Einführung in die Zahlentheorie Jörn Steuding Uni Wü, SoSe 2015 I Zahlen II Modulare Arithmetik III Quadratische Reste IV Diophantische Gleichungen V Quadratische Formen Wir behandeln die ’wesentliche Zahlentheorie’ bis einschließlich 1801 (Erscheinungsjahr der ’Disquistiones Arithmeticae’ von Gauß). Die Kapitel I, II und III sind relevant für das gymnasiale Lehramt. V. Quadratische Formen Eine quadratische Form ist gegeben durch ein homogenes quadratisches Polynom in mehreren Veränderlichen (vgl. Pellsche Gleichung, Summen von Quadraten). Die zentrale Fragestellung ist: Welche ganzen Zahlen (oder Primzahlen) lassen sich durch eine vorgelegte Form darstellen? Diese Theorie wurde weitgehend von Lagrange, Legendre, Gauß und später Dirichlet, Hermite und Minkowski entwickelt. 18. Binäre quadratische Formen 19. Reduktionstheorie 20. Ausblick: Formen höheren Grades §18. Binäre quadratische Formen Gegeben ganze Zahlen a, b, c notieren wir die quadratische Form Q als (a, b, c) : (X , Y ) 7→ aX 2 + bXY + cY 2 bzw. in der Sprache der linearen Algebra mit Hilfe einer symmetrischen Matrix als X a b/2 t Q[X , Y ] = X Q X mit Q = , X= . b/2 c Y §18. Binäre quadratische Formen Definitheit D := D(Q) := b2 − 4ac (= −4 det Q) heißt Diskriminante von Q = (a, b, c). Ferner ist Q positiv definit, wenn Q[x, y ] nur positive Werte für (x, y ) 6= (0, 0) annimmt; nimmt sie hingegen nur negative Werte an, heißt sie negativ definit und ansonsten indefinit. Im Folgenden sei stets a > 0. Satz 18.1. Ist D ein Quadrat, so lässt sich Q in ein Produkt zweier rationaler Linearformen faktorisieren: √ −b + D 2 2 aX +bXY +cY = a(X −ζY )(X −ζY ) mit ζ = ζ(a,b,c) := 2a und dem Konjugierten ζ. Ist D < 0, so ist Q positiv definit; für D > 0 hingegen ist Q indefinit (und nimmt sowohl positive als auch negative Werte an). Die Faktorisierung besteht auch für Nicht-Quadrate D, allerdings ist dann ζ quadratisch irrational! §18. Binäre quadratische Formen Äquivalenz Zwei Formen Xt QX und Xt Q̃X heißen äquivalent, wenn Q̃ = At QA mit einer Matrix A ∈ SL2 (Z). Hierbei ist SL2 (Z) die Gruppe aller 2 × 2-Matrizen mit ganzzahligen Einträgen und Determinante eins. Wir notieren die Äquivalenz zweier Formen (a, b, c) und (A, B, C ) in Zeichen durch (a, b, c) ∼ (A, B, C ); hierbei gilt offensichtlich D = b2 − 4ac = B 2 − 4AC . Satz 18.2 (Lagrange, 1768). i) Äquivalenz binärer quadratischer Formen ist eine Äquivalenzrelation und ii) äquivalente Formen stellen dieselben Zahlen dar. §19. Reduktionstheorie Überblick in den Äquivalenzklassen zu vorgeschriebener Fundamentaldiskriminante gewinnt man durch geschickte Multiplikation mit SL2 (Z)-Matrizen. Im Hintergrund steht damit die Modulgruppe und deren Operationen auf der oberen komplexen Halbebene. §19. Reduktionstheorie Fundamentaldiskriminanten und Hauptformen Im Folgenden nehmen wir stets an, dass D kein Quadrat ist. Es ist entweder D ≡ 0 mod 4 oder D ≡ 1 mod 4 und jedes solche D 6= 0 wird eine Fundamentaldiskriminante genannt. Zu jeder Fundamentaldiskriminante existiert stets mindestens eine Äquivalenzklasse repräsentiert durch die Hauptform X 2 − 14 DY 2 , falls D ≡ 0 mod 4, bzw. X 2 + XY − 41 (D − 1)Y 2 , falls D ≡ 1 mod 4. §19. Reduktionstheorie einmal mehr Division