Eröffnungsreferat Hans Frei, Präsident Zürcher Bauernverband Die Schweizerische Agrarpolitik verliert den Bezug zur Realität Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte Menschen nichts lehrt! (Sprichwort) Vor 130 Jahren nahm ein fünfzehnjähriger Schüler am Strickhof die landwirtschaftliche Ausbildung in Angriff. Er hatte bereits ein Welschland Jahr hinter sich. Nach zwei Jahren verliess er die Schule mit dem Diplom. Es folgten landwirtschaftliche Praktika in Frankreich und auf dem Gutsbetrieb Rheinau. Zwei Jahre später studierte er Agronomie an der ETH in Zürich. 1893 erwarb er als einer von nur zwei Schweizern seines Jahrganges das Diplom. Ab 1901 lehrte er an der ETH als Privatdozent für Agrarpolitik, ab 1908 gab er Vorlesungen während 30 Jahren als ordentlicher Professor für Landwirtschaft mit Schwergewicht auf Betriebslehre. Seine berufliche Funktion war Bauernsekretär. Er festigte sein Ansehen in der nationalen und internationalen Fachwelt. Sein Wirken als Professor und Bauernsekretär machten ihn zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten in öffentlichen Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich spreche vom Werdegang von Ernst Laur, erster Bauernsekretär des Schweizer Bauernverbandes, ETH-Professor und Kämpfer für den Bauernstand. Wir stehen heute anfangs des 21. Jahrhunderts. Die Bevölkerungszahl hat sich vervielfacht. Die Landwirtschaft bewirtschaftet immer noch die gleichen Böden, um daraus die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Es werden immer noch Kühe gemolken, um Menschen mit hochwertigen Produkten zu versorgen. Die wichtigsten Kulturpflanzen werden heute noch weiter gezüchtet, im Anbau sorgfältig vermehrt und anschliessend flächendeckend angebaut. Eine gute Ernte ist und bleibt der elementarste Teil unseres Wohlstandes und unserer Gesundheit. Unsere Gesellschaft konsumiert diese Gegebenheiten in aller Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig erfährt das klassische Agronomie Studium eine sträfliche Abstinenz. Technischer Fortschritt blendet den direkten Bezug zur Bewirtschaftung unserer Lebensgrundlagen aus. Das Hochschulstudium Agrarwissenschaften wird verdrängt. Dabei wäre diese Wissenschaft zentral für die Ernährung dieser Welt. Im Ergebnis haben wir heute eine Vielzahl an selbsternannten Agrarexperten. Diese argumentieren nicht nach ökonomischen Grundsätzen sondern operieren auf der leicht nachvollziehbaren Gefühlsebene des Artenund Tierschutzes. Ihr Einfluss in der Agrarpolitik erfolgt emotional und losgelöst von den direkten Auswirkungen auf die bäuerlichen Familienbetriebe. Die wirtschaftlichen Herausforderungen eines Landwirtschaftsbetriebes werden schlicht ausgeblendet. Wir haben heute Spezialisten die ohne wirtschaftliches Rüstzeug Betriebskonzepte über den Haufen werfen. betriebs- Schon vor hundert Jahren wurde an der ETH die Erkenntnis gefestigt, dass die Landwirtschaft nur mit einem kontrollierten Strukturwandel ihren Platz in der Industriegesellschaft halten kann. Die bäuerlichen Familienbetriebe sollten nach betriebsökonomischen Kriterien modernisiert werden. Die entsprechende Literatur fand internationale Beachtung. Der Warenverkehr an der Grenze wurde zu einem festen Bestandteil der Steuerung unserer Versorgung und fand später Einzug in das Landwirtschaftsgesetz. Stehen wir heute nicht genau vor diesen Fragestellungen? Die heutige Agrarpolitik 14/17 wurde auf Sand gebaut Die eindrücklichsten Zahlen liefert aktuell das Bundesamt für Landwirtschaft. Die Biodiversitätsförderflächen wachsen ungebremst. Das Flächenziel wurde nach zwei Jahren um bereits 10‘000 ha überschritten. Kein Wunder, auf diesen Flächen fliessen mehr Steuergelder als aus den Roherträgen landwirtschaftlicher Produkte. Beiträge für die Ökologie und die Wertschöpfung aus der Produktion entwickeln sich völlig asymmetrisch. 