Jobst Günther Zeitspuren - Zeitschichten 1994 – 2012 „Jede Meerfahrt ist das Sinnbild dafür, dass der Mensch eine gewisse Herrschaft über die Seele erreichte, denn Seele und Wasser standen noch bei Heraklit in engster Beziehung zueinander. (...), denn jede Meerfahrt ist ein Sich-Erfahren.“ Aus Jean Gebser, Ursprung. und Gegenwart. Die Meerfahrt des Dionysos -3- Andreas Henning Zum Zyklus „Zeitspuren – Zeitschichten“ von Jobst Günther Der Künstler der Antike arbeitete völlig in der Gegenwart. Sein Blick galt den Göttern und Helden, deren Präsenz für ihn außer Frage stand. Erst mit der Zeitenwende trat ein historisches Bewusstsein in das künstlerische Schaffen des Abendlandes. Der Blick zurück durch die Geschichte, zum Beispiel auf Leben und Werk Christi oder auf exemplarisch verstandene Lebensläufe Heiliger, wie auch die Erfahrung von Geschichtlichkeit beschäftigte die Künstler des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Mit welcher Intention auch immer die Vergangenheit in die Gegenwart geholt wurde: Die Schilderung vergangener Zeiten richtete sich mehr und mehr an das Ich des Betrachters, eröffnete Reflexionen, forderte Entscheidungen. Dithyrambe I 70x38cm Selbstredend bildeten die kanonischen Schriften für lange Zeit die wichtigste Quellen für die Künstler, darunter die Erzählungen des Alten Testaments über die Entstehung der Erde, die Darstellung der Evangelien zum Leben Christi und die Heiligenlegenden. Erzählerische Zyklen wie die Duccios Tafeln zum Marienleben auf der Rückseite der „Maestà“ für den Dom von Siena oder auch Fra Angelicos Fresken in der Cappella Niccolina zum Leben der Erzdiakone im vatikanischen Palast sind Meilensteine in der Darstellung narrativer Szenen. Alle Arbeiten ohne Massangabe: auf Spanplatte, 140x100cm, Collage, Farbstift, Acryl – entstanden 2002-2012 Arbeiten mit Massangabe: auf Papier, Collage, Farbstift, Acryl – entstanden 1994-2002. -4- Die Frage nach der Vergewisserung der Vergangenheit wie auch die Befragung der Historie bildet natürlich auch für viele zeitgenössische Künstler ein zentrales Motiv ihres Schaffens. Christian Boltanski beispielsweise kreiert emotional verdichtete Räume, im Gestus des Erinnerns und Archivierens. Anselm Kiefer leistet in vielen seiner Gemälde und Skulpturen Trauerarbeit zur deutschen Geschichte, symbolträchtige Materialien und Inschriften leiten den Betrachter. Einen -5- völlig anderen Ansatz zeichnet den Zyklus „Zeitspuren – Zeitschichten“ von Jobst Günther aus. Der Künstler nimmt Motive alter Kunst und Kulturgeschichte, um sie in eine gegenwärtige Begegnung zu führen in Formen und Farben auf der Bildoberfläche. Grundsätzlich erfordert diese Arbeit Kraft, und zeichnerische Sicherheit, der eine Leinwand nicht gewachsen wäre. Günther nutzt daher Spanplatten als Malträger, um den festen Widerpart im Arbeitsprozess zu spüren. Ein großes Format ist gleichfalls von Nöten. Die Arbeiten weisen alle die gleichen Abmessungen von 140 mal 100 Zentimetern auf, wobei die Malerei bis an und teilweise über den Rand geführt wird. Die große Aktivität, die sich in den Gemälden entfaltet, verträgt keine Rahmung, benötigt vielmehr die klare Diktion der starken Spanplatten. Mit der Technik der Collage nimmt Günther Relikte vergangener Epochen ins Bild. Motive