Pragmatik_HA2_Lösungen

Pragmatik – HA2 – Lösungsvorschläge
1. Meibauer, S.23, Aufgabe 6:
a) In semantischer Hinsicht könnte das Pronomen er sowohl Siegfried als auch Alexander als
Antezedens haben. Das heißt, die semantischen Informationen, die der Diskurs liefert,
erlauben keine eindeutige Zuordnung der Koreferenz-Beziehung. Erst die im weiteren
Diskurs folgenden Informationen erlauben es, einen der beiden Eigennamen als das korrekte
Antezedens auszumachen.
b) Die definite Beschreibung das zusammengepresste Eisenpaket bezieht sich anaphorisch auf
sein altes Auto. Um die Koreferenz zu etablieren, bedarf es auf der Seite des Rezipienten des
Hintergrundwissens, dass Autos, die zum Schrottplatz gebracht werden, dort in Paket-Form
zusammengepresst werden. Dieses Wissen setzt der Sprecher in dem Beispiel voraus. Die in
der Anapher gegebene deskriptive Information geht über das hinaus, was im Text selbst an
Information übermittelt wird. In dieser Hinsicht verhält sich das Beispiel anders als bei einer
standard-mäßigen anaphorischen Beschreibung folgenden Typs:
(1) Eine Frau und ein Mann kamen zur Tür herein. Die Frau setzte sich auf einen Stuhl.
c) Hier haben wir es mit einem Fall zu tun, in dem das referenzielle Element überhaupt nicht
ausgesprochen bzw. ausgeschrieben wird: Der Satz (i) ist kurz für den darunter stehenden (ii):
i) Auf einem beigelegten Zettel stand: fünf Minuten kochen lassen.
ii) Auf einem beigelegten Zettel stand: Die Suppe fünf Minuten kochen lassen.
Allerdings ist die Nominalphrase die Suppe hier nicht anaphorisch gebraucht, sondern
deiktisch: Der Referent bestimmt sich durch Eigenschaften des Äußerungs-Kontexts, nicht
des Ko-Texts. Die Suppe referiert auf die Suppe in dem Topf, den der Leser im Kontext neben
dem Zettel vorfindet. Da es sich um eine schriftliche Mitteilung handelt, ist der Sprecher /
Schreiber nicht bei der Rezeption der Nachricht anwesend. Man könnte in so einem Fall
ebenfalls von einer Origo-Verschiebung sprechen: Der Schreiber versetzt sich in den Leser
hinein. Dieser kann in seinem Kontext einen deiktischen Referenten ausmachen.
d) Das Pronomen es bezieht sich anaphorisch auf ihr Geld. Allerdings ist der Referent von ihr
Geld im ersten Satz Tanjas Geld, der Referent von es im zweiten Satz dagegen Sonjas Geld!
Man spricht hier von einem „Faulheits-Pronomen“ (engl. „pronoun of laziness“). Die
Besonderheit dieser Konstruktion ist die, dass die Anapher und ihr Antezedens nicht wirklich
dieselben Referenten haben. Aber: Wenn man die Antezedens-NP ihr Geld in den zweiten
Satz für es einsetzen würde, würden wir automatisch die Lesart erhalten, wonach im zweiten
Satz von Sonjas Geld die Rede ist, wie gewünscht. Das heißt, im Falle der FaulheitsPronomen erhält man die richtige Interpretation, wenn man die Antezedens-Nominalphrase
buchstäblich noch einmal an die Stelle der Anapher einsetzt:
Tanja legt ihr Geld auf der Bank an. Sonja verwahrt ihr Geld lieber im Wäschschrank.
Das ist bei der „normalen“ Anapher, bei der Anapher und Antezedens tatsächlich denselben
Referenten haben, nicht möglich, wie das folgende Beispiel zeigt:
(2a) Eine Frau kamen zur Tür herein. Sie setzte sich auf einen Stuhl.
(2b) Eine Frau kamen zur Tür herein. Eine Frau setzte sich auf einen Stuhl.
Es ist sofort deutlich, dass (2a) und (2b) nicht dieselbe Situation beschreiben können.
2. Aufgabe: Diskutieren Sie das Verhältnis der folgenden Begriffe zueinander:
- Referenz
- Deixis
- Koreferenz
- Anapher
Vorbemerkung: Alle vier Begriffe: Referenz, Deixis, Anapher, Koreferenz, sind relationale
Begriffe. Das heißt, sie beschreiben eine Beziehung zwischen mehreren Entitäten. Die
Unterschiede zwischen den Begriffen betreffen die Art der Beziehungen, und wer oder was
jeweils durch diese Beziehungen miteinander verbunden wird:
Referenz bezeichnet ganz allgemein die dreistellige Relation zwischen einem sprachlichen
Ausdruck, einem Sprecher und einer Entität in der Wirklichkeit. Sprecher benutzen bestimmte
Ausdrücke als Mittel der Referenz, d.h. Bezugnahme: z.B. Eigennamen, definite
Beschreibungen, oder Pronomen. Manchmal wird Referenz auch zu einer zweistelligen
Relation zwischen einem Ausdruck und einer Entität verkürzt. Zum Beispiel so:
Der Name Bill Clinton referiert auf Bill Clinton.
