Prof. Dr. Wilhelm Bauer Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart Impulsvortrag zum Thema Digitalisierung – Einfluss auf unsere künftige Arbeitswelt anlässlich der VDI-Veranstaltung Digitale (R)evolution – Wie gestalten wir die Arbeit der Zukunft? in Berlin am 24. November 2015 Es gilt das gesprochene Wort. Seite 1 Sehr geehrter Herr Staatssekretär Machnig, verehrte Mitglieder des Deutschen Bundestags, sehr geehrter Herr Präsident Ungeheuer, verehrte Mitdiskutanten der Podiumsdiskussion, meine sehr geehrten Damen und Herren, Digitale Revolution oder Evolution, keiner weiß mit Bestimmtheit, wie der Wandel vonstattengehen wird. Sicher ist nur, dass er stattfindet, denn wir sind schon mittendrin, wir sehen und erleben es jeden Tag im Privaten und zunehmend auch in der Arbeit. Aus meiner Sicht sind es drei wesentliche Elemente, die unsere Arbeit total verändern werden: wir Menschen selbst mit unseren Bedürfnissen und Bedarfen, neue – teilweise disruptive – Geschäftsmodelle und die Technologie – allen voran die Digitaltechnologie. Auf Seiten der Menschen sehe ich mit Blick auf die Zukunft vor allem die Anforderungen der jungen Menschen, der Generation Y und Z, die mit Seite 2 hoher IT-Affinität digital sozialisiert und alwaysonline sind und mit Digitaltechnik geradezu emphatisch umgehen. Eine große Affinität in der Nutzung von Apps aus dem Internet und Plattformen, von Chatrooms, WhatsApp, Twitter und Co. Auf der anderen Seite stehen die Anforderungen von älteren Menschen, die diesen Zugang so nicht haben, eventuell in Zukunft länger arbeiten wollen oder müssen. Auch sie müssen wir mitnehmen in die zukünftige Welt der Arbeit, denn niemanden mit wertvoller Qualifikation dürfen wir verlieren. Wie schon gehört erwarten wir auch wesentliche Veränderungen in den Geschäftsmodellen und Wertschöpfungssystemen, mein zweiter Treiber der Veränderung von Arbeit. Dies führt mitunter zu disruptiven Transformationen des Geschäfts, mit vielen Chancen und zugleich auch großen Risiken. Plattformstrategien scheinen besondere Bedeutung zu erlangen, smarte Produkt-ServiceLösungen sind immer mehr gefragt, im Bereich Seite 3 Mobilität mit Smart Mobility oder SharingAngeboten, in der Energieversorgung mit SmartGrid- oder Smart-Metering-Lösungen, in der Fabrik mit autonomer Logistik. Mass Customization mit Blick auf Stückzahl eins, Ondemand Produktion oder Self-Servicing sind aktuelle Stichworte in dieser Diskussion. John Naisbitt – amerikanischer Zukunftsforscher – spricht von der Sharing Economy als dem Ende der Markwirtschaft, sicherlich eine gewagte – aber bedenkenswerte These. Grundlage dafür und dritter Treiber aus meiner Sicht sind technische Innovationen im Bereich der digitalen Vernetzung, der Verfügbarkeit von immer preiswerterer Sensorik und vor allem in immer leistungsfähigeren Algorithmen und einer umfassenden Datenkontrolle. Big Data, Data Analytics und Cloud Computing sind die aktuellen Stichworte dazu. Die intelligente Interpretation und schnelle Nutzung von Daten lassen Maschinen immer natürlicher agieren und interagieren, Seite 4 autonome Systeme werden kommen: autonome Fahrzeuge sind ja gerade in aller Munde, zurecht, wie ich meine. Solche „intelligenten“ Systeme werden wir in der Wissensarbeit erleben als Expertensysteme, in der Dienstleistung als SmartService-Systeme und in der Fabrik und Logistik zum Beispiel als Montageroboter und Logistiksysteme. Das Besondere daran ist, dass diese neue autonome Technik fast wie Menschen agieren und interagieren können wird. Wir werden ganz neue Formen der Maschine-Maschine- und der Mensch-Maschine-Kooperation erleben. Die Wertschöpfung wird in einer neuen Arbeitsteiligkeit erbracht werden können. Die aktuell vieldiskutierte Mensch-RoboterKooperation ist eine Ausprägung dieser Entwicklung. Und diese Entwicklungen werden unsere Arbeit erheblich – auf längere Sicht betrachtet – wohl Seite 5 dramatisch verändern. Meine Kollegen Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson vom MIT nennen das was kommt „The Second Machine Age“ und befürchten auch ein „Race against the Machine“. Ich will nicht so weit gehen, aber die Dinge wandeln sich doch wohl grundlegend. Und damit sind wir beim Kern unseres heutigen Themas, bei der Frage, wie