Jubiläumsausgabe 2 Weitblick Foto: UBA Foto: BMEL Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Die Gesellschaft fordert von der Landwirtschaft eine stärkere Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit. Dazu ist es wünschenswert, die Ökolandwirtschaft zu stärken. Warum müssen wir den Weltmarkt bedienen, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, den heimischen Bedarf mit Ökoprodukten zu befriedigen? Doch auch in der konventionellen Landwirtschaft kann viel mehr passieren, um die ökologischen Kriterien zu bedienen. Die Landwirtschaft darf nicht das Recht haben, die Umwelt so zu belasten, dass Grenzwer- Ich sehe eine selbstbewusste Branche, die sich über Innovation, Forschung und Fortschritt definiert und nicht über Verzicht oder Rückbau. Deutschland wird in 70 Jahren einen größeren Anteil zur Welternährung beitragen, weil wir die besseren klimatischen Bedingungen haben und das richtige Know-how. Die Landwirtschaft 4.0 und flächendeckendes Smart Farming werden Alltag sein. Das wird auch den Alltag der Landwirte verändert und erleichtert haben. Die Digitalisierung hat die Landwirtschaft noch leistungsfähiger und gleichzeitig ressourcenschonender gemacht. Ich sehe eine vielfältige Landwirtschaft mit großen und kleinen, mit leistungsfähigen und flexiblen Betrieben. te überschritten werden. Wir dürfen aber auch nicht länger die externen Kosten der Agrarproduktion, die durch Umweltschäden entstehen, auf die Allgemeinheit abwälzen. Die EU-Agrarsubventionen sind, so wie sie sind, nicht mehr gesellschaftlich zu rechtfertigen. Grundsätzlich brauchen wir eine Ausrichtung der Subventionen nach dem Motto „öffentliches Geld für öffentliche Güter” – also auch eine stärkere Umschichtung von Geldern der ersten in die zweite Säule.” Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes (UBA), Dessau Verschiedene Angebote und Philosophien stehen in einem fairen Wettbewerb um die Gunst der Verbraucher. Mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke trägt die Landwirtschaft auch in 70 Jahren maßgeblich zum Wohlstand in Deutschland bei. Ich sehe eine Landwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft, der man respektvoll begegnet und deren Leistungen sowie Erträge geachtet und geschätzt werden. Der Landwirt als Unternehmer im Familienbetrieb lebt seine Verantwortung für die Mitarbeiter und die Region. Ich sehe eine Landwirtschaft, der die Menschen vertrauen.” Christian Schmidt, Bundeslandwirtschaftsminister (CSU) Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus? Foto: BDL/Gräschke Wir sind überzeugt, dass der Landhandel bestehen wird. Denn Landwirte werden auch künftig Alternativen zur Genossenschaft suchen, besonders zu den genossenschaftlichen Konzernen und Zentralen. Wir sind außerdem überzeugt von der Zweistufigkeit. Denn der Service eines fähigen und flexiblen Landhändlers mit unternehmerischem Engagement ist durch keine Außenstelle eines Großhändlers zu ersetzen. Das alles kann aber nur funktionieren, wenn Landhandel und Großhandel die Aufgaben intelligent aufteilen. Beide Seiten müssen ähnliche Werte und Ziele verfolgen und eine vergleichbare Unternehmenskultur aufweisen. Ideal ist, wenn beide Seiten sich dynamisch entwickeln und sich gegenseitig befruchten. Dann kann etwas Zukunftsfähiges entstehen.” Deutsche Getreidezeitung/Die Agrarwoche/Agrartrends 71. Jahrgang Deutscher Fachverlag GmbH Rainer Schuler, Geschäftsführer Beiselen GmbH, Ulm ger Ressourcennutzung einhergeht. Hightech hat viele Arbeiten schonender, schneller und präziser gemacht. Doch sie nimmt den Landwirten die Arbeit nicht weg, sondern erleichtert sie. So haben unsere Kindeskinder mehr Zeit für Boden und Tier und können mit dem wachsenden Bedarf an Lebensmitteln Schritt halten. Die Gesellschaft will natürlich produzierte und regionale Lebensmittel. Der heutige Trend der Tiefpreise kehrt sich um und faire Preise sichern den Lebensunterhalt der Landwirte. Urban-Farming, ausgelöst durch den starken Flächenschwund in der Landwirtschaft, ist auf Dächern, mehrstöckigen Häusern inmitten der Städte zu finden.” Foto: Beiselen Es gibt keine Handarbeit mehr – auf den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben wird wie auf den großen nur noch am Wochenende, wenn es die Städter aufs Land zieht, hart gearbeitet. Die Ausflügler wollen Landwirtschaft erleben und eine Patenschaft für Scholle, Huhn oder Kuh. Sie schätzen das agrarische Know-how und lieben den körperlichen Ausgleich mit Produktionsmitteln, wie ihre Urgroßeltern sie kannten. Zugleich bleibt der Run aufs Land ungebremst. Frauen wie Männer wollen mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienen, weil die Arbeit naturnah und vergleichsweise frei ist, weil sie sich bei aller Vielseitigkeit gut mit der Familie vereinbaren lässt, weil Landwirte wissen, was wie angebaut wird, die Ergebnisse ihrer Arbeit sehen, und weil das Mehr an Automatisierung mit effektiver und nachhalti- Kathrin Muus, Stellvertretende Bundesvorsitzende, Bund der Deutschen Landjugend e.V. (BDL) Fax Redaktion: 069 7595-1580 Fax Anzeigen: 069 7595-1860 Fax Aboservice: 069 7595-1970 E-Mail Redaktion: [email protected] E-Mail Verlag: [email protected] Adresse: Mainzer Landstr. 251 60326 Frankfurt am Main, Telefon-Zentrale: 069 7595-01 Telefon-Durchwahl: 069 7595-.... Pers. E-Mail: [email protected] Geschäftsführung: Angela Wisken (Sprecherin), Peter Esser, Markus Gotta, Peter Kley, Holger Knapp, Sönke Reimers Aufsichtsrat: Klaus Kottmeier, Andreas Lorch, Catrin Lorch, Peter Ruß Chefredakteurin: Dr. Angela Werner, v.i.S.d.P. Leitende Redakteurin: Stefanie Pionke Redaktion: Dagmar Behme, Katja Bongardt, Daphne Huber-Wagner, Henrike Schirmacher, Olaf Schultz, Sarah Speicher-Utsch, Brigitte Stein Korrespondenten: Dr. Jürgen Struck, Berlin; Jan Peters, Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen; Daphne Huber-Wagner, ostdeutsche Bundesländer; Hermann Steffen, Bremen/Weser-Ems, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden; Horst Hermannsen, Bayern, Württemberg; Dagmar Hofnagel, Spezialmärkte, regionale Agrarpolitik; Axel Mönch, Brüssel Verlagsleitung Agrar- & Fleisch-Medien: Thomas Wulff Objektleiter Agrar-Medien: Christoph Nitsche Verlagsabteilungen: Aboservice: Nicole Seitz, Petra Petrasch, Leserservice: Kristin Kaupert, Anzeigen-Koordination: Gerhard Urmann, Mediaberatung: Undine Greb, Monika Schlicht Projektleitung Produktion: Hans Thurn-Frähmke, dfv Corporate Media Artdirektion und Gestaltung: Uwe Laube Lektorat: Thomas Leja Nutzungsrechte: Die vorliegende Fachzeitschrift wird in gedruckter und digitaler Form vertrieben und ist aus Datenbanken abrufbar. Eine Verwertung der urheberrechtlich geschützten Artikel und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, Verbreitung, Digitalisierung, Speicherung in Datenbanksystemen oder Inter- und Intranets, ist unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt. Sollten Sie Artikel aus dieser Fachzeitschrift nachdrucken, in Ihr Internet-Angebot oder Ihr Intranet übernehmen oder per E-Mail versenden wollen, können Sie die erforderlichen Rechte bei der Deutscher Fachverlag GmbH erwerben. Ihre Anfrage können Sie per E-Mail an [email protected] richten. Auskunft erhalten Sie telefonisch unter 069 7595-2042. Für die Übernahme von Artikeln in Ihren elektronischen Pressespiegel erhalten Sie die erforderlichen Rechte unter www. presse-monitor.de oder telefonisch unter 030 284930 bei der PMG Presse-Monitor GmbH. Druck: Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH, Kurhessenstraße 4-6, 64546 Mörfelden-Walldorf, ISSN 0014-0228 Der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. angeschlossen. Weitblick 3 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Foto: BVA Konrad Weiterer, Präsident, Bundesverband der Agrargewerblichen Wirtschaft e.V. (BVA) Thomas Böck, Mitglied der Claas-Konzernleitung Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Vorstand, Schweisfurth Stiftung agierenden Abnehmern gefordert werden. Dadurch kann Europa seine höheren Produktionskosten durch die strengen (Umwelt-)Auflagen und scharfen Kontrollen am Weltmarkt durch höhere Preise kompensieren. Die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft werden sich mehr an den Bedürfnissen der Mitarbeiter orientieren. Arbeitszeiten, Sicherheit im Umgang mit Tieren, attraktive Arbeitsplätze werden wichtiger bei dem Wettbewerb um die besten Mitarbeiter und Betriebsleiter. Der Beruf Landwirt wird auch zukünftig durch seine Vielfalt interessant für junge Menschen sein.” Peter Seeger, Schweinehalter in Hessen Foto: Agco Foto: privat standortgerecht ein. Die Koexistenz verschiedener Anbautechniken – von biologischem Anbau bis vertikalem Indoor-Farming – bringt eine reiche Vielfalt an Produkten für die unterschiedlichsten Ernährungsstile hervor. Alle werden satt.” Das weitere Bevölkerungswachstum und die Verstädterung in der Welt werden auch zukünftig zunehmen. An der Versorgung der Metropolen in der Welt müssen sich auch Deutschland und Europa beteiligen. Die Flüchtlingsbewegung ist nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, wenn wir uns unserer Verantwortung zukünftig entziehen. Daher wird sich die Tendenz zur extensiveren Landwirtschaft in der EU in einigen Jahren wieder abschwächen. Eine intelligente Koexistenz von intensiver Landwirtschaft und attraktiven Naturräumen wird sich bilden. Rückverfolgbarkeit und standardisierte Produktionsprozesse werden von den weltweit Foto: DBV Die Zukunft der Landwirtschaft gehört der „Ökologie der kurzen Wege”. Angesichts der zunehmenden Urbanisierung, der steigenden Weltbevölkerung und des Klimawandels, wird in den nächsten Jahrzehnten alles getan werden, um die Effizienz der agrarischen Produktion genauso zu steigern wie die Produktivität. Kurze Wege sind dabei das grundlegende Konzept der Effizienz in der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Nachhaltige pflanzen- und tiergerechte Lebensmittelerzeugung bedeutet auf Nähe zu setzen. Viele Beispiele belegen den Beginn der Renaissance der Regionalwirtschaft. Eine geringe Distanz zwischen dem Ort, an dem die Tiere und Pflanzen leben und wachsen sowie dem Ort, an dem sie für Menschen verarbeitet und von ihnen konsumiert werden, zahlt sich aus. Dies spart nicht nur Transportkosten. Es schafft Nähe zwischen den Fertigungsphasen und damit Transparenz, erlaubt eine bedarfs- und zeitoptimierte Erzeugung und verringert die Kosten für Kühlung und Lagerung sowie die Lebensmittelabfälle. Diese Art des Global Gardening setzt urbane und peri-urbane Flächen sowie andere landwirtschaftliche Ressourcen in komplexen, gut gemanagten, vernetzten und hoch integrierten Unternehmen Im Zusammenwirken von Landwirtschaft, Handel und Verarbeitern leistet das moderne Agribusiness einen wichtigen Beitrag, die Ernährung der Menschen in Deutschland, Europa und in der Welt zu sichern. Angesichts zunehmender Weltbevölkerung ist eine Weiterentwicklung der modernen Landwirtschaft unabdingbar. Dazu gehört der Einsatz moderner Betriebsmittel und innovativer Technik zur Ausbringung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln genauso wie moderne Züchtungsverfahren. Eine Kombination aus umweltschonenden Produktionsverfahren und Smart-FarmingTools wird die Landwirtschaft der Zukunft prägen. Der Gunststandort in Deutschland und Europa wird auch künftig eine zentrale Rolle bei der Herstellung sicherer, gesunder und bezahlbarer Lebensmittel einnehmen. Regionale, internationale genauso wie Vermarktungsstrategien für Bio-Produkte haben ihre Chance. Die Wettbewerbsfähigkeit wird weiterhin im Fokus bleiben. Entscheidend ist, dass es keine nationalen Überregulierungen gibt, durch die die Entwicklung in der Landwirtschaft ausgebremst werden könnte.” Foto: privat Foto: Claas Die Landwirtschaft muss künftig unterschiedliche Perspektiven miteinander verbinden: Es gilt die weltweite Ernährung zu sichern und dabei möglichst regional und mit guten ökologischen Standards zu produzieren. Zukünftige Technologien müssen dem Landwirt dabei helfen, mit diesen – teilweise divergierenden Anforderungen – umzugehen. Die Einsatzeffektivität der Maschinen durch intelligente Assistenzsysteme, neue Sensoren und Vernetzung wird weiter gesteigert werden. Durch Big Data wird das Wissen und die Erfahrung des Landwirtes umfassend ergänzt. Die Dokumentation auf dem Feld und im Stall erfolgt weitgehend automatisch. Computer können Situationen selbst bewerten und komplexe Entscheidungen treffen: Die Maschinen optimieren sich selbst. Mit der weiteren Digitalisierung ergeben sich für den Landwirt auch viele neue Chancen: Er entwickelt sich in der Wertschöpfungskette immer mehr zum Geschäftspartner „auf Augenhöhe” – nämlich dann, wenn Angebot und Nachfrage virtuell gebündelt sind und Produkte in Sekundenschnelle gehandelt werden können.” Auch wenn der Blick in die Glaskugel bekanntlich schwierig ist: Landwirtschaft wird auch in 70 Jahren die Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft bereitstellen – und sie wird auch dann von Unternehmern betrieben werden, die sich an Märkten und Verbrauchern, an neuen Produktionsverfahren und an Effizienz orientieren und die ihre Betriebe ständig weiterentwickeln. Landwirtschaft ist eine sich dynamisch entwickelnde Branche mit hohem Produktivitätszuwachs, volatilen Märkten und jährlichen Investitionen von mehr als 10 Milliarden Euro. Wir wären auch als Unternehmer schlecht beraten, wenn wir in den globalen Märkten ohne langfristige Grundsätze für eine vielfältige nachhaltige Landwirtschaft arbeiten würden. Unser Leitbild bleibt eine von bäuerlichen Unternehmern und ihren Familien getragene Landwirtschaft, die dem Eigentum und der generationenübergreifenden Nachhaltigkeit verpflichtet und in der Region verwurzelt ist. Eigentum, Wertschöpfung und landwirtschaftliche Erzeugung gehören für uns in bäuerliche Hand.” Joachim Rukwied, Präsident, Deutscher Bauernverband (DBV) Die moderne Agrarwirtschaft wird für die Weltbevölkerung an Bedeutung gewinnen. Die gesunde Ernährung der Menschheit, ein wachsender Beitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung sowie die Folgen der Klimaveränderung werden die größten Herausforderungen darstellen. Europa teilt sich in moderne Agrarmärkte, die auf Innovation und Nachhaltigkeit bauen, und solche, die enormen Nachholbedarf in der gesamten Wertschöpfungskette haben. Wenn sich die politische Lage in Osteuropa zum Besseren wendet, können diese Länder in den nächsten Jahrzehnten ihr Potenzial voll entfalten und neben China und Afrika eine zentrale Rolle in der Sicherung der Welternährung spielen. In Deutschland ist die Vernetzung der Landtechnik der wichtigste Schritt, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern. Alle Stadien des landwirtschaftlichen Lebenszyklus von der Unternehmensplanung über Aussaat bis zu Ernte und Getreidelagerung werden vernetzt, analysiert und optimiert werden. Robotiksysteme werden den Automatisierungsgrad weiter steigern und es wird einen klaren Trend zur elektrischen Energie und modernen Brennstoffzellen geben, um Emissionen nachhaltig zu reduzieren.” Martin Richenhagen, Vorstandschef Agco Corporation Medien Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Foto: NH 4 Fachmedien 6,7 Umsatzstruktur 2015, in Prozent Dienstleistungen 19,6 Digitale Medien 56,0 Fachzeitschriften 17,7 Fachbücher Der Anteil digitaler Medien wächst stetig. Quelle: Deutsche Fachpresse Im Jahr 2015 besitzen rund 65 % der Deutschen ein Smartphone und 30 % ein Tablet. Quelle: Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) „Gerade in Zeiten, in denen wir alle täglich mit Unmengen an Informationen zugeschüttet werden und der Stammtisch in den sozialen Netzwerken fröhliche Urstände feiert, ist professioneller Journalismus schlicht unverzichtbar.“ Relevanz bleibt der entscheidende Faktor Angela Wisken, Sprecherin der Geschäftsführung, dfv Mediengruppe Tägliche Nutzungsdauer ausgewählter Medien Deutschland 2015, in Minuten Digitale Angebote sind ein Muss – Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Leser und Nutzer Dr. Angela Werner Chefredaktion I n 70 Jahren hat sich vieles in der Medienlandschaft verändert. Die Zeitungen und Zeitschriften sind bunter geworden, Farbfotografien und üppige Infografiken Standard. Auch die zunehmende Digitalisierung hat die Erstellung und Verbreitung von Publikationen stark verändert: Zeitungen werden zwar noch gedruckt, aber die Daten elektronisch übermittelt. Aber auch der Journalismus, die Informationsvermittlung und Wahrnehmung von Berichterstattung hat sich grundlegend gewandelt. Das weltweite Internet hat den Austausch von Informationen deutlich beschleunigt, ebenso alle Social-Media- Kanäle. Heute können Nachrichten an fast jedem Ort abgerufen werden. Längst spielt die gedruckte Zeitung morgens am Frühstückstisch nicht mehr die Hauptrolle. Schnelligkeit zählt und treibt auch die Journalisten. Digitale Produkte laufen den gedruckten Medien den Rang ab. Viele Publikumszeitungen kämpfen mit rückläufigen Auflagen und setzen mit digitalen Angeboten wie Apps, E-Papers, Newsletter und iPad-Angeboten dagegen. Der Anpassungs- und Innovationsdruck ist hoch. Geschäftsmodelle, Inhalte und Kanäle werden auf den Prüfstand gestellt. Gleichzeitig nimmt der Verdrängungswettbewerb um Zeit und Aufmerksamkeit von Lesern und Nutzern zu. Alle Medienmacher und Verlage müssen sich mit der Digitalisierung und ihren Wirkungen auseinandersetzen sowie branchenspezifische Antworten darauf finden. Denn dieser Trend wird sich weiterentwickeln. Die Digitalisierung hat aber auch ihren Preis: Ungefiltert und ungeprüft kursieren Nachrichten im Netz in atemberaubender Geschwindigkeit und mit einem immer seichteren Inhalt auf der Suche nach dem nächsten Hype und der höchsten Clickrate. Schnell entstehen so Meinungsbilder. Ob sie zutreffen oder nicht, scheint erst einmal zweitrangig, aber sie können am Image von Menschen und Wirtschaftszweigen kratzen. Beteiligte vieler Branchen müssen sich damit auseinandersetzen und klug umgehen, ob sie wollen oder nicht. Das gilt ebenso für die Agrarwirtschaft. Ungeachtet dieser Entwicklung bleibt die agrarzeitung ihren Grundsätzen treu: Sie setzt Relevanz gegen seichte Inhalte, gründliche Recherche gegen den schnellen Hype. Sie versteht sich als unabhängiger und kritischer Begleiter der Branche, filtert die wichtigen Nachrichten, ordnet ein und ist dabei trotzdem schnell, aktuell und nah dran, damit Leser und Nutzer über Entscheidendes informiert sind. Die wachsende Bedeutung digitaler Medien hat die dfv Mediengruppe, in der die agrarzeitung erscheint, früh erkannt und die Weiterentwicklung digitaler Geschäftsfelder kontinuierlich unterstützt. Rund 100 digitale Angebote sind im Portfolio der dfv Mediengruppe. Dazu zählt auch das Online-Angebot der agrarzeitung, das bereits 1996 als *AgroOnline# an den Start ging. Sukzessive wurde dieser Webauftritt erweitert, mit zusätzlichen Informationen und Markteinschätzungen zu den Rohstoffmärkten angereichert sowie die Social-Media-Präsenz erhöht. Auch mobil sind die Informationen jederzeit für die Nutzer zugänglich. Dieses Paket ergänzt die gedruckte Zeitung. Online steht heute für den täglichen, schnellen Nachrichtenüberblick, die gedruckte Ausgabe daneben für Meinung, Einordnung, Analysen sowie Hintergründe. Mit der iPad-Ausgabe haben die Leser elektronisch sogar einen noch schnelleren Zugriff auf die komplette Zeitung. Auch äußerlich hat sich die gedruckte Zeitung in ihren 70 Jahren immer wieder gewandelt. So wurde beispielsweise 2008 das handlichere Tabloidformat eingeführt und 2009 der neue Name „agrarzeitung”, um modern und verständlich auszudrücken, welchem Themenkreis sich die agrarzeitung widmet. Trotz all der Veränderung und Schnelllebigkeit unserer Zeit bleibt der Wunsch nach unabhängiger und vor allem relevanter Information und Transparenz, klugen Analysen und tief recherchierten Hintergründen bestehen: Qualitätsjournalismus hat Zukunft, denn Content bleibt King – egal in welcher Form, ob gedruckt oder digital! Fernsehen 259 Radio 115 Internet (inhaltlich) 53 Spiele 35 Buch 28 Zeitungen/Zeitschriften 31 Quelle: Statista Fachzeitschriften und Tageszeitungen Anzahl in Deutschland 344 Tageszeitungen 3 893 Fachzeitschriften Quelle: BVDZ (2016), Deutsche Fachpresse (2015) Medien 5 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Alfred Strothe – Journalist, Herausgeber und Verleger Eine Würdigung von Dr. Rudolf Stöhr, Hamburg A m liebsten gut” pflegte Alfred Strothe zu antworten, wenn man ihn nach seinem Befinden fragte. Auch zehn Jahre nach seinem Tod ist diese Replik des großen Agrarjournalisten, Herausgebers und Verlegers in „seiner” Agrarbranche noch wohlbekannt. War sie doch ein Ausdruck seiner ungeheuren Willenskraft, den Gesprächspartner – und damit auch sich selbst – nicht mit Bemerkungen zu seinen schweren Kriegsverletzungen zu belasten. Dabei wusste jeder, der ihn etwas näher kannte, wie sehr die Folgen seiner Oberschenkelamputation mit nahezu einem Dutzend Hüftoperationen oder Metallsplitter im Kopf ihm ein Leben lang zusetzten. Gerade 21 Jahre war der Leutnant und Flugzeugführer, als der Krieg im Mai 1945 endlich vorbei war und er noch für viele Monate im Lazarett lag. Priester sollte er nach dem Wunsch des gestrengen Vaters werden. Die Jesuitenschule in Essen, wo Alfred Strothe 1943 sein Abitur abgelegt hatte, schien dem Vater dazu eine gute Vorbereitung. Der Sohn aber dachte anders, schon damals hartnäckig seinen eigenen Weg gehend: Journalist wollte er werden. Die Frage nach den Gründen für diese in den Augen des Vaters brotlose Kunst konnte er nur halbwegs überzeugend beantworten. Als wir beide 1966 auf Einladung des US Feedgrains Council erstmals die USA bereisten, erwiderte Strothe auf meine entsprechende Frage: „Das waren wohl meine guten Deutschaufsätze.” Der auch nach seinem folgenschweren Absturz damals immer noch flugbegeisterte ehemalige Flugzeugführer verbrachte die meiste Zeit im Cockpit der Maschine. 20 Jahre zuvor, im Frühjahr 1946, hatte Strothes berufliche Karriere begonnen, zunächst als Volontär mit sehr kargem Lohn beim „Ernährungswirtschaftlichen Informationsblatt” der britischen Militärverwaltung in Hamburg. Ein knappes halbes Jahr später folgte Strothes erster großer Coup: Die britische Militärregierung gab seinem massiven Drängen nach und erteilte ihm die Lizenz als Verleger und Herausgeber einer Agrarzeitschrift. Strothe war noch keine 22 Jahre alt, ohne finanzielle Mittel und ohne jegliche berufliche Erfahrung. Auch Jahrzehnte später erschien ihm der positive Bescheid der Briten – den zum gleichen Zeitpunkt auch ein gewisser Rudolf Augstein erhielt – ebenso unglaublich wie sein wahrhaft mutiger Schritt in die Selbstständigkeit. A m 13. November 1946, an seinem 22. Geburtstag, brachte Strothe in seinem Ein-Mann-Betrieb als Redakteur, Herausgeber und Verleger in Personalunion die erste Ausgabe seines „Ernährungsdienst” – des ED – heraus. „Learning by Doing” war sein alternativloses Motto. Etwa zum gleichen Zeitpunkt wurde in Hamburg der Fachverband der Futtermittelindustrie, zunächst beschränkt auf die britische Zone, gegründet. Die Monatszeitschrift „Kraftfutter”, untrennbar verbunden mit den Namen der Herausgeber Heinrich Asch, Volkward Koch und Hubert Grote, erschien erstmals im Juli 1953, natürlich im Alfred Strothe Verlag in Hannover. Es spricht für Strothes journalistisches Gespür, aber auch für seinen unternehmerischen Wagemut, dass er bereits Mitte 1951 das erste Heft der „Agrarwirtschaft” publizierte, eine eher wissenschaftlich ausgerichtete „Monatszeitschrift für Betriebswirtschaft und Marktforschung”. Für die besondere Qualität bürgten damals Agrarökonomen wie die Professoren Busch, Hanau, Plate, Niehaus und Woermann als Herausgeber. Die „Agrarwirtschaft” gehörte neben dem „Ernährungsdienst” (später in „Agrarzeitung” umgetauft) zu den Lieblingsprojekten des Verlegers. Seine starke Affinität zur Agrarökonomie fand ihren besonderen Niederschlag in den legendären Strothe-Abenden, die stets am Vorabend der DLG-Ausstellungen stattfanden. Ein festlicher Rahmen, inhaltsvolle Vorträge und vorzügliche Speisen verschmolzen zu unverwechselbaren und unvergessenen Ereignissen. Alfred Strothe, lebensbejahend, stets neugierig-interessiert, bestens vernetzt auch über seine Branche hinaus, ein begnadeter Redner und kluger Moderator, genoss diese Auftritte vor großem Publikum. Der Strothe Verlag wuchs und gedieh. Höhepunkt im Leben des Unternehmers und Publizisten war zweifellos 1964 der Umzug seiner Redaktion aus einer angemieteten Villa in das eigene Verlagsgebäude in der Osterstraße in Hannover. Das war gleichzeitig auch die große Zeit – wenngleich mit einigen Niederlagen und Anfeindungen verbunden – seiner fußballerischen Karriere: Weniger als aktiver Spieler, obgleich er trotz seiner Beinprothese das Tor seiner Redaktionsmannschaft hütete, denn als Präsident von Hannover 96. 1962 wurde Strothe in das ehrenvolle, aber für ihn auch sehr kostspielige Amt gewählt. Er blieb bis 1971, anschließend wurde er Ehrenpräsident. Seine Amtszeit bleibt verbunden mit dem Aufstieg des Vereins in die Bundesliga 1964, eine Euphorie ohnegleichen mit einem – zunächst – stets ausverkauften Stadion. Doch die Querelen folgten bald: Fünf Trainer verschliss der Verein. An sogenannte Starspieler wurden völlig überhöhte Gehälter gezahlt, aktenkundig wurden 120 000 DM per annum statt der laut Deutschem Fußballbund zulässigen 60 000 DM. Strothe wurde mit Vorwürfen der Bilanzfälschung konfrontiert. Der Fußballpräsident Strothe schaffte es mehrfach in den „Spiegel”. Weniger publizitätsträchtig war ein anderes großes Ehrenamt, das Alfred Strothe etwa zur gleichen Zeit innehatte: sehr aktiv in verschiedenen Ehrenämtern tätig, unter anderem auch als Präsident des europäischen Getreidehandelsverbandes Coceral. Bis heute befasst sich Stöhr engagiert mit landwirtschaftlichen Themen. Sein besonderes Interesse gilt nach wie vor der Agrarpolitik, der europäischen Integration und der Entwicklung im östlichen Europa. Foto: privat Alfred Strothe (l.) gründete vor 70 Jahren den Ernährungsdienst (ED), der heute als agrarzeitung (az) im Deutschen Fachverlag verlegt wird. Ein langjähriger Wegbegleiter des Verlegers, Journalisten und Menschen Alfred Strothe war Dr. Rudolf Stöhr (r., Jahrgang 1935), der in der Agrarbranche ebenfalls große Bekanntheit und Wertschätzung genießt. Stöhr begann nach landwirtschaftlicher Lehre, Agrarstudium und Promotion 1962 seine berufliche Karriere in der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Agrarhandelshauses Alfred C. Toepfer, das heute in der ADM Germany GmbH aufgegangen ist. Stöhr war neben seiner 35-jährigen Tätigkeit für das Haus Toepfer immer Foto: az Zwei Größen der Agrarbranche: Alfred Strothe und Rudolf Stöhr Zunächst war er Präsident des Niedersächsischen Verbandes der Zeitschriftenverleger und ab 1971 übernahm er auch die Spitze des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger mit Sitz in Bonn. Gesundheitliche Gründe zwangen Strothe jedoch 1979, dieses sehr arbeitsintensive Amt aufzugeben. In Anerkennung seines enormen Einsatzes wurde er auch hier Ehrenpräsident. Nach diesen Ausflügen in die eher politische Welt wandte sich das CDU-Mitglied wieder mehr seinen Wurzeln, dem Agribusiness und der Publizistik, zu und entwickelte den Ernährungsdienst weiter. W oher Strothe noch die Zeit und die Kraft nahm, erfolgreich unter die Buchautoren zu gehen, blieb sein Geheimnis. Legendär sind seine Titel „Agrarwirtschaft im Umbruch” (1988) mit drei Auflagen, das „Lexikon für die Agrarwirtschaft” (1989) und „Treuhandanstalt – besser als ihr Ruf?” (1994). Daneben schrieb der Vollblutjournalist, der neben seiner Herausgeber- und Verlegerfunktion von Beginn an Mitglied im Verband Deutscher Agrarjournalisten (VDAJ) war, kompetent und in geschliffener Sprache Beiträge und Kommentare für seine Zeitschriften, insbesondere für seinen ED, die stets besondere Beachtung fanden. Das lag vielleicht auch daran, dass die journalistische Grundregel, Kommentar und Meinung deutlich von der Nachricht zu trennen, von ihm besonders sorgfältig beachtet wurde. 20 Jahre nach dem Einzug 1964 in das neue Hannoveraner Redaktionsgebäude zogen Verlag und Mannschaft nach Frankfurt um. Ein halbes Jahr zuvor, im Oktober 1983, hatte Strothe seinen Verlag an den Deutschen Fachverlag in Frankfurt verkauft, in dessen Verantwortung auch im siebzigsten Jahr seines Bestehens der fast schon legendäre ED – seit geraumer Zeit als AZ – publiziert wird. Strothe setzte sich nach dem Ver- kauf aber keinesfalls zur Ruhe. Er blieb nicht nur als Leitartikler seinem ED treu. Die Zeilen, die Volkward Koch im November 1994 Alfred Strothe zu dessen 70. Geburtstag gewidmet hat, sind bis heute vollauf gültig: „Schwungvoll, hellwach, überlegt, voller Lebensbejahung – auf seine Gesprächspartner aufgeschlossen, beredt und munter zugehend –, so kennt jeder, der ihm einmal begegnet ist, den Journalisten und Verleger Alfred Strothe.” Alfred Strothe hat die Diskussion innerhalb der Agrarbranche in ihrer wohl schwierigsten und wichtigsten Phase des Umbruchs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer Zeitgenosse geprägt: durch beispielhaften unternehmerischen Mut und großen Einsatz für die res publica, durch wegweisende publizistische Beiträge ebenso wie als fordernder, unbequemer Mahner und Moderator. Einige haben sich an Alfred Strothe gerieben, für viele war er Vorbild. Doch alle, die ihn kannten, zollten dem großen Publizisten Respekt. 6 Medien Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Kompetenz von der Urproduktion bis zur Vermarktung „Ich bin mir ganz sicher, dass das Papier in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren nicht verschwinden wird.“ F ür Unternehmer im Agribusiness sind unabhängige und zuverlässige Informationen in Fachmedien essenziell für ihren Erfolg. Wie der Strothe-Verlag und der Ernährungsdienst, die heutige agrarzeitung, Teil der dfv Mediengruppe wurden, davon erzählt Klaus Kottmeier. Er ist vormaliger Geschäftsführer und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender der Deutscher Fachverlag GmbH, nach wie vor zentrale Gesellschaft der dfv Mediengruppe. „Ich gratuliere der dfv Mediengruppe zur agrarzeitung und der agrarzeitung zu ihrem 70. Geburtstag.” Diese Worte von Klaus Kottmeier sind ehrlich gemeint. Obwohl die das Unternehmen mehr als 100 Fachmedien für elf Branchen verlegt, galt sein besonderes Interesse von Anfang an den Agrartiteln. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zweifelte er nie am Erfolg des früheren Ernährungsdienst, der heutigen agrarzeitung (az). Bereits vor 33 Jahren erkannten die Verantwortlichen der dfv Mediengruppe in Frankfurt am Main im Ernährungsdienst die ideale Ergänzung zu anderen wichtigen Titeln des Hauses, wie etwa der Lebensmittel Zeitung (LZ) oder Zur Person Klaus Kottmeier, Jahrgang 1933, ist Aufsichtsratsvorsitzender der dfv Mediengruppe, die zu den größten konzernunabhängigen Fachmedienunternehmen in Europa gehört. Kottmeier begann seine Karriere 1969 als Verlagsleiter der Lebensmittel Zeitung. 1976 wurde der studierte Jurist zum Geschäftsführer berufen und bekleidete von 1981 bis 2003 die Position als Sprecher der Geschäftsführung. 