Dr. Michael Schlagheck Jahresempfang 2016 Sehr geehrter Herr Bundesminister, sehr geehrter Herr Bischof, sehr geehrte, liebe Damen und Herren, wer das Portal einer bedeutenden romanischen oder gotischen Kirche betreten will, blickt dabei oft auf eine dreieckige Giebelfläche, das Tympanon. Hier finden sich mächtige Reliefs der Evangelisten oder der Stifter und vor allem Weltgerichtsdarstellungen, in der Mitte Christus der Weltenrichter. So auch an der am Jakobsweg gelegenen Klosterkirche im französischen Conques. Dargestellt wie in einem übergroßen Lesebild das Jüngste Gericht. Besonders angesprochen hat mich jedoch in Conques diese Darstellung, die Sie auch als Karte in Ihrem Programmheft finden. Hier begegnet uns eine Figur, die so ganz anders ist als die anderen Reliefs. Wie vom Inneren des Kirchenraumes her will sie scheinbar genau sehen, wer da kommt und steckt die Nase in den Wind. Sie schiebt dazu beiseite, was doch fest gefügt erscheint. Uns überraschend bricht sie etwas auf, was doch als fest gemauert gilt und sie schaut die Pilger an. Kann man sagen, sie schiebt die Mauer beiseite, weil sie am Menschen interessiert ist, an seinem Leben mit all seinen Facetten? Auch mit diesem ungewöhnlichen Bild werben wir 2016 für die Arbeit der Akademie. Für uns ist es ein Bild der Neugier. Neugier beflügelt unser Leben, unser Suchen und Verstehen wollen. Neugier ist ein Antrieb, mit dem wir Fragen und Problemen auf den Grund gehen. Neugier motiviert uns, mit anderen Menschen neue Situationen aufzusuchen, etwas im bislang noch Unbestimmten auszuprobieren, Positionen und Überzeugungen zu befragen und zu verstehen, Neues anzueignen. Die Wolfsburg ist in diesem Sinne ein kirchlicher Ort für Neugierige. Kirche darf kein Raum sein, in dem aus Ängstlichkeit Neugier abtrainiert wird. Sie muss vielmehr ein Ort sein, an dem Menschen in vielleicht auch ungewöhnlichen Kooperationen aufmerksam sind für Lebenswirklichkeiten. Dazu schieben sie innere und äußere Sichtbehinderungen beiseite, weil es um den wertschätzenden Blick auf den Menschen geht. Diese Haltung prägt eine Gesprächskultur, die für die einzelnen ebenso wichtig ist wie für Gesellschaft und Staat. Ja, Gespräche haben Kraft! Neue Herausforderungen gemeinsam erkennen, Sachargumente abwägen, nicht vorschnell mit der zweifellos wichtigen Moral unbequeme Sachdebatten abwürgen, scheinbare Irrwege zulassen, Ungelöstes aushalten und sich von Ungewohntem irritieren lassen, fragen, was im gegebenen Fall verantwortliches Handeln heißt und dabei Werte und Tradition in ihrer Orientierungskraft befragen: Dies alles ist für eine demokratische Diskussionskultur unabdingbar, sicher gerade jetzt in diesen Wochen. So sehr nicht genug auf das überaus große Engagement so vieler in der Flüchtlingshilfe hingewiesen werden muss, gesagt werden muss auch, dass in der augenblicklichen Debatte um die Flüchtlinge mancherorts vieles von Diskussionskultur und Respekt vor Würde und Aufgabe vieler verloren gegangen ist. Für uns steht fest: Blinde Wut und Hass unter dem Deckmantel angeblicher „Besorgnis“ dürfen nie als hinreichende Gründe für irgendeine Position oder Praxis hingenommen werden. In der Wolfsburg werden wir mit verschiedenen Veranstaltungen die Diskussion über die Flüchtlingsbewegung und die Schritte zur Integration fortsetzen und dies mit vielen Ehren- und Hauptamtlichen aus Flüchtlingsinitiativen der