Was bringt Digitalisierung in der Prozessautomation?

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T
Technik pur
I PROZESSAUTOMATION
Nachgefragt bei
Bernhard Kienlein (re.)
und Werner Schöfberger (li.)
von Siemens Process
Industries and Drives
Was bringt Digitalisierung
in der Prozessautomation?
Siemens' Messeauftritt auf der kommenden
»Achema« in Frankfurt steht heuer ganz im
Zeichen der Digitalisierung. Durch die Integration über den gesamten Lebenszyklus von digitalen Anlagen, durch den Aufbau einer einheit-
Austromatisierung: Herr Kienlein, das
»Achema«-Messemotto von Siemens lautet
»From Integrated Engineering to Integrated
Operation – Discover the Potential of Digitalization«. Ein schöner Slogan, der aber was
genau zum Ausdruck bringen soll?
„Die Digitalisierung macht es
möglich, einzelne Prozessschritte
über den gesamten Anlagenlebenszyklus zu integrieren.“
Bernhard Kienlein.
lichen Datenlandschaft vom Engineering über
den Betrieb bis zur Optimierung sowie durch
die
Kombination
von
vorkonfigurierten
Betriebseinheiten mit standardisierten Schnittstellen erhöht sich die Flexibilität und somit
lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit in den Prozessindustrien steigern – das verkündet der
Global Player in seiner Pressemeldung im Vorfeld der Messe. Was Siemens unter dieser Digitalisierung im Detail versteht und wie sie konkret umgesetzt werden kann, fragte Austromatisierung bei Bernhard Kienlein, Leiter der Division Process Industries and Drives bei Siemens
Österreich und Werner Schöfberger, Leiter der
Business Unit Process Automation, nach.
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Bernhard Kienlein: Ausgehend von unserem
bestehenden und erfolgreich im Markt platzierten Angebot zur Elektrifizierung und Automatisierung treiben wir die Digitalisierung in den
Prozessindustrien voran. Die Zukunft wird elektrisch sein, das heißt aufbauend auf dem weiter
zunehmenden Bedarf an Elektrifizierung und
Automatisierung sehen wir das größte Wachstumspotenzial im Markt bei der Digitalisierung.
Denn sie macht es uns möglich, einzelne Prozessschritte über den gesamten Anlagenlebenszyklus – von der Planung über das Engineering,
die Inbetriebnahme und den laufendenden
Betrieb bis hin zu regelmäßigen Optimierungen
und Modernisierungen – zu integrieren. Wir
unterstützen dabei unsere Kunden als verlässlicher Partner mit spezifischen Branchen-
AUSTROMATISIERUNG
kompetenzen – wie, zeigen wir in Frankfurt auf
der Messe »Achema« anhand konkreter Beispiele.
Austromatisierung: Digitalisierung in Zusammenhang mit Integration sind doch auch Aspekte von »Industrie 4.0«...
Kienlein: Ja natürlich. Um »Industrie 4.0« in der
Prozessindustrie zu verwirklichen, fokussieren wir
drei Handlungsfelder – nämlich die digitale
Anlage, die Modularisierung und die permanente
Optimierung der Produktionsprozesse. Grundlage
dafür ist stets das digitale Modell bzw. die
Datendurchgängigkeit über alle Lebenszyklusphasen einer Anlage.
Werner Schöfberger: Wir nennen das auch die
Integration in drei Dimensionen, nämlich vom
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I MESSE
Siemens zeigt Potenzial der
Digitalisierung auf
Engineering mit dem CAE-Tool »Comos« über die
Inbetriebsetzung mit der Simulationsplattform
»Simit« bis zum laufenden Betrieb mit dem Prozessleitsystem »Simatic PCS 7«. Ergänzend bieten wir
weitere integrierte Software-Produkte wie beispielsweise unser Business Intelligence-Produkt »XHQ
Operations Intelligence«, mit dem man Daten aus
allen möglichen Quellen oder Formaten in Relation
setzen, aggregieren und übersichtlich darstellen
kann. Die Entscheidungsfindung verbessert sich
enorm und das System ermöglicht hohe Einsparpotenziale im Betrieb durch optimales Fahren der
Anlage. Unsere 3D-Virtual-Reality-Visualisierungssoftware »Comos Walkinside« erzeugt ein vollständiges, begehbares Abbild der Anlage, das mit den
Daten in »Comos« integriert und somit allen Projektbeteiligten in einem Anlagenprojekt – sei es im
Engineering, beim Training des Bedienpersonals
oder im laufenden Betrieb – ein einheitliches Verständnis über den aktuellen Zustand der Anlage
verschafft. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten
nicht nur für Optimierungen sondern auch für
Schulungszwecke.
Austromatisierung: Was hat der Anwender –
egal, ob Endkunde oder Systemintegrator – von
der angesprochenen Integration bzw. Datendurchgängigkeit konkret?
Fotos: Archiv;
Schöfberger: Mit der Übergabe einer Anlage
wird in der Regel auch die Planungsdokumentation überreicht. Die Anlage »lebt« dann allerdings über viele Jahre oder Jahrzehnte weiter.