und Motivfragmente sind auf die Tafeln geklebt. Sie bieten dem Augen eine klar konturierte Formensprache, die zunächst unmittelbar vom sehenden Sehen in ein benennendes Sehen überzuleiten scheinen. So finden wir auf einer Tafel eine Sphinx, auf einer anderen Persephone, das Schiff des Dionysos, entnommen einer attischen Trinkschale, oder das Bodenmosaik von Chartres. Doch der Blick kann sich nicht in ein einfaches Benennen der Motive flüchten und damit den Rezeptionsprozess allzuzeitig abschließen. Denn Günther weiß vielmehr aus seiner langjährigen künstlerischen Arbeit (und dem Unterrichten von Kunstbetrachtung und Kunstgeschichte) um die Gestaltungskräfte von Formen und Farben, so dass die Begegnung vo n R e z ipi ent u n d Ku n st we rk z u einer ec hten Begegnung w ird : Si e mu ss pro du kt iv se in, verlangt d ie ec hte Teilnahme d e s B e trachters. Über, oftmals auch gegen, immer aber im steten Ringen mit den Collagematerialien gestaltet Günther aus der Farbe heraus. Und das ist ein sinnfälliges Schauspiel, im ganz positiven Sinne gemeint. Hier die unmittelbar starke Leuchtkraft des Kolorits, dort die Geste intensiven Farbauftrags, hier zarte durchscheinende Schichten von Blau- und Grüntönen, dort scharf gezeichnete grafische Elemente. Und in der Formensprache: Hier auf einer Tafel die erhabene Aufrechte einer antiken Göttin, dort auf einer anderen die ineinander verschlungenen Bewegungen des Meeres, hier der gelassen-souveräne Schwung eines Frieses, dort der irrlichterne Tanz menschlicher Gestalten. Ein -6- sinnliches Spiel, das den Blick sofort in den Bann zieht, anregt, mitschwingen lässt. Günthers Werke machen den Betrachter zum Teilhaber. Sinnlichkeit und Sinn konvergieren, unausschöpfbar, unauslotbar, immer wieder neu. Geschichte lässt sich nur sehr bedingt linear verstehen. Eine tiefere Begegnung findet in kreisenden, individuell geführten Annäherungsbewegungen statt. Günthers Zyklus nähert sich ohne jegliches zeitliches Kontinuum den Zeiten an, setzt sie Dithyrambe II 70x38cm in den einzelnen Tafeln geradezu erhaben gegeneinander. Griechische Antike und christliches Mittelalter, Giottos frühneuzeitliche Fresken und römische Katakombenmalerei, die ägyptische Gottheit und Auschwitz, diesmal sogar auf einer Tafel zusammengezwungen, das sind jeweils fulminante, klare Setzungen, die den Betrachter regelrecht fordern. Es zeichnet den Zyklus aus, dass Günther sich gleichsam in Wellenbewegungen durch die Schichten und Verwerfungen der Zeiten bewegt. 2002 begann er an dem Zyklus zu arbeiten. Es liegt in der Sache begründet, dass er nicht abgeschlossen ist und auch nicht abschließbar scheint. 2011 umfasste „Zeitspuren – Zeitschichten“ 67 Werke. Dr. Andreas Henning studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Düsseldorf und Berlin, 1999-2000 an der Casa di Goethe in Rom, Promotion 2002 in Berlin, 2002-2004 an der Staatsgalerie Stuttgart, seit 2004 Kurator für italienische Malerei der Gemäldegalerie Alte Meister Dresden. -7- Ulrich Beck Archäologie der Malerei „Wir horchen in uns hinein und wissen nicht, welches Meeresrauschen wir hören“ I Ein Bild von Jobst Günther aus seiner frühesten Schaffenszeit, das mir vor den Augen steht (und das ich innigst liebe), zeichnet die geradezu explosive Bewegung