2003 übernahm Kottmeier den Vorsitz des neu gegründeten dfv Aufsichtsrates. Darüber hinaus gehörte Kottmeier viele Jahre dem Vorstand des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) an und zeichnete dort als Vorsitzender des Vorstands der Fachgruppe Fachzeitschriften verantwortlich. Von 1992 bis 2000 war er Sprecher der Deutschen Fachpresse. Für seine Tätigkeit als Verleger und sein ehrenamtliches Engagement im Bereich Medien wurde Kottmeier im Jahr 2009 das Bundesverdienstkreuz az am Bande verliehen. der Allgemeinen Fleischerzeitung (afz). Alfred Strothe, der als Verleger, Herausgeber und Chefredakteur wirkte, gründete bereits im Alter von 22 Jahren 1946 in Hannover den „Ernährungs-Wirtschaftlichen Informationsdienst” (ED), der bis 2009 unter dem Titel „Ernährungsdienst” (ED) bekannt war. Kottmeier erinnert sich daran, dass Strothe ihm einmal schmunzelnd erzählte, er habe seine Lizenz für Publikationen zur selben Zeit und von demselben britischen Presseoffizier erhalten wie der spätere Verleger Rudolf Augstein. Strothe blieb Ideengeber ED und Strothe-Verlag gehören seit 1983 zum Deutschen Fachverlag, bei dem auch die 1953 von Strothe gegründete Fachpublikation „Agrarwirtschaft” erscheint. Dreimal in der Woche erschien damals die Zeitung und war damit hochaktuell. „Ich kannte den angesehenen Verleger Alfred durch die dfv Mediengruppe 1983 blieb Strothe dem Titel Ernährungsdienst noch etliche Jahre als aktiver Herausgeber treu, was Kottmeier sehr begrüßte. Wegen seiner hohen verlegerischen und journalistischen Kompetenz war er in dieser Zeit ein wichtiger Ideengeber und ein kompetenter Gesprächspartner für Redaktion und Verlag. „Wir haben im Wesentlichen die gleiche Sprache gesprochen”, erinnert sich Kottmeier. Zu keiner Zeit habe man in Frankfurt bereut, den Ernährungsdienst übernommen zu haben. Im Gegenteil: Mit dem ED und den anderen Titeln des früheren Strothe-Verlages habe man vielmehr eine Lücke geschlossen, erklärt Kottmeier mit einem gewissen Stolz. Schließlich war er es, der als damaliger Geschäftsführer im Deutschen Fachverlag, gemeinsam mit seinem Geschäftsführerkollegen und heutigen Aufsichtsratsmitglied Peter Ruß, die Strothe-Objekte von Hannover nach „Schon immer zeichnete sich die agrarzeitung durch Mut und ihre absolute Unabhängigkeit von Politik, Verbänden und Organisationen aus. Das hat mich stets beeindruckt.“ Strothe nicht nur wegen seiner Nähe zur Land- und Ernährungswirtschaft, sondern auch in seiner Eigenschaft als Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Dieses Amt hatte er von 1971 bis 1979 inne. Strothe hat den Verband mit sicherem Blick für die Erfordernisse eines veränderten medienpolitischen Umfeldes stetig weiterentwickelt, so Kottmeier. Unter seiner Ägide entwickelte sich der VDZ von einer heterogenen Standesorganisation zu einer gewichtigen Interessenorganisation, die sich zunehmend in medienpolitische Entscheidungen einschaltete. Mit einem untrüglichen Blick für die Realität ausgestattet, führte er auch seinen Verlag. So erkannte Strothe für sein eigenes Unternehmen zur rechten Zeit, dass die Anlehnung an einen etablierten, breitgefächerten Verlag ein großer Vorteil ist. Nach der Übernahme des Alfred Strothe Verlages Frankfurt holte. Die dfv Mediengruppe kann nun eine Kompetenz gewissermaßen von der landwirtschaftlichen Urproduktion über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung für sich in Anspruch nehmen. Breit aufgestellt „Damit haben wir ein ungewöhnlich breites Angebot im ernährungswirtschaftlichen Bereich.” Auf die Frage, was er besonders am Ernährungsdienst beziehungsweise heute an der agrarzeitung schätzt, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Kottmeier: „Die az ist zwar kein sehr großer, aber ein sehr wichtiger Titel, der in der gesamten Branche – vor allem jedoch bei den Entscheidern – eine breite Wertschätzung genießt. Schon immer zeichnete sich die agrarzeitung durch Mut und ihre absolute Unabhängigkeit von Politik, Verbänden Foto: dfv Mediengruppe Unabhängiger Qualitätsjournalismus auf allen Kanälen moderner Fachkommunikation Klaus Kottmeier prägt die dfv Mediengruppe seit mehreren Jahrzehnten. und Organisationen aus. „Das hat mich stets beeindruckt, denn so etwas ist in der deutschen Agrarpresse kein zweites Mal zu finden. Und das passte von Anfang an auch gut in unser Haus, denn die dfv Mediengruppe ist bereits seit Jahrzehnten ein Garant für unabhängigen Qualitätsjournalismus.” Kottmeier ist auch in verlegerischer Hinsicht mit der Weiterentwicklung des Ernährungsdienstes hin zur agrarzeitung zufrieden. Heute nutzt die Redaktion sämtliche Kanäle moderner Fachkommunikation – von der gedruckten Zeitung einmal in der Woche über digitale Angebote wie tägliche Newsletter, E-Paper und Apps bis hin zu hochspezialisierten Veranstaltungen. „Das wird von der Redaktion sehr professionell gemacht”, freut sich der Verleger. Engagiert für den Nachwuchs Die dfv Mediengruppe kann mit der az auf die Wochenzeitung in fruchtbarer Verbindung mit dem Online-Portal setzen. Kottmeier glaubt freilich unbeirrt an eine gute Zukunft der Printmedien im Bereich der Fachzeitschriften. „Ich bin mir ganz sicher, dass das Papier in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren nicht verschwinden wird.” Die tiefere Analyse, der ausführliche Rückblick, die sachlich begründete Vorausschau und nicht zuletzt der vertiefende Kommentar erfordern wohl noch lange Zeit die Papierform. Die schnelle Nachricht, die raschen Meldungen, die kurze Meinung sind mit einem Internetportal dagegen oftmals besser bedient. Diese sich ergänzende Kombination von Wochenzeitung und täglichem Informationsportal im Internet beherrscht die agrarzeitung mit anerkanntem Erfolg, lobt der Verleger. Trotz ihres Jubiläums bleibt somit die agrarzeitung insgesamt ein „junges Medium”. Was die weitere Entwicklung der agrarzeitung und der Agrarwirtschaft anbelangt, gibt sich Kottmeier zuversichtlich. Deutschland werde immer ein wichtiger Agrarstandort in Europa sein, davon ist er überzeugt. „Schon heute gehören wir zu den wichtigsten Exportländern, die auch auf Drittlandmärkten eine maßgebliche Rolle spielen. Und die Bedeutung dürfte sogar in den kommenden Jahren noch wachsen.” Daran haben auch die unternehmerischen Landwirte mit ihren größeren, leistungs- und wettbewerbsfähigen Betrieben, an die sich das Blatt vor allem richtet, einen wichtigen Anteil. Sie sind in besonderem Maße auf neutrale und zuverlässige Marktberichterstattungen angewiesen. Für unternehmerische Landwirte und ihre vor- und nachgelagerten Partner in Handel und Industrie, so Kottmeier, sind gute Informationen zur richtigen Zeit ein unentbehrliches Handwerkszeug. Ihre Bedeutung steigt in dem Maße, wie Darüber hinaus setzt sich die az ganz besonders auch für den landwirtschaftlichen Nachwuchs ein. Dies zeigt einmal mehr, dass der Titel zukunftsorientiert agiert. So unterstützt die Zeitung kluge Köpfe der Agrarbranche mit dem „Förderpreis der Agrarwirtschaft” und bietet ihnen ein Sprungbrett für ihre Karriere. Schon seit mehr als zehn Jahren zeichnet die agrarzeitung engagierte und erfolgreiche junge Talente im Agribusiness aus – seien es Wissenschaftler, Landwirte oder Berufstätige in Agrarunternehmen aus Industrie, Handel und Verarbeitung. Gefragt sind dabei in erster Linie Ideen und Impulse. Das passt zum Engagement des Fachverlages, bei dem Ausbildung und die Förderung von Talenten Tradition hat. die staatlichen Absicherungen reduziert werden und sich die Politik vom Markt zurückzieht. Als geradezu unentbehrlich sieht er darüber hinaus eine konstruktiv-kritische Kommentierung: „Nur mit einer sachkundigen eigenen Meinung wird eine Fachzeitung von ihren Lesern respektiert und ernst genommen.” Hier habe sich die agrarzeitung in der Branche ebenfalls einen guten Ruf erworben. „Wenn also die Verantwortlichen des Blattes keine großen Fehler machen, sehe ich eine gute Zukunft für die agrarzeitung”, resümiert Klaus Kottmeier. HH Die dfv Mediengruppe Die dfv Mediengruppe mit Sitz in Frankfurt am Main erreicht jährlich eine verbreitete Auflage von rund 17 Millionen Exemplaren. Zu ihrem Portfolio zählen aktuell über 100 Fachzeitschriften sowie 100 digitale Angebote für elf wichtige Branchen, darunter Websites, E-Paper, Newsletter, Apps, Social-Media-Präsenzen sowie branchenspezifische Jobbörsen. Über 140 kommerzielle Veranstaltungen sowie rund 400 Fachbuchtitel ergänzen das Medienangebot. Die Lebensmittel Zeitung, TextilWirtschaft und HORIZONT sind im jährlichen Ranking der werbeumsatzstärksten Fachzeitschriften Deutschlands unter den Top 5 vertreten. 2015 erzielte die dfv Mediengruppe zusammen mit ihren Töchtern und Beteiligungen einen Umsatz von 147,3 Millionen Euro Damit bleibt die dfv Mediengruppe, die rund 970 Mitarbeiter beschäftigt, eines der umsatzstärksten Fachmedienunternehmen in az Deutschland und Europa. 8 Medien Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Wie die Digitalisierung die Wahrnehmung von Landwirtschaft verändert Gastkommentar Prof. Dr. Matthias Kussin, Hochschule Osnabrück Der Blickwinkel hat sich geändert Was ist da passiert? Warum gewinnt dieser Konflikt in jüngerer Zeit an Schärfe? Hat sich die Tonalität der Massenmedien so gravierend verändert? Allein ein Blick auf die Titelgeschichten des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL in den 1970er bis 1990er Jahren lässt den Schluss zu: Auch früher haben Massenmedien nicht mit Alarmismus gespart, was landwirtschaftliche Themen betrifft. „Vergiften uns die Bauern?”, fragte das Nachrichtenmagazin auf seiner Titelseite, es schrieb über die „staatlich geförderte Quälerei an Nutztieren”, klagte über die „giftgrüne Agrarlobby” sowie die „Schweinerei mit Fleisch” und machte mit Titeln wie „Genfraß” und „tödliche Eier” auf. Öffentlichkeit und Verbraucher blicken ebenfalls nicht erst seit gestern kritisch auf Sektoren wie die moderne Landwirtschaft. Spätestens seit dem Erstarken der Umweltbewegung in den 1970er Jahren gibt es eine veränderte Betrachtung möglicher Risiken und Nebeneffekte, die für Mensch und Umwelt aus Produkten und Produktionsprozessen hervorgehen. Gemäß Untersuchungen des Agrarwissenschaftlers Reimar von Alvensleben neigte Mitte der 1990er Jahre ein Drittel der Bevölkerung der Aussage zu, sie würden durch die damaligen Lebensmittel schleichend vergiftet. Die Gesundheitsrisiken durch Salmonellen, BSE und Pflanzenschutzmittelrückstände auf Lebensmitteln wurden als gefährlicher eingeschätzt als das Rauchen. Und auch die Schweinepest und Hormone Diskussion bei. Gestärkt werden vielmehr die extremen Pro- und Kontra-Positionen. Eine Forschergruppe um die italienische Mathematikerin Michela Del Vicario konnte dies kürzlich zeigen. Und anders als in den Publikumsmedien, in denen Themen aus der Landwirtschaft schnell wieder von Beiträgen aus der Automobilindustrie oder den Finanzmärkten abgelöst werden, laufen diese Erregungen im Netz weiter. bei Kälbern landeten bei Umfragen vor Risiken im Straßenverkehr. Dieser gesellschaftliche Wandel schlug sich auch zu dieser Zeit in einer veränderten Berichterstattung der Massenmedien nieder. Sie war Folge und nicht Ursache der öffentlichen Meinung, wie von Alvensleben deutlich machte. Kommunikation wird digital Wenn sich also die Wahrnehmung der Landwirtschaft in Berichterstattung und Öffentlichkeit jüngst nicht prinzipiell verändert hat, was dann? Es gibt gute Gründe, die Ursachen des Konflikts auch außerhalb von Landwirtschaft und Journalismus zu suchen und den Prozess der Digitalisierung von Kommunikation in den Blick zu nehmen. Dieser Prozess ist mit dafür verantwortlich, dass die Agrarund Lebensmittelbranche ihr öffentliches Bild heute anders wahrnimmt als noch vor 20 Jahren. Konkret treibt die Verbreitung des Internets und der Aufstieg von Akteuren wie Google, Facebook, Youtube oder Twitter dies voran – keines der genannten Unternehmen war vor 1997 am Markt. Ihre Leistungen und die Aktivitäten ihrer Nutzer tragen maßgeblich dazu bei, dass sich die Rezeption der journalistischen Berichterstattung gewandelt hat – und dies in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht. Denn auch die Veränderungen der Zeitstrukturen modifizieren das Bild von Landwirtschaft in den Medien – und dies in zweifacher, fast widersprüchlicher Hinsicht. Zum einen erhöht das Netz bekanntermaßen die Geschwindigkeit und verlangt nach immer mehr Informationen in Echtzeit. Auf der anderen Seite erleben wir eine Entzeitlichung mit Blick auf die Verfügbarkeit von Beiträgen. Alles bleibt abrufbar und damit potenziell in unserer Wahrnehmung präsent, weil es nur eine Suchmaschinenanfrage entfernt ist. Polarisierung kostet Vertrauen Alle diskutieren mit In sachlicher Hinsicht erweitern digitale Medien die Vielfalt an Kommunikationsformen und die Reichweite klassischer Massenmedien. In Blogs, Posts und Tweets wird auf Beiträge von Presse, Funk und Fernsehen Bezug genommen – und das im Sprachstil des Netzes: kurz, knapp und suchmaschinentauglich. Zugleich ermöglicht die Technologie das Teilen und die mühelose Vervielfältigung von Publikationen – und damit auch die von einer kritischen bis tendenziösen Berichterstattung, die früher nur einem zahlungsbereiten Publikum zugänglich war. Wo vor 20 Jahren vielleicht allein das Bauernblatt und die regionale Tageszeitung auf dem Küchentisch lagen, entsteht heute über Online-Kanäle auf den Höfen ein anderes Bild von der Berichterstattung über Landwirtschaft. Die Möglichkeiten der neuen Formate führen in der Sozialdimension zu Foto: privat A uch wenn beim diesjährigen Bauerntag die Vertreter der Medien vom Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, höflich begrüßt wurden und anders als im vergangenen Jahr die Medienkritik ausblieb. Das Verhältnis zwischen Journalisten und Landwirten bleibt angespannt. Die Verantwortung sieht jede Seite bei der jeweils anderen. Journalisten fürchten um ihre Unabhängigkeit, weil Landwirte auf ihre Berichte mit juristischen Klagen und Protest reagieren. Landwirte ihrerseits fühlen sich als Opfer einer Medienberichterstattung, die dem Ansehen des Berufsstandes schadet. „Die sozialen Netzwerke tragen nicht zur wechselseitigen Aufklärung bei, sondern verstärken die extremen Pro- und Kontra-Positionen.“ einer Steigerung der Akteursvielfalt. Ob Bürger, Landwirte, Aktivisten oder sogenannte Social Bots, das sind Computerprogramme, die eigenständig Kommentare verfassen – im Netz gibt es keine Gatekeeper mehr. Alle können mitdiskutieren über Zeitungsartikel und Fernsehbeiträge zu Glyphosat im Bier, Gentechnik auf dem Feld, Nitrat im Trinkwasser oder Antibiotika im Stall. Nicht selten rufen einzelne Beiträge „kreisende Erregungen” hervor, wie es der Netzforscher Peter Kruse formuliert hat, die durch die Netze schwappen. Die sozialen Netzwerke tragen nicht in erster Linie zur wechselseitigen Aufklärung und zur verständigungsorientierten Diese Entwicklung ist keine vorübergehende Zeiterscheinung. Schließlich stellt auch das Internet kein kurzfristiges Phänomen dar, sondern bedeutet nicht weniger als die Ablösung der Buchdruckgesellschaft durch die „nächste Gesellschaft”, wie der Soziologe Dirk Baecker formuliert. In dieser neuen Konstellation muss vor allem eine konfrontative Medien- und Öffentlichkeitsarbeit an ihre Grenzen stoßen. Sie bedient zwar Stimmungen im eigenen Lager und schließt so die Reihen. Zugleich aber ist sie willkommener Anlass für inszenierte Empörung auf der Gegenseite und Nährstoff für weiterlaufende Auseinandersetzungen. Der Versuch einer Kontrolle über die Deutungshoheit bei landwirtschaftlichen Themen befeuert gerade die Dynamik in den Netzen. Massenmedien gewinnen aus diesem Streit immer wieder neuen Stoff für Berichte und Kommentare, die in den digitalen Medien weitere Resonanz erfahren. Die Polarisierung geht so zulasten des Vertrauens der kritisch-konstruktiven Mitte der Gesellschaft. Denn hier steigt die Verunsicherung, wer denn nun das richtige Bild von der Landwirtschaft zeichnet. Gelassenheit hilft Wie aber kann eine Alternative für die professionelle Öffentlichkeitsarbeit der Branche aussehen, um die Logik der Konfrontation zu durchbrechen? Ein erster Schritt läge darin, zunächst einmal gelassen auch auf als unfair wahrgenommene Beiträge zu reagieren. Getroffene Hunde bellen – so denken viele. Als stark dagegen gilt, wer sich nicht provozieren lässt und nicht an der Erregungsspirale schraubt. Wer andere Positionen zulässt, auch wenn sie nicht den eigenen Prämissen entsprechen. Und wer Frieden mit der Einsicht schließt, dass Massenmedien ihre Arbeit zunächst an Nachrichtenwerten, nicht aber an wissenschaftlichen Wahrheitskriterien ausrichten. Ein solches Vorgehen sorgt nicht immer für Beifall in den eigenen Reihen – aber es macht erstens die Landwirtschaft ein Stück weit weniger attraktiv als Ziel für schlechtmeinende Kritik und schafft zweitens Grundlagen, um das Verhältnis zwischen Journalisten und der Branche wieder produktiver zu gestalten. Zur Person Prof. Dr. Matthias Kussin hat ab dem Sommersemester 2016 die Professur für Medien- und CSR-Kommunikation (CSR=Corporate Social Responsibility) an der Fakultät für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur der Hochschule Osnabrück übernommen. Zuvor arbeitete er über sieben Jahre in verschiedenen Positionen für den RWE-Konzern, zuletzt im Bereich Group Corporate Affairs mit dem Schwerpunkt Corporate Responsibility (CR). Dort verantwortete er das CR-Reporting und war Ansprechpartner für Stakeholder aus dem Bereich Nichtregierungsorganisationen (NGO). Daneben war er als Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen wie den Universitäten Bielefeld und Luzern tätig. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten des promovierten Soziologen sowie Energieökonomen zählen insbesondere die Themen Unternehmenskommunikation, politische Kommunikation und Risikoregulierung sowie das Nachhalaz tigkeitsmanagement. Agrarpolitik Europa 9 Foto: dpa Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Die Europäische Union muss sich ihren Kritikern gegenüber immer wieder aufs Neue beweisen. Liberale Positionen auf dem Rückzug EU-Haushalt 2015 Ausgaben in Prozent von insgesamt 162 Mrd. Euro 7,2 5,4 Verwaltung, Sicherheit, Sonstiges Globales Europa 10,8 39,4 Wettbewerbsfähigkeit Landwirtschaft 37,2 Nächste Gap-Reform im Jahr 2020 – Direktzahlungen brauchen bessere umweltpolitische Legitimation Kohäsion Quelle: EU-Kommission Z urzeit drängt es in Brüssel kaum einen nach weiteren größeren Anpassungsschritten. Das mag verwundern, weil die Geschichte der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union eine einzige Abfolge von Agrarreformen war. Aber jetzt befinden sich die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten in einer Verschnaufpause. Die Neuerungen der jüngsten Reform müssen immer noch verdaut werden. Mit größeren Veränderungen in den kommenden beiden Jahren im Rahmen einer Halbzeitbewertung ist deshalb weniger zu rechnen. Sollte die EU-Kommission Ende 2017 dennoch etwas vorlegen, allein schon um Handlungsfähigkeit zu beweisen, werden dies mehr symbolische Verbesserungen sein. Kritik am Bürokratiemonster Umstritten ist und bleibt der Verwaltungsaufwand. Die nationalen Agrarverwaltungen versuchen jetzt schon im zweiten Jahr der Reform, das Greening und weitere Neuerungen für die Direktzahlungen administrativ in den Griff zu bekommen. In Frankreich, dem Vereinigten Königreich und anderen EU-Mitgliedstaaten kommt es wiederholt zu Verzögerungen bei der Auszahlung der Direktzahlungen, was besonders in Krisenzeiten bitter für die Landwirte ist. Natürlich entwickelt sich daraus in den EU-Mitgliedstaaten und den Agrarverbänden die Forderung nach einer deutlichen Entbürokratisierung der GAP. Die EU-Kommission bemüht sich red- Das Greening erfreut sich keiner allgemeinen Anerkennung. Naturschützer bezweifeln den Erfolg der neuen Umweltauflagen. Zwischenfrüchte oder kurzfristige Brachen erhöhen kaum die Artenvielfalt auf der landwirtschaftli- Versichern gegen Preisverfall Ähnlich verfahren stellt sich die Diskussion um die EU-Marktordnung dar. Zwischen den Anhängern einer alten Agrar- Das Greening ist und bleibt das ungeliebte Kind der jüngsten Agrarreform. Aber eine Alternative ist auch nicht in Sicht. chen Nutzfläche. Zwar laufen die Studien noch, aber deutliche Fortschritte bei der Artenvielfalt werden sie wahrscheinlich nicht nachweisen können. Auf der anderen Seite belasten die zusätzlichen Umweltauflagen besonders an intensiven Ackerstandorten die Landwirte, zumal Produktionsbeschränkungen kaum zu den Anforderungen einer wachsenden Weltbevölkerung passen. Das Greening ist und bleibt das ungeliebte Kind der jüngsten Agrarreform. Bewährungsprobe für Auflagen Die Zukunft der GAP ist heute weder mit noch ohne Greening denkbar. Ohne umweltpolitische Legitimation drohen den Direktzahlungen Einschnitte in den Verhandlungen um das EU-Budget der Jahre 2020 bis 2027. Die Voraussetzungen für eine Erweiterung des Greenings über den heutigen Anteil von 30 Prozent politik mit Mengensteuerung und den Liberalen geht die Auseinandersetzung weiter. Die Traditionalisten haben durch die anhaltend niedrigen Milchpreise neuen Zündstoff bekommen. Allerdings haben auch die „Agrarkonservativen” ihre Forderungen modernisiert. Eine Rückkehr zur Mengensteuerung alten Stils wünscht sich kaum noch ein EU-Mitgliedstaat. Die Milchquoten und die Dauerintervention haben ausgedient. An ihre Stelle sind Forderungen nach einer Ad-hoc-Intervention getreten. Dabei soll die EU in Krisenzeiten ohne vorherige Ankündigung überschüssige Mengen aus dem Markt nehmen. Auch an temporäre Beschränkungen der Produktion denken einzelne Stimmen. Die alten Markordnungsinstrumente werden inzwischen selbst von den Traditionalisten als zu träge angesehen, weshalb sie zwar teuer, aber nur mäßig wirksam sind. Doch auch die ins Spiel gebrachten moderneren Formen der Mengensteuerung haben die Fronten in der Debatte über die Zukunft der EU-Agrarmarktordnung noch nicht verschoben. Die Liberalen betonen weiterhin, dass einzig und allein die Landwirte auf niedrige Preise mit einer Verminderung des Angebots reagieren müssen. Sollte sich die EU in diesen notwenigen Anpassungsprozess von Angebot und Nachfrage einmischen, werde die Reaktion der Landwirte nur gebremst und verzögert, betonen die Liberalen. Größere Einigkeit besteht aber darüber, dass in der kommenden Reform von 2020 die Versicherungsmöglichkeiten im Rahmen der GAP ausgebaut werden sollen. Einige wollen den Versicherungsschutz auf freiwillige Angebote in der 2. Säule der GAP beschränken. Andere möchten einen Teil der Direktzahlungen abzwacken, um mit den freigewordenen Mitteln allen Landwirten einen Ausgleich in Zeiten schlechter Preise gewähren zu können. Brexit verschiebt Gleichgewicht Das bisherige Gleichgewicht zwischen den Liberalen und Traditionalisten im EU-Agrarministerrat verändert sich, wenn das Vereinigte Königreich in zwei Jahren aus der EU austreten sollte. Damit verschieben sich die Vorzeichen für eine Debatte um die Zukunft der GAP. Frankreich und die mit ihm häufig verbündeten Mittelmeerländer der EU bekommen stärkeres Gewicht. Dadurch gewinnt die Forderung nach dem Erhalt der Direktzahlungen an Boden, auch wenn diese an immer neue Bedingungen und Auflagen für die Landwirte geknüpft werden sollten. Das dafür notwendige Geld im EU-Haushalt nach 2020 lässt sich auch leichter bereitstellen, wenn die Briten als permanente Kritiker einer gut ausgestatteten GAP entfallen. Die Verschiebung nach dem Fehlen der Briten wird sich genauso auf EU-Agrarmarktordnungen auswirken. Die Tendenz zur Rückkehr zur Steuerung der Agrarmärkte –wenn auch auf neuen Wegen –ist ohnehin vorhanden. Und ohne die wichtige Gegenstimme der Briten wird sich diese Tendenz noch verstärken. Milliardenbeträge fließen in die Landwirtschaft der Europäischen Union. Der Agraranteil am gesamten EU-Haushalt beträgt 2015 fast 40 Prozent. Viel oder wenig? Für eine Antwort hilft vielleicht die individuelle Perspektive: Pro Einwohner errechnen sich lediglich Kosten von 10 Euro pro Monat. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel: „Stimmt das System noch, wenn an die 40 Prozent des EU-Haushalts für Agrarpolitik aufgewendet werden, während für Forschung, Innovation oder Bildung signifikant weniger Geld zur Verfügung steht?“ EU-Agrarkommissar Phil Hogan: „Es ist wichtig, so viele überlebensfähige Betriebe wie möglich zu erhalten. Deshalb gibt es Direktzahlungen und Marktinstrumente. Wird der Transfer von Innovationen verbessert, schafft dies neue Jobs.“ Foto: EU-Kommission Brüssel der Direktzahlungen hinaus sind aber auch noch nicht gegeben. Dazu müssten auf der einen Seite die Umweltvorteile des Greenings klarer auf der Hand liegen. Auf der anderen Seite müssen sich die Auflagen besser in die landwirtschaftliche Praxis einpassen, ohne Produktionsabläufe zu sehr zu stören. Ob das Greening diese Bewährungsproben in den kommenden Jahren bestehen wird, ist ungewiss. Aber eine Alternative zur weiteren Anbindung der Direktzahlungen an Umweltauflagen ist auch nicht in Sicht. Foto: BMWI Axel Mönch lich, aber entschiedene Schritte zur Vereinfachung sind nur mit Eingriffen in die Grundverordnungen der GAP zu machen. Und da wagt es kaum einer, das mühsam 2013 verhandelte und immer noch gebrechliche Paket an Agrarverordnungen auseinanderzunehmen. Die ganze Vereinfachungsdebatte hat deshalb keinen rechten Boden unter den Füßen. Der Ärger über die zunehmende Verwaltung ist auch deshalb so groß, weil keiner so recht weiß, ob es einen Sinn ergibt. Was die EU die Bürger kostet oder ihnen bringt Größte Haushaltssalden der Mitgliedstaaten in Euro/Einwohner 2014 Nettozahler Nettoempfänger -280 Niederlande Ungarn 575 -240 Schweden Litauen 524 Griechenland 473 Malta 422 Lettland 400 -192 Deutschland -149 Dänemark -148 Finnland Quelle: bpb Entwicklung der EU-Agrarsubventionen in Prozent des Wertes der Agrarproduktion 45 45 40 40 35 35 30 30 25 25 20 20 15 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 15 2013 2015 Quelle: OECD 10 Agrarpolitik Europa Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung EU-Agrarkommissare Mit 27 oder 28 EU-Mitgliedstaaten kann es keine einheitliche Lösung für alle geben.“ Foto: EU-Kommission Denken Sie an eine Halbzeitbewertung der jüngsten GAP-Reform im Laufe des Jahres 2017? Hogan: Ich möchte betonen, dass die Reform von 2013 ständig überprüft und verbessert wird, seitdem ich das Amt in Brüssel übernommen habe. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren eine Fülle von Vereinfachungen vorgenommen. Einige der komplizierten Vorschriften der Reform, so wie sie der Ministerrat und das Europaparlament beschlossen haben, wurden dadurch einfacher. Als jüngster Schritt in diesem Prozess kommen einige Maßnahmen zur Vereinfachung des Greening hinzu. „Landwirte brauchen auch in 20 Jahren Unterstützung“ Gesellschaftliche Anforderungen nehmen zu – Nationale Spielräume sind größer geworden Auch wenn EU-Agrarkommissar Phil Hogan betont, keine Kristallkugel in den Händen zu haben, gibt er dennoch einige Hinweise für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2020. Nach seiner Ansicht bleiben die Direktzahlungen ein wichtiger Bestandteil der Agrarpolitik. Schließlich ist Hogan zuversichtlich, dass in den anstehenden Auseinandersetzungen um knappe EU-Haushaltsmittel die GAP ausreichend ausgestattet wird. agrarzeitung: Wird es die GAP in 20 Jahren noch geben und welche Teile haben Bestand? Hogan: Vor mehr als 50 Jahren wurde entschieden, die Agrarpolitik auf der europäischen Ebene zu regeln und nicht mehr national oder regional. Diese Entscheidung wurde auch im Vertrag der EU zementiert. Solange es einen EU-Vertrag gibt, solange werden wir auch eine gemeinsame Agrarpolitik haben. Daran führt kein Weg vorbei. Es geht aber nicht nur in eine Richtung. In der Reform von 2013 haben die EU-Mitgliedstaaten einen noch nie dagewesenen nationalen Spielraum erhalten. Mit 27 oder 28 EU-Mitgliedstaaten kann es nämlich keine ein- heitliche Lösung mehr für alle geben. Ich bin überzeugt davon, dass auch in 20 Jahren Landwirte unbedingt eine Unterstützung brauchen. Schließlich sind die zunehmende Bedeutung der Klimapolitik und die Auflagen für eine nachhaltige Produktion Anforderungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft, die durch den Markt nicht entlohnt werden. Hinzu kommen Risiken durch zunehmende Preisschwankungen. Darum brauchen Landwirte Hilfen. Solange wir einen EU-Binnenmarkt haben, macht es Sinn, auch die Agrarpolitik im Wesentlichen gemeinsam zu regeln. wettbewerbsfähigen Agrarunternehmen und kleinen Betrieben ist falsch. Ich komme aus einem kleinen Familienbetrieb. Der Familienbetrieb sorgt für Lebendigkeit und Überlebensfähigkeit des ländlichen Raumes. Ich stehe zum Familienbetrieb, der Traditionen bewahrt und Nahrungsmittel von hoher Qualität erzeugt, die weltweit berühmt sind. Das ist ein zentraler Bestandteil dessen, was uns ausmacht. Sicherlich müssen die Betriebe auch wettbewerbsfähig sein, aber die Erfahrung zeigt uns, dass Familienbetriebe diese Rolle ebenso erfüllen können. Als ihr wichtigstes Ziel nennt die EU-Kommission immer wieder „Arbeitsplätze und Wachstum”. Brauchen Sie dafür vor allem wettbewerbsfähige Agrarunternehmen oder auch traditionelle Familienbetriebe? Hogan: Wir brauchen einen modernen und dynamischen Agrarsektor, der nachhaltig und wettbewerbsfähig ist. Er ist das Fundament für den Nahrungsmittelsektor, der die meisten Arbeitsplätze von allen Wirtschaftssektoren stellt. Ohne den Primärerzeuger gibt es keine fertigen Nahrungsmittel. Der Gegensatz zwischen Wie wird sich die Verteilung der Agrarsubventionen in den kommenden Jahrzehnten verändern? Wird es weniger für die ohnehin wettbewerbsfähigen Betriebe geben und dafür mehr für die Kleinlandwirte? Hogan: Ich habe keine Kristallkugel, das müssen zukünftige Generationen entscheiden. Die Entwicklung geht dahin, durch das Greening und andere Umweltmaßnahmen Landwirte für die Bereitstellung von öffentlichen Gütern zu bezahlen. Außerdem müssen wir uns darum kümmern, wie wir Landwirte gegen die zunehmenden Preisschwankungen absichern können. Die Zielrichtung bleibt: Landwirte müssen mit geringerem Ressourceneinsatz mehr erzeugen können. Das macht eine Agrarpolitik notwendig. Bleiben die Direktzahlungen auch bis zum Jahr 2030 das wichtigste Instrument der GAP? Hogan: Die Direktzahlungen sind das notwendige Sicherheitsnetz für die Landwirte in Zeiten von niedrigen Preisen. Deshalb bleiben sie ein zentraler Bestandteil für den Umgang mit Risiken in einer marktorientierten GAP. Was die Versicherungen angeht, gibt es schon freiwillige Angebote in den ländlichen Förderprogrammen, die von Ungarn, Italien und Spanien genutzt werden. Es muss beobachtet werden, wie sie sich bewähren. Ich bin zuversichtlich, dass diese Maßnahmen in den zukünftigen Programmen einen breiteren Raum einnehmen werden. Die Absatzfördermaßnahmen waren bereits erfolgreich und haben Rekordausfuhren auf Drittlandmärkten ermöglicht. Das war unsere Antwort auf das Einfuhrverbot von Russland. Die Absatzförderungsmaßnahmen bauen den weltweit 1958 – 1972 Sicco Manshold (Niederlande) 1972 – 1973 Carlo Scarascia-Mugnozza (Italien) 1973 – 1981 Pierre Lardinois (Niederlande) 1981 – 1985 Finn Olav Gundelach (Dänemark) 1985 – 1989 Frans Andriessen (Niederlande) 1989 – 1992 Ray MacSherry (Irland) 1992 – 1995 René Steichen (Luxemburg) 1995 – 2004 Franz Fischler (Österreich) 2004 – 2010 Mariann Fischer Boel (Dänemark) 2010 – 2014 Dacian Ciolos (Rumänien) seit 2014 Phil Hogan (Irland) exzellenten Ruf für Qualität, Tradition und Sicherheit von europäischen Erzeugnissen aus. Was sind Ihre Lehren aus der Milchkrise? Wird es ein Zurück zur Mengensteuerung geben? Hogan: Das ist schon eine schwierige Situation für die Landwirte, geradezu ein „perfekter Sturm” durch den Wegfall der Nachfrage in Russland, den Rückgang in China und einen deutlichen Anstieg der Milcherzeugung in der EU, den USA und in Neuseeland. Aber eins habe ich immer klargestellt: Eine Wiedereinführung der Quoten, auch vorübergehend, ist keine politische Option und auch rechtlich nicht möglich. Natürlich mussten wir etwas für die Erzeuger machen, die bei Wind und Wetter jeden Tag um sechs Uhr aufstehen, um ihre Kühe zu melken und unter enormem Stress leiden, seitdem die Kosten über den Erlösen liegen. Die Verminderung des Überangebots steht für mich im Mittelpunkt. Ich habe hierfür bis Ende Juni 23 Maßnahmen beschlossen, inklusive des 500 Millionen Euro Hilfspakets. Im Agrarrat im Juli sind weitere Maßnahmen gegen das Ungleichgewicht im Markt hinzugekommen. Was braucht die GAP, um möglichst ungeschoren die Verhandlungen um den EU-Haushalt für die Jahre 2020 bis 2027 zu überstehen? Hogan: Die GAP trägt zur sicheren und nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln bei. Das ist die Basis für den Nahrungsmittelsektor, den größten Arbeitgeber in der Europäischen Union. Für etwa 0,3 Prozent aller öffentlichen Ausgaben – lokal, regional, national und EU-weit – erhalten wir Lebensmittel, die sicher und hochwertig sind. Ferner trägt die GAP zu unserer vielfältigen Landschaft bei mit Weinhängen und Obstgärten, die Touristen aus der ganzen Welt anziehen. Unsere Landwirte erhalten und pflegen diese Landschaft und versorgen uns mit Nahrungsmitteln. Wenn wir uns dies klarmachen, ist es doch nicht erstaunlich, dass die Bevölkerung von Umfrage zu Umfrage immer wieder ihre eindeutige Unterstützung für die GAP kundtut. Die Fragen stellte Axel Mönch Zur Person Phil Hogan wurde 1960 im südostirischen Kilkenny geboren. Nach dem Wirtschafts- und Geografiestudium an der Universität von Cork leitete er von 1981 bis 1983 den landwirtschaftlichen Betrieb der Familie. Zwischenzeitlich betätigte er sich als Versicherungsund Immobilienmakler und engagierte sich in der Politik für die Fine Gael Partei. Hogan war irischer Umweltminister von 2011 bis 2014, bevor er in Brüssel zum EU-Agrarkommissar benannt wurde. Mö Agrarpolitik Europa 11 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Ein ständiger Anpassungsprozess Marktkräfte wirken lassen Von der Sicherstellung der Versorgung bis zur Marktorientierung war es ein langer Weg. D ie Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist so alt wie die EU. Gleich in der Gründungsphase wurden in den Römischen Verträgen von 1957 die Ziele festgelegt. Im Mittelpunkt standen die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft, die angemessenen Einkommen der Landwirte und die Sicherstellung der Versorgung. Vor allem das Gründungsmitglied Frankreich hatte damals darauf bestanden, neben Kohle und Stahl auch die Landwirtschaft gemeinschaftlich zu regeln. Die Ziele der GAP sind geblieben. Pragmatismus überwiegt Artikel 39 aus den Römischen Verträgen wurde in den aktuellen EU-Vertrag von Lissabon übernommen. Sicherlich hätten viele Beteiligte in den jüngsten Vertragsverhandlungen in den Jahren nach 2000 der GAP weitere Ziele hinzugefügt, wie etwa die Schonung von Ressourcen oder den Tierschutz. Einige EU-Mitgliedstaaten hielten in den Verhandlungen um den EU-Vertrag von Lissabon die Einkommenspolitik für kein zeitgemäßes Ziel mehr. Aber weil die Debatte um neue Ziele für die GAP wegen der kontroversen Vorstellungen sicherlich ausgeufert wäre, begnügte man sich in Brüssel in pragmatischer Weise damit, den alten Artikel 39 aus der Gründungsphase einfach im Lissaboner Vertrag fortzuführen. Trotz des veralteten Zielkatalogs wurde die konkrete Ausgestaltung der GAP immer wieder reformiert. Seit den frühen 1990er Jahren ist die GAP eine Geschichte von ständig angepassten EU-Marktordnungen. Eine Reform löste die andere ab und die GAP ist noch keinesfalls in einem Zustand von dauerhafter Stabilität angelangt. Im Laufe der 1960er Jahre wurden Marktordnungen für die meisten Erzeugnisse geschaffen, immer nach dem vergleichbaren Muster: Importzölle sollten das Preisniveau in der EU über jenes auf dem Weltmarkt heben. Um Überschüsse dennoch exportieren zu können, mussten Ausfuhrerstattungen die gerade geschaffenen Hindernisse im Außenhandel wieder aufheben. Einzelne Stimmen warnten schon damals, dass die Preissubventionen dem Verbraucher schaden, den EU-Agrarhaushalt belasten und zu Überschüssen führen könnten. Doch die Kritik, die vor allem von Wissenschaftlern und Universitäten geäußert wurde, verhallte ungehört. Ordnungssystem mit Nebeneffekten Die unerwünschten Folgen der Marktordnungen entwickelten sich erst langsam. Noch freute man sich in Europa über die gemeinsame Agrarpolitik und darauf, das gemeinsame Projekt vorantreiben zu können. Erst in den 1980er Jahren zeigten „Milchseen”, „Butterberge” und „Getreideberge” die Schwächen der damaligen GAP sehr deutlich auf. Über 90 Prozent des EU-Haushalts wurden für die Intervention und für Exporterstattungen aufgewendet. Als Notbremse wurde 1984 beispielsweise mit Quoten die Menge der Milcherzeuger beschränkt. Inzwischen sprechen Agrar- Foto: Bundesarchiv Zeitleiste Bundeskanzler Konrad Adenauer, Staatssekretär Walter Hallstein und der italienische Ministerpräsident Antonio Segni (v.l.n.r.) bei Unterzeichnung der Römischen Verträge. 