Neue Medien in der Weimarer Republik

Neue Medien in der Weimarer
Republik
• „Die alten Formen der Übermittlung nämlich
bleiben durch neu auftauchende nicht unverändert
und nicht neben ihnen bestehen. Der Filmsehende
liest Erzählungen anders. Aber auch der
Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein
Filmsehender.
Die
Technifizierung
der
literarischen Produktion ist nicht mehr rückgängig
zu machen.“ (Bertolt Brecht)
•
• Die neuen Massenmedien Film und
Rundfunk -> grundlegende Veränderung
der Kommunikation (auch der literarischen)
• Einfluss auf Produzenten, Rezipienten und
auch auf die Inhalte
• Strukturwandel der Öffentlichkeit
• Expandierender Markt für die
Unterhaltungsindustrie,
Kommerzialisierung des Freizeitverhaltens
...
• Einfluss auf die Autoren: neue Märkte (die
Filmindustrie braucht Drehbuchautoren; der
Dichterlesungen, Drameninszenierungen,
und v.a. auch „exklusive“in Rundfunktexte
-> Hörspiele. Hörfolgen ...)
• Der Schriftsteller ist in den Medien nur ein
Urheber unter vielen (Regisseur, Darsteller,
Techniker) -> Übergang vom „autonomen“
Dichter zum Textproduzenten, der nur ein
Teil eines größeren Mechanismus bildet
• Als neues (und zukunftsweisendes)
Phänomen taucht der Autorentyp, der sein
Geld v.a. mit Texten für Rundfunk, Film
(und später Fernsehen) produziert und für
den folglich Bücher nur ein
„Nebenprodukt“ sind
Einfluss auf das Publikum
• Die Möglichkeit ein viel breiteres Publikum
zu erreichen, als es für den Buchmarkt oder
das Theater denkbar war
• Dieses Publikum ist jedoch wesentlich
anders als das „bürgerliche“ Publikum des
19. Jhds.
• Übergang vom „diskutierenden“ zum
„konsumierenden“ Publikum
• Die Massenmedien lassen praktisch keinen
Raum für die Kommunikation zwischen
dem Produzent und den Rezipienten
Veränderte Rezeption
• wahrnehmungspsychologische und
ästhetische Folgen -> die neuen Medien
geben vor, die Wirklichkeit authentisch
abzubilden (v.a. dank neuen Verfahren und
technischen Neuerungen)
• Neue Montagetechniken; Zeitlupe;
Zeitraffer; Zeitsprung -> Einfluss auf die
Wahrnehmung und auch auf die Literatur
• „Verlust der Aura“ (Walter Benjamin: Das
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit“) -> das Kunstwerk
verliert seine „materielle“ Substanz / seine
„physische Präsenz“, zentral wird das
Moment der Reproduzierbarkeit
Film und Kino
• Die Anfänge des Kinos sind in Cafés von
Paris; zunächst v.a. als eine Art
„Jahrmarktsensation“ fürs Volk
• „Wanderkinos“ die zunächst in
Landlokalen, Cafés, ... spielten
• Erste Kinos entstanden v.a. in
Arbeitervierteln der Großstädte, dort wo das
Publikum ein „Massenpublikum“ war
• Das Bürgertum beachtete diese „proletarische“
Unterhaltung zunächst gar nicht
• Deutsche Firmen interessierten sich vor 1914
kaum für die Produktion, der Kinomarkt wurde
von französischen Firmen beherrscht
• Um 1910 war für einen Kinoabend etwa folgendes
Programm typisch – ganz kurze Filme – Musik,
Aktualität, Humor, Drama, Komik – Pause –
Naturaufnahme, Komik, große Attraktion,
Wissenschaft, derbe Komik
• Diese Einzelfilme waren meistens sehr kurz und
ungeschnitten
• Der Beginn des Ersten Weltkriegs -> die
politische Nützlichkeit des Films wird
erkannt
• „Das lebende Bild ist in besonderem Maße
geeignet, den Daheimgebliebenen die Taten
der Truppe klar vor Augen zu führen. Doch
auch dem Ausland soll und kann der
Kinematograph eindringlich zeigen, was
Deutschlands Heere leisten; so wird der
Film zu einem vortreflichen Mittel der
Propaganda.“
• Gründung des „Bild und Filmamts“ (Bufa)
• Später die Gründung der „Ufa“ (Universum
Film AG)
• Von 1914 bis 1922 stieg die Zahl der
„Studios“ von 30 auf 300, der Vertriebe von
50 auf 350, der Verleiher von 125 auf 375
• Am Beginn der Weimarer Republik stieg
die Filmindustrie zum drittgrößten
Industriezweig Deutschlands
• Ab 1923 (Währungsreform) ->
zunehmender Export amerikanischer Filme
• Ufa – viele historische Filme mit nationaler
Thematik („Friedricus rex“, ...)