Städte, Gemeinden und der Caritas Nach bereits erörterten Aspekten der Sicherheit, des Sozialen und der Ökonomie werden wir nun stärker auch über die Integration und das kulturelle Zusammenleben nachdenken. Bedenken werden wir auch die Rolle der Religionen und was geschieht, wenn Religionen nicht mehr selbstverständlich an Territorien und ihre Kulturen gebunden sind, ja wenn sie fundamentalistisch zu Gesellschaften und Staaten in Distanz gehen? Wie kann unter solchen Voraussetzungen Integration gelingen? Und wie können wir Christen auch eine Kultur der Aufklärung an Flüchtlinge weitergeben? Sehr geehrte, liebe Damen und Herren, Bischof Dr. Overbeck und ich freuen uns über die Teilnahme so vieler aus Bundes- und Landtag, aus Kommunalpolitik, Unternehmen, Gewerkschaften, Stiftungen und Verbänden, dem Regionalverband Ruhr, aus Gemeinden, Schulen, Räten, Caritas, Krankenhäusern und weiteren Gesundheitseinrichtungen, aus Bundeswehr, Sport, Universitäten und Kultur. Sie alle begrüße ich sehr herzlich. Wir freuen uns über Ihr Kommen. Mit Ihnen verbinden uns seit vielen Jahren Projekte, die uns wichtig sind und die hier nicht genannt werden können. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen in dieser Zusammenarbeit. Liebe Gäste. Ein offener, pluraler und demokratischer Rechtsstaat wie er uns wichtig ist, bedarf auch des Schutzes. Erlauben Sie mir daher heute Abend die ausdrückliche Begrüßung der Vertreter der Justiz und der Polizei. Ich begrüße gerade heute Abend persönlich die vier Polizeipräsidentinnen und –präsidenten von Gelsenkirchen, Hagen, Oberhausen und Recklinghausen. Herzlich willkommen. Wir sind dankbar für die Anwesenheit so vieler Ehrenamtlicher und Verantwortungsträger aus dem kirchlichen Bereich. Ich begrüße daher herzlich für viele Personen aus dem Generalvikariat Generalvikar Klaus Pfeffer, dem ich für die so vertrauensvolle Unterstützung unserer Arbeit danke, die Weihbischöfe und den Dompropst, die Vorsitzende des Diözesanrates, der Verbände und die Sprecher der gesellschaftspolitischen Räte des Bischofs. Ich begrüße die Mitglieder unseres Fördervereins sowie seinen Vorsitzenden Prof. Dr. Hans Georg Nehen und danke für alle tatkräftige Unterstützung unserer Arbeit. Traditionsgemäß findet auch der Jahresempfang 2016 mitten in einer neuen Ausstellung statt. Reclaim the city, Fotografien von Jugendlichen, die den Stadtraum des Ruhrgebietes erobern. Unter uns begrüße ich den Künstler Achim Pohl. Besonders herzlich begrüßen wir nun den Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizìere. Sie sind zurzeit als Bundesinnenminister wie kaum ein anderer im politischen Alltag gefordert. Umso mehr freuen Bischof Dr. Overbeck und ich uns mit den über 500 Gästen des Jahresempfangs über Ihr Kommen. Ihnen ein herzliches Willkommen. Gerade angesichts der Herausforderung der Flüchtlingsbewegung will ich mit dem Zitat einer Journalistin schließen, die zum Anfang des Jahres für eine neue öffentliche Kultur in unseren gesellschaftlichen Debatten geworben hat. Sie schreibt: „Wieder zu lernen, einander zuzuhören und gemeinsam zu denken – das wäre mal ein Anfang, den zu wagen und zu feiern sich wirklich lohnen würde“1. Ich wünsche uns in diesem Sinne für 2016 einen guten, gemeinsamen und gesegneten Anfang. 1 Carolin, Emcke, Anfangen, Süddeutsche Zeitung, 2./3. Januar 2016
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