„DER COACH SELBST SPIELT NICHT MIT“

INTERVIEW
„DER COACH SELBST
SPIELT NICHT MIT“
Für Beat Knechtli, der unter anderem
über das Thema „Führung“ doziert, ist
klar: Das alte Denkmodell vom allwissenden Chef ist überholt. Für ihn basiert
moderne Führungsfähigkeit auf Dialog,
Interaktion und Vertrauen.
Wie wird Führung in der Zukunft
aussehen? Führung schafft den Raum
und stellt die Mittel zur Verfügung,
damit Mitarbeitende in Ruhe arbeiten
können. Das alte Denkmodell „Der
Chef ist allwissend, allmächtig und
allgegenwärtig“ ist überholt. Zuteilen
und Kontrollieren als Führungsaufgabe wird in einer modernen Welt
nicht mehr haltbar sein. Mein Führungsverständnis macht es unproblematisch, wenn ich meinen Vorgesetzten zum Beispiel sechs Wochen nicht
sich rasant. Als Vorgesetzte sollten
wir uns darauf konzentrieren, Wegbereiter, Unterstützer, Coach zu sein
‒ wie im Sport: Der Coach spielt selber
nicht mit. Er kann Einfluss nehmen,
er hält die Dinge im Rahmen, aber
nicht im Würgegriff. Wenn während
des Spiels rasch neue Entscheidungen
zu treffen sind, rennen die Spieler
nicht hilflos zum Coach. Die Spieler
verfügen über ein eigenes Repertoire
und wissen, wie sie reagieren können.
Wie erarbeite ich Loyalität und
Vertrauen? Über Dialog. Eine Füh-
rungsperson muss in den Dialog treten
und auch Abstand von den eigenen
Meinungen nehmen können ‒ ich
nenne das „innere Diversität haben
und lernbereit sein“.
Wie geschieht das konkret? Eine
Zielvereinbarung ist ein geeigneter
Anlass zum Dialog. Es ist heute nicht
mehr dem Vorgesetzten alleine überlassen, die Ziele zu bestimmen, sondern es ist zunehmend der Mitarbeitende, der einen Vorschlag macht und
den regelmässigen Dialog mit seinem
Chef sucht. Das Ganze ist ein gemeinsamer Aushandlungsprozess.
sehe. Wir haben eine bilaterale Abmachung über meine Aufgaben und
Ziele, basierend auf gegenseitigem
Vertrauen, an die ich mich selbstredend halte.
Weshalb ist das bisherige Denkmodell nicht haltbar? Die in Unterneh-
men zu bearbeitenden Themenfelder
werden immer komplexer und unübersichtlicher. Technologien, Prozesse oder gesetzliche Vorgaben ändern
Der Mitarbeitende verfügt künftig
nicht mehr nur über ein Mitbestimmungs-, sondern über ein Selbstbestimmungsrecht und wird in die Mitverantwortung genommen. Korrekt. Was
zudem unerlässlich sein wird, sind
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INTERVIEW
Entwicklungsdialoge, nämlich die Diskussion darüber, was der Mitarbeitende
braucht, damit er die Ziele erreichen
kann. Diskutiert werden müssen Fragen
bezüglich Ressourcen, Schulung, Zeit,
Ort, etc. Verändern sich die Voraussetzungen, müssen die Ziele neu verhandelt
werden. Übrigens sind Optionen wie
Homeoffice, flexible Arbeitsmodelle und
neue Bürolösungen eine Konsequenz
dieses modernen Denkens. Unternehmen
aber, die beispielsweise flexible Bürolösungen schaffen, aber an der alten Denkstruktur festhalten ‒ kommandieren,
zuteilen und kontrollieren ‒ sind heillos
überfordert und schaffen sich dadurch
keine Vorteile.
BEISPIELE
FÜHRUNG NEU GEDACHT
Immer mehr Firmen denken
Führung neu. Diese drei
Unternehmen sind Beispiele
für besonders innovative
Ansätze.
Um auf die Ausgangsfrage zurück
zu kommen: Was beinhaltet Führung
künftig? Führung soll Sinn erzeugen und
Zusammenhalt schaffen. Dies funktioniert besser im Dialog. Dieser laufende
Dialog generiert einen ständigen
Entwicklungsprozess auf beiden Seiten.
Davon profitieren alle, Mitarbeitende,
Führungskräfte und die Organisation
als Ganzes. Führung funktioniert besser
mit gegenseitigem Respekt und in einer
symmetrischen Beziehung und nicht,
indem ich dem Mitarbeitenden vorschreibe, was er zu tun hat. Mein Ziel als
Führungsperson ist es, übergeordnete
Aspekte wie zum Beispiel die Gesamtzielsetzungen des Unternehmens in den
Dialog einzubringen. Auch mal unbequem nachzufragen gehört dazu ‒
beidseitig übrigens. Durch den Aushandlungsprozess gewinnen beide: Der
Mitarbeitende, indem er mehr Eigenverantwortung und mehr Freiraum bekommt. Der Vorgesetzte gewinnt ebenfalls mehr Freiraum, weil er weniger
Mikromanagement betreiben muss.
Das Interview führte SABINA ERNI, Beruf
und Bildung. BEAT KNECHTLI ist Inhaber
der bk Beat Knechtli Beratung, Senior
Leadership & Development Manager bei der
Baloise Group, Basel, sowie Dozent für
Führung, Wissensmanagement, Soziale
Medien und Innovation an diversen Fachhochschulen in der Schweiz (aktuell: fhnw
Die Haufe-Umantis AG, einer der führendenden europäischen Anbieter von Talent-Management-Lösungen, hat sich
dem Führungsmodell „Mitarbeiter führen Unternehmen“
verschrieben und stellt den Mitarbeitenden ins Zentrum
unternehmerischen Denkens und Handelns. So bestimmen die Mitarbeitenden die Strategie, die Führungskräfte
sowie die Prozesse gemeinsam. Einmal im Jahr wird zum
Beispiel in einer demokratischen und anonymen Wahl die
Unternehmensführung gewählt.
Die Eckpfeiler der Unternehmenskultur der Softwarefirma
Ergon sind das Vetorecht aller gegen Entscheide der Vorgesetzten und der Geschäftsleitung, die vollständige Lohntransparenz, eine offene Kommunikationskultur sowie die
Beteiligung der Mitarbeitenden an Erfolg und Risiko. Der
Fokus wird auf das Firmenziel und weniger auf individuelle
Jahresziele gelegt.
Mitarbeitende der Internet-Agentur Liip haben ein Mitspracherecht bei Projekten, bei der Gestaltung von Arbeitsabläufen und der Organisation der Firma. Die einzelnen
Teams organisieren sich weitgehend selbst. Dabei wird der
Vorgehensrahmen „Scrum“ eingesetzt. Bei dieser Arbeitsmethode, die bei jüngeren Softwarefirmen verbreitetet ist,
nehmen die Mitarbeitende von Projekt zu Projekt wechselnde Rollen ein. Im Idealfall ist jedes Teammitglied einmal Chef.
Basel und Olten, HWZ Zürich, phw Bern, ikf
Luzern, Berufsakademie KV Luzern).
SABINA ERNI, Beruf und Bildung
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