• Versuche mit dem Film auch soziale
Themen anzusprechen und auf die
Arbeiterbewegung zu wirken -> „Mutter
Krausens Fahrt ins Glück“ (1929, Piel
Jutzi); „Kuhle Wampe“ (1932, Bert Brecht,
Slatan Dudow)
• Das Publikum in den Kinos war zunächst
kein „literarisches“ bzw. literarisch
gebildetes
• Kino war und blieb in der Weimarer Zeit
besonders ein Massenvergnügen der
Arbeiter und der kleinen Angestellten,
denen es v.a. als willkommene Möglichkeit
zur Entspannung diente
Filmautoren
• Das Kino forderte einen neuen
Schriftstellertypus, der auf seine
Beschaffenheit entsprechend reagieren
konnte
• Gleichzeitig ist der Schriftsteller hier auch
ein Teil eines ganzen Mechanismus und
daher auch nicht mehr „autonom“
• Die Drehbücher zu den bekanntesten
Filmen der Weimarer Zeit verfassten
Autoren, die im Bereich der Literatur eher
unbeachtet/ „zweitrangig“ waren
• Thea von Harbou – Vorlagen für Filme von
Fritz Lang: „Der müde Tod“ (1921); Dr.
Mabuse (1920); „Metropolis“ (1927)
• Carl Mayer – einflussreichster Autor der
Stummfilmära; „Das Cabinett des Dr.
Caligari“ (1920); „Der Gang in die Nacht“
(1921); „Der letzte Mann“ (1924); „Berlin,
die Sinfonie der Großstadt“ (1927)
Film und Neue Sachlichkeit
• „Berlin, die Sinfonie der Großstadt“
(1927) – Idee von Carl Mayer; Regie Walter
Ruttmann; Montage
• „Geheimnisse einer Seele“ (1926) –
Psychoanalyse als Thema; als Drehbuch
Berichte von Psychoanalytikern genommen
-> „Realitätsbezug“ ...
• „Westfront 1918“ (1930) – „nüchterne“
Bestandaufnahme
Rundfunk
• Seit etwa 1890 wurde der Rundfunk als
Nachrichtenmedium eingesetzt
(Kommunikation mit Schiffen, Nachrichten
in die Kolonien; Militär)
• Im ersten Weltkrieg – Heeresberichte;
Musiksendungen, Lesungen, Pressestimmen
• Die Verbreitung des Rundfunks hatte
ursprünglich v.a. wirtschaftliche Gründe –
die Industrie wollte zunächst einen Markt
für neue technische Geräte schaffen, für die
es auch ein entsprechendes Programm
geben musste-> es musste also die
Nachfrage erzeugt werden
• Diese Situation wird noch 1924 von der
Fachzeitschrift „Funk“ wie folgt
charakterisiert:
„Am Anfang jeder Entwicklung stand sonst
eine Notwendigkeit; und sie schuf sich die
Möglichkeiten: man baute eine
Eisenbahnstrecke, wenn irgendein Zweck
des Verkehrs dieses Mittel heischte ... Da
schenkte die Technik der Welt die drahtlose
Telephonie als Unterhaltungsmittel ... Wir
haben ein Mittel und wissen noch keinen
Zweck.“
• 1923 Aufnahme des öffentlichen
Sendebetriebs durch die Funkstunde Berlin
• Hans Bredow – „Vater des deutschen
Rundfunks“; äußerte sich bei der ersten
Sendung zur Funktion des neuen Mediums:
• „Das deutsche Volk ist wirtschaftlich
verarmt. Es ist nicht zu bestreiten, daß auch
die geistige Verarmung Fortschritte macht,
denn wer kann sich heute noch Bücher und
Zeitschriften kaufen, wer kann sich die
Freude guter Musik und unterhaltender und
bildender Vorträge gönnen? ...
