist
dieses Resultate auf periodische DGLs immer anwendbar.
Bemerkungen. Einen zeitvariierenden Koordinatenwechsel wie im Satz
genannt nennt man eine Lyapunovtransformation.
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Beispiel
µ
¶
µ
¶
cos( t) sin( t)
0 1
Für T ( t) =
, H=
und jedes B ∈ Rn×n sieht
− sin( t) cos( t)
−1 0
man wegen HT ( t) = T ( t)H und Ṫ ( t) = T ( t)H leicht, dass
A ( t) := T ( t)−1 [BT ( t) − Ṫ ( t)] = T ( t)−1 [B − H ]T ( t)
die Relation (3) erfüllt. Natürlich ist auch T ( t)T T ( t) = I .
Die autonome DGL ż = Bz transformiert sich mit z = T ( t) x nach
ẋ = T ( t)−1 [B − H ]T ( t) x.
Konkretes Beispiel: Für
µ
−1.5 0
B=
0 0. 5
¶
µ
¶
− cos(2 t) − 1/2 − sin(2 t) − 1
ist A ( t) =
.
1 − sin(2 t) cos(2 t) − 1/2
Für jedes τ ∈ R wächst kΦ( t, τ)k exponentiell für t → ∞. Beachte:
µ
¶
−2 −1
eig( A ( t)) = eig(B − H ) = eig
= {−1} für t ∈ R.
1 0
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Kapitel VI: Stabilität - Begriffe und lineare Systeme
Stabilität im Sinne von Lyapunov/exponentielle Stabilität
Lineare nicht autonome DGLs
Autonome DGLs
Anwendungen auf inhomogene DGLs
Delay-Differentialgleichungen
Autonome DGLs
f : G → Rn sei lokal Lipschitz-stetig und f ( x∗ ) = 0 für x∗ ∈ G .
Definition 9. Das Gleichgewicht x∗ von ẋ = f ( x) heißt
stabil, falls es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt, so dass für alle
ξ ∈ Bδ ( x∗ ) ∩ G gilt:
t + (ξ) = ∞ und ϕ( t, ξ) ∈ Bε ( x∗ ) für alle t ≥ 0.
instabil, falls es nicht stabil ist.
attraktiv, falls ein δ > 0 existiert mit
lim ϕ( t, ξ) = x∗
t→∞
für alle ξ ∈ Bδ ( x∗ ) ∩ G .
asymptotisch stabil, falls x∗ stabil und attraktiv ist.
Dies sind alles natürliche Spezialisierungen. Gleichmäßigkeit (in der Anfangszeit) spielt hier naturgemäß keine Rolle mehr.
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Bemerkungen zu autonomen DGLs
Ist ϕ∗ (.) = ϕ(., ξ) eine ausgezeichnete nicht konstante Lösung der autonomen DGL ẋ = f ( x) für ξ ∈ G , so ist die DGL
ż = f (ϕ∗ ( t) + z) − f (ϕ∗ ( t)) = g( t, z)
der gestörten Bewegung nicht autonom.
Ist ϕ∗ ( t) = x∗ für t ∈ R (die ausgezeichnete Lösung also ein Gleichgewicht), so ist die DGL der gestörten Bewegung autonom und lautet
ż = f ( x∗ + z) auf der Menge G − x∗ = { x − x∗ | x ∈ G }.
Daher wird o.B.d.A. oft x∗ = 0 angenommen.
Der Einzugsbereich S ( x∗ ) und globale asymptotische Stabilität sind
wie früher (für τ = 0) definiert.
Benutzt man Definition 1 direkt für die autonome DGL ẋ = f ( x) auf
D = R × G , dann sind Stabilität (Attraktivität) von x∗ äquivalent zur
gleichmäßigen Stabilität (gleichmäßigen Attraktivität) von x∗ .
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Unabhängigkeit der Eigenschaften
Beispiel für attraktives aber instabiles Gleichgewicht (1, 0).
Initial point in blue
1.5
1
x2
0.5
0
−0.5
−1
−1.5
−1.5
−1
−0.5
0
x1
0.5
1
1.5
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Lineare autonome Systeme
Auch für lineare autonome Systeme ẋ = Ax betrachten wir das Gleichgewicht x∗ = 0 (obwohl es weitere gibt, falls A einen Kern hat).
Satz 10. Die Nulllösung von ẋ = Ax ist genau dann asymptotisch
stabil, wenn alle Eigenwerte von A in der offenen linken Halbebene
C− := {λ ∈ C | Re(λ) < 0} liegen.
Zentrale Beobachtung: Stabilität kann algebraisch verifiziert werden,
ohne auch nur eine Lösung zu berechnen.
Erneut sei betont: Ist die Nulllösung asymptotisch stabil, so ist ihr
Einzugsbereich der ganze Rn und sie ist global exponentiell stabil.
Matrizen A ∈ Rn×n mit eig( A ) ⊂ C− heißen Hurwitz.
A ist genau dann Hurwitz, wenn lim ϕ( t, ξ) = 0 für alle ξ ∈ Rn gilt.
t→∞
Ist A Hurwitz, so ist x∗ = 0 das einzige Gleichgewicht von ẋ = Ax.
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Exponentielle Abschätzung
Satz 11. A sei Hurwitz und α > 0 erfülle Re(λ) < −α für alle λ ∈
eig( A ). Dann gibt es eine Konstante K ( ≥ 1) mit
k e At k ≤ K e−α t für alle t ≥ 0.
