Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet

Predigt am 03.01.2016
Jes 66,10-13a: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet
Liebe Gemeinde,
vielleicht mussten Sie bei Lesung von K. K. schmunzeln. Auf den ersten Blick scheint es so,
dass die Schüler des Propheten Jesaja mit ihren weiblichen Gottesvergleichen ein wenig über
das Ziel hinaus geschossen sind:
„Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken
an den Brüsten ihres Trostes;
denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen
an dem Reichtum ihrer Mutterbrust.“ (Jes 66,11)
Ein genauer Blick in den Text klärt uns auf: Der Muttermilchvergleich bezieht sich auf die Stadt
Jerusalem, auf Zion, auf den Sitz Gottes.
Mit Jerusalem verbinden wir heute eher Streit und Unfrieden. Denken wir stattdessen an Rom,
so leuchtet uns der Vergleich eher ein: Es gibt Städte, in denen hat der Glaube so viele
bauliche Spuren hinterlassen, dass wir allein aus dem Betrachten der Bauten Kraft für unseren
Glauben ziehen. Und wem Rom zu katholisch ist, der denkt vielleicht an Eisenach oder
Wittenberg.
Nicht nur Bauwerke vergangener Zeiten können unseren Glauben von heute bestärken, auch
Gemälde und Gesang. Die Weihnachtszeit mit all ihren vertrauten Liedern ist so eine
Möglichkeit, den Glauben von heute mit Liedern von gestern zu stärken.
Und doch: Sei es Jerusalem oder Rom oder Eisenach, seien es Gemälde oder Gesang, ohne
den eigenen Glauben bleiben alle diese Stätten und Werke hübsch fein anzuschauen, aber sie
tragen nicht durch die schweren Zeiten des Lebens.
Da liegen zwei Menschen im Krankenhaus, die in ihrem Leben vielleicht die gleichen Orte
besucht haben. Und vielleicht hören beide gerade Weihnachtslieder über den Kopfhörer.
Der eine trauert den vergangenen Zeiten nach. Und beim Klang der Weihnachtslieder wird er
noch trauriger.
Der andere denkt vielleicht gerade an den gleichen Ort. Er denkt an das sonnendurchflutete
Fenster der Kathedrale. Oder er denkt an die kleine Stube auf der Wartburg, in der Martin
Luther die Bibel übersetzte, damit jeder sie lesen kann. Und beim Klang der Weihnachtslieder
in seinem Ohr lauscht er dem Text:
„Was hast du unterlassen, zu meinem Trost und Freud,
als Leib und Seele saßen, in ihrem größten Leid?
Als mir das Reich genommen, da Fried und Freude lacht,
da bist du, mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht.“
(EG 11,3)
Die Schüler des Propheten Jesaja sind nicht über das Ziel hinaus geschossen. Fromme Orte
können eine Kraft entfalten, die stark macht und beruhigt, beides zugleich, so wie die
Muttermilch für das kleine Kind.
„Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken
an den Brüsten ihres Trostes;
denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen
an dem Reichtum ihrer Mutterbrust.“ (Jes 66,11)
Die Schüler des Propheten schreiben weiter – nun spricht Gott selbst:
„Siehe, ich breite in Jerusalem den Frieden aus wie einen Strom
und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach.
Jerusalems Kinder sollen auf den Armen getragen werden,
und auf den Knien wird man sie liebkosen.
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. […]“
(Jes 66,12-13a)
Es sind nicht die 3.000 Jahre alten Steine, von denen die Kraft ausgeht. Es ist nicht das Talent
von Michelangelo oder Lukas Cranach oder Rembrandt, von dem die Kraft ausgeht. Es sind
nicht die Noten, von denen die Kraft ausgeht. Die Kraft geht von Gott aus, zu dessen Ehre die
Steine einst aufgetürmt wurden. Die Kraft geht von Gott aus, zu dessen Ehre die Künstler aktiv
wurden. Die Kraft geht von Gott aus, den die Lieder besingen.
Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Gertrud Deppe aus Baden-Württemberg hat das Lesezeichen zur Jahreslosung gestaltet. Mutter
und Kind gehen ineinander über. Das Kind in orange ist der wärmste Farbton. Der Kopf des
Kindes neigt sich zum Herzen der Mutter. Hier hat das Orange seinen tiefsten Ton. Glaube,
Liebe, Hoffnung. Drei markante Farben begegnen uns in dem Bild: der blaue Mantel der Mutter
steht für die Treue des Glaubens, das rote Herz steht für die Liebe, das Grün im Kleid steht für
die Hoffnung. Die Hoffnung ist die Mischung aus dem Blau der Treue und dem Gelb des
Kreuzes. Das Kreuz gehört in diesem Bild fest dazu, vor allem mit der Mutter ist es eng
verbunden. Dennoch kann sie trösten. Das Herz steht vor dem Kreuz.
Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Der Trost setzt voraus, dass wir in unserem Leben Dinge erleben, die wir allein nicht
verkraften. Und natürlich setzt der Trost voraus, dass wir uns trösten lassen! Ein Kind schreit
nach seiner Mutter, wenn es Angst hat. Das Kind streckt die Arme aus. Auch wenn es nicht
sprechen kann, die Botschaft ist klar: „Komm, hilf mir, nimm mich in den Arm! Tröste mich!
Bring mich in Sicherheit!“
Sie können das Lesezeichen als Kunstwerk betrachten. Entweder es gefällt Ihnen oder es
gefällt Ihnen nicht. Letztlich ist das aber nicht die Frage. Die Frage ist, ob sie die Botschaft des
Bildes in Ihr Jahr 2016 mitnehmen möchten. Wollen Sie sich trösten lassen? Riskieren Sie es,
nach Gott zu schreien, wenn Sie Angst haben? Rufen Sie zu Gott: „Komm, hilf mir, nimm mich
in den Arm! Tröste mich! Bring mich in Sicherheit!?“
Wer in seinem Gebet so zu Gott ruft, der riskiert etwas. Denn anders als die Kinder haben wir
den Zweifel im Hinterkopf: Sollte sich Gott wirklich um mich kümmern? Kümmert sich Gott
wirklich um mich – hier im Krankenhaus, hier in meiner kleinen Wohnung? Ist Gott wirklich wie
eine Mutter, die mich in den Arm nimmt, die mich tröstet, die mich in Sicherheit bringt?
Die Baumeister und Künstler haben versucht, dieses Vertrauen zu fördern. Aber letztlich muss
jeder für sich selbst das Wagnis eingehen, hinter die Bauten, hinter die Gemälde und hinter die
Noten zu schauen! Gott, bist du da und nimmst mich in den Arm, wenn es hart auf hart
kommt?
Gott hat es seinem Volk versprochen: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“
Dass das Leben glatt und ohne Sorgen abläuft, das hat Gott uns nicht versprochen. Aber dass
er immer für uns da ist, daran erinnert uns die Jahreslosung 2016: „Ich will euch trösten, wie
einen seine Mutter tröstet!“
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle [unsere] Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Jesus Christus.“ (Phil 4,7) Amen.
Liedeinspielung: Arne Kopfermann, Ich will euch trösten,
https://www.youtube.com/watch?v=pxnjncrcSlA