1957 Sechs Staaten gründen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und unterzeichnen die Römischen Verträge. Zu den Gründerstaaten gehören die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Die Agrarpolitik wird vergemeinschaftet. 1962 Die ersten Agrarmarkt ordnungen werden auf den Weg gebracht. 1973 Die Europäische Union wird um das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark erweitert zur EU9. 1979 Die erste Direktwahl des Europaparlaments findet statt. 1981 Griechenland wird in die Europäische Union aufgenommen zur EU10. 1986 Die Europäische Union wird um Spanien und Portugal erweitert zur EU12. 1992 Abbau der Preisstützung in der MacSherryReform 1995 Erweiterung der Europäischen Union um Österreich, Schweden und Finnland zur EU15 1995 Freier Personenverkehr durch das Abkommen von Schengen 2000 Agenda 2000 und Einrichtung der 2. Säule der GAP 2002 Einführung des Euro 2003 FischlerReform mit der Entkoppelung der Subventionen von der Erzeugung 2004 Erweiterung der Europäischen Union um zehn mittel- und osteuropäische Länder zur EU25. Im Rahmen der sogenannten Osterweiterung gehören nun Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, die Slowakei, Zypern und Malta zur EU. 2007 Die Europäische Union wird um Rumänien und Bulgarien erweitert zur EU27. 2009 Der Vertrag von Lissabon tritt in Kraft, das Europäische Parlament darf bei der GAP mitentscheiden 2013 Die Europäische Union wird um Kroatien erweitert zur EU28. 2013 Die GAPReform mit dem Greening der Direktzahlungen tritt in Kraft. 2016 Die Briten stimmen in einem Referendum gegen die EU-Mitgliedschaft. historiker auch schon von den „Krisenjahren der GAP”. Reformdruck kam auch von internationaler Seite. Die EU stand wegen ihrer Preissubventionen in der Uruguay-Run- de des GATT unter Druck. Ein Abschluss der damaligen Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels war nur möglich, wenn die EU ihren Außenschutz abbaut. Die Wende in der GAP leitete der irische Agrarkommissar Ray MacSherry ein. Er schlug vor, die Interventionspreise für Getreide zu senken und den Landwirten dafür zum Ausgleich eine feste Flächenprämie zu zahlen. Mit der Agenda 2000 folgte 1999 die zweite größere Reform mit einem vergleichbaren Konzept. Die Garantiepreise wurden weiter zurückgenommen. Die Landwirte bekommen dafür Direktzahlungen. Zudem wurde mit der Agenda 2000 die 2. Säule der GAP mit ihren gezielten Förderprogrammen eingerichtet. Die Direktzahlungen wurden in der Reform von 2003 von der aktuellen Produktion abgekoppelt und damit völlig unabhängig von Ernte und Erträgen gewährt. Damit war der entscheidende Schritt zur Marktorientierung getan. Land- wirte können erstmals ihre Entscheidungen unabhängig von der Subventionspolitik treffen. Die Intervention spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. In der jüngsten Reform aus dem Jahr 2013 geht es darum, einen Teil der Direktzahlungen an zusätzliche Umweltauflagen zu knüpfen. Dazu zählen unter anderem bestimmte Fruchtfolgen, Ökobrache odre der Erhalt von Dauergrünland. Mit dem sogenannten Greening soll die GAP vor Kritik in der Debatte um die Verteilung des EU-Haushalts geschützt werden. Auch wenn aus dem EU-Haushalt nur noch etwa 40 Prozent des Budgets für die Landwirtschaft ausgegeben werden, bleibt der Anteil für den grünen Sektor umstritten. Vor den Verhandlungen über die Verteilung der EU-Mittel für die Jahre 2020 bis 2027 dürfte es deshalb zu einer weiteren Agrarreform kommen. Mö 12 Agrarpolitik Europa Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Ich betrachte die Entwicklung mit Sorge“ Die EU-Kommission sollte in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) wieder deutlicher Akzente setzen. Überzeugende Reformvorschläge mit Ecken und Kanten für ihre Widersacher wünscht sich der ehemalige EU-Agrarkommissar Franz Fischler. Er sieht eine gerechtere Verteilung der Direktzahlungen als eine Aufgabe für eine kommende Reform. Zudem warnt er vor einer Rückkehr zur alten Mengensteuerung. agrarzeitung: Wünschen Sie sich auf den Posten in Brüssel zurück oder beobachten Sie die Entwicklungen in der EU-Agrarpolitik lieber gelassen aus der Ferne? Fischler: Weder das eine noch das andere trifft zu. Zum einen habe ich schon am Ende meiner Funktionsperiode gesagt, dass eine Blutauffrischung jedem demokratischen System, wie auch die EU eines ist, guttut. Zum anderen betrachte ich die Entwicklungen gerade der letzten Zeit nicht mit Gelassenheit, sondern mit Sorge. Wir haben in Europa immer Zur Person Franz Fischler hinterließ tiefe Spuren in der europäischen Agrarpolitik. In sei ner ersten Amtszeit als EUAgrarkom missar von 1995 bis 1999 baute er die gestützten Preise ab. In seiner zweiten Runde in Brüssel von 1999 bis 2004 verstärkte er die Marktorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und entkoppelte die Subventionen von der aktuellen Erzeugung. Zuvor hatte Fisch ler als Bundeslandwirtschaftsminister von Österreich den Beitritt seines Lan des zur EU vorbereitet. Heute stellt der 1946 in Tirol geborene Politiker seine Erfahrungen der Wirtschaft und Regie rungen im Rahmen eines Beratungsun ternehmen, der Franz Fischler Consult, Mö zur Verfügung. noch nicht gut genug gelernt, auf offenen Märkten zu agieren und jedes Mal, wenn eine Schwierigkeit auftaucht, tendieren wir dazu, die Marktmechanismen auszuschalten, statt das Marktversagen abzustellen. Sie haben damals mit der Entkoppelung der Direktzahlungen eine grundlegende Reform der GAP durchgesetzt. Was waren die größten Schwierigkeiten dabei und warum konnte es schließlich gelingen? Fischler: Die Entkoppelung der Direktzahlungen war ein enorm wichtiger Schritt, weil damit das EU–Fördersystem im Wesentlichen WTO–kompatibel gemacht und die Einkommenswirksamkeit der Direktzahlungen verdoppelt wurde. Außerdem ist viel Produktionsdruck aus dem System herausgenommen worden. Gelungen ist die Systemumstellung durch die besseren Argumente der Kommission gegenüber den EU-Mitgliedstaaten und der Bauernschaft sowie durch die Unterstützung der breiten Masse der Bürger und Bürgerinnen. Was nicht gelang, war ein besseres soziales Gleichgewicht. Deutschland hat damals gleich einheitliche Flächenprämien beschlossen. Wurden Sie damals von dieser Entwicklung überrannt? Fischler: Nein, ich wusste, was Frau Künast vorhatte. Abgesehen davon, wurde die deutsche Vereinheitlichung der Flächenprämien mit zahlreichen Übergangsregelungen abgefedert. Der zentrale Punkt war jedoch, dass viele Mitgliedstaaten nur für eine auf historischen Förderdaten beruhende Lösung zu haben waren. Ohne die Wahlmöglichkeit zwischen den zwei Modellen wäre es zu keiner Reform gekommen. Für alle, die sich im System auskannten, war jedoch schon damals klar, dass der Zug in Richtung deutscher Lösung weiterfahren würde. Der Kommissar muss heute seine Konzepte nicht mehr nur im Agrarrat durchsetzen. Auch das Europaparlament sitzt mit am Verhandlungstisch. Wie kann die EU-Kommission dennoch weiterhin die GAP steuern und vielen Partialinteressen ein geschlossenes Konzept entgegensetzen? Fischler: Das ist eine fundamentale Änderung der Entscheidungsmechanismen. Dadurch sind die Entscheidungen schwieriger, aber auch demokratischer geworden. Notwendiger denn je sind heute wissenschaftliche Untermauerungen der jeweiligen Vorschläge, Analysen zu den Auswirkungen und breit angelegte Diskussionen sowohl mit den Agrariern als auch mit der Industrie und der Zivilgesellschaft. Neue Vorschläge lassen sich nur durchsetzen, wenn auch die Kommission für ihre Vorschläge Lobbyismus betreibt. Wichtig ist auch, dass die Kommission Vorschläge mit Ecken und Kanten macht, weil nur so am Ende ein vernünftiger Kompromiss herauskommen kann. Die Barroso-Kommission hat den Fehler gemacht, bereits mit weichen Kompromissen in die Verhandlungen zu gehen und hat sich dann gewundert, dass am Ende nur wenig erreicht worden ist. Was waren die Höhepunkte und was waren Tiefpunkte in Ihrer Zeit als EU-Agrarkommissar? Fischler: Die Höhepunkte waren sicherlich die Reformerfolge: Die Agenda 2000, die Reform des Jahres 2003 und die Fischereireform. Die größten Schwierigkeiten bereiteten Krankheiten wie BSE, Maul-und Klauenseuche sowie die Schweinepest. Schade ist auch, dass im Jahr 2004, obwohl wir einer Lösung schon sehr nahe waren, der Abschluss der Doha–Runde nicht gelungen ist. Wird man als EU-Agrarkommissar innerhalb des Kommissionskollegiums ernst genommen oder belächelt? Foto: Fischler Consult Reformvorschläge müssen heute wissenschaftlich untermauert sein – Chancengleichheit für verschiedene Betriebsformen wichtig Wenn man einer Renationalisierung das Wort redet, öffnet man die Schleusen für Wettbewerbsverzerrungen.“ Fischler: Das hängt im Wesentlichen von der Persönlichkeit des Kommissars ab. Was ist wichtig, um politisch als Agrarkommissar zum Ziel zu kommen: Das Parteibuch, die richtigen Verbündeten, das gute Konzept oder anderes? Fischler: Das Parteibuch spielt praktisch keine Rolle. Verbündete sind wichtig und ein gutes Konzept ist entscheidend. Hinzu kommt auch das Vermögen, ein guter Kommunikator zu sein und mit den modernen Medien umgehen zu können. In der EU sind grundlegende Debatten für die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft immer noch nicht zu Ende geführt, etwa Großbetriebe, die sich dem Markt stellen, contra Familienbetriebe mit dauerhaft staatlicher Unterstützung. Oder eine industrienahe Landwirtschaft versus einer naturnahen, Letztere mit dem Verzicht auf den größtmöglichen Output. Wohin soll sich die Landwirtschaft der EU ausrichten? Fischler: Diese Art von Debatten wird es immer geben. Ich plädiere dafür, die verschiedenen Betriebsformen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern mehr die richtigen Nischen zu identifizieren, in denen sich die verschiedenen Betriebsformen entfalten können. Auch das Fördersystem muss weiterhin so gestaltet sein, dass eine ausreichende Chancengleichheit für die verschiedenen Betriebsformen gewährleistet ist. Sie haben damals die zwei verschiedenen Säulen der GAP entwickelt. Die 2. Säule ist klein geblieben, die 1. Säule wurde mit komplizierten Umweltauflagen verbunden. Was wünschen Sie sich für Ihre Säulen der GAP in den kommenden zehn Jahren? Fischler: Beide Säulen sind auch künftig notwendig. Wünschenswert wäre ein weiterer Ausbau der 2. Säule, verbunden mit mehr Qualitätskriterien als Voraussetzung für die Förderung. Das wird jedoch nur möglich sein, wenn man endlich bereit ist, in der 1. Säule eine Degres- sivität zu akzeptieren. Auch hier hat Deutschland mit der Art und Weise, wie es die letzte Reform implementiert hat, gegenüber den meisten anderen EU– Ländern wieder einmal die Nase vorn. Die EU wird von rechten Populisten mehr und mehr in Frage gestellt. Ist die GAP für den Zusammenhalt der EU zuträglich oder sollte Agrarpolitik wegen der drohenden Konflikte mehr in die einzelnen EU-Mitgliedstaaten verlagert werden? Fischler: Wenn man einer Renationalisierung das Wort redet, öffnet man die Schleusen für Wettbewerbsverzerrungen. Hingegen ist in der Förderprogrammierung und -verwaltung der ländlichen Entwicklungsprogramme mehr regionale – nicht nationale – Eigenverantwortung denkbar. War die Zeit als EU-Agrarkommissar bisher die schönste und wichtigste in Ihrem Berufsleben? Fischler: Ja! Das Gespräch führte Axel Mönch Vom Schwarzwald nach Brüssel Dr. Joachim Heine berichtet von seinen 39 Jahren in der Generaldirektion Landwirtschaft in Brüssel D ie Geschichte der EU-Agrarpolitik ist seine eigene geworden. Dr. Joachim Heine stieg mit den ersten Marktordnungen in die Generaldirektion Landwirtschaft ein. Den langen Weg von Reform zu Reform ist er über sein langes Arbeitsleben hinweg bis zu seiner Pensionierung mitgegangen. Durchhaltevermögen war gefragt Zunächst staunend saß Heine vor der gerade beschlossenen Marktordnung für Milch. Der junge Jurist sollte als seine erste Aufgabe in der Generaldirektion zur Grundverordnung für den gemeinsamen Milchmarkt eine Durchführungsverordnung entwickeln und betrat damit für ihn persönliches, und für die Europä- Foto: Mö Eine Mischung aus Zufall und Europabegeisterung brachte Heine aus dem Südschwarzwald nach Brüssel. Eigentlich sollte der gerade ausgebildete Jurist 1965 nur mal kurz in der EU-Kommission schnuppern. Etwas „Auslandserfahrung” der Beamten war vom Innenministerium in Stuttgart gewünscht. Aus dem geplanten Jahr in Brüssel wurden dann 39 Jahre, aus dem Assessor im Landratsamt Freudenberg wurde ein stellvertretender Generaldirektor der EU-Kommission. „Es war damals eine Atmosphäre des Aufbruchs”, berichtet Heine aus seiner Anfangszeit in Brüssel. Zumeist junge und engagierte Männer aus den sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wollten etwas Gemeinsames aufbauen und auf Wunsch von Frankreich hin sollte der Agrarsektor unbedingt dazugehören. Joachim Heine wünscht sich mehr Mut und Gestaltungs willen von der heutigen Generaldirektion Landwirt schaft. ische Wirtschaftsgemeinschaft politisches Neuland. Mühsam waren die Anfangsjahre. Die Agrarministerräte machten gleich von Beginn an durch ihre langen Nachtsitzungen von sich reden. Gleich über mehrere Tage verhandelten die Minister in den jährlichen Preisrunden. Heine musste als Kommissionsbeamter ausharren und seinem Kommissar zuarbeiten. „Zunächst war es bitter zu sehen, wie viele Abstriche wir von unseren vernünftigen Vorschlägen machen mussten”, berichtet Heine von der mühsamen Kompromisssuche, obwohl zunächst nur sechs Mitgliedstaaten am Tisch saßen. Später nahm der Jurist seine hohen Ansprüche etwas zurück. Immerhin sei es besser, in kleinen Schritten langsam vorwärts zu kommen, als auf der Stelle zu treten, betont er. Nach Ansicht von Heine wurden aus schlechten Kompromissen mit der Zeit immer bessere. Was sich nicht bewährte, wurde stetig nachgebessert. Vom Sinn der Preisstützungen in den Anfangsjahren der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) war der Jurist damals überzeugt. „Wir wollten die Ernährung aus der eigenen Produktion sicherstellen und nicht, wie England, auf Importe angewiesen sein”, berichtet Heine. Da ergab es sich von selbst, dass gestützte Preise den Landwirten Anreize zur Ausdehnung der Produktion und ausreichende Einkommen geben sollten. Auch der hohe Außenschutz gehörte in die Logik dieses Systems, von dem damals die Mehrheit im Agrarsektor überzeugt war. Spätestens in den 1980iger Jahren wuchs dann bei den Kommissionmitarbeitern das Entsetzen über nicht mehr zu bewältigende Berge an Butter, Getreide und Rindfleisch in der Intervention. Neuausrichtung der Agrarpolitik Nach Ansicht von Heine nicht nur ein strukturelles Problem, sondern auch Fehlentscheidungen im EU-Agrarrat, in dem die Minister die institutionellen Preise regelmäßig zu hoch ansetzten. Der Anstoß zu einer Kehrtwende in der GAP kam von außen. So hatte der damalige Kommissar Frans Andriessen erheblichen Einfluss auf die Wende in der Agrarpolitik, erinnert sich Heine. Andriessen war Mitte der 1980iger Jahre für die Außenpolitik zuständig und bekam in der Uruguay-Runde des Gatt deutlich zu spüren, dass die EU ihre Abschottung vom Weltagrarmarkt nicht mehr aufrechthalten konnte. Der damalige EU-Agrarkommissar Ray MacSherry zögerte dagegen zunächst mit den notwendigen Preisabsenkungen. „Es hieß, die beiden hätten sich fürchterlich gezankt und erst der Druck von Andriessen habe zur Wende in der Agrarpolitik geführt”, berichtet Heinen. Die Eingriffe in das Marktgeschehen zum Beispiel durch Exporterstattungen haben dem Kommissionsbeamten nicht sonderlich behagt. Als er übergangsweise mal für ein paar Wochen an der Spitze der Generaldirektion stand, musste er die Höhe der Exporterstattungen für Getreide festsetzen. „Das war mir sehr unangenehm, in die Marktentwicklung hineinzuregieren”, erinnert sich Heine. Sicherlich habe er sich auf die Erfahrungen seiner kompetenten Mitarbeiter verlassen, aber ein ungutes Gefühl bei den wirtschaftlich relevanten Entscheidungen blieb dennoch zurück. Wohlgefühlt hat sich der Jurist in der Qualitätspolitik und im Veterinärwesen. Er entwickelte das System von geografischen Herkunftsbezeichnungen, das heute noch zentraler Bestandteil der GAP ist, um die Qualität herauszustreichen. Als Höhepunkt seiner Karriere erlebte Heinen die Bewältigung der BSE-Krise. Er war für das Veterinärwesen in der EU-Kommission zuständig, als die Rinderseuche grassierte und in der Öffentlichkeit zu heftigen Reaktionen führte. Die kompetente und schnelle Bekämpfung von BSE hält Heine heute für den größten Erfolg seines Berufslebens. Nach dem Tiefpunkt gefragt, geht Heinen in seine Anfangszeit in Brüssel zurück. Die „Politik des leeren Stuhls” vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle 1965 und 1966 habe ihn schockiert. Im Nachhinein habe sich der Boykott in den Verhandlungen als halb so schlimm erwiesen, aber in der Situation habe er Europa am Rande des Abgrunds gesehen. Als besonders guten Agrarkommissar hebt Heine Franz Fischler hervor, der ihn im Jahr 2003 auch in die Pension verabschiedet hat. Fischler verstand nach seiner Meinung nicht nur viel von der Landwirtschaft, sondern habe auch den Mut gehabt, Neuerungen in der Agrarpolitik durchzusetzen. Krisenfester Steuermann Mit Ratschlägen für die Generationen nach ihm hält er sich zurück. Nur nach längerem Zögern bedauert er dann doch, dass aus der Generaldirektion Landwirtschaft heute weniger Initiativen für die Zukunft der GAP angestoßen werden. „Die EU-Kommission hört zu sehr auf das, was die EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament vorschlagen und gestaltet die GAP weniger als früher”, bedauert Heinen in seinem Schlusswort. Mö Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Agrarpolitik Deutschland 13 Flächennutzung in Deutschland Stand 31.12.2014, in Prozent 30,6 Waldfläche 2,4 Wasserfläche 13,7 Fläche Deutschlands: 357 376 km2 Siedlungsund Verkehrsfläche 1,7 51,7 Sonstige Flächen einschl. Abbauland Fotos: Jürgen Struck; M. Großmann/pixelio.de; Montage az Landwirtschaftsfläche In die Rahmenbedingungen für die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen greifen verschiedene Bundesministerien ein. Die gesamte Fläche Deutschlands umfasst rund 360 000 Quadratkilometer. Rund 50 Prozent davon werden landwirtschaftlich genutzt. Zusammen mit Wald- und Wasserflächen fallen somit gut 85 Prozent in den Verantwortungsbereich des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL). Quelle: Statistisches Bundesamt Etat des Bundesagrarministeriums 2017 Hauptausgabearten – Angaben in Mio. Euro (Gesamt: 5 900 Mio. Euro) 74 700 Internationale Maßnahmen Weitere Ausgaben** 268 Im Spannungsfeld vieler Ressorts Forschung, Innovation 765 3 917 Gemeinschaftsausgabe GAK* Landwirtschaftliche Sozialpolitik 162 Gesundheitlicher Verbraucherschutz *Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung Agrarstruktur und Küstenschutz **Marktordnung, Versorgungsausgaben Ministerium, Forschungsinstitute Quelle: BMEL, Juli 2016 Gesellschaftliche Anforderungen verlangen Sachwissen und Interessenausgleich deslandwirtschaftsministers. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass Schmidt oder Angehörige seines Stabes sich an irgendeinem fernen Ort der Welt aufhalten. Dr. Jürgen Struck Korrespondent Berlin S eit Februar 2014 leitet Christian Schmidt als Bundesminister Ernährung und Landwirtschaft das Agrarministerium (BMEL) in Berlin. Für den Juristen und langjährigen Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung ein völlig neues Aufgabengebiet. Erste Berührungen mit der Agrarwirtschaft – zumindest im internationalen Umfeld – konnte Schmidt nach der Bundestagswahl im September 2013 bis zu seiner Ernennung zum Minister als Staatsekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sammeln. Auffallend in der bisherigen Amtsführung ist die intensive Reisetätigkeit des Bun- Grund dafür ist sicher zum einen die immer deutlicher erkennbare Einbindung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft in die globalen Wirtschaftsbeziehungen, jedoch auch die Beteiligung Deutschlands in internationale Organisationen wie die G-20 oder G-7 Gruppen. Agrar- und Ernährungswirtschaft entwickelt sich – jenseits rein wirtschaftlicher Aspekte – zu einem Arbeitsgebiet mit strategischer Bedeutung für gesellschaftliche Prozesse in der Welt. Breite Zuständigkeit Die Herausforderung der aktuellen Migrationsbewegungen ist dafür das jüngste Beispiel. Die Erarbeitung tragfähiger und zielorientierter Konzepte für die Hilfe „vor Ort” fällt zu einem großen Teil und mit wachsender Bedeutung in den Kompetenzbereich des BMEL. Sinnvolle Synergien ergeben sich aus engen Beziehungen zum BMZ – eine vertiefte und engere Kooperation zeichnet sich ab. Erste Aufgabe für den Bundesagrarminister bleibt jedoch die Entwicklung des Sektors in Deutschland und Europa. In der Öffentlichkeit und auch im politischen Umfeld wird dabei die Vielfalt der Zuständigkeiten des BMEL unterschätzt. lichen Erzeuger immer stärker unter Druck und sehen sich in vielen Fällen auf die Anklagebank gesetzt – aus ihrer Sicht zu Unrecht. Sie umfassen weit mehr als die Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen für den produzierenden Sektor und Unterstützung in Krisensituationen. So besitzt es in gesetzgeberischer Hinsicht einerseits breite Zuständigkeiten und Verantwortung, gleichzeitig ist seine Kompetenz zur Umsetzung jedoch eingeschränkt. Daraus resultieren Unsicherheit und vielfach auch Zweifel an der zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik. Welchen Stellenwert besitzen die landwirtschaftlichen Betriebe überhaupt noch, fragen sich die Erzeuger? Agrarpolitik ist auch Umweltpolitik, seit einigen Jahren auch Energiepolitik. Dementsprechend nehmen verschiedene Ressorts Einfluss auf die Gesetzgebung. In vielen Fällen, beispielsweise dem Tierschutz oder der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ist das Agrarministerium zwar federführend bei der Erarbeitung von Gesetzen, doch die alleinige Entscheidungshoheit besitzt es nicht. Verzögerungen bis hin zu Blockaden wichtiger Prozesse sind die Folge. Nationale Agrarpolitik ist in hohem Maße eingebunden in das bestehende Regelwerk der EU – der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Und die föderale Struktur Deutschlands gibt den Bundesländern ein starkes Mitspracherecht. Dabei kommt es häufig zu großen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Landesvertretern und dem Bund, besonders über die grundsätzliche Ausrichtung der Agrarpolitik. Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zu einem gesellschaftspolitischen Konfliktfeld entwickelt. Dabei geraten die eigent- Kompetenzgerangel An verschiedenen Stellen hat der Bundesminister seiner Sorge um den ländlichen Raum Ausdruck gegeben. Daher strebe er weitere Befugnisse, so auch für die Infrastruktur, an. Für ihn gehöre der Agrarsektor wieder „in die Mitte der Gesellschaft”. Nach wie vor arbeitet das Bundeslandwirtschaftsministerium an zwei Dienstorten. Die Leitungsabteilungen des Ministeriums befinden sich in Berlin. Die weit überwiegende Mehrheit der 882 Beschäftigten arbeitet am Dienstsitz Bonn. Agrarimporte und -exporte Entwicklung im Zeitraum 2000 bis 2015; Angaben in Mrd. Euro Agrarimporte nach Deutschland Agrarexporte aus Deutschland 41,5 28,0 2000 *vorläufig 51,6 40,6 2006 75,4 63,4 2014 74,5 65,4 2015* Quelle: BMEL 14 Agrarpolitik Deutschland Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Expertise aus Deutschland ist gefragt Agrarministerium baut weltweite Kooperationen aus – Zielsetzung verändert sich – Neuer Schwerpunkt ist Afrika Neue Zielländer Bereits in der Vergangenheit stand das BMEL mit vielen Ländern der Welt in enger Verbindung. Doch in der jüngeren Zeit sind viele neue hinzugekommen. Sambia zum Kreis der Fokusländer für die deutsche Entwicklungspolitik, bestätigt Bleser. Doch die Bemühungen besonders in Afrika müssen weiter intensiviert werden, „sonst haben wir in Europa ein großes Problem”, sagt er. Programmregionen und Partnerländer des Deutschen Agrarministeriums Notwendig sei eine zunehmend enger werdende Kooperation mit dem Entwicklungsministerium. Dieser Weg sei bereits eingeschlagen und werde zügig weiterverfolgt. Festzustellen sei aber auch, dass die Expertise des BMEL sehr stark nachgefragt werde. Das Ministerium stoße sowohl in personeller als auch finanzieller Hinsicht immer stärker an Grenzen. Es gehe bei der Aufbauarbeit zunehmend um Arbeit an konkreten Projekten in den Zielländern, diese könne das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) trotz intensiver Bemühungen allein gar nicht leisten. jst Zur Person Quelle: BMEL des Freihandelsabkommens zum Beginn des Jahres 2016 befinde sich die Ukraine in einem umfassenden und grundlegenden Reformprozess, betont Bleser. Diesen begleite das BMEL sehr intensiv. Die Ukraine spiele eine sehr bedeutende Rolle als Getreideexporteur auf dem Weltmarkt. Aber auch für Exportgüter in die Länder der EU ergäben sich neue Möglichkeiten. Umgekehrt bestehe in der Ukraine ein großer Bedarf an landtechnischer Ausrüstung sowie Betriebsmitteln. Hier biete sich gutes Absatzpotenzial für deutsche Exporteure. Nach wie vor seien die wirtschaftlichen Beziehungen durch die andauernde politische und wirtschaftliche Krise in der Ukraine getrübt, sagt Bleser. Dennoch stehe sie als Hoffnungskandidat weit oben auf der Liste der aus Deutschland zu unterstützenden Länder. Mehr als nur Absatzmarkt Die internationale Zusammenarbeit bietet aus deutscher Sicht jedoch mehr als nur reine Handelsfragen und die Erschließung neuer Absatzmärkte, betont Bleser. Es ist für uns sehr wertvoll, dass die Verantwortlichen in den Kooperationsländern den Eindruck haben, dass wir nicht nur „verkaufen” wollen. Es besteht ein reales Interesse an positiven Entwick- Seit Dezember 2013 ist Peter Bleser (CDU) Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) in Berlin. Der gelernte Landwirt ist seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2002 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Mosel/Rhein-Hunsrück. Den eigenen von den Eltern übernommenen landwirtschaftlichen Betrieb hat er in der Zwischenzeit an seinen Sohn übergeben. Im Berliner Politikbetrieb gilt Bleser als „Mitglied im Verein für klare Sprache“. jst lungen – und das nehmen sie uns ab, sagt Bleser. Als neuen Schwerpunkt mit höchster politischer Bedeutung nennt Bleser die Aufbauarbeit in Ländern Afrikas. Der Frieden in diesen Ländern habe auch viel mit Landwirtschaft zu tun. Die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung in Afrika sei unglaublich hoch und die Perspektiven für die vor Ort lebenden überwiegend sehr jungen Menschen seien stark eingetrübt. Es gebe bereits positive Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Äthiopien, aufgrund günstiger Voraussetzungen gehöre seit einigen Jahren auch Foto: jst Auch die Ukraine hat Bleser im Frühjahr 2016 besucht. Mit diesem Land besteht traditionell eine zunehmend enge Zusammenarbeit. Allein aus politischen Gründen sei Deutschland an einer positiven Entwicklung des Landes mit seinen 45 Millionen Einwohnern in naher Nachbarschaft interessiert. Seit dem Jahr 2006 leistet der „Deutsch-Ukrainische Agrarpolitische Dialog” mit Beratungspapieren, Fachinformationsfahrten, Kommentierung von Gesetzentwürfen und Veranstaltungen Beiträge zu den jeweils aktuellen agrarpolitischen Schwerpunktthemen. Nach dem Abschluss des Assoziierungsabkommens und der schrittweisen Umsetzung Internationale Projektarbeit Die Basis bestimmt die Politik Deutscher Bauernverband betont seine Klammerfunktion D er gesamte Agrarsektor erhält eine immer größere Aufmerksamkeit, dies müssen wir nutzen”, sagt Bernhard Krüsken. Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV) zeigt sich zuversichtlich. Seit 2013 ist er verantwortlich für die operative Arbeit der größten landwirtschaftlichen Berufsorganisation am Sitz in Berlin. Etwa 90 Prozent der etwa 300 000 landwirtschaftlichen Betriebe sind über 18 Landesverbände im DBV organisiert. Darunter finden sich alle Arten der Erzeugung, von Milch über Fleisch und Getreide bis hin zu Obst- und Gemüseanbauern. Der DBV ist und bleibt die Klammer für alle Erzeuger, betont Krüsken. Dies sei angesichts der Vielfalt der Interessen nicht immer eine leichte Aufgabe. Dennoch sei es bisher immer gelungen, für die übergeordneten Interessen gemeinsame Linien und Positionen zu finden und nach außen zu vertreten. Jedoch verfügen diese nach seiner Aussage über erheblich größere Ressourcen. Allein die Umweltorganisationen Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der deutsche Naturschutzbund (Nabu) sowie Greenpeace Deutschland seien mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Budget von mehr als 100 Millionen Euro dem DBV in Bezug auf „Manpower” und finanzielle Mittel weit überlegen. Dem immer wieder geäußerten Argument einer zu starken und durch den DBV verfolgten Exportorientierung der deutschen Agrarwirtschaft tritt Krüsken entgegen. Nach wie vor würden drei Viertel der erzeugten 300 000 MitgliedsGüter auf dem heimischen betriebe prägen den Markt abgesetzt, etwa 20 DBV, sagt Bernhard Prozent gelangen in die Krüsken. Länder der EU und nur etwa 5 Prozent werden tatsächlich in Drittländer exportiert. Dies sei Großen Wert legt Krüsken auf die Betomit Blick auf die Wertschöpfung für die nung des basisdemokratischen Prinzips Erzeuger auch absolut sinnvoll. des DBV. Alle Positionen würden in den Landesverbänden erarbeitet. Hier nutze Angesichts der gesellschaftlichen Disder DBV auch die große Kompetenz in speziellen Fragen, etwa in steuerlichen kussionen über die Landwirtschaft sieht Angelegenheiten. Der DBV verfüge über Krüsken den DBV als „größte Nichtregierungsorganisation” (NGO) im ländlichen ein exzellentes Netzwerk – er sei viel mehr Raum im Wettbewerb mit anderen NGO. als die Geschäftsstelle in Berlin. jst Foto: DBV Peter Bleser kommt rasch zum Punkt: für ihn ist die Einbindung der deutschen Agrarwirtschaft in den internationalen Markt nicht verhandelbar. „Seit mehr als zehn Jahren sehen wir eine rasch zunehmende und positive Entwicklung des Agrarhandels in Deutschland”, sagt er. Sowohl die Export- als auch die Import- aktivitäten hätten sich kontinuierlich erhöht. In allen seinen Tätigkeiten innerhalb der seit 2005 an der Regierung beteiligten CDU habe er auf die Chancen der deutschen Agrarwirtschaft hingewiesen und diese in Zusammenarbeit mit anderen verantwortlichen Stellen innerhalb des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) sowie Partnereinrichtungen versucht umzusetzen. Dies zeige nun zunehmend positive Ergebnisse, der Wert der Exporte steige kontinuierlich, gleichzeitig jedoch auch jener der Importe. Unter dem Strich ist Deutschland Nettoimporteur für Agrargüter, gleich welcher Art. Zum Beispiel der Iran. Nach Aufhebung jahrzehntelanger Sanktionen gegen das Land zu Beginn dieses Jahres kehre der Iran zurück auf die Bühne internationaler wirtschaftlicher Verflechtungen. Das Land mit seinen rund 80 Millionen Einwohnern biete für die verschiedensten Bereiche hervorragende Entwicklungsperspektiven, zeigt sich Bleser überzeugt. Erst vor wenigen Wochen war Bleser mit einer Delegation deutscher Fachleute und Unternehmen aus dem Agrarsektor zu Besuch im Iran. Sein Eindruck sei, dass das Interesse im Iran zur Kooperation mit Deutschland „überragend groß ist”. Unter allen möglichen Partnerländern habe der Iran nach seiner Überzeugung Deutschland an die erste Stelle für eine künftige Zusammenarbeit gesetzt. Die etwa 20 Unternehmensvertreter der verschiedenen Branchen aus der Pflanzenproduktion, der Tierhaltung sowie der Landtechnik hätten ihm gegenüber geäußert, dass sie noch in keinem anderen Land so offen empfangen worden wären. Es sei in den Gesprächen bereits sehr konkret verhandelt worden, hätten sie berichtet. Sachdiskussionen unverzichtbar Raiffeisenverband plädiert für klare Entscheidungsstrukturen I m Agribusiness sind wir einer der wichtigsten Spitzenverbände, das sagen wir ganz unbescheiden” sagt Dr. Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) in Berlin. Foto: jst D er Agrarmarkt zeigt sich zunehmend international. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) spielt eine wichtige Rolle für die Erschließung von Märkten für die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft. Als neue und zunehmend wichtige Aufgabe entwickelt sich die fachliche und technische Unterstützung der Aufbauarbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern. se Zahl mit heute etwa 2 500 mehr als halbiert. Gleichzeitig sei der Umsatz der Unternehmen in diesem Zeitraum um fast 100 Prozent auf mehr als 60 Milliarden Euro gestiegen. Die genossenschaftlichen Unternehmen beschäftigen fast 90 000 Mitarbeiter vorwiegend im ländlichen Raum. Der DRV werde gehört, in der Politik, bei Medien und FachLandwirtschaft darf behörden, betont er. Gleichnicht zum Spielball der wohl stehe der Verband Politik werden, fordert angesichts des sich schnell Verändert haben sich auch Henning Ehlers. wandelnden Umfelds ständas wirtschaftliche, politidig vor neuen Herausfordesche und mediale Umfeld, rungen, auf die er immer wieder neu führt Ehlers aus. Seit vor gut zehn Jahreagieren müsse. ren die Liberalisierung der Agrarpolitik der EU durch den Abbau von Zöllen Im Wandel befindet sich auch die Basis und Marktordnungen begann, sind die des DRV. Waren in ihm vor 25 Jahren Agrarmärkte in Deutschland und Europa noch rund 6 000 genossenschaftliche zunehmend den Einflüssen des WeltUnternehmen organisiert, hat sich diemarktes ausgesetzt. Dies bedeute große Chancen, berge jedoch auch Risiken. Es sei eindeutig, dass die gegenwärtige Preiskrise im Agrarsektor, besonders im Milchmarkt, global induziert sei. Neu sei ebenfalls, dass die sachliche Information heute weniger gefragt ist als der Effekt, bemerkt Ehlers. Daher müsse auch der DRV heute pointierter und zugespitzter formulieren, um seine Positionen zu vertreten. Denn die Interessenvertretung finde heute in einem anderen Umfeld statt als noch vor 15 Jahren zu Bonner Zeiten. Erschwert werde die Arbeit auch durch die Zuständigkeit verschiedener Ministerien für Fragen der Agrar- und Umweltpolitik. Wichtige Entscheidungen würden dadurch verzögert oder gänzlich entfallen. Wünschenswert sei, wenn die Zuständigkeiten wieder konzentriert würden. jst Agrarpolitik Deutschland 15 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung 1. 2. 3. Wie beurteilen Sie die Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte? Wird oder muss sich die Agrarpolitik ändern? Worauf sollten sich Erzeuger (Pflanze-Tiere) für die nächsten 15 Jahre einstellen? 4. Welche Bedeutung besitzt der Agrarsektor als Wählerpotenzial für die Politik überhaupt noch? Die Fragen stellte Dr. Jürgen Struck „Ignoranzgegenüber gesellschaftlichen Entwicklungenwirdder Landwirtschaftnicht helfen.“ Dr.KirstenTackmann Bundestagsfraktion Die Linke Franz-JosefHolzenkamp Bundestagsfraktion der CDU/CSU „DieAgrarpolitik brauchteinen Perspektivwechsel.“ „DieLandwirtschaftist Rückgratderländlichen Räume.“ 1. Die Agrarpolitik hat in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Richtungskorrektur vollzogen, weg von einer rein ökonomischen Betrachtung hin zu größerer Beachtung der Auswirkungen dieses Sektors auf Gesellschaft und Umwelt. Die verschiedenen Reformen der Gemeinsamen (europäischen) Agrarpolitik (GAP) stehen Pate hierfür. Wurden früher bestimmte Agrarprodukte gefördert, stehen heute vor allem Leistungen für Klima, Umwelt oder ländliche Räume im Mittelpunkt der GAP. 1. Die gemeinsame Agrarpolitik hat sich von der Bereitstellung günstiger Nahrungsmittel in den 1960er Jahren über Protektionismus und Exportförderung der 1970/80er Jahre bis hin zur Weltmarktorientierung in den 1990er Jahren immer wieder verändert. Weltmarktorientierung und Industrialisierung haben die Landwirtschaft aber in gefährliche Abhängigkeiten getrieben und zum Verlust zahlreicher bäuerlicher Betriebe geführt, mit weitreichenden Folgen für Umwelt, Tiere und den ländlichen Raum. 1. Die herrschende Agrarpolitik hat die Landwirtschaft in eine Sackgasse geführt. Die vorgeblichen Ziele der Förderpolitik der EU wie Existenzsicherung der Erzeugerbetriebe oder bezahlbare Lebensmittelpreise sind nicht oder nur zu einem hohen Preis für die Gesellschaft und die Landwirtschaft selbst erreicht. Massiver Strukturwandel, Erzeugerpreiskrisen, explodierende Bodenpreise und wachsender Einfluss durch landwirtschaftsfremdes Kapital sind das Ergebnis. Das ist ein riskanter Irrweg. 2. Unsere Hauptaufgabe wird sein, zwei wesentliche Strömungen innerhalb der Agrarpolitik miteinander in Einklang zu bekommen. Es geht um die Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaftsbetriebe und einer nachhaltigen Agrarpolitik im Kontext der Ernährungssicherung – und das weltweit. Wir müssen als Politik hier den richtigen Rahmen setzen. Gerade im Agrarbereich gilt es, naturgegeben längere Zyklen zu beachten als bis zur nächsten Bundestagswahl. 2. Die Landwirtschaft und die gemeinsame Agrarpolitik wird sich den gesellschaftlichen Erwartungen anpassen müssen. Die finanzielle Ausstattung der Gemeinsamen Agrarpolitik ist von 70 Prozent des EU-Budgets in den 1980ern auf heute unter 40 Prozent gefallen, mit sinkender Tendenz. Die Verwendung begrenzter Mittel ist nur zu rechtfertigen, wenn konkrete gesellschaftliche Ziele damit erreicht werden. 2. Die Agrarpolitik braucht einen Perspektivwechsel: Landwirtschaft sollte die Versorgung der Gesellschaft mit existenziellen Gütern wie Lebensmitteln und erneuerbarer Energie sichern. Wenn die Agrarpolitik die Systemfehler bearbeitet, würden der Gesellschaft auch keine teuren Rettungspakete als Sterbehilfen zugemutet. 3. Zuallererst sollten wir ehrlich zueinander sein: Unter den jetzigen Bedingungen wird sich der strukturelle Wandel innerhalb des Agrarsektors weiter fortsetzen. Das heißt hin zu größeren Betriebsstrukturen und kleine Betriebe fast nur noch im Nebenerwerb. Außerdem sollte sich der Agrarsektor darauf einstellen, dass spätestens ab 2020 die EU-Förderung deutlich geringer ausfallen wird als derzeit. 4. Vom Agrarsektor hängt keine Wahlentscheidung ab. Zudem werden mit dem weiteren Strukturwandel der Bezug zur Landwirtschaft und damit auch der Einfluss auf das Wählerpotenzial weiter sinken. Dies muss auch der Bauernverband begreifen. Nur in Verbindung mit Verbraucherpolitik ist der Agrarsektor für eine immer größere Wählerschicht wichtig. 3. Die Orientierung an veränderten gesellschaftlichen Zielen und globalen Herausforderungen ist heute dringender denn je. Tier-, Umwelt- und Klimaschutz und attraktive ländliche Räume sind politische Ziele und werden von der Gesellschaft eingefordert. Dazu kommen Volatilitäten auf dem Weltmarkt und ein immer stärkerer Strukturwandel. Die richtige politische Gestaltung wird immer wichtiger. 4. Der Agrarsektor im engeren Sinn hat wenig Bedeutung als Wählerpotenzial. Der ländliche Raum als Ganzer gewinnt jedoch immer mehr an Bedeutung. Die Landwirtschaft ist davon ein Teil. Sie ist eine Gruppe mit hoher Lobbykraft. Ein Rückzug in die Wagenburg und Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Ansprüchen wird der Landwirtschaft nicht helfen, sondern sie in die Isolation treiben. 3. Wir brauchen einen neuen gesellschaftlichen Konsens darüber, wo, wie, von wem und zu welchen Kosten Lebensmittel produziert werden. Sozial und ökologisch vernünftiges Handeln darf kein betriebswirtschaftliches Risiko sein. Skrupellosigkeit gegen Mensch und Natur darf sich nicht lohnen. Transparente, regional verankerte Strukturen und vertrauenswürdige Kennzeichnung sind die Grundlage. 4. Das Thema Ernährung hat wachsende Bedeutung. Ökologische und soziale, aber auch gesundheitliche Risiken der aktuellen Agrarpolitik werden ebenso diskutiert wie TTIP, Glyphosat oder Dumpingpreise. Diese kritische Debatte für einen Dialog zwischen Landwirtschaft, dörflicher Bevölkerung und Verbraucherinnen und Verbrauchern aufzugreifen, kann beispielgebend für einen neuen Stil der gemeinsamen Entwicklung demokratischer Entscheidungen sein. Foto: Fraktion CDU/CSU „Spätestensab2020wird dieEU-Förderungdeutlich geringerausfallenals derzeit.“ FriedrichOstendorff Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen Foto: DIE LINKE.Brandenburg Dr.WilhelmPriesmeier Bundestagsfraktion der SPD Foto: Fraktion SPD Der Agrarsektor und mit ihm die ländlichen Räume in Deutschland stehen vor großen Heraus forderungen. Was wird oder muss sich ändern? Die Agrarpolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien äußern ihre Meinungen und Erwartungen. Foto: Fraktion Bündnis90/Die Grünen Die Ansprüche an die Landwirtschaft steigen 1. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hat die europäische Agrarpolitik einen erfolgreichen Wandel vollzogen: Weg von produktions- und mengenabhängigen Zahlungen hin zu Marktorientierung, Wettbewerb und Nachhaltigkeit mit Ausgleichszahlungen für erhöhte Erzeugungsstandards. Gleichzeitig muss man kritisch feststellen, dass in den letzten Jahren ein Trend zur überbordenden Bürokratie einsetzte. 2. Die Politik kann den Markt nicht außer Kraft setzen. Auch der fortschreitende Strukturwandel wird sich nicht durch staatliche Eingriffe aufhalten lassen. Wir wollen auch zukünftig eine wettbewerbsstarke Landwirtschaft in Deutschland. Dafür müssen Dialog, Sachorientierung und Entscheidungsfreiheit den Ton angeben – statt Konfrontation, Ideologie und Bevormundung. 3. Wir benötigen eine Landwirtschaft, die wirtschaftlich arbeitet, die Umwelt schont, Tier- und Naturschutz beachtet und sich weiterentwickeln kann. Da jede Auflage den Strukturwandel beschleunigt, muss die Agrarpolitik die verschiedenen Ansprüche austarieren. Mit einer Verdrängung ins Ausland mit deutlich niedrigeren Standards ist niemandem geholfen. Da die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft nicht über den Markt bezahlt werden, ist eine gemeinsame EU-Agrarpolitik weiterhin erforderlich. 4. Wir stehen für das Leitbild einer bäuerlichen, familiengeführten und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft mit einer erfolgreichen und nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Räume. Die Landwirtschaft ist Rückgrat der ländlichen Räume. Rund 4,6 Millionen Beschäftigte in der Erzeugungskette versorgen tagtäglich über 80 Millionen Menschen in Deutschland. Damit trägt sie maßgeblich zum Wohlstand aller bei. 16 Agrarpolitik Deutschland Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Regionale Produkte finden Verbraucher hip“ Verbraucherschützerin Renate Künast über Bio und regional erzeugte Lebensmittel und die Weiterentwicklung der Agrarwende agrarzeitung: Frau Künast, Sie sind heute noch vielen Landwirten als Ex-Ministerin bekannt. Wie kommt das? Künast: Es liegt vielleicht daran, dass ich mich ernsthaft um die Zukunft der Landwirtschaft gekümmert habe, um die Familienbetriebe, den Ökolandbau und die Chancen für gentechnikfreies Wirtschaften. Beispiel: Vor ein paar Jahren kamen Landwirte aus Hessen auf mich zu und sagten, sie müssten sich bei mir entschuldigen und bedanken. Weil ich bei der Gentechnik und dem Standortregister für gentechnisch veränderte Pflanzen so stur geblieben bin. Sie hatten früher dem Vorwurf des Deutschen Bauernverbandes DBV geglaubt, ich vermassle mit meinen Vorschriften den landwirtschaftlichen Fortschritt. Heute sehen immer mehr Menschen, es ist unsere Chance, um gute Böden, Artenvielfalt und bäuerliche Familienbetriebe zu erhalten. Sonst wird es nur noch Investoren geben, die Land kaufen und auf große Renditen aus sind. Wir waren beileibe nicht immer einer Meinung, aber in meiner Zeit als Bundesministerin war das Haus eine berechenbare Größe. 15 Jahre später demonstrieren Landwirte gegen eine grüne Agrarministerin in Magdeburg ... Künast: Von uns bekommt Claudia Dalbert große Unterstützung. Sie wird besonnen, fachlich gut und transparent Politik machen. Der Bauernverband ist mit dieser Aktion zielgerichtet ins Fett getreten. Die Funktionäre müssen von ihrer Palme runter. Die Zukunft der Landwirtschaft führt nur über Kooperation. seiten. Die Markthalle NEUN in Berlin steht als Flagschiff für das Neue. Sie ist an drei Tagen in der Woche wieder zu einem regionalen Marktplatz geworden. Hier dürfen nur Erzeuger aus der Region ihre Waren anbieten. Jeden Donnerstagabend gibt es den Streetfood Thursday Was ist aus Ihrer Agrarwende geworden? Künast: Sie ist nach meiner Amtszeit ins Stocken geraten. Der alte Lobbyismus sitzt immer noch an entscheidenden Stellen. Wir haben falsche Strukturen. Die Discounter und die Molkereien, die meist in genossenschaftlicher Hand sind, machen eine falsche Politik. Ich habe damals schon den Bauern gesagt: „Ihr müsst euch nicht mit mir streiten, ich bin auf eurer Seite.” Es kann nicht sein, dass ein Mixgetränk aus Wasser, Zusatzstoffen, Zucker und Konzentrat mehr kostet als ein Liter Milch. Wenn dann Leute klagen, es ist alles so teuer, sage ich: „Vergleiche mal, wie viel so ein 300-Gramm-Zuckergetränk kostet, das enorm beworben wird.” Kein Vergleich zu einem Liter Milch. Kommt eine neue Ernährungswelle auf uns zu? Künast: Ich glaube, dass die Bewegung noch nie so groß war wie heute. Als ich Ministerin war und über „Besser essen, mehr bewegen” und Genuss gesprochen habe, da schauten mich manche mileidig an. Süßigkeiten und Fast Food kommen im Alltag doch wie eine Tsunamiwelle auf uns zu. Damals belächelt und heute? Alle großen Zeitungen und Magazine haben Ernährungs- und Koch- mit internationalem Slow Food. Jetzt planen einige einen Souk Berlin. Jede Bewegung hat mit Flaggschiffen angefangen. Die gibt es überall im Land. Verbraucher werden mit Millionenetats zum Kauf hochverarbeiteter Lebensmittel umworben. Trotzdem entwickelt sich Ich habe das Bio-Siegel eingeführt.“ Foto: dpa Die erste grüne Bundesagrarministerin Renate Künast hat schon vor 15 Jahren eine kleine Agrarwende gewagt. Zur Bundestagswahl 2017 könnte die Saat mit einer Regierungsbeteiligung von Bündnis90/Die Grünen im Bund erblühen. Die Verbraucherschützerin Künast setzt auf den Dialog mit allen Beteiligten. parallel dazu ein anderer Zweig, denn wir wollen wissen, was drin ist. Wer es angebaut hat. Saisonal, regional und Bio sind der Trend. Wohin geht die Reise? Künast: Klar weg von der Agrarindustrie. Zur Ernährungsbewegung gehören nicht nur die Grünen, sondern Greenpeace und andere Umwelt-NGOs, mittelständische Unternehmen sowie der Sachverständigenrat für Umweltfragen und viele andere. Du kannst dieses Food Movement in Kombination mit den sozialen Netzwerken nicht mehr aufhalten. Heute im digitalen Zeitalter wird ein Fehler in der Produktion sofort bei mehr als 100 000 Menschen bekannt, verstecken geht nicht. Verbraucher haben ein Recht auf Auskunft und wollen wissen, was in den Lebensmitteln drin ist. Wie verhält sich der moderne Verbraucher? Künast: Die Menschen haben wieder das Interesse am Ursprünglichen. Viele genießen die Vielfalt, auch der vegetarischen Küche. Ein Teil der Bewegung zu sein heißt auch, nach Alternativen zu schauen. Transportkilometer und Kohlendioxid einsparen, bedeutet auf heimische Eiweißpflanzen wie Linsen und Leinsamen, die den Menschen guttun, zu setzen. Natürlich macht die Bewegung nicht immer alles richtig. Aber Sie sehen, dass die Leute Lust auf saisonal und regional haben. Das ist total hip. In Neukölln musste die Polizei zur Eröffnung des Restaurants „Restlos Glücklich” anrücken, weil zu viele Leute auf einmal hineinwollten. Das muss schlimmer gewesen sein als beim Karneval. Gemeinsam etwas Neues anzupacken und zu diskutieren, führt zu einer Veränderung. Wir wissen doch, die Welt wird sich nicht von industrieller Landwirtschaft ernähren können, weil sie daran kollabiert. In Ihrer Amtszeit gründeten Sie das Bundesinstitut für Risikoforschung, kurz BfR. Stört Sie dessen Bewertung zu Glyphosat? Künast: Auf die Gründung des BfR bin ich stolz. Es war meine Initiative in der BSE-Krise im Jahr 2001. Ich wollte Risikoforschung und Management nicht in einer Behörde haben und habe die Bereiche getrennt. Dass ich das BfR gegründet habe, heißt aber nicht, dass ich mit jeder Entscheidung, die das Amt trifft, zufrieden bin. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Bewertung des BfR zu Glyphosat zu schnell und nicht sorgfältig genug gemacht wurde. Eigentlich hat sich das Institut an dieser Stelle selbst ad absurdum geführt. Die Leitung hat nicht gemerkt, dass es eine besonders sorgfältige Prüfung ablegen muss. Dabei darf es nicht passieren, dass die Leute sich wundern, wie konnten die so schnell sein und Gutachten nicht richtig bewertet oder nicht einbezogen haben. Schon gar nicht, wenn die Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat als wahrscheinlich krebserzeugend einstufen. Wir wollen alle nicht an Krebs sterben. Das Krebsinstitut der Weltgesundheitsbehörde arbeitet nur mit Wissenschaftlern, die jahrelange Erfahrung haben. Das gesamte Datenmaterial wird herangezogen. Hier darf keiner Untersuchungen aus dem eigenen Fachbereich beurteilen. Damit stellen sie Unabhängigkeit her. Wenn das BfR ein solch hohes Niveau nicht von sich behaupten kann, dann ahnt man, wo der Fehler liegt, den sie sich selbst gebaut haben. Gibt es nach der Bundestagswahl 2017 noch ein eigenständiges Bundeslandwirtschaftsministerium? Künast: Aktuell übt der amtierende Bundesagrarminister sein Amt sehr verhalten aus. Ein neues Institut für Ernährung wird ins Auge gefasst. Beratungsstellen sind immer gut, aber wir haben mit der AID und DGE schon genug. Wi brauchen ist Bildung und ein aussagekräftiges Tierwohl-Label. Für die Tierhaltung muss es eine 0123-Kennzeichnung geben wie auf dem Frischei. Auch bei verarbeiteten Produkten muss die Haltungsform etwa der Hühner einfach erkennbar sein. Das aktuelle Tierwohl-Label stimmt vorne und hinten nicht. Es muss ein Label sein, hinter dem gute Kriterien stecken und es für die Kunden Sinn macht, einen Euro mehr für die Ware zu bezahlen. Meine Sorge ist, dass im Bundesagrarministerium zum großen Teil Kommunikationsportale und Beratungsbehörden gegründet werden. Man hat aber nicht den Mut oder Willen, auf ein neues, faires Rahmenwerk zu setzen. Dabei ist klar, dass uns allein die Klimaziele zwingen werden, unsere Lebensmittel in Zukunft endlich nachhaltig zu produzieren. Die Exportorientierung wird dabei zwangsläufig auslaufen müssen. Gut für die Regionen, die heute zu Futteranbaugebieten degradiert sind, aber auch gut für unsere Böden und das Wasser. Ihr Bio-Siegel wird am 15. September 15 Jahre alt. Künast: Ich habe als Ministerin das Bio-Siegel eingeführt, es war Teil eines umfassenden Bundesprogramms für den Ökolandbau. Hersteller und Lebensmittelhandel waren vorbereitet. Wir hatten geklärt, wie lange sie brauchen, bis eine größere Zahl an gekennzeichneten Produkten im Regal stehen wird. Wir haben das notwendige Infomaterial et cetera zur Verfügung gestellt und dann zeitlich passend mit Infokampagnen zum Bio-Siegel in Zeitschriften und Magazinen begonnen. Morgens lasen die Verbraucher die Anzeigen zum neuen Bio-Siegel in den Zeitungen und beim Einkauf erkannten sie es sofort auf den Produkten. Ein guter Wiedererkennungswert ist das A und O von Infokampagnen. Mit dem Tierwohllabel hat das aber vorne und hinten nicht funktioniert. Weder bei den Kriterien noch bei der Kampagne. Bauern mussten nur wieder unzählige Formulare ausfüllen. Ist die Aufteilung des Verbraucherschutzes zwischen Agrar- und Justizministerium sinnvoll? Künast: Das macht den Verbraucherschutz definitiv nicht schlagkräftiger. Die Große Koalition hat sich sowieso vorgenommen, möglichst nichts zu regeln. Sie behaupten, jede Regelung ist eine Belastung für die Landwirtschaft oder Industrie. Aber anders wird doch ein Schuh draus. Die größte Belastung für die Produzenten in der EU ist doch der Druck, der durch TTIP gemacht wird und durch den Mangel an Transparenz über Herstellung und Herkunft. Wir können die Landwirte nicht alleine im Stall stehen lassen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass gute Produkte für die Kunden erkennbar sind. Ist die Umstellung auf Öko-Landbau die Lösung? Künast: Ich wollte den Anteil von Ökolandbau an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 ausbauen. Die folgenden Regierungen auch auf Landesebene haben das aber lange nicht unterstützt. Minister Schmidt redet heute über 20 Prozent, aber das ist von ihm nicht mit Maßnahmen unterlegt. Auskömmliche Milchpreise können nicht funktionieren, solange das System im Übermaß produziert und auf starken Export aus ist. Die Zielstellung der Molkereien ist ihr Gewinn, aber selten der der Bauern. Die Bauernfamilien lassen sich viel gefallen. Wie wär‘s denn, wenn noch mehr Bauernfamilien sich an der Food-Bewegung beteiligen? Auf den Betrieben lastet ein massiver Druck, angefangen bei den enormen Bodenpreisen und aufgehört bei zu niedrigen Erzeugerpreisen. Wir müssen gemeinsam verbessern. Denn irgendwann ist der Strukturwandel nicht mehr umkehrbar. Landwirte brauchen neue Kooperationspartner, wie Studentenwerke und Kantinen. Zum Beispiel für die Mensa in Oldenburg, wo die Studierenden bereit waren, mehr Geld für das Essen zu bezahlen, wenn es aus ökologischem Anbau und der Region kommt. Direkte Verträge mit Produzenten in der Region sind gut für beide Seiten. Stadt, Land und Essen gehören eben zusammen! Erwarten Sie den großen Wurf zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2020? Künast: Ich hoffe es sehr, das wird aber von unseren Aktivitäten abhängen. Lassen wir in der EU es uns gefallen, dass sich kaum was ändert? Zwei Modelle sind denkbar: Das erste ist eine schärfere Umverteilung zwischen den existierenden zwei Zöpfen. Die zweite ist der neue Grundsatz: Öffentliches Geld nur noch für öffentliche Güter und Interessen. Wenn Sie 10 Hektar haben und davon einen Anteil ökologisch bewirtschaften, bekommen Sie Geld für diesen Teil oder nur für bestimmte Maßnahmen wie den Schutz von Wasser, Boden und Artenvielfalt. Voraussetzung für eine finanzielle Zuwendung wäre es also, einen klar definierten hohen Standard umzusetzen. Die reine Bewirtschaftung würde keine Förderung auslösen. Diese Diskussion muss für die Reform 2020 bereits jetzt starten. Bis dahin müssen wir Bündnisse eingehen, Mehrheiten suchen und Rechnungsmodelle erstellen. Denken Sie an die Einhaltung der Klimaziele, die wir in Paris beschlossen haben. Hierfür muss die Landwirtschaft einiges tun. Da fällt mir meine erste Regierungserklärung zur BSE-Krise ein: Jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer verfehlten europäischen Agrarpolitik.” Es ist eine Gesamtstruktur, die gewachsen ist, niemand trifft ein individueller Vorwurf. Denn da spielen noch andere mit wie die großen Saatgut- und Chemiekonzerne, die uns die Grüne Revolution versprochen haben. Es sollte die ganze Welt ernährt werden. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die nächste EU-Agrarreform steht 2020 bevor. Deutschland wird der Treiber sein müssen. Das Gespräch führte Daphne Huber-Wagner Chronologie 2001 bis 2005 2001 Renate Künast (Bündnis 90/ Die Grünen) übernimmt das neue Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), vorher Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMELF). Zuvor war Hans-Peter Funke als Landwirtschaftsminister in der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder wegen der BSE-Krise zurückgetreten. 2002 Nitrofen-Skandal 2003 Öko-Landbaugesetz 2004 Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz, Dioxinfunde in Milch und Fleisch, Gentechnikgesetz zu Koexistenz von GVO und Nicht-GVO 2005 Vogelgrippe; Oktober 2005: Renate Künast wird Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag und gibt ihr Amt als Ministerin kurz vor der Bundestagswahl ab. Handel & Industrie Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung 17 Die Raiffeisen-Genossenschaften sind hierzulande wichtige Marktpartner von Landwirtschaft, Ernährungsindustrie und Lebensmittelhandel. Ihre Zahl ist über die vergangenen Jahrzehnte hinweg deutlich rückläufig gewesen. Auch im privaten Agrarhandel war der Strukturwandel beachtlich. Die Raiffeisen-Genossenschaften erzielten 2015 einen Umsatz von knapp 61 Milliarden Euro. Umsatzstärkste Sparten sind die Warenwirtschaft, die Milchwirtschaft sowie die Vieh- und Fleischwirtschaft. Raiffeisen-Genossenschaften in Deutschland Entwicklung von Anzahl und Umsatz in Milliarden Euro 68,7* 59,5 66,5* 60,8* 39,0 17,5 3,5 1950 23753 1970 13764 1990 2012 5199 2013 2452 2014 2385 2015 2316 2250 *einschließlich Tochterunternehmen und Beteiligungen Quelle: DRV Foto: Landpixel Privater Landhandel Anzahl der Betriebe in Deutschland* Ob und wie der Brexit den Handel mit Agrargütern beeinflusst, ist noch offen. Erzeugernöte schwappen auf den Handel über Auch für die Getreide- und Futtermittelbranche wird es künftig schwieriger. Doch mit neuen Nischen und klugen Ideen stehen die Chancen für Investitionen gut – bei historisch niedrigen Zinsen. Sarah Speicher-Utsch Die Bilanzen der großen Genossenschaften zeigen aber bereits die Richtung an, in die es umsatzmäßig in der ganzen Branche geht: nach unten. Der Erfassungshandel hat seine Bestände zu teuer eingekauft, sodass der Preisverfall im vergangenen Jahr zu erheblichen Verlusten geführt hat. Auch derzeit sieht es immer noch nicht rosig aus. Ressort Handel & Industrie Z uerst die gute Nachricht: In der verarbeitenden Industrie läuft es derzeit noch ganz gut – zumindest wenn man die Situation der Unternehmen und Genossenschaften mit der der Erzeuger vergleicht. Schweinehalter können zwar aufgrund der niedrigen Futtermittelund Energiepreise gerade wieder einigermaßen attraktive Deckungsbeiträge erwirtschaften, und Milchviehbetriebe darben immer noch. Aber bei den Futtermittelherstellern und Händlern sind die Finanzsorgen noch nicht in dem Maße angekommen. Viele Unternehmen suchen sich also Nischen, um dort – zum Beispiel in der Bio-Futtervermarktung – bessere Margen zu erzielen. Andere halten nach größeren Partnern Ausschau, um den Marktwidrigkeiten schlagkräftiger begegnen zu können. Andere wiederum bleiben allein und wollen sich aus eigener Kraft mit neuen Produkten, der Expansion ins Ausland und besserer Technik behaupten. Günstiger Zeitpunkt Der Zeitpunkt für Investitionen ist derzeit immerhin so günstig wie noch nie: Die Zinsen liegen auf einem historisch niedrigen Niveau. Wer es sich also zurzeit betriebswirtschaftlich leisten kann und gute Businesspläne hat, kann die Gunst 2015 1950 der Stunde nutzen und günstig Kredite aufnehmen. Doch die gesamte Agrarhandels- und Futtermittelbranche steht vor einem schwierigen Dilemma. Vor allem Mäster und Landwirte aus dem Schweinesektor wollen wegen der deutlich reduzierten Auszahlungspreise die 2015 in einem größeren Umfang vereinbarten Jahresabnahmekontrakte nachverhandeln. Auch die Mischer stehen vor der Frage, ob sie den Forderungen der Landwirte nachgeben und damit wertmäßige Einbußen hinnehmen. Oder bleiben sie hart und nehmen in Kauf, dass die Absätze zurückgehen? Falls die Mischer aufgrund der angespannten Finanzlage ihrer Kunden auf Kontrakten sitzenbleiben, dürfte das auch künftig der Handel spüren. Sorgen macht der ganzen Branche derzeit auch der Brexit – wenngleich eher auf lange Sicht. Gerade erst hat sich das britische Volk knapp für einen Austritt aus der EU ausgesprochen. Die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft exportiert jährlich Güter im Wert von rund 4,2 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich. Im Gegenzug betragen die britischen Ausfuhren 1,4 Milliarden Euro, sodass die deutsche Außenhandelsbilanz mit knapp 3 Milliarden Euro im Plus liegt. Exportrekord in die EU Betrachtet man die Ausfuhren in die gesamte EU, steht Deutschland beim Getreide immer noch auf Platz 2 nach Frankreich und vor Polen. Der gesamte Agraraußenhandel entwickelte sich 2015 in beide Richtungen positiv. Die Ausfuhren mit Agrar- und Ernährungsgütern stiegen um 3,1 Prozent auf 65,4 Milliarden Euro, während die Einfuhren um 6,1 Prozent auf 74,5 Milliarden Euro zunahmen. Unter Berücksichtigung von Nachmeldungen wird für 2015 mit einem Jahresergebnis bei den Ausfuhren in die EU von etwa 68,5 Milliarden Euro gerechnet. Damit dürfte der deutsche Agrarexport nach Berechnungen des Bundesagrarministeriums (BMEL) eine neue Höchstmarke erreichen. Der Saldo des Agrarhandels ist aber nach wie vor negativ, es wird also mehr importiert als exportiert. Das Defizit hat sich 2015 im Vergleich zum Vorjahr auf minus 9,1 Milliarden Euro erhöht. 