Beweis. Wir betrachten eαt e At = e(A +α I)t . Wegen Korollar II-6 gilt
e(A +α I)t = S diag(P1 ( t) eµ1 t , . . . , P g ( t) eµ g t )S −1 ;
hier sind µl die Eigenwerte von A + α I und die Einträge von P l ( t) sind
Polynome in t. Wegen eig( A + α I ) = eig( A ) + α haben nach Voraussetzung alle µl negativen Realteil. Daher gilt P l ( t) eµl t → 0 für t → ∞ und
folglich ist P l ( t) eµl t auf [0, ∞) beschränkt. Daher existiert eine Konstante K mit
k e(A +α I)t k ≤ K für alle t ∈ [0, ∞).
Multiplikation mit e−αt liefert die Behauptung.
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Beweis von Satz 10
Ist A Hurwitz, so gibt es K, α > 0 mit k e At k ≤ K e−αt für t ≥ 0.
Dann folgt für jedes ξ ∈ Rn offenbar
kϕ( t, ξ)k = k e At ξk ≤ k e At kkξk ≤ K e−α t kξk für alle t ≥ 0.
(4)
Aufgrund von e−αt ≤ 1 folgt die Stabilität der Nullösung aus
kϕ( t, ξ)k ≤ K kξk für alle t ≥ 0.
Die Attraktivität ergibt sich aus
kϕ( t, ξ)k ≤ K e−α t kξk → 0 für t → ∞.
Da ξ ∈ Rn beliebig gewählt werden kann, ist die Nulllösung sogar global
asymptotisch stabil. Außerdem folgt aus (4) sofort, dass die Nulllösung
global exponentiell stabil ist.
23/63
Beweis von Satz 10
A sei nicht Hurwitz und habe den Eigenwert λ 6∈ C− . Ist w ∈ Cn ein
zugehöriger Eigenvektor, so ist x( t) = eλt w eine komplexe Lösung des
AWPs ẋ = Ax, x(0) = w:
ẋ( t) = λweλ t = Aweλ t = Ax( t) und x(0) = eλ0 w = w.
Wegen k x( t)k = | eλt |kwk = eRe(λ)t kwk und Re(λ) ≥ 0, kwk 6= 0 gilt gewiss nicht lim x( t) = 0. Also folgt, dass entweder lim Re( x( t)) = 0 oder
t→∞
t→∞
lim Im( x( t)) = 0 nicht gilt.
t→∞
Im ersten Fall ist Re( x( t)) eine reelle Lösung von ẋ = Ax, x(0) = Re(w),
die nicht nach Null konvergiert, weshalb die Nullösung der DGL ẋ = Ax
nicht asymptotisch stabil.
Im zweiten Fall argumentiert man analog für Im( x( t)).
24/63
Beispiele
Die Nullösung von ẋ = Ax mit A ∈ R2×2 ist genau dann asymptotisch
stabil, wenn trace( A ) < 0 und det( A ) > 0 gilt.
Ist die Nulllösung von ẋ = Ax mit A ∈ Rn×n asymptotisch stabil, so
gilt trace( A ) < 0 und (−1)n det( A ) > 0. Dies ist nicht hinreichend.
Stabilität einer linearen DGL höherer Ordnung ist erneut im Sinne
der Stabilität der zugehörigen DGL erster Ordnung zu verstehen.
Man mache sich klar, was dies für die Trajektorien genau bedeutet!
Die Nullösung von ẍ + ẋ + x = 0 ist asymptotisch stabil.
Notwendig für die asymptotische Stabilität der Nulllösung von
x(n) + a n−1 x(n−1) + · · · + a 1 ẋ + a 0 x = 0.
ist die Eigenschaft a n−1 > 0, . . . , a 1 > 0, a 0 > 0. Dies ist für n ≤ 2
hinreichend, für n ≥ 3 aber nicht.
25/63
Wichtige Beobachtung
Seite 17 untermauert folgende Bemerkung für A ∈ C (R, Rn×n ):
Die Eigenschaften eig( A ( t)) ⊂ C− für alle t ∈ R impliziert nicht,
dass ẋ = A ( t) x stabil (geschweige denn asymptotisch stabil) ist.
Für die Stabilität genügt selbst folgende schärfere Forderung nicht: Es
gibt ein α > 0 mit eig( A ( t)) ⊂ {λ ∈ C | Re(λ) ≤ −α} für alle t ∈ R.
Weiteres Beispiel: ẍ + 0.2 ẋ + ω( t)2 x = 0 mit ω( t) = 1 + r sin(2 t):
Response in Phase−Plane
2
2
2
0
0
0
−2
−2
−2
−2
0
2
−2
0
2
−2
0
2
Time−Varying ω(t)
2
2
2
1.5
1.5
1.5
1
1
1
0.5
0.5
0.5
0
0
50
r = 0. 1
100
0
0
50
r = 0. 2
100
0
0
50
r = 0.3
100
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Lineare autonome Systeme
Die Stabilität der Nulllösung lässt Eigenwerte auf der imaginären Achse
zu; allerdings müssen die Jordanblöcke zu diesen Eigenwerten klein sein.
Satz 12. Die Nulllösung von ẋ = Ax ist genau dann stabil, wenn alle
Eigenwerte von A in der abgeschlossenen linken Halbebene C− = {λ ∈
C | Re(λ) ≤ 0} liegen und alle Jordanblöcke von A zu Eigenwerten
auf der imaginären Achse C0 = {λ ∈ C | Re(λ) = 0} die Dimension 1
haben.
Eine Charakterisierung der Instabilität ergibt sich aus der Negation
dieser Eigenschaften.
Die Nullösung ist nicht asymptotisch stabil, wenn A mindestens einen
Eigenwert in der abgeschlossenen rechten Halbebene hat.
Feinere Stabilitätsaussagen extrahiert man aus der Betrachtung von
e At mittels der Jordan-Normalform von A .
27/63
Beispiel
Nach Koordinatentransformation bekomme man folgendes System:






ẋ = 




0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0 0 0
1 0 0
0 0 0
0 −1 1
0 0 −1
0 0 0
0 0 0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0






 x, x(0) = ξ.