• Erholung, Unterhaltung und Abwechslung
lenken den Geist von der schweren Sorgen des
Alttags ab, erfrischen und steigern die
Arbeitsfreude, aber ein freudloses Volk wird
arbeitsunlustig. Hier setzt die Aufgabe des
Rundfunks ein, und wenn es auf diese Weise
gelingen sollte, allen Schichten der Bevölkerung
künstlerisch und geistig hochstehende Vorträge
aller Art zu Gehör zu bringen, wenn gleichzeitig
der Industrie ein neues Tätigkeitsfeld eröffnet
und damit für Arbeiter und Angestellte neue
Arbeitsmöglichkeit geschaffen wird, dann wirkt
der Rundfunk aufbauend, und das deutsche Volk
hat ein Recht auf ihn.“
• Der Rundfunk wurde von staatlicher Seite
wesentlich strenger kontrolliert als die
Presse – ein Gesetz, dass ähnlich der
„Pressefreiheit“ auch Freiheit der
Äußerungen im Rundfunk gewährleisten
würde, kam nicht in Frage
• „Ausschuss“ zur Überwachung politischer
Sendungen
• „Beirat“ für die Kultur
• Allgemeine Charakteristika: der Rundfunk
vereinfacht die Rezeption noch mehr als das
Kino – es ist nicht mehr nötig, das Haus zu
verlassen, um an kulturellen Ereignissen
teilzunehmen
• Gefühl demokratischer Teilhabe am
literarischen / kulturellen Leben, wobei
freilich nur die Kultur des Bürgertums
berücksichtigt wurde
• Gleichzeitigkeit von Ereignis und
Rezeption -> hohe Glaubwürdigkeit des
Mediums Rundfunk bei den Zeitgenossen
Die Kunst-Frage
• Diskussionen um den Kunst-Charakter des
Rundfunks – er wurde oft mit Gattungen
aus der „traditionellen“ Literatur
verglichen; mit Märchen, antiken Sagen,
mittelalterlicher Minnelyrik und höfischer
Epik, die man als „Urformen“ der Literatur
verstand
• „Die Literatur baut mit der Sprache, welche
an sich ja noch immer ein akustisches
Element ist.“ (Alfred Döblin)
• „Der Buchdruck hat, um es ruhig
auszusprechen, die Literatur und uns alle in
einer unnatürlichen Weise zu Stummen
gemacht ... Da tritt nun im ersten Viertel des
20. Jahrhunderts überraschend der
Rundfunk auf und bietet uns, die wir mit
Haut und Haaren Schriftsteller sind, aber
nicht Sprachsteller, und bietet uns wieder
das akustische Medium, den Mutterboden
jeder Literatur.“
• Richard Kolb – „Horoskop des Hörspiels“
(1931); fasste die Diskussionen um den
Charakter des Rundfunks zusammen;
betonte die „magische“ und „kultische“
Verwendung von Sprache, das „Wort als
zeugende Kraft“, das die Außenwelt im
Inneren des Hörers zum Leben bringen
könne
• Als Musterbeispiel galt Kolb das Hörspiel
(die „Finkdichtung“) „Der Narr mit der
Hacke“ (1930) von Eduard Reinacher
• In den Hörspielen verzichtete man meistens auf
brisante politische Fragen oder präsentierte diese
aus der psychologischen Perspektive
• So z.B. Hermann Kasack „Der Ruf“ (1932) –
Arbeitslosenthematik, als Lösung des
gesellschaftlichen Problems wird hier die
Stärkung der Einzelnen durch Gruppensolidarität
