Predigt zur Jahreslosung 2016 „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jes 66,13) Altjahresabend 2015 (31.12.2015) – 17 Uhr, Bergkirche Büchenbronn I Am liebsten, ihr Lieben, würde ich heute Abend nur Gedichte lesen. Worte, die uns über die Realitäten hinausblicken lassen. Klingende Wortmelodien, die uns in eine andere Welt entführen: in wirklichkeitsgetränkte Visionen, wie sie Erich Fried verdichtete; in wunderbare Traumlandschaften, wie sie Hermann Hesse hervorzauberte; in göttliche Gegenden, wie sie Hanns Dieter Hüsch verwortete. Ich möchte Euch Traumwelten vorzaubern, die euch verzaubern. Die euch wieder zu Kindern werden lassen, denen vor nichts bang ist; die in die Welt blicken und sich in ihr geborgen wissen, weil es Vater und Mutter gibt. Die die Welt nicht kennen als zerrissene und grausame, sondern als Gottes gute Schöpfung. Von dieser Welt möchte ich euch erzählen, damit ihr eure eigene Welt ein bisschen besser ertragen könnt: die vielleicht zerrissene und grausame, die unberechenbare, die des wachen Blickes bedarf und den Traumblick nicht erlaubt. Heute Abend möchte ich von der Traumwelt Gottes erzählen: an diesem Abend zwischen den Jahren, an dem der Lärm die Ruhe übertönen möchte. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, spricht Gott (Jes 66,13). Davon will ich erzählen: vom Gott, bei dem man träumen darf und ganz Kind sein kann. Ungeschützt und unbedenklich, mitten in der Welt. Erich Fried, Letzte Warnung Wenn wir nicht aufhören uns mit unseren kleinen täglichen Sorgen und Hoffnungen unserer Liebe unseren Ängsten unserem Kummer und unserer Sehnsucht zu beschäftigen dann geht die Welt unter 1 Und wenn wir aufhören uns mit unseren kleinen täglichen Sorgen und Hoffnungen unserer Liebe unseren Ängsten unserem Kummer und unserer Sehnsucht zu beschäftigen dann ist die Welt untergegangen1 II Inmitten in die Welt gesprochen ist dieses Wort des Propheten Jesaja - inmitten seine Welt, inmitten unsere Welt: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, spricht Gott (Jes 66,13). Zerbrochene Hoffnungen bestimmen das Volk, an das Jesaja schreibt. Verfolgt sind die Menschen, heimatlos: zerstört ihre heilige Stadt auf dem Berg, Jerusalem mit Namen. Kaum Brot zum Essen, nur Wasser zum Trinken. Schutzlos sind sie und orientierungslos. Wissen nicht mehr, wo es langgehen soll. Suchen nur noch Halt und Trost; haben bittere Gedanken des Zorns und der Vergeltung im Herzen. Babylon im Jahr 586 vor Christi Geburt? Die Welt im Jahr 2015 nach Christi Geburt? Egal; ganz egal. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, richtet da der Prophet dem Volk aus: Wort Gottes gesprochen in bittere Welt; eine Traumwelt aus Zärtlichkeit und bergendem Schutz klingt auf. Einmal nicht nachdenken müssen, ob’s recht ist, dass Gott nicht strenger Patriarch und noch strengerer Richter ist. Weggewischt ist die Sorge davor; die Sorge, die aus dem Gestern das Heute bestimmt und kein Morgen mehr zu denken erlaubt. Gott ist tröstende Mutter: so glaubt’s doch endlich. Habt ihr noch das Bild vor Augen: beim Spielen auf der Straße oder dem Gehweg - ein fröhliches Spielen ist es, ein Toben und Jauchzen und Singen und Springen! Hingefallen ist man schnell, die Knie aufgerissen, und schlimmer noch vielleicht: so plötzlich aus der Freude in den Schmerz hinein: nur Weinen und Schreien statt Singen und Springen. Hinrennen zur Mutter: dort sitzt sie ja und ist für einen da. Den Kopf an ihr bergen, den sie sanft streichelt; den Schmerz streichelt sie weg und alle Verzweiflung. Ist da; einfach da, und fragt nichts, sie weiß ja schon alles. Dort ist es sicher und warm; dort kommt die Welt in Ordnung. 