550 10900 *BVA-Schätzung Mühlenstruktur in Deutschland Anzahl der Betriebe in Tausend 15 Westdeutschland Vermahlungsanteile •Weizen •Roggen 10 15 10 Westdeutschland 1990/91 Ostdeutschland 1990/91 Deutschland 2014/15 5 5 Ostdeutschland Deutschland 0 1950/51 1960/61 1970/71 1980/81 1990/91 2000/01 2010/11 0 2014/15* *Vermahlung ab 2012/13 mehr als 1 000 t pro Jahr; diese Grenze ist in den Jahrzehnten ständig angepasst worden. 2014/15 gab es noch 214 meldepflichtige Mühlen. Quelle: BLE Historische Zinsentwicklung Kurzfristige Zinsen in Prozent 20 Auch wenn die Agrarbranche derzeit darbt: Über zu teure Kredite kann sie sich nicht beschweren. Die Zinsen sind so niedrig wie in den vergangenen 5 000 Jahren nicht, hat Andrew Haldane, Chefökonom der Bank von England, berechnet. 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 3000 v. Chr. 1734 1788 1842 1896 1950 2004 Quelle: Homer und Sylla (2005), Weiller&Mirowski (1990), Bank of England 18 Handel & Industrie Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Die Neuausrichtung der Milchwirtschaft ist für mich eine der ganz großen Herausforderungen der nächsten Jahre. “ Porträt: Manfred Nüssel Netzwerker für die Genossenschaften Foto: DRV Als langjähriger DRV-Präsident hat er die Agrarbranche entscheidend mitgeprägt. Sein Ziel: Wettbewerbsfähige Genossenschaften und eine zukunftsfähige, unternehmerische Agrarwirtschaft. Z ufälle kann man nicht planen, sagt Manfred Nüssel, und davon gab es in seiner Laufbahn einige, wie zum Beispiel sein Mandat im Bayerischen Senat. Schon immer hat er sich für gesellschaftspolitische Themen interessiert und eingesetzt. Sei es als Vorsitzender der Bayerischen Jungbauernschaft gemeinsam mit Gerd Sonnleitner, dem langjährigen Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, oder als Vizepräsident des Genossenschaftsverbandes Bayern – die Liste seiner Engagements ist lang. Darunter sind ebenfalls einige Aufsichtsratsposten zu finden, was mitunter auch Kritiker auf den Plan gerufen hat: Man könne genossenschaftliche Interessen und die von Unternehmen nicht unter einen Hut bringen. Für Manfred Nüssel, der ursprünglich eigentlich „nur” Landwirt werden wollte, ist vieles miteinander vereinbar. Ihn hat vor allem die Frage angetrieben: Wie kann ich Einfluss nehmen, um Mehrwert für eine zukunftsfähige, unternehmerische Agrarwirtschaft zu schaffen? Netzwerke aufzubauen, ist nach Ansicht von Nüssel dafür unabdingbar. Eine wichtige Voraussetzung: finanziell unabhängig zu sein. Dies hat ihm der elterliche Betrieb im Rücken ermöglicht, den Nüssel nach wie vor betreibt. Einen richtigen Arbeitsvertrag hat er nie unterschrieben, erklärt er, nicht ganz ohne Stolz. Politisch geprägt habe ihn Franz-Josef Strauß, der vor allem die unternehmerische Jugend stark gefördert hat. Seit 1999 setzt er sich als Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) für die Interessen der Genossenschaften ein, sowohl auf nationalem, europäischem als auch internationalem Parkett. Die Neuorganisation der Genossenschaften wie zum Beispiel die Bündelung der Vieh- und Fleischvermarktung stand zu seinem Amtsantritt an. Dabei verstand Nüssel die Genossenschaften stets als Bindeglied zwischen der Landwirtschaft und den Märkten. Angesichts einer zunehmenden Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte, der Agenda 2000 und der Ost-Erweiterung der EU mussten Weichen für die Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaften gestellt und Strukturen angepasst werden. Auch Krisen waren zu bewältigen wie BSE, Dioxin, EHEC & Co. So hat der DRV als Folge der BSE-Krise die QS Qualität und Sicherheit GmbH mitbegründet. „Das QS-Siegel ist heute das Markenzeichen für Qualitätssicherung”, sagt Nüssel. räsident des Deutschen Raiffeisenverbandes zu werden, war für mich der Traumjob schlechthin”, resümiert Nüssel. Interessante Menschen auf seinen vielen Reisen kennenzulernen und zu Lösungsansätzen herausgefordert zu sein, hat ihn in seiner Laufbahn stets begeistert. Besonders beeindruckt habe ihn die Begegnung mit dem früheren EU-Agrarkommissar Franz Fischler, der zahlreiche Brücken zwischen verschiedenen Interessen gebaut und viel bewegt habe. Heute erzielen die Genossenschaften in der Warenwirtschaft einen Jahresumsatz von 36,1 Milliarden Euro, mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes von über 61 milliarden Euro, die Milchwirtschaft einen Umsatz von 12,4 Milliarden Euro und die Vieh- und Fleischwirtschaft 6,2 Milliarden Euro. müssen eine Bündelung der Kräfte zügig umsetzen”, so Nüssel. Zusammenschlüsse von Molkereien seien ein wichtiger Baustein. Bereits 2005 gab es in einem vom DRV in Auftrag gegebenen Gutachten den Vorschlag, zwei „Leuchttürme” entstehen zu lassen, was damals jedoch nicht umgesetzt wurde. Eine Mengenreduzierung kann seiner Ansicht nach nur auf europäischer Ebene gelingen. Darüber hinaus müsse mehr Wertschöpfungstiefe in der Verarbeitung geschaffen und neue Produkte entwickelt werden wie beispielsweise Coatings aus Milchpulver für die Pharmaindustrie. Für die Erschließung neuer Drittlandmärkte wünscht sich Nüssel eine schnellere Vergabe von Exportzertifikaten und Warenterminmärkte zur Preisabsicherung sollten in der Milchwirtschaft genauso intensiv genutzt werden wie in der Getreide- und Rapsvermarktung. Auch die Digitalisierung fordere den Agrarhandel zunehmend heraus, denn die Landwirte werden immer anspruchsvoller und wollen noch mehr Service. Die Neuausrichtung der Milchwirtschaft ist für ihn eine der ganz großen Herausforderungen der nächsten Jahre. „Wir Die Initiative Tierwohl, die 2015 die Arbeit aufgenommen hat, ist für Nüssel ein guter Weg als Antwort auf Verbrau- P cherwünsche. Denn das Image der Landwirtschaft liegt ihm am Herzen. „Darum muss sich die Landwirtschaft aber selber kümmern. Denn die Verunsicherung der Verbraucher ist das Teuerste, was wir uns leisten”, betont Nüssel. Die Landwirte müssen darüber nachdenken und mehr Rücksicht auch auf die Wünsche der Verbraucher nehmen. Von der Agrarpolitik werden – so Nüssel – künftig noch mehr Regeln und Anforderungen im Hinblick auf Umwelt, Wasser und Düngung ausgehen. Vor allem aber wünscht er sich eine positive Einstellung der Gesellschaft zur Landwirtschaft und ein Mehr an Europa. I nzwischen geht er so manches gelassener an. Mitte 2017 gibt er sein Amt als DRV-Präsident auf. Auch für die Zeit danach hat er schon Pläne. Er will sich mehr seiner Familie und seinen Hobbys widmen sowie sich verstärkt ehrenamtlich vor Ort engagieren. Eine feste Funktion will er aber nicht mehr ausüben. Auch das Reisen ist für ihn nicht mehr so wichtig. „Ich habe die ganze Welt gesehen. Das brauche ich nicht mehr. Aber einmal die Hurtigrute fahren, das wäre schön”, sagt Nüssel. AW Zur Person Manfred Nüssel, Jahrgang 1948, hat nach seinem Studium für Landbau an der Fachhochschule Weihenstephan 1970 den elterlichen Betrieb übernommen und die Neuorganisation mit Schwerpunkt Schweinemast und Ackerbau vorangetrieben. Ein Jahr zuvor begann seine politische und genossenschaftliche Laufbahn als Bezirksvorsitzender der Bayerischen Jungbauernschaft e.V. Danach folgten weitere Funktionen wie beispielsweise im Genossenschaftsverband Bayern, bei Raiffeisenbanken und im Bayerischen Senat als Repräsentant der Genossenschafts-Organisation. 1999 wurde Nüssel zum Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) gewählt. Darüber hinaus ist der Dipl.-Agraringenieur Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, unter anderem bei der Baywa AG und der Agco/Fendt GmbH. Ferner engagierte sich Nüssel in der Internationalen Raiffeisen-Union sowie als Vizepräsident im Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Europäischen Union (Cogeca). AW „Wir wollen aus eigener Kraft wachsen“ Mit immer neuen Geschäftsideen hat es die ZG Raiffeisen Karlsruhe geschafft, sich als Spieler am Markt zu etablieren. Mittlerweile gehört auch eine Bioschiene dazu. agrarzeitung: Die ZG Raiffeisen hat sich über die Jahre erfolgreich gegen Über nahmen und Fusionen gewehrt. Wie ist Ihnen das bei Ihrer Unternehmens größe gelungen? Glaser: Unser Grundgedanke war immer, uns zu einer echten Primärgenossenschaft zu entwickeln und das Direktgeschäft mit unseren Mitgliedern zu verstärken. Das ist uns gelungen. Und wie sieht es in der Zukunft aus? Glaser: Unser Ziel ist, dass die Landwirte aufgrund der Zusammenarbeit mit uns einen Mehrwert erzielen. Gleichzeitig wollen wir die wirtschaftliche Beziehung zu unseren Mitgliedern stärken. Wir sind immer auf der Suche nach Märkten, die wir bedienen können. Das ist uns auch für den Agrarbereich in unserem Einzugsbereich gelungen. Nebenbei haben wir ein Netzwerk von Kooperationen mit genossenschaftlichen Nachbarn und privaten Unternehmen auf- und ausgebaut. Davon profitieren alle Seiten. Zur Person Dr. Ewald Glaser (58) ist seit 1984 für die ZG Raiffeisen tätig. Seit 1997 ist der Hohenheimer Agrarwissenschaftler mit Schwerpunkt in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Vorstandsvorsitzender der badischen Genossenschaft. In diesem Jahr wurde er in das Präsidium des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV) dg gewählt. mit der CAC (Coopérative Agricole des Céréales) in Colmar auf dem Gebiet der Raiffeisenmärkte. Dank der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit konnten wir auf eigene Investitionen verzichten und auf leistungsfähige Anlagen der CAC zurückgreifen. Hilfreich war allerdings die Einführung des Binnenmarktes vor mehr als 20 Jahren. Später folgten dann auch Beteiligungen an Baustoffhandelsunternehmen. Wieso gibt es in Ihrem Einzugsgebiet regionale Absatzmärkte? Glaser: Die Ansammlung von Industrie entlang des Rheingrabens und in den anliegenden Gebieten beschert uns eine gute Kaufkraft der Verbraucher. Die bedienen wir unter anderem mit landwirtschaftlichen Produkten. Sie haben auch den Absatz von land wirtschaftlichen Produkten ohne Gen technik erfolgreich forciert. War das ein Selbstläufer? Glaser: Keineswegs. Wir hatten mit Widerständen zu kämpfen, als wir vor etwa 15 Jahren damit begannen. Vor allem die Umstellung in unserem Raiffeisen Kraftfutterwerk in Kehl hat in den ersten Jahren Geld gekostet. Letztendlich haben wir aber eine politische Grundstimmung in unserem Land aufgegriffen, die sich bekanntlich auch in Wahlergebnissen niedergeschlagen hat. Allerdings muss man auch die Relationen sehen. Wir stellen etwa 120 000 Tonnen Futtermittel ohne Gentechnik her. Das ist im Vergleich zu der gesamten Produktion in Deutschland nur ein Bruchteil. Aber sie finden hier ihren Absatz. Besteht für Ihre Bioschiene im Futter mittelbereich genug Nachfrage? Glaser: Ja, sonst hätten wir uns nicht dafür entschieden. Wir sind – wie gesagt – immer auf der Suche nach neuen Märkten und einem Alleinstellungsmerkmal, das wir besetzen können. So haben wir uns auch hier engagiert und produzieren in Kehl Futtermittel mit Biosiegel und ohne Gentechnik. Damit schließt sich der Kreis. Die Landwirte kaufen ihre Betriebsmittel bei uns und die Erzeugnisse aus dieser landwirtschaftlichen Produktion wie beispielsweise Eier, Milch oder Nudeln und Getreideprodukte verkaufen wir in unseren Raiffeisenmärk- Foto: ZG Raiffeisen Karlsruhe Die ZG Raiffeisen Karlsruhe zählt zu den kleineren Hauptgenossenschaften in Deutschland. Dr. Ewald Glaser erklärt gegenüber der agrarzeitung (az), wie sie in der heutigen Zeit ihre Eigenständigkeit bewahren will. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Märkten und einem Alleinstellungsmerkmal.“ ten. Die agrarisch strukturschwache Region im Schwarzwald kann von dieser Entwicklung profitieren. Auf der einen Seite regional, Bio und ohne Gentechnik. Auf der anderen Seite ist Ihr Unternehmen Vorreiter in tech nischen Fragen. Passt das zusammen? Glaser: Das ist absolut kein Widerspruch. Wir bieten die Multikopter- oder Drohnentechnik zur biologischen Schädlingsbekämpfung im Mais an. Sechs eigene Drohnen sowie weitere gemietete Geräte stellen wir für diese Dienstleistung zur Verfügung. Zudem sind wir Marktführer für den Vertrieb von Melkrobotern in Baden-Württemberg. Sie haben schon immer mit Ihren französischen Nachbarn kooperiert. War allein die geografische Nähe der Grund? Glaser: Die Zusammenarbeit mit elsässischen Kollegen war ganz klar eine strategische Entscheidung. Begonnen hat sie aufgrund der Zusammenarbeit Sie arbeiten mit mehreren deutschen Hauptgenossenschaften zusammen. Wird das bei den sich verändernden Strukturen Bestand haben? Glaser: Ja – wenn die Zusammenarbeit sinnvoll ist, wird sie fortgeführt. Dazu gehören im Moment der IT-Bereich, die Mischfutterproduktion sowie der Einkauf und das Marketing bei den Raiffeisenmärkten. Wie sieht Ihrer Meinung nach das Genos senschaftswesen in zehn Jahren aus? Glaser: Es wird immer Unternehmen geben, die stark für den Weltmarkt produzieren und internationale Geschäftsmodelle verfolgen. Andere Häuser finden ihre Absatzgebiete im regionalen Umfeld. Einige bedienen beide Richtungen. Dabei wird der Begriff Region durchaus unterschiedlich interpretiert. Jedes Unternehmen muss seine Ausrichtung finden. Werden Genossenschaften verschwin den? Glaser: Die Zahl der Genossenschaften wird zukünftig kleiner werden. Geschäftsmodelle müssen den Entwicklungen der Märkte angepasst werden, denn wir leben nicht in einer statischen, sondern sehr dynamischen Zeit. Wie richten Sie Ihr Unternehmen für die Zukunft aus? Glaser: Wir haben eine klare Vision: Für die Zukunft verfolgen wir für alle unsere Geschäftsbereiche das Ziel, dass uns jeder kennt, jeder zu uns kommt und jeder bei uns kauft. Wir wollen die erste Adresse für unsere Mitglieder in unserem Einzugsgebiet sein. Was müssen Sie dafür noch tun? Glaser: Dazu müssen wir noch mehr an unserer Effizienz arbeiten und unsere Leistungsfähigkeit steigern. Hier gibt es noch große Reserven. Dabei setzen wir ganz klar auf Qualität. Wir wollen aus eigener Kraft wachsen, langfristig denken und weiter eigenständig bleiben. Sie wurden kürzlich ins Präsidium des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) gewählt? Können Sie sich hier ein stärkeres Engagement Ihrerseits vorstellen? Glaser: Der DRV ist der wichtigste Verband der Agrarwirtschaft in Deutschland. Sein Wort gilt etwas, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Politik und der Gesellschaft. Ich werde mich selbstverständlich aktiv im Rahmen meiner zeitlichen Möglichkeiten einbringen, weil ich sehe, dass der DRV vor großen Herausforderungen steht und sich auch die Ansprüche der Genossenschaften stark verändern. Das Gespräch führte Dagmar Hofnagel ZG Raiffeisen Die ZG Raiffeisen erzielte 2015 einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro. Das Agrargeschäft bestreitet knapp 50 Prozent des Umsatzes. Ende 2016 strebt die Genossenschaft die Marke von 4 000 Mitgliedern an, 2020 sollen es 5 000 sein. Begonnen haben sie vor dg 20 Jahren mit 500. Handel & Industrie 19 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Agravis hat noch viel vor Längst ist der Konzern dem ausschließlich nationalen Dunstkreis entwachsen. Doch die Nummer 1 im klassischen Agrargeschäft in Deutschland gibt weiter Gas. S eit der Fusion der Genossenschaftszentralen Münster und Hannover zur Agravis Raiffeisen AG im Jahr 2004 (Grafik, Chronik der Agravis) bewegt sich der Konzern auf strammem Wachstumskurs und hat den Umsatz seitdem auf 7 Milliarden Euro verdoppelt. Nur zu Beginn standen die Zeichen auf Sanierung. Schlankere und kürzere Arbeitsprozesse, Kosteneinsparungen und erhebliche Synergie-Effekte ermöglichten sehr bald Investitionen deutlich oberhalb der Abschreibungen. Im klassischen Portfolio überstiegen sie allein in den vergangenen fünf Jahren die Abschreibungen um mehr als 100 Millionen Euro. Im laufenden Jahr werden rund 60 Millionen Euro in die Modernisierung der Futterwerke, Getreidebewirtschaftungen, Technik-Standorte und in schlagkräftigere Strukturen fließen. Parallel dazu verdreifachte sich die Eigenkapitalbasis seit der Gründung auf 515 Millionen Euro. Eine Eigenkapitalquote von 27 Prozent ist für ein Handelshaus schon jetzt ein außergewöhnlich hoher Wert, doch erst bei einer Quote von 30 Prozent soll bei Agravis Schluss sein. Wie alle Unternehmen der Branche hat auch der Agravis-Konzern mit unbefriedigenden Margen beim Agrargeschäft zu kämpfen. „Eine Netto-Marge von gerade einmal 0,6 oder 0,7 Prozent ist auf Dauer Verwurzelt in 100-jähriger Tradition „Auf Abenteuer, riskante Investitionen und völlig branchenfremde Aktivitäten lassen wir uns aber keinesfalls ein. Wir wissen, wo wir herkommen, wissen, was wir können und was wir wollen. Wir gehen mit dem klassischen Portfolio, inklusive Energie und Raiffeisen-Märkten, den vielleicht etwas konservativen Weg – aber einen erfolgreichen, auf dem wir auch die Mitarbeiter und Aktionäre mitnehmen”, so der langjährige Agravis-Chef, der den Vorsitz Anfang 2017 altersbedingt an Andreas Rickmers abgeben wird. Ceravis als Big Bang Foto: Agravis Die Wurzeln der Agravis reichen auf mehr als 100 Jahre und zu den Anfängen genossenschaftlicher Aktivitäten in Deutschland zurück. Damals waren Rettung und Erhaltung der bäuerlichen Existenzen sowie die Förderung optimaler Bezugs- und Absatzmöglichkeiten die primären Ziele. Mit diesen Vorgaben wurden im Jahr 1890 die Zegeno Osnabrück eG und die LZG Oldenburg sowie 1899 die Westfälische Central-Genossenschaft (WCG) eG in Münster gegründet. Ein knappes Jahrhundert später ging aus diesen drei Unternehmen 1990 die Raiffeisen Central-Genossenschaft Nordwest eG (RCG) mit Sitz in Münster hervor. Der zweite Stamm der Agravis wurzelt in der Raiffeisen Hauptgenossenschaft eGmbH, Hannover (RHG) im Jahr 1899. Sie wurde 1993 in die RHG Nord AG umgewandelt. Das Arbeitsgebiet der Agravis deckt zu wenig, um die zunehmenden Risiken abzufedern. Wir sind aber optimistisch, mittelfristig eine Umsatzrendite von einem Prozent mit unserem bestehenden Portfolio zu erwirtschaften”, unterstreicht Dr. Clemens Große Frie, Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Höhere Margen lassen sich nach seiner Einschätzung vor allem durch Investitionen in die Schlagkraft und die Standortqualität, aber auch durch Fusionen und Übernahmen in renditestärkere Segmente erreichen. seit 2004 fast den gesamten norddeutschen sowie Teile des westdeutschen Raums ab und reicht unter anderem über Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bis nach Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und az Schleswig-Holstein. Große Frie ist stolz darauf, dass die 6 300 Mitarbeiter die Entwicklung aktiv mittragen. Ein großer Teil der Belegschaft hält zudem Aktien am Konzern und fühle sich eher als Mitunternehmer denn als Arbeitnehmer. Eine äußerst niedrige Personalfluktuation von rund 5 Prozent unterstreiche die Identifikation mit dem Unternehmen. Schließlich sei die Agravis nicht umsonst mehrfach als einer der besten Arbeitgeber Deutschlands ausgezeichnet worden. Auch die Aktionäre in Ost und West tragen die Unternehmenspolitik mit. Ein Meilenstein in der Geschichte des Genossenschaftskonzerns war die Übernahme der Agrarhandelsaktivitäten der Getreide AG zusammen mit den dänischen Partnern und die Gründung der Ceravis AG Mitte 2015. Dadurch verschob sich der Aktionsradius in Deutschland weiter nach Norden und Osten, denn die Ceravis agiert auf rund 65 Standorten in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen. Schon für das erste volle Geschäftsjahr 2016 rechnet man mit einem Umsatz des akquirierten Unternehmens von 1,3 Milliarden Euro und vielleicht sogar mit einem ausgeglichenen operativen Ergebnis. An der Ceravis AG hält die Agravis zwar nur eine Beteiligung von 25 Prozent, doch die Akquisition steht auch als Paradebeispiel für qualitatives Wachstum, das Minderheitsbeteiligungen einschließt. „Wir versuchen, auch durch unternehmerische Allianzen neue Potenziale zu erschließen. Wir müssen nicht in allen Bereichen zu 100 Prozent das Sagen haben und begnügen uns von Fall zu Fall auch mit Minderheitsanteilen. Denn 25 Prozent von x sind besser als 100 Prozent von nix”, beschreibt der Agravis-Chef die Strategie. Vielzahl an Beteiligungen Getreu der Devise „Wer stehenbleibt, wird überholt” will der Konzern auch künftig wachsen. Für die nächsten Jahre hat er sich als Zielvorgabe ‚8/80’, einen Umsatz von 8 Milliarden Euro bei einem Ergebnis von 80 Millionen Euro vor Steuern auf die Fahnen geschrieben. Das schwierigere Wachstum auf den klassischen Märkten wurde in den vergangenen Jahren durch umfangreiche M&A-Aktivitäten (Mergers and Acquisitions) und einem akquirierten Umsatzzuwachs von 1,7 Milliarden Euro ergänzt. Jüngstes Beispiel ist die Übernahme der Menke Agrar GmbH in Soest – ein internationaler Großhändler für Agrartechnik-Ersatzteile. Vorbehaltlich der Zustimmung des Kartellamts will die Agravis auch ihre Anteile an der Technik Center Alpen GmbH von 45 auf 76 Prozent aufstocken. „25 Prozent von x sind besser als 100 Prozent von nix“ Dr. Clemens Große Frie Im Getreidebereich beschreitet die Agravis, die im Vorjahr 8,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten handelte, ebenfalls neue Wege. Künftig wird das Portfolio um ein Nischengeschäft mit 750 000 Tonnen Braugerste und einer Umsatzerwartung von etwa 150 Millionen Euro erweitert. Im internationalen Getreidegeschäft machte die Agravis vor kurzem mit der 33-prozentigen Beteiligung an der H. Bögel GmbH & Co. KG, Hamburg, mit einem Umsatz von rund 200 Millionen Euro von sich reden. Zusammen mit dem weiteren Anteilseigner, der Wilmar International Ltd, Singapur, einem führenden Agrarkonzern Asiens, verschaffte sich die Agravis damit Zugang zu Futtermittelkomponenten wie Palm, Palmöl und Palmexpeller vor Ort. Für 2016 ist noch mehr zu erwarten, denn die erklärte strategische Allianz mit der RWZ Rhein-Main eG in Köln macht neugierig. Aber die Agravis kann auch abgeben: Der Konzern, der als einer der Big Player im europäischen Mischfuttergeschäft mit über 30 eigenen Tochtergesellschaften sowie Beteiligungsgesellschaften jährlich mehr als 4 Millionen Tonnen Futter herstellt, beteiligt seit kurzem örtliche Genossenschaften ohne eigene Mischfutterproduktion an zwei Werken. Damit reagieren die Verantwortlichen auf die knappen Margen in diesem Segment, vor allem aber auf die Tatsache, dass eigene Aktionäre in den vergangenen Jahren ihre Mischfutterproduktion aufgestockt und den Wettbewerb verschärft haben. So übertrug der Konzern 50 Prozent der Anteile an der Agravis Kraftfutterwerke Münsterland GmbH, die in Münster und Dorsten mehr als 700 000 Tonnen Mischfutter jährlich herstellen, an 13 regionale Genossenschaften. Erklärtes Ziel der Agravis ist es, die „Agrarhändler-Tabelle” mit vergleichbarem Portfolio anzuführen. Bezogen auf das klassische Agrargeschäft ist das Unternehmen schon jetzt die Nummer eins in Deutschland. Mit der Vielzahl von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften in mehr als 20 Ländern und Exportaktivitäten in mehr als 100 Ländern ist das Unternehmen längst in internationale Dimensionen hineingewachsen. Partner in Dänemark Der internationale Auftritt erfolgt im Wesentlichen über fünf Joint Ventures mit den dänischen Partnern Danish Agro und Vestjyllands Andel. Eine Beteiligung mit großem Ertragspotenzial und hohen Renditen ist die dänische Vilomix Holding, an der die Agravis 25 Prozent hält. St 20 Handel & Industrie Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Hinfahren und kämpfen!“ Nur mit viel persönlichem Engagement kann die kleine Ölmühle Kleeschulte mit den großen Produzenten mithalten und schafft es so in die Regale der Discounter. agrarzeitung: Die großen Agrarkonzerne haben den Ölsaatenmarkt weitgehend unter sich aufgeteilt. Bleibt noch genügend übrig für die kleinen dezentralen Ölmühlen? Zur Person Bernd Kleeschulte, 46, leitet die Geschicke des Familienunternehmens Kleeschulte GmbH & Co. KG, Büren als Geschäftsführender Gesellschafter. Neben dem Ölsaatengroßhandel sowie dem Umschlag und Vertrieb von Holzpellets verarbeitet das Unternehmen in zwei getrennten Anlagen jeweils 10 000 Tonnen konventionellen Raps und Raps beziehungsweise Sonnenblumen aus kontrolliert biologischem Anbau. Von den gut ausgelasteten Anlagen werden jährlich etwa fünf Millionen Speiseölflaschen abgefüllt. Das Rapskernöl wird jährlich DLG prämiert und ist mit der Rapsöl-Medaille der DGF (Deutsche Gesellschaft für FettwissenSt schaft e.V.) ausgezeichnet. Bernd Kleeschulte: Das Produktportfolio der großen Ölmühlen ist für die dezentralen Ölmühlen kein Maßstab. Wenn wir als kleine Ölmühlen das gleiche wie die Großen machen wollten, würde das nicht funktionieren. Auch mit Biodieselkomponenten lässt sich nur etwas verdienen, wenn entsprechend große Produktionsanlagen und logistische Anbindungen vorhanden sind. Die Anlagen der kleinen Ölmühlen sind hierfür nicht ausgelegt. Für Nischenprodukte und kaltgepresstes Öl gibt es dagegen einen eigenen Markt. Dieser wird zurzeit von etwa zehn namhaften kleineren Ölmühlen bedient, die damit ihre Anlagen gut auslasten können. Ist es schwierig, neue Marktsegmente zu erschließen? Kleeschulte: Dies ist sicherlich schwierig, denn es sind umfangreiche Zertifizierungen für den Vertrieb von Speiseöl notwendig. Wir sind nach dem sehr anspruchsvollen Verfahren International Food Standard (IFS) zertifiziert und haben unsere beiden Anlagen schon beim Bau im Jahr 2005 auf lebensmittelrechtliche Standards ausgerichtet. Gleichzeitig müssen wir günstig produzieren, denn sonst haben wir keine Chance, im Regal des LEH zu landen. Da unsere Anlagen nicht auf der grünen Wiese entstanden sind, sondern in die vorhandenen Gebäude integriert werden konnten, ist unsere Anlagebelastung niedrig. Außerdem befindet sich vom Wareneinkauf über das Risk-Management, Lagerung und Analytik, Pressung und Abfüllung, Verpackung und Logistik alles in einer Hand. Zu viele Glieder in dieser Kette sind nach meiner Meinung kaum Erfolg versprechend. Unser klares Ziel heißt Preisführerschaft. Wie schafft eine kleine Ölmühle den Sprung in die Regale des übermächtigen LEH? Kleeschulte: Hinfahren und kämpfen! Unsere Öl-Eigenmarke Moritz wird inzwischen bundesweit abgesetzt und außerdem von einem führenden Discounter unter seiner Eigenmarke deutschlandweit vertrieben. Das ging aber nicht über den Preis alleine, sondern nur mit viel persönlichem Engagement. In dem Preissegment kaltgepresstes Öl haben wir eine so schlanke Kostenstruktur, dass wir wettbewerbsfähig sind. Das müssen wir auch, denn beim Discounter kostet der halbe Liter kaltgepresstes Rapsöl 1,59 Euro. Wächst der Markt für kaltgepresste Öle oder bleibt er ein Nischensegment? Kleeschulte: Generell wächst der Markt für alle Rapsöle. Auch unser spezieller Marktbereich und unsere eigene Marke ist jedes Jahr gewachsen und hat die höchsten Wachstumsraten von allen deutschen Ölmühlen, die in diesem Foto: Kleeschulte Die Firma Kleeschulte GmbH & Co. KG im westfälischen Büren produziert seit mehr als zehn Jahren kaltgepresste Speiseöle. Die agrarzeitung (az) sprach mit Bernd Kleeschulte, Geschäftsführer des Unternehmens, über Erfolgsrezepte und Marktchancen. Unser klares Ziel heißt Preisführerschaft.“ Segment arbeiten. Durch die niedrigen Margen für technische Öle gibt es inzwischen aber einige Verarbeiter aus diesem Bereich, die nun versuchen, in der Speiseölproduktion Fuß zu fassen. Wettbewerbsfähig wird aber nur der sein, der alle Schritte im gesamten Prozess nach Möglichkeit in einer Hand hält. Der Ölabsatz ist eine Sache, wie gestaltet sich die Vermarktung von Rapsexpeller? Kleeschulte: Mittlerweile gibt es eine große Marktakzeptanz für Rapskuchen und keinerlei Absatzprobleme, auch wenn die Preise hierfür im Schnitt 20 bis 25 Euro über Rapsextraktionsschrot liegen. Bei einem Fettanteil von 10 Prozent im Rapskuchen können wir mit diesem Aufgeld die etwas niedrigere Ölausbeute ausgleichen. In Büren ist ein Kraftfutterwerk ansässig, das uns allein die Hälfte der anfallenden Produktion abnimmt. Den Rest vermarkten wir ins Rheinland, nach Westfalen und sogar bis nach Holland. Das Gespräch führte Hermann Steffen uns der Öffentlichkeit stellen und der Branche dienen. Wenn es der Branche schlecht geht, geht es auch unserem Betrieb schlecht”, so sein Credo. im Vorfeld zu dem einen oder anderen Thema. Eine seiner Spezialaufgaben ist es auch, Fachzeitschriften auszuwerten. Markiert mit den wichtigen Themen wandern sie zurück zu den Mitarbeitern ins Büro. „Ich habe ja die Zeit.” Entscheidungen im Tagesgeschäft liegen indes ausschließlich bei seinem Sohn. Auch wenn sie dem Vater nicht gefallen. tet er. Die immer größere Volatilität der Märkte und damit das größere Risiko sorgen dafür. „Wir haften mit unserem persönlichen Unternehmen. Die angestellten Yuppies in den großen Unternehmen müssen das nicht. Das birgt weitere Risiken.” D er Politikberater hinter den Kulissen und Kämpfer für die Sache ist nicht immer bequem, aber konsequent, authentisch und akzeptiert. Und in seiner Hochzeit wurden keine politischen Entscheidungen getroffen, die nicht vorher über seinen Tisch gegangen sind. Er hat ein breites Kreuz oder auch dickes Fell. Auch heute mischt er noch gern bei aktuellen Themen mit. „Minister Meyer freut sich immer, wenn er mich sieht”, sagt er mit einem Augenzwinkern. Erwin Fromme ist das Urgestein des Getreidehandels. Das Familienunternehmen führt zwar längst der Sohn. Aber der Mann der klaren Worte mischt noch lautstark mit. Die Jugend liegt ihm außerdem am Herzen. Das wird nicht zuletzt in der ErwinFromme-Stiftung deutlich. Sie kümmert sich um die Förderung des Nachwuchses. Allerdings wünscht er sich von der heutigen Jugend etwas mehr Engagement. „Wenn es brennt, muss eben auch mal etwas länger gearbeitet werden. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich”, bedauert er. Und Pünktlichkeit ist ihm ungeheuer wichtig. Foto: dg Porträt: Erwin Fromme Heute kommt seine Fähigkeit des Zuhörens den rund 50 Mitarbeitern des Betriebes zugute. Der ehemalige Firmenchef fungiert gern als Kummerkasten, um zu hören, wo der Schuh drückt. Auch steht er für Reklamationen aus der Kundschaft zur Verfügung. Und er ist gern in den Außenstellen unterwegs. Der „Flurfunk” im Hause Fromme funktioniert dabei gut. Ist der Senior auf seiner Rundreise zu den Außenlägern unterwegs, „warnen” die Mitarbeiter des ersten Standortes ihre Kollegen auf den anderen Betriebsstätten vor. Aber Präsenz ist ihm mindestens so wichtig wie Sauberkeit an den Standorten. Senior mit Passion Z eit zum Älterwerden hat er nicht. Das tägliche Geschäft fordert den 86-Jährigen. Banken, Bilanzen und Controlling der Außenläger des Familienbetriebes halten das Urgestein des Getreidehandels fit: Erwin Fromme steckt immer noch mitten in den Agrarthemen. Wenn es um Banken und Bilanzen geht, führt kein Weg an Erwin Fromme vorbei. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Wilhelm Fromme Landhandel GmbH und Co. KG führt die Gespräche mit den Vorständen der Banken. Dabei kann er sich manchmal nicht verkneifen, auf den natürlich vorhandenen Altersunterschied hinzuweisen. „Ich bin länger im Betrieb, als ihr alt seid”, weist er sein Gegenüber schmunzelnd auf die Tatsachen hin. Und sie akzeptieren ihn – und vor allem auch seinen Ton. Wer Erwin Fromme erlebt, weiß, dass er laut und bestimmt werden kann, wenn ihm eine Sache wichtig ist. Die Faust auf dem Tisch kommt dabei ebenfalls schon einmal vor. Er kann aber auch gut zuhören. Das war vor allem in seiner aktiven Zeit wichtig. Kaum ein Ausschuss, ein Treffen der Branche mit Schwerpunkt in den 1970er Jahren, die sich mit Getreide im weitesten Sinne in Deutschland bis nach Brüssel beschäftigt haben, ist ohne Erwin Fromme denkbar. Auch in den Jahren davor und danach ist er aus der Szene nicht wegzudenken. „Wir wollen Der Senior – wie ihn sein Sohn nennt – kann sich aber auch zurücknehmen. Die Geschäfte des Familienunternehmens führt seit 1992 Sohn Kurt. Seit 2004 ist er alleiniger Inhaber des Unternehmens. „Damals hat mein Vater einen klaren Schnitt gemacht”, so Kurt. Das schließt aber nicht aus, dass sich der Junior den einen oder anderen Rat des erfahrenen Vollblutlandhändlers holt. Auch bei strategischen Fragen geht der Senior voll mit. „Stehen Entscheidungen an, sprechen wir die Möglichkeiten durch.” Gern recherchiert Erwin Fromme „Ich habe in meinem Leben keinen Sport getrieben. Ich habe gearbeitet und mich dabei genug bewegt.