wir die Arbeit der Zukunft gestalten. Ich werde im Folgenden auf drei wesentliche Themen eingehen. Mein erstes Thema sind die Arbeitsinhalte und Tätigkeiten 4.0: Mit den Veränderungen in den Geschäftsmodellen und Wertschöpfungssystemen in Verbindung mit immer verfügbarer IT-Power werden die Inhalte und Aufgaben der Beschäftigten in Summe immer anspruchsvoller. Ich sehe eine Polarisierung der Beschäftigung: Einfachste Tätigkeiten, deren Rationalisierung sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen lässt wird es auch in Zukunft geben. Vor Seite 6 allem durch Algorithmen ersetzt werden die gut strukturierten und formalisierten Tätigkeiten, also das, was wir heute immer noch so gerne die Sachbearbeitung oder Facharbeit nennen. Benötigen werden wir dagegen Menschen mit hoher Qualifikation, mit Fähigkeiten zum schöpferischen und kreativen Denken, mit Systemlösungsfähigkeiten, mit sozialer Kompetenz für Planungsaufgaben, für Koordinationsaufgaben, für Dispositionsaufgaben. Und Menschen mit Digitalfähigkeiten, Mechatronik, Software, Daten, Mathematik, das sind wichtige Kompetenzen für die Zukunft. Was das bedeutet, hat Professor Ungeheuer ausführlich dargelegt, Qualifizierung auf allen Ebenen! Mein zweites Thema ist die Arbeitsorganisation und Führung 4.0: Ein wesentlicher Grund für neue Arbeitsorganisationsformen ergibt sich vor allem aus dem Innovationsgeschehen in den Unternehmen. Immer mehr Unternehmen holen Seite 7 sich neue Ideen und Impulse für Produkte und Services von außen dazu. Die Zusammenarbeit mit Start-ups, die temporäre Kooperation mit Selbständigen, mit Studierenden, Hochschulen und Forschungs-einrichtungen (zum Beispiel in OnCampus Kooperationen) oder auch die Nutzung von Crowd-Work-Plattformen werden erheblich zunehmen. Der gerade um sich greifende Begriff „CoWorking“ versinnbildlicht das Phänomen der Agilen Organisation – man könnte auch der „Schwarm-Organisation“ sagen – sehr treffend, wie ich meine. Und hier spätestens, meine Damen und Herren, kommt jetzt auch der Begriff der Flexibilität ins Spiel. Diese betrifft Arbeitszeiten und Arbeitsorte ebenso wie Entlohnungsformen und die Verbreitung „bislang noch atypisch genannter“ Beschäftigungsformen. Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Gründe für diese Seite 8 Flexibilitätsthematik: zum einen sind es die Anforderungen aus dem zunehmend globalisierten und digitalisierten und damit auch volatileren Nachfrage- und Wirtschaftsgeschehen, zum anderen sind es die Bedürfnisse und Bedarfe der Beschäftigten. Der Wunsch, mobil und von zuhause arbeiten sowie Arbeitszeiten und Arbeitsorte weitgehend selbstbestimmt festlegen zu können, ist weit verbreitet. Gründe liegen z. B. im Wunsch einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Kümmern um Haustiere und ältere Angehörige. Viele Unternehmen haben Betriebsvereinbarungen geschlossen über die Vertrauensarbeitszeit und jetzt zunehmend auch über den Vertrauensarbeitsort. Die Unternehmen müssen größere Arbeitszeitkorridore einrichten in Verbindung mit Monats-, Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten. Seite 9 Damit entstehen neue Möglichkeiten für Qualifikationsphasen (z B. Sabbaticals) oder aus dem Privaten bedingte Auszeiten. Befragungen z. B. von Stepstone oder auch der IG Metall zeigen deutlich, dass solche Angebote zu einem positiven Unternehmensimage – und übrigens auch der Gewerkschaften führen, ein wichtiges Thema im Kampf um die Talente. Aus meiner Sicht brauchen wir hier vor allem auch noch Innovationen in der gesetzlichen Rahmensetzung, in der Betriebsverfassung sowie im Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz. Frau BMin Nahles hat ja mit ihrem Grünbuch zu „Arbeiten 4.0“ den Diskurs dazu gestartet: hoffentlich wird dieser Weg auch mit der nötigen Konsequenz weiter gegangen. Alle Studien sagen voraus, dass die Unternehmen einen größeren Flexibilitätskorridor brauchen werden und der Selbstorganisation von Seite 10 Beschäftigten und Management mehr zugetraut werden müsste. Ganz moderne Organisationen schaffen mit neuen Führungsmodellen, Management-by-Empowerment oder sogenannten mitarbeiterzentrierten Unternehmenskulturen eine gute Harmonie für einen Einklang der Interessen von Unternehmen und Beschäftigten. Wir