ϕ(., ξ) ist für t ≥ 0 beschränkt genau dann, wenn gilt
ξ ∈ {ξ ∈ R7 | ξ2 = 0, ξ3 = 0, ξ6 = 0} = im( e 1 e 4 e 5 e 7 ).
ϕ(., ξ) → 0 für t → ∞ genau dann, wenn gilt
ξ ∈ {ξ ∈ R7 | ξ1 = 0, ξ2 = 0, ξ3 = 0, ξ6 = 0, ξ7 = 0} = im( e 4 e 5 ).
Der Einzugsbereich der Nulllösung ist ein Unterraum.
28/63
Example: Consensus
Suppose you are given N particles in the plane with position xk ∈ R2
that move according to the dynamics
ẋk =
N
X
a k,l ( xl − xk ), k = 1, . . . , N.
l =1
Hence each particle’s velocity equals the (weighted) average of the relative positions with respect to few other particles. The matrix A with
entries a k,l encodes which particles are taken into account in the averaging. A is assumed to be symmetric and to have only the entries 1
or 0. (If particle k takes l into account then l also looks at k.) Hence
particle k communicates with
dk =
N
X
a k,l
l =1
other particles. It is assumed that d k > 0 for all k = 1, . . . , N . Define
D = diag( d 1 , . . . , d N ) and L = D − A .
29/63
Example: Consensus
Show that L is symmetric and positive semi-definite.
If e is the vector consisting of all ones, show that Le = 0.
Collect all first components of xk for k = 1, . . . , N into the vector
y and all second components of xk into z. Show that the system
dynamics is described by ẏ = −L y and ż = −Lz.
Show that all solutions y( t) and z( t) converge for t → ∞.
Show that e T y( t) and e T z( t) stay constant for all solutions.
Assume that L has a null-space of dimension one. Show that the
particles reach consensus: They converge to a point where all components of y and z are equal to each other.
Argue that a consensus point is the average of the initial conditions.
30/63
Example: Consensus
It is obvious that L is symmetric. With z ∈ R N we have
z T Lz =
XX
k
z k l k,l z l =
l
X
k
z2k
X
a k,l −
l
X
a k,l z k z l =
k,l
X
1 X 2X
1X 2X
a k,l − a k,l z k z l =
z k a k,l +
zl
2 k
2 l
l
k
k,l
1X 2
1X
( z k − 2 z k z l + z2l )a k,l =
( z k − z l )2 a k,l ≥ 0.
2 k,l
2 k,l
This sum-of-squares property shows that L is positive semi-definite.
This is obvious: Le = diag( Ae) e − Ae = Ae − Ae = 0.
We have
ẏk =
N
X
l =1
a k,l ( yl − yk ) =
N
X
l =1
a k,l yl −
N
X
l =1
a k,l yk =
N
X
a k,l yl − d k yk .
l =1
This implies ẏ = −L y, and the same argument applies to z.
31/63
Example: Consensus
L is positive semi-definite and hence all its eigenvalues are real and
non-negative. Moreover all Jordan blocks are of dimension one. Therefore the elements of e−Lt consist of linear combinations of terms
such as eλt where λ is a negative eigenvalue of −L, or of constants.
This proves convergence.
d T
T
T
dt e y( t) = e ẏ( t) = e L y( t) = 0.
Hence e T y( t) is constant, and the
same argument applies to z( t).
The limit y0 of y( t) must satisfy L y0 = 0. Since Le = 0 and since
dim( N (L)) = 1, we infer that y0 = α e for some α ∈ R. Hence all
components of y0 are equal to α. Morover, all components of the
limit z0 of z( t) are equal to β. Thus all particles converge to (α, β)T .
We infer that e T y(0) = e T y0 = e T eα = N α and thus α =
The same holds for z(0).
1 T
N e y(0).
32/63
Kapitel VI: Stabilität - Begriffe und lineare Systeme
Stabilität im Sinne von Lyapunov/exponentielle Stabilität
Lineare nicht autonome DGLs
Autonome DGLs
Anwendungen auf inhomogene DGLs
Delay-Differentialgleichungen
Anwendung I
Mit einer Hurwitz-Matrix A betrachten wir das AWP
ẋ = Ax + r ( t), x(0) = ξ mit k r ( t)k ≤ β für t ≥ 0.
Mit der Abschätzung aus Satz 20 folgt für t ≥ 0:
kϕ( t, ξ)k ≤ k e At ξk +
≤ Ke
−α t
t
Z
0
k e A(t−s) kk r ( s)k ds ≤
kξk +
t
Z
Ke
−α(t− s)
0
β ds = K e
−α t
µ
kξk −
β
α
¶
+
Kβ
.
α
Diese liefert eine explizite Abschätzung der Norm der Lösung auf [0, ∞)
in Abhängigkeit von K , α (Eigenschaften von A ), der Schranke β an
die Anregungsfunktion und der Norm des Startvektors ξ.
Die Lösung ϕ(., ξ) des AWPs ist beschränkt mit
Kβ
kϕ( t, ξ)k ≤ max K kξk,
α
½
¾
für t ≥ 0.
33/63
Anwendung II
Satz 13. A : R → Rn×n , r : R → Rn seien stetig und T -periodisch;
für alle Floquetmultiplikatoren µ ∈ C von ẋ = A ( t) x gelte |µ| < 1.
Dann hat ẋ = A ( t) x + r ( t) eine eindeutige T -periodische Lösung ϕ∗ (.)
und es gibt K , α > 0, so dass für alle Lösungen ϕ(.) gilt:
kϕ( t) − ϕ∗ ( t)k ≤ K e−α t kϕ(0) − ϕ∗ (0)k für t ≥ 0.