mit Rest Satz 19.1 (Lagrange, 1768). Zu gegebener Fundamentaldiskriminante D enthält jede Äquivalenzklasse mindestens eine Form (a, b, c), deren Koeffizienten den folgenden Ungleichungen genügen: |b| ≤ |a| ≤ |c| und D = b2 − 4ac. Insbesondere existieren also stets nur endlich viele Klassen äquivalenter Formen. Die Klassenzahl h(D) zählt die Anzahl der Äquivalenzklassen von Formen mit Diskriminante D; also: Korollar 19.2. Die Klassenzahl ist endlich: 1 ≤ h(D) < ∞. In assoziierten quadratischen Zahlkörpern ist Klassenzahl eins gleichbedeutend mit eindeutiger Primzerlegung im Ganzheitsring. Beispielsweise gelten h(−3) = 1 und h(−4) = 1. §19. Reduktionstheorie Berechnung der Klassenzahl Die analytische Klassenzahlformel von Dirichlet (1839) besagt im Falle D < 0 X χD (n) ω√ h(D) = , −D 2π n n≥1 wobei ω = 2, 4 oder 6 ist, je nachdem ob D < −4, = −4b oder = −3 gilt und χD (•) = ( D• ) das Jacobi-Symbol ist. Z.B. gilt 4 √ 1 1 1 1 = h(−4) = 4 1 − + − ± ... . 2π 3 5 7 §19. Reduktionstheorie Reduktion positiv definiter Formen Satz 19.3 (Gauß, 1801). Zu jeder Form (A, B, C ) mit Fundamentaldiskriminante D = B 2 − 4AC < 0 (also positiv definit) existiert eine eindeutig bestimmte äquivalente Form (a, b, c) ∼ (A, B, C ) mit −a < b ≤ a < c oder 0 ≤ b ≤ a = c. Damit kann man das Minimum quadratischer Formen abschätzen: Gegeben Q = (a, b, c) mit D = b2 − 4ac < 0, existieren x, y ∈ Z mit r √ b2 −D 2 = , 0 < Q[x, y ] ≤ √ ac − 4 3 3 wobei Gleichheit genau für (a, b, c) ∼ m(1, 1, 1) für m ∈ N auftritt. §19. Reduktionstheorie Darstellung von Primzahlen Eine Zahl n wird durch die quadratische Form (a, b, c) echt dargestellt, wenn es teilerfremde x, y gibt mit n = ax 2 + bxy + cy 2 . Satz 19.4. Eine gegebene ganze Zahl n wird genau dann durch die quadratische Form (a, b, c) echt dargestellt, wenn die Diskriminante D = b2 − 4ac ein Quadrat modulo 4n ist. Damit ergibt sich ein alternativer Beweis des Fermatschen Zweiquadratesatzes: Korollar 19.5. i) Die quadratische Form X 2 + Y 2 stellt jede Primzahl p ≡ 1 mod 4 dar und ii) die quadratische Form X 2 + 2Y 2 stellt jede Primzahl p ≡ 1 oder 3 mod 8 dar. Hier ließen sich etliche weitere Beispiele anbringen... §20. Ausblick: Formen höheren Grades Eine in weiten Teilen zum binären Fall analoge Analyse positiv definiter ternärer quadratischer Formen wird Aufschluss über die Darstellbarkeit natürlicher Zahlen als Summe von drei Quadraten liefern. Insbesondere wird der tiefe bislang noch unbewiesene Satz 13.4 von Gauß hergeleitet... §20. Ausblick: Formen höheren Grades Ternäre quadratische Formen Eine ternäre quadratische Form mit ganzzahligen Koeffizienten ai j ist von der Gestalt Q[X , Y , Z ] = Xt Q X mit Q = (aij ) = Qt , Xt = (X , Y , Z ). Es gilt a11 Xt Q X = (a11 X + a12 Y + a13 Z )2 + q[Y , Z ], wobei q ein binäre quadratische Form ist. Im Folgenden sei stets a11 > 0. Dann ist Q genau dann positiv definit, wenn D(q) < 0 bzw. det Q > 0 gilt. (1) §20. Ausblick: Formen höheren Grades Äquivalenz und Reduktion Äquivalenz ternärer quadratischer Formen erklärt sich mittelst SL3 (Z)-Matrizen in völliger Analogie zum binären Fall. Wiederum induziert dies eine Äquivalenzrelation. Auch besteht eine vergleichbare Reduktionstheorie: Satz 20.1. Jede