brauchen hier eine Innovationsoffensive, Experimente, Living Labs. In der Theorie ist Organisationsgestaltung nicht zu machen, dafür brauchen wir reale Umsetzungen, Betriebsprojekte, Transformations- und Change Beratung. Mein drittes Thema ist das Thema MenschMaschine-Interaktion 4.0: „Der Mensch rückt in den Mittelpunkt der Mensch-Maschine-Interaktion (MMI). Anstatt starre Vorgaben zu machen, passen sich lernfähige Maschinen zunehmend an die individuellen Seite 11 Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen an. Die Interaktion mit Maschinen nähert sich derjenigen mit Menschen immer stärker an. Der Abstand zwischen Mensch und Maschine verringert sich, teilweise löst er sich ganz auf.“ Was wie ein Zukunftsszenario klingt – ich zitiere das aus dem acatech-Dossier „Innovationspotenziale der Mensch-MaschineInteraktion“ – ist in manchen Bereichen schon Realität. Hörimplantate, am Körper getragene Sensoren und kollaborative Roboter stehen beispielhaft für eine Entwicklung, die erst am Anfang steht und in den kommenden Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen wird. Nach dem Siegeszug der Smartphones und Tablets wird sich das Prinzip der App, komplexe Anwendungen intuitiv zu bedienen, immer weiter durchsetzen – ob im Krankenhaus, beim Autofahren oder in der Produktion. Seite 12 Diese Systeme können sich durch ihre Interaktion mit ihrer Umwelt und den Nutzern weiterentwickeln, indem sie beispielsweise selbständig Bilder, Sprache oder Sensordaten verarbeiten, mit vorhandenem Wissen verknüpfen und daraus lernen (wir nennen das „Maschinelles Lernen“). Eine positive Entwicklung der Mensch-MaschineInteraktion ist kein Selbstläufer, sondern eine gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe. Auch wenn viele Produkte aktuell eine große Nachfrage hervorrufen, gibt es auch Vorbehalte und Ängste gegenüber bestimmten MMI-Technologien. Die Akzeptanz dieser Anwendungen kann nicht von außen erzeugt werden, sondern muss sich allmählich einstellen. Dafür ist ein positives oder gar begeisterndes Nutzungserlebnis von großer Bedeutung. Besonders die Einbeziehung von Nutzern in Design und Entwicklung entsprechender Produkte trägt dazu bei, diese Seite 13 Anwendungen menschengerecht zu gestalten und deren Verbreitung zu unterstützen. Es ist also dem Ansatz einer integrierten Forschung zu folgen, die ethische, soziale und rechtliche Aspekte gleichrangig zu wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Fragen in den Blick nimmt. Neben Rechts- und Haftungsfragen werden durch MMI-Technologien auch Themen der Datensicherheit und des Datenschutzes relevant, da diese Technologien oft auf der Sammlung und Vernetzung von personenbezogenen Daten beruhen. Zwar sind auf dieser Grundlage viele nutzenstiftende Angebote und innovative Geschäftsmodelle möglich. Deren Erfolg setzt jedoch eine gesellschaftliche Übereinkunft über die Grenzen der Erhebung, Weitergabe und Verwendung dieser Daten voraus. In der Arbeitswelt gehen mit den hier beschriebenen Technologien große Hoffnungen auf eine bessere Ergonomie am Arbeitsplatz und Seite 14 eine gesteigerte Produktivität einher, aber auch Befürchtungen eines Kontrollverlusts über Arbeitsabläufe und Ängste vor Arbeitsplatzverlusten. Im betrieblichen Kontext ist es daher unerlässlich, die Vielfalt der Arbeitnehmer mit ihren spezifischen Kompetenzen und Bedürfnissen zum Ausgangspunkt der partnerschaftlichen Ausgestaltung des Einsatzes der MenschMaschine-Interaktion zu machen. Um hier weiterzukommen, brauchen wir in Deutschland weltweit führende Forschungsinfrastrukturen, Innovation Labs für neue Mensch-Maschine-Interaktion in Büros, Fabriken, in der Robotik, für die Dienstleitung. Meine Damen und Herren, die digitale Transformation eröffnet eine Vielfalt an Chancen, für unsere Unternehmen, für die Beschäftigten, für unsere Gesellschaft. Aber eins Seite 15 ist sicher, wenn wir auch in dieser zukünftigen Economy 4.0 erfolgreich sein wollen, dann müssen wir uns darauf einstellen und agil anpassen. Wir können, ja wir müssen die Zukunft der Arbeit denken und entwickeln, sonst machen es andere für uns. Er gibt also viel zu tun! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Seite 16
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