Beweis. Die Existenz von ϕ∗ (.) folgt aus Satz II-28. Ist ϕ(.) eine beliebige Lösung, so erfüllt ∆( t) := ϕ( t) − ϕ∗ ( t) die DGL ẋ = A ( t) x. Mit
P (.) aus Satz II-21 löst z( t) := P ( t)−1 ∆( t) gemäß Seite II-71 die DGL
ż = Lz. Nun ist eig( e LT ) die Menge der Floquetmultiplikatoren des homogenen Systems und L ist Hurwitz (warum?). Es gibt K̃ , α > 0 mit
k e Lt k ≤ K̃ e−α t für t ≥ 0 (Satz 20). Mit M := sup t≥0 kP ( t)k folgt
k∆( t)k ≤ M k z( t)k ≤ M k e Lt z(0)k ≤ M K̃ e−α t k z(0)k
≤ M kP (0)−1 kK̃ e−α t k∆(0)k für t ≥ 0.
34/63
Beispiel mit A (.) von Seite 17 (asymptotisch stabil)
Beispiel für B = diag(−2.2, −0.2) und mit r ( t) = col(sin( t), 1):
Initial point in blue
3
2
x2
1
0
−1
−2
−3
−3
−2
−1
0
x1
1
2
3
5
10
15
t
20
25
30
3
2
x(t)
1
0
−1
−2
−3
0
35/63
Beispiel mit A (.) von Seite 17 (randstabil)
Beispiel für B = diag(−2, 0) und mit r ( t) = col(sin( t), 1):
Initial point in blue
15
10
x2
5
0
−5
−10
−15
−15
−10
−5
0
x
5
10
15
15
t
20
25
30
1
15
10
x(t)
5
0
−5
−10
−15
0
5
10
36/63
Beispiel mit A (.) von Seite 17 (randstabil)
Beispiel für B = diag(−2, 0) und mit r ( t) = col(cos( t), 1):
Initial point in blue
4
x2
2
0
−2
−4
−3
−2
−1
0
x1
1
2
3
5
10
15
t
20
25
30
4
x(t)
2
0
−2
−4
0
37/63
Beispiel mit A (.) von Seite 17 (instabil)
Beispiel für B = diag(−1.0, 0.1) und mit r ( t) = col(sin( t), 1):
Initial point in blue
20
10
x2
0
−10
−20
−30
−30
−20
−10
0
x
10
20
30
1
30
20
x(t)
10
0
−10
−20
−30
0
2
4
6
8
10
t
12
14
16
18
20
38/63
Anwendung III
Im folgenden Resultat erfülle die DGL die Generalvoraussetzung des EES
auf einer offenen Menge, die [0, ∞) × { x ∈ Rn | k xk ≤ R } enthält.
Satz 14. Es sei ϕ( t, ξ) die Lösung von
ẋ = Ax + r ( t, x), x(0) = ξ.
Weiter sei mit K ≥ 1, α > 0 und R > 0, γ ≥ 0:
k e At k ≤ K e−α t für alle t ≥ 0.
k r ( t, x)k ≤ γk xk für t ≥ 0 und k xk ≤ R .
K γ < α.
Für alle ξ ∈ Rn mit kξk < R /K gilt dann für die Lösung:
kϕ( t, ξ)k ≤ K kξk e−(α−K γ)t für t ≥ 0.
Dies liefert eine exponentielle Stabilitätsaussage für die Nulllösung mit
expliziter Angabe einer Kugel im Einzugsbereich.
39/63
Zentrale Beweisidee
Es sei t ∈ [0, t+ ). Wegen K ≥ 1 gilt offenbar R /K ≤ R , also
ϕ̇( t, ξ) = A ϕ( t, ξ) + r ( t, ϕ( t, ξ)) und kϕ(0, ξ)k = kξk < R.
Mit Variation-der-Konstanten folgt hieraus die Integralgleichung
ϕ( t, ξ) = e
At
ξ+
t
Z
0
e A(t−s) r ( s, ϕ( s, ξ)) ds
und somit
kϕ( t, ξ)k ≤ K e
−α t
kξ k +
Z
t
0
K e−α(t−s) k r ( s, ϕ( s, ξ))k ds,
(5)
also
eα t kϕ( t, ξ)k ≤ K kξk + K
t
Z
0
eαs k r ( s, ϕ( s, ξ))k ds.
40/63
Zentrale Beweisidee
Solange kϕ(s, ξ)k ≤ R für s ∈ [0, t] gilt, können wir die Annahme an r (., .)
benutzen und erhalten
αt
e kϕ( t, ξ)k ≤ K kξk + K γ
Z
0
t
eαs kϕ( s, ξ)k ds.
Gronwall angewendet für die Funktion t → eαt kϕ( t, ξ)k liefert
eα t kϕ( t, ξ)k ≤ K kξk e K γ t
und deshalb schließlich
kϕ( t, ξ)k ≤ K kξk e(K γ−α)t .
41/63
Technischer Abschluss des Beweises
Die Herleitung dieser Abschätzung war also recht elementar. Es bleibt
zu zeigen, dass diese Ungleichung für alle t ≥ 0 richtig ist. Dazu zeigen
wir kϕ( t, ξ)k ≤ R für alle t ≥ 0 mit einem Widerspruchsargument:
Angenommen, es gäbe ein t ≥ 0 mit kϕ( t, ξ)k > R . Wegen kϕ(0, ξ)k < R
gibt es aus Stetigkeitsgründen ein kleinstes t∗ ≥ 0 mit kϕ( t∗ , ξ)k = R ,
was dann kϕ(s, ξ)k ≤ R für s ∈ [0, t∗ ] nach sich zieht. Wir dürfen also
obige Abschätzung für t ∈ [0, t∗ ] benutzen und erhalten
kϕ( t ∗ , ξ)k ≤ K kξk e(K γ−α)t∗ < R
wegen K kξk < R und (K γ − α) t∗ ≤ 0. Widerspruch zu kϕ( t∗ , ξ)k = R .