10‘000 ha Landwirtschaftsflächen im Talgebiet der Produktion zu entziehen ist eine agrarpolitische Fehlleistung. Im gleichen Zeitraum wurden kurzerhand 15‘000 Tonnen mehr Heu importiert, 10% mehr als im Vorjahr. Und dies führte nicht zu einem Überangebot in der Tierproduktion. Im Januar 2016 wurden rund 900 Tonnen Fleisch importiert. Im Februar wurden weitere 300 Tonnen vom BLW zum Import freigegeben. In diesem Zusammenhang ist die jüngste Stellungnahme des Regierungsrates zum Zahlungsrahmen 18/21 bemerkenswert und für die Zürcher Landwirtschaft eine grosse Enttäuschung. Mit der Kürzung des Zahlungsrahmens gibt sich der Regierungsrat einverstanden, hingegen sollen die Biodiversitätsbeiträge nicht durch Einsparungen geschwächt werden. Diese Stellungnahme reflektiert die ungenügende Wirkungsanalyse auf Stufe Verwaltung und wird durch die jüngsten Zahlen aus dem BLW bestätigt. Die Oberflächlichkeit der Agrarpolitik wird langsam sichtbar. Wiedersprüche kommen langsam an den Tag. Der Mensch mag sich an nährstoffarmer Flora erfreuen, ernährt sich aber täglich an nährstoffreichen Kulturen. Je mehr Flächen diesem Nährstoffkreislauf entzogen werden, desto exzentrischer wird unsere Inlandversorgung. Das Wohlbefinden der Nutztiere weckt in unserer Gesellschaft höchste Sensibilität. Der Tierschutz stellt höchste Anforderungen und wird mit weltweit ausführlichsten gesetzlichen Grundlagen vollzogen. Beim Konsum von Fleisch fallen Hürden und Schranken und es landet unverblümt die Kritik, dass wir im Vergleich mit dem Ausland viel zu teuer sind. Das BLW räumt nach zwei Jahren ein, dass nicht alles rund läuft. Die wahre Ursache ist nicht einfach ein Blindflug der produzierenden Landwirtschaft. Die Unwägbarkeiten der Agrarpolitik liegen grundsätzlich in der Führungslosigkeit einer schweizerischen Agrarpolitik. Dieser Missstand kann nur in den globalen, ökonomischen Zusammenhängen mit der Agrarwissenschaft und Landwirtschaft ausgeräumt werden. Hier fehlen uns an den Schlüsselstellen die qualifizierten Persönlichkeiten. Landwirtschaft ist kein Freihandelsprodukt Heute wird die Agrarpolitik durch zu viele Akteure beeinflusst? Bundesrat und Verwaltung haben sich komplett mit der Agrarbürokratie eingedeckt. Jede Massnahme führt zu mehr Kontrollpunkten. Die Belastung der Familienbetriebe wird immer grösser und ohne Mehrwert am Produkt. Der Ruf nach Verhältnismässigkeit bleibt ungehört. Fehlt der Durchblick an den zuständigen Stellen, so ist es naheliegend nach einem Befreiungsschlag zu rufen. Mit dem Agrarfreihandel könnten viele Probleme gelöst werden, wird angekündigt. Dabei wir ein zentraler Grundsatz über den Haufen geworfen. Handeln kann man mit Gütern. Landwirtschaft ist keine Ware. Landwirtschaft ist Fachwissen in der Bewirtschaftung unserer Ressourcen. Diese sind hierzulande zu nutzen und nicht in Entwicklungsländer zu verlagern. Unsere Bäuerinnen und Bauern liegen in ihrem beruflichen Verständnis weit näher beisammen als die Kapitäne selbstbestimmter Agrarvisionen, deren Schiffe sich nach jeder Windrichtung ausrichten. Wir Bauern sitzen auf dem Festland, wir müssen verschiedenen Windrichtungen standhalten. Unsere Produktionsgrundlagen wollen wir der nächsten Generationen erhalten. Wir suchen die Herausforderungen mit der Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln. Wir wollen uns an einem Inlandmarkt beteiligen. Unsere Einkommen wollen wir auf diesem Weg erwirtschaften, dies sind wir unserer Bevölkerung und unserm Staat schuldig. Der Staat hat verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit eine Wertschöpfung mit Bezug auf unser wirtschaftliches und soziales Umfeld möglich ist. Sämtliche Nahtstellen zur praktizierenden Landwirtschaft müssen gestärkt werden An dieser Stelle komme ich gerne an den Beginn meiner Ausführungen zurück. Die ETH Zürich ist eine der weltweit führenden technischen-naturwissenschaftlichen Hochschulen. Eine exzellente Lehre und eine wegweisende Grundlagenforschung werden ihr attestiert. Hier muss die Landwirtschaft wieder verstärkten Einzug finden. Wissenschaft und ökonomische Ziele müssen aufeinander abgestimmt werden. An diesem Ort müssen Persönlichkeiten mit Bezug zur praktizierenden Landwirtschaft, mit breiter Auslanderfahrung das Thema der Ernährungssicherung aufarbeiten. Es braucht eine gesamtheitliche Betrachtung der weltweiten Ressourcen. Diese wissenschaftlichen Grundlagen verdienen in Zukunft weltweite Beachtung und sollten wieder verstärkt als Grundlagen der Agrarpolitik zu Verfügung stehen. Die daraus resultierenden Fachkräfte brauchen wir auf allen Stufen der Ausbildung und in der Umsetzung einer kohärenten Agrarpolitik.
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