“ Ein Leben neben dem Agrarhandel? Für Erwin Fromme hat es das kaum gegeben. Ein bisschen Jagd, Mitglied im Gemeinderat, und kürzlich wurde er für 70 Jahre Mitgliedschaft im Sportverband geehrt. Ist das ein Geheimnis? „Ich habe in meinem Leben keinen Sport getrieben”, gesteht er. „Ich habe gearbeitet und mich dabei genug bewegt.” Sein Beruf ist sein Hobby. Die erste Priorität war immer das Unternehmen, der Ausgleich seine Familie. Das Familienleben der Frommes hat im Großen und Ganzen deshalb nahe am Betriebsgeschehen stattgefunden. Seine drei Kinder sind quasi neben der Getreideerfassung groß geworden. Das blieb nicht ohne Auswirkungen. Neben Kurt als Betriebsnachfolger ist seine Schwester Regine Fromme heute Prokuristin in einem internationalen Handelshaus für Getreide. Sorgen macht sich Erwin Fromme um das schlechte Rating des Agrarbusiness. „Die Warenkreditversicherer werden in naher Zukunft sicher das eine oder andere Unternehmen herabstufen”, befürch- Als eine große Herausforderung empfindet Kurt Fromme die Unberechenbarkeit der Politik. „Aussagen von Politikern sind häufig ergebnisoffen. Schon morgen können sie keine Wertigkeit mehr haben. Das macht das Handeln für uns Unternehmer schwierig”, sind sich Vater und Sohn einig. E ine rasante technische Entwicklung hat den langjährigen Unternehmer während seines bisherigen Lebens begleitet. Den Mähdreschereinsatz Mitte der 1950er Jahre hat Erwin Fromme als eine der größten Herausforderungen seines aktiven Berufslebens in Erinnerung. „Da wurde plötzlich Getreide mitten in der Ernte lose auf unserem Betrieb angeliefert. Darauf waren wir gar nicht eingestellt”, erinnert er sich. Bis dahin wurde das Getreide in Säcken angeliefert und direkt in den Elevator geschüttet. Schnell richteten die Frommes eine Gosse für das Abladen des Getreides von den Anhängern ein. Bald kam der Einbau von Trocknungen für das feucht angelieferte Getreide hinzu. Bisher hatte es den Weg zum Landhandel über die Garben auf dem Feld, das Dreschen und Trocknen in der Scheune und schließlich abgesackt in Säcken gefunden. Die Entwicklung zu immer größeren Einheiten war bald eingeleitet. Die Festlegung der Qualitätsmerkmale war ein weiterer großer Schritt für den Landhandel. „Es gab kein Labor in den Betrieben. Wir haben die Feuchtigkeit in einem Trockenschrank ermittelt. 50 Gramm Getreide geschrotet, vorher gewogen, getrocknet, hinterher gewogen. Pro Partie hat der Vorgang mehr als eine Stunde gedauert”, weiß der ausgebildete Kaufmann noch. Und Geräte zum Feststellen des Proteingehalts gab es auch nicht. Heute ist das volle Programm der Qualitätsfeststellung in den Betrieben ein Muss. Am liebsten würde Erwin Fromme, der schon neun Wettbewerber übernommen hat, weitere Unternehmen kaufen, um den eigenen Betrieb voranzubringen. „Aber es gibt fast keine mehr”, bedauert Fromme. Zumindest da stößt auch der Senior an seine Grenzen. dg Handel & Industrie 21 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Direkt und praxisnah A uch wenn der Schwerpunkt der Bröring Unternehmensgruppe im Südoldenburger Raum liegt, ist das Unternehmen längst über das angestammte Gebiet hinausgewachsen. Der Start der Mischfutterproduktion in Dinklage datiert aus den frühen ‚Fünfzigern‘ des vorigen Jahrhunderts, als sich in den Kreisen Vechta und Cloppenburg viele kleine landwirtschaftliche Betriebe mit wenig Grund und Boden ein Zubrot mit der Schweinemast verdienten. Mit der Errichtung eines zweiten Mischfutterwerkes in Löningen begann 1973 die Expansion. Mitte der 1990er Jahre folgte die Beteiligung an und 2005 die Übernahme des Landhandel-Ver- Die Unternehmensgruppe: H. Bröring GmbH & Co. KG, Dinklage: Mischfutterproduktion in Dinklage, weitere Werke in Löningen und Spelle Haneberg & Leusing GmbH & Co. KG: Mischfutterwerke in Schöppingen und Ostbevern BEST 3 Geflügelernährung GmbH: Mischfutterwerke in Twistringen, Algermissen (gepachtet) und Karstädt (Lohnproduktion) Mitarbeiter: 600 Mischfutterproduktion: 1,67 Mio. t Hafenumschlag am C-Port, Friesoythe und Spelle Bahnanschlüsse: Löningen, Twistringen, Spelle bunds Emsland-Grafschaft, Spelle. Mit dem Erwerb des Mischfutterwerkes in Twistringen wurde 2003 die Position im nahen Umfeld weiter ausgebaut. Seinen Aktionsradius nach Süden und nach Nordrhein-Westfalen hatte Bröring bereits 1994 mit der Beteiligung und späteren Übernahme der Haneberg & Leusing GmbH & Co. KG in Schöppingen vergrößert. Die Zusammenführung der einzelnen Unternehmen zur Bröring Unternehmensgruppe mit einem einheitlichen Marktauftritt im Jahr 2003 wurde von Dr. Walter Helms als Vorsitzendem der Geschäftsführung initiiert. Ein weiterer Meilenstein der Firmengeschichte war die Gründung der ‚BEST 3 Geflügelernährung GmbH‘, einem führenden Hersteller für Geflügelfutter, gemeinsam mit der Erzeugergemeinschaft deutsches Qualitätsgeflügel Visbek im Jahr 2003. Zurzeit entsteht in Löningen ein neues Mischfutterwerk, das im Herbst dieses Jahres an den Start gehen soll. Kernkompetenz Mischfutter Das Herz der Unternehmensgruppe ist die Mischfutterherstellung von mehr als 1,6 Millionen Tonnen jährlich in acht verschiedenen Werken. Mit einem Anteil von 45 Prozent Geflügel- und von 40 Prozent Schweinefutter gibt es klare Schwerpunkte, der Rest entfällt auf Rinderfutter. Einzelne Werke sind auf spezielle Bereiche spezialisiert. Künftig könnten die zunehmenden Forderungen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) und der Molkereien nach gentechnik- freien Futtermitteln gewisse interne Produktionsverschiebungen notwendig machen. „Wir sind ein wichtiges Glied in der Lebensmittelkette, in der die Qualitätsstandards vom LEH vorgegeben werden. Als Tiernahrungshersteller ist es aber unsere Aufgabe, die Landwirte mit hochwertigem Fertigfutter zu beliefern. Wir sind für neue Anforderungen gerüstet und können in unseren Werken bei Bedarf spezielle Technologien einsetzen, um der Landwirtschaft einen Mehrwert zu bieten”, so Bernd Bröring, der zusammen mit seinem Bruder Heiner Bröring, seinem Onkel Jan Bröring, Rainer Dullweber und Michael Erdhaus die Geschicke des Familienunternehmens in der vierten Generation leitet. Schlüsselposition am Kanal Der Mischfuttertransport an die etwa 5 000 landwirtschaftlichen Kunden erfolgt einstufig im Direktvertrieb mit dem gut ausgelasteten eigenen Fuhrpark. Damit lassen sich zudem Risiken, wie mögliche Belastungen durch Fremdstoffe vermeiden und die Rückverfolgbarkeit sicherstellen. Die logistischen Anforderungen beim Rohwarenbezug haben sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert. Die Umschlagsanlagen an den Kanalplätzen Spelle und im C-Port Friesoythe nehmen beim Bezug von Sojaschrot und anderer Einzelkomponenten über die Seehäfen eine Schlüsselposition ein, doch bei den Beschaffungswegen aus dem Osten hat der Bahntransport einen erheblich höheren Stellenwert bekommen. Foto: Bröring Die Bröring Unternehmensgruppe, Dinklage, blickt im September dieses Jahres auf ihr 125-jähriges Bestehen zurück. Schwerpunkt des nordwestdeutschen Familienunternehmens ist die Mischfutterproduktion. Weiteres Wachstum steht auf der Agenda. Das Werk in Dinklage ist modern aufgestellt: An die kleinen Anfänge als Gemischtwarenhandel 1891 erinnert nur noch die Firmenchronik. Heute rangiert er gleichberechtigt neben der Schiffslogistik, denn viele Futterrohstoffe, Getreide oder Mais aus Ostdeutschland oder osteuropäischen Ländern werden inzwischen via Schiene bezogen. Anforderungen steigen Die politischen Rahmenbedingungen für die Veredelungswirtschaft sind zwar schwieriger geworden, doch Bröring setzt auch künftig auf Wachstum und rechnet sich vor allem wegen der steigenden Qualitätsanforderungen an die Futtermittelwirtschaft Chancen aus. „Die starken Familienbetriebe in der Region werden auch künftig die Fahne der Veredelungswirtschaft hochhalten und bieten uns die Chance, mit Innovationen gemeinsam weiter zu wachsen. Über den Direktvertrieb sind wir sehr nah an der Landwirtschaft dran und können Problemlösungen praxisnah umsetzen”, ist sich Rainer Dullweber, Geschäftsführer für Vertrieb & Marketing, sicher. Bindeglied zur Landwirtschaft sind die Außendienstmitarbeiter. Als Fachberater vor Ort verfügen sie über Spezialwissen für Tierernährung, Produktionstechnik und Vertrieb, bringen aber auch Anregungen aus der Kundschaft in das Innovations-Management des Unternehmens ein. Innovationen werden bei Bröring vom ganzen Team – von der Geschäftsführung bis zum Außendienst – getragen und gemeinsam entwickelt. Der Ansatz ist in der Regel ganzheitlich und soll nach Möglichkeit Fütterungsansätze, Stallmanagement und Hygiene gleichermaßen berücksichtigen. Ein Beispiel hierfür ist die Saugferkel-Beifütterung ‘CulinaCupLine‘. Neben Mischfutter betreibt die Bröring Unternehmensgruppe auch das klassische Landhandelsgeschäft mit Getreideerfassung, dem Vertrieb von Düngemitteln, Saatgut und Pflanzenschutz sowie dem Handel von Einzelfuttermitteln an 13 verschiedenen Standorten. Dieser Bereich trägt etwa 15 Prozent zum Gesamtumsatz der Gruppe bei. Die meisten Standorte liegen im Südoldenburger Raum oder im Emsland, doch das gesamte Einzugsgebiet reicht von der holländischen Grenze bis an die Ostsee und deckt auch Teile von Nordrhein-Westfalen und von Nordhessen ab. Das erfasste Getreide wird nahezu ausschließlich für den Eigenbedarf der Futtermittelproduktion verwendet. Um den landwirtschaftlichen Kunden einen kompetenten und leistungsfähigen Service zu bieten, wird kontinuierlich in die Getreideerfassung investiert. St 22 Handel & Industrie Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Auf effiziente Warenketten und einen langen Atem kommt es an D ie globalen Agrarmärkte sprechen momentan eine deutliche Sprache: Das Rekordangebot, die großen Bestände weltweit und die hohen Erwartungen an die kommende Ernte ließen die Preise für Getreide und Ölsaaten deutlich zurückgehen, zwischenzeitlich sogar auf ein Sechsjahrestief. In Deutschland und in der EU haben zudem die Abschaffung der Milchquote und die damit einhergehende Erhöhung der Produktion ebenso wie das hohe Angebot an Schweinefleisch zusätzlich Druck auf die Preise ausgeübt. Die Konsequenz: Die Einkommen der deutschen Landwirte haben sich 2015 um durchschnittlich fast 40 Prozent reduziert. Das Markttief schlägt sich eins zu eins in einem Stimmungstief nieder. Das Konjunkturbarometer der Agrarbranche liegt auch auf einem Mehr- Zur Person Prof. Klaus Josef Lutz ist seit Juli 2008 Vorstandsvorsitzender der Baywa, deren Geschäftstätigkeiten sich auf die Segmente Agrar, Bau und Energie mit speziellem Fokus auf erneuerbare Energien erstrecken. Der gebürtige Münchener studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in der bayerischen Hauptstadt und begann seine Karriere als Anwalt. az jahrestief – nämlich ebenso auf dem niedrigsten Stand seit sechs Jahren. Standort Europa wird gebraucht In einer angespannten Marktsituation sind große Teile der Branche nun gefordert. Durch eine Haltung jedoch, die abseits von der Marktrealität nur noch auf lokale und regionale Märkte setzen würde, wäre die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutschland und Europa deutlich gefährdet. Der Strukturwandel würde sich dadurch nicht bremsen lassen. Die Folge wäre lediglich, dass Deutschland Marktanteile an andere Wettbewerber abgeben muss. Davon wären nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch der Handel und die Verarbeitungswirtschaft betroffen. Dies würde bedeuten, dass sich Deutschland verstärkt durch den Import von Lebensmitteln aus dem internationalen Markt versorgen müsste. Damit würde auf einen großen Teil der Leistungsfähigkeit der Agrarbranche in Deutschland verzichtet. Ein solcher Verzicht auf landwirtschaftliche Kapazitäten wäre weder volkswirtschaftlich sinnvoll noch nachhaltig. Die Antwort muss deshalb sein, die Agrarwirtschaft auf dem Gunststandort Deutschland nachhaltig zu intensivieren, um damit die Versorgung des heimischen Marktes mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu garantieren und gleichzeitig einen Teil der wachsenden internationalen Nachfrage abzudecken. Die Aufgabe des Agrarhandels ist dabei, wie immer für den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu sorgen, also die Erzeuger lokal und die Abnehmer regional und global zu erreichen und so die Beschaffungs- und Absatzmärkte miteinander zu verbinden. Die Erzeugnisse müssen in die Märkte fließen, in denen der Bedarf besteht – zum Nutzen von Landwirtschaft und Verbraucher. Die Agrarwirtschaft der EU hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder sehr schnell und dynamisch auf Veränderungen in den Märkten reagiert. Strukturwandel und notwendige Anpassungsprozesse sind also nicht neu. Aktuell kommt es zu weiteren Konsolidierungen auf allen Marktstufen und in allen Marktsegmenten, von Technik über Betriebsmittel bis hin zur Verarbeitung. Deswegen muss auch der Agrarhandel wachsen und zugleich den unmittelbaren Kontakt zu den Landwirten und den Abnehmern erhalten, um deren langfristigen Erfolg unterstützen zu können. Neben den überregionalen und internationalen Agrarhändlern wird es auch in Zukunft Händler geben, die bestimmte Marktnischen und spezialisierte Märkte besetzen, zum Beispiel bei Obst und Gemüse. Im Agrarbereich ist es nicht anders als in anderen Geschäftsfeldern: Mit Spezialprodukten lassen sich deutlich bessere Margen erzielen als mit „Commodities”. Wenngleich die Hauptprodukte weiterhin den Takt vorgeben, ist es strategisch naheliegend, spezialisierte Märkte überregional und international zu verknüpfen, wenn man die Kompetenz und das Netzwerk dazu hat. Die Zukunftsmärkte für die Agrarwirtschaft liegen in Asien, Lateinamerika und Afrika. Diese Märkte unterscheiden sich aber sehr stark: Ein wichtiger Wachstumsmarkt im Agrar- wie im Technikbereich ist Afrika. Rund 60 Prozent des weltweit kultivierbaren, aber derzeit noch ungenutzten Ackerlandes befinden sich auf diesem Kontinent. Die größten Absatzchancen für Erzeugnisse liegen in den aufstrebenden asiatischen Märkten. Diese Absatzkanäle müssen dringend durch Marktzugänge erschlossen werden. Die aktuelle Situation im Milchmarkt unterstreicht diese Notwendigkeit besonders. Handelsabkommen und vor allem die Bereitstellung der notwendigen Phyto- und Veterinärzertifikate sind hierbei wichtige Türöffner. Aber klar ist auch: Wenn Zukunftsmärkte erreicht werden sollen, wird das viel Geld kosten und auch Risiken bedeuten. Die Markteintrittsbarrieren sind insbesondere in Asien zum Teil sehr hoch. Wer diese Märkte bearbeiten will, braucht einen langen Atem oder entsprechende Partner, die helfen, diesen Zugang schneller Foto: Baywa Gastkommentar Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der Baywa AG zu erreichen. Um Markteintrittsbarrieren zu überwinden, ist vor allem auch ein effizientes Agrarhandels- und Logistiknetzwerk entscheidend. Internationale und digitale Zukunft Mittel- und langfristig geben unverändert die Mega-Trends auf den Agrarmärkten die Richtung vor: Um alle Menschen ausreichend ernähren zu können, ist deshalb bis 2050 eine Steigerung der Erzeugung von Nahrungsmitteln um mindestens 70 Prozent notwendig, so die Expertenmeinung. Dies kann nur im Rahmen einer innovativen und moderne Technologien und Produktivitätssteigerungen nutzenden Agrar- und Ernährungswirtschaft erreicht werden. Und diese Notwendigkeit bedarf der politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz. In diesem Kontext werden sich zwei Entwicklungsstränge verstärken. Zum einen werden die im Agrarhandel tätigen Unter- Familienbetrieb mit Faible für den Osten Das größere Angebot an Getreide, Ölsaaten und Futtermitteln für diese Geschäfte kommt deshalb aufgrund der bestehenden Strukturen aus den neuen deutschen Bundesländern und aus Osteuropa. „Wir pflegen die Beziehungen zu landwirtschaftlichen Betrieben mit einer Größe zwischen 500 und mehr als 5000 Hektar”, bestätigt Minnegard Mosel. „Wir brauchen sowohl die Bezugs- als auch die Absatzseite, um unsere Kunden zufriedenzustellen und die Logistik sichern zu können.” Almos sieht sich als Dienstleister. Besonders spezielle Bedürfnisse ihrer Kunden sind für sie Herausforderungen, die sie gern annehmen. Schwierige Bedingungen „Auch wenn einige wenige schwierige Jahre dabei waren, sind wir mit der Entwicklung unseres Unternehmens zufrieden”, zieht Alfons Mosel Bilanz. Der gebürtige Niedersachse verfügt beim Start seines eigenen Unternehmens über gute Kontakte in die damals noch sozialistischen Staaten. So kann er dort problemlos seine Geschäftskontakte fortsetzen Almos hat sein Netzwerk peu à peu erweitert und ist mittlerweile im Osten Rumäniens mit einem eigenen Produktionsbetrieb aktiv. und findet erste Absatzmöglichkeiten in den Bereichen Futtermittel und Getreide mit bekannten Mischfutterherstellern und Händlern. 1991 folgt bereits die Gründung einer eigenen Firma in Tschechien. 1993 wird ein Büro in Ungarn eröffnet. „Herausforderung war damals besonders die Abwicklung von Geschäften mit Marktordnungswaren aus Osteuropa”, erinnert sich der gelernte Landhandelskaufmann. Der Zahlungsverkehr mit den verschiedenen Währungen und schwankenden Devisenkursen bedarf zusätzlicher Beachtung. Jedes Exportund Importgeschäft ist mit Bürokratie rund um die Verzollungen verbunden. Jeder Lkw muss verzollt werden. Nach dem Eintritt der Länder nach und nach in die EU fallen diese Formalitäten weg. „Als neues Problem traten die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze in den einzelnen Ländern auf”, erinnert sich Minnegard Mosel. Die Groß- und Handelskauffrau und Handelsfachwirtin wird bereits früh in den Familienbetrieb einbezogen und ist seit 15 Jahren an dem Unternehmen beteiligt. Gemeinsam mit Franz Peter Zimmermann und ihrem Vater führt sie die Geschäfte. Große Einschnitte im Markt treten natürlich mit der Öffnung der Grenzen ab 1989 auf, bald nach der Gründung des eigenen Unternehmens. Die Handelsbeziehungen ändern sich. Verantwortliche im Osten Deutschlands verschwinden, Ansprechpartner wechseln. „Einige Mitarbeiter, die Funktionen in den Firmen hatten, haben sich auch selbstständig gemacht”, weiß Mosel. Auf der anderen Seite greifen Mischfutterhersteller aus den neuen Bundesländern auf seine Erfahrung in der Branche zurück. Alfons Mosel berät sie bei der Bewertung der Rohstoffe, der Optimierung der Futterrationen und in Marketingfragen. Rumänien im Visier Foto: Almos V tigt das Im- und Exportunternehmen 33 Angestellte. Das Geschäft wird bald auf Ölsaaten und einige Spezialitäten ausgeweitet. Die Grenzen ihres Handelsgebietes sehen sie in den Europäischen Seehäfen an Nord- und Ostsee sowie am Schwarz- und Mittelmeer. Tochter Minnegard hält eine Mehrheit von zwei Dritteln des Unternehmens. Agrar 4.0 und damit langfristig die Vernetzung des landwirtschaftlichen Betriebs wird der gesamten Wertschöpfungskette neue Märkte in den zukünftigen und etablierten Agrarländern eröffnen und dafür sorgen, dass Agrarwirtschaft zukünftig wesentlich intensiver, effizienter und nachhaltiger betrieben werden kann als bisher: Digital Farming wird also neben stabilen Rahmenbedingungen für das Agribusiness eine wesentliche Antwort auf die Frage sein, wie Herausforderungen gemeistert werden können, während die Märkte international noch näher zusammenrücken. wichtig, den kurzen Weg vom Erzeuger zum Endverbraucher zu finden. Klein, aber allein – das war bislang die Devise des Handelsunternehmens Almos. Vor der Konzentration in der Agrarwirtschaft verschließt Familie Mosel aber dennoch nicht die Augen. on Anfang an legt sich Alfons Mosel auf das Streckengeschäft fest, als er sich 1989 gemeinsam mit seiner Frau Monika Mosel-Greim als Import-, Export- und Großhandelsunternehmer in erster Linie für Futtermittel und Getreide selbstständig macht. Verstärkt sind sie auf Mittel- , Süd- und Osteuropa ausgerichtet. Nach einer beendeten Tätigkeit in verantwortlicher Position bei einem namhaften Futtermittelhersteller legt das Ehepaar den Sitz der Firma zunächst in das Eigenheim im bayerischen Nittendorf bei Regensburg. Bald lassen sich Privatleben und Bürotätigkeit aber in den persönlichen Räumen nicht mehr vereinbaren. Es bietet sich die Gelegenheit, das jetzige Bürohaus in Nittendorf zu kaufen. Heute arbeiten dort rund 20 Mitarbeiter. Insgesamt beschäf- nehmen, wie die Baywa, langfristig ihre Absatz- und Beschaffungsmärkte durch Internationalisierungsstrategien noch stärker absichern und gleichzeitig durch die damit verbundene Diversifizierung versuchen, sich von ihren Wettbewerbern zu differenzieren. Zum anderen wird die Branche in die Digitalisierung investieren. Eine Familie, ein Unternehmen: Firmengründer Alfons Mosel, Frau Monika (r.) und Tochter Minnegard Weitere Veränderungen bringt der sukzessive Beitritt mehrerer Länder in die EU. Ihr Status als Drittland fällt weg. Die Voraussetzungen ändern sich wieder. Die Mosels nutzen die Gunst der Stunde und erhöhen ihr Handelsvolumen in diesen neuen Mitgliedsländern. Polen, Ungarn, Tschechen gehören jetzt genauso zu ihren Handelspartnern wie Marktteilnehmer aus der Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Kroatien. Einen großen Teil des produzierten Rapsschrotes in Tschechien beispielsweise kauft die Firma Almos und führte es über einen längeren Zeitraum nach Italien ein. Für diese Geschäfte ist Minnegard bereits federführend. Später wird die tschechische Mühle verkauft, und das Geschäft fällt weg. Andere Märkte werden gefunden. „Die Ware aus den mittel- und osteuropäischen Ländern war und ist auch heute immer noch mit vielen Vorurteilen behaftet”, weiß ihr Vater. „ Sie war aber qualitativ immer in Ordnung”, so seine Erfahrung. Auch heute kann er keine Unterschiede erkennen. Der Weizen aus Rumänien ist ebenso gut wie der aus Deutschland. Natürlich lassen die Erträge in den osteuropäischen Ländern teilweise noch zu wünschen übrig. Schwierig ist es damals allerdings mit der vorhandenen Infrastruktur und den Logistikmöglichkeiten in den osteuropäischen Ländern. „Sie stimmten überhaupt nicht”, sind sich Vater und Tochter einig. Zudem ist es aufgrund der Verkehrsverhältnisse und Grenzabfertigungen auf Straßen und Schienen nur schwer möglich, größeres Volumen zu bewältigen. „Unser Vorteil war es in dieser Zeit, dass wir Möglichkeiten fanden, eine einigermaßen funktionierende Logistik aufzubauen. Gern berichte ich aus dieser Zeit, dass wir dadurch in der Lage waren , nicht unbedingt ‚just in time‘, aber ‚fast in time‘ zu liefern”, ist Alfons Mosel ein wenig stolz auf seine Leistung. Mit der Öffnung der Grenzen erhöht sich allerdings auch die Zahl der Wettbewerber. Noch einfacher werden die Geschäfte mit der Einführung des Euro. Mit den vielfachen Vereinfachungen aufgrund der politischen Veränderungen strukturiert die Gruppe Almos ihre Tochterunternehmen um. Die selbstständigen Unternehmen in den einzelnen Ländern werden als Handelsvertretungen in die Zentrale in Nittendorf integriert. Die Organisation wird verschlankt. Dabei bleibt es der Familie Mit der Suche nach großen einheitlichen Mengen an Getreide für den Handel entsteht auch der Gedanke, sich selbst in der Landwirtschaft zu engagieren – sich ein zweites Standbein aufzubauen. Seit 2008 betreibt Almos neben seinem Handelsgeschäft im rumänischen Banat einen landwirtschaftlichen Betrieb im Osten des Landes. Aktuell werden 4 000 Hektar bewirtschaftet. 50 Prozent Winterungen mit Gerste,Weizen und Raps stehen genauso auf dem Anbauplan wie auf den restlichen 2 000 Hektar Mais, Zuckerrüben und Sojabohnen. 58 Mitarbeiter sorgen im Handelsbüro und auf der Farm in Osteuropa dafür, dass die Abläufe gesichert sind. Mit Bodenpunkten zwischen 60 und 70 sind recht gute Erträge von den Flächen zu holen, auch wenn die Ernte 2015 nicht überzeugt. Beim Weizen sind 7,0 Tonnen pro Hektar möglich, bei Raps 3,5 Tonnen pro Hektar. Gerste hat bereits 7,5 Tonnen pro Hektar erbracht und trockener Mais 8,0 Tonnen pro Hektar. Neben ihren Handelsaktivitäten will die Gruppe Almos Romania zukünftig den Standort Secuieni in Ostrumänien als Lagerei- und Umschlagbetrieb ausbauen. Er verfügt über einen direkten Gleisanschluss zur Verladung von Ganzzügen. Die Trocknungskapazität von 400 Tonnen pro Tag kann sich zudem sehen lassen. Die Lagerkapazitäten liegen bei 25 000 Tonnen. Und natürlich setzen sie sich mit der Zukunft ihres gesamten Unternehmens generell auseinander: Wenn bisher die Devise galt „Lieber klein, aber allein”, verschließen sie die Augen vor der anhaltenden Konzentration in der Agrarwirtschaft keinesfalls. „Auch wir müssen uns den veränderten Strukturen anpassen und uns alle Optionen offenhalten”, sieht Minnegard Mosel realistisch in die Zukunft. dg 24 Handel & Industrie Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Saatgutlogistiker auf der Überholspur Westfalen gelten als bodenständig und strebsam. Im Familienunternehmen der Brüder Stroetmann paaren sich diese Eigenschaften mit Mut und Innovationskraft. L im Lebensmitteleinzelhandel alles um Struktur und Logistik. In diesen Disziplinen müsse ein Großhändler die Nase vorn haben. Wenig Verständnis zeigt Max Stroetmann für Vorwürfe aus der Landwirtschaft, dass der Handel zu schlechte Preise zahle. „So ist eben der Markt mit allen Chancen und Risiken”, sagt der Lebensmittelhändler. utz und Max Stroetmann leiten heute in sechster Generation die Stroetmann-Gruppe. Die Ursprünge sind im Besprechungsraum der Münsteraner Zentrale dokumentiert. An der Wand hängt gerahmt der Lehrbrief von Kaufmann Christopher Holtmann, der 1791 in der Innenstadt von Münster einen Kolonialwarenhandel gründete. Seine Tochter Bernhardine übernahm das Geschäft mit ihrem Ehemann Ludwig Stroetmann, dessen Namen die Gruppe bis heute trägt. S Z ur Gründung des Unternehmens vor 225 Jahren war im stark landwirtschaftlich geprägten Westfalen der Handel von Lebensmitteln zusammen mit Saatgut durchaus üblich, erzählt Lutz Stroetmann, der das Agrargeschäft der Gruppe steuert. Heute folgen die beiden Arbeitsgebiete völlig unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten. „Eine so große Volatilität der Preise wie Fotos: Stroetmann-Gruppe Alle dazugehörenden Firmen beschäftigen mittlerweile etwa 1.600 Mitarbeiter und erzielen zusammen rund 500 Millionen Euro Umsatz. Zwei Drittel stammen aus der Lebensmittelsparte. Das Münsteraner Unternehmen beliefert rund 100 Edeka-Standorte in der Region und betreibt in eigener Regie fünf E-Center. Hinzu kommen die Firma L. Stroetmann Großmärkte mit zwei Standorten in Münster und Gronau sowie die Firma L. Stroetmann Großverbraucher in Werne. Das Agrargeschäft, das etwa ein Drittel zum Umsatz beisteuert, besteht aus den Firmen L. Stroetmann Saat GmbH sowie der vor einigen Jahren neu gegründeten Lotus Agrar GmbH. Beide Unternehmen sind im gesamten Bundesgebiet tätig. Lagebesprechung mindestens einmal täglich: Lutz (l.) und Max Stroetmann im Agrarbereich kennen wir nicht”, sagt Max Stroetmann, der die Lebensmittelsparte lenkt. „Wir haben üblicherweise Preisausschläge von 5 bis 10 Prozent, und meist gleichen sich solche Differenzen zwischen Produktgruppen auch noch aus.” Nachdem Preise und Spannen ausgereizt seien, drehe sich eine Agraraktivitäten hat der größte private Saatguthändler in den letzten Jahrzehnten stetig ausgedehnt, unter anderem mit einem für die Saatgutbranche beispiellosen Investitionsprogramm. Seit Lutz Stroetmann Anfang der 1980er Jahre im Familienunternehmen startete, ist eine Vielzahl an Wettbewerbsfirmen vom Markt verschwunden. Als Konstante zeigte sich dagegen die Firma L. Stroetmann Saat mit einer klaren Fokussierung auf das Betriebsmittel Saatgut. Seit jeher sind der private Landhandel und freie Primärgenossenschaften Kunden des Saatgutanbieters. In Ostdeutschland vertreiben die Münsteraner direkt an Landwirte. „Ideologische Grenzen zwischen privat und genossenschaftlich haben wir geistig nie akzeptiert”, begründet Lutz Stroetmann die Vertriebsstrategie und ergänzt: „Wir verstehen uns als Fachgroßhändler. Unsere Stärke ist es, die Märkte richtig einzuschätzen und die Leistungserwartungen unserer Kunden zu erfüllen. Mit unserer Leidenschaft für Saatgut liefern wir Qualität in der Ware sowie in der technischen Verarbeitung, Alleinstellungsmerkmale, eine verlässliche Warenversorgung im Engpass sowie Sicherheit in der Logistik.” Das geschehe mit dem Anspruch, dass Kundenpartnerschaft auch eine Wertschöpfungspartnerschaft sei. Unter Beweis stellt Stroetmann seinen hohen Anspruch im 2011 erstellten Produktions- und Logistikzentrum in Amelsbüren, das sich direkt an der Autobahn A1 und nahe dem Dortmund-Ems-Kanal befindet. Hinter der besonders nachts atemberaubend illuminierten Gebäudesilhouette werden landwirtschaftliche Mischungen, Rasen und Heimtiernahrung auf zehn Abfüll- und Absackstraßen in unterschiedlichsten Verpackungen produziert. Vom 100 Gramm Polyethylen-Beutel über Karton, Eimer, Zippverschluss bis zu 500 Kilogramm Big-Bag – der Kunde hat die freie Wahl. Wie gehen die Brüder Stroetmann miteinander um? Sie begegnen sich mit Respekt, jeder schätzt die Stärken des anderen: Diese Devise gilt auch für ihren Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma. „Wir ermuntern zu Eigeninitiative nach dem Prinzip ‚mach mal’ sowie zu einer persönlichen Risikobereitschaft – natürlich mit Rückendeckung –” so die Brüder zur gelebten Firmenkultur. I n der Chefetage praktizieren Lutz und Max Stroetmann den ständigen Dialog. Beide treffen sich mindestens einmal täglich zur Lagebesprechung. Hinzu kommt die Abstimmung mit den beiden Mitgeschäftsführern Dr. Michael Tönnies, der Finanzen, Controlling und Personal verantwortet, sowie Dr. David Schüppler, der für die EDV und Organisation zuständig ist. Dass die EDV in der Geschäftsführung angesiedelt ist, ist für die Brüder Stroetmann Kern der Strategie. Sie dürfe keinesfalls ein Eigenleben in einer untergeordneten IT-Abteilung führen, sind die Unternehmer überzeugt. Stattdessen sind die IT-Systeme Herzstück von Produktion und Logistik. In der Zentrale in Münster kommt keine Standard-Software zur Anwendung. „Unser System haben wir in all den Jahren fortentwickelt, wobei uns der Bereich Lebensmittel stets Ansporn, ja Antreiber war und ist”, erzählt Lutz Stroetmann. Von dieser Expertise im Lebensmittelhandel, der äußerst hohe Ansprüche an die Qualitätssicherung und fehlerfreie Kommissionierung stellt, profitiere die Saatgutsparte. Vernetzt sind für Getreidesaatgut bundesweit fünf zentrale Aufbereitungsstationen sowie fast 40 UnterVO-Firmen. Über einen vollständigen Datenaustausch stellt Stroetmann selbst in der größten Saisonhektik sicher, dass Saatgut der gewünschten Sorte in der bestellten Beizausstattung und Verpackung pünktlich die Kunden erreicht. „Gerade in der Hektik einer Frühjahrsund Herbstsaison zeigt sich die Professionalität, mit der wir unsere Kunden überzeugen”, sagt der Logistikexperte. 2013 startete die Stroetmann-Gruppe zunächst mit einem Joint-Venture-Partner im generischen Pflanzenschutz; seit 2015 gehört die Lotus Agrar GmbH komplett zum münsterischen Verbund. Unter dem Slogan „Gut. Günstig. Frei.” werden hochwertige Generika angeboten. Neu an dem Lotus-Geschäftsmodell ist, dass sich ein unabhängiger Akteur ausschließlich auf Generika konzentriert und diese dem freien Agrarhandel direkt anbietet. Die Lotus-Gründung ist ein Beispiel dafür, dass auch ein 225 Jahre altes Familienunternehmen Pioniergeist hat und die Fähigkeit besitzt, erkannte Chancen erfolgreich zu nutzen. „Von diesem Geist wollen wir uns auch in Zukunft leiten lassen”, heißt es im Jubiläumsjahr. db „Erfolgszuversicht treibt uns an“ agrarzeitung: Viele Familienverbün de zerstreiten sich. Was setzen Sie dagegen? Stroetmann: Einen zerstrittenen Familienclan, der am Unternehmen zerrt, kann es bei uns nicht geben. Schon mein Vater hat testamentarisch für Klarheit gesorgt. Höchstens zwei Familienmitglieder dürfen in der Gruppe Gesellschafter werden, aber nur, wenn sie auch als Geschäftsführer unternehmerische Verantwortung tragen. Damit sichern wir die Zukunft, denn wir können nur wachsen, wenn wir investieren. Und was den Streit unter Brüdern anbetrifft, den haben wir als Jugendliche intensiv ausgetragen. Heute verstehen mein Bruder Max und ich uns blendend. Familienunternehmen gelten als pat riarchalisch – und als unbeweglich. Stroetmann: Deswegen haben wir flache Hierarchien und eine dezentrale Führungsstruktur. Jeder Mitarbeiter – vom Azubi bis zum Geschäftsführer – wächst in „unsere Kultur der Eigenverantwortung” hinein. Mut zur Entscheidung, Erfolgszuversicht und ein gesunder Sportsgeist treiben uns an und halten uns flott. Wir haben das Rechnen nach dem Komma gelernt.