Wir folgern kϕ( t, ξ)k ≤ R für alle t ∈ [0, t+ ). Nach Annahme über das
Definitionsgebiet D der DGL bewahrt ( t, ϕ( t, ξ)) auf kompakten Zeitintervallen also Abstand zum Rand von D , was t+ = ∞ liefert.
42/63
Kapitel VI: Stabilität - Begriffe und lineare Systeme
Stabilität im Sinne von Lyapunov/exponentielle Stabilität
Lineare nicht autonome DGLs
Autonome DGLs
Anwendungen auf inhomogene DGLs
Delay-Differentialgleichungen
Delay-Differentialgleichungen
Sie duschen und wollen eine Temperatur T d einstellen. Dazu messen Sie
zur Zeit t die austretende Wassertemperatur T a ( t) und korrigieren die
Zuflusstemperatur T ( t) proportional zu T d − T a ( t). Ein Modell:
Ṫ ( t) = a(T d − T a ( t)) mit einem Faktor a > 0.
Ist T a ( t) = T ( t), so folgt sofort limt→∞ T ( t) = T d .
Wegen der Zeitverzögerung des Wasserflusses vom Regler zum Duschkopf ist folgender Ansatz mit einer Verzögerungszeit r > 0 realistischer:
T a ( t) = T ( t − r ).
Damit bekommen wir eine Delay-Differentialgleichung
Ṫ ( t) = a(T d − T ( t − r )).
Derartige Verzögerungseffekte treten praktisch in allen verkoppelten
dynamischen Systemen auf, werden aber oft venachlässigt.
43/63
Delay-Differentialgleichungen
Delays können Instabilitäten verursachen: Sei a = 1 und T d = 35:
80
r=0
r=1
r=1.5
r=1.5707
60
40
20
0
−20
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
Laplace-Transformation der homogenen DGL Ṫ ( t) = −aT ( t − r ) liefert
s T̂ ( s) = −ae−rs T̂ ( s). Die charakteristische Gleichung ist
s + ae−rs = 0.
Alle Nullstellen für r < 1.5707 sind in C− , während für r ≈ 1.5707 eine
Nullstelle auf C0 liegt. Weshalb führt dies zur Instabilität?
44/63
Delay-Differentialgleichungen
Exemplarisch betrachten wir für A, B ∈ Rn×n , f ∈ C ([0, ∞), Rn ) und
dem Delay r > 0 die DGL
ẋ( t) = Ax( t) + Bx( t − r ) + f ( t) für t ∈ [0, ∞).
(6)
ϕ ∈ C ([− r, ∞), Rn ) heißt Lösung, falls ϕ auf [0, ∞) (in 0 rechtsseitig)
stetig differenzierbar ist und dieser DGL genügt.
Für jede Lösung gilt für ν = 0, 1, 2, . . . und t ∈ [ν r, (ν + 1) r ] offenbar
ϕ( t) = e A(t−νr) ϕ(ν r ) +
Z
t
νr
e A(t−s) [Bϕ( s − r ) + f ( s)] ds für
Ist also ϕ(.) auf dem Intervall [(ν − 1)r, ν r ] bekannt, so ist ϕ(.) auf
[ν r, (ν + 1) r ] bereits eindeutig festgelegt; auf [− r, 0] ist ϕ(.) frei.
Zu beliebigem ξ ∈ C ([−r, 0], Rn ) sei nun ϕ( t) = ξ( t) für t ∈ [−r, 0]. Mittels
obiger Rekursion kann man dann eine eindeutige Lösung ϕ(.) der DGL
(6) konstruieren, die die Eigenschaft ϕ|[−r,0] = ξ hat.
45/63
EES und Wachstumsschranke
Satz 15. Unter den genannten Voraussetzungen gibt es zu jedem ξ ∈
C ([− r, 0], Rn ) genau eine Lösung ϕ(., ξ, f ) der DGL (6), die folgender
Anfangsbedingung genügt:
ϕ( t, ξ, f ) = ξ( t) für t ∈ [− r, 0].
ϕ(., ξ, f ) ist auch in t = 0 genau dann differenzierbar, wenn ξ(.) in t = 0
links-differenzierbar ist und folgende Randwertbedingung gilt:
ξ̇(0) = A ξ(0) + Bξ(− r ) + f (0).
Satz 16. Unter den Voraussetzungen von Satz 15 gibt es positive
Konstanten K, α ∈ R mit
kϕ( t, ξ, f )k ≤ K eα t
Ã
sup kξ( t)k +
t∈[− r,0]
Z
0
!
t
k f ( s)k ds
für t ≥ 0.
46/63
Beweis
Nach Integration von (6) für ϕ(.) = ϕ(., ξ, f ) bekommen wir mit kξk∞ =
sup t∈[−r,0] kξ( t)k für t ≥ 0:
kϕ( t)k ≤ kϕ(0)k +
≤ kξ(0)k +
Z
0
Z
0
t
k A ϕ( s) + Bϕ( s − r ) + f ( s)k ds ≤
t
k A ϕ( s)k ds +
≤ (1 + kBk r )kξk∞ +
Z
t
−r
kBϕ( s)k ds +
t
Z
0
Z
k f ( s)k ds +
0
t
Z
0
k f ( s)k ds ≤
t
(k A k + kBk)kϕ( s)k ds.
Mit Gronwall und α = k A k + kBk folgt wegen 1 ≤ 1 + kBkr für t ≥ 0:
·
¸
Z t
kϕ( t)k ≤ (1 + kBk r )kξk∞ +
k f ( s)k ds eα t ≤
0
·
¸
Z t
≤ (1 + kBk r ) kξk∞ +
k f ( s)k ds eα t .