Klasse äquivalenter, positiv definiter, ternärer quadratischer Formen mit Determinante ∆ enthält mindestens eine Form, deren Koeffizienten √ 3 2 max{|a12 |, |a13 |} ≤ a11 ≤ 34 ∆ erfüllen. §20. Ausblick: Formen höheren Grades Summen von drei Quadraten Korollar 20.2. Jede positiv definite, ternäre quadratische Form mit Determinante ∆ = 1 ist äquivalent zu X 2 + Y 2 + Z 2 . Damit existiert nur eine Äquivalenzklasse zur Determinante ∆ = 1, und es folgt verhältnismäßig leicht: Satz 13/20.4 (Dreiquadratesatz von Gauß, 1801). Eine natürliche Zahl lässt sich genau dann als Summe von drei Quadraten schreiben, wenn n 6= 4k (8m + 7) für k, m ∈ N0 . Dies liefert insbesondere einen alternativen Beweis des Vierquadratesatzes. §20. Ausblick: Formen höheren Grades Figurierte Zahlen Der junge Gauß notiert am 10. Juli 1796 in sein Tagebuch: EYPHKA ! num = ∆ + ∆ + ∆ • • • Eine Zahl der Form 12 m(m + 1) heißt Dreieckszahl. Korollar 20.4 (Gauß, 1796). Jede natürliche Zahl lässt sich darstellen als Summe von höchstens drei Dreieckszahlen. Augustin-Louis Cauchy bewies 1813 eine alte Behauptung Fermats, dass sich jede natürliche Zahl als Summe von höchstens d d -gonal-Zahlen schreiben lässt. (Für d = 4 enthält dies den Lagrangeschen Vierquadratesatz.) §20. Ausblick: Formen höheren Grades Figurierte Zahlen Der junge Gauß notiert am 10. Juli 1796 in sein Tagebuch: EYPHKA ! num = ∆ + ∆ + ∆ • • • Eine Zahl der Form 21 m(m + 1) heißt Dreieckszahl. Korollar 20.4 (Gauß, 1796). Jede natürliche Zahl lässt sich darstellen als Summe von höchstens drei Dreieckszahlen. Augustin-Louis Cauchy bewies 1813 eine alte Behauptung Fermats, dass sich jede natürliche Zahl als Summe von höchstens d d -gonal-Zahlen schreiben lässt. (Für d = 4 enthält dies den Lagrangeschen Vierquadratesatz.) §20. Ausblick: Formen höheren Grades Probleme für die Semesterferien... • Kann eine binäre (ternäre) quadratische Form sämtliche natürlichen Zahlen darstellen? Nach dem Vierquadratesatz stellt die Form X 2 + Y 2 + Z 2 + W 2 ganz N dar. Übrigens zeigten Conway & Schneeberger 1993, dass eine positiv definite quadratische Form, die alle natürlichen Zahlen n ≤ 15 darstellt, bereits sämtliche natürlichen Zahlen darstellt! • Zeige, dass es neben 52 = 4! + 1 nur noch zwei weitere Quadrate der Form n2 = m! + 1 gibt... ¡ Vorsichtig! Eines der beiden Probleme ist ungelöst... ein Schlusswort Vor zweihundert Jahren gab es kaum so viele Menschen wie jetzt hier anwesend, die Ihr Wissen über Zahlentheorie hatten! Was wird in zweihundert Jahren noch an weiteres Wissen hinzugekommen sein? Viel Erfolg in der Klausur und eine gute vorlesungsfreie Zeit! ein Schlusswort Vor zweihundert Jahren gab es kaum so viele Menschen wie jetzt hier anwesend, die Ihr Wissen über Zahlentheorie hatten! Was wird in zweihundert Jahren noch an weiteres Wissen hinzugekommen sein? Viel Erfolg in der Klausur und eine gute vorlesungsfreie Zeit! ein Schlusswort Vor zweihundert Jahren gab es kaum so viele Menschen wie jetzt hier anwesend, die Ihr Wissen über Zahlentheorie hatten! Was wird in zweihundert Jahren noch an weiteres Wissen hinzugekommen sein? Viel Erfolg in der Klausur und eine gute vorlesungsfreie Zeit!
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