einer hageren Figur nach. Diese springt mit der inneren Kraft gleichsam aus sich selbst heraus, und dieser Ausbruch aus der Schwerkraft des inneren Seins wird in einer Figurenfolge dargestellt. Die durch und durch in Bewegung befindliche Figur trifft dann auf sich selbst in einer Haltung, die mit einer ironischen Handbewegung, den Zeigefinger als Taktstock verwendend, diesen Orkan der Bewegung in Ruhe und Gelassenheit enden lässt. Das Aus-der-Haut-Fahren. Der stumme Aufschrei. Punkt. Aus. Weiter so. „Wir horchen in uns hinein und wissen nicht, welches Meeresrauschen wir hören.“ An diesen Satz von Robert Musil musste ich denken, als ich die Bilder Jobst Günthers, die dieser Katalog präsentiert, betrachtete. Da ist wieder die Bewegung. Allein jetzt eine Bewegung, die ganz von innen kommt und innen bleibt, die menschliche Subjektivität an andere Sphären koppelnd. Diese Bewegung – auch das ist ein großer Unterschied – endet nicht. Sie ist eine unendliche Bewegung. Ja, sie ist eine unendliche Bewegung, die Verwandlungen einschließt. Diese Verwandlungen sind Teile von überlieferten Erzählungen und Mythologien, die Günther mit den Mitteln seiner Kunst sichtbar, aber zugleich auch unsichtbar werden lässt. Das M e e r e s raus c h e n , d as wi r i n un s h ör e n , von de m Mu si l s pr i c ht , wi rd i n d e n Ge m äl d e n von Jobs t Günt h e r zu M e e r e s (- i r r - )f ah r t e n dur c h d i e Ge s c h i c ht e . Auch das Wir-wissen-nicht-welches-Meeresrauschen-wir-hören, auch dieses Nicht-wirklich-wissen-können, davon handeln die Bilder. Aus „Die Fahrten des Odysseus“ 75x48cm -8- -9- Wer glaubt, das Ineinander von Bewegung und Verwandlung, das aus der Tiefe der Bilder auftaucht, findet in einem Rahmen, in einem Bild, in einer Darstellung sein Ende, der irrt. Diese Bewegungen und Verwandlungen strömen durch die Bilder hindurch. Alle Bilder zusammen sind eine unabschließbare Bewegung und Verwandlung. Selbst dort, wo wir glauben einzelne Motive und Symbole zu erkennen – Schiffe, Delphine, Matrosen, einen Mast, der sich in einen Weinstock verwandelt (gemäß der Vorlage einer antiken Trinkschale mit diesem Motiv) – handelt es sich um viel mehr, um viel offenes Meer. Um blaues Licht, entflammtes Rot, durchsichtige Dunkelheit, sich überlagernde Helligkeiten, um Wirbel, in denen Himmel und Meere sich mischen, spiegeln, untrennbar eins bilden. II Worin ähneln sich, was unterscheidet Jobst Günthers und meine Arbeiten? Während die gängige Soziologie im Grunde (und zuweilen unwillentlich) nicht mehr singt als das Lied der Bundesrepublik Deutschland wie sie ist, wollte ich von Anfang an mehr: ein neues Lied, die Musik der Zukunft. Während der soziologische Mainstream (in all seiner Theorienvielfalt) verwaltete, trieb es mich ins Labor. W ä h r e n d i ch daran g i n g, der G egenwar t z ukünftige P o t e nt i ale abzu lau sch en , ging J ob st G ünther d aran, d er Ge g e nwar t vergan gen e Po tentiale ab z ulausc hen. Mein Schlüssel zu den verschlossenen Toren der Zukünfte ist der Begriff des Risikos, der Risikogesellschaft, der Weltrisikogesellschaft. Jobst Günther schließt die Tore zu den gegenwärtigen Potentialen der Vergangenheit, in diesen Bildern mit den Begriffen „Zeitspuren“, „Zeitschichten“ auf. Beide also sind