0
Dies beweist die Behauptung.
47/63
Folgerung
Wegen Satz 15 sieht man sofort, dass ϕ(., ξ, f ) linear von (ξ, f ) abhängt. Die DGL definiert daher eine lineare Abbildung
C ([− r, 0], Rn ) × C ([0, ∞), Rn ) → C 1 ([0, ∞), Rn ),
(ξ, f ) → ϕ(., ξ, f ).
Für jedes feste T > 0 liefert dies auch eine lineare Abbildung
C ([− r, 0], Rn ) × C ([0, T ], Rn ) 3 (ξ, f ) → ϕ(., ξ, f ) ∈ C 1 ([0, T ], Rn ).
Mit der Norm
k f kT,∞ := sup k x( t)k für f ∈ C ([0, T ], Rn )
t∈[0,T]
haben wir wegen des letzten Satzes offenbar
kϕ(., ξ, f )kT,∞ ≤ K eαT kξk∞ + K eαT T k f kT,∞ ,
weshalb diese lineare Abbildung mit den gewählten Normen stetig ist.
48/63
Die charakteristische Gleichung
Definition 17. Man nennt
det( sI − A − Be−sr ) = 0
(7)
die zu (6) gehörige charakteristische Gleichung.
Für ẋ = Ax lautet die charakteristische Gleichung det( sI − A ) = 0.
Lemma 18. Ist (λk )k∈N eine Folge von Lösungen der Gleichung (7)
mit |λk | → ∞ für k → ∞, so folgt Re(λk ) → −∞ für k → ∞.
Dies impliziert folgende Eigenschaften für die Lösungsmenge von (7):
In jeder Halbebene Hβ := {s ∈ C | Re(s) ≥ β} (β ∈ R beliebig) liegen
nur endlich viele Lösungen von (7). Dies gilt dann natürlich auch für
jeden vertikalen Streifen in C.
Als offensichtliche Konsequenz gibt es also eine Zahl α ∈ R, so dass
alle Lösungen λ von (7) die Eigenschaft Re(λ) ≤ α haben.
49/63
Beweis
Zu jedem k ∈ N existiert ein Vektor wk ∈ Cn mit kwk k = 1 und (λk I −
A − Be−λk r )wk = 0. Dies impliziert
kBk e−Re(λk )r ≥ kBwk k e−Re(λk )r = k(λk I − A )wk k ≥ |λk | − k A k.
Wegen λk → ∞ für k → ∞ existiert ein k0 ∈ N, so dass die rechte Seite
für alle k ≥ k0 positiv ist; also ist kBk 6= 0. Dies impliziert
e−Re(λk )r → ∞ für k → ∞,
also Re(λk ) → −∞ für k → ∞ wegen r > 0. Dies beweist Lemma 18.
Nun ist f (s) = det(sI − A − Be−sr ) eine ganze Funktion und besitzt in
jeder kompakten Teilmenge von C höchstens endlich viele Nullstellen.
Für β ∈ R beinhaltet Hβ := {s ∈ C | Re(s) ≥ β} also nur endlich viele
Nullstellen, denn ansonsten gäbe es eine Folge λk ∈ Hβ mit f (λk ) = 0,
die wegen des gerade Gesagten die Eigenschaft |λk | → ∞ für k → ∞
haben muss; dies widerspricht Lemma 18.
50/63
Beispiel
π
Nullstellen von s + e− 2 s :
400
200
0
−200
−400
−0.6
−0.5
−0.4
−0.3
−0.2
−0.1
0
51/63
Die Fundamentallösung
Für f = 0 sei X (.) die Lösung der DGL (6) mit der nur stückweise
stetigen Anfangsbedingung (aber definiert genau wie oben):
X ( t) = 0 für t ∈ [− r, 0) und X (0) = I n .
Gemäß Satz 16 existieren Konstanten K, α ∈ R mit
k X ( t)k ≤ K eα t für t ≥ 0.
(8)
Somit ist X (.) exponentiell beschränkt und R-integrierbar, besitzt also
eine Laplace-Transfomierte X̂ (.) auf Hα = {s ∈ C | Re(s) > α}.
Satz 19. Die Laplace-Transformierte von X (.) ist gegeben durch
X̂ ( s) = ( sI − A − Be−rs )−1 .
Beweis. Transformation der homogenen DGL liefert (Sätze III-12/17):
s X̂ ( s) − X (0+) = A X̂ ( s) + B X̂ ( s) e−rs .
Aus X (0+) = I n folgt durch Auflösung nach X̂ (s) die Behauptung.
52/63
Die Fundamentallösung
Wie klein kann man nun α in (8) wählen?
Satz 20. Es sei α0 = max{Re(s) | det( sI − A − Be−rs ) = 0}. Dann
gibt es zu jedem α > α0 ein K mit k X ( t)k ≤ K eαt für t ≥ 0.
Beweis. Ist x > α genügend gross, so ergibt Satz III-16:
Z
X ( t) =
e st X̂ ( s) ds.
(x)
Wir zeigen zunächst
Z
(α)
st
Z
e X̂ ( s) ds =
e st X̂ ( s) ds.
(9)
(x)
x
Mit ΓαΩ = {α+ i ω | ω ∈ [−Ω, Ω]}, ΓΩ
= { x+ i ω | ω ∈ [−Ω, Ω]} und Γ+
= {r +
Ω
i Ω | r ∈ [α, x]}, Γ−
Ω = { r − i Ω | r ∈ [α, x]} gilt aufgrund des Cauchy’schen
Integralsatzes
Z
st
Γα
Ω
e X̂ ( s) ds +
Z
Γ+
Ω
st
e X̂ ( s) ds =
Z
st
Γ−
Ω
e X̂ ( s) ds +
Z
x
ΓΩ
e st X̂ ( s) ds.