“ nur dort und in dem Umfang, wie es einen Sinn ergibt. Viel wichtiger ist es, sich tatsächlich zu differenzieren und Mehrwert als Gesamtpaket zu bieten. Zur Person Was kann der Agrarhandel vom Lebensmitteleinzelhandel lernen? Stroetmann: Sehr viel. Es gibt rund um den Globus keinen härteren Markt als den deutschen Lebensmittelhandel. Selbst der US-Retailriese Wal-Mart ist hier gescheitert. Auch im Stroetmann-Agrargeschäft profitieren wir von dieser knüppelharten Schule. Es geht um Just-in-Time-Lieferung, um das Management von Lieferketten, um Kostenkontrolle. Man kann sagen: Hier haben wir das Rechnen nach dem Komma gelernt. Lutz Stroetmann, Jahrgang 1955, vertritt als einer von zwei geschäftsführenden Gesellschaftern die sechste Generation des Familienunternehmens Stroetmann, das 2016 225-jähriges Bestehen feiert. Der gelernte Bankkaufmann hat nach dem Wehrdienst Betriebswirtschaftslehre studiert und ist 1982 in das Familienunternehmen eingetreten. Er verantwortet die Saatgutsparte. db Und was lässt sich vom Agrarhandel lernen? Stroetmann: Landwirte und Landhändler denken oft, dass der Engpass zur Getreideernte etwas Außergewöhnliches wäre. Aber das ist nichts im Vergleich zum Engpass im Handel mit Beerenobst, wo es um die Lieferlogistik in geschlossenen Kühlketten innerhalb weniger Stunden geht. Das Gespräch führte Dagmar Behme Viel wird über den Bedarf an Inte gration in der Agrar und Lebensmit telkette gesprochen. Was sind Ihre Erfahrungen? Stroetmann: Mit dem Schlagwort können wir wenig anfangen. Wir betreiben Integration nicht als Prinzip, sondern Landtechnik Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung 25 Globale Produktion von Landtechnik in Mrd. Euro Schwerpunkte der weltweiten Produktion von Agrarmaschinen mit gleichzeitig hohem internationalen Handelsanteil sind Nordamerika und Westeuropa. Die Fertigung in Südamerika, China, Indien sowie in der Türkei ist (noch) stark auf den Heimatmarkt fokussiert. 2010 2011 2012 2013 2014 2015 79 Quelle: VDMA 90 99 103 101 91 Landtechnikindustrie in Deutschland Inlands- und Exportanteil – Umsatz in Mio. Euro – Landmaschinen und Traktoren 2014 2015 Inland Inland 2168,9 2045,5 Export Export 5511,8 5331,2 Foto: Amazone Quelle: VDMA Landtechnik Mithilfe von Smart-Farming-Technologien können Maschinenlaufzeiten erhöht und die Leistung je Feldarbeitsstunde gesteigert werden. Kapazitätsverteilung auf West- und Ostdeutschland 1950 in Prozent Das A und O ist ein begeisterter Betriebsleiter West Drillmaschinen Düngerstreuer Gras- und Getreidemäher Mähbinder Kartoffelerntemaschinen Ackerschlepper Vernetzte Arbeitsketten steigern Effizienz auf dem Acker – Handling großer Datenmengen fordert heraus Olaf Schultz Ressort Landtechnik S mart Farming ist für die Agrarbranche das, was auf die gesamte Wirtschaft bezogen unter dem Begriff „Industrie 4.0” diskutiert wird. Im Kern geht es darum, unterschiedliche Arbeitsabläufe zu vernetzen, Daten zu sammeln, auszuwerten, über die Arbeitskette weiterzugeben und intelligent zu nutzen. Ziel ist es, Maschinenlaufzeiten zu erhöhen, den Arbeitskräfteeinsatz zu reduzieren sowie die Leistung je Feldarbeitsstunde, Arbeitsqualität und -komfort des Bedieners zu steigern. In der Getreideernte beispielsweise ist es heute schon möglich, den Ablauf rechnergestützt zu takten. Auch unvor- hersehbare Ereignisse können mittels modernster Elektronik und Datenübertragung abgefedert werden. „Intelligenz” entsteht jedoch erst dann, wenn der vernetzte Maschinenpark in die Lage versetzt wird, auf wechselnde Szenarien in Echtzeit reagieren zu können. „Blitzschnelle” Datenströme sind dabei die Grundvoraussetzung der Landwirtschaft von morgen. Den Ausbau der Netzinfrastruktur gerade in ländlichen Gebieten mit Nachdruck zu forcieren, muss dem Agribusiness insofern ein ganz essenzielles strukturpolitisches Anliegen sein. Hinzu kommt eine Vernetzung zwischen Industrie, Wissenschaft und Forschung, die vielfältige Synergien mit sich bringt und letztlich den deutschen Herstellern zugute kommt. Deutschland mit Wettbewerbsvorteil Spiegelbild dessen sind Fakten, die für sich sprechen. Der deutsche Produktionsstandort für Agrarmaschinen kann sich im europäischen und weltweiten Wettbewerbsumfeld sehr gut behaupten. Der Umsatzanteil liegt nach Angaben des VDMA Landtechnik bezogen auf die EU bei 27 Prozent, weltweit bei 8 Prozent. Umsatzbezogen ist die Traktorproduktion Schwerpunkt, mit einem Anteil von etwa 40 Prozent sowie einer Fokussierung auf das Leistungssegment ab 120 PS. An zweiter Stelle folgt die Erntetechnik, darunter alle selbstfahrenden Maschinen wie Mähdrescher, Feldhäcksler und Kartoffelroder. Die Exportquote pendelte in den vergangenen Jahren kontinuierlich zwischen 70 und 75 Prozent. Deutschland hat hier auf internationalem Parkett einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu bieten. Hervorragend ausgebildete Forscher, Ingenieure und Mitarbeiter in der hiesigen Landtechnikbranche suchen weltweit ihresgleichen. Die Herausforderung an Smart Farming für die Zukunft besteht darin, die Vorteile der facettenreichen praktischen Anwendung für eine möglichst breite Anwendergruppe nutzbar zu machen. Dabei geht es um pragmatische Lösun- Bei aller Euphorie des Möglichen und Machbaren darf jedoch die Komplexität des landwirtschaftlichen Produktionsgeschehens nicht außer Acht gelassen werden. Technik, die auf Feldern und in Ställen eine Chance haben soll, muss robust, anpassungsfähig und vor allem sicher sein. gen – unabhängig von den eingesetzten Maschinen und Betriebsmitteln unterschiedlicher Hersteller als auch von der Größe der Agrarunternehmen. Quelle: LAV Zulassungen von Traktoren* in Stück 94 472 Mitarbeiter unbedingt einbeziehen Natürlich ist dieser Weg auch mit Konsequenzen für den Betriebsleiter verbunden. Er muss bewusst in diese Technologien investieren und sie in sein Unternehmen einführen. Mit ihnen werden bestehende Arbeits- und Entscheidungsprozesse verändert. Das verlangt vom Betriebsleiter Offenheit und die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiter des Betriebs in diesen Prozess mit einbezogen werden. Die Lösungskonzepte für den Smart-Farming-Ackerbau werden von spezialisierten Anbietern entwickelt. Aber ob diese Angebote von der Praxis angenommen werden, entscheidet allein der Landwirt. Nur, wenn die Entwickler die Bedürfnisse ihrer Kunden kennen, werden sich die Produkte vermarkten lassen. Nur wenn Betriebsleiter mit Begeisterung die neuen Verfahren einsetzen, werden sich diese auf eine möglichst breite Basis stellen lassen. Ost 95 380 75 581 64 325 58 977 58 575 41 098 32 926 31 822 27 393 24 061 28 995 35 977 34 611 1951 1956 1961 1966 1971 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 2011 2015 *ab 1991 einschließlich Ostdeutschland Quelle: LAV, VDMA Bestand an Ackerschleppern/Traktoren in Deutschland in Stück 1950: 146 000, 2015: 1,4 Mio. davon „BRD“ 133 000, „DDR“ 13 000 Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt, Statistisches Bundesamt 26 Landtechnik Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Die digitale Agrarwende bietet Chancen V on Vernetzungsideen ist derzeit viel zu lesen, zu sehen und zu hören. Vom digitalen Auto bis zur kognitiv autonomen Fabrik reichen die Bilder von Prototypen und Versuchsanordnungen. In der Landwirtschaft dagegen sehen wir bereits marktfähige Lösungen. Und das nicht erst seit gestern. Schließlich „kommunizieren” Landmaschinen und Traktoren schon seit vielen Jahren miteinander – markenübergreifend, dank weltweit gültigem Isobus-Standard. Was Traktor und Pflug, Häcksler und Ladewagen miteinander verbindet, ist hochpräzise Sensorik und intelligente Software. Und dennoch ist der Blick auf einzelne Maschinen erst der Anfang, richtet sich die digitale Agrarwende doch auf eine konsequente Optimierung ganzer Prozessketten. Milchviehbetriebe mit Vorreiterrolle Schon heute vielerorts zu besichtigen sind effiziente Vernetzungsmodelle in der Innenwirtschaft. Denkt man an das Herdenmanagement in der Milchviehhaltung, wo Schrittzähler, Sensortechnik und kluge Software seit langem für digitalisierte Nutzungsroutinen sorgen, so darf hier sogar von einer Vorreiterrolle die Rede sein. Einer Rolle, die in den vor uns liegenden Jahren auch auf den Ackerbau ausstrahlen und uns eine umfassende inner- wie überbetriebliche Vernetzung entlang der gesamten Wertschöpfungskette bescheren wird. Wer vorne bleiben möchte, muss jedoch frühzeitig die richtigen Weichen stellen. Denn kein anderer technologischer Paradigmenwechsel der vergangenen Jahrzehnte hatte eine vergleichbare Durchschlagkraft auf bestehende Strukturen, Anwendungspraxen und Geschäftsmodelle, wie dies für die digitale Wende gilt. War der agrartechnische Fortschritt bislang geradezu definitionsbedingt maschinengetrieben, so entsteht Innovationsdynamik heute zunehmend mithilfe von Sensorik, Software und Netzinfrastrukturen. Hier auf lange Sicht nicht nur anschlussfähig, sondern impulsgebend zu bleiben, ist der ebenso ambitionierte wie klar formulierte Anspruch der Agrartechnikindustrie in Deutschland und Europa. Ohne verlässliche politische Signale lässt er sich allerdings kaum einlösen. Nimmt man etwa den von der Bundesregierung vollmundig angekündigten, aber nach wie vor unvollendeten Ausbau der Breitbandnetze in den Blick, so wird deutlich, dass noch einiges zu tun ist: Einerseits müssen die noch viel zu zahlreichen „weißen Flecken” auf der digitalen Landkarte in kürzester Zeit getilgt werden. Andererseits genügen die avisierten Netzgeschwindigkeiten nicht einmal ansatzweise, um im digitalen Wettbewerb von morgen erfolgreich bestehen zu können. Denn das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2018 Übertragungsgeschwindigkeiten von 50 Megabit pro Sekunde flächende- ckend zum Standard zu machen, wird für professionelle Anwendungen in Industrie und Landwirtschaft kaum ausreichen. Stresstest für Breitbandnetze Daher gilt es, darauf hinzuarbeiten, den Übergang zum neuen Mobilfunkstandard 5G deutlich zügiger zu realisieren, als dies seinerzeit beim Übergang von UMTS zu LTE der Fall war. Der ländliche Raum darf nicht weiter als „fünftes Rad am Wagen” vernachlässigt werden. Ein professionell angelegter Stresstest unter Einbeziehung der zukünftigen industriellen Internetlast ist aus VDMA-Sicht daher unerlässlich, um Klarheit über den tatsächlichen Handlungsbedarf zu erlangen. Soll Vernetzung effektiv gelingen, so reichen technische Bemühungen jedoch nicht aus. Auch politische und rechtliche Faktoren müssen Berücksichtigung finden. Werden Daten als „das neue Öl” begriffen, darf man allerdings nicht den Blick auf personenbezogene Daten verengen, wie sie auf der Ebene des Verbraucherschutzes relevant sind. Ebenso wichtig, bisher aber kaum beachtet, ist die Ebene der Unternehmensdaten, die als operative Prozessdaten wie auch als Maschinendaten vorliegen. Politisch muss daher eine rechtssichere Kategorie geschaffen werden, die Dateneigentum von Wirtschaftsakteuren schützt und Verstöße dagegen ahndungsfähig macht. Nachhaltige Investitionsanreize werden nämlich nur dann geschaffen, wenn Unternehmer darauf vertrauen können, dass ihr Eigentum an Geschäfts- und Prozesswissen geschützt ist – im täglichen Geschäft mit Lieferanten und Kunden, bei Internet-, Cloud- und Plattformanbietern und gegen unberechtigten oder kriminellen Zugriff. Grundsätzliches Ziel muss es deshalb sein, wirksame Kontrollmechanismen zu etablieren, die den Datenaustausch bestmöglich absichern. Um Innovationsfähigkeit zu erhalten, bedarf es aber auch gewisser Freiräume. Gesetzliche Schranken, die neue Ideen bereits im Keim ersticken, schaden letztlich dem Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa mehr, als sie ihm nutzen. Regulierung darf nicht überhandnehmen. Denn was sich künftig als Kundennutzen erweisen kann, muss nicht zwangsläufig schon heute als solcher erkennbar sein. Insofern gilt es, die digitale Agrarwende ganz bewusst durch die Chancenbrille zu betrachten, um Lust auf Zukunft und neue Geschäftsmodelle zu entfachen. Dialogplattform Landwirtschaft 4.0 Mithilfe einer schlagkräftigen, unter der Schirmherrschaft des Bundeslandwirtschaftsministeriums stehenden „Dialogplattform Landwirtschaft 4.0” möchten wir die Chance nutzen, mit innovativen Partnern aus Industrie, Wissenschaft und landwirtschaftlicher Praxis die richtigen Leitlinien für eine vernünftige Digitalisierungsstrategie auszuloten, die das Foto: VDMA Gastkommentar Dr. Bernd Scherer, Geschäftsführer VDMA Landtechnik, Frankfurt a. M. Agribusiness insgesamt voranbringt. Ein nachhaltiger Ansatz, der sich gleich in mehrfacher Hinsicht auszahlen wird: Erstens durch mehr Wirtschaftlichkeit im Gesamtprozess – dank präzise aufeinander abgestimmter Arbeitsschritte, die automatisiert, das heißt vollständig rechnergestützt, dokumentiert und damit quantifizierbar werden. Zweitens durch eine bessere Ökobilanz – dank umweltgerechter Produktionsweisen. Und drittens durch mehr Transparenz für den Endverbraucher und wachsende Anerkennung für den Erzeuger – dank Rückverfolgbarkeit und Klarheit über Herkunft, Produktionswege und Qualitätsniveau von Rohstoffen und Lebensmitteln. Anwender handlungsfähig machen Wollen wir die digitale Wende erfolgreich stemmen, müssen zuallererst stimmige Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Anwender vor Ort im Wortsinne „handlungsfähig” machen. So klar uns all das in der Theorie auch sein mag, so sehr müssen wir endlich auch praktisch damit beginnen, tragfähige digitale Infrastrukturen zu schaffen. Ohne Breitbandnetze, die diesen Namen auch verdient haben, ohne klare Nutzenargumentation, ohne das Wissen darum, alle relevanten Akteure miteinander in einen offenen Dialog bringen zu müssen, wird das Projekt „Landwirtschaft 4.0” eine bloße Idee bleiben. Hier gilt es anzusetzen, branchengemeinsam – mit vereinten Kräften! Zur Person Bernd Scherer, Jahrgang 1956, hat in Bonn ein Studium der Agrarwissenschaften, Fachrichtung Agrarökonomie, absolviert. Anschließend war er bei der AFC-Unternehmensberatung in Bonn tätig. Seit 1992 ist Scherer Geschäftsführer des VDMA Landtechnik und seit 1999 Mitglied der Hauptgeschäftsführung des VDMA in Frankfurt am Main. Sz Messe zeigt Innovationspotenzial Agritechnica blickt auf 30 Jahre zurück – Von der Wanderausstellung zur Nummer 1 W as 1985 in einem eher bescheidenen Rahmen begann, präsentiert sich heute als globaler Innovationsmotor rund um Landmaschinen. Alle zwei Jahre wird Niedersachsens Landeshauptstadt zum Treffpunkt der weltgrößten Leistungsschau ihrer Art. Am Anfang war es eine, wenngleich wohlbegründete, Hoffnung. „Ausländische Messen, die in vergleichbarer Weise auf Agrartechnik spezialisiert sind, brauchten mehr als zehn Jahre, um nachhaltig 70 000 Besucher zu mobilisieren”, meldete die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) 1985 im Vorfeld der ersten Agritechnica. Prognose lag daneben Mit ihrer Prognose hatte die DLG sich verschätzt und dürfte darüber nicht sonderlich verärgert gewesen sein. Zur Premiere Ende November 1985 in Frankfurt am Main kamen rund 125 000 Besucher. Die Messe war vom Start weg ein Innovationsmotor, dessen Kraft bis heute beeindruckt. Für die DLG als Veranstalter stellte der erfolgreiche Auftakt ein „Geburtstagsgeschenk” der besonderen Art dar: Das Debüt fand im 100. Jubiläumsjahr der Fachorganisation statt. Die erste Agritechnica verzeichnete 551 Aussteller aus 25 Ländern. Der Auslandsanteil erreichte ein gutes Drittel. Damit hatte die DLG eines ihrer wichtigsten Ziele, „eine international gut beschickte Fachausstellung”, erreicht. Vier Jahre zuvor hatte die DLG die vorerst namenlose Messe als „Fachausstellung für Agrartechnik mit Zubehör und Ersatzteilwesen” angekündigt. Das inhaltliche Profil setzte von Beginn auf einen deutlichen Akzent in der Außenwirtschaft. Technik für die Tierhaltung, betonte die DLG 1985 in einer Pressemeldung, „ist auf der Agritechnica nur in geringem Umfang vertreten”. Damit nahm die DLG den inzwischen seit Dekaden gelebten jährlichen Wechsel zwischen Agritechnica und der Eurotier vorweg. Der Start der Agritechnica markierte den Schlusspunkt einer rund hundertjähri- gen Tradition. Im Jahr 1986 fand in München die letzte DLG-Wanderausstellung statt. Deren Ende war spätestens mit dem erfolgreichen Auftakt der spezialisierten Landtechnik-Messe besiegelt. Die nach internationalen Märkten strebende Landtechnik-Industrie bemängelte die hohen Streuverluste der klassischen Wanderausstellungen. Neu war die Diskussion nicht, doch die Intensität, mit der sie geführt wurde, nahm Anfang der 1980er Jahre an Intensität zu. Es gab bereits erste grobe Konzepte. Über den Zeitplan musste man sich noch einigen. Es ging schneller als erwartet. VDMA mit im Boot Da Reibung immer Energie freisetzt, können die Diskussionen zwischen dem damaligen Landmaschinen- und Ackerschlepperverband (LAV) und der DLG durchaus als „energiereich” bezeichnet werden. Der LAV, heute „VDMA Landtechnik”, entwickelte gemeinsam mit der DLG einen klar definierten Rahmen. So war es das Ziel des LAV, die Exportchancen der deutschen Landtechnik-Industrie zu sichern. Als Zielgruppen kristallisierten sich der internationale Landhandel und, mit der DLG als Partner, die führenden Landwirte heraus. Für Letztgenannte folgte auf die „Region Europa” bald der weltweite Ansatz. Der Veranstaltungszeitpunkt der „Erstausgabe Agritechnica” im November war klug gewählt: vor den Landmaschinenmessen in London und Paris sowie kurz nach der Ausstellung in Bologna. Reisende aus Übersee konnten sich quasi in einem Trip den Überblick aller Veranstaltungen verschaffen. DLG und LAV hatten frühzeitig Frankfurt am Main als Standort für die neue Messe auserkoren. Im Jahr 1987 ging die Agritechnica in die zweite Runde. Wiederum zeigten sich die Veranstalter hocherfreut und ein wenig verblüfft über die bemerkenswerten Zuwachsraten. Insgesamt 20 Prozent mehr Aussteller und rund ein Drittel mehr Besucher. Im gleichen Jahr wurde erstmals ein „Exklusivtag für den Fachbesucher” vorgeschaltet, um Vertriebspartnern und Handel eine eigene Plattform zu bieten. Seit 1987 ist der Max-Eyth-Abend das Eröffnungsevent der Agritechnica. Als Treffpunkt der Internationalen der Fach-Community hat der Abend seine Anziehungskraft kontinuierlich gesteigert. Inhaltlich richtungsweisend und vom Rahmen festlich ist das Ereignis unter Ausstellern und Besuchern weltweit ein Begriff. Wer sich mit der Geschichte der Agritechnica beschäftigt, darf nicht außer Acht lassen, welche gesamtpolitische Wetterlage zu deren Anfängen herrschte. West und Ost standen sich militärisch aufgerüstet in weltanschaulich grundverschiedenen Lagern gegenüber. Deutschland war geteilt und das Thema Wiedervereinigung verschwand zunehmend aus der politischen Diskussion. Das änderte sich schlagartig zur dritten Agritechnica vom 28. November bis 2. Dezember 1989. Wenige Tage vorher war die Mauer gefallen und das Jahrhundertereignis erfasste die Messe. So erhielten alle Besucher aus der DDR kostenlosen Eintritt, einschließlich freier Verpflegung an einem eigens dafür eingerichteten Stand. Wechsel nach Hannover Die Umbrüche hierzulande und weltweit beförderten die Standortfrage der Agritechnica, deren Antwort sich bald abzeichnete: Hannover. Qualität und Größe des Messegeländes entsprachen den neuen Anforderungen mit künftig deutlich mehr Besuchern aus Gesamtdeutschland und den Ländern hinter dem ehemals Eisernen Vorhang. International hervorragend angebunden und mit einer erstklassigen Infrastruktur im Umfeld der Messe ausgestattet, trägt der 1995 erfolgte Wechsel von Frankfurt nach Hannover bis heute Früchte. Wenn die Agritechnica selbstbewusst als „The World’s Number One” firmiert, so ist dieser Erfolg eng mit dem Standort Hannover verbunden. Kennzeichnend ist laut Freya von Czettritz, Projektleiterin Agritechnica, die Kombination aus Innovationen und hochkarätigem Fachprogramm. Das macht die Agritechnica zum wichtigsten Zukunftsforum der Agrarbranche. az Landtechnik 27 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Rote Roder aus Niedersachsen erobern Chinas Felder W enn in diesem Herbst im Nordosten Chinas die Kartoffelernte beginnt, werden wieder ein paar mehr der roten Roder von Grimme über die Felder rollen als im vergangenen Jahr. Der Weltmarktführer aus Damme hat den chinesischen Markt fest in den Blick genommen und hofft, dort langfristig eine feste Größe zu werden. Für den Aufbau des neuen Tochterunternehmens ist ein 28-jähriger Wirtschaftsingenieur aus Niedersachsen verantwortlich: Christoph Grimme, ältester Sohn von Franz Grimme, der seit mehr als 35 Jahren die Geschicke des Unternehmens leitet. Vom Reich der Mitte fasziniert Nach einem Dualen Bachelor-Studium, fünf Jahren bei Claas und einem MasterStudium an der TU Hamburg kehrte der Sohn Anfang 2016 wieder in den elterlichen Betrieb zurück und musste schon bald die Verantwortung für das China-Engagement übernehmen. Sein Vater ist seit Jahren von China fasziniert. Bei Reisen ins Land beeindruckten ihn die Dynamik und die Schnelligkeit, in der sich die Wirtschaft dort entwickelt. China ist mit einer Anbaufläche von rund 5 Millionen Hektar der größte Kartoffelproduzent der Welt und deshalb für ein weltweit tätiges Unternehmen wie Grimme ein logischer Markt. Seit 2001 werden Maschinen nach China exportiert. Erste Überlegungen, mit einem chinesischen Partner in einem Joint Venture zusammenzuarbeiten, zerschlugen sich vor einigen Jahren. Schließlich wurde ein eigenes Tochterunternehmen gegründet. Die Geschäfte führt ein Niederländer, der seit vielen Jahren in China lebt und die Verhältnisse vor Ort gut kennt. Die Gesamtverantwortung für das Projekt und vor allem für die Zusammenarbeit mit dem Stammsitz in Damme trägt Christoph Grimme. Jeden Monat fliegt er mindestens einmal nach China. Schnell hat er gelernt, dass für den Erfolg des Projekts Offenheit für die chinesische Kultur entscheidend ist. „Man muss die chinesische Mentalität verstehen”, erzählt Christoph Grimme. So könnten Vorschläge zur Optimierung der Kartoffelproduktion von den Landwirten schnell als anmaßende Kritik missverstanden werden. Völlig neue Konzepte muss Grimme beim Vertrieb entwickeln. Viele chinesische Landmaschinenhändler sehen sich vor allem als Vermarkter von Schleppern. Den Verkauf von Anbaugeräten verstehen sie eher als Nebengeschäft und zusätzlichen Service. Deshalb werden bei den Händlern oft alle Marken angeboten. Exklusive Partnerschaften sind dagegen selten. Will man in China Maschinen verkaufen, reiche es deshalb nicht aus, ein Händlernetz aufzubauen, erzählt Christoph Grimme. Den meisten Händlern ist es egal, ob sie dem Landwirt eine Grimme-Maschine oder die eines chinesischen Herstellers verkaufen, hat er festgestellt. Für das Marketing bedeute das: „Wir müssen uns direkt an den Landwirt wenden.” Die potenzielle Kundschaft sieht Christoph Grimme dreigeteilt. „Eine noch relativ kleine Anzahl von Großbetrieben arbeitet hochprofessionell mit modernster Technik, und hier haben wir exklusive Händler, die Grimme-Premium-Partner”, sagt er. Diese Betriebe sieht Grimme als Kunden für die großen Kartoffelerntemaschinen, für Legetechnik sowie für Technik zum Ein- und Auslagern der Kartoffeln. Viele dieser Agrarbetriebe produzieren Verarbeitungskartoffeln für die Chips- oder Pommes-Herstellung und müssen deshalb hohe Qualitätsanforderungen erfüllen. Viele heimische Mitbewerber Unterhalb dieser Spitzenbetriebe gibt es ein breites mittleres Segment mit einem Flächenanteil von 1,7 bis 2 Millionen Hektar. Diese Landwirte setzen bisher vor allem chinesische Technik ein, die von einer Vielzahl von Herstellern angeboten wird. Von den einheimischen Mitbewerbern spricht Christoph Grimme mit Respekt. Zwar ärgert er sich auch über Plagiate und Nachbauten. Aber manchmal würden die chinesischen Ingenieure beim Kopieren sogar kleine Verbesserungen an den Grimme-Maschinen vornehmen, erzählt er mit einem Schmunzeln. Seit den ersten Exporten vor 15 Jahren habe man auf dem chinesischen Markt Die Grimme-Geschäftsführer auf einen Blick (v.l.n.r.): Sebastian Talg (Vertrieb), Christoph Grimme (Prokurist), Henk Gövert (kaufmännischer Bereich), Richard Weiß (Produktion) und Carsten Seelke (Entwicklung). Familienunternehmen mit langer Tradition Das 1861 gegründete Familienunternehmen Grimme aus Damme in Niedersachsen ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und mittlerweile in 120 Ländern weltweit aktiv. Zwölf Vertriebs- und Servicegesellschaften sowie die Firmen Spudnik (USA), ASA-LIFT (Gemüse/Dänemark), Kleine (Zuckerrüben/Salzkotten) und Internorm Kunststofftechnik zählen neben der Landmaschinenfabrik zur Grimme-Gruppe. Insgesamt sind über 2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Firmengruppe beschäftigt, davon etwa 1 500 in Deutschland. Die Grimme-Technik wird an zwei Produktionsstandorten in Niedersachsen gefertigt. Im Stammwerk Damme werden alle Maschinen bis auf Selbstfahrer produziert. Im 12 Kilometer entfernten Rieste ist 2012 auf einem 24 Hektar großen Areal ein neues Werk eröffnet worden, in dem alle Selbstfahrer sowie Sieb- und Förderbänder hergestellt werden. Grimme ist Weltmarktführer für Kartoffeltechnik und produziert Maschinen für den gesamten Kartoffelanbau von der Bodenbearbeitung bis zur Lagerung der Knollen. Jährlich stellt die Firma rund 5 000 Kartoffelmaschinen her, über 80 Prozent davon gehen ins Ausland. In den vergangenen Jahren verstärkte das Unternehmen sein Engagement in den Segmenten Zuckerrübe und Gemüse. Im Jahr 2012 übernahm die Grimme-Gruppe den Rübentechnikhersteller Kleine aus Salzkotten (Westfalen), ein Jahr später die Mehrheit an dem dänischen Gemüsetechnikhersteller ASA-LIFT. Durch die Akquisitionen und organisches Wachstum hat sich der Umsatz in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Im Jahr 2015 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 355 Millionen Euro. SB einige Erfahrungen machen können, ergänzt sein Vater. Schnell stellte sich heraus, dass die Maschinenkäufer dort anspruchsvolle Kunden sind. Mit technisch abgespeckten Maschinenversionen könne in China auch der Unmut der Kunden hervorrufen werden. So wurde einmal an einer Legemaschine die hydraulische Steuerung des Furchenziehers durch einen Seilzug ersetzt, was bei den Kunden nicht gut angekommen sei. Neben den bereits mechanisierten Betrieben gibt es noch eine große Anzahl von Kleinbauern, die auf insgesamt rund 2,5 Millionen Hektar Kartoffeln anbauen und mit Hacke und Forke arbeiten. In den kommenden Jahren erwartet Christoph Grimme hier einen Strukturwandel und ein größeres Interesse an einer Mechanisierung. Auch für diese Landwirte soll in Zukunft in China produziert werden. Investition in neues Werk 120 Kilometer südöstlich von Peking hat Grimme 13 Millionen Euro in ein neues Werk investiert, in dem Maschinen für den chinesischen Markt produziert werden. Die Bauteile kauft Grimme im Wesentlichen bei chinesischen Unternehmen, einige Komponenten kommen aus dem Stammwerk in Damme. Die Pläne für die Maschinen liefern bisher noch die Konstrukteure in Damme. „Wir stellen in China Maschinen für den dortigen Markt her und müssen deshalb die Wünsche unserer chinesischen Kunden berücksichtigen”, betont Christoph Grimme. Eine seiner wichtigsten Aufgaben sieht er deshalb darin, die Kommunikation zwischen Peking und Damme zu verbessern. Anregungen sollen schneller umgesetzt werden und das gegenseitige Verständnis wachsen. High-Tech-Maschinen werden weiter in Deutschland produziert und nach China exportiert. „Beim Aufbau der Produktion in China helfen uns die Erfahrungen mit unserer Tochter Spudnik”, ergänzt Franz Grimme. Spudnik ist mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent Kartoffeltechnik-Marktführer in den USA und wurde im Jahr 2003 von Grimme übernommen. Das Maschinen-Programm von Spudnik wurde seitdem komplett überarbeitet, unterscheidet sich aber weiterhin stark von den für den europäischen Markt entwickelten Produkten. Riesige zwölfreihige Legemaschinen und vierreihige Erntemaschinen gehören zum Spudnik-Programm. Weil der Straßentransport großer Maschinen in den USA erlaubt ist, fahren dort mehr als sechs Meter breite vierreihige Roder über die Felder und Straßen. „Nach einigen Jahren der sehr intensiven Zusammenarbeit wird Spudnik inzwischen eine große Selbstständigkeit eingeräumt”, berichtet Franz Grimme. Hoch interessant bleibt für Grimme auch der russische Markt – trotz der aktuellen politischen Probleme. Seit acht Jahren montiert die Firma 200 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga Maschinen. Doch niedrige Kartoffelpreise, die Wirtschaftskrise und der Wertverfall des Rubels haben das Geschäft zuletzt belastet. Franz Grimme hofft, dass sich die politischen Beziehungen zu Russland bald normalisieren und es dann auch wirtschaftlich wieder aufwärts geht. Der Status eines „vaterländischen Herstellers” werde kurzfristig nicht angestrebt. „Aber auf Dauer müssen wir da ran”, ist sich Franz Grimme sicher. Haupthindernis sei bisher die oft unzureichende Qualität von in Russland produzierten Bauteilen. Gute und verlässliche Zulieferer zu finden, sei deshalb eine große Herausforderung. Neben Europa, Russland, China und den USA blickt Grimme mit einem Auge auch schon auf den indischen Markt. „Irgendwann müssen wir auch dort vor Ort sein”, meint Franz Grimme. Denn dann wäre der Weltmarktführer in allen wichtigen Fotos: Grimme Grimme baut seine weltweit führende Stellung mit einem neuen Werk bei Peking aus. Für erfolgreiche Geschäfte müssen die Mitarbeiter die Mentalität der Kunden verstehen. Der Kartoffelanbau ist im Reich der Mitte noch nicht vollständig mechanisiert und bietet deshalb für Grimme ein großes Absatzpotenzial. Kartoffelanbaugebieten vertreten. Aktuell seien direkte Investitionen in Indien aber kein Thema, bremst Sohn Christoph. „Ob Russland, China, Indien oder die USA – eines haben alle Exportmärkte gemeinsam”, stellt Franz Grimme fest. Wer erfolgreich sein will, müsse die Mentalität der Menschen verstehen und sich darauf einstellen. Dabei sei Geduld gefragt. Der Traum von Franz Grimme ist, dass sich die Töchter als weitgehend autark operierende Unternehmen in ihren Märkten etablieren. Seine beiden Söhne Christoph und Phillip sollen diesen Traum verwirklichen und das Unternehmen in der 5. Generation weiterführen. Der 26-jährige Phillip sammelt zurzeit beim Landtechnikkonzern Agco im südlichen Afrika internationale Erfahrungen. Geplant ist, dass er in drei Jahren in den elterlichen Betrieb zurückkehrt. Väterliche Präsenz zahlt sich aus An seinen ältesten Sohn Christoph hat Franz Grimme bereits einen Teil der Verantwortung abgegeben. In der Geschäftsführung der Grimme Landmaschinenfabrik hat der Vater den Platz für seinen Sohn frei gemacht. Als geschäftsführender Gesellschafter der Grimme-Gruppe wird ihm Vater Franz dabei über die Schulter schauen und auch den einen oder anderen Ratschlag geben. „Ob er den Rat dann annimmt, ist seine Sache”, fügt Franz Grimme hinzu und blickt schelmisch lächelnd zu seinem Sohn. In die Lage seines Sohnes kann sich der Vater gut hineinversetzen, denn er war in einer ähnlichen Situation. „Mein Vater ist 84 Jahre alt geworden und war bis zum Schluss fast jeden Tag im Werk”, erinnert er sich. Geschadet hat die väterliche Präsenz der Firma offenbar nicht, denn Grimme hat eine kaum für möglich gehaltene Entwicklung genommen. Franz Grimme ist froh, dass er mit 70 Jahren nun etwas kürzer treten kann. Er verbringt weniger Zeit im Büro, besucht Kunden, um zu hören, welche Wünsche und Ansprüche sie haben. Wenn die Sonne scheint und der Terminkalender es zulässt, zieht er sich die Gummistiefel über und fährt in sein Jagdrevier. Bei den Spaziergängen im Moor zwischen Damme und dem Dümmer See hat er einen weiten Blick