wir mit der Triade von VergangenheitGegenwart-Zukunft und ihren epochalen Mischungsverhältnissen befasst. Stellt man sich auf den Standpunkt der Schlüsselbegriffe, um die Jobst Günthers Arbeiten kreisen – Zeitspuren, Zeitschichten –, dann weist mein Denkansatz einen eklatanten Mangel auf. Er besteht unreflektiert auf der Gedächtnislosigkeit des Risikos. Anders gesagt: Er konzentriert sich auf die horizontale Achse der Raumdimension, auf die Globalität des Risikos und klammert die vertikale Achse der Zeitdimension, das „multiple Gedächtnis“ globaler Risiken aus. (Daran arbeite ich.) Ich habe lange Zeit weder eindringlich genug nach den kontextuellen, pfadabhängigen Formen der Vergegenwärtigung der Vergangenheit, noch an den Formen der Verschmelzung von vergegenwärtigter Vergangenheit und vergegenwärtigte Zukunft in globalen Risikokonflikten gefragt. Was ich damit meine, sei ganz kurz an einem Beispiel veranschaulicht. III Biomedizin (pränatale Diagnostik, Stammzellenforschung, Klonen von Menschen): Diese Zukunft und die in ihr versteckten globalen Risiken öffnen den Blick für Gleichheit und Globalität, der mit den bisherigen anthropologischen Gewissheiten von Geburt, Mutterschaft und Vaterschaft usw. bricht. Doch in einem ganz prinzipiellen Sinne sind diese Gleichheit und Globalität abstrakt, weil sich die „Objektivität“ des globalen Risiko-Chancen-Raumes immer schon in der Vergegenwärtigung der kontext- und pfadabhängigen Vergangenheit bricht. Der Bruch mit der Tradition wurde als Bruch mit der Vergangenheit gedacht. Die politische und gesellschaftliche Dynamik des globalen Risikos sollte als Manual zur Ankunft in der Gegenwart dienen, die die Zukunft in sich trägt. Die Notwendigkeit, die Verbindung oder auch den Zusammenprall von vergegenwärtigten Vergangenheiten und Zukünften zu entschlüsseln, tritt besonders eindringlich darin hervor, wie Deutschland und Israel – und zwar jeweils in der Erinnerung des Holocaust! – zu genau entgegengesetzten Bewertungen und damit „Realitäten“ kommen: Die engen moralischen Grenzziehungen der deutschen Bio-Ethik sind geprägt von den Nürnberger Prozessen, als SS-Ärzte sich für ihre Verbrechen an Juden und anderen Gruppen verantworten mussten. In Deutschland ist der Begriff Eugenik Zukunft: Globalität, für U.B. 55x40cm belastet, in Israel ist er es nicht. - 10 - - 11 - In gewisser Weise habe ich, vereinfacht gesagt, den Bruch zwischen Erster und Zweiter Moderne als Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart an zwei Merkmalen festgemacht: erstens Globalität und zweitens Gleichheit des Risikos in der radikalisierten, kapitalistischen, nationalstaatlich organisierten Moderne. Zionismus und Eugenik schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Die Zionisten propagieren den gesunden und starken „Muskel-Juden“ als Gegenmodell zu dem unterdrückten Diaspora-Juden. In der liberalen Praxis der Biomedizin lebt der Wunsch nach einem „besseren Menschen“ weiter. Verallgemeinert gesagt: Globale Risiken sind nicht gleich globale Risiken. Ihre „Realität“ (und nicht nur ihre Bewertung!) entsteht aus den zu entschlüsselnden, ineinander verschmolzenen, vergegenwärtigten Vergangenheiten und Zukünften. Wobei die Frage, ob die Vergangenheit die Zukunft oder die Zukunft die Vergangenheit