Wir können uns dies als eine Art Kurzform für die eigentlich der Sache angemessenere
Sprechweise
Der Name Bill Clinton wird von Sprechern dazu benutzt, um auf Bill Clinton zu referieren.
denken.
Deixis ist eine bestimmte Form der Referenz. Das heißt, Deixis ist ein Unterbegriff, Referenz
ist der Oberbegriff („stabile Referenz“ und „anaphorische Referenz“ wären weitere
Unterbegriffe). Die Besonderheit der deiktischen Referenz ist, dass der Referent nur dann
festgelegt werden kann, wenn Informationen aus dem Äußerungskontext berücksichtigt
werden. Deiktische Ausdrücke im engeren Sinn sind rein referenzieller Natur, d.h. die
gesamte Bedeutung, die dem Ausdruck zugeschrieben werden kann, dient ausschließlich
dazu, den beabsichtigten Referenten herauszugreifen.
Beispiele: ich hat einen menschlichen Referenten; die kontext-unabhängige Bedeutung von
ich, nämlich ‘Sprecher der Äußerung’, dient ausschließlich dazu, den gemeinten Referenten
auszusondern.
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dort hat einen räumlichen Referenten; die kontext-unabhängige Bedeutung von dort, nämlich
‘vom deiktischen Zentrum entfernte Raumgegend’, dient ebenfalls ausschließlich dazu, den
gemeinten Referenten auszusondern.
Deiktische Ausdrücke im weiteren Sinne sind solche, die neben ihrer kontext-abhängigen
referenziellen Komponente auch noch andere, beschreibende Information mitliefern.
Beispiele: kommen ist ein Prädikat, das eine Art von Aktivität beschreibt (Fortbewegung);
gleichzeit wird diese Aktivität aber nun durch Bezugnahme auf Merkmale des
Äußerungskontexts definiert: die Bewegung findet zum deiktischen Zentrum hin statt.
Levinson (2000:91) spricht deshalb kommen eine „eingebaute deiktische Komponente“ zu,
und Meibauer (2001:22) spricht einfach von einem „lokaldeiktischem Verb“. Ein semantisch
gesehen verwandter Ausdruck, der ohne eine eine solche deiktische Komponente auskommt,
wäre sich bewegen.
okay ist ein Ausdruck, der Einverständnis mit etwas (einem Vorschlag, einer Entschuldigung,
einem Sachverhalt, etc.) ausdrückt. Das ist die beschreibende Komponente seiner Bedeutung.
Das konkrete Objekt des Einverständnisses (das, womit man einverstanden ist) ist jedoch nur
aus dem Kontext (oder dem Ko-Text, siehe unten) erschließbar, genauso die Identität
desjenigen, der sein Einverständnis bekannt gibt (der Sprecher). Eine satzwertige Paraphrase
für okay wäre Dies findet mein Einverständnis. Diese Paraphrase macht deutlich, dass die
Bedeutung von okay mindestens zwei deiktische Komponenten hat (dies und mein).
dieser Fisch ist ein weiterer Ausdruck, der sowohl eine beschreibende Komponente hat (der
Allgemeinname Fisch beschreibt ein Objekt als einer bestimmten Art zugehörig), als auch
eine referenzielle Komponente: Die Nominalphrase dieser Fisch als ganze dient dazu, auf
eine bestimmte Entität zu referieren.