angeboten, die nicht zur Veränderung der
Gesellschaft führt, sondern ein Wert in sich
darstellt
• Dieses Hörspiel wurde in der NS-Zeit nur mit
wenigen Veränderungen und dem Hinzufügen
einer Hitler-Rede gesendet
• Brecht gehörte zusammen mit Georg Kaiser,
Arnolt Bronnen und Franz Werfel zu den ersten
„Dramatikern der jüngsten Zeit“, die ihre Stücke
dem Rundfunk zur Sendung überließen; (bei
Brecht war es zunächst das Drama „Mann ist
Mann“, im Rundfunk im März 1927 gesendet)
• „Der Flug der Lindberghs“ (1929) – eine
„Rundfunk-Kantate“; Versuch die
„Lehrstücktheorie“ auf den Rundfunk zu
übertragen; auch Montage; nach 1945 als „Der
Ozeanflug“; Brecht sah die Aufführungen des
Stückes aber als ein Scheitern und beendete
zunächst die Zusammenarbeit mit dem Rundfunk
Lesungen
• Die ersten Sendungen im Rundfunk waren
literarische Sendungen – ganze
Bühnenaufführungen wurden übertragen,
einzelnen Monologe und Dialoge
vorgetragen, Märchen und kurze
Erzählungen vorgelesen; als besonders
geeignet für den Rundfunk schien die Lyrik
zu sein, die oft gebraucht wurde, um längere
Musikprogramme zu unterbrechen
• Die erste Literatursendung im deutschen
Rundfunk – Heinrich Heines „Seegespenst“
am 3. November 1923 in der Berliner
Funkstunde
• Es gab Sendungen mit Werken von Lessing,
Schiller, Goethe, Adolf Glaßbrener
(Biedermeier), Gerhart Hauptmann, Hugo
von Hofmannsthal
• Später auch Sendungen zu Christian
Morgenstern, Klabund (=Alfred Henschke)
• Ab 1925 auch Sendungen zur „jungen“
Literatur – in „Moderne Lyrik“ (April 1925)
und „Lyrik der Gegenwart“ (Juli 1925)
wurden u.a. Georg Trakl, Oskar Loerke,
Gottfried Benn oder Walter Mehring
vorgestellt
• Im Mai 1925 auch eine Sendung, die den
Künstlern der „Novembergruppe“ gewidmet
war
• Ab Oktober 1925 eine regelmäßige
Sendung mit dem Titel „Stunde der
Lebenden“ – eröffnet wurde sie von
Heinrich Mann, es folgten Rudolf
Borchardt, Alfred Döblin, Georg Kaiser,
Oskar Loerke, Else Lasker-Schüler
• Später bot der Rundfunk auch vielen noch
fast unbekannten Autoren, die Möglichkeit
aufzutreten –> typisch auch für den Rest des
20. Jahrhundert
Hörspiel
• Verschiedene Formen und Namen:
Hörbericht, Hörbild, Hörfolge und v.a.
Hörspiel
• Vom Rundfunk ausgeschriebene
Wettbewerbe um das beste Hörspiel – 1924
noch zu wenig Bewerber, 1927 v.a.
ungeeignete Texte, erst gegen Ende der
Weimarer Republik haben die Autoren
diese Form besser verstanden und auch
mehr benutzt
• Hörspiel als „Lebenshilfe“ – z.B. die
„Auditor“-Hörspiele, in denen aktuelle
Rechtsfälle szenisch thematisiert wurden
• Viele „heroische“ Hörspiele – Arnolt
Bronnen – „Michael Kohlhaas“ (1927);
mehrere Hörspiele über Sokrates von Hans
Kyser; Helden des Ersten Weltkriegs – z.B.
Ernst Johannsens „Brigadevermittlung“
(1929)
• Sozialkritische Themen (Wohnungsnot,
Arbeitslosigkeit ...) kamen praktisch nicht
vor