dominiert – kontext – und themenspezifisch beantwortet werden muss, also empirisch offen ist. IV Auch die Schlüsselbegriffe „Zeitspuren“, „Zeitschichten“, die die Arbeiten von Jobst Günther anleiten, dürfen nicht objektivistisch missverstanden werden, sind sie doch an den subjektiven Modus der Vergegenwärtigung derselben rückgebunden. Das zeigt sich exemplarisch auf dem Bild Seite 3 (Dionysos, auf der Überfahrt von Asien nach Griechenland, Verwandlung der „räuberischen“ Matrosen in Delphine, der Mast wird zum Weinstock); aber auch beispielsweise im Bild S. 15 – Atlantis (die Gestalten oben, Satyrn etc., also Mensch-Tier-Pflanze-Einheit) sowie im Bild S. 52, das frühe Europa, jetzt, ansatzweise in Spannung gesetzt zur damaligen arabischen Hochkultur (Nord-Süd) usw. usf. Sind das doch Kompositionen von Zeitspuren, Zeitschichten, die im Horizont und den Bildern des Malers Jobst Günther ihre Bedeutungen gewinnen. In der westlichen Perspektive wird die geistige und institutionelle Transformation der Zeitlichkeit im Allgemeinen in drei Epochenbrüchen gedacht: Am Beginn der menschlichen Geschichte wurde die Zeitdimension mythisch verstanden. Der einzige Weg, der menschlichen Existenz Sinn zu verleihen, lag darin, die Existenz mit der heiligen Zeit durch Feste und Rituale in Verbindung zu setzen und auf diese Weise diesseitige und jenseitige Existenz miteinander zu verbinden. Bereits die frühen Staaten unternahmen den Versuch, diese Vielfalt mythischer Zeittradition aufzulösen und zu assimilieren, indem sie zu einem einheitlichen Zeitrahmen verschmolzen wurden, und zwar einem Zeitrahmen, der vom Staat selbst kontrolliert und definiert werden konnte. Auf diese Art und Weise verlor die Zeit ihre mythologischen Horizonte und wurde politisch gestaltbar. - 12 - Schon bald nachdem die frühen Staaten sich etabliert hatten, begann eine Priester-Klasse diese politisch gestaltbar gewordene Zeitlichkeit mit primär religiösen Bedeutungen und Symbolen neu zu interpretieren. In der christlichen Ära tauchte ein machtvoller, neuer Impetus auf, der die religiöse Definitionsmacht der Zeitdimension stärkte. Die frühe Christenheit führte eine radikal neue Konzeption der großen Zeitspannen ein, die dauerhafte Spuren im Westen für nahezu 2000 Jahre hinterließ. Während dieser langen Periode vom späten römischen Imperium zum Mittelalter dominierte die Religion, nicht die Politik das Zeitverständnis. Aber dieses änderte sich dramatisch in der sogenannten Frühen Neuzeit, das heißt, im 15. bis 18. Jahrhundert in Europa. Dies war die Zeitspanne, in der die neuen Nationalstaaten Europas damit begannen, ihren Anspruch auf Autorität und Legitimität gerade auch im Hinblick auf die Kontrolle der Zeit gegen die religiösen und traditionalen Institutionen durchsetzen. So entstand ein zugleich nationales und universelles Regime der staatlich kontrollierten Zeit-Hegemonie. V Di e s e konve nt ion e l le S i c ht d e r e poc hale n Ze it d e f i n it ion wi rd i n d e r Ge ge nwar t auf v i e l f ält i ge We i s e auf ge br oc h e n . Dar i n z e i gt s i c h – be i al le n Unt e r s c h i e d e n – e i n e ve rd e c k t e Ge m e i n s am ke it z wi s c h e n Jobs t Günt h e r s B i l d e r f olge „ Ze it s pur e n , Ze it s c h i c ht e n “ un d m e i n