53/63
Beweis
Es genügt als der Nachweis von
Z
lim
Ω→∞
Γ+
Ω
st
e X̂ ( s) ds = 0 und
Z
lim
Ω→∞
Γ−
Ω
e st X̂ ( s) ds = 0.
(10)
Wir betrachten für s 6= 0 nun
1
1
X̂ ( s) = ( I − [ A + Be−rs ])−1 .
s
s
Für alle s ∈ [α, x] + i [Ω0 , ∞) (Ω0 > 0) ist | e−rs | beschränkt durch e−αr
und es gilt |1/s| ≤ 1/Ω0 ; also können wir Ω0 > 0 so fixieren, dass für
alle dies s auch k 1s [ A + Be−rs ]k ≤ 1/2 gilt. Aufgrund des Banach’schen
Störungslemmas folgt dann
k X̂ ( s)k ≤
2
für alle s ∈ [α, x] + i Ω, Ω ≥ Ω0 .
Ω
Dies liefert offenbar
°Z
°
°
° 2
°
°
st
e
X̂
(
s
)
ds
°
° ≤ e xt ( x − α) → 0 für Ω → ∞, Ω ≥ Ω0 .
° Γ+
° Ω
Ω
Dies zeigt die erste Eigenschaft in (10) und die Zweite folgt analog.
54/63
Beweis
Für s = α + i Ω und |Ω| ≥ Ω0 bekommen wir wegen | s − α0 | ≥ Ω auch
°
° °
°
− rs
°
° °
°
° X̂ ( s) − 1 I ° = ° X̂ ( s) A + Be − α0 I ° ≤ 2K
°
°
°
° Ω2
s −α
s−α
0
0
+ |α0 |. Dies impliziert
°
°
°
°
° X̂ ( s) − 1 I ° ds < ∞.
°
s −α °
mit der Konstanten K = k A k + kBk e
Z
(α)
−α r
0
Also existiert eine Konstante K 1 ≥ 0 mit
°Z
°
°
°
¸ °
°
1
αt
e X̂ ( s) −
I ds°
für alle t ≥ 0.
° ≤ K1 e
s
−
α
(α)
0
R
Man sieht leicht, dass (α) s−1α0 ds existiert und endlich ist. Also gibt es
st
·
ein K 2 ≥ 0 mit
°Z
°
°
°
°
°
1
e
I ds°
≤ K 2 eα t für alle t ≥ 0.
°
s −α0
(α)
°R
°
Dies impliziert k X ( t)k = ° (α) e st X̂ (s) ds° ≤ (K 1 + K 2 ) eαt für t ≥ 0.
st
55/63
Variation-der-Konstanten Formel
Satz 21. Unter den Voraussetzung des Satzes (15) und mit der
Fundamentallösung X (.) gelten
ϕ( t, ξ, f ) = ϕ( t, ξ, 0) +
Z
0
t
X ( t − τ) f (τ) d τ für t ≥ 0
und
ϕ( t, ξ, 0) = X ( t)ξ(0) +
Z
0
−r
X ( t − r − τ)Bξ(τ) d τ für t ≥ 0.
Dies sind die früher gewonnenen Analoga der Darstellung der Lösung
des AWPs in Satz 15, wiederum aufgesplittet in die allgemeine Lösung
der homogenen DGL und eine spezielle Lösung der inhomogenen DGL.
Letztere kann erneut durch Faltung von X (.) mit der Inhomogenität
f (.) darstellt werden. Auch die Linearität von ϕ(., ξ, 0) in ξ ist abzulesen,
wobei der ersten Term die Auswertung ξ(0) benötigt, während der zweite
Term einen Fredholm’schen Integraloperator involviert.
56/63
Beweis Satz 21
Aufgrund der Linearität von ϕ(., ξ, f ) in (ξ, f ) genügt es zu zeigen, dass
Z
y( t) :=
0
t
X ( t − τ) f (τ) d τ
eine Lösung der DGL zum Anfangswert ξ(.) = 0 darstellt.
Für t ∈ [−r, 0) und τ ∈ [ t, 0] ist −r ≤ t − τ < 0, also X ( t − τ) = 0. Aus
Stetigkeitsgründen folgt y( t) = 0 für alle t ∈ [−r, 0].
Weiter ist für t ≥ 0:
t
Z
ẏ( t) = f ( t) +
0
Ẋ ( t − τ) f (τ) d τ =
Z
= f ( t) +
0
t
[ A X ( t − τ) f (τ) + BX ( t − r − τ)] f (τ) d τ =
= f ( t) + A y( t) + B y( t − r ).
Daraus folgt die erste Behauptung.
57/63
Beweis Satz 21
Sei ϕ( t) := ϕ( t, ξ, 0) eine Abkürzung. Aufgrund von
Z
∞
e
0
− st
ϕ( t − r ) dt = e
− sr
∞
Z
0
=e
e−s(t−r) ϕ( t − r ) dt =
− sr
·Z
0
e
−r
− sτ
ξ(τ) d τ +
Z
∞
e
0
− sτ
ϕ(τ) d τ
¸
folgt aus der homogenen DGL durch Laplace-Transformation:
sϕ̂( s) = ϕ(0) + A ϕ̂( s) + Be
− rs
ϕ̂( s) + B
0
Z
−r
e−s(r+τ) ξ(τ) d τ.
Dies ergibt mit X̂ (s) = (sI − A − Be−rs )−1 natürlich
ϕ̂( s) = X̂ ( s)ϕ(0) + X̂ ( s)Bψ( s) mit ψ( s) :=
Z
r
0
e − s τ ξ (τ − r ) d τ .
(11)
Wir setzen ξ durch ξ( t) = 0 für t > 0 fort. Dann ist aufgrund von
ψ( s) =
∞
Z
0
e−sτ ξ(τ − r ) d τ
die Funktion ψ(.) die Laplace-Transformierte von ξ(. − r ).