1 E. Fried, Letzte Warnung. In: Ders., Gründe. Gedichte. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. Hg.v. K. Wagenbach, 13. Aufl., Berlin 2005, 123. 2 Hermann Hesse, Absterben Wenn ich Kinder spielen sehe Und ihr Spiel nicht mehr verstehe Und ihr Lachen fremd und töricht klingt, Ach das ist vom bösen Feinde, Den ich ewig ferne meinte, Eine Mahnung, die nicht mehr verklingt. Wenn ich Liebesleute sehe Und zufrieden weiter gehe Ohne Sehnsucht nach dem Paradies, Ach das ist ein still Verzichten Auf des Herzens tiefstes Dichten, Das der Jugend Ewigkeit verhieß. Wenn ich böse Reden höre Und mich nicht mehr heiß empöre Und gelassen tu, als hört ich's nicht, O dann zuckt im Herzen, Still und ohne Schmerzen, Und erlischt das heilige Licht.2 III Inmitten in die Welt gesprochen ist dieses Wort des Propheten Jesaja - inmitten seine Welt, inmitten unsere Welt: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, spricht Gott (Jes 66,13). „Tröste deine Menschen“: unter diesem Titel hat Gottfried Heinzmann die Jahreslosung vertextet, und Hans-Joachim Eißler hat sie vertont. Sie vergegenwärtigen uns den Trost Gottes: : Einspieler „Tröste deine Menschen“3 „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“, spricht Gott. An der Jahreswende ist das ein gutes Motto: das Alte im Blick und nicht vergessend, aber das Neue vor Augen und hoffnungsvoll erwartend. „Das Alte ist vergangen; siehe, Neues ist geworden“, schreibt der Apostel Paulus in 2. Kor 5,17b. Er meint damit die neue Existenz der Christen, „aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus“, wie er fortfährt (2. Kor 5,18a). 2 H. Hesse, Absterben. In: Ders., Musik des Einsamen, Köln 2010, 19. G. Heinzmann/ H.-J.Eißler, „Tröste deine Menschen“. Lied zur Jahreslosung 2016, Rechte: buch+musik ejwservice gmbh, Stuttgart. 3 3 Was mag euch bestimmen an Gedanken in diesem alten Jahr? Welche Hoffnungen und Wünsche mögt ihr haben für das neue? Ich weiß es nicht; Gott wohl. Und Gott ist ja für einen da. Den Kopf bei ihm bergen, den er sanft streichelt; den Schmerz streichelt er weg und alle Verzweiflung. Ist da; einfach da, und fragt nichts, er weiß ja schon alles. Dort ist es sicher und warm; dort kommt die Welt in Ordnung. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, spricht Gott. Hanns Dieter Hüsch, Psalm 18: „Ich stehe unter Gottes Schutz“ Ich stehe unter Gottes Schutz Er lässt mich nicht ins Leere laufen Und macht aus mir keinen Kriegsknecht Sondern so wie ich bin bin ich sein Mensch Ich suche den Frieden und will mich nicht ausruhen Auch mit denen die noch unter Waffen stehen Anzuzünden die Erde die nicht hohl ist sondern Gottes Herz. Ich stehe unter Gottes Schutz Ich bin sein Fleisch und Blut Und meine Tage sind von ihm gezählt ER lehrt mich, den zu umarmen dessen Tage ebenfalls gezählt sind Und alle in die Arme zu nehmen Weil wir die Trauer und die Freude teilen wollen Dass beide wie Leib und Seele zusammen sind. Ich stehe unter Gottes Schutz Ich weiß das seit geraumer Zeit Er nahm den Gram und das Bittere aus meinem Wesen Und machte mich fröhlich Und ich will hingehen Alle anzustecken mit Freude und Freundlichkeit Auf dass die Erde Heimat wird für alle Welt: Durch seinen Frieden und unseren Glauben Schalom in Dorf und Stadt.4 [Jens Adam] 4 H. D. Hüsch / U. Seidel, Ich stehe unter Gottes Schutz. Psalmen für Alletage. 4. Aufl., Düsseldorf 1999, 9. 4
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