e n Ar be it e n z ur We lt r i s i koge s e l l s c haf t un d Zwe it e n M od e r n e . Das Neue Universum - 13 - 105x80cm Was geschieht, wenn die Vergangenheit des Fortschritts durch die Neuartigkeit und alles in Frage stellenden Folgen des Fortschritts in der Weltrisikogesellschaft diskreditiert wird? Anders gesagt, wie erfahren wir die Zeittriade Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, wenn die Vergangenheit gerade keine verlässlichen Leitlinien für den Umgang mit riskanten, katastrophischen Zukünften enthält, die aus den Siegen der Moderne hervorgehen (Finanzkrise, Klimawandel, Terrorismus)? Oder, im Sinne Jobst Günthers gefragt: Welche Bedeutungen gewinnen die Vergangenheiten, wenn die Dominanz der Zukunft, die das Wesen der Moderne ausmacht, sich zur Bedrohung der moralischen und physischen Selbstzerstörung verfinstert? Kann man dann noch im eigentlichen Sinne von „Vergangenheiten“ sprechen? Sind diese Vergangenheiten überhaupt vergangen? Oder mischen sich in ihnen sogenannte Vergangenheits- und sogenannte Zukunftspotentiale auf neue Weise? Wie können wir davon wissen? Berichten? Wem? In welcher Sprache? In diesem Lichte betrachtet sind die filigranen Farb-, Bewegungs- und Verwandlungsstudien, die Jobst Günther in diesem Katalog präsentiert, mehr als Befunde einer Archäologie der Malerei. Werfen Sie doch die Frage auf: W i e w i rd i m Z eitalter d er verlorenen Sic herheit ü b e r Tau sen de vo n Jah ren hinweg d as G esp räc h mit d en Ve r ga n gen h eiten m ö g li ch , d ie wir d oc h sind ? Ulrich Beck, geboren 1944, Professor für Soziologie an der Universität München und der London School of Economics and Political Science. Im Suhrkamp Verlag erschienen u.a.: Risikogesellschaft, Was ist Globalisierung, Weltrisikogesellschaft. - 14 - Atlantis I - 15 - „ ... die Seele ist zugleich mit dem Himmel entstanden.“ Plato Atlantis II - 16 - - 17 - Nereus Eine Bucht in der Ägäis 70x50cm - 18 - - 19 - „Die ganze Nacht hindurch segelte er darauf, segelte über dieses träge Wasser, bedeckt mit dem Moder des Alters, schwarz von verfaulenden Binsen, überwuchert von Geschling und Lilienblättern, (...) und von Irrlichtern beleuchtet, Feuern, gehütet von Geistern Abgeschiedener, in ihren trostlosen nächtlichen Lagern.“ Aus Henry W. Longfellow „The song of Hiawatha“ Übersetzung nach C. G. Jung, Symbole der Wandlung Nachtmeerfahrt 75x40cm - 20 - - 21 - Persephone I Persephone II - 22 - - 23 - „Es ist, sage ich, der göttliche Geist das Hervorbringende der Formen, (die) die Ideen sind. (So) wie der menschliche Geist das Hervorbringende der Kunstvollen (künstlerischen) Formen ist.“ Thierry von Chartres zitiert nach Roland Halfen, Chartres Studien zur Kathedrale, für Thierry von Chartres - 24 - - 25 - Studien zur Kathedrale von Chartres II Studien zur Kathedrale von Chartres III - 26 - - 27 - „ .... wie leicht doch ist es, verglichen mit jener salzigen Flut, aus der sich das Kretische Eiland erhob, wo bei den doppelsichelnen Hörnern des nächtigen Stiers Mond, Meer und Nacht die labyrinthische Irrnis erfüllte. Wäre Ariadne nicht, keiner entstiege dem Dunkel der Seele.