Anaphorik ist eine dreistellige Beziehung zwischen einem Ausdruck – der Anapher −, einem
anderen Ausdruck (dem Antezedens) und einem außersprachlichen Referenten. Wenn wir
genau sein wollen, müssen wir sogar von einer vierstelligen Beziehung zwischen einem
Sprecher, einem sprachlichen Ausdruck (der Anapher), seinem Antezedens und dessen
Referenten sprechen, wenn wir von „anaphorischer Referenz“ sprechen. Wir wollen jedoch
für den Fall der Anapher die oben bei der Definition von Referenz angesprochene Verkürzung
für uns ausnutzen und uns auf das Dreiecks-Verhältnis zwischen zwei sprachlichen
Ausdrücken und einem außersprachlichen Referenten beschränken. Die Besonderheit der
anaphorischen Referenz liegt nun gerade darin, dass sie immer vermittelt abläuft: Wenn man
das Antezedens nicht identifizieren kann, kann man auch den Referenten der Anapher nicht
identifizieren. Die so genannte „Auflösung“ einer Anapher verläuft also (sehr schematisch
gedacht) in zwei Schritten: Zuerst wird das Antezedens bestimmt, dann wird dessen Referent
als der Referent des anaphorischen Ausdrucks angenommen. Um die anaphorische Referenz
von der deiktischen Referenz zu unterscheiden, können wir sagen, dass deiktische Referenz
vom Kontext (= der physikalischen bzw. nicht-sprachlichen Äußerungsumgebung) abhängig
ist, anaphorische Referenz dagegen vom Ko-Text (= der sprachlichen Umgebung, in der sich
auch der Antezedens-Ausdruck befindet).
Koreferenz ist eine zweistellige Beziehung zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken. Zwei
Ausdrücke sind koreferent (auch: „koreferenziell“), wenn sie denselben Referenten haben.
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Man muss also Referenz von Koreferenz gut unterscheiden, obwohl die beiden Begriffe
ähnlich klingen. Referenz charakterisiert die Beziehung zwischen (Sprechern und)
Ausdrücken und außersprachlichen Entitäten, Koreferenz die Beziehung zwischen zwei
Ausdrücken. Im Begriff der Koreferenz ist die Idee des Bezugs auf einen außersprachlichen
Referenten zwar enthalten, aber nur indirekt: Für die Definition der Koreferenz ist nur
wichtig, dass die beiden Ausdrücke denselben Referenten haben; welcher dies ist genau ist,
spielt zunächst keine Rolle, denn dies klärt erst wieder die Untersuchung der Referenz des
Antezedens. Weil der konkrete Referent für den Begriff der Koreferenz nicht relevant ist, gibt
es auch das Nomen „Koreferent“ nicht. Man kann also sagen „Der Ausdruck x hat das Objekt
A als Referenten“, aber nicht „Die Ausdrücke x und y haben das Objekt A als Koreferenten“.
3. Textanalyse (Handout)
1) Wolfgang Joop begräbt Kriegsbeil
Der Modeschöpfer Wolfgang Joop (63) und ein Parkwächter von Potsdam-Sanssouci [stabil
- Eigenname] wollen ihren [direkt anaphorisch]* Streit beilegen. Mehr als drei Monate,
nachdem Joop unerlaubterweise auf dem Fahrrad mit zwei nicht angeleinten Hunden im
Schlosspark [indirekt (?) anaphorisch]** unterwegs gewesen war, hätten die Anwälte beider
Seiten [direkt anaphorisch] signalisiert, ihre [direkt anaphorisch] jeweiligen Anzeigen
[indirekt anaphorisch]*** zurückziehen zu wollen, bestätigte am Dienstag
[temporaldeiktisch] die Staatsanwaltschaft Potsdam einen Bericht der „Berliner Zeitung“
[stabil – Eigenname].
Joop [stabil – Eigenname] war Mitte Januar [temporaldeiktisch] mit dem
Sicherheitsmitarbeiter [direkt anaphorisch]**** aneinander geraten, weil er [direkt
anaphorisch] auf dem Rad mit den Hunden [direkt anaphorisch] gegen die Parkordnung
[indirekt anaphorisch]***** verstoßen hatte.
* Hier ist das Pronomen direkt anaphorisch, es kommt aber noch die Besonderheit hinzu, dass
die Anapher im Plural ist, die Antezedenten aber jeweils im Singular. Die Anapher bezieht
sich auf die referenzielle „Summe“ zweier Antezedenten im Singular. Man spricht von
„kumlativer Anapher“ („kumulativ“ = „anhäufend“).
** Ob direkt oder indirekt hängt davon ab, ob der obige Ausdruck Potsdam-Sanssouci sich
auf eine Schlossanlage als ganze bezieht, oder auf einen Schlosspark. Falls er sich auf die
gesamte Anlage (mit Gebäuden etc.) bezieht, wäre Schlosspark eine indirekte Anapher, sonst
eine direkte Anapher.
*** Auslöser für die indirekte Anapher: Streit sowie Anwälte (Hintergrundwissen: Wo ein
Streit ist, in dem Anwälte beteiligt sind, gibt es auch eine oder mehrere Anzeigen.)
**** Zu beachten: Die Variation in der Deskription: In der Anapher Sicherheitsmitarbeiter,
im Antezedens Parkwächter
***** Auslöser: Schlosspark (Weltwissen: Wo ein Park ist, gibt es auch eine Parkordnung).
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