über das Norddeutsche Tiefland. Sein Blick auf das Unternehmen sei in den vergangenen Jahren eher enger als weiter geworden, gibt er zu. Auch deshalb ist er froh, dass seine Söhne den Staffelstab übernehmen. SB 28 Landtechnik Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Die mobile Nutzung des Internets an jedem Ort, zu jeder Zeit durchbricht Grenzen der Entwicklungsmöglichkeiten in der Landtechnikindustrie. Die Schlüsselmaschine des Mähdrusches profitiert von diesen Trends. Assistenten übernehmen Durch die technischen Möglichkeiten – Sensoren werden kleiner, leistungsfähiger und preiswerter – in Kombination mit den Möglichkeiten des Datenaustausches im Internet werden immer mehr Assistenzsysteme im Mähdrescher einziehen. Mähdrescher bekommen zusätzliche „Techno-Augen, -Ohren und -Fühler”; Assistenten übernehmen Tätigkeiten, die sie einfach besser können als der Mensch. Lenkautomaten halten die Maschinen auf Kurs, Durchsatzassistenten regeln die Fahrgeschwindigkeit und Einstellautomaten reagieren selbstständig auf Bestand, Durchsatz, Verluste, Hangneigung und anderes mehr. Die vielen Einzellösungen werden zu einer autonomen Maschine verschmelzen. Derzeit wird noch spekuliert, ob unsere Felder zukünftig von riesigen Kolossen oder eher von vielen Zwergen beerntet werden. Auf die äußere Hülle kommt es gar nicht an. Wichtiger ist vielmehr die sogenannte „Schwarmintelligenz”, die Vernetzung der Maschinen untereinander und deren Datenaustausch. So ist es nur folgerichtig, dass wir nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Geräte und Maschinen untereinander vernetzen und eine Maschine-zu-Maschine-Kommunikation – kurz M2M – herstellen. Im Internet der Dinge, wo alles mit allem verbunden ist, kommunizieren diese drahtlos miteinander. So wie eine Kaffeemaschine automatisch Bohnen nachbestellen kann, wenn der Vorrat zu Ende geht oder der Stromzähler nicht mehr abgelesen wird, weil der Verbrauch direkt an das Elektrizitätswerk gesendet wird, rufen Mähdrescher das Abfuhrfahrzeug herbei, wenn der Bunker voll ist. So bilden sich aus bisher separaten Maschinen erste kleine Kooperationseinheiten und optimieren im permanenten Datenaustausch ihren Arbeitskreis, zum Beispiel die „Kornübergabe”. Diese Arbeitskreise werden sich ausweiten und immer mehr Prozesse aus der beteiligten Umgebung einbeziehen. Ein Mähdrescher wird zum Dirigenten und Mitspieler. Er wird an die Läger melden , was, wie viel und in welcher Qualität sowie Feuchte kommen wird und so für ein besseres Management im Lager sorgen. Andersherum wird der Mähdrescher über GPS informiert, auf welchem Feld er gerade ist. Aus der Schlagkartei „weiß” er, welche Frucht geerntet wird, aus den Scannerdaten des N-Sensors kennt er bereits die Entwicklungsunterschiede des Bestandes, er ist informiert, ob Saatgut, Brot oder Futter als Verwendungszweck geplant ist. Mit den einfließenden Informationen und seinen eigenen zahlreichen Sensoren wird er die Druscharbeit optimieren. So werden die heute noch separat laufenden Arbeitskreise mehr und mehr zusammenfließen und vom gegenseitigen Datenaustausch profitieren. Neue Berufsbilder entstehen Natürlich macht das Internet noch keine Ernte, aber es ist die Voraussetzung für die zukünftige Entwicklungsrichtung und für die Cloud, die sogenannte „Datenwolke”, in die wir alle Informationen „hineinschießen” und auch wieder anfordern können. Die Möglichkeiten der Vernetzung in der Cloud untereinander lassen autonome Mähdrescher in nahe Zukunft rücken. In der Automobilbranche zum Beispiel rechnet das Deutsche Forschungszen- trum für Künstliche Intelligenz (DFKI) damit, dass in 25 Jahren bis zu 75 Prozent aller Autos autonom fahren. Das werden Mähdrescher auf dem Feld in kürzerer Zeit schaffen. Sie werden selbst lenken, bremsen und beschleunigen, die Einstellung der Arbeitsorgane am Bestand anpassen, die Kornübergabe auf Abfuhrfahrzeuge „selbst in die Hand nehmen”, energiesparend fahren, anschneiden, um nur einige Aspekte zu nennen. Mit der Zulassung autonomer Fahrzeuge rechnet das DFKI im Jahre 2025. Ein Zwischenschritt dorthin könnte das ferngesteuerte Fahrzeug sein. Die Vision, dass der Betriebsleiter am Bildschirm sitzt und seine Arbeitsmaschinen auf das Feld geleitet, ist nicht mehr abwegig. Den klassischen Lohnunternehmer gibt es dann vielleicht nicht mehr, sondern nur noch den Flottenbesitzer. Profilierte Fahrer werden nicht mehr benötigt, denn der autonome Mähdrescher beherrscht das Druschgeschäft mittlerweile besser. Der Betrieb setzt seinerseits einen Beifahrer als „Gouvernante” auf den Mähdrescher. Das verändert auch das Berufsbild der Fahrer, die den Mähdrescher und die Kornübergabe zwar überwachen, aber eigentlich die Kabine als mobiles Büro benutzen und mit anderen wertschöpfenden Tätigkeiten beschäftigt sind. Tritt eine Havarie auf und der Beifahrer muss übernehmen, stehen ihm Helfer aus dem Die Maschinen der Zukunft sind vernetzt und autonom unterwegs. Internet der Dinge zur Seite. Ein technischer Schaden wird automatisch an den Servicestützpunkt gemeldet, der über Ferndiagnose weiß, was passiert ist. Im besten Fall kann über Fernwartung geholfen werden oder es muss der Servicetechniker vor Ort. Fällt ein Assistenzsystem aus, zum Beispiel die automatische Lenkung, kann Hilfe aus der Cloud oder dem Appstore angefordert werden. Wir dürfen gespannt sein, wie dies die Arbeitswelt und das Miteinander verändert. Combine-sharing denkbar Wenn in 25 Jahren autonome Mähdrescher in der Flur und auf den Straßen unterwegs sein können, werden Veränderungen zum Besitz- und Nutzungsverhalten erwartet. Beispielsweise wird sich dann die Frage nach der Investition in eigene Druschkapazitäten stellen. Das könnte das gesamte Geschäft der Erntedienstleistungen verändern. Wie in einer regionalen Cloud zirkulieren die Mähdrescher durch die Region und werden dort eingesetzt, wo sie gerade gebraucht werden. Das steigert die Auslastung und senkt die Kosten. Eine Flotte autonomer Taxis könnte einer Studie zufolge den Pkw-Bestand in Deutschland um 90 Prozent reduzieren. Eine Studie zu combine-sharing auf autonomem Niveau existiert noch nicht, aber mögliche Konsequenzen liegen auf der Hand. Bei der Entwicklung von einem möglichen combine-sharing muss die Industrie neue Märkte im Bereich der Mobilität und Dienstleistungen erschließen. Verteilungskampf um Datenschätze Daten und Informationen sind ein enormer Fundus. Doch wem gehören sie, wer darf sie sammeln, analysieren, auswerten und Dienstleistungen, Apps oder neue Geschäftsmodelle darauf gründen? Die ungeheure Tragweite der Möglichkeiten haben mittlerweile alle begriffen. Noch haben die Landmaschinenhersteller die Hand auf den Daten und können in geschlossenen Systemen ungestört ihre hauseigenen Dienste andienen. Aber das Einfalltor ist groß. Fallen Assistenzsysteme aus, kann der Nutzer immer noch „selbst übernehmen”. Komplex vernetzte, autonome Landmaschinen haben dagegen eine kritische Infrastruktur. Abgerissene Funkverbindungen, falsch interpretierte Signale, Systemausfälle und selbst gewöhnliche Naturphänomene werden zur Gefahr mit Dominoeffekt für die gesamte beteiligte Kette. Viele neue Risiken lauern auf dem Weg in eine vollvernetzte, autonome Welt. Man muss sie rechtzeitig erkennen, vorsorgen und mit dem Restrisiko leben lernen. Dr. Andrea und Franz Feiffer, feiffer consult, Sondershausen Ein langer Weg vom Super zum Lexion Claas auf Erfolgskurs mit dem Mähdrescher Die Geburtsstunde des europäischen Mähdreschers schlug bereits vor dem 2. Weltkrieg. Doch erst im Sommer 1946 konnte Claas eine moderne, noch in den Kriegsjahren entwickelte Maschine auch produzieren: Der „Super“ startete auf deutschen und auf englischen Getreidefeldern. Die Briten hatten in ihrer Besatzungszone nach neuzeitlicher Erntetechnik für ihr Land gesucht und waren bei Claas fündig geworden. Der „Super“ war „die“ Erfolgsmaschine des Unternehmens. Mit diesem gezogenen Mähdrescher wurde der entscheidende Entwicklungsschritt vom Quer- zum Quer-Längsfluss-System vollzogen. Damit wird die Verarbeitungsrichtung des Ernteguts in der Maschine beschrieben. Die neue Bauweise ermöglichte längere Schüttler und erhöhte damit die Ernteleistung deutlich. Claas fertigte die Super-Baureihen bis 1978 – in einer Stückzahl von insgesamt 65 000 Exemplaren. Der gezogene Claas-Super wurde von 1946 bis 1978 gefertigt. Die Maschine aus dem Baukasten Den ersten selbstfahrenden Mähdrescher – mit einem eigenen Motor – brachte Claas 1953 auf den Markt. Der Selbstfahrer SF ermöglichte es den Bauern, ihre Traktoren anderweitig einzusetzen, da diese zum Ziehen der Mähdrescher nicht mehr benötigt wurden. Der „Europa“ wurde 1957/58 entwickelt. Ein Jahr später folgte der „Columbus“, der eine etwas geringere Motorleistung, kürzere Schüttler und ein schmaleres Schneidwerk hatte als sein Vorgänger. Der Erfolg dieser beiden Typen führte zum Bau des „Mercur“, der die Leistungslücke zwischen Europa und Matador schloss. 1967 wurde er vom „Consul“ abgelöst, dem ersten Claas-Mähdrescher mit selbsttragender Karosse. Der verstärkte Anbau von Mais sorgte Ende der 1960er Jahre für eine Neuentwicklung im Hause Claas, die nicht nur maistauglich, sondern auch containerfähig war: der „Dominator“. 1970 vorgestellt, verfügt er über eine selbsttragende, geschweißte Karosserie. Die Modulbauweise ermöglichte zum einen die Vormontage und zum anderen den Versand von einzelnen Komponenten nach Übersee, die vor Ort beim Empfänger zusammengesetzt werden konnten. Die Leistungsfähigkeit herkömmlicher Schüttlersysteme galt in den 1970er Jahren als ausgereizt. Die Frage nach neuen Verfahren, die besonders unter den schwierigen europäischen Erntebedingungen bessere Ergebnis- Fotos: Claas Z ukünftig werden sich Mähdrescher immer mehr angleichen durch globale Technologie-, Entwicklungs- und Produktionsstrukturen. Es gibt heute keine „schlechten” Maschinen mehr. Die Unterschiede zwischen den Marken finden neben Produktsicherheit und Service immer stärker über die Effizienz durch Intelligenz statt: Wer unterstützt den Fahrer am besten, damit dieser die eingekaufte Mähdrescherleistung auf dem Feld umsetzen kann; wer hilft ihm Leistung, Verluste und Qualität im ökonomischen Optimum zu halten; wer bietet dem Fahrer Bequemlichkeit und multimediales Entertainment, damit die Kabine zum angenehmen Arbeits- und Lebensraum wird. Fotos: Dominic Schindler Creations GmbH Mähdrescher wird zum Dirigenten auf dem Kornfeld Die Lexion-Baureihe vereint alles, was die Familienfirma an Maschinen-Know-how zu bieten hat. se brachten, beantwortete Claas 1981 mit dem „Dominator CS“, einer Maschine mit Zylinder-System. Hinter der Dreschtrommel waren acht Abscheidezylinder und darunter Abscheidekörbe angebracht. Zukunft bestimmt Farming 4.0 Mit der „Mega“-Baureihe führte der Konzern 1993 das Accelerated Pre-Separation (APS)-System ein. Es brachte bis zu 30 Prozent mehr Leistung als andere Lösungen. 1995 ging das heutige Flaggschiff der Mähdrescher an den Start. Der erste „Lexion“ kam auf den Markt. Er kombinierte das APS-System des Mega mit zwei Axial-Rotoren und machte den Lexion 480 zum ersten Hybrid-Mähdrescher von Claas. Das heutige Topmodell der Lexion-Baureihen, der Lexion 780 Terra Trac, vereint alles, was das Familienunternehmen in seiner Firmengeschichte bisher an Mähdrescher-Know-how erarbeitet hat. Die Zukunft der Landtechnik wurde bei Claas längst eingeläutet. Schon vor Jahren begann das Unternehmen, den gesamten Ernteprozess mit unterschiedlichen Maschinen durch elektronische Steuerungs-, Überwachungs- und Informationssysteme zu lenken. Unter dem Namen EASY (Efficient Agricultural Systems) bündelt der Konzern seine Elektronikkompetenz – von der Maschineneinstellung über Lenksysteme bis hin zu Softwarelösungen für verschiedene Bereiche und Anwendungen. Und die Entwicklungen gehen weiter. Neben Systemen, die immer mehr Intelligenz in die einzelne Maschine bringen und dem Landwirt und Lohnunternehmer die Arbeit erleichtern sowie seine Arbeitsleistung erhöhen, ist Vernetzung ein wichtiges Zukunftsthema; Stichwort „Industrie 4.0“. Durch die Kommunikation der Maschinen untereinander und durch die selbsttätige Steuerung ganzer Prozesse – zum Beispiel in der Getreideernte – können die Arbeitsergebnisse künftig weiter gesteigert werden. Die Digitalisierung wird dabei bewusst auch in Richtung komplette az Betriebssteuerung weitergedacht. Finanzierung 29 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Porträt: Dr. Gerd Wesselmann Ein Unikat „So sind sie eben manchmal – die Landwirte. Aber genau deswegen mag ich sie auch so sehr.“ In diesem Jahr geht der WGZ-Berater in Rente. Aber aufhören will er deshalb noch lange nicht. Ein Porträt über den bekanntesten Agrarbanker der Republik Obwohl, erzählt der 65-Jährige heute im Gespräch mit der agrarzeitung (az), er den Kredit unter bestimmten Voraussetzungen durchaus auch gern genehmigt hätte. Doch brachte der Landwirt erst einmal sein Unverständnis zum Ausdruck. Soviel ist klar: Der klassische Banker ist er schon mal nicht. Und das will er auch gar nicht sein. Mit der cognacfarbenen Lederjacke mit den großen Trachtenknöpfen und seiner Sturheit will Wesselmann vielmehr eins: zeigen, dass er Landwirt ist. Nur eben als Agrarkundenberater in der WGZ Bank statt auf dem Feld. In der WGZ Bank, seit 1884 Zentralbank der Genossenschaftsbanken im Rheinland und in Westfalen, ist der 65-Jährige ebenso ein Unikat wie in der gesamten Agrarfinanzbranche. „Ah, der Wesselmann!”, heißt es, egal ob man nach dem 65-Jährigen in Frankfurt, Berlin oder sonst irgendwo in der Bundesrepublik fragt. Direkter ist er, als man es Bankern allgemein zugesteht, ehrlich, manchmal etwas aufbrausend. Aber eines hat er dabei immer fest im Blick: das Interesse des Landwirtes. Als sein Vater überraschend mit nur 50 Jahren verstarb, musste Wesselmann zurück nach Nordrhein-Westfalen, um sich um den Hof zu kümmern – zu der Zeit nur noch ein reiner Ackerbaubetrieb. 1978 fing er zunächst bei einem Pflanzenschutzunternehmen in Münster an. „Das hatte aber nicht wirklich viel mit meiner Ausbildung und meinen Interessen zu tun”, erzählt Wesselmann. So hat er sich keine vier Jahre später, 1982, bei der WGZ Bank beworben – und ist dort bis heute geblieben. Und genau dort konnte er seine betriebs- und finanzwirtschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen voll einbringen sowie nicht zuletzt immer wieder mit der Praxis im eigenen Betrieb rückkoppeln. Zu seinem Vorstand, an den er in seiner beruflichen Karriere meist direkt berichtete, habe er oft gesagt: „Zuerst der Landwirt – dann die Bank.” Das sollte heißen, erzählt Wesselmann, dass die Bank mit ihren Agrarfinanzierungen den Investitionen der Agrarunternehmer folgen sollte – und nicht vorangehen. Demnach hat Wesselmann, der bei der WGZ Volksbanken dabei unterstützt, Agrarkunden zu beraten und zu finanzieren, seine Vertriebsziele in erster Linie auf der Grundlage einer möglichst optimalen Beratung verfolgt, wie er selbst sagt. „Stets habe ich sowohl die Investitionsziele der Landwirte unter Finanzierungsaspekten als auch meine bankspezifischen Ziele immer sehr deutlich mit den Kunden besprochen”, sagt der Vater von zwei Söhnen. Dabei habe er eine weitere wichtige Regel immer beachtet: „Letztlich entscheidet der Landwirt als Kunde und nicht der Berater”, sagt Wesselmann, der selbst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden ist. Westlich von Osnabrück, im Tecklenburger Land, ist Wesselmann als eines von zwei Kindern auf dem elterlichen Viele Banken haben Agrarkunden im Visier Bei der DZ Bank kümmert sich ein Landwirtschaftsteam von acht Mitarbeitern in Frankfurt, Stuttgart, München, Dresden, Hamburg, Oldenburg und Berlin um die Belange landwirtschaftlicher Kunden und unterstützt Volksbanken bei der Risikosteuerung, wenn Kunden nicht genügend Sicherheiten stellen können. Die DZ Bank übernimmt Ausfallbürgschaften ab 100 000 Euro, stellt Konsortial- und Direktkredite ab 1 Million Euro. Außerdem betreut das Institut mit Sitz in Frankfurt am Main Landwirtschaftskunden bei Fusionen und Übernahmen und berät bei Stallbau, Technik und Landkauf. Die Nord/LB hat eine mehr als 175 Jahre lange Tradition im Agrargeschäft und ist in dem Bereich mittlerweile mit einer Bilanzsumme von 2,5 Milliarden Euro aktiv. 85 Mitarbeiter arbeiten dort für das Geschäftsfeld Agrar-Banking. Das Institut stellt Investitionsfinanzierung etwa für Baumaßnahmen, Flächenkäufe und Betriebsübernahmen ebenso wie Betriebsmittelkredite zur Verfügung. Auch die Finanzierung von regenerativen Energien und AgrarClearing für Getreide, Raps, Milchprodukte, Schweine, Ferkel und Kartoffeln am Terminmarkt bietet die Nord/LB mit Hauptsitz in Hannover an. Landwirte können dort auch Produkte zur Zinssicherung, Bürgschaften und strukturierte Finanzierungen erhalten. Bei der Bremer Landesbank kümmert sich ein 15-köpfiges Spezialistenteam in Oldenburg um die Betreuung von Betrieben und Unternehmen entlang der gesamten ernährungswirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Den Fokus hat die Bank, die vielleicht bald unter das Dach der Nord/LB schlüpfen muss, auf größere, unternehmerisch geführte Wachstumsbetriebe im Nordwesten gelegt, die im Direktgeschäft oder als Konsortialpartner der Verbundsparkassen begleitet werden. Die Bremer Landesbank bietet Landwirtschaftskunden aktives Risikomanagement durch Preisabsicherung zum Beispiel für Getreide oder Milch über das eigene Handelszentrum an. Bei der BayernLB-Tochter DKB kümmern sich mehr als 100 der insgesamt 3100 Berater um die Kundengruppe Landwirtschaft und Ernährung. Kunden werden von Spezialteams aus Bankberatern und Diplom-Agraringenieuren beraten und können bei der DKB Ställe, Flächenkäufe, Maschinen, Betriebsmittel, Produktionsanlagen und erneuerbare Energien finanzieren. Darüber hinaus begleitet die Bank Landwirte bei Käufen und Verkäufen und bietet einen regionalen Betriebsvergleich an. Die akf Bank , eine Tochter des Staubsaugerherstellers Vorwerk und der zum Oetker-Konzern gehörenden Privatbank Lampe, hat zwölf Mitarbeiter im Agrar-Außendienst. Sie arbeitet mit 700 Landtechnikhändlern in Deutschland zusammen und hat Agrarstandorte in Berlin, Mittweida und Wuppertal sowie Tochtergesellschaften für den Vertrieb in Spanien und Polen. Die akf ist auf die Finanzierung von gebrauchten und Vorführmaschinen spezialisiert, bietet Leasing, Mietkauf und Nutzungsverträge an. sp Foto: AW E he er sich versehen konnte, machte es auch schon „Klatsch”. Die Ohrfeige saß, und Dr. Gerd Wesselmann fehlten erst mal die Worte. Was, nebenbei bemerkt, wirklich selten vorkommt. Ein Landwirt, den er in seiner Funktion als Banker bei der WGZ Bank beriet, hatte ihm kurzum eine geklebt. Er wollte einen Kredit, Wesselmann lehnte ab. Betrieb aufgewachsen: Zugpferde, Mastschweine, Bullen, Milchkühe und circa 130 Hektar Land. Weil ihm aber schnell klar war, dass er zwar gern Ackerbau betreibt, sich aber vor allem über Gebühr für Zahlen interessiert, begann er 1969 in Gießen Landwirtschaft zu studieren. Sein Steckenpferd: Buchführung in der Landwirtschaft, EDV-Systeme, Rechnungswesen, Kostenrechnungen und Betriebswirtschaft. Darüber hat er auch seine Doktorarbeit geschrieben. Und was kommt nach der Rente, nun, wo der einst elterliche Betrieb längst vom ältesten Sohn geführt wird? Vorträge über Beratung, Unternehmensführung, Finanzierung und Generationenwechsel im Agrarbereich, landwirtschaftlicher Gutachter und Unternehmensberater sowie durchaus noch viel Engagement im Ausland, zum Beispiel über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Langweilig wird Wesselmann, der genau in dem Jahr in Rente geht, wenn WGZ und DZ Bank fusionieren, also sicher nicht. Und wenn er sich heute an die Ohrfeige von damals zurückerinnert, so war sie vielleicht auch nicht ganz unbegründet. „Wenn ich jemanden so reize, habe ich mich eventuell auch nicht ganz korrekt verhalten”, gesteht Wesselmann. „So sind sie eben manchmal – die Landwirte. Aber genau deswegen mag ich sie auch so sehr.” Und ein wenig später wurde dann der Kredit doch noch gewährt, unter beidseitig akzeptablen Voraussetzungen und in engem Zusammenspiel mit der örtlichen Genossenschaftsbank. sp Aus zwei wird eins Es ist der größte Zusammenschluss von Banken in Deutschland seit der Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank: Nach etlichen Versuchen werden die genossenschaftlichen Spitzeninstitute DZ Bank und WGZ Bank zusammengehen. Am 1. August wird das neue Spitzeninstitut der rund 1 000 Genossenschaftsbanken in Deutschland unter dem Namen DZ Bank an den Start gehen. Die Aktionäre der DZ Bank werden daran 74,4 Prozent halten, die Anteilseigner der WGZ Bank – die 182 Volks- und Raiffeisenbanken aus Nordrhein-Westfalen – 25,6 Prozent. Was der Stellenabbau und die Umstrukturierung für die Betreuung der landwirtschaftlichen Kunden bedeutet, ist derzeit noch nicht genau bekannt. Bei der Vorstellung der Fusionspläne im November 2015 hatte DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch, der auch das neue Institut führen wird, aber gesagt: „Das Agrargeschäft gehört zu unseren Wurzeln und wir werden diesen Bereich eher noch ausbauen.“ Derzeit kümmert sich bei der DZ Bank ein Team aus acht Mitarbeitern in Frankfurt, Stuttgart, München, Dresden, Hamburg, Oldenburg und Berlin um Landwirte. Die WGZ hat einen Mitarbeiter für diesen sp Bereich abgestellt. 30 Finanzierung Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Die etwas andere Bank Sie hat sich ihren traditionellen Charme bewahrt und ist gleichzeitig gefragt wie nie: Die Landwirtschaftliche Rentenbank mit Sitz in Frankfurt am Main I m Haupthaus der Landwirtschaftlichen Rentenbank in der Frankfurter Innenstadt ist die Zeit stehengeblieben. Zumindest ein bisschen. Weiße Teppiche säumen die langen Flure und die dicken Flügeltüren muten wie blaues Leder an. Fast wie in einer der wenigen noch verbliebenen kleinen und feinen familiengeführten Privatbanken. Eines aber würde man in einem solchen Haus sicher nicht im Foyer finden: eine lebensgroße bunt bemalte Kuh auf Rädern. Die steht aber unübersehbar in der Eingangshalle der Rentenbank. Auch wenn das Haus auf den ersten Blick zumindest ein wenig wie aus einer anderen Zeit wirkt, ist es in diesen Zeiten bei landwirtschaftlichen Betrieben als Förderbank enorm gefragt – und noch dazu sehr erfolgreich. „Mit Programmkrediten über 7,8 Milliarden Euro haben wir beim Neugeschäft 2015 einen Förderrekord erreicht”, erklärt Dr. Horst Reinhardt, der der Bank als Sprecher in einem dreiköpfigen Führungsgremium seit 2013 vorsteht, im Gespräch mit der agrarzeitung (az). Jahre mit einer Zinsbindung bis zehn Jahre bei effektiv 1,00 Prozent (Stand: 6. Juli). Warum das so ist? „Wir können uns als Anstalt des öffentlichen Rechts mit Garantie der Bundesrepublik Deutschland viel günstiger refinanzieren als normale Geschäftsbanken”, erklärt Reinhardt. „Und unsere Attraktivität liegt nicht nur im Zinssatz”, so der Vorstandssprecher weiter. Die Rentenbank könne das Institut durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aus, das seine Entscheidungen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) trifft. Der Gewinn der Rentenbank wird erneut für Förderzwecke eingesetzt. Und wenn die Zinsen weiter sinken, erwägt die Rentenbank sogar, den Hausbanken Geld dafür zu zahlen, dass sie die Förderkredite an Landwirte weiterreicht. sp DieFörderprogramme Förderprogramme der Rentenbank Die der Rentenbank Landwirtschaft Landwirtschaft Foto: Rentenbank Foto: Rentenbank Porträt: Dr. Horst Reinhardt Bei der Rentenbank ist vieles anders als bei anderen Banken. Die Bundesregierung übt die Rechtsaufsicht über „Wir können uns als Anstalt des öffentlichen Rechts mit Garantie der Bundesrepublik Deutschland viel günstiger refinanzieren als normale Geschäftsbanken.“ Und auch dieses Jahr gibt es wieder eine immense Nachfrage. Kein Wunder, leiden doch vor allem die Milchvieh- und Veredelungsbetriebe unter den dauerhaft niedrigen Preisen und müssen ihre Betriebe mit zusätzlicher Liquidität am Laufen halten. Dabei, erklärt Reinhardt, ist die Stimmung laut einer regelmäßigen Befragung unter 800 Landwirten auch derzeit fast so schlecht wie 2009. „Was aber exponentiell ansteigt, ist die Zahl der angefragten Tilgungsaussetzungen und -streckungen”, so Reinhardt. Anfang Juli 2015 hat die Rentenbank das Liquiditätsprogramm für in Not geratene landwirtschaftliche Betriebe geöffnet. Im Oktober wurde es auf den Veredelungssektor und auf von Trockenheit geplagte Ackerbaubetriebe ausgedehnt. Und laut Reinhardt wird die Bank das Programm auch dieses Jahr noch weiter offenhalten. sich auch über lange Laufzeiten hinweg zu deutlich günstigeren Konditionen refinanzieren als normale Hausbanken - was sich auf die Konditionen niederschlägt. Die Konditionen, die das Institut, dessen Förderkredite ausschließlich über die Hausbanken der Landwirte vermittelt werden, anbietet, sind selbst in Zeiten historisch niedriger Zinsen meist noch besser als auf dem normalen Bankenmarkt. In der günstigsten Preisklasse liegt der Top-Zins jetzt für Laufzeiten bis 30 Aquakultur Aquakultur und und FischFischwirtschaft wirtschaft Agrar-und und AgrarErnährungsErnährungswirtschaft wirtschaft Erneuerbare Erneuerbare Energien Energien Ländliche Ländliche Entwicklung Entwicklung Energie Energie vomLand Land vom Leben Leben aufdem demLand Land auf Wachstum Wachstum Wachstum Wachstum Wachstum Wachstum und und Wettbewerb Wettbewerb Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit Umweltund Umweltund VerbraucherVerbraucherschutz schutz ProduktionsProduktionssicherung sicherung Betriebsmittel Betriebsmittel Betriebsmittel Betriebsmittel LiquiditätsLiquiditätssicherung sicherung Innovationen Innovationen Scheut das Risiko Historie Sicherheit steht für den Vorstandssprecher der Landwirtschaftlichen Rentenbank an erster Stelle. Innerhalb weniger Wochen erwarb sich die neue Währung das Vertrauen der Bevölkerung und der Wirtschaft, obwohl aus heutiger Perspektive die Art und Weise der Währungssanierung in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich war. Die Rentenmark war kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern lediglich ein rein privates, gesetzlich zugelassenes Geld. Ausschlaggebend für den Erfolg der Währungssanierung war letztlich jedoch die systematische Verknappung des Geldumlaufs. Zur Erklärung: Die Staatsbank IKB war damals, im Sommer 2007, in eine existenzbedrohende Schieflage geraten, weil sie sich mit US-Ramschhypotheken verspekuliert hatte. Nur durch milliardenschwere Rettungsaktionen der Hauptaktionärin KfW, des Bundes und anderer Banken konnte das Institut gerettet werden. „Auch wir hatten immer wieder Angebote für strukturierte Produkte auf den Tisch bekommen”, weiß der promovierte Volkswirt noch gut. Doch für Reinhardt sei das nie infrage gekommen. „Wir hatten zwar ein Engagement in Derivaten der seinerzeit insolventen US-Investmentbank Lehman Brothers”, so Reinhardt. Das sei aber vollständig gesichert gewesen, Verluste seien keine entstanden. Apropos Sicherheit: Die kommt für Reinhardt in seinem Metier immer an erster Stelle. Heute sagt der 61-Jährige: „Es war eine gute Erfahrung, so etwas mal durchgestanden zu haben.” Die historischen Wurzeln der Landwirtschaftlichen Rentenbank reichen bis in die 1920er Jahre zurück. Die Deutsche Rentenbank wurde 1923 als Währungsbank zur Bekämpfung der damaligen Hyperinflation gegründet. Sie erhielt damals das Recht, vorübergehend bis zur Höhe ihres Grundkapitals eine als „Rentenmark“ bezeichnete Parallelwährung in Umlauf zu bringen. Der gelernte Bankkaufmann, der seine Karriere bei der Commerzbank begann und früh seinen Faible für Derivate und das Treasury entdeckte – nichts anderes als die Liquiditätssteuerung in Unternehmen – fühlt sich auch der Landwirtschaft verbunden. In seiner Kindheit hatten Verwandte in Holstein lange einen Hof bewirtschaftet, die Ferien wurden meist auf Höfen im Allgäu verbracht. Die Rentenmark war von Anfang an als eine Übergangslösung für eine neue Währung auf Goldgrundlage geplant, für die wieder die Reichsbank zuständig sein sollte. Nach Abschluss der erfolgreichen Währungsstabilisierung und der Neuordnung der Reichsmark wurde deshalb bereits im August 1924 die Liquidierung des Umlaufs an Rentenbankscheinen eingeleitet. S päter dann studierte Reinhardt an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Volkswirtschaftslehre und wurde dort auch im Jahr 1987 nach Studienstationen in den USA promoviert. Im selben Jahr kehrte Reinhardt dann auch wieder zur Commerzbank zurück und blieb dort knapp zehn Jahre – bis er schließlich 1996 zur Landwirtschaftlichen Rentenbank wechselte. Auch dort ist er neben den Bereichen Recht und Personal, dem Fördergeschäft sowie der Öffentlichkeitsarbeit immer noch für das Treasury zuständig. Mit seinem Faible für die Liquiditätssteuerung wird für Reinhardt – wenngleich bei Banken in einem ganz anderen Kontext – auch gleich das Hauptproblem vieler Agrarbetriebe in diesen Zeiten zum beruflichen Lieblingsthema. Das passt. Wie die Alliteration, mit der sich Reinhardt immer vorstellt: „Reinhardt, Rentenbank.” sp Betriebe in Schwierigkeiten Foto: sp A ls Dr. Horst Reinhardt 2007 in den Vorstand der Landwirtschaftlichen Rentenbank berufen wurde, ging es gleich zur Sache. Der gebürtige Frankfurter erinnert sich noch gut. Am Finanzplatz gab es drei Buchstaben, die in aller Munde waren: IKB. Räumliche Räumliche StrukturmaßStrukturmaßnahmen nahmen Viele landwirtschaftliche Betriebe drohten durch den Einzug von Rentenbankscheinen in Schwierigkeiten zu geraten, da sie nicht wie die gewerblichen Betriebe in der Lage waren, ihre aus Rentenbankmitteln stammenden Betriebskredite innerhalb der im Gesetz geregelten Dreijahresfrist zurückzuzahlen. Um drohende finanzielle Zusammenbrüche in der Landwirtschaft zu vermeiden, wurde im August 1925 die Deutsche RentenbankKreditanstalt (RKA) als landwirtschaftliche Zentralbank gegründet mit der Aufgabe, die kurzfristigen Kredite an die Landwirtschaft zunächst zu verlängern und darüber hinaus dringend benötigte langfristige Kredite zur Verfügung zu stellen. Bei der Namensgebung der Landwirtschaftlichen Rentenbank im Jahr 1949 wurde diesem Sachverhalt durch Beibehaltung des Namensbestandteils „Rentenbank“ Rechnung getragen. Bis 1972 standen staatliche Förderprogramme im Mittelpunkt des Kreditgeschäfts der Landwirtschaftlichen Rentenbank. Von diesem Zeitpunkt an ging die Förderung der Landwirtschaft aus der Kompetenz der Bundesregierung in die Verantwortung der Bundesländer über. Die Länder beanspruchten nun, die Kreditförderung und Zinsverbilligung in eigener Regie durchzuführen und beauftragten Landesbanken und landeseigene Förderinstitute mit dieser Aufgabe. Lediglich die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hamburg und Hessen bedienten sich zunächst weiter der Rentenbank. Auch die Verwaltung der bisher für die Förderung von Aussiedlungen, baulichen Maßnahmen in Altgehöften und Aufstockungen gewährten Darlehen von rund 2 Milliarden DM blieb bei der Rentenbank. Geschäftspolitische Zäsur Das Jahr 1973 stellte in mehrfacher Hinsicht eine geschäftspolitische Zäsur für die Rentenbank dar. Sie verlor ihr damaliges Hauptaufgabengebiet, als zentrale Bewilligungsstelle die Fördermittel des Bundes für die Landwirtschaft zu verteilen. Da diese Tätigkeit bis zu diesem Zeitpunkt auch im Mittelpunkt ihrer Fördertätigkeit gestanden hatte, musste von nun an der Förderauftrag des Instituts auf andere Art und Weise ausgefüllt werden. Öffentliche Mittel standen hierfür nun nicht mehr zur Verfügung. Zudem konnte sich die Rentenbank auch bei der Refinanzierung ihres Kreditgeschäfts nicht mehr auf öffentliche Mittel stützen, sondern war allein auf Kapitalmarktmittel angewiesen. Zwar hatte sie sich auch schon vor 1973 durch Emission von festverzinslichen Wertpapieren am Kapitalmarkt refinanziert und in allerdings bescheidenem Umfang Kreditgeschäft mit anderen Banken betrieben, in den 1970er und 1980er Jahren wurde das allgemeine Fördergeschäft für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum und die Refinanzierung aus Kapitalmarktmitteln jedoch erheblich ausgebaut. sp
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