“ Aus Jean Gebser, Das Ariadnegedicht Alteuropa (Kreta) - 28 - - 29 - Minos I Minos II - 30 - - 31 - Nachtmeerfahrt II Hüterin der Erinnerung 75x40cm - 32 - - 33 - „Zum Richtstuhl gingen die Rater alle, heilge Götter, und hielten Rat: für Nacht und Neumond wählten sie Namen, benannten Morgen und Mittag auch, Zwielicht und Abend, die Zeit zu messen.“ Aus der Edda: „Der Seherin Gesicht“ Thor I - 34 - - 35 - Thor II Überfahrt - 36 - - 37 - Über die Pyramiden: „Das sind Bauten, die sogar die Zeit fürchtet, und es fürchtet doch alles in der sichtbaren Welt die Zeit“ Umara Al Jamani († 1175) Im Schatten der Pyramide - 38 - - 39 - 70x50cm Sphinx I Sphinx II - 40 - - 41 - Der Schatten des Enkidu aus dem Totenreiche zu Gilgamesch: „Rede, rede, mein Freund! Das Gesetz der Erde, die du sahst, verkünde mir jetzt!“ Und die Antwort lautet: „Ich kann es dir nicht sagen Freund, ich kann es dir nicht sagen. Kündete ich dir das Gesetz der Erde, die ich schaute, du würdest dich niedersetzen und weinen.“ Aus dem Gilgamesch-Epos Landschaft mit Pyramide - 42 - 80x50cm - 43 - Menschen in Babylon I Menschen in Babylon II - 44 - - 45 - Babylon 105x80cm - 46 - Vulkan 105x80cm - 47 - Kolosseum I Kolosseum II - 48 - - 49 - „Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! Nord- und südliches Gelände Ruht im Frieden seiner Hände.“ Aus „Talismane“, West-Östlicher Divan, J. W. Goethe Blitze 100x85cm - 50 - - 51 - Europa um 1000 Persischer Garten I - 52 - - 53 - Persischer Garten II Europa um 1000 (Lukas) - 54 - - 55 - Mit Giotto I Mit Giotto II - 56 - - 57 - Für Kepler I Für Kepler II - 58 - - 59 - „ ... die Eroberung des Himmels (ist) in Wahrheit der Versuch, die Erde zu erobern, der Griff nach den Sternen in Wahrheit ein Griff nach der Pistole.“ Jürgen Dahl, Der Tag der Astronomen ist die Nacht „I want to be a machine“ Andy Warhol Nachtflug 75x20cm - 60 - - 61 - Mondstein „Moon Dance“, Michael Jackson 105x70cm 105x70cm - 62 - - 63 - Berlin, 19.3.45 Lieber Herr Oelze, (...) oder ist es Alarm oder Voralarm, Telefon geht kaum noch irgendwo, die Verkehrsmittel sind unzuverlässig, kaum noch in Betrieb. Tags Staubstürme von den Trümmerhaufen, nachts fallen die Fensterscheiben heraus, die Ruinen heulen u. stürzen ein, Zeitzünder gehn hoch in grossen Massen u. die Wände zittern. (...) Eine verlorene Stadt. Aus Gottfried Benn, Briefe an F. W. Oelze Mitte des 20. Jahrhunderts (Sphinx III) - 64 - - 65 - Berliner Reichstag, verpackt Prometheus 70x50cm - 66 - - 67 - Jobst Günther Geboren 1943 in Reichenbach/Vogtland. 1964 Abitur in Hannover, 1964-1970 Studium an der HdK Berlin, Meisterschüler von Prof. Thieler. Seit 1971 Arbeit als Kunstpädagoge u.a. bis 1985 an der Rudolf Steiner Schule Berlin Zehlendorf. 1985 Gründung der Kunstschule-Kreuzberg, freie pädagogische und künstlerische Tätigkeit. Seit 2004 Teildeputat an der Waldorfschule Potsdam. Seit 2004 wohnhaft in Bahnitz, Havelland. Ausstellungen Zunächst im Stil des „Kritischen Realismus“ u.a. 1969 Galerie Poll, Berlin und bis 1975 beim Deutschen Künstlerbund. Ab 1976 künstlerische Neuorientierung, Ausstellungen in Berlin, Basel, Stuttgart und Norwegen. Seit 1992 Beginn der Arbeit am Thema: „Zeitspuren-Zeitschichten“ (Anfang der eigentlichen Arbeit), Ausstellungen in der Kunstschule Kreuzberg, 2000 Kaspar-Hauser-Forum Berlin, 2005 Kunsthof Bahnitz, 2011 Kunsthalle Bahnitz. - 68 - - 69 -
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