58/63
Beweis Satz 21
Wegen des Faltungssatzes ist also X̂ (s)Bψ(s) die L-Transfomierte von
t
Z
t→
0
X ( t − τ ) B ξ (τ − r ) d τ .
Sei t ∈ [0, r ). Dann gilt für τ ∈ ( t, r ] offenbar −r ≤ t −τ < 0, also X ( t −τ) =
0 und daher
Z
0
t
X ( t − τ)Bξ(τ − r ) d τ =
Z
0
r
X ( t − τ)Bξ(τ − r ) d τ.
Wegen ξ(τ − r ) = 0 für τ > r gilt dies auch für t ≥ r , und somit für alle
t ≥ 0. Die inverse L-Transformierte von X̂ ( s)Bψ( s) ist also die Funktion
r
Z
0
X ( t − τ)Bξ(τ − r ) d τ =
Z
0
−r
X ( t − r − τ)Bξ(τ) d τ, t ≥ 0.
Wegen (11) besitzt also die inverse L-Transformierte von ϕ̂(s) die behauptete Darstellung.
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Stabilität
Mittels Satz 21 und der Exponentialabschätzung für X (.) aus Satz 20
können wir erneut Abschätzungen wie auf Seite 33 gewinnen. Wir wollen
nur folgendes spezielle Stabilitätsresultat für die zu (6) gehörige homogenen DGL herausgreifen.
Satz 22. Unter den Voraussetzung von Satz 15 gilt
lim ϕ( t, ξ, 0) = 0 für alle ξ ∈ C ([− r, 0], Rn )
t→∞
(12)
genau dann, wenn alle Nullstellen der charakteristischen Gleichung
in C− liegen: {s ∈ C | det( sI − A − Be−rs ) = 0} ⊂ C− .
Mit α0 aus Satz 20 gibt es für jedes α > α0 sogar ein K , so dass gilt:
kϕ( t, ξ, 0)k ≤ K eα t sup kξ(τ)k für alle t ≥ 0.
τ∈[− r,0]
Liegen die Nullstellen der charakteristischen Gleichung in C− , so kann
man α ∈ (α0 , 0) wählen und die Konvergenz in (12) ist gar exponentiell.
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Beweis Satz 22
{ s ∈ C | det( sI − A − Be−rs ) = 0} ⊂ C− impliziert α0 < 0. Wählt man
α ∈ (α0 , 0) und K aus Satz 20, so folgt mit kξk∞ := supτ∈[−r,0] kξ(τ)k
und unter Zuhilfenahme von Satz 21:
kϕ( t, ξ, 0)k ≤ K e
−α t
kξ(0)k + kBk kξk∞
Z
0
−r
K e−α(t−r−τ) d τ ≤
·
¸
kB k α r
−α t
≤ K kξk∞ e
1+
( e − 1) ≤ K̃ e−α t kξk∞ .
α
Dies impliziert (12).
Umgekehrt sei α0 ≥ 0. Dann existieren λ ∈ C, w ∈ Cn mit Re(λ) ≥ 0,
w 6= 0, die (λ I − A − Be−rλ )w = 0 erfüllen. Erneut ist ϕ( t) := eλ t w eine
komplexe Lösung der homogenen DGL, denn
ϕ̇( t) = λweλ t = ( Aw + Bwe−rλ ) eλ t = A ϕ( t) + Bϕ( t − r ) für t ∈ R.
Dann sind Re(ϕ(.)) und Im(ϕ(.)) reelle Lösungen, von denen mindestens
eine für t → ∞ nicht gegen 0 konvergiert.
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Beispiel
Wir kommen zurück auf die DGL ẋ( t) = − x( t − r ) + T d von Seite 44. Eine
spezielle Lösung ist ϕs ( t) = T d . Für jede andere Lösung ϕ(.) erfüllt ∆( t) =
ϕ( t) − ϕs ( t) die homogene DGL ẋ( t) = − x( t − r ) mit charakteristischer
Gleichung s + e−rs = 0. Mit s = α + i ω ist diese Gleichung äquivalent zu
α + e−rα cos( r ω) = 0, ω − e−rα sin( r ω) = 0.
Aus Symmetriegründen betrachten wir nur Nullstellen mit ω ≥ 0.
Ist r ∈ (0, π/2), so existiert keine Nullstelle mit α ≥ 0 und für alle Lösungen gilt limt→∞ ϕ( t) = T d : Andernfalls folgte r ω ≥ π/2 aus
π
cos( r ω) = −α e rα ≤ 0, was wegen sin( r ω) = ω e rα ≥ 2r
> 1 ein Widerspruch ist.
Für r = π/2 ist α = 0, ω = 1 eine Nullstelle und ϕ( t) := T d + e± it w für
w ∈ C sind 2π-periodische Lösungen der DGL.
Für r > π/2 gibt es Nullstellen in C0 ∪ C+ .
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Beispiel
Wir setzen x = r ω und y = r α und erhalten
y + re− y cos( x) = 0, x − re− y sin( x) = 0.
Für x ∈ [0, π) ist dies äquivalent zu
x
x
= 0, re− y =
.
tan( x)
sin( x)
Aufgrund der Forderung y ≥ 0 schränken ein auf x ∈ (π/2, π), so dass
y+
die erste Gleichung für jedes derartige x eine positive Lösung besitzt. Es
bleibt zu zeigen, dass
x
x
e− tan(x)
sin( x)
eine Lösung x ∈ (π/2, π) besitzt. Für x → π/2 strebt die rechte Seite
r=
gegen π/2 und für x → π strebt sie gegen ∞; aus Stetigkeitsgründen ist
also die Existenz einer Lösung gesichert.
Dies beweist die letzte Behauptung.
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