Das bedeutet, es gibt permanent Optimierungen,
Umbauten, Ergänzungen. Die dafür notwendige
Nachdokumentation gestaltet sich mit klassischen
Methoden mitunter sehr aufwändig oder sogar
unmöglich. Dabei sind Engineering-Projekte
unter Einbeziehung von verschiedenen System
durchzuführen: In der elektrischen Planung, in
der Automatisierungs-Dokumentation und im
Verfahrenstechnischen-Engineering. Ein System
wie »Comos«, das alle Gewerke in sich vereint,
bietet den wesentlichen Vorteil, dass jede Änderung lediglich in einem System gemacht werden
muss und automatisch in den anderen Disziplinen
übernommen wird. Das heißt, wir sprechen nicht
mehr vom Plan einer Anlage, der zu einem
bestimmten Stichtag erstellt wurde, sondern von
einer kontinuierlich »mitlebenden« Dokumentation, die stets den aktuellen Zustand der Anlage
widerspiegelt.
Unter dem Motto »From Integrated Engineering to Integrated Operation – Discover
the Potential of Digitalization« rückt Siemens auf der Fachmesse »Achema« das Thema Digitalisierung in den Mittelpunkt seiner
Präsentation. Auf der rund 1.300 m2 großen
Ausstellungsfläche zeigt Siemens, wie Unternehmen der Prozessindustrie mit integrierten Lösungen die Effizienz und Produktivität
und somit ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können – u.a. anhand zweier Modelle
von branchenspezifischen Lösungen: Eine
modulare »Chem-API Batch«-Anlage demonstriert das nahtlose Zusammenspiel von
Engineering- und Produktionsplanungssoftware mit Automatisierungssystemen und
Prozessinstrumenten in Hygieneausführung.
Das zweite Modell stellt eine Separationskolonne aus der chemischen Produktion
dar und veranschaulicht den Vorteil einer
durchgehenden Datenkommunikation.
»Achema« Halle 11.0, Stand C3
Schöfberger: Das digitale Zusammenspiel
von Planung, Automatisierung und Simulation
sowie die Vor- und Rückwärtsintegration in
den Planungsprozess ist der entscheidende
Unterschied. Verfahrenstechniker, Elektriker,
Automatisierer und Instandhalter können
parallel auf Basis einer gemeinsamem Daten-
„Wir sprechen nicht mehr vom
Plan einer Anlage sondern von
einer »mitlebenden«
Dokumentation.“
Werner Schöfberger.
bank arbeiten. Die ehemaligen sequentiellen
Prozesse gehören damit der Vergangenheit an.
Parallel zum Engineer-Prozess können permanente Simulationen durchgeführt werden, und
die Erkenntnisse fließen sofort wieder in den
Planungsprozess ein. Wir haben mit dem bidirektionalen Interface zwischen »Comos« und
»Simatic PCS7« die Möglichkeit, weltweit die
Engineering-Daten auf Knopfdruck für die
Planung des Leitsystems zu nutzen und im Betrieb die Daten aus der Anlage wieder zurück in
»Comos« zu spielen, um z.B. »Condition Based
Maintenance«-Strategien zu implementieren.
standhaltung inklusive der Anlagendokumentation in nur einem System durchzuführen. Jegliche
Änderungen an der Anlage durch Instandhaltungsprozesse stehen somit auch direkt in den
Engineering-Daten zur Verfügung. Darüber hinaus lassen sich die Daten, z.B. die Planung von
Arbeitspaketen im Rahmen einer Wartungstour,
einfach auf portable Endgeräte übertragen und
im Anschluss aus dem Feld direkt wieder zurückspielen. So ist die Dokumentation immer aktuell
und konsistent. Auch eine Anbindung an ERPSysteme ist verfügbar, um umgehend eine
Materialbestellung auslösen zu können.
Austromatisierung: Die Vor- und Rückwärtsintegration ist heute schon Stand der Technik
und produktseitig verfügbar?
Schöfberger: Mit den aktuellsten Versionen der
CAE-Software »Comos«, dem Leitsystem »PCS7«
und dem Simulationstool »Simit« funktioniert
das schon sehr gut. Auch die 3D-Visualisierung
mit »Comos Walkinside« ist als Produkt
verfügbar und beispielsweise auf Bohrinseln
bereits erfolgreich im Einsatz.
Austromatisierung: Abschließend noch eine
Frage zu Ihrem Geschäftsbereich – die Umstrukturierung des Siemens-Konzerns betrifft ja auch die
Prozessautomation. Fruchtet die Neuaufstellung
hierzulande bereits?
Kienlein: Die nachhaltige Grundlage für die
nächste Generation zu schaffen – das ist das Ziel
der »Siemens Vision 2020«. Mit diesem langfristigen und nachhaltigen Wachstumsprogramm will
Siemens die Eigentümerkultur stärken, die Organisation und Prozesse optimieren und sich entlang der Wertschöpfungsketten der Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung aufstellen. Im Zuge dieser Neuaufstellung wurden
vier Sektoren mit insgesamt 16 Divisionen auf
nun neun Divisionen gebündelt. Mit der Zusammenführung der Antriebstechnik, der Prozessautomatisierung und -instrumentierung mit den
gerade bei uns in Österreich vorhandenen branchenspezifischen Applikationskompetenzen im
Engineering und beim Service können wir jetzt
noch schneller und zielgerichteter auf die Anforderungen unserer Kunden im CEE-Wirtschaftsraum eingehen.
Austromatisierung: Danke für das Gespräch.
Austromatisierung: Das behaupten andere
CAx-Hersteller von ihren Produkten auch. Was
kann hier Siemens mehr bieten?
Kienlein: Konkret ermöglicht es das Produkt
»Comos MRO«, die vollständige Verwaltung,
Planung sowie Organisation von Betrieb und In-
Gesprächspartner von Bernhard Kienlein und Werner
Schöfberger war Austromatisierung-ChR. Th. Reznicek